31.10.05

Lost Children

BRD 2005 (Lost Children) Regie: Ali Samadi Ahadi, Oliver Stoltz 103 Min. FSK ab 12

"Lost Children" gehört zu den Filmen, bei denen die Machart weit hinter den erschütternden Fakten zurückbleibt. Die Erzählungen von "Kindersoldaten" im Norden Ugandas sind von unvorstellbarer Grausamkeit. Den Versuch, sie in einem Auffanglager von Caritas International von ihren Traumata zu befreien und an ein normales Leben heranzuführen, dokumentiert dieser Film schmerzlich direkt und ohne distanzierende Filmkunst. Francis (12), Jennifer (14), Kilama (13) und Opio (8) wurden von der fanatisch-religiöse Rebellenorganisation „Lord's Resistance Army" (LRA) zu extrem brutalen Taten gezwungen. Obwohl sie unter Lebensgefahr fliehen konnten, bleiben sie außerhalb der Gesellschaft, werden von ihren Familien nicht mehr aufgenommen. Aus Angst vor den Rebellen und auch aus Entsetzen vor den Grausamkeiten der Kinder.
Die Betreuer des Auffanglagers werden bei ihrer Sisyphos-Arbeit porträtiert, erzählen von den hunderten von "Kunden", von den Schwierigkeiten, das Erzählte zu verarbeiten. Zwei Sozialarbeiter werden den Film bei Previews begleiten.

27.10.05

Flight Plan ****

Flight Plan

USA 2005 (Flight Plan) Regie: Robert Schwentke mit Jodie Foster, Peter Sarsgaard, Sean Bean 98 Min.

Bereits der erste Blick voller Schrecken verspricht einen exzellenten Thriller. Jodie Foster sitzt im verschneiten Berlin am Alexanderplatz. Aber schon im nächsten Moment ist sie die Flugzeugingenieurin Kyle Pratt, die ihren Mann verloren hat und nun den Sarg zur Überführung in die USA versiegeln muss.

Dann geht es ins Flugzeug, einem seltsam ambivalenten Raum: Einerseits dieser immer noch unvorstellbare Vorgang des Fliegens in einer tonnenschweren Maschine und dann aber auch die relative Geborgenheit eines Interkontinentalfluges, für viele Stunden abgeschieden von allem. Diesen schon öfters ("Red Eye") genutzten Spannungsraum füllt Robert Schwentke mit ungewöhnlicher Dramaturgie: Ein paar Stunden nach dem Start kann Kyle ihre Tochter nicht mehr finden. Bei einer aufwändigen Suche, zu der die hysterische Mutter den Kapitän schließlich bewegen kann, stellt sich heraus, dass das Kind angeblich nie an Bord gewesen sein soll, wahrscheinlich sogar mit dem Vater gestorben ist. Eine traumatische Psychose? Haben wir uns wie bei "The Sixth Sense" wieder von den Filmbildern täuschen lassen? Oder wird der Mutter hier doch übel mitgespielt? Hitchcock-Seher wissen, dass manchmal auch alle in eine Verschwörung eingeweiht sind ...

Robert Schwentke begeisterte in Deutschland mit der komischen und doch nicht flachen Krankengeschichte "Eierdiebe" sowie dem Killer-Thriller "Tattoo". Eine gute Empfehlung für Hollywood! Und die erste Chance realisiert er nun eindrucksvoll. In der Enge der Gänge zwischen den Sitzreihen findet sich erstaunlich viel Raum für eine verzweifelte Suche (Kamera: Florian "der Sohn" Ballhaus). Das liegt auch daran, dass Kyle Pratt diese Maschine bis in die kleinste Nische kennt, von Gängen und Hohlräumen hinter, unter und über den Wänden des Passagierraums weiß. Die Panik der Mutter wird von kurzen Turbulenzen unterstützt, Bewegung und Geschwindigkeitswechsel sorgen für nie nachlassende Spannung. Irgendwann zieht Kyle ihren Pullover aus und die Action geht los. Sie spielt mit dem Flieger, versetzt über vierhundert Passagiere in Panik.

Jodie Foster suchte sich nach in "Panic Room" erneut eine Rolle als energisches und intelligentes Muttertier. Sie lässt den Film endgültig gelingen. Denn seine Konstruktion ist nicht ganz luftdicht, die üblichen Verdächtigen wurden zu deutlich gezeichnet. Aber Jodie Foster macht mit ihrem Spiel diese kleinen Fehler vergessen.

Von Anfang an packt eine Thriller-Atmosphäre mit kleinen Bedrohungen und Irritationen für die Sehnerven. Überall trifft Kyle auf Polizei und dunkle Blicke - in welchem Deutschland aus Schilys feuchten Zukunftsträumen befinden wir uns? Auf einer anderen Ebene, sind die politischen Bezüge besonders spannend. Die Moral für das Funktionieren dieser hochspannenden Geschichte auf 10.000 Fuß lautet: Die braven Bürger sehen nur das, was Autoritäten ihnen erzählen!

Ein Mann für eine Saison ***

Ein Mann für eine Saison

USA 2005 (Fever Pitch) Regie: Bobby Farrelly, Peter Farrelly mit Drew Barrymore, Jimmy Fallon, Jason Spevack 103 Min. FSK o.A.

Die Kombination eines Nick Hornby-Romans ("High Fidelity", "About a Boy") mit der filmischen Unverschämtheiten der Farrelly-Brüder ("Verrückt nach Mary") könnte eine ganz neue Dimension von Humor entstehen lassen. Doch die zweite Verfilmung von Hornbys Sportfan-Komödie "Fever Pitch" geriet den ansonsten herrlich unverschämten Brüdern recht romantisch und komödiantisch zahm.

Lindsey (Drew Barrymore), Karrierefrau mit großem Herzen, wird nun bald "Zehn-und-Zwanzig" und hat immer noch nicht den Richtigen gefunden. Bis Ben (Komiker Jimmy Fallon) vorbei kommt, der Nur-Lehrer, der so ganz anders als ihre Verflossenen ist. Ein perfektes Paar: Beide so niedlich, süß, unverbogen und vor allem witzig. (Wieder eine Paraderolle für Drew Barrymore, dem intelligenten Schätzchen des US-Kinos.) Es gibt nur ein Problem, wie die Freundinnen Lindseys treffend analysieren: Wieso ist so ein netter Typ noch immer Single?
Der Grund zeigt sich, als nach der romantischen erfüllten Winterpause die Baseball-Saison anfängt: Ben ist totaler Fan der Boston Red Sox, hat seit Jahren kein Spiel mehr verpasst, Stammplätze geerbt und richtet sein ganzes Leben noch den Begegnungen aus. Lindsey versucht anfangs, bei den Spielen mitzufiebern, doch als er den Trip nach Paris wegen einer Baseball-Partie ausschlägt, bricht ihr das Herz ...

Die sehr freie Hornby-Verfilmung verpflanzt die Handlung von England in die USA, macht aus Fußball Baseball. Damit verlieren wir 90% des europäischen Publikums, aber reihen uns brav bei den unzähligen amerikanischen Sportfilmen ein. Der "Mann für eine Saison" - "Fever Pitch" war als Titel schon vergeben - erinnert nur anfangs mit derbem Slapstick und Ekel-Humor an die Ferrelly-Markenzeichen, nur einmal bekommt das Haustier etwas ab. Dafür erweisen sich die beiden Protagonisten so wunderbar humorvoll und herzlich - man muss bei ihnen mitfiebern! Zwischendurch machen sich die Sportfan grandios lächerlich und es gibt geniale Momente, wie Bens ernsten Aussprachen über seine Beziehungsprobleme - mit einem Jungen auf dem Sportplatz. Der Rest ist übliche Romantik-Routine mit einem Finale voller Sport-Romantik. Das Grundproblem dabei mag sein, dass Bens Obsession für seine Mannschaft wirklich etwas zu kindisch für neunzig Minuten Film ist. Hat die Bundesliga eigentlich schon wieder angefangen?

20.10.05

Stolz und Vorurteil

Stolz und Vorurteil

USA/Großbritannien 2005 (Pride and Prejudice) Regie: Joe Wright mit Keira Knightley, Matthew MacFadyen, Claudie Blakely 127 Min. FSK: o.A.

Wenn Jane Austen "Filmstars" gekannt hätte, wären ihre jungen Frauen nicht so verzweifelt gewesen. Sie hätten außer heiraten ja noch Karriere machen können. Hört sich albern an, aber die neueste Verfilmung von "Stolz und Vorurteil" aus dem Jahre 1813 hat eine moderne Leichtigkeit, die gut unterhält, doch dem Ernst der damaligen Lage nicht gerecht wird.

Die Bennets schlagen sich als armer Landadel fröhlich durch streng formelle britische Leben am Ende des 18. Jahrhunderts. Als der höher gestellte Mr. Bingley in die Nachbarschaft zieht, dreht die dauer-kuppelnde Mrs. Bennet (Brenda Blethyn) völlig ab. Schließlich hat die Mutter gleich fünf Töchter unter die Haube zu bringen. Bingley verfällt beim Dorftanz tatsächlich der strahlenden Ältesten, Jane. Ihre Schwester Elizabeth (Keira Knightley), ein freches Huhn, unbekümmert von den Sorgen der anderen, trifft hingegen auf den übelgelaunten, arroganten Darcy (Matthew MacFadyen) und eine Hassliebe bricht aus. Die schlagfertige Leserin nimmt ihn und seine arrogante Art beim raffiniert arrangierten Gesellschaftstanz auf den Arm.

In den allgemeinen Wirren um das einzige Lebensziel einer jungen Frau - sich gut verheiraten - taucht auch noch ein Verwandter der Bennets auf: Der steife, gesellschaftlich ungelenke und furchtbar unromantische Pfarrer Collins ist nicht nur Freier, sondern auch eigentlicher Erbe, des Bauernhofes, auf dem die Bennets leben. Er stellt Elizabeth einen Antrag, die ihn entsetzt und panisch ablehnt. Eine Ungeheuerlichkeit, meint die Mutter, wären doch mit dieser Verbindung gleich zwei finanzielle Probleme gelöst! Und auch die sichere Verbindung von Jane und Mr. Bingley zerbricht, Bingley und sein Freund Darcy reisen übereilt ab.

Es wird noch eine Reihe von Irrungen und Wirrungen geben, bis sich für die Bennets fast alles zum Guten wendet. Im Zentrum lehnt Elizabeth einen Antrag Darcys ab, weil sie erfuhr, dass er hinter Bingleys Abreise steckte. Doch das Herz der sensiblen Leserin sehnt sich immer noch nach dem stolzen, eigenwilligen Mann. Und in diesen Gefühlen, trefflich verkörpert durch die junge Keira Knightley, liegt das Pfund von "Stolz und Vorurteil". Es ist eine Light-Version für ein möglichst großes, junges Publikum, mit der aus "Kick It Like Beckham", "Fluch der Karibik" und "King Arthur" bekannten Darstellerin.

Also dürfen Austen-Fans nicht die Kunst von Ang Lees Meisterwerk "Sinn und Sinnlichkeit" (nach einem ähnlich gelagerten Stoff von Jane) erwarten. Zu oft glaubt man, hier wird ein Klassiker vorgeführt und nicht gelebt, gefühlt, gelitten. Es gibt Landschaften im Vollmond, die Kamera schwelgt, versucht sich in Plansequenzen, nimmt sich auch mal zurück. In einem Wechsel der Qualitäten sind Szenen der Filmkunst deutlich hervorstechend. Ebenso durchmischt die schauspielerischen Niveaus: Keira Knightley ist exzellent, wirkt natürlich, herzlich, sinnlich. Brenda Blethyn als ewig kuppelnde, bis zur Ohnmacht hektische Mrs. Bennet ist einfach zu viel, zu passend für diese Rolle. Donald Sutherland wurde als zurückhaltender Mr. Bennet unterfordert, nur manchmal hat er sagenhaft weise Sätze: "Nicht jeder kann sich erlauben, romanisch zu sein." Und auch gerade diese scharfen gesellschaftlichen Analysen hält der Film zurück, will unterhalten ohne ein Gefühl für andere gesellschaftliche Zustände und Zeiten zu erzeugen.

Kiss, Kiss, Bang, Bang

Kiss, Kiss, Bang, Bang

USA 2005 (Kiss, Kiss, Bang, Bang) Regie: Shane Black mit Robert Downey Jr., Val Kilmer, Michelle Monaghan 102 Min. FSK ab 12

Ist dieser Film ernst gemeint? Das fragten viele bei den ersten Vorführungen in Cannes. Viele von denen, die entsetzt raus liefen, aber auch die sich bis zum Ende amüsieren ließen. Selten erlaubt sich Hollywood solch einen schrägen, unkonventionellen Humor wie in dieser durchgeknallten Krimigeschichte. Zum Glück schaffte es "Kiss, Kiss, Bang, Bang" in die Kinos und wird nun voll einschlagen.

Auf der Flucht vor der Polizei rennt der Ladendieb Harry (Robert Downey Jr.) in ein Casting und wird ab jetzt als kommender Hauptdarsteller gehandelt. Als er auf einer Hollywood-Party seine Jugendliebe Harmony (Michelle Monaghan) wieder sieht, geht seine Rolle direkt mit ihm durch: Er verfällt Harmony sofort und verspricht, als Detektiv auszuhelfen. Dabei geht er nur zum Rollenstudium beim schwulen Private Eye Perry ("The Saint" Val Kilmer) in die Lehre. Doch auch diese Ausflüge enden bei einer Frauenleiche im See. Und ausgerechnet Harmonys Schwester steckt tief in diesem Fall drin ...

Eine schöne Variante des nur äußerlich knallharten Privatdetektivs und der eiskalten, gefährlichen Schönen? Klar, Zwischentitel wie "Lady in the lake" oder "The simple art of murder" verweisen auf Bücher von Raymond Chandler, der mit seinen Romanen wie "The Big Sleep" die Schwarze Serie prägte. Und mit "Kiss, Kiss, Bang, Bang" brachte die legendäre Kritikerin Pauline Kael das Genre auf den Punkt. Doch Regisseur Shane Black, ist auch ein Drehbuch-Profi, der sich nach seinem unverschämten Erfolg mit "Brennpunkt L.A." und "Last Action Hero" eine Auszeit gönnte und nun mit dem sagenhaften Debüt "Kiss, Kiss, Bang, Bang" zurückkehrt. Er purzelt die Genre-Elemente fröhlich und frech durcheinander, mixt den klassischen Thriller mit absurden Wendungen und aberwitzigen Szenen.

So lässt der hoffnungslos und charmant überforderte Harry nicht nur Fingerabdrücke sondern gleich einen ganzen Finger am Tatort zurück. Eine Leiche folgt ihm überall hin und jedes Fettnäpfchen wird zielsicher angesteuert. Unser chaotischer Held hält öfters mal den Film an, um seinen lakonischen Kommentar loszulassen. Blacks Exemplar der Schwarzen Serie ist eine geniale Mischung aus "Leathal Weapon" und "Loaded Weapon", aus "Brennpunkt L.A." und der Parodie "Nackte Kanone". "Kiss, Kiss, Bang, Bang" funktioniert für Insider sowie für Filmfans, die Chandler nur als Figur aus "Friends" kennen.