20.5.12

Cannes 2012 Liebe, Michael Haneke


Liebe - ein schönes, kleines, großes Wort: Liebe. Ein einfacher Filmtitel. So wie Michael Haneke die Welt zeigt, kann man allerdings Angst bekommen vor diesem Film. Der Regisseur aus Österreich drehte unter anderem die Jugend-Gewalt "Bennys Video", den Gesellschafts-Abschied "Der Siebte Kontinent", die Beobachtungs-Obsession mit kolonialem Hintergrund in "Cache" und die kaum erträgliche Gewalt-Analyse "Funny Games". (Als US-Remake gleich ein zweites Mal.) Hanekes letzter Film "Das weiße Band" füllt im Presseheft ganze drei Seiten - mit all seinen Preisen, angefangen mit der Goldenen Palme 2009.

Nun zeigt Haneke anscheinend ganz einfach, wie die alte Piano-Lehrerin Anne (Emmanuelle Riva) nach einer missglückten Operation halbseitig gelähmt ist und ihr auch nicht mehr fitter Mann Georges (Jean-Louis Trintignant) versucht, sie zu pflegen. Beziehungsweise es gibt kurz vorher einen Moment des gemeinsamen Lebens in Paris, voller Kultur und Austausch, dann kommen die Aussetzer bei Anne. Erst eine Hälfte des Körpers, dann die Sprache, dann liegt sie nur noch. Das Paar gehört zum wohlhabenden Bürgertum, Pflegerinnen sind bezahlbar, aber auch manchmal fürchterlich ruppig und ohne Einfühlungsvermögen. Die distanzierte und egozentrische Tochter Eva (Isabelle Huppert) kommt nur aus London vorbei, um alles besser zu wissen. Als Anne zu verstehen gibt, dass sie das quälende Füttern nicht mehr will, fasst Georges den Entschluss, dessen Ergebnis schon die erste Szene zeigte…

Wie Haneke dies Einfache, das oft verdrängte Altern und Sterben zeigt, ist ganz große Kunst. Der Holzhammer bleibt in der Schublade und man merkt trotzdem irgendwann, wie sehr man bei diesen Menschen ist, wie man alles einfach versteht, mitfühlt und es unter die Haut geht. Dabei ist „Liebe" in vielen Details raffiniert erzählt. So spiegelt eine alte Geschichte aus dem Jugendcamp, die Georges erzählt, mit einem Postkarten-Geheimcode für die Mutter, die Schwierigkeiten Annes wieder, ein Signal nach außen zu geben. Sowohl die innige Geistes-Gemeinschaft vor der Operation, wie auch das Verständnis nachher berühren dabei tief.

„Liebe" ist in diesem Stadium ein intensives Kammerspiel, nur die Landschaften in Öl zeigen etwas vom Draußen. Es ist auch in der Unfähigkeit der Tochter, zu kommunizieren ein typischer Haneke. Selbstverständlich intellektuell, die Bücherwand mit Noten und Schallplatten bildet den Rückhalt, Berührungen sind selten. Nur wenn der selbst humpelnde Georges Anne aus dem Rollstuhl in den Sessel hilft, dann ist das fast ein letzter Tanz der beiden Liebenden.