29.3.17

Ghost in the Shell (2017)

USA 2017 Regie: Rupert Sanders mit Scarlett Johansson, Takeshi Kitano, Michael Pitt, Juliette Binoche 107 Min. FSK: ab 16

Den zahllosen Fans des epochalen Animes „Ghost in the Shell" von Mamoru Oshii („The Sky Crawlers") aus dem Jahre 1995 braucht man nicht zu erzählen, wie richtungweisend dieser Zeichentrick-Science Fiction nach einem Manga von Masamune Shirow ist. Nicht nur für die Gattung, sondern auch für die Philosophie der Künstlichen Intelligenz. Die Cyberpunk-Saga zählt zu den weltweit bekanntesten Sci-Fi-Reihen. Der Original-Manga, der zwischen 1989 und 1997 in Japan erschien, hat unter anderem mehrere Anime-Kinofilme und Anime-Serien inspiriert. Avancierte Tricktechnik ermöglichte nun ein Realfilm-Remake des Klassikers. Doch der Versuch, den Geist des Manga in menschliche Körper zu verpflanzen, scheitert auf ganzer Linie. Heftige Abstoß-Reaktionen zeigen sich gerade da, wo zu viel Charakter ins Aktieren gelegt wird.

Das seltsam Uninspirierte dieser Neu-Verfilmung beginnt schon beim chronologischen Erzählen: Am Anfang steht die Schöpfung von Major (Scarlett Johansson) aus dem Gehirn einer verunglückten Frau und einem komplett künstlichen Körper. Eine Sensation, selbst in einer Zeit, in der Cyber-Upgrades für die Menschen erstrebenswertes Luxusgut sind. Nun wird sie als Waffe für eine staatliche Kampftruppe eingesetzt, wobei der Hightec-Konzern Hanka, der Major schuf, im Hintergrund weiter die Strippen zieht. Als führende Wissenschaftler von Hanka ermordet und zuvor ihre Gehirne gehackt werden, sucht Major den Verantwortlichen. Gleichzeitig hofft sie hinter das Geheimnis der Trugbilder zu kommen, die sie immer wieder irritieren.

Das Visionäre der Vorlage von Masamune Shirow zeigt sich auch darin, dass sich das populäre Bild von Künstlicher Intelligenz in den letzten zwei Jahrzehnten nicht großartig weiter entwickelt hat. Die Technik des Films hat jedoch in dieser Zeit Quantensprünge gemacht, was im Falle dieses aufwändigen „Upgrades" nur Äußerlichkeiten statt neuer Visionen bietet.

Scarlett Johansson („Lost in Translation", „Lucy") ist von Anfang an mehr Mensch als Maschine, trotz ihres betont maskulinen, eckigen Gangs. Der französische Akzent einer überdramatischen Juliette Binoche („Die Wolken von Sils Maria") irritiert sehr. Stars funktionieren hier als Stars und schaden der Geschichte. Mit Ausnahme von Japans Superstar Takeshi Kitano („Outrage Beyond"), der als Chef der Eingreiftruppe ultracool mit altmodischem Colt und trockenen Sprüchen begeistert. Hier zeigt sich, dass Reduktion und Konzentration bei Figuren und Ausstattung im Zeichentrick dem Geist der Geschichte wesentlich besser entsprechen.

Erst mit dem Auftritt von Michael Pitt („7 Psychos") als deformierter Cyber-Versuch Kuze kommt das Drama entwendeter Identitäten wuchtig ins Bild. Ein Spiel mit Spiegelungen und Selbstreflexionen tritt dann aber schnell für das menschelnde Finale zurück. Das ist alles selten beeindruckend, gerät auch mal an den Rand des Peinlichen und bleibt in seiner Wirkung selbst weit hinter dem Oldie „Blade Runner" zurück. Von allem Aufwand für zukünftige asiatische Stadt-Welten mit gigantischen Werbe- und Koi-Hologrammen in den Straßen bleiben nur die schwer bewaffneten Sicherheitspatrouillen eines militarisierten Alltags hängen. So hat dieses Riesen-Projekt mit millionenschweren Stars und Rechenpower tatsächlich weniger Geist als ein zwanzig Jahre alter Zeichentrick.

28.3.17

Gaza Surf Club

BRD 2016 Regie: Philip Gnadt, Mickey Yamine 87 Min. FSK: ab 0

Was für ein krasser Gegensatz: der Surf-Sport mit seinem großen Freiheitsgefühl, den Songs von „Surfin' USA" und dagegen die extreme Situation in dem zerbombten, unterdrückten, verarmten Gazastreifen. In einem Streifen Land, der dauernd im Krieg mit Israel liegt, eingesperrt in den Grenzen Israels, vergessen junge Palästinenser selbst ihren Job im Krankenhaus, wenn große Wellen hereinbrechen. Sie können richtig gut surfen, legen auch mal einen Handstand auf dem Brett mitten auf der Welle hin.

Auch wenn sich hier die üblicherweise hochglänzenden Surf-Bilder nicht finden, bietet der Sport eine treffliche Metapher. Macht er doch, obwohl eigentlich nebensächlich, die Unterdrückung der Menschen deutlich. Selbst der Zugang zum Meer wird von der israelischen Armee immer mehr willkürlich eingeschränkt, so dass die Fischer kaum noch überleben können. Sie leben am Meer, aber es fühlt sich wie ein Gefängnis an. Von der Geburt bis zum Tod sind Sie auf diesem Platz festgelegt, an diesen Ort gefangen, erzählt der Gaza-Surfpionier Abu Jayab.

Die Situation für Mädchen, die früher noch surfen und schwimmen konnten, bis sie 16 Jahre alt waren, hat sich wiederum unter der Hamas-Regierung verschlechtert. Eine Hafenpolizei untersagt nun solch „unanständiges" Treiben. Doch mitten in den Trümmerfeldern gesprengter Häuser wachsen große Träume eines Surfshops und der Herstellung eigener Boards, denn deren Import ist auch verboten.

Die sehenswerte Dokumentation des deutsch-ägyptischen Regie-Duos Philip Gnadt und Mickey Yamine informiert und fängt in Gesprächen sowie atmosphärischen Bildern gut die bedrückende, aber nicht hoffnungslose Stimmung der Menschen im Gaza ein.

The Boss Baby

USA 2017 Regie: Tom McGrath 97 Min.

Eine perfekte Kindheit als Einzelkind und selbstimaginierter Abenteurer endet mit der Geburt eines sehr eigensinnigen Brüderchens. Der siebenjährige Tim verliert sofort die allumfassende Liebe seiner Eltern und wehrt sich gegen den Konkurrenten, der im Business-Anzug mit Aktenkoffer auftritt und schon sprechen kann - mit tiefer Männerstimme. Denn eigentlich taucht Boss Baby auf, um zusammen mit anderen Baby-Agenten eine große Verschwörung zu verhindern.

Selbstverständlich geht es um die traumatische kindliche Erfahrung, durch Geschwister vom Thron gestoßen zu werden. Aber dies nur am Rande. Tom McGrath, der schon die „Madagascar"-Filme inszenierte, machte aus Marla Frazees gleichnamigem Bilderbuch einen weiteren hektischen Animationsfilm. Eine überwältigende Vielzahl witziger Bild- und Dialog-Ideen unterhält die Kinder, Zitate großer Filme erfreuen die erwachsene Begleitung. Da ist die Gang von Boss Baby mit Sumo-Kämpfer und Teletubbi-Drillingen ebenso reich ausgestattet wie das kindliche Waffenarsenal. Hier werden Kuscheltiere mit dem Tacker gefoltert und anschließend geköpft, aber vor allem der Wechsel zwischen kindlicher und erwachsener Perspektive des Geschehens ist immer wieder umwerfend komisch. Dabei verliert die Agenten-Handlung zur Rettung der kindlichen Welt nie an Fahrt. Ob tolle Einfälle wie das Flugzeug voller Elvis-Imitatoren die kindliche Fantasie fördern oder erdrücken, ist dann eine individuelle Frage.

A United Kingdom

Großbritannien, Tschechien, USA 2016 Regie: Amma Asante mit David Oyelowo (Seretse Khama), Rosamund Pike (Ruth Williams), Jack Davenport (Sir Alistair Canning), Tom Felton 111 Min.

Die Londoner Büroangestellte Ruth Williams (Rosamund Pike) verliebt sich 1947 in den schwarzen Jura-Studenten Seretse Khama (David Oyelowo). An sich schon ein Skandal, nicht nur für ihren stockkonservativen Vater. Auf den Straßen der britischen Hauptstadt wird das gemischte Paar angepöbelt, die Prügel gibt er als geübter Boxer direkt zurück. Allerdings ist Seretse auch der zukünftige König von Bechuanaland (heute: Botswana), einem britischen Protektorat im Norden von Südafrika. Und so reist als Folge dieser Liebe tatsächlich ein Botschafter aus Südafrika extra nach London, um die Heirat zu verhindern. Denn solch eine Verbindung würde ja die Regeln der frisch etablierten Apartheids-Gesetze verletzen.

Nein, dies ist nicht Eddie Murphys „Prinz aus Zamunda", denn „A United Kingdom" schafft es als bewegend schöner Liebesfilm, zwei Seiten Rassismus und die Komplexität von britischem Post-Kolonialismus im Süden Afrikas zu zeigen. Der Regisseurin Amma Asante, die schon mit „Dido Elizabeth Belle" (2013) enorm beeindruckte, gelingt ein großer, emotional außerordentlich starker Film.

In wenigen, schmeichelnden Bildern erzählt sie eine schöne Liebesgeschichte mit rührendem Heiratsantrag nach nur 15 Minuten. Weil damit die Probleme erst anfangen: In der Familie eines rassistischen Händlers und beim Stamm in Bechuanaland. Seretses Onkel (Terry Pheto), der den Thron für seinen Neffen verwaltete, ist nicht mit der weißen Frau einverstanden. Rassismus und Engstirnigkeit zeigt sich auf beiden Seiten. So gerät das Königreich von britischen Gnaden zum Spielball geopolitischer Interessen, denn Südafrika lenkt als Lieferant von unter anderem Uran die Außenpolitik des Weltreiches. Die extrem hochnäsige Arroganz der britischen Verwalter verbannt Seretse aus seinem eigenen Land und trennt ihn so von seiner schwangeren Frau.

Bei „A United Kingdom" hört sich schon die reale Geschichte an wie ein Märchen, in dem Seretse Khama schließlich die Demokratie erzwingt und dann selbst erster Premierminister wird. (Sein Sohn beerbt ihn sogar später als vierter Premier.) Das hat in Bild und Schauspiel einen Hauch von „Jenseits von Afrika", ist aber trotz der großen Liebe des Paares kein kitschiges Hollywood-Melodram. Dafür sorgen die Figuren von David Oyelowo („Selma") und Rosamund Pike („Gone Girl"), die alle Gefühle ohne Überhöhung nachfühlbar machen. Während der Kämpfer für die Freiheit seines Landes in London verzagt, wird Ruth Khama in einem einsamen Kampf zur Mutter des Landes. Amma Assante verlagert geschickt den Focus zu einer sehr starken Frau. Das größte Kunststück dieses Films ist allerdings, wie er gekonnt die große Liebesgeschichte verführt und dabei nebenbei sehr präzise Lektionen in Sachen Geschichte und Rassismus einflicht. Und selbst dabei gibt es ein Happy End: Dank seiner Diamantminen zählt Botswana heute zu den wohlhabenderen und stabileren Staaten Afrikas.

27.3.17

Die versunkene Stadt Z

USA, Irland 2016 (The Lost City of Z) Regie: James Gray mit Charlie Hunnam, Robert Pattinson, Sienna Miller, Tom Holland 141 Min. FSK: ab 12

Der britische Offizier Percy Fawcett (Charlie Hunnam) zeichnet sich Anfang des 20. Jahrhunderts bei der Unterdrückung der Iren und der Fuchsjagd aus. Doch weil sein saufender Vater und damit der Familienname in Ungnade fielen, gibt es für Fawcett keine Chance auf Beförderung. Diese Gesellschaft ist zu eng - da bleibt wie einst bei Columbus nur die Entdeckung unbekannter und noch nicht eingeschränkter Regionen. Allerdings geht es beim Auftrag der angesehenen Royal Society erst einmal wieder um die Grenzziehung. Zwischen Brasilien und Bolivien droht ein Krieg um den Grenzfluss und die Briten helfen aus, damit der Kautschuk aus dieser Region weiter ungestört fließen kann.

Schon die erste Expedition fesselt den gewissenhaften Fawcett und als er nach langer, gefährlicher Fahrt an der Quelle Spuren einer alten Zivilisation findet, stellt er das Weltbild des Great Empire auf den Kopf. Der Entdecker ist von einer Indio-Kultur überzeugt, die älter als britische sei. Weitere Expeditionen mit dem treuen Begleiter folgen (Pattinson hinter Bart nicht zu erkennen und mangels schauspielerischer Glanzleistung auch sonst leicht zu übersehen), und den Hymnen in den Medien bald heftige Angriffe.

Die Begegnungen mit Kannibalen und wilden Tieren, mörderische Krankheiten - alles was zum Expeditions-Abenteuer gehört, baut James Gray in seine „wahre Geschichte" ein. Kurz blitzt mit dem dekadenten Kautschuk-Ausbeuter Baron de Gondoriz (Franco Nero) und seiner widerlich rassistischen Dschungeloper etwas „Heart of Darkness" auf. Dann emanzipiertes Familienleben und plakativer Feminismus bei Frau Fawcett (eindringlich: Sienna Miller). Für Regisseur James Gray ist dies jedoch spürbar Terra Incognita, denn bisher filmte er bevorzugt in Großstadt-Enklaven von US-Einwanderern verschiedener Herkünfte („Little Odessa" 2000, „The Yards" 2007, „We Own the Night" 2008, „ Two Lovers" 2013, „The Immigrant" 2016). So ist „Die versunkene Stadt Z" zwar kein Höhepunkt des Genres, hat aber, wenn man die träge Reisegeschwindigkeit in Kauf nimmt, doch einen eigenen Reiz.

Die andere Seite der Hoffnung

Finnland, BRD 2017 (Toivon tuolla puolen) Regie: Aki Kaurismäki mit Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula 98 Min.

Ja, dieser ältere Mann, der bei Preisverleihung der Berlinale so verwirrt nicht mal den Weg zur Bühne fand, um den Preis für die Beste Regie entgegen zu nehmen, dieser alte Finne macht tatsächlich gute Filme. Sehr gute sogar, früher. „Die andere Seite der Hoffnung" ist da zwar nur ein Schatten von, doch immer noch sehenswert und als Flüchtlings-Tragikomödie ein ungewohnter Ton in der notwendigen Diskussion.

Einst ging es bei Kaurismäki darum, auf ein Schiff und aus Finnland wegzukommen. Ariel hieß dies im gleichnamigen Film und fügte damit der typisch proletarischen Geschichte knorriger Typen in shakespear'sche Sphäre bei. Mittlerweile hat sich die Reiserichtung gewendet, schon in „Le Havre" verstecken Fischer einen Flüchtling auf ihrem Kahn und nun landet der Syrer Khaled (Sherwan Haji) in Helsinki.

Nicht einfach so, es ist einer der wenigen cineastischen Höhepunkte, wie sich das Gesicht von Khaled aus dem schwarzen Staub des Kohledampfers herauskristallisiert. Quasi das Prinzip des Films: Aus der angeblich so bedrohenden „Flüchtlings-Welle" sehen wir einem Menschen ins Gesicht. Wie der junge Syrier Asyl bei der Polizei beantragt, ins Flüchtlingsheim transferiert wird, eine Einweisung und sein Bett erhält, erzählt Aki Kaurismäki mit seiner lakonischen Effektivität. Kurz und knapp erleben wir die Flüchtlings-Situation in einem humanen Land Europas. Bis zur Ablehnung, weil Aleppo ja doch eine sichere Stadt sei - siehe die Trümmerfelder in den Abendnachrichten. Khaled haut mit Hilfe ein paar netter Menschen am Abend vor der Abschiebung ab und kloppt sich an seinem neuen Schlafplatz mit dem älteren Restaurant-Besitzer Wikström (Sakari Kuosmanen). Der Schnitt auf die Streithähne, die beide mit blutenden Nasen kurz darauf im Restaurant eine Suppe löffeln, ist so herrlich trocken wie der Humor von Kaurismäki. Wikström wird Khaled illegal einstellen und verstecken. Die Solidarität der skurrilen Belegschaft ist rührend, Khaled kann sogar seine Schwester nach Finnland holen. Aber da gibt es noch die rechten Schläger.

„Die andere Seite der Hoffnung" ist im lakonischen Stil mit seinem trockenen Humor unverwechselbar ein Kaurismäki. Wie sich Wikström, der ehemalige Handelsvertreter für Krawatten und Männerhemden, wortlos von der saufenden Ehefrau verabschiedet, einfach Schlüssel und Ehering abgibt, hat Klasse. Wie in der abgeratzten Kneipe Finnischer Sushi ohne jegliche Kenntnis der Herstellung zur Geschäftsankurbelung eingeführt und am nächsten Tag wieder abgesetzt wird, ist ein Slapstick-Kurzfilm für sich. Aber war früher nicht mehr von diesem Weniger bei Kaurismäki? Die Reduktion in Ausstattung, Farbe, Schauspiel und Drama wurde doch noch mehr auf den entscheidenden Punkt getrieben. Auch die „Die andere Seite der Hoffnung" geriet bei ihrer „Überlänge" von 98 Minuten selbstverständlich nicht übermäßig dramatisch. Doch diesmal in der typischen Reduzierung nicht sehr treffend und effizient. Ein starkes Plädoyer für den menschlichen Umgang mit Flüchtlingen aber ein schwacher Kaurismäki.

21.3.17

Der Hund begraben

BRD 2016 Regie: Sebastian Stern mit Justus von Dohnányi, Juliane Köhler, Georg Friedrich 86 Min. FSK: ab 12

Der Familienvater Hans (Justus von Dohnányi) ist so blass wie seine von trostlosen Brauntönen umgebene Welt. Sowohl der gerade erst eingeführte Freund der 14-jährigen Tochter als auch der frisch zugelaufene Hund bekommen mehr Aufmerksamkeit. „Ich brauch dich nicht mehr!" bringt es die Tochter auf den Punkt. Dabei könnte Hans verkünden, dass er nach vielen Jahren entlassen wurde und sich von der Abfindung ein unsinniges und teures Auto gekauft hat. Doch Ehefrau Yvonne (Juliane Köhler) hat sich in das Tier verliebt, das Hans prompt mit dem Luxusschlitten überfährt. Ein merkwürdiger neuer Freund (Georg Friedrich) hilft auch nicht weiter sondern nistet sich ebenfalls in die Herzen der Familie ein.

Diese „American Beauty" in der deutschen Provinz breitet die Tristesse eines mittelalterlichen Mannes in fernsehmäßiger Langsamkeit aus. Hans wünscht sich im neu zu erlernenden Treibenlassen vor allem, dass man ihm endlich wieder mal zuhört. Das Probesitzen im Auto mit Pappfiguren einer glücklichen Familie ist mal ein netter Hohn. Schauspieler (und manchmal auch Regisseur) Justus von Dohnányi verkörpert die Grauheit des Lebens vortrefflich, herrlich in ihrer Zickigkeit ist Juliane Köhler („Zwei Leben"), Georg Friedrich, der wie in „Wilde Maus" den Begleiter des verlorenen Arbeitslosen gibt, hat wunderbar typische Auftritte. Bei dem guten Spiel erträgt man eine ganze Weile, dass die Parabel vom Biedermann, der alles als Gegeben ansieht und endlich mal ausbrechen sollte, eher schematisch daherkommt. Die Einsprengsel schwarzen Humors, die dem Film eine besondere Note geben, bleiben zu selten.

20.3.17

Der Himmel wird warten

Frankreich 2016 (Le ciel attendra) Regie: Marie-Castille Mention-Schaar mit Noémie Merlant, Naomi Amarger, Sandrine Bonnaire, Clotilde Courau 105 Min. FSK: ab 12

Nach haufenweise Action-Schrott, der uns vermitteln will, dass da draußen Horden von Fremden warten, die uns in die Luft jagen wollen, ist hier endlich ein Film, der versucht zu ergründen, wie junge Menschen zu religiösen Extremisten werden. Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar („Die Schüler der Madame Anne") erzählt in „Der Himmel wird warten" parallel die Geschichte zweier Mädchen aus behüteten Verhältnissen, die zu Dschihadistinnen werden.

Die siebzehnjährige Mélanie (Naomi Amarger) verkauft an der Schule idealistisch Bleistifte für Burkina Faso. Ihre alleinerziehende Mutter Sylvie (Clotilde Courau) kümmert sich vielleicht etwas zu sehr, eigentlich will die Tochter nicht mehr mit ihr über Sex reden. Als Mélanies Oma im Pflegeheim stirbt, findet das Mädchen Trost in den Chats mit einem Mehdi. Noch kindlich mit einem Teddy spielend, verfällt sie langsam dem maskulinen Logo des Löwenkopfes und wandelt sich zu einer Muslima, die in der Rigorosität eine in dieser Religion aufgewachsene Schulfreundin überholt.

Die Wohnung von Catherine (Sandrine Bonnaire), Samir und ihrer 17-jährigen Tochter Sonia (Noémie Merlant) wird in der Nacht von der Polizei gestürmt. Sonia kommt unter dem Verdacht, einen Anschlag geplant zu haben, unter Arrest. Die Eltern nehmen es auf sich, als Alternative zur Untersuchungshaft ihre Tochter zu Hause zu bewachen. Dabei kommt vor allem der Vater nicht mit Sonias Wahn zurecht, die Welt würde bald untergehen und sie müsse ihre Eltern als Märtyrerin retten, weil sie ja als Selbstmordattentäterin 70 Menschen mit in den Himmel nehmen könne.

Mit Schrecken und Mitgefühl verfolgt man die Wege von Sonia und Mélanie. Lassen die Chat-Dialoge, deren Überzeugungskraft man nicht folgen muss, noch Raum für Zweifel, packen die intensiv gespielten Reaktionen der Mädchen glaubhaft. Viele kleine eindrucksvolle Szenen lassen ihre Situationen nachfühlen, wie der nur kurze Blick eines anscheinend islamischen Mannes im Bus, der Sonia zwingt, sich eine Kapuze über den Kopf zu ziehen. Und der Druck der Gruppe, in der die „Schwestern" sich gegenseitig anstacheln und kontrollieren.

„Der Himmel wird warten" ist aber vor allem durch das Auftreten von Dounia Bouzar authentisch und teils dokumentarisch. Bouzar spielt sich selbst, sie gibt in ihren Gesprächskreisen für Eltern und die Mädchen viele Informationen darüber, wie beispielsweise die islamistischen „Romeos" per Internet reihenweise junge Frauen zum Dschihad verführen. Hier ähnelt die Methode der Filmemacherin Marie-Castille Mention-Schaar ihrem ebenfalls exzellenten Vorgänger „Die Schüler der Madame Anne", in dem eine Lehrerin einer aggressiven Multikulti-Klasse den Holocaust vermittelt und dabei den schon abgeschriebenen Schülern neues Selbstvertrauen gibt. Auch der neue Film spielt wieder in den Schulklassen, das Sozialleben findet aber diesmal hauptsächlich in den Sozialen Medien statt.

Der kluge und bewegende Film packt und hält über eine geschickte Montage eine emotionale Balance, die das Vorher und Nachher der beiden Mädchen, deren Wege miteinander verknüpft sind, gegenläufig präsentiert. So erleben wir, wie Mélanie sich immer mehr in den religiösen Wahn hinein steigert und schließlich nach Syrien abreist, während Sonia langsam zurückkehrt und bei Dounia Bouzar vom Verschwinden ihres Selbst berichten kann. Ohne Phrasen oder Patentlösungen zeigen die Bilder wenigstens einen hoffnungsvollen Weg auf. Ansätze zum Nachdenken und Verstehen gibt es auf diesen Pfaden reichlich.

Lommbock

BRD 2017 Regie: Christian Zübert mit Moritz Bleibtreu, Lucas Gregorowicz, Antoine Monot jr., Wotan Wilke Möhring, Alexandra Neldel 106 Min. FSK: ab 12

Nach „T2 Trainspotting" folgt nun die nächste und deutsche Fortsetzung eines Klassikers unter Drogen: Kai und Stefan (Moritz Bleibtreu, Lucas Gregorowicz) lieferten vor 16 Jahren unter dem Deckmantel eines Pizzaservices halb legale Rauchwaren aus. Aber nicht bei der Handlung ging die Post ab, „Lammbock" - so hieß der Pizza-Service - drehte sich hauptsächlich ums Kiffen und Schwätzen. Die zeitweise genialen Texte waren das Beste am Film, „Jacobs Krönung!", wie die Rauchware fachmännisch begutachtet wurde. Im Laufe der Zeit entwickelte sich „Lammbock" zum Kultfilm, dessen Fans Regisseur und Autor Christian Zübert massiv und schließlich erfolgreich bedrängten, eine Fortsetzung zu liefern.

Die Freunde Kai und Stefan sind nun in die Jahre und sich abhanden gekommen. Während Kai noch immer in Würzburg herumkifft und aus Lammbock der asiatische Lieferservice Lommbock wurde, hat Anwalt Stefan in Dubai vermeintlich das große Los gezogen. Die reiche Tochter Yasemin (Melanie Winiger) stattet ihn nicht nur mit vierstelligem Taschengeld und Kreditkarte aus. Für Schwiegerpapa darf er sogar einen unechten Kifferstrand auf einem Wolkenkratzer als Geschäftsidee realisieren. Als Stefan jedoch für die Dokumente zur Hochzeit noch einmal in die Provinz reist, machen die Freunde weiter, wo sie aufgehört haben. Im heftigsten Hanf-Nebel. Selbst kurz vor Rückflug unter den Augen vom Bundesgrenzschutz, was Stefan eine Verlängerung des Kurz-Trips einbringt, weil zu Hause in Dubai ein Drogentest droht.

Auch „Lommbock", der Film über Freundschaft, lebt lange vom bekifften Gequatschte und hört sich an wie jemand, „der in den letzten 20 Jahren extrem viel THC konsumiert hat". Kai verbreitet seine Thesen über unsere Abstammung von den Aliens und über mangelnde Lust im Bett. Wegen der „genmanipulierte THC-Scheiße" reden alle plötzlich polnisch obwohl sie das eigentlich nicht können. Dass sich über die Jahre nicht nur die Dosis im Kiff geändert hat, zeigt sich im konventionellen Verlauf des mäßig gelungenen Comebacks von Kai und Stefan. Wo „T2 Trainspotting" mit ICE-Geschwindigkeit die alte Geschichte in die Gegenwart katapultierte, rauchen die Würzburger Junkies erst mal einen, dann wird in der letzten halben Stunde aus dem Entziehungsversuch ein provinzieller Drogenkrimi. Die für einen Kiffer-Film recht stringente Handlung fängt eventuelle Aufmerksamkeitsprobleme mit Zwischentiteln auf.

Das Wiedersehen macht nur begrenzt Freude: Wotan Wilke Möhring ist wieder der völlig durchgeknallte Kiffer Frank mit lautem Touret. Aus dem Gangster-Rapper 3JahreBau wurde mittlerweile 10JahreBau. Der Running Gag um Mehmet Scholl aus dem ersten Teil gipfelt in einem kurzen Cameo-Auftritt des Ex-Fußballers. Bleibtreu
brilliert beim Versuch, dem Stiefsohn mit alberner Jugendsprache näher zu kommen. Der macht mittlerweile mit dem Verkauf von Gras 2000 im Monat und hätte die interessantere Geschichte erzählt. Was Bleibtreu und Lucas Gregorowicz als Kai und Stefan hinlegen, ist gut gespielt, wenn auch nicht mehr „Jacobs Krönung!". Bei mäßigem Drama und THC-bedingter lahmer Entwicklung liefert „Lommbock" nur etwas Spaß ab. Für Kult reicht das nicht mehr.

Die Jones - Spione von nebenan

USA, 2016 (Keeping up with the Joneses) Regie: Greg Mottola mit Zach Galifianakis, Isla Fisher, Jon Hamm, Gal Gadot 106 Min. FSK: ab 12

Ein gelangweiltes Elternpaar aus der Vorstadt (Zach Galifianakis, Isla Fisher) bekommt ein schillerndes Spion-Pärchen als neue Nachbarn - und müsste nun tödlich gelangweilt sein, was man so was dauernd im Fernsehen und Kino sieht, siehe „Mr. & Mrs. Smith". Doch diese laue „Jones"-Komödie bemüht nicht nur die Unwahrscheinlichkeits-Theorie. Denn die äußerst offensichtlichen Agenten, die in das Nachbarhaus einziehen, interessieren sich für den extrem uninteressanten Psychologen Jeff Gaffney (Zach Galifianakis). Sein Job bei der Rüstungsfirma besteht zwar aus Nichtstun ohne jede Geheimhaltungsstufe, aber im ganzen abgesicherten Gebäude hat nur er hat einen Computer mit Internet-Zugang. Den alle seine von ihm genervten „Freunde" zu gerne für alle Zwecke benutzen. So bringen die eindrucksvoll weltläufigen und vielfach talentierten Natalie und Tim Jones (Gal Gadot, Jon Hamm) nicht nur Leben sondern bald auch einige Tote in die Bude. Und Leute, die nicht mal ihr Handy leise stellen können, werden so zu Hobby-Agenten.

Die reichlich dünne Handlung wird angefüllt mit peinlichem Verhalten nicht mehr richtig geschlechtsreifer US-Amerikaner. Nicht nur die Rechtschreibung mit mal fehlendem Doofen-Apostroph, überhaupt alles in „Die Jones" ist völlig bescheuert, aber auch nicht so albern, dass man es mit ansehen möchte. Es gibt etwas Action-Routine mit Bomben, die ewig brauchen, um zu explodieren. So wie dieser Film auch ewig braucht, um in sich zusammen zu fallen. Dieser thematisch jugendfreie Film, in dem die spießigen Erwachsenen dauernd an verpassten Sex denken, ist vor allem eine Enttäuschung, wenn man die einfühlsame Jugendkomödie „Adventureland" (2009) von Regisseur Greg Mottola erleben durfte. Er hat allerdings mit „Paul - Ein Alien auf der Flucht" (mit Seth Rogen und Simon Pegg) sowie mit „Superbad" noch Schlimmeres abgeliefert.

14.3.17

Pawlenski - Der Mensch und die Macht

BRD 2016 Regie: Irene Langemann 99 Min.

In Zeiten, in denen die Diktatoren und die Nachfrage nach solchen sprießen, stellen die Aktionen des russischen Performance-Künstlers Pjotr Pawlenski eine Antwort auf totalitäre Systeme dar. Der Bild mit den zugenähten Lippen als Protest gegen die Pussy Riot-Prozesse ist zu einer Ikone der Unfreiheits-Verhältnisse in Russland geworden. Die Dokumentation von Irene Langemann zeigt die Hintergründe dieses und anderer Proteste, aber auch das Privatleben von Pawlenski. Schon die Aktionen stellen die Sicherheitskräfte vor Probleme: Wie verhört man jemanden mit zugenähten Lippen, wie verhaftet man jemanden, dessen Hoden bei der „Fixierung" auf dem Roten Platz an den Boden genagelt sind?

Unter dem Motto „Das Private ist politisch" gibt Pawlenski der Kunst erneut eine gesellschaftliche Verantwortung und Selbstbewusstsein. Neben den immer wieder verblüffenden Aktionen, bei denen er sich wie Van Gogh ein Ohrläppchen abschnitt oder sich in eine Rolle Stacheldraht wickelte, zeigt der Film auf den Original-Mitschriften beruhende, künstlerische Nachinszenierungen der Prozesse als Schattenrisse. Dies und die Aussagen der Weggenossen machen die Mechanismen der Unterdrückung im Putin-Regime durch Polizei und Sicherheitsdienste offensichtlich. Ein interessantes Porträt, das den Pjotr Pawlenski ausgerechnet als Künstler mit einem sehr klaren Konzept zeigt, während Polizei und Staatsanwaltschaft ihn als Verrückten brandmarken wollen.

Zwischen den Jahren

BRD 2017 Regie: Lars Henning mit Peter Kurth, Karl Markovics, Catrin Striebeck 96 Min. FSK: ab 12

Der ungemein kraftvolle Debütfilm „Zwischen den Jahren" konfrontiert einen Mörder 18 Jahre nach seinem Verbrechen mit dem Ehemann und Vater der Opfer. Becker (Peter Kurth) hat seine Strafe verbüßt, arbeitet nun einsam lebend und extrem wortkarg - „muss das Gequatsche immer sein?" - als Wachmann. Bis ihn zufällig Dahlmann (Karl Markovics) sieht, der mittlerweile gebrochene Mann, der durch Becker Frau und Kind verlor. Ganz offensichtlich verfolgt das Opfer nun den Täter, stalkt, zerstört dessen Wohnung, droht und fährt Becker auf der Straße an. Die Polizei will nicht helfen, ein Treffen der Männer bleibt ohne Versöhnung.

„Was machen wir hier eigentlich?" ist eine große Frage für diese schicksalhafte Konfrontation. Der Film lässt die Verzweiflung beider Seiten nachempfinden, doch auf die andere Frage „Sind sie jetzt ein anderer Mensch?" gibt es unterschiedliche Antworten. Becker kämpft mit seinen Wutanfällen und um die Möglichkeit eines Neuanfangs mit einer kleinen Familie. Die Ausweglosigkeit seiner Situation macht aus „Zwischen den Jahren" einen Thriller, einen sensiblen Rachefilm und ein unbedingt sehenswertes Debüt.

Es ist großartig, wie Peter Kurth (Deutscher Filmpreis 2016) die zerrüttete und sensible Gestalt Becker darstellt. Auch Karl Markovics („Die Fälscher") und Catrin Striebeck („Gegen die Wand") als Beckers neue Freundin sind eindrucksvolle Charakterköpfe, die hier in der Darstellung brüchiger Figuren reüssieren. Man muss beim Gespräch der beiden Schicksals-Genossen tatsächlich an das Treffen von Al Pacino und Robert De Niro als Gegner in „Heat" denken. Die auch von Lars Henning geschriebene Geschichte von „Zwischen den Jahren" könnte mit einem De Niro, Brad Pitt oder anderen Hollywood-Charaktere inszeniert sein. Dann erhielte sie mehr Aufmerksamkeit, wäre aber nicht unbedingt besser.

13.3.17

Mit siebzehn

Frankreich, 2016 (Quand on a 17 ans) Regie: André Téchiné mit Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila 116 Min.

Der grandiose Regisseur André Téchiné legt nach einer Reihe von reifen Meisterwerken („Alice & Martin", „Diebe der Nacht", „Meine liebste Jahreszeit", „Ich küsse nicht") nun einen richtig jungen Coming-of-Age- und Coming Out-Film hin. Aus einem Tal in den Pyrenäen wird die Landärztin Marianne auf einen abgelegenen Berghof gerufen, um die Bäuerin zu untersuchen. Thomas, der Adoptivsohn der Kranken, gefällt ihr auf Anhieb gut: ein hübscher Kerl mit halbafrikanischen Wurzeln, dessen ruhige männliche Tatkraft sie beeindruckt. Als die Mutter des Jungen ins Krankenhaus muss, fordert Marianne Thomas dazu auf, bei ihr und ihrem ehrgeizigen Sohn Damien in der Stadt zu wohnen, um der Mutter nahe zu sein. Sie ahnt nicht, dass die beiden sich nicht mögen und in der Schule beim geringsten Anlass aufeinander losgehen. Doch die Prügeleien verdecken nur die unterdrückte Leidenschaft der beiden Jungs füreinander.

Der Hunderteinjährige, der die Rechnung nicht bezahlte und verschwand

Schweden, 2016 (Hundraettaringen som smet fran notan och försvann) Regie: Felix Herngren, Måns Herngren mit Robert Gustafsson, Iwar Wiklander, David Wiberg 108 Min. FSK: ab 12

Der Hunderteinjährige hat einen Bart. Also nicht der Schauspieler im Film, der hat nur eine unglaubliche schlechte Altermann-Maske. Der Humor der Fortsetzung vom lahmen und flach-witzigen „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" hat einen ganz langen Bart. Die Verfilmung von Jonas Jonassons Roman war 2013 ein leidlicher Erfolg, den man nun ohne Mitwirkung des Autors noch etwas ausquetschen will.

Der hundertjährige Allan Karlsson (Robert Gustafsson) ist nach seinem bewegten und explosiven Leben, in dem er immer völlig absichtslos einige Schurken in die Luft jagte, mittlerweile auf Bali angekommen und feiert dort mit Freunden und Schicksalsgenossen sein Hunderteinjähriges. Schnell wird aus einer Kiste eine Flasche „Volkssoda" rausgekramt, die der Rote Faden der dünnen Geschichte sein soll. Denn Allan hat bei seiner Tätigkeit als Doppelspion während des Kalten Krieges einst auch die Rivalität zwischen Nixon und Breschnew angestachelt. Von der Idee, dem Westen mit russischem Balalaika-Rock, Jeans-Imitaten und Cola-Kopie Konkurrenz zu machen, blieb nur die systemübergreifend äußerst wohlschmeckende Volkssoda übrig. Um die es letztlich eigentlich im Pershing-Vertrag ging: Die Sache mit den Raketen war damals nur eine Tarnung, um einen Weltkrieg der Süßgetränke zu verhindern. So sollten die „Salt-Verträge" eigentl. Sweet, also „Süß-Verträge" heißen, wie Allan sich in den für den Film typischen Rückblenden erinnert.

An was er sich nicht mehr erinnert, ist der Verbleib des Rezeptes für diesen Zaubertrank. So führt eine Schnipsel-Jagd der Erinnerungsstücke über Moskau, Polen, Berlin schließlich nach Schweden zurück. Nicht nur die Gesellschaft aus geldgierigen Deppen um Allan verfolgt diese Spur, auch eine Wahnsinnige mit Betreuer und Psychiater, ein wahnsinnig wütender Gangster aus dem letzten Film und sogar die CIA regieren auf die ausgestreuten Schlüsselreize. Trotz - oder wegen - der vielen Beteiligten nimmt die lahme Klamotte nie Fahrt auf. Nervige Fluchtgenossen sorgen für Vervielfältigung des vor allem platten Humors, der in deutscher Synchro völlig unerträglich wird. Der schwedische Komiker Robert Gustafsson muss mit sich mit gebrechlichen Scherzen abgeben, mit denen sich jedes Schülertheater über das Alter lustig macht.

Weiterhin pflastern Leichen den Weg des naiven Allan Karlsson, doch es gibt in der Fortsetzung ohne Originalautor weniger Geschichten und Geschichte in den Rückblenden. Mussten im Original gleich ein paar Diktatoren unter dem Trottel der Weltpolitik leiden, dreht sich nun alles um die Volkssoda. Neben der kindischen Streiterei zwischen Nixon und Breschnew darf Kissinger in einem klugen Satz den Sieg des Konsums vorhersehen, in einem Berliner LSD-Trip treten David Bowie, Herbert (sic!) Einstein und Andy Warhol auf. Dabei läuft Allan nur mit, was selbstverständlich ein Grundprinzip solcher Figuren ist. Doch so ganz ohne persönliche Entwicklung wird die letzte Chance auf einen Sympathie-Träger im Reigen der Witzfiguren verschenkt. So geriet diese falsche Fortsetzung nicht nur zur Zeitverschwendung und schlechtem Film, dieser „Hundereinjährige" ist auch gründlich unsympathisch.

8.3.17

Kong: Skull Island

USA, Vietnam, 2017 Regie: Jordan Vogt-Roberts mit Tom Hiddleston, Samuel L. Jackson, Brie Larson, John Goodman, John C. Reilly 118 Min.

„King Kong" ist ganz schön groß, auch in der Geschichte der Remakes vom immer noch sehenswerten Original aus dem Jahr 1933: Über den historisch misslungenen Versuch von 1976 bis zu Peter Jacksons Variante, die 2005 trotz eindrucksvoller Effekte enttäuschte. Er blieb „Herr der Ringe" statt „Herr der Kinge". Nun noch ein Remake von „King Kong und die weiße Frau", nur wir nennen es mal anders. „Kong" soll nicht Kopie und zweiter Aufguss sein, sondern „Original-Abenteuer, das den Ursprüngen eines der mitreißendsten Monstermythen überhaupt nachspürt"! Oder „reboot" wie man heute sagt, wenn man gleich eine ganze Filmreihe verkaufen will. Dieser Neustart hat allerdings fast die Besetzung eines B-Pictures, bei dem solche Geschichten ja auch besser angesiedelt sind als bei großen Geld.

Tom Hiddleston („The Avengers", „Thor: The Dark Kingdom") spielt bei der Expedition einer neu entdeckten Insel im Jahre 1973 den smarten britischen Pfadfinder. Mit einem Team aus Wissenschaftlern, Soldaten und Abenteurern soll untersucht werden, was die modernen Satelliten aus der Luft erspäht haben. Die Hubschrauber der US-Army kommen zwar durch die permanente Sturmfront um die so verborgene Insel, doch als sie den gerade verlorenen verlorenen Vietnam-Krieg auf neuem Territorium bombig fortführen, greift eine ganz große Hand ein. Statt Vietkong macht ihnen nun King Kong die Hölle heiß und holt die Helikopter-Flotte wie Spielzeug vom Himmel.

„Kong" spielt fast komplett auf der Insel namens Skull Island, die es ja sogar in den Filmtitel schafft: Es werden keine Hochhäuser erklommen, das ist heutzutage sowieso das Gebiet anderer Affen, Extrem-Sportler genannt. Auf Skull Island wimmelt es von riesigen Spinnen, gigantischen und gutmütigen Wasserbüffeln sowie anderen Schau-Werten des Sensations-Kinos, ganz in der Tradition von 1933. Angesichts dieser optischen Schwergewichte, fällt die Handlung etwas mickriger und übersichtlicher aus: Rennen und rette sich wer kann, sind die wesentlichen Motive. So ist „Kong" im besten Sinne ein „Jurassic Park"-Film, nur besser als dessen „reboot" namens „Jurassic World".

Allerdings taucht in der Bildgestaltung und mit der Figur von Samuel L. Jackson („Pulp Fiction", „The Avengers 2") als grandios wahnsinnigem Militär mit angestautem Frust vom verlorenen Krieg unübersehbar das Thema Vietnam auf. Der zeitlos mörderischen Haltung gegenüber Unbekanntem wird ein anderer Umgang mit der Kreatur entgegen gesetzt. Die Fotografin Mason Weaver (Brie Larson, „Raum") darf die mitfühlende, offene Menschlichkeit verkörpern. Etwas mehr Charakter als nur „weiße Frau", aber längst keine Hauptrolle. Dabei hält sich der zum Klischee gewordene Kitsch der Schönen in der Hand vom Biest in Grenzen.

Kongs Mimik ist dabei ausdrucksstärker - und menschlicher - als je zuvor. Im Unterhaltungs-Paket aus Humor, Action und etwas Figurenzeichnung taucht kurz aus den Nebeln gigantischer Landschaften und Massengräber mit einem weit entwickelten, friedlichen Volk eine Öko-Saga im Geiste von „Avatar" auf. Letztlich fällt dem Film aber nicht mehr ein als überzogene, hirnlose Action wie auf Drogen. Die bislang zügig erzählte, interessante Interpretation des Trash-Klassikers wird in der letzten halben Stunde zu richtig schlechten Film. Fortsetzung inklusive.

7.3.17

Original Copy - Verrückt nach Kino

BRD 2015 Regie: Florian Heinzen-Ziob, Georg Heinzen 95 Min. FSK: ab 6

In einem auf wunderbare Weise traurig verfallenen indischen Kino laufen herrlich trashige B-Pictures. Die Mitarbeiter sind echte Typen, vor allem der Held dieser Dokumentation, Sheikh Rehman, einer der letzten Filmplakate-Maler Indiens. Das Kino „Alfred Talkies" im Herzen Mumbais ist ein sinkendes Schiff, auf Kurs gehalten von der distinguierten Chefin, die das Kino eigentlich nicht übernehmen sollte, weil sie eine Frau ist. Dem peniblen Manager, der genau weiß, was sein Publikum will. Und dem kettenrauchenden Filmplakatmaler, der im Stil alter Meister hinter der Kinoleinwand sein Atelier betreibt. Eine Mischung aus Künstler, Guru, Komödiant und Philosoph. „Original Copy" ist eine liebenswerte und melancholische Kino-Dokumentation über das fast verschwundene Kino von früher.

Moonlight (2016)

USA, 2016 Regie: Barry Jenkins mit Trevante Rhodes, Ashton Sanders, Alex Hibbert, Naomie Harris, Mahershala Ali 111 Min. FSK: ab 12

Mit drei Oscars (Bester Film, Bester Nebendarsteller, Bestes adaptiertes Drehbuch) bringt „Moonlight" zum Deutschlandstart reichlich Vorschusslorbeeren mit. Selbst wenn so ein Oscar für den Besten Film selten eine rein künstlerische Einschätzung ist, muss das gute, bewegende und für die USA von heute wichtige Werk mit der episodischen Lebensgeschichte eines schwarzen und schwulen Drogendealers in Miami hohen Erwartungen gerecht werden.

„Moonlight" ist ein Triptychon des Lebens von Chiron als Kind, Teenager und Erwachsener. Dass der kleine Chiron „Little" genannt wird und im Spiel der gleichaltrigen Jungs außen vor bleibt, ist symptomatisch für sein Leben. Er wird gehänselt und gemobbt, ganz nebenbei jagt ihn eine Gang von Schulkindern durch eine andere Szene um den Drogendealer Juan (Mahershala Ali). Der geht der Sache nach und wird mit viel Geduld ein väterlicher Freund des eingeschüchterten Chiron. Was dieser auch nötig hat, denn zuhause überrascht ihn die drogenabhängige Mutter mit immer anderen Gemüts- und Gesundheitszuständen. So dass das Übernachten bei Juan und dessen liebvoller Freundin zur Regel wird.

Die Gründe für die Prügel, die Chiron regelmäßig bezieht, werden nicht explizit gemacht. Er ist stiller, zurückhaltender als die anderen in der gefährlichen Sozialsiedlung Liberty City in Miami. Auch noch als Teenager in der zweiten Episode, in der sich herausstellt, dass der väterliche Freund und Beschützer Juan seine seine kleinen Dealer ausgerecht Chirons Mutter den Crack verkaufen lässt. Und in der Kevin, der einzige Freund an der Schule, mit Chiron erste Zärtlichkeiten austauscht, um ihn daraufhin brutal zu verraten.

Immer wieder ragen die bekannten Bilder und Szenen von Gewalt und Drogen-Umgebung in Chirons Geschichte, aber „Moonlight" erzählt sie als ganz eigene. Mit klassischer und moderner Musik (Nicholas Britell) sowie einer exquisit bewegten Kamera (James Laxton) erheben sich Momente graziös über das Alltägliche hinaus. Momente, in denen man an den Stil von Terence Malick denken muss. Dass „Moonlight" überhaupt keine soziale Fallstudie über das schwere Überleben in Problembezirken, aber durchaus auch ein Liebesfilm ist, zeigt die dritte Episode, in der ein erwachsener Chiron als dritten Spitznamen „Black" annimmt.

Mit martialisch metallischen Zahnspangen ist Chiron nach einem Ausbruch am Ende des zweiten Teils mittlerweile selbst Dealer. Doch der Film interessiert sich nur dafür, wer er wirklich ist. Diese Frage steht zwischen ihm und dem ehemaligen Freund Kevin, mit dem es ein Widersehen nach Jahren gibt. Spätestens hier werden sich alle unbelehrbaren Fans des Hiphop- und Gangsta-Films aus dem Kino verabschieden, denn wir sehen eigentlich und endlich das empfindsame Wesen des „Little" Chiron. Was jetzt auch nicht zu Hollywood-Happyness führt, aber zu einem sehr runden Porträt, dass mit seiner feinen Darstellung packt und fasziniert. Und das vor allem, auf Basis von Tarell Alvin McCraneys Bühnenstück „In Moonlight Black Boys Look Blue", eine ungewöhnliche Geschichte über den Alltag vieler junger Schwarzer in den USA erzählt.

Eigentlich hätte es einen geteilten Oscar für die drei Darsteller des Chiron geben können und auch die Nebenrollen - etwa von Chirons Mutter - beeindrucken sehr. Für die Rolle des zwielichtigen väterlichen Freundes Juan bekam schließlich Mahershala Ali den Oscar 2017 als Bester Nebendarsteller.

5.3.17

Wilde Maus

Österreich, BRD, 2016 Regie: Josef Hader mit Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Friedrich, Jörg Hartmann, Denis Moschitto 103 Min. FSK: ab 12

Ein neuer Hader ... ist „Wilde Maus" leider nicht! Der österreichische Kabarettist Josef Hader lädt für seine erste Regiearbeit auf einer Achterbahn-Fahrt, die so heißt wie der Film. Dabei inszeniert sich der beste Brenner-Darsteller aller Zeiten selbst als geschassten Wiener Musikkritiker Georg. Er kann die Kündigung seiner Frau nicht eingestehen und lungert nun statt in der Redaktion auf dem Prater herum. Eine Jung-Schreiberin, die nicht weiß, dass man „Die Zauberflöte" als Singspiel bezeichnet, schreibt unter seinem Namen weiter. Im Frust demoliert der ehemaliger Förderer und Vernichter musikalischer Existenzen Nacht für Nacht den Porsche seines ehemaligen Chefs aus Deutschland und beteiligt sich schließlich an der Achterbahn „Wilde Maus" eines anderen Gescheiterten, als Gauner und Prolet trefflich gespielt von Georg Friedrich (in seinem zweiten Kinostart diese Woche neben „Marija").

Bei dieser Achterbahn-Fahrt stürzen leider Hoffnung auf den Schauspieler Hader („Brenner", „Vor der Morgenröte") und Begeisterung für den trefflichen Kabarettisten rapide ab. Hader selbst bekam vom Autoren Hader eine Figur übergestülpt, derer intellektuelle Macken und Manierismen nicht den ganzen Film über interessieren. Die Wandlung des gepflegten Kritikers, der nur mit dem Wort massakriert, zum Wutmenschen, der mit dem Revolver fuchtelt und ein „muscle car" fährt, ist keine psychologische Weltneuheit. Wie viele Studenten der Geisteswissenschaften wurden nicht schon als Taxi-Fahrer zum Raser! Das Eheproblem mit einer frustrierten Psychologin läuft mit und löst sich am Ende im Dauergespräch auf. Das alles wird leidlich witzig und recht lahm erzählt. Es bleibt ein schönes Plakatmotiv von Hader on Ice und die Vorfreude auf Hader unter anderer Regie.

Marija

BRD, CH 2016 Regie: Michael Koch mit Margarita Breitkreiz, Dahin Eryilmaz und Georg Friedrich 101 Min.

Marija will etwas Eigenes. Auch wenn das für die Ukrainerin in der Dortmunder Nordstadt nur ein eigener Friseursalon ist. Thematisch auf den Spuren der Brüder Dardenne versucht sie ganz unten zu überleben, schläft mit dem türkischen Vermieter, übersetzt für schwerkranke Schwarzarbeiter, die nicht zum Arzt können, und verliebt sich schließlich in den gerissenen Österreicher (Georg Friedrich), der Schwarzarbeiter vermittelt und Marija direkt durchschaut. Um sich ihren großen Traum zu verwirklichen, greift sie auch zu fragwürdigen Methoden. Aber moralische Bedenken und Emotionen sind Angelegenheiten, die man sich leisten können muss.

Schon wie Marija beim Putzen in Hotels klaut und dann der petzenden Kollegin ein Messer ins Bein haut, macht diese Figur interessant. Der Debütfilm „Marija" wurde ruhig und sicher im Milieu inszeniert und ist dabei nicht nur wegen der moralischen Dilemmata spannend. Nebenbei erhalten wir Einblick in die sozialen Zustände von Einwanderern und Arbeitern in der Nordstadt. In der Hauptrolle brilliert Margarita Breitkreiz und zeigt, dass sie mehr als nur TV kann. Georg Friedrich legt - nach dem unerträglichen Berlinale-Auftritt in Arslans „Helle Tage" - wieder seine Qualitäten im reduzierten Ausdruck an den Tag. Regisseur Michael Koch, Absolvent der Kölner „Kunsthochschule für Medien", zeigt sich als interessante Neuentdeckung.

Sleepless

USA, 2017 Regie: Baran bo Odar mit Jamie Foxx, Michelle Monaghan, Dermot Mulroney 95 Min. FSK: ab 16

Der Drogenfahnder Vincent (Jamie Foxx) beklaut mit seinem Partner Sean (Tip „T.I." Harris) nach Feierabend die eigene Kundschaft. Allerdings waren die 25 Kilo aus dem letzten Raubzug für einen großen Boss bestimmt, die Aktion sorgt für großen Aufruhr in der Szene. Der Casino-Boss Stan Rubino (Dermot Mulroney) entführt den Sohn von Vincent. Der wahnsinnig loyale Sohn des Gangsterbosses (Scoot McNairy) dreht bei Rubino derweil die Daumenschrauben an. Jennifer Bryant (Michelle Monaghan) von der Internen Polizeiaufsicht ist sowieso hinter Vincent her, aber auch wieder auf eigene Faust unterwegs, weil sie von den Kollegen als überspannt eifrig abqualifiziert wird.

Der Schweizer Baran bo Odar („Das letzte Schweigen", 2010) beeindruckte mit seinem letzten Film, der Hacker-Thriller „Who Am I", Publikum und Hollywood, das sich sogar die Rechte für eine Neuverfilmung des Films sicherte. „Sleepless", das Remake des französischen „Sleepless Night - Nacht der Vergeltung", ist nun die erste US-Regie des Wahl-Berliners: Die Action darin dicht gepackt um gleich eine Handvoll Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Alles hängt am korrupten Polizisten Vincent und alles findet nach einer 30-minütigen Einführung in den Räumen eines Vegas-Casinos statt. Der Film findet über die obligatorische Messerwerferei in der Hotelküche hinaus keine originellen Örtlichkeiten für die routinierten Prügeleien. Jamie Foxx zieht den verzweifelten Papa im Wutrausch vor allem körperlich durch, Nuancen im Schauspiel sind da nicht gefragt.

Das Finale in der Tiefgarage ist dann der Tiefpunkt des Films, weil auch hier wieder reihenweise Auftritte auch aus Familienkreisen die ernste Ballerei boulevardesk albern machen. Das würde man mit einem grinsenden Bruce Willis als gelungen bezeichnen, in dieser humorlosen Umgebung geht es schief - trotz aller Sicherheit in der Inszenierung. Das immer noch interessante Regie-Talent Baran bo Odar hat mittlerweile „Dark" fertiggestellt, die erste in Deutschland für Netflix gedrehte Serie, eine 10-teilige Mystery-Produktion.

1.3.17

Tour de France

Frankreich, 2016 Regie: Rachid Djaidani mit Gérard Depardieu, Sadek, Louise Grinberg, Nicolas Marétheu 95 Min. FSK: ab 12

Der große Gérard Depardieu geht wieder auf Tour. Wie schon im abgedrehten „Saint Amour" von Benoît Delépine und Gustave Kervern reist er durch Frankreich, damals waren die Weinregionen das Ziel, diesmal die Häfen des Landes. Depardieus Figur ist der kleingeistige und kleinbürgerliche Spießer Serge Desmoulins. Dieser Rassist aus Arras lässt sich - in einer bemühten Konstruktion - ausgerechnet von einem Pariser Gangster-Rapper fahren, der aus Nordafrika stammt. Der angesagte Rapper begleitet nun im gegenseitigen Widerwillen den Hobby-Maler auf dessen Pilgerreise zu den 250 Jahre alten Hafen-Motiven Claude Joseph Vernets, um sie nachzumalen. Muslim und reaktionärer Franzose, das sind nicht die einzigen Gegensätze. Auf die Frage, ob Sadek Maler aus dem 18. (Jahrhundert) kennt, meint dieser, er kenne alle Gauner aus dem 18. (Bezirk), da seien einige Verwandte von ihm dabei. Aber bald zeigt die gemeinsame Kenntnis des Serge Lama-Chansons „Je suis malade", dass uns der Film mit einer nicht wirklich überraschenden Verständigung unterhalten will. Doch schnell sucht diese „Tour de France" unübliche Wege.

Depardieu darf wieder das alte, einsame und versoffene Wrack geben. An seiner Seite kann der in Frankreich angesagte Rapper Sadek in seiner ersten Kinorolle viel improvisieren, was dem Film eine frische Lockerheit gibt. Beide bringen sich gegenseitig etwas bei, diskutieren die Ursachen des Rassismus und die Rap-Musik. Depardieu rappt die National-Hymne und Sadek singt Serge Lama. Zusammen landen sie nach einer rassistischen Personenkontrolle im Knast. Der harte Rapper, der eigentlich ein sensibler, kluger Junge ist, bekommt Essens-Lektionen und Inspiration durch den lokalen Gesang.

Regisseur Rachid Djaïdani, der mit 20 Jahren seine erste Rolle im Film „La Haine" von Mathieu Kassovitz bekam, präsentiert einen unkonventionellen Road-Movie, eine typische Buddy-Begegnung, die einmal anders ausfällt. Nicht perfekt im schematischen Drehbuch, aber originell in der sympathischen Improvisation.

Die Frau im Mond

Frankreich, Belgien, Kanada, 2016 (Mal des Pierres) Regie: Nicole Garcia mit Marion Cotillard, Louis Garrel, Alex Brendemühl, Brigitte Roüan 121 Min. FSK: ab 6

Der dritte „Zauberberg"-Film in einem Monat! Müssen wir das als Zeichen einer kranken Zeit ansehen? „Die Frau im Mond", die eigenwillige, junge Gabrielle Rabascal (Marion Cotillard) wandelt anfangs in Lavendel-Feldern, verliebt sich immer völlig aussichtslos in unerreichbare Männer, verheiratet oder besser noch sterbenskrank. Die Mutter zwingt Gabrielle in eine arrangierte, völlig unpassende Ehe mit einem älteren spanischen Wanderarbeiter, nur damit die Unruhstifterin aus dem Haus und dem Dorf verschwindet. Diese Zwangsheirat im Frankreich der vierziger Jahre bringt die Frau über die Jahre ins Alpen-Sanatorium, wo sie sich erneut wahnsinnig in den schönen Louis Garrel verliebt, der einen jungen Militär spielt.

Marion Cotillard kann eigentlich alles spielen, schafft es aber nur so gerade, den großen Alters-Sprung in diesem Film hinzubekommen. Sie hält aber immerhin das Interesse an dieser im dauernden Liebeswahn etwas eindimensionalen Frau, denn Nicole Garcias Verfilmung des Romans „Mal di pietre" von Milena Agus kann erst im Finale mit überraschenden Wendungen und Einsichten bewegen. Trotzdem, und das ist das Erstaunliche an diesem Film, ist er in seinen einschmeichelnd schönen Retro-Bildern so gut und sicher inszeniert, dass man dieser Figur gerne auf ihrem eigenwilligen Weg folgt.

Wolves at the Door

USA, 2016 Regie: John R. Leonetti mit Katie Cassidy, Elizabeth Henstridge, Jane Kaczmarek, Adam Campbell 73 Min.

Die Morde der „Manson Family" im 1969 werden als der Tod des „Summer of Love" angesehen. Unter den Opfern waren auch Roman Polanskis schwangere Frau Sharon Tate und drei ihrer Freunde. Regisseur John R. Leonetti macht aus diesen kulturhistorisch notierten Verbrechen ein erbärmliches Horrorfilmchen, das der Filmverleih Warner bislang gerade mal in Indien, Kuwait und Deutschland zeigt: Im Prolog wird noch ein anderes Paar erschreckt und ein Polizist alleine in das überfallene Haus geschickt, denn die „Handlung" reichte nicht mal, um 70 Minuten voll zu bekommen. Dabei hat die kleine Abschiedsparty mit Sharon und drei Freunden eine extrem lahme Entwicklung, die in einer Anti-Handlung bald nur noch aus Bangemachen und Schreckmomenten besteht. Bedrohliches Brummen auf der Tonspur will Spannung erzeugen, dazu tauchen metaphysisch wirkende Gestalten immer wieder im Hintergrund auf. Das Abstechen in der sehr geräumigen Villa schreitet zumindest zügig voran. Die beiden Frauen liefern das finale Gekreisch.

„Wolves at the door" ist schlechtes, hilfloses Effektkino, das sich in andauernder Dunkelheit verstecken will, mit aus gutem Grund unbekannten Darstellern. Man gibt im Abspann vor, über die Morde der Manson-Familie aufklären zu wollen, aber der Film an sich mystifiziert und wiederholt nur erneut den Hype um den „satanischen Mörder" Manson. Alles bleibt ohne Sinn oder Motiv, die (männlichen und weiblichen) Täter sprechen nicht und haben kein Gesicht. Wenigstens geriet die Darstellung der brutalen Morde nicht drastisch, was man beim Terror der Tonspur nicht merkt. Die Taten sollen auch Polanskis „Macbeth" mit seinen gewalttätigen Szenen beeinflusst haben und so sollte man auf jeden Fall diesen „Macbeth" sehen, dort steckt mehr von dieser Nacht drin als in diesem Horror-Ausschuss.