29.9.19

Memory Games

Memory Games

BRD, Schweden 2018 R: Janet Tobias, Claus Wehlisch 86 Min.

Der Dokumentarfilm von Janet Tobias („No Place On Earth") und Claus Wehlisch begleitet Johannes, Simon, Nelson und Yanjaa auf ihrem Weg zur Gedächtnissport-Weltmeisterschaft. Sie sind Gedächtnissportler und können sich dank spezieller Techniken Hunderte Ziffern, Bilder oder Spielkarten merken. Das ist erstaunlich in Zeiten, in denen Elektrogeräte das Gedächtnis für Gedichte oder auch ein paar Telefonnummern übernehmen. Und das wird seit Jahrzehnten immer wieder in der TV-Unterhaltung abgefeiert.

Die vier Protagonisten und wie sie zu diesem Hobby gekommen sind, ist in „Memory Games" nur mäßig interessant. Auch die Leben des Amerikaners und das der Mongolin halten nur für spärliche Hintergrundinformation her. Dass Simon nach einer Erkrankung im Rollstuhl sitzt, bleibt eine Anekdote. Das monothematische Thema des kompetitiven Memorierens mit sehr, sehr wenigen Anknüpfungspunkten zur eigentlichen oder der kulturellen Funktion des Gedächtnisses erfährt denn auch nur eine einzige Art der Visualisierung in dieser Doku: Noch nett eingeleitet von Lars Mikkelsen, der seine Rolle aus der „Sherlock"-Folge um einen Gedächtnis-Palast für „Memory Games" erklärend fortsetzt, folgen ansonsten dazu immer wieders Computer-Animationen eines verwinkelten riesigen Gebäudes, in dem Figuren, Tiere oder Situationen dreistellige Zahlen repräsentieren. Das hat man schnell kapiert, der Rest bleibt trotz des Finales der Memory Games langweilig.

27.9.19

Skin

USA 2018 Regie: Guy Nattiv, mit Jamie Bell, Danielle Macdonald, Vera Farmiga, Bill Camp, Mike Colter 118 Min. FSK ab 16

Mit Rechten reden ist ein Thema. Rechte wieder auf den rechten Weg bringen, das ist in „Skin" eine andere, heftige Geschichte. Großartig gespielt, klasse inszeniert, klug analysiert, wirkt es doch etwas komisch, einen geläuterten Täter zu feiern und die Opfer namenlos zu lassen.

Bryon Widner (Jamie Bell) passt mit seinen rechten Tätowierungen wie die Faust ins Gesicht dieser Truppe von amerikanischen Neonazis der „White Power"-Bewegung, die in ihrem Hass sogar zwei gleichermaßen völkisch gesinnte, weiße Mädchen von der Bühne grölen. Und doch verteidigt Bryon die Kinder gegen einen noch ekelhafteren Nazi. Es dauert etwas, während wir in harten Szenen Nazis bei der Paarung, beim Rassistisch sein und beim Tätowieren erleben, bis sich immer mehr Zweifel in Bryon regen. Die Liebe zu Julie (Danielle Macdonald), der Mutter der kleinen Sängerinnen, die bereits aus der rechten Szene ausgestiegen ist, trägt dazu bei. Die mutige Gegenwehr des afro-amerikanischen Menschenrechtsaktivisten Daryle (Mike Colter), der die Nazi-Gruppe beobachtet, ebenfalls. Als Bryon bei einem der Überfälle der Verbrecher einige Flüchtlinge vor dem Tod durch Verbrennen rettet und dafür fast umgebracht wird, wechselt er die Seiten.

Ein schwerer Schritt, wie die monatelange, äußerst schmerzhafte Entfernung der rechtsradikalen Tätowierungen mit dem Laser zeigt. Vorher machte „Skin" über die Anwerbung eines jungen Nachfolgers für Bryon klar, wie mit pervertierten Familienstrukturen verlorene Kinder und Jugendliche eingefangen werden. Und in einer extrem brutalen, gnadenlosen Umgebung aufwachsen. „Ma" (Vera Farmiga) und „Pa" (Bill Kamp) nennen sich die Zieheltern, die ihre „Kinder" aber problemlos gegeneinander aufhetzten und töten.

Diese Truppe ist dumm, voller Hass und vor allem gnadenlos mit allen, die ihrer Meinung nach nicht in das erst kürzlich weiß kolonialisierte Nordamerika gehören. „Skin", der ersten US-Spielfilm des Israeli Guy Nattiv, ist dagegen eigentlich sehr gnädig mit Bryon - nur sein Hund wird im spannenden Finale umgebracht. Der schwarze Junge, den der Nazi zu Anfang fast umgebracht hat, taucht nur noch mal in einem Albtraum auf. Der Täter, der übrigens vom bekannten Jamie Bell („Rocketman", „Billy Elliot - I Will Dance") großartig gespielt wird, bekommt eine recht komfortable Möglichkeit zum Ausstieg. Der schwarze Aktivist Daryle Jenkins (Mike Colter) wird erst im Abspann richtig gewürdigt. Da sieht man auch die echte Figur und den echten Bryon Widner. Vor und nach der inneren und äußeren Wandlung. Und aus der Sicht von Jenkins ist wieder ein vom Hass Geretteter tatsächlich eine tolle und großartige Geschichte. Die übrigens schon 2011 in der Dokumentation „Erasing Hate" (den Hass ausradieren) behandelt wurde.

UglyDolls

USA, China, Kanada 2019 Regie: Kelly Asbury 88 Min. FSK ab 0

Die nächste Spielzeug-Figuren–Verfilmung ist wieder ein überlanger Werbeclip mit schlecht aufgepappter Moral. Die aktuelle Rangfolge dieser Filmchen: The good (Lego Movie), the bad (Playmobil Film) and the „UglyDolls".

Innere Werte von Plüschfiguren? Früher Stroh, heute Plastik, also hohl. Ausgerechnet die UglyDolls, unperfekte Kuschelwesen, denen mal ein Auge fehlt oder irgendwas zuviel ist, machen sich der Oberflächlichkeit schuldig. Denn im Prinzip könnte man anlässlich der Figuren, die aus der Reihe und vom Fließband der Spielzeughersteller gefallen sind, etwas Raueres außerhalb der Reihe erwarten. Doch in UglyVille finden wir singende Püppchen, die an nichts anderes denken, als von einem Kind erwählt zu werden. Vom anarchischen Spaß der Legofilm-Charaktere ist das sehr weit entfernt.

Die ewig optimistische Moxy macht in der ersten von vielen Musicalnummern klar, dass sie unbedingt in „die Welt da draußen" will. Auf dem Weg dahin müssen sie und ihre zumindest witzig gestalteten Freunde durch eine gnadenlose Schule der Perfektion. „UglyDolls" ist spätestens hier der übliche US-Schulfilm mit sympathischen Außenseitern und ekligen Angepassten, mit Mobbing und dem mühsamem Finden der eigenen Qualitäten. Im Trainingslager für uniforme Puppen ist Schönling Lou Bösewicht und Anführer der hirnlosen Puppenherde.

In der Parallelhandlung erkunden die fiesesten der nur auf Äußerlichkeiten bedachten Mädels UglyVille und auch wenn sie sich dauernd über Dreck und Schmutz beschweren, davon ist tatsächlich überhaupt nichts zu sehen. Im Gegensatz zur ursprünglichen Idee der schrägen Püppchen Ugly Dolls und der viel zu oft wiederholten Prämisse unwichtiger Äußerlichkeiten ist hier alles um die Figuren herum langweilig glatt.

„UglyDolls" könnte, wenn besser erzählt, ein Plädoyer für Integration sein. Man weiß relativ schnell, wo es hingeht, aber leider geht es nicht allzu schnell voran. Die bunte, aber farblose Kopie eines Teeniefilmchens verfolgt seine Moral der inneren Werte keineswegs konsequent und bleibt „Toy Story" in ganz, ganz arm.

26.9.19

Enzo und die wundersame Welt der Menschen

USA 2019 (The Art of Racing in the Rain) Regie: Simon Curtis, mit Milo Ventimiglia, Amanda Seyfried, Gary Cole, Martin Donovan 109 Min. FSK ab 6

Was für ein Hundeleben! Der Blick eines Vierbeiners auf das Leben seines Herrchens ist nun wirklich keine pfiffige Idee mehr, doch so durch gekaut und triefend wie ein alter Hundknochen, das ist besonders abgeschmackt. Üble Schmonzette mit Hundeblick.

Während er in seinem eigenen Urin liegt, lässt ein alter Hund namens Enzo sein Leben Revue passieren: Wie er als Welpe von dem Autorennfahrer Denny Swift (Milo Ventimiglia) gekauft wurde und angeblich begeistert mit zur Rennstrecke genommen wurde. Wie sein Herrchen, mit dem er vor allem auf der Couch Autorenn-Videos schaut, Eve (Amanda Seyfried) kennenlernt, die gemeinsame Tochter Zoe (Ryan Kieran Armstrong) zur Welt kommt, Eve an Krebs stirbt und ihre Eltern gerichtlich Zoe wegnehmen. Und alles kommentiert von diesem Hund, der die Stimme von Kevin Costner hat.

Das mit der Hunde-Perspektive war im Zeichentrick „Pets" noch ganz witzig, wurde mit vielen Tränen und Abschieden schon mit Dennis Quaid in „Bailey" ausgelotet. Und nun die Verfilmung eines Romans des Regisseurs und Hobby-Rennfahrers Garth Stein, der nach mehreren anderen Versuchen damit einen Verkaufserfolg landete. Eigentlich ist die Geschichte von Denny eine sehr gewöhnliche Schmonzette mit viel Leid und Glück im Szenenwechsel - Trivialliteratur würde man beim Buch sagen. Ob es besser wird, wenn in jeder zweiten Szene große Hundeaugen in die Kamera schauen, ist fraglich. Und dann der Kommentar mit der - technisch brillanten - Stimme von Kevin Costner! In wenigen hellen Momenten sind die Bemerkungen des Hundes so absurd komisch, dass man glaubt, er nimmt diesen ganzen Kram selbst nicht ernst. Aber helle und komische Momente sind in diesem Hundleben im Kino selten.

25.9.19

Deutschstunde

BRD 2019 Regie: Christian Schwochow, mit Levi Eisenblätter, Ulrich Noethen, Tobias Moretti, Johanna Wokalek 125 Min. FSK ab 12

Der 1968 erschienener Roman „Deutschstunde" von Siegfried Lenz ist ein Klassiker der Literatur und auch auf der Bühne populär. Das sehr wichtige Buch über den Widerstand der Kunst in den Zeiten von Diktatur wurde nach einer TV-Fassung von 1971 nun erstmals fürs Kino verfilmt. Christian Schwochow („Bad Banks", „Paula") komprimiert den umfangreichen Roman mit sehr gutem Ensemble und großartigen Bildern von Küsten- und Watt-Landschaft auf seinen Kern.

In der „Deutschstunde" macht der jugendliche Häftling Siggi Jepsen (Tom Gronau) aus einem Aufsatz mit dem Thema „Die Freuden der Pflicht" eine Rückblende auf die letzten Kriegsmonate. Sein strenger Vater Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) ist regimetreuer Polizist in einem kleinen Dorf an der norddeutschen Küste. Bei seinem Jugendfreund, dem expressionistischen Künstler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), und dessen Frau Ditte (Johanna Wokalek) ist der elfjährige Siggi (Levi Eisenblätter) ein gern gesehener Gast. Nansen bringt dem staunenden Jungen das Zeichnen bei und „wie man Schmerz malt". Bis der Polizist auf Weisung „aus Berlin" ein Malverbot ausspricht, es mit zunehmender Verbissenheit überwacht und sogar die „kranke Kunst" abtransportieren lässt. Siggi soll dabei helfen und gerät damit zwischen die Fronten. Noch dramatischer wird die Situation, als sich Siggis älterer Bruder Claas verwundet und fahnenflüchtig Sohn Claas hier verstecken will. Es wächst der Graben zwischen Menschen, die einfach helfen, und denen, die blind den Gesetzen folgen.

Regisseur Christian Schwochow vertraut ganz auf die zentralen Elemente des Romans, um diese wirken zu lassen: Das ach so preußische Thema „Die Freuden der Pflicht" wird durch die Geschichte bloßgestellt, dem Umgang mit „Entarteter Kunst" stehen menschliche Schicksale gegenüber. Die scharfen Sätze des Romans („Brauchbare Menschen müssen sich fügen, mein Junge.") blitzen immer wieder auf. Da muss man nicht viel drumherum und dazu filmen.

An der starken Wirkung des Films sind die exzellenten Darsteller sehr beteiligt: Tobias Moretti ist als Maler Nansen mit seiner ruppigen Frechheit und einer großen Sensibilität wunderbar besetzt. Die unfassbare Härte des Jens Jepsen bekommt ausgerechnet der in seinen Kinderfilmen immer besonders nette Ulrich Noethen hin. Es ist überhaupt eine Freude, diese Darstellerriege zu erleben: Johanna Wokalek als kämpferische und liebende Ditte Nansen, und Maria Dragus verkörpert die frech ausbrechende Sexualität von Siggis älterer Schwester Hilke.

Aber auch die Aufnahmen des Films beeindrucken nachhaltig. Mit einer starken Szene von brennenden Bildern auf Malerstaffeleien am Strand beginnt Siggis Erinnerung. Bei seinen Erkundungen in einem verlassenen Haus, deren Bewohner „verschwunden" sind, werden seine Sammlungen toter Tiere gefilmt wie kleine Stillleben, als Memento mori. Die atemberaubende gute Kamera von Frank Lamm („Bad Banks", „Dogs of Berlin", „Paula") macht dem Sujet Malerei alle Ehre. Aber nicht im expressionistischen Stil Emil Noldes, der im Roman von Lenz porträtiert wird, eher in dem der alten niederländischen Meister. Dabei geriet der Film trotz offener Landschaft oft bedrückend dunkel.

Dass die Kanzlerin ihren Nolde kürzlich wegen Antisemitismus-Verdacht abgehängt hat, wirkt nicht auf den Roman von Lenz zurück. Dessen Kampf um die Freiheit der Kunst und die Anklage des fortgeführten kranken Gedankens von Pflicht und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland sind zu allgemeingültig.

24.9.19

Nurejew - The White Crow

Großbritannien, Frankreich, Serbien 2018 (The White Crow) Regie: Ralph Fiennes, mit Oleg Ivenko, Adèle Exarchopoulos, Chulpan Khamatova, Ralph Fiennes 127 Min. FSK ab 6

In seinem dritten Film konzentriert der bekannte Schauspieler Ralph Fiennes das Leben der legendären Ballettlegende Rudolf Nurejew auf dessen Flucht aus dem Griff des Sowjetregimes. „Nurejew" füllt den klassischen Rahmen des Bio-Pics mit schönen Bildern.

Rudolf Chametowitsch Nurejew (1938-1993) veränderte das klassische Ballett, weil er den zuvor eher statischen Männerrollen einen eigenen Ausdruck und mehr künstlerische Bedeutung verlieh. Der 16. Juni 1961 war ein Wendepunkt in seiner Karriere - während einer Europatournee in Paris trennte er sich vom sowjetischen Kirow-Ballett und beantragte Asyl. Sein Tanzlehrer und Mentor Alexander Puschkin (Regisseur Ralph Fiennes selbst) muss sich in der ersten Szene vor einem Partei-Schergen verantworten. Was kann Nurejew zur Flucht veranlasst haben? Im demütigen Sinken des Kopfes kann man ein wissendes Lächeln vermuten. Denn der in einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn geborene Rudolf war schon immer ein Dickkopf. Eigentlich zu alt, verlangt er in der Leningrader Ballettschule auf unverschämte Weise eine besondere Behandlung. Liegt es an dieser Widerspenstigkeit, dass er bei der Tour nach Paris nur der Ersatz für die Solo-Parts ist?

In Paris setzt er sich wieder direkt über Grenzen hinweg, spricht als einziger mit den französischen Kollegen und entdeckt die Stadt auf eigene Faust. Er saugt die Kultur auf, hört Yehudi Menuhin Bach spielen und steht stundenlang vor dem Louvre an, um allein „Das Floß der Medusa" von Théodore Géricault sehen zu können. Auch das „dekadente" Nachtleben erkundet er in Begleitung der reichen Chilenin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos). Derweil blendet der Film zur Ausbildung beim Choreografischen Institut Leningrad zurück und zur vaterlosen Kindheit in Armut, trotz der die Mutter ihn mit all seinen Geschwistern ins nachhaltig eindrucksvolle Theater gebracht hat. Die Ebenen kommen im Finale einer dramatischen Flucht erst richtig stark zusammen.

Der nicht glorifizierende „Nurejew" zeigt recht wenige Ballettszenen des ukrainischen Tänzers Oleg Ivenko in seiner ersten Filmrolle. Er verkörpert auch den unsicheren Rudolf, der unbeherrscht und herrisch auch wohlmeinende Menschen und die, die ihn lieben, terrorisiert, weil er sich wegen seiner Herkunft schief angesehen fühlt. Das Drehbuch stammt vom ausgezeichneten Autor David Hare („Verleugnung" 2016, „Der Vorleser" 2008, „The Hours" 2002).

Leider widerspricht der Film seiner Hauptfigur: Nurejew sei technisch nicht perfekt, aber der Geist stimme und damit nehme er die Bühne für sich ein, sagt ein früher Bewunderer. Der Film „Nurejew" ist technisch und ästhetisch perfekt. Die historischen Bilder sind stimmig nicht nur bei Kostüm und Kulisse. Auch der mit 16mm-Material erzeugte Filmstil atmet Vergangenheit. Das Innovative und im Rahmen des strengen Balletts Rebellische von Nurejew deutet das Porträt von Regisseur Ralph Fiennes („Coriolanus" 2011, „The Invisible Woman", 2013) allerdings nur an. Der Film selbst ist hingegen sehr brav.

23.9.19

Ready or Not

USA 2019 Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett, mit Samara Weaving, Adam Brody, Mark O'Brien, Andie MacDowell 96 Min. FSK ab 16

Auch im zweiten Horror dieser Kino-Woche gibt es ein Frauen-Opfer. Doch während „Midsommar" vor ungewöhnlichem Hintergrund irritiert und interessiert, ist „Ready or not" tödlich konventionell und keinen Hauch originell. Hier opfert man vor allem Lebenszeit an filmischen Sadismus.

Grace (Samara Weaving) heiratet in eine verspielte Familie ein. Genauer, eine Sippe, die durch ihren Spielekonzern unmoralisch reich und auch noch anders menschenverachtend geworden ist. Nach der Trauung und vor der Hochzeitsnacht auf dem Familienanwesen wird Grace zu einer Spiele-Runde gebeten. Der Ehegatte Alex (Mark O'Brien) möchte sie jetzt doch noch warnen, aber die Braut macht gut gelaunt diese sehr seltsame Familientradition mit. Die Zuschauer wissen spätestens bei der Waffenausgabe wenige Minuten später, worum es bei diesem „Versteck-Spiel" geht. Nach einer halben Stunde gibt es das erste grausam verstümmelte Opfer.

Alles in „Ready or not" ist so furchtbar offensichtlich und durchsichtig, dass wirklich nur das Warten auf das unausweichliche Gemetzel Sadisten Spaß machen könnte. Tatsächlich ist dies einer der Werke, die sich am gegenseitigen Abschlachten erfreuen. Es beginnt „komisch", wenn eine verkokste und besonders dämliche Angeheiratete dauernd die eigenen Leute abmuckst. Selbst die kleinen Kinder folgen schon dem Beispiel der Erwachsenen und schießen auf die Fremde. Grace mutiert derweil zu einer weiblichen Version von Bruce Willis - mehrfach schwer verletzt schreit sie allerdings dauernd so rum, dass es kein Problem ist, sie immer wieder zu finden. Als besonders dumme Schluss-Pointe kommt dann auch noch der Teufel ins Spiel. Denn er ist schuld am obszönen Reichtum, nicht der Kapitalismus. Andie MacDowell wirkt als hinterhältiges Biest in diesem Gewalt-Filmchen deplatziert. Dass Morden lustig sein soll, weiß inzwischen jeder mittelmäßige Actionfilm. Hier fällt auch diese letzte Hoffnung auf Unterhaltung nur mittelprächtig komisch aus.

Midsommar

USA 2019 Regie: Ari Aster, mit Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren 142 Min. FSK ab 16

Ein neues Schauerstück aus dem neuen Subgenre Folk-Horror sorgt für Irritation mehr als für Schrecken: Im immerhellen Mittsommer Schwedens lässt „Midsommar" naive us-amerikanische Studenten an einem letztlich gar nicht schönen Ritual teilnehmen. Zweifel an unserer aufgeklärten Gesellschaft hallen mehr nach als drastische Tötungen.

Schon vor dem Vorspann ist „Midsommer" der Hammer: Nicht mit Film-Horror, sondern mit einem horrendes Ereignis im Leben der jungen Dani (Florence Pugh). Nachdem die psychisch kranke Schwester sich und auch noch die Eltern umgebracht hat, ist Freund Christian (Jack Reynor) keine große Stütze. Seinen Freunden erzählt er, dass er die anstrengende Dani längst loswerden wollte, aber jetzt könne er sich ja nicht trennen. Eigentlich nicht erwünscht reist Dani nun mit bei einem ethnografischen Trip der Freunde nach Schweden. Das Mittsommer-Ritual, das nur alle 90 Jahre zelebriert wird, beginnt mit einem halluzinogenen Tee und wird mit einem Menschenopfer enden.

„Midsommer" von Ari Aster („Hereditary") ist interessant, weil er nicht mit den üblichen Horror-Klischees abläuft: Die freundlichen, weiß gekleideten Menschen, die Wiesenlandschaft, das gleißende Licht - alles ist anders. Die Kamera schwelgt in den Ritualen, den Tafelszenen, den Tänzen, den Kostümen. Was nicht richtig funktioniert, ist die Beteiligung an den Figuren. Es liegt am Drehbuch und vielleicht auch am Schauspiel, dass man nicht um sie bangt. Um Christian herrscht eine seltsame Beziehungs- und Gruppendynamik. Die ist ungefähr so angenehm, als würde man einem Ausschlag beim Eitern zusehen. Dass sie dafür bestraft werden, scheint ok. Wie Dani von dieser Gesellschaft befreit wird, und vor allem, wie sie darauf reagiert, irritiert. Gefallen ihr die extrem brutalen, menschenverachtenden Riten, zu deren Mittelpunkt sie wurde, vielleicht sogar?

So irritiert wie sich der Zuschauer fühlt, muss sich die Aufklärung fühlen, wenn man ihr unterschieben will, dass das eine oder andere Menschen-Opfer ab und zu doch nötig wäre. Folk-Horror ist ein recht neuer Begriff für ein altes Unbehagen: Es liegt etwas Bedrohliches in archaischen Traditionen, in abgelegenen Dörfern mit erkennbaren Inzest-Missbildungen, und der Horror-Film bedient sich dankbar an diesem beängstigenden Hintergrund. Nachträglich werden Kultfilme wie „The Wicker Man (1973) zum Folk-Horror gezählt, auch John Boormans Klassiker „Deliverance" („Beim Sterben ist jeder der Erste", 1972) passt dazu.

Das berechtigte Misstrauen der Kultur-Gesellschaft gegenüber den konservativen Gebräuchen der „guten alten Zeit" erschließt sich als Grundidee schnell. Die detaillierte Ausführung mit ethnographischen Fantasien ohne weitere Erkenntnisse zieht sich allerdings hin. Erst mit dem Verschwinden einiger der Gäste wird es nach mehr als einer Stunde spannend. Wobei ein Paarungsritual, umkreist von einem nackten Frauen-Gesangsverein, nur noch komisch wirken kann. Aber das ist vielleicht auch eine Antwort auf die lächerlichen Männer, die Dani umgeben.

Gelobt sei Gott

Frankreich 2019 (Grâce à Dieu) Regie: François Ozon, mit Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud, Éric Caravaca, François Marthouret 137 Min.

Der Fall des Paters Bernard Preynat, der 2016 wegen sexueller Übergriffe auf rund 70 Jungen angeklagt wurde, sorgte in Frankreich für viel Wirbel. François Ozon porträtiert in „Grâce à Dieu" die mittlerweile erwachsenen Opfer und zeigt ihre lebenslangen Verletzungen. Die Versuche des Systems Kirche, dies alles zu vertuschen, werden in einer ausführlichen Spielfilmhandlung vorgeführt. Der großartige Regisseur Ozon („8 Frauen", „Unter dem Sand", „Swimming Pool") stellt in seinem bislang konventionellsten Film die Kunst für eine notwendige und bewegende Anklage zurück.

Alexandre ist ein wohl situierter und gläubiger Vater aus Lyon. Als er zufällig erfährt, dass der Priester, der ihn in seiner Pfadfinderzeit vergewaltigt hat, immer noch mit Kindern arbeitet, wird der angesehene Katholik aktiv. Er sucht andere Opfer von damals auf und wendet sich an den Kardinal Barbarin. Wie immer fühlt sich die Kirche nach langem Kampf unheimlich gnädig, wenn sie die Verbrechen intern vertuschen will. Der französische Titel „Grâce à Dieu" (Gelobt sei Gott) entfuhr dem Kardinal, als er hörte, dass die Taten Preyats verjährt seien! Man wird bei Zusehen zunehmend wütend.

Ein Verein, in dem andere Betroffene die Hauptrolle von Alexandre übernehmen, sammelt immer mehr Aussagen von Vergewaltigten. Doch es geht weiter gläubig durchs kirchliche Jahr, ohne dass juristisch etwas passiert. Filmisch ist „Gelobt sei Gott" einfach chronologisch und stringent. Es ist das Protokoll einer wichtigen und gelungenen Aktion ohne übliche Film-Dramatisierung. Die (wahren) Schicksale mit epileptischen Anfällen oder einer Penis-Verkrümmung in Folge der Verbrechen Preyats sind schockierend genug.

Wenn der Vergewaltiger das mittlerweile erwachsene Opfer beim gemeinsamen Gebet während einer internen Mediation wieder anfasst, ist dies einer der Momente, der extrem unsensibles Verhalten - weit hinter dem Stand der Wissens um Traumbewältigung - bloßstellt. Die gute und notwendige Anklage „Gelobt sei Gott" erhielt im Wettbewerb der 69. Berlinale einen Silbernen Bären.

Shaun das Schaf - Der Film: UFO-Alarm

Großbritannien, USA, Frankreich 2019 (Shaun the Sheep Movie - Farmageddon) Regie: Will Becher, Richard Phelan 87 Min. FSK ab 0

Shaun hebt ab! In seinem zweiten Kinofilm trifft das raffinierte und immer für Blödsinn zu habende Schaf aus der Aardman-Zeichentrickfabrik auf Außerirdische. Mit dem Knetgummi-Charme der Stop Motion-Animation und zahllosen tollen Ideen ist „Shaun das Schaf - UFO-Alarm" wieder ein einsamer Star des Genres.

Ältere „Kinder" erinnern sich daran, dass „Wallace & Gromit" schon vor 30 Jahren in ihrem Kinofilm „Alles Käse" ins All aufbrachen - um ihren Cheddar-Käse vom Mond zu holen! „Shawn das Schaf 2" ist sichtbar modernisiert, die Kampfmaschine einer erbitterten UFO-Jägerin sieht nicht mehr so handgemacht wie frühere Technik aus. Was aus vielen Kino-Filmen und den „Shaun"-Fernsehserien vertraut bleibt, sind die knolligen Charaktere der Knet-Männchen und die aberwitzigen Ideen, mit denen Shaun seinen knurrigen Hirte-Hund Bitzer ärgert.

Schon die Einführung zur kleinen Farm in Mossy Bottom zeigt ein Feuerwerk von spaßigen Schaf-Aktivitäten, die prompt mit entsprechenden Schildern verboten werden: Vom Mähdrescher-Fahren über lebendige Kanonenkugel-Spielen bis zum Pizza-Essen! Die in einer irren Aktion über das Internet vom Bauern bestellten Pizzen bringen nun auch noch ein kleines gestrandetes Alien auf den Bauernhof. Das imitiert nun niedlich Stimmen und Geräusche, will aber vor allem wieder nach Hause zu Mama und Papa.

Ja, „Shaun das Schaf - UFO-Alarm" ist als detailverliebter Trickfilm der britischen Aardman-Produktion wieder eine Schatzkiste mit Zitaten des Außerirdischen-Genres: Die Kern-Geschichte ist selbstverständlich „ET", ein paar Schnecken flöten gleich zu Beginn die Erkennungsmelodie von „Akte X", aus dem „Time machine"-Erfinder H.G. Wells wird ganz am Rande die Autowerkstatt H.G. Wheels (für Reifen). Ein witziger Roboter macht auf R2D2, irgendwann huscht ein nachgebauter Dalek aus „Dr Who" durchs Bild, auf der Tonspur erklingt „Forever autumn" aus Jeff Waynes „The War of the Worlds"-Musical. Und es gibt einen „First Contact" des fremden Wesens mit Pommes. Ja, dieses niedlichste Alien der Filmgeschichte ist vor allem hungrig: Deshalb geht es in der Tasche eines Pizzaboten zu Shauns Farm und die wird im Verlauf der putzmunteren Handlung zum Science Fiction-Freizeitpark Farmageddon.

Während Shauns Schaf-Truppe in parallelen Slapstick-Szenen handwerklich Unsinn treiben, sucht der wollige Held mit dem kleinen Außerirdischen nach dem gestrandeten Raumschiff. Selbstverständlich ist ihnen eine grimmige Staats-Agentin mit Sonnenbrille auf den Fersen. Aber viel witziger als die große Handlung sind kleinen Unglücke, die Bitzer erleiden muss, die albernen Agenten in Schutzanzügen, die mit Aliens erst mal Selfies machen wollen.

Wie all diese komischen Figürchen so sagenhaft sorgfältig und zum Knuddeln niedlich animiert wurden, wie gleich das ganze Sci Fi-Genre abgegrast wurde, ist wieder mal sensationell. Es gibt zwar keine (menschlichen) Dialoge, aber die Scherze für die Kleinen und die Querverweise für die Kenner im Sekundentakt sind beste Unterhaltung. Der zweite Kinofilm von Shaun gehört vielleicht nicht zu den Top 5 der Ardman-Knetereien, aber in der Landschaft der Animationen und Kinderfilme ist er eine einzigartige Freude.

So zeigt sich, dass auch diese Knet-Animation nicht nur mit einem gewissen Charme der Rauheit gegenüber computeranimierten Trickfilmen punktet. Sorgt nicht auch der viel aufwendigere Produktionsprozess für eine Sorgfalt schon beim Drehbuch, die schnelle, einfache „Rechner-Filme" oft vermissen lassen?

17.9.19

The Kitchen: Queens of Crime

USA 2019 (The Kitchen) Regie: Andrea Berloff, mit Melissa McCarthy, Tiffany Haddish, Elisabeth Moss 103 Min. FSK ab 16

Frauen übernehmen die Küche – das klingt äußerst dämlich. Wenn „die Küche" aber das New Yorker Viertel Hell's Kitchen ist, und drei Frauen die Geschäfte der Mafia übernehmen, wird es etwas interessanter.

Schon in Steve McQueens „Widows", einem exzellenten Film, griffen die Frauen von Gangstern selber zur Waffe. Nun sind es mit Kathy Brennan (Melissa McCarthy), Ruby O'Carroll (Tiffany Haddish) und Claire Walsh (Elisabeth Moss) drei vom Leben und teilweise auch von ihren Männern geschlagene Frauen aus Hell's Kitchen, die gar nicht so traurig sind, dass ihre Kerle für drei Jahre hinter Gittern verschwinden. Das Abkassieren von Schutzgeldern übernehmen jetzt ein paar andere Gauner aus der irischen Gang. Die Frauen bekommen eine Entschädigung, die kaum für die Miete reicht. Als sie sehen, dass die neuen Typen zwar kassieren, aber keinen Schutz bieten, greifen sie ein.

Es ist für ein paar Minuten eine interessante Konstruktion, dass es nicht um Erpressung und Schutzgelder geht, sondern darum, sich um die Leute zu kümmern. War selbstverständlich ein Frauen-Job ist. Doch schnell machen die Ladies ihren Job so routiniert und undramatisch, dass dies doch irritiert. Claire, die schwächste und am meisten geschundene der Drei bekommt richtig viel Spaß am Morden und am Leichen zerstückeln. Aber auch am Gangster Gabriel O'Malley (Domhnall Gleeson), der ihr alles beibringt. Respekt verdienen sich die Frauen auch beim Paten der konkurrierenden Italiener, drüben in Brooklyn.

Es gibt unerwartete Bündnisse, etwas Verrat und viele Begräbnisse. „The Kitchen" hat einige potentiell interessante Zutaten, wie die schwarze Ruby und ihre gehässige irische Schwieger- und Gangster-Mutter. Doch nicht nur, weil man bei Melissa McCarthy immer Komisches erwartet, funktioniert der Film nur mäßig. Die Wandlungen und der Gangster-Alltag sind zu selbstverständlich. Da hilft auch die Frauenpower in der Musik mit „Barracuda" von Heart oder Fleetwood Macs „Chain" mit der Stimme von Stevie Nicks nicht. Zwar brechen die drei Heldinnen aus ihren Frauenrollen zwischen Tochter und duldsamer Ehefrau aus, doch der Film löst sich nicht aus der Masse mittelmäßiger Genre-Produkte.

16.9.19

Ein Licht zwischen den Wolken

Albanien 2018 (Streha mes reve) Regie: Robert Budina, mit Arben Bajraktaraj, Esela Pysqyli, Irena Cahani 84 Min. FSK ab 0

In einem abgelegenen albanischen Bergdorf spiegelt sich durch eine historische Entdeckung und durch einen sehr banalen Streit um ein Erbe das allgegenwärtige Wiederaufleben religiösen Wahns: Das Leben des Hirten Besnik (Arben Bajraktaraj) läuft in einfacher Ruhe ab. Er kümmert sich um seine Ziegen, genießt die Sonne im rauen Bergdorf und pflegt den schwer kranken Vater. Dessen nahender Tod allerdings lässt Besniks Geschwister einfallen: Muslimische und orthodoxe Familien suchen in der kargen Hütte einen Platz und schielen schon mal auf das Erbe des alten Kommunisten. Derweil entdeckt Besnik in der kleinen Moschee hinter dem Putz eine christliche Heiligendarstellung. Auch wegen einer schönen Beamtin von der staatlichen Denkmalstelle entsteht ein Politikum: Sollen die Christen, wie vor und im Osmanischen Reich, hier auch beten dürfen?

Fein wie die Figuren, die der Hirte schnitzt, erzählt „Ein Licht zwischen den Wolken" eine dem menschlichen Wahnsinn entsprechende und sehr treffende Parabel über das, was Religionen mit Menschen machen. Wie sie als Vorwand für Habgier, Beleidigtsein und andere Kleingeistereien dienen. Die Quintessenz des Hirten: „Die Menschen lieben Gott aufrichtig, aber nicht einander."

Am Familientisch ordnet der kommunistische Patriarch nach der Wiedervereinigung zuerst eine praktische Aufteilung an: In Weintrinker und die mit Cola. Später als der Streit um das Haus eskaliert, sorgt Schweinefleisch im Essen dafür, dass tatsächlich der große Tisch getrennt wird. Die Geschichte ist - nicht nur aus Albanien - bekannt: „Enver (Hoxha, der Diktator) hat uns vereinigt, wir hatten keine Religionen, aber wir waren uns nahe", sagt der Vater. Auch die türkische Herrschaft vorher diktierte ein Nebeneinander, mit dem die Gruppen nichts anfangen konnten.

Mittendrin und stoisch der „psychisch labile", sprich: sehr sensible und künstlerische Hirte. Ein guter Mensch mit besten Absichten, dessen Umgebung immer verrückter wird. So teilt er das Haus des verstorbenen Vaters auf, die zerstrittenen Geschwister sollen sich einigen, sonst bekomme keiner was. Mit der Folge, dass er selbst in den Stall ausquartiert wird.

Regisseur Robert Budina inszenierte die starke und so frappierend moderne Geschichte ruhig vor eindrucksvoller Naturlandschaft, von einfachen Flötentönen begleitet. Die Bilder erinnern an die Film- und Fotokunst des türkischen Regisseurs und Fotografen Nuri Bilge Ceylan („Once Upon a Time in Anatolia", „Drei Affen"). Eine in vielfacher Hinsicht bemerkenswerte Parabel, die berührt und nachdenklich macht.

15.9.19

Angry Birds 2 ****

USA 2019 Regie: Thurop Van Orman 97 Min. FSK ab 0

Sie sind bunt, können nicht fliegen, aber haben mehr als einen Vogel: Auch in ihrem zweiten Kino-Film machen die „Angry Birds" groß und klein vor allem viel Spaß. Anfangs bekriegen sich wieder flugunfähigen Vögel und die hinterlistigen grünen Schweine von einer Insel zur anderen. Bis riesige Eiskugeln von einer weiteren Insel einschlagen. Der im ersten Film zum Held gewordene einsame Red vereint sich mit dem schweinischen Leonard und weiteren Kumpels, um einer sehr wütenden und frostigen lila Adlerdame die Vernichtungsmachine zu vernichten.

Ein wenig Bond mit wahnsinnigem Super-Schurken schimmert durch, doch die bunten und komischen Viecher haben zu viel verrückten eigenen Charakter, um etwas kopieren zu müssen. Alle im Team, das erst werden muss, haben starke Szenen. Es gibt ein Haufen cooler pop-kultureller Auftritte, die in Sekundenschnelle in die Hose gehen. Wie eine pedalgetriebener Gummi-Adler, mit dem sich die Vogel-Schweine-Bande in die Festung des Schurken schleichen wollen. Was dann in einem Breakdance-Wettbewerb mit den Wach-Adlern endet. Ach, ja: Der Pantomimen-Vogel Marcel Marceau hat auch viel zu sagen. Red lernt dabei, dass er auch ohne Held zu sein, geliebt werden kann.
Parallel erleben drei kleine, eher süße als „angry" (wütende) Vögelchen ihr eigenes Abenteuer. Ganz wie Scrat aus „Ice Age" immer humorsteigernd neben der Handlung herumwieselt.

Viele Einfälle von nett bis völlig verrückt machen den Humor dieser schrägen Vögel zum Volltreffer für groß und klein.

Downton Abbey (2019)

Großbritannien 2019 Regie: Michael Engler, mit Hugh Bonneville, Jim Carter, Michelle Dockery, Elizabeth McGovern, Maggie Smith, Imelda Staunton, Penelope Wilton 122 Min. FSK ab 0

Ein fürstlicher Kino-Langeweiler soll die Krönung der TV-Serie „Downton Abbey" sein. Das können wohl nur die größten Fans ertragen, ohne in eine Palast-Revolution auszubrechen.

Sechs preisgekrönte Staffeln gab es von „Downton Abbey" mit reichlich kostümierten Dramen um englischen Adel und deren Dienerschaft vor rund hundert Jahren. Auch der König und die Königin waren wohl von der Serie begeistert und wollen wie viele Touristen das üppige Anwesen mal sehen. Dieser Besuch sorgt nun für Aufregung. Aber was an den vielfältigen Nicht-Ereignissen einer überkommenen Gesellschaftsform in „Downton Abbey" interessieren soll, bleibt für einen Normalsterblichen, der schon die Fernsehserie nicht verstand, ein Rätsel.

Das Drama von über zwei Stunden Film liegt tatsächlich darin, dass Königs ihr eigenes Personal mitbringen. Und die haben eine klare Vorstellung davon, wie alles abzulaufen hat. Jeder Angestellte von Verstand würde sich nun über ein paar freie Tage freuen. Doch diese Relikte einer älteren Form von Selbstausbeutung machen auf Aufstand und fühlen sich unheimlich toll, nachdem sie die eingebildeten Hoflakaien betäubt und eingesperrt haben.

Ganz nüchtern betrachtet, dauert es eine ganze Weile, bis dieser unnötige Adel der Serie wieder vorgeführt ist. Große und kleine Eitelkeiten werden als „typisch menschlich" eingestreut. Man kann sich darüber amüsieren, dass die Diener mit der roten Jacke den Dienern mit der schwarzen Jacke - alte Bekannte aus der Serie - die Teller und das Besteck abnehmen. Dazu gibt es eine Pistole und ein Geheimnis, das in wenigen Minuten verpufft. Irgendjemand aus dem Personal hat sein Coming-out, aber auch das ist so dramatisch wie eine Fußnote in einem historischen Aufsatz. Selbstverständlich gibt es mehr von Maggie Smith als verrückte alte Schachtel, die sich mit ihren erzkonservativen Ansichten zu viel einmischt. Ansonsten bleibt die Herrschaft immer souverän, während sich die Dienerschaft schon mal gerne zum Affen macht. Letztlich endet alles in derart klebrigem Wohlgefallen, dass man Hygienetücher mitnehmen sollte.

Diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für verstaubte Kostüm- und Ausstattungsabteilungen ist so unnötig wie, sagen wir mal: Hohenzollern, die in dreister Weise heute noch Rendite ihrer Jahrhunderten lange Ausbeutung verlangen. Diese Enttäuschung von historischem Format ist überraschend, weil der Autor Julian Fellows blieb, der für sein ähnlich gelagertes Skript zu „Gosford Park" von Robert Altman mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Außerdem lieferte er zu „Vanity Fair" (2004) und „Young Victoria" (2009) wesentlich Besseres ab. Doch dieser Pomp mit Langeweile verdient nur eine Überstunden-Zulage für den Kran, der dauernd das herrschaftliche Gebäude rauf und runter schwenkt.

14.9.19

Regisseur stellt „Wir sind Juden aus Breslau“ vor

Überlebende erzählen

Aachen. 14 Jugendliche in Breslau werden mit der Machtübernahme der Nazi ihrer Jugend und Zukunft beraubt. Junge Menschen von heute treffen sie und erfahren im Gespräch mit den über die ganze Welt verstreuten Holocaust-Überlebenden vom jüdischen Leben in der heute Wrocław genannten Stadt von Verfolgung und Flucht. Die Dokumentation „Wir sind Juden aus Breslau" von Karin Kaper und Dirk Szuszies kam 2016 in die Kinos und erlebt am kommenden Sonntag eine Sondervorführung (16 Uhr im Apollo Kino) sowie eine Schulvorführung (10.30 Uhr). Dirk Szuszies wird den Film vorstellen und anschließend mit dem Publikum besprechen. Die Filmemacher betonen die „aktuelle Brisanz, des Films, der ein eindringliches Zeichen setzt gegen stärker werdende nationalistische und antisemitistische Strömungen in Europa. Ein Film, der aufzeigt, wohin eine katastrophale Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen führt." Anlass zu einer neuen NRW-Tournee, die Sonntag in Aachen beginnt, sind nicht nur wachsender Antisemitismus und das Erstarken der Rechten. Anita Lasker Wallfisch, eine Protagonistin des Films, erhielt den Deutschen Nationalpreis 2019.

12.9.19

Systemsprenger

BRD 2019 Regie: Nora Fingscheidt, mit Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide 120 Min.

Dieser Film war die Sensation der letzten Berlinale und die ganz junge Hauptdarstellerin Helena Zengel ist mittlerweile in Hollywood gefragt: Der deutsche Oscar-Kandidat „Systemsprenger" um ein schwer erziehbares Mädchen ist in jeder Hinsicht ein junger, wilder und lohnenswert anstrengender Film.

„Systemsprenger" nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Wie die neunjährige Benni, die nach kurzer Zeit aus allen Pflegeeinrichtungen wieder raus fliegt. Mehr als 20 Einstellungen hat sie schon verschlissen und teilweise tatsächlich ramponiert. Keiner will sie mehr aufnehmen. Benni (Helena Zengel) ist aggressiv, hyperaktiv und gewalttätig. Das nimmt der Film in Schnitt und Musik auf. Auf den ersten Blick wirkt das blonde und eher zierliche Mädchen in ihrer rosa Jacke nett. Doch immer wieder, vor allem, wenn sie jemand ins Gesicht fasst, verwandelt sie sich zu einer Furie mit Schreien und Tobsuchtsanfällen. Benni ist nicht nur gemeingefährlich, sondern auch selbstzerstörerisch und voller blauer Flecken. Dabei will sie nur zurück zu ihrer Mutter, die allerdings Benni nicht mehr verkraftet.

Keiner kommt mit ihr zurecht, allein die sehr liebe Frau vom Jugendamt (Gabriela Maria Schmeide) gibt nicht auf. Und dann taucht da dieser große Kerl, der Anti-Gewalt-Trainer Micha (Albrecht Schuch) auf. Der ist interessant, weil er vorlebt, wie man mit Aggressionen umgehen kann. Auf resolute Weise nimmt er sich der Benni an, verfrachtet sie in eine Außenstelle, ein abgelegene Hütte im Wald. Das „Zurück zur Natur" scheint zu funktionieren. Hier ist nicht so viel zum Anecken, den neugierigen Hund vom Bauern schreit sie erst mal weg.

Micha macht vieles richtig, aber auch er lässt sich von der herzzerreißende Verzweiflung Bennis einwickeln und nimmt sie mit nach Hause. Ein absolutes Tabu für die Jugendarbeit und noch gefährlicher, weil Micha und seine Freundin gerade ein kleines Baby bekommen haben.

Nora Fingscheidt geht in ihrer Manipulation der Zuschauer von „Systemsprenger" sehr weit, weil man immer wieder hochdramatisch um Benni und ihre Opfer bangt. Ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt, das heiß diskutiert wird. Die junge Regisseurin schrieb nach langer Recherche über einen Zeitraum von vier Jahren das Drehbuch zu ihrem Kino-Erstling. Der ist auch wortwörtlich ein Systemsprenger, weil hier jemand den alten Bekannten des deutschen Films heftig die Aufmerksamkeit klaut. Und den Platz im Oscar-Rennen. Bei der Berlinale erhielt dieser ebenso heftige wie lebendige und leidenschaftliche Film den Silbernen Bären für „neue Perspektiven der Filmkunst". Dabei bleibt der Film, der teilweise ein realer sozialer Horrortrip ist, immer beim relevanten Thema der schwer erziehbaren Benni. Das ist extrem packend und richtig großes Kino.

11.9.19

Ad Astra

Regie: James Gray, mit Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Ruth Negga, Liv Tyler, Donald Sutherland 116 Min.

James Gray, ehemaliger Familien- und Gangster-Regisseur („The Yards", „Little Odessa"), schickt Brad Pitt in „Ad Astra" zu den Sternen, an die Grenzen des Sonnensystems und menschlicher Vereinsamung. Der nicht bis zum Ende faszinierende Science Fiction bewegt sich in einem deutlichen Bezugsrahmen aus „Solaris", „2001" und „Apocalypse Now".

Auch wenn es zum Auftakt einen extrem dramatischen Absturz aus einer erdnahen Raumstation gibt, fasziniert „Ad Astra" durch eine erstaunliche Ruhe. Passend zum Astronauten Roy McBride (Brad Pitt): Auch wenn alles um ihn zusammenbricht, bleibt er ruhig. Und tatsächlich befindet sich die Menschheit in Endzeitstimmung.

Elektromagnetische Stürme fordern zehntausende Opfer auf der Erde und den kolonialisierten Planeten. Sie kommen vom Neptun, deshalb schickt das Militär ihren besten Mann Roy McBride dorthin. Hier wird auch sein Vater Clifford McBride (Tommy Lee Jones) vermisst, der vor vielen Jahren zu den Grenzen des Sonnensystems aufbrach und dafür Frau und Kind zurückließ. Nun ist er Legende unter den Raumfahrern. Sein Lima-Projekt zur Suche nach außerirdischem Leben gilt allerdings als gescheitert.

Mit leiser Ironie ist die Reise zum Neptun geschildert: Zum Mond geht es inkognito mit einem Billigflieger von Virgin Atlantic. Kissen und Decke kosten 125 Dollar extra, der Flughafen ist ein einziger Verkaufsstand. Schon der Erdtrabant verkam zur Kriegszone, zwischen Bergbau-Gebieten kommt es zu Überfällen auf die Reisenden wie im Western. Auch der Mars ist in Wirtschafts-Zonen aufgeteilt. Die Raumfahrt-Agentur heißt dementsprechend auch Spacecom, „Com" wie kommerziell. Der wie immer grüblerische Kommentar von Roy McBride lautet: We are World Eaters, wir essen Welten auf.

Die Unendlichkeit, unbekannte Planeten und eine unvorstellbare Weite spiegeln eigentlich nur das Innenleben des Protagonisten, wiedergegeben durch seine Gedanken auf der Tonspur und die immer wiederkehrenden psychologischen Tests in Tagebuchform. Dramaturgisch bedient sich der lange Zeit packende Handlungsverlauf erstaunlich einfach bei klassischen Vorbildern: Wie in „Apocalypse Now" wird ein abtrünniger Held gesucht und soll eliminiert werden. Auf den Stationen zum Rande der Zivilisation sorgen Drogen und Wahnsinn für Verluste. Die blutrünstigen Menschenaffen, die eine komplette Forschungsschiff-Besatzung verspeist haben, sind Nachfahren der aggressiven Affen aus „2001 - Odyssey im Weltall".

Brad Pitt verkörpert diese Figur wieder einmal sehr eindrucksvoll. Sie ist eine freie Fortsetzung seines Charakters in Terrence Malicks „The Tree of Life". Die Ästhetik gelang dabei durchgehend reizvoll, wie zum Beispiel mit den reflektierenden Gold-Visieren, die manchmal schwarze Löcher und manchmal spannende Szenerien reflektieren. Der Familien- und Gangster-Regisseur James Gray („The Immigrant" 2013, „Two Lovers" 2008, „We Own the Night" 2007, „The Yards" 2000, „Little Odessa" 1994) verbraucht allerdings Millionen von Flug-Meilen und fast zwei Stunden Film, um herauszufinden, dass die ganze Raumfliegerei eigentlich nur Flucht ist, der Mensch ein soziales Wesen und es zu Hause am schönsten ist. Trotzdem könnte man wegen „Ad Astra" mal raus ins Kino gehen.

10.9.19

The Whale and the Raven

Kanada 2019 Regie: Mirjam Leuze 106 Min. FSK ab 0

Die Bilder passen einfach nicht zu diesem Geräusch: Am abgelegenen, idyllischen Kitimat-Fjord, an der kanadischen Pazifikküste, spielt der Walforscher den Unterwasser-Lärm eines Supertankers ab, der Flüssiggas transportiert. Normalerweise studieren die Wal-Fans die Gesänge der majestätischen Tiere, die sie mit Namen benennen. Doch nun hat sich ein Stamm der indigenen „First Nation" nach zehnjährigen Kampf dem Druck von Industrie und Regierung gebeugt und zugestimmt, dass zukünftig Hunderte von Supertankern durch die Fjorde ihres Territoriums fahren werden.

Der aufschlussreiche Dokumentarfilm „The Whale and the Raven" vermittelt mit teilweise sehr schönen Aufnahmen und vielen Porträts nicht nur die Begeisterung des Forscher-Paares Janie Wray und Hermann Meuter. Seit 15 Jahren dokumentieren sie das Verhalten von Orcas, Buckel- und Finnwalen an der Westküste Kanadas. Doch 100 Kilometer entfernt wird eine gigantische Exportanlage für Flüssiggas (LNG) geplant.

Wie an vielen anderen Stellen der Welt, etwa dem Hambacher Forst, wird auch hier der Kampf gegen eine überkommene Energie-Industrie geführt, die ihre Gewinne auf Kosten der Natur einfahren will. Diesmal ist das Engagement filmisch unterfüttert mit wunderbaren Naturaufnahmen auf und unter Wasser, mit alten Mythen der indigenen Bevölkerung und den Geschichten der sympathischen lokalen Aktivisten.

Mein Leben mit Amanda

Frankreich 2018 (Amanda) Regie: Mikhaël Hers, mit Vincent Lacoste, Isaure Multrier, Stacy Martin, Greta Scacchi, Ophelia Kolb 107 Min. FSK ab 6

So einfach und sympathisch leicht können nur französische Filme in Folge der Nouvelle Vague Paris durchziehen. Der 24-jährige David, ein freundlicher Mensch, radelt mit der älteren Schwester Sandrine durch Paris. Auch wenn er mal vergisst, die Nichte Amanda pünktlich am Kindergarten abzuholen - sie verstehen sich so gut, haben so viel Spaß, sie könnten ein Pärchen sein. Dann klingt eine düstere Vorahnung leicht in der Musik an, der Himmel bedeckt sich. Umso heftiger der Schock, als David auf einer Picknick-
Wiese nur noch die vielen Opfer eines Anschlages mit Schnellfeuer-Waffen sieht. Unter den Toten ist auch Sandrine. Es folgt Stille. In der Stadt und bei David, der nur leise schluchzt, um seine noch ahnungslose Nichte nicht zu wecken.

Nun sind der 24-Jährige, der auch gerne in den Tag hinein lebte, und die sechs- oder sieben-jährige Amanda - so genau weiß er es nicht - durch Schock und Trauer zusammengeworfen. Er bricht unvermittelt in Weinen aus, sie will die Zahnbürste von Mama behalten und beobachtet auch seine Trauer. David, der nie dran gedacht hat, ein Kind großzuziehen, muss sich in den nächsten Wochen entscheiden, ob er sich offiziell um Amanda kümmert. Derweil will Léna, die er gerade besonders gut kennengelernt hat und die auch bei den Anschlägen verletzt wurde, wieder von Paris wegziehen.

Ohne Pathos in der Inszenierung ist „Mein Leben mit Amanda" von Mikhaël Hers („Dieses Sommergefühl") ein extrem bewegender Film. Fein und einfühlend verfolgt er, wie David mit Trauer und einer unerwarteten Aufgabe umgeht. Unter seinen Freunden sind auch Opfer des Anschlags, das Leben danach, fließt unauffällig als Thema mit, wie es auch nur eine Bemerkung über das Unnötige von Religionen gibt. Kein einziges Klischee wird dabei benutzt. Die sagenhafte Schauspielleistung des jungen Vincent Lacoste („Saint Amour - Drei gute Jahrgänge" neben Depardieu, „Lolo - Drei ist einer zu viel" mit Julie Delpy) vollendet mit zurückhaltender Mimik dieses Filmwunder. Und obwohl „Mein Leben mit Amanda" etwas von dem Einschlag der Anschläge in Paris vermittelt, ist er letztlich besonders schön hoffnungsvoll.

9.9.19

Ein leichtes Mädchen

Frankreich 2019 (Une fille facile) Regie: Rebecca Zlotowski, mit Mina Farid, Zahia Dehar, Benoît Magimel, Lakdhar Dridi, Nuno Lopes 92 Min.

Ein verträumtes Sommermärchen in Cannes, das mit klarer Schärfe die Schere zwischen Arm und Arm bloßstellt. Die Entscheidung eines jungen Mädchens, wo das Leben zwischen Prostitution und Alltags-Tristesse hingehen soll, wurde selten so anmutig dargestellt. „Ein einfaches Mädchen" ist ein faszinierender und in vieler Hinsicht anderer Sommerfilm.

Das Leben von Naïma (Mina Farid) ist sonnig - weil ihre Mutter als Putzfrau schicke Ferienwohnungen in Cannes reinigt. Gerade feiert Naïma ihren 16. Geburtstag, hat die Schule abgeschlossen und könnte eine Ausbildungsstelle als Köchin bekommen. Sie träumt aber von der Schauspielerei, die Freunde sammeln für einen Trip nach Paris. Da kommt unerwartet ihre ältere Cousine Sofia (Zahia Dehar) vorbei. Sie schenkt Naïma eine Chanel-Tasche und nimmt die stille Verwandte mit ins Luxusleben der Cote d'Azur. In einer Bar treffen sie auf zwei ältere Männer und verbringen die Nacht auf deren Yacht. Für Sex mit dem Bootseigner Andres (Nuno Lopes) darf sich Sofia im Schmuckgeschäft was Teures aussuchen.

Naïma und Sofia sind gründlich verschieden: Bescheiden und still schlägt das „einfache Mädchen" des Original-Titels „Une fille facile" meist die Augen nieder. Das „einfältige Mädchen" Sofia - so könnte man auch übersetzen - hat mit angeblichen 21 Jahren ihr überbräuntes Gesicht schon mit Schönheitsoperationen entstellt. Die wahrscheinlich auch künstlichen Brüste holt sie provozierend bei jeder Gelegenheit raus. Der reiche Andres, der mit ihr ins Bett geht, macht sich ausgiebig über sie lustig.

Regisseurin Rebecca Zlotowski („Grand Central" und „Belle Épine") hingegen zeichnet diese Figur respektvoll. Dabei ist die Besetzung mit Zahia Dehar schon ein Thema für sich: Mit 17 Jahren war sie als „Escort-Girl" Figur eines öffentlichen Skandals um den Fußballer Ribery, dann Muse von Karl Lagerfeld, schließlich Designerin.

Die Kamera, warmes Licht und die Musik von Chet Baker, Schubert oder Debussy geben den Mädels die Ausstrahlung von klassischen französischen oder italienischen Filmstars. Obwohl es das Alter hergibt, ist „Ein leichtes Mädchen" meilenweit von französischen Sommer-Parties wie „La Boum – Die Fete" entfernt. Wie Naïma die Verführungen protzig ausgestellten Geldes erlebt und ihnen letztlich mit Hilfe des klugen Freundes von Andres (Benoît Magimel) trotzt, ist ein besonderes Sommer-Märchen. Rebecca Zlotowski gelingt eine sehr reizvolle Ästhetik, die der verführerischen Sommerstimmung Gefahr und Bitterkeit untermischt. Ausgerechnet im Hafen der Luxusjachten von Cannes, wo nebenan beim Festival der Film in einer Nebenreihe antrat, zeigen sich obszöne Brüche in der Gesellschaft. Die stillen Angestellten hält die Kamera dabei immer im Bild. Trotzdem, wenn es am Ende verschwindet, bekommt das Protz-Objekt Boot in dieser sehr außergewöhnlichen Geschichte fast den Hauch des Mythischen.

3.9.19

Der Honiggarten - Das Geheimnis der Bienen

Großbritannien 2018 (Tell it to the bees) Regie: Annabel Jankel, mit Anna Paquin, Holliday Grainger, Gregor Selkirk 108 Min. FSK ab 12

Als die junge Ärztin und Bienenzüchterin Dr. Jean Markham (Anna Paquin) Anfang der 50er Jahre im schottischen Örtchen ihrer Kindheit Haus und Praxis des verstorbenen Vaters übernimmt, gehört zu den auflebenden Erinnerungen auch Grausames. Die selbständige, aber stille Frau fiel hier mit einer lesbischen Beziehung auf und wurde brutal abgestraft. Deshalb bleibt sie bei spontaner Sympathie zurückhaltend, als sie die alleinerziehende Lydia (Holliday Grainger) mit ihrem Sohn Charlie (Gregor Selkirk) kennenlernt. Über Jeans Bienenvölker wird Charlie zum Freund. Nach ersten dramatischen Ereignissen um Lydias nutzlosen und brutalen Ehemann zieht diese bei Jean ein und ihre Liebe lebt auf.

Die Geschichte einer vor allem bedrohten und angstbesetzten Liebe ist sehr bewegend gespielt, schön ausgestattet und kostümiert. Wie in „Brokeback Mountain" weiß die erfahrenere Jean um die Gefahren und um schreckliche Abstrafungen lesbischer Liebe. Eine alleinerziehende Mutter wird automatisch durch gesellschaftliche Regeln und geringen Lohn ausgegrenzt. So ist „Der Honiggarten" mehr noch als ein Kampf für gleichgeschlechtliche Liebe ein Mahnmal gegen engstirniges Denken, in dem eine Frau nur mit einem Mann an ihrer Seite existieren kann. Während das Verjagen von Bienen an Lydias Hals als erste erotische Annäherung eine Reihe sehr schön inszenierter Momente einleitet, spart der Film auch nicht mit erschütternden Szenen. Dabei spielt die Perspektive des überforderten Jungen eine dramatische Rolle. Sein Gespräch mit den Bienen des Originaltitels „Tell it to the bees" (Sag es den Bienen) ist Metapher und Stimmungsbild gleichzeitig. So erfolgt auch eine wundersame Rettung aus der Natur heraus, die der Junge bewundert und der Vater verachtet.

2.9.19

Die Wurzeln des Glücks

Frankreich, Belgien 2017 (Holy Lands) Regie: Amanda Sthers, mit James Caan, Tom Hollander, Rosanna Arquette, Jonathan Rhys Meyers, Efrat Dor, 100 Min. FSK ab 6

„Schweine züchten in Nazareth" - was für eine Idee! Zwar sind Juden und Moslems dort sehr beschäftigt, sich zu bekriegen. Doch beide eint die Ablehnung der Schweine. Das scheint den ehemaligen New Yorker Arzt Harry Rosenmerck (James Caan) besonders zu reizen. Was in seiner bemerkenswert gestörten Familie sonst noch passiert, zeigt Regisseurin Amanda Sthers („Madame") nun auch in der großartigen Verfilmung ihres eigenen Romans „Schweine züchten in Nazareth" mit vielen Stars.

Die sehr schrägen Familien-Verhältnisse bekommen schnell Tiefe: Harrys hypochondrische Exfrau Monica (Rosanna Arquette) hat in New York tatsächlich einen Tumor und nur noch ein Jahr zu leben. Die 34-jährige Tochter Annabelle (Efrat Dor), die noch von den Eltern finanziert wird, versucht in Brüssel ihre psychologischen Schmerzen zu bewältigen. Der schwule Sohn David (Jonathan Rhys Meyers) macht ein Theaterstück draus. Derweil zieht der Vater, der nie Haustiere erlaubte, selbst ein kleines Ferkel per Hand groß und nennt es Judas.

In einer Familie, die immer Abstand voneinander hält, sind Briefe der vernachlässigten Kinder angesagt. So ist Amanda Sthers Roman „Schweine züchten in Nazareth" auch zu hören. Dabei antwortet Harry nie, kann es aber nicht aushalten, dass sich seine Tochter auch nicht meldet. Berührende persönliche Dramen und große Themen verbindet „Die Wurzeln des Glücks" mutig und gekonnt. Harry geht sehr geistreich mit den engstirnigen und humorlosen Priestern aus gleich allen drei abrahamitischen Religionen um. Zum resoluten örtlichen Rabbi Moshe (Tom Hollander) entwickelt er nach anfänglichen Streitereien eine besondere Freundschaft. Der nicht mehr praktizierende Jude findet hier Trost bei der Sabbat-Feier, Moshes Kinder sind vom süßen Ferkel begeistert, während Moshes Frau dauernd seinen Anzug von Schweine-Spuren reinigen muss.

Die Orthodoxen sehen auf ihren Mopeds so albern aus, wie ihre Regeln sind. Wie will man sich beim Nachbarn beschweren, wenn man nicht mal klingeln darf? Dabei verkauft sich Speck und Ei in Tel Aviv scheinbar recht erfolgreich. Christen wollen gleich das ganze Land okkupieren, weil Jesus, ein Jude, hier mal rumgelaufen haben soll.

Hier stehen die Bürger-Rechte eines Atheisten gegen die Diktatur mittelalterlicher religiöser Extremisten. Doch nicht als Thesen, sondern in Form lebendiger, widersprüchlicher und deshalb spannender Menschen. Ja, die Situation ist im Großen und Kleinen nicht einfach. Im Kaleidoskop der bewegenden Leben wird Annabelles Party am Strand von Tel Aviv durch Raketenalarm unterbrochen. Der spontane Sex mit einem Unbekannten im Unterstand ändert bald ihr Leben.

Leben und Kunst sind nicht nur auf der Bühne von David sehr schön miteinander verbunden, wenn er seine Familiengeschichte nachspielt. Auch Amanda Sthers verbindet in ihrem wunderbaren Film „Die Wurzeln des Glücks" über eine Familie, die unfähig ist, mit Krankheit und Gefühlen umzugehen, Gefühl, Verstand und Kunst.

1.9.19

Und der Zukunft zugewandt

BRD 2018 Regie: Bernd Böhlich, mit Alexandra Maria Lara, Karoline Eichhorn, Stefan Kurt 108 Min. FSK ab 12

Gut, dass er erst nach den Wahlen im Osten in die Kinos kommt. Ungeschickt, dass er zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns kommt. Der gut gemeinte Geschichtsfilm „Und der Zukunft zugewandt" erzählt, dass man in der DDR nicht alles sagen durfte. Mit viel Melodram über fast zwei lange Stunden.

Es ist ein brutaler Epilog, als ein Vater und Ehemann beim Ausflug aus seinem Gulag ins Frauenlager zu Frau und dem kranken Kinde erschossen wird. Und auch weiterhin geht das Schicksal dieses Drehbuchs nicht zimperlich mit den Figuren um: Nach Bemühungen beim SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck kommen 1952 drei (von den tausend zu Unrecht verurteilten deutschen Kommunisten) aus dem Gulag entlassene Frauen in der DDR-Kleinstadt Fürstenberg an. Direkt gibt es Schwierigkeiten bei der Notfall-Behandlung, weil solche „Neuankömmlinge" in der DDR eigentlich nicht existieren durften. Diese Verbrechen des Stalinismus wurden offiziell totgeschwiegen. Die Partei in Fürstenberg will die körperlich und seelisch stark angeschlagenen Ex-Häftlinge mit einer zynischen Ignoranz im Schnellverfahren integrieren.

„Wir kommen zurück und bekommen zuerst ein Redeverbot, was soll denn das für ein Sozialismus werden", meint die kritische Genossin Schumann, die nicht mehr Genossin sein will. Doch Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) verteidigt diesen Staat weiterhin. Anfangs sieht das neue Leben mit großen Aufgaben und moderner Wohnung samt TV-Gerät als Bestechung fürs Schweigen nicht so schlecht aus. Die romantischen Bemühungen des jüngeren, aus dem Westen „rübergemachten" Arztes Konrad Zeidler (Robert Stadlober) beschäftigen vor allem die Streicher auf der Tonspur. Kopf und Füße schlafen bei dieser Gähn-Routine bald ein. Doch als sich einer der ach so dumpfen Parteibonzen bei harmloser Kultur in Form einer Kinderaufführung echauffiert, eskaliert die Situation um Antonia Berger.

„Und der Zukunft zugewandt" erzählt von dieser historischen Ungerechtigkeit nicht besonders differenziert und inszenatorisch sehr altbacken. Zudem langatmig und zäh. Alexandra Maria Lara, aufwändig auf verhärmt geschminkt, kann dem Drama keine emotionale Durchschlagskraft geben. Dass ihre Figur 1932 eine Schallplatte mit einem Arbeiter-Kollektiv aufgenommen hatte, von dem alle bis auf Berger von den Sowjets erschossen wurden, müsste tief erschüttern. Hier überrascht nur die Wirkungslosigkeit des als stark emotional geplanten Moments. Kurze gute Szenen mit Jürgen Tarrach als zwiespältigem Hauswart und Peter Kurth als Geheimdienstler machen den Unterschied deutlich.

Generell ist es vielleicht nicht der sensibelste Zeitpunkt für diesen Filmstart, da diese Abrechnung mit dem bösen Kommunismus 80 Jahre nach Beginn des deutschen Angriffskrieges stark nach „Whataboutism" aussieht, also Ablenkung durch Kritik an anderen Missständen. Ebenso schlimm ist die Mutlosigkeit der nicht weiterdenkenden Inszenierung.

Synonymes

Frankreich, Israel, BRD 2018 Regie: Nadav Lapid mit Tom Mercier, Quentin Dolmaire, Louise Chevillotte 124 Min. FSK ab 12

Der Gewinner des Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale ist ein besonderer: Selten war die Begeisterung so einhellig und selten war es so schwierig, alle Qualitäten eines Siegerfilms zusammenzufassen. „Synonymes" von Nadav Lapid („Policeman" 2011) atmet die leichte Nouvelle Vague eines Israeli in Paris, ist ein durchaus politischer Schelmenroman und die Entdeckung eines Schauspielers mit enormer Präsenz.

Nackt landet der Israeli Yoav (Tom Mercier) in Paris, nachdem ihm bei der Ankunft in einer leeren Wohnung auch noch die Klamotten geklaut werden. Kurz vor dem Erfrieren retten ihn Charlotte und Emile (Louise Chevillotte, Quentin Dolmaire). Das reiche junge Pärchen füttert den eigentümlichen Gast auch zukünftig mit Delikatessen, alter Luxus-Kleidung und Geldbündeln durch. Der senffarbene Mantel wird Yoav fortan durch Paris begleiten.

Der Exilant konjugiert bei seinen Gängen durch eine oft verregnete Stadt ohne sichtbare Sehenswürdigkeiten französische Begriffe durch. Die Synonyme des Titels. Für einfache Sprachübungen sind sie allerdings zu bedeutungsvoll. Radikal weigert er sich, noch ein Wort Hebräisch zu sprechen. Die Gründe müssen in seiner Militärzeit liegen, von denen er immer wieder blitzlicht-artig redet.

Besonders interessiert an diesen absurden Episoden ist der eingebildete Jung-Autor Emile, dessen langweiliges Leben keine Geschichten hergibt. Charlotte ist anderweitig an Yoav interessiert. Eine Weile bleibt es in der Schwebe, ob die beiden Dekadenten Geschwister oder Paar sind. Eine Konstellation wie in Bernardo Bertoluccis anderem Paris-Film „Die Träumer" (Dreamers, 2003). Auf einer anderen Referenz-Ebene taucht die Kamera rau im Stil der Nouvelle Vague mitten in das Geschehen der Straße.

Im Rahmen seines Jobs als Sicherheitsmann für die israelische Botschaft kommt Yoav mit einem aggressiven Nationalisten zusammen, der die Menschen in der Metro provozierend mit der israelischen Nationalhymne ansingt. Beim Einstellungstest prügeln sich dieser im Anzug erst einmal. Das wirkt absurd, kann aber auch als Kommentar zur Weltpolitik durchgehen. Irgendwann hebt Yoav die Grenzen, zumindest am Konsulat auf. Er ist ein komischer Narr in seinen bunten Klamotten, auch wenn er fast nie lacht, könnte er lange als glücklicher Mann in seinem Exil gelten.

Dass diese ziellosen Passagen durch Paris so gut funktionieren, liegt auch am ausgezeichneten Hauptdarsteller, dem Debütanten Tom Mercier. Seine zurückhaltende Mimik zusammen mit der großen Körperlichkeit eines Tänzers machen neugierig auf die weitere Karriere dieses Schauspielers.

Nadav Lapid gelang mit „Synonymes" eine einzigartige, reizvoll leichte, oft komische Collage aus Mythos, Politik und Filmgeschichte mit einigen absurden Handlungs-Ideen. Unbedingt sehenswert.

Diego Maradona

Großbritannien 2019 Regie: Asif Kapadia 130 Min. FSK ab 12

Mit der Dokumentation „Diego Maradona" wiederholt Regisseur Asif Kapadia seine Methode, die er schon bei „Amy" (Winehouse), für die er einen Oscar erhielt, und den Rennfahrerfilm (Ayrton) „Senna" anwandte. Er arbeitet vor allen Dingen mit Original-Material, diesmal waren es angeblich 500 Stunden. Das Ergebnis ist allerdings mit über zwei Stunden immer noch sehr lang - und vor allem selektiv in negativem Sinne: „Diego Maradona" konzentriert sich auf die Zeit des Fußballers in Neapel. Der spätere extreme Niedergang des Argentiniers bekommt nur zehn Minuten, die schlimmsten Szenen erspart uns der Film.

Ein Film über Diego Maradona, den einige schon mal als den „besten Fußballer aller Zeiten" bezeichnen, präsentiert selbstverständlich viele Tricks und schöne Tore, dazu haufenweise Rekorde. Dazu gehört eine Weltmeisterschaft, ein Handball-Tor und ein paar Kung Fu-Einlagen während des Spiels. Zum WM-Viertelfinale 1986 England gegen Argentinien erwähnt der Film anständigerweise auch den furchtbaren Kolonialkrieg Englands um die Falkland-Inseln, der vier Jahre zuvor hunderte Tote forderte. Ansonsten dreht sich alles um „Diego Maradona" - in einem Maße, dass nur Fußball-Fans die zwei Stunden Film sinnvoll finden werden.

Der Regisseur basiert seinen wilden Bildermix erneut rein auf Originalaufnahmen, die teilweise nachträglich von Maradona selbst kommentiert werden. Der Bilderbogen geht von Szenen aus der Jugend des späteren Weltstars, Rückblenden zu ersten Erfolgen in Argentinien für den Club Boca Juniors, über ikonische Bilder der Fußball-Geschichte bis zur Operation des gebrochenen Knöchels in Nahaufnahme. Die interviewten Zeitzeugen, die Exfrau, die Geliebte, die ein Kind von ihm hat, seine Trainer und sein Biograf sind auch auf der Tonspur zu hören.

Die unglaubliche Begeisterung der Bevölkerung bei seinen Wechsel von Barcelona nach Neapel leitet die zentrale Geschichte ein. Die Frage nach der Rolle der Camorra bei der Finanzierung des Deals während der Pressekonferenz wird blockiert. Der erstaunte Blick des neuen Ankaufs deutet eine gefährliche Naivität an. Aus den Bodyguards der Drogen-Mafia werden bald befreundete Dealer.

Aus dem Menschen Diego wird der überforderte Star Maradona. Das ist die durchgehende Metapher um den ängstlichen Blick eines kleinen Jungen im überwältigenden Trubel. Die große Frage, wie es zu der Tragödie kam, die Maradona heutzutage verkörpert, wird damit teilweise beantwortet. So erzählt die Dokumentation ein Märchen-Mythos von Maradona, dem gefallenen Fußballgott detailversessen nach, ohne hinter die Bilderflut zu gelangen. Dabei will man plötzlich wieder die skurrile Doku „Die Hand Gottes" von Emir Kusturica sehen, in welcher der Regisseur seine Begeisterung für Maradona hemmungslos auslebt. Das war ziemlich spinnert, aber interessanter.