29.4.19

Das schönste Paar

BRD, Frankreich 2018 Regie: Sven Taddicken, mit Maximilian Brückner, Luise Heyer, Leonard Kunz, Jasna Fritzi Bauer, 93 Min. FSK ab 16

Nach dem paradiesischen Glück kommt die Hölle: Ein verliebtes Paar wird auf der Urlaubsinsel von drei jungen Männern überfallen. Sie vergewaltigen die Frau, er muss zusehen. Zwei Jahre später lebt das Paar liebevoll im Alltag und privat. Sie haben Spaß und Sex, Liv (Luise Heyer) feiert das Ende ihrer Therapie, Malte (Maximilian Brückner) hat das Boxen für sich entdeckt. Alles wieder gut, bis er eines Nachts zufällig einen der Vergewaltiger sieht. Das Entsetzen weicht ihm nicht mehr aus dem Gesicht, Malte folgt dem Typen (Leonard Kunz) und dessen Freundin (Jasna Fritzi Bauer), später bricht er in Abwesenheit deren Wohnung auf. Als Liv ihn endlich dazu bringt, zu erzählen, was nicht stimmt, will sie die Sache ruhen lassen. Er kann es nicht.

Ab dem Moment ist „Das schönste Paar" wie ein Liebesfilm, der rückwärts läuft. Alles war gut, dann geht alles den Bach runter. Immer denkt man mit: Ist es das wert? Wohin bringt es einen, den Gefühlen von Wut und Rache nachzugeben? Gerechtigkeit ist nicht mehr zu erwarten, das macht ein Polizist dem Paar klar.

„Irgendwann steht man vor der Entscheidung, ob man sich sein Leben versauen lässt, von seinen Ängsten und Vorwürfen, weil man drei Arschlöchern begegnet ist, oder ob man's einfach mal verpackt", meint Liv. Nur Malte packt es nicht weg.

Angefangen vom schwer erträglichen Prolog mit der Vergewaltigung steigert sich der hervorragende Film immer mehr; wird hoch dramatisch und setzt trotzdem noch einen offenen hoffnungsvollen Schlusspunkt. Neben dem vorsichtigen Buch und der zurückhaltenden Inszenierung von Sven Taddicken („Emmas Glück", „Gleißendes Glück") packt das besonders gute, feine Spiel von Luise Heyer („Der Junge muss an die frische Luft", „Jack") und Maximilian Brückner („Kirschblüten – Hanami"). Ein schwieriger, heftiger und sehr guter Film.

28.4.19

Royal Corgi - Der Liebling der Queen

Belgien 2019 (The Queen's Corgi) Regie: Ben Stassen, Vincent Kesteloot, 82 Min. FSK ab 0

Ben Stassen aus dem ostbelgischen Dörfchen Aubel war immer stolz darauf, dass seine Animations-Filme nach viel mehr Millionen aussehen, als sie gekostet haben. Das klappte im besten Falle teilweise. „Fly me to the moon" oder „Sammys Abenteuer" funktionierten als Disney-Ersatz. Im schlechteren Falle, wie diesem, sehen die Figuren trotz 3D flach aus und ebenso klingen die Dialoge. Selbst ihnen hört man an, wo gespart wurde.

So lächerlich der Corgi als Rasse an sich wirkt, dieser verwöhnte Schoßhund der britischen Königin setzt den kurzen Beinen die Krone auf. Diener kehren die Haufen vom Vieh weg und halten den Regenschirm beim Gassi gehen - über den Hund! Corgi Rex wird zum Liebling der Königin, der vernachlässigte Gemahl Philip bereut sein Geschenk bald. Nachdem Rex erst durch ein Zuchtprogramm mit der übergriffigen Hündin von Melania Trump gestresst und dann von einem anderen Corgi vor die Palast-Tür gesetzt wird, findet er sich in der unwürdigen Umgebung eines Tierheims wieder. Doch vereinte Hunde-Action bringt alles wieder aufs traditionelle Gleis.

Schon immer war auffällig, dass Ben Straßen keine eigenen Ideen entwickelt. Stattdessen hängt er sich an Genres oder Erfolge anderer: Seine Schildkröte Sammy auf Meeres-Weltreise war nur eine Variante von „Findet Nemo". Nun zitiert „Royal Corgi" als 1001. Film „Rocky" und auch der „Fight Club" kommt vor. Damit kann das ganz junge Zielpublikum ebenso wenig anfangen, wie mit einem koksenden Drogenhund. Ihnen bleibt sinnlose Bewegung, Scherz und Slapstick. Dabei wirkt selbst Rennerei recht träge, nur die finale Schaum-Party im Buckingham Palast sprüht einmal vor Witz. Der Gedanke, dass dies irgendwie pädagogisch wertvoll oder ganz gegenteilig sehr spaßig anarchisch sein könnte, taucht niemals auf. Im Gegenteil: Die Trump-Szene wirkt tatsächlich wie ein Altherren-Witz in bunter Kinderverkleidung. Diesmal spricht gar nichts für den belgischen Billig-Disney.

Der Flohmarkt von Madame Claire

Frankreich 2018 (Le Dernier vide-grenier de Claire Darling) Regie: Julie Bertuccelli, mit Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Alice Taglioni, Laure Calamy, 95 Min. FSK ab 0

Alles muss raus! Madame Claire lässt ihr vollgepfropftes Haus entrümpeln. Das löst im kleinen französischen Dorf einen Strudel von Erinnerungen aus. Julie Bertuccelli („The Tree", „Seit Otar fort ist...") stattet Catherine Deneuve mit schöner Filmkunst und einer begrenzt bewegenden Geschichte aus.

Eine Stimme sagt ihr nachts, dass sie bald sterben wird. Deshalb will die vornehme, aber immer öfter seltsame Madame Claire gründlich aufräumen. Ein paar Arbeiter von der Straße räumen Möbel, Antiquitäten, Kunstwerke und viel historische Spiel-Automaten für Erwachsene aus der Villa in den Garten. Madame Claire verlangt von Käufern nur ein paar Euro, während sie die Helfer mit Hunderten entlohnt. Die entfremdete Tochter Marie (Chiara Mastroianni), die herbeigerufen wird, sieht mit Entsetzen, dass Familienportraits, Fotoalben und sogar ihre ungeöffneten Briefe verkauft werden. Zwanzig Jahre hatte sie die Mutter nicht mehr gesehen.

Unter den vielen Käufern rennt ein kleines Mädchen durch Garten, Haus und das Leben der Claire Darling, verbindet die Jahrzehnte. Mit enormer Eleganz fließen die Zeiten ineinander, wir sehen eine junge Mutter, eine verzweifelte Ehefrau und eine manische Sammlerin. Und nicht allein die verwirrte alte Claire Darling verliert sich in den Zeiten der Erinnerung. Wunderschön warm gezeichnet wechselt die Perspektive zu den Erinnerungen der Tochter. Der Madame Claire eng verbundene Priester stellt den Wert materieller Dinge in Frage. Diese offensichtliche Veräußerung des Vergänglichen tritt als einfache Erkenntnis hinter einer tragischen Familiengeschichte zurück. Mit jedem ans Licht gebrachten Gegenstand treten mehr Geheimnisse hervor.

Bei aller dramatischen Schwere, die allein die Beschreibung vermuten ließe, geriet die Verfilmung des Romans „Faith Bass Darling's Last Garage Sale" von Lynda Rutledge sehr leicht und verspielt. Catherine Deneuve ist der rauchende und mürrisch dreinblickende, kapriziöse Star der Geschichte. Die Diva wird mit schöner Fotografie und biografischen Details gewürdigt: Als der Jahrmarkt ins Dorf einzieht, muss man an Jacques Demys wunderbares Musical „Die Mädchen von Rochefort" (Les Demoiselles de Rochefort, 1967) mit Deneuve und ihrer Schwester denken. Das Zusammenspiel von Mutter und Tochter bekommt einen besonderen Reiz, weil Catherine Deneuve und Chiara Mastroianni ihre wirkliche Beziehung wieder in einem Film nachspielen.

Regisseurin Julie Bertuccelli zeigte in ihren Filmen „The Tree" und „Seit Otar fort ist..." bewegende Familiendramen in Australien (mit Charlotte Gainsbourg) oder Georgien. Ausgerechnet bei der aus Texas in ihre französische Heimat versetzten Geschichte der Claire Darling überlagert das anschauende Staunen das Mitfühlen. Es ist wie mit den Automaten der nicht besonders liebevollen Mutter: Reizvoll anzuschauen, faszinierend perfekt in der Mechanik, aber irgendwo fehlt das Gefühl.

27.4.19

Im Netz der Versuchung

USA 2019 (Serenity) Regie: Steven Knight mit Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jason Clarke, Diane Lane, Djimon Hounsou 107 Min. FSK ab 12

Matthew McConaughey ist nach seinem Althippie in „Beach Bum", dem White Trash-Gangster in „White Boy Rick" und dem Bergbau-Ingenieur in „Gold" mal wieder in einer „normalen" Rolle zu sehen. Äußerlich gesehen, denn schon in der Eröffnungsszene zeigt sein Kapitän Baker Dill den Wahnsinn, einen ganz bestimmten Tunfisch unbedingt fangen zu müssen. Auch wenn ihn das ein paar hundert Dollar und seine amerikanischen Kunden kostet, die eigentlich selber Hochsee-Angeln wollten. Die Obsession Bakers geht so weit, dass der riesige Tuna sogar einen Namen hat: Nicht Moby Dick, sondern „Justice" - Gerechtigkeit.

Man könnte bei alten Männern und der See an Hemingway denken, sollte es aber nicht: So großartig die himmlischen Bilder des leuchtenden Meeres und der Palmen im strahlenden Sonnenschein sind, irgendwas wirkt hier erst düster, dann mysteriös. Rätselhafte Albträume und eine schmerzhafte Erinnerung an eine ehemalige Liebe quälen Baker. Ausgerechnet Ex-Frau Karen (Anne Hathaway) bringt ihren sadistischen und gewalttätigen Ehemann Frank (Jason Clarke) mit auf die Karibik-Insel. Baker soll das brutale Ekel auf offener See umbringen und ihn an die Fische verfüttern. Viel Geld und die Sorge um seinen Sohn mit Karen wären überzeugende Argumente für den Mord, doch alle, selbst das Radio der kleinen Insel, sagen ihm, er soll „den Fisch in seinem Kopf" fangen.

Ja, im strömenden Regen eines „film noir" kommt die blonde Sirene mit verführerischem Angebot auf sein Boot. Doch wer auf das Genre-Angebot reinfällt, passt „Im Netz der Versuchung" gar nicht auf. Der bestens aussehende und reizvolle Thriller hat etwas Metaphysisches, wenn auch die letzte Randfigur mehr als Baker weiß und seine Geschicke lenken will. Schließlich kippt die Gedanken-Verbindung zu seinem Sohn auf große Weise in Fantasy um: Alles auf der Insel ist ein Computer-Spiel, dass der ebenso verängstigte wie talentierte Junge geschrieben hat.

Es braucht gar nicht „Der Sturm" von Shakespeare mit dem Zitat-Klassiker „We are such stuff as dreams are made off" (Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind) aufzuziehen, um das spannende alte Spiel zu erkennen: Wer träumt hier wen? Welches Leben ist wirklich?

Es ist immer wieder ein Vergnügen, den großartigen Matthew McConaughey („Dallas Buyers Club", „The Wolf of Wall Street") spielen zu sehen. Diesmal gibt er einen Verlierer mit großer Leidenschaft, zeigt seinen Körper im klatschnassen T-Shirt und auch gerne ganz nackt. Während Anne Hathaway („The Dark Knight Rises", „Les Miserables) die konstruierte Rolle der adretten Vorzeigefrau gut passt. Diane Lane hat ein paar nette Auftritte als Bakers Geliebte, die ihn „armes, süßes Kätzchen" nennt. Doch nicht die Attraktion in Spiel, Landschaft und Kamera machen den wahren Reiz des sehenswerten Films von Regisseur Steven Knight aus. Es ist das raffinierte Konstrukt von Autor Steven Knight („No Turning Back", „Eastern Promises"), das überrascht und einen ganzen Film lang Spaß macht. Fast, denn die Auflösung ist für so einen tollen Film dann doch recht banal und eindeutig. Aber, so was mögen einige Leute ja auch.

25.4.19

Fighting with my Family

Großbritannien, USA 2019 Regie: Stephen Merchant, Florence Pugh, Jack Lowden, Nick Frost, Vince Vaughn 108 Min.

Wie wunderbar diese Familie, die sich gerne prügelt. Aber richtig! Die „wahre" Karriere der Wrestlerin Saraya Knight lässt ihren deftigen britischen Humor leider zu schnell zurück. Übrig bleiben einige gute Figuren zwischen austauschbaren Stars und Sportfilm-Routinen.

Die Familie Knight ist ein munterer Haufen von tätowierten, großmäulig fluchenden Randerscheinungen in einem Ort irgendwo am vergessenen Rande Englands. Papa Patrick Knight (Nick Frost) betreibt ein kleines Wrestling-Unternehmen, dass eigentlich nur aus der Familie besteht. Im Nebenberuf war er früher Verbrecher, gewalttätig und im Knast. Mama Julia (Lena Headey) hat ihn selbstverständlich beim Wrestling kennengelernt. Ihre Kinder sind die neuen Stars im Ring und Familien-Kreis, nur der Älteste sitzt im Knast.

Paige (Florence Pugh) und ihr Bruder Zak (Jack Lowden) träumen von der amerikanischen Profi-Veranstaltung WWE (World Wrestling Entertainment). Doch nur die ebenso ruppige wirkende wie schüchtern seiende Paige wird beim Casting ausgewählt und muss sich in Florida alleine beim militärischen Trainer (Vince Vaughn) unter Ex-Models und blonden Cheerleadern bewähren. Ab dem Start der Ausbildungsroutine kämpft „Fighting with my family" mit der Langeweile. Die Routine aus Drill zwischen Verzweiflung und Durchbeißen erweist sich nicht nur für Paige als harte Probe. Auch die Zuschauer sehnen sich nach der herrlich unkonventionell komischen Familie in Good ol' England zurück. Dass Paige sich durchsetzt und irgendwann am Ende ein Finalkampf passiert, läuft dann leider wie bei jedem anderen Sportfilm ab.

Wenn man von allem absieht, wo Ex-Wrestler und Ko-Produzent Dwayne Johnson kurz auftritt, ist „Fighting with my family" mit vielen blöden und auch herzerweichenden Scherzen umwerfend komisch. Laut, leidenschaftlich und liebenswert begeistert diese herrlich unangepasste Familie im Stile guter alter Britischer Komödien. Dabei gibt es wunderschöne Momente, wie die tolle Wrestling-Schule für Jugendliche, die sogar einen Blinden aufnimmt und in Form bringt. Nick Frost und seine Gang sorgen immer wieder für Knaller, wenn etwa ein kinderausbeutender „Sweatshop" Barbies mit der Frisur von Paige als Merchandise fabriziert. Zwei, drei mal gelingen Schauspieler, Serien-Autor („The Office") und jetzt auch Regisseur Stephen Merchant richtig kunstvolle Bilder, auch wenn man diskutieren kann, ob das zu dieser Familie passt.

Die unverfälschte Einzigartigkeit der Knights funktioniert dann gar nicht mehr, wenn „Fighting with my family" so tut, als wenn das abgekartete Wrestling-Spiel ein Kampf um eine „Weltmeisterschaft". Aber fast wäre es dem Film gelungen, dieses ordinäre Theater trotz der abgestanden „Bleib wie du bist"-Moral ernst zu nehmen. Der beste Wrestler-Film seit Mickey Rourke als „The Wrestler", aber vor allem in den besten Momenten ein schöner Spaß. Wenn dann die echte Familie im Abspann zu sehen ist, wird es wieder richtig, richtig gut.

24.4.19

Avengers Endgame

USA 2019 Regie: Anthony Russo, Joe Russo, mit Robert Downey jr., Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Chris Evans, Scarlett Johansson, 182 Min. FSK ab 12

Nach einer dieser langen Pausen, die zweite und dritte Teile sich heutzutage erlauben, erfahren wir, wie der Kampf der Superhelden-Truppe Avengers gegen den schier unbesiegbaren Thanos doch noch die Kurve bekommt. Es ist der ideale Oster-Film, wegen Wiederauferstehung: Am Ende vom letzten Film „Avengers: Infinity War" waren fast all diese mühsam aufgebauten Superhelden tot, besiegt sowieso.

Auch wenn dieses ganze Getue um ein paar kaputte Typen in Strumpfhosen extrem nervt: Wie am Ende von „Avengers: Infinity War" Thanos mit einem Fingerschnipsen die Hälfte der Bevölkerung und - im Sinne von „sind Deutsche unter den Toten?" - auch der Superhelden auslöschte, das war mal ein ausgefallener Cliffhanger. So startet man in dieses nächste Comic-Filmchen mit einer gewissen Neugierde.

Mit 21 Marvel-Filmen um unzählige Comic-Figuren wurde viel Geld gescheffelt. Mehr als mit richtigen Filmen, dem was man vorher unter Film verstand, betonen die Produzenten auf ihren Gelddruckmaschinen. Und jetzt soll in Film 22, dem „Finale", dem „Höhepunkt" noch mal richtig abgesahnt werden. Genau wie bei „Herr der Ringe", genau wie bei „Twilight" fällt den „Kreativen" allerdings nichts anderes ein, als das Finale mit einer großen Schlacht auszufüllen. Nur dass sich hier statt der unzähligen Orks unzählige Superhelden prügeln. Die Filmemacher glauben tatsächlich, dies sei eine ganz tolle Idee. So wird nur Langeweile auf den Höhepunkt getrieben. Der Aufwand und der Rummel um diese albernen Comic-Filmchen steht im krassen Missverhältnis zu ihrer Banalität.

Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr.) ist am Anfang schon fast tot und am Ende ... das soll man nicht verraten, meint Marvel. Die Rest-Truppe ist selbstverständlich zerstritten und braucht viel Zeit zum Zusammenraufen. Derweil kocht Bösewicht Thanos Kürbissuppe und ist diesmal in Sekunden besiegt. Fünf Jahre später hat Thor einen dicken Bauch und alle blasen Trübsal.

Düster ist „Avengers Endgame" nicht nur wegen der technischen Verdunkelung durch 3D. Hulk ist jetzt dauernd grün. Der nie besonders komplexe Captain America leitet nun eine Selbsthilfe-Gruppe. Lächerlich, nicht lustig. Nur Thor legt als Big Lebowski eine großartige Lachnummer hin.

Schließlich ist Stark wieder die einzig dramatische Figur. Wie er alles, was ihm jetzt wichtig ist, riskiert, um Verlorenes wieder zurück zu bekommen - und alles verliert. Das hätte man zwar unter drei Stunden haben können. Doch der Rest ist furchtbar ermüdend. Hölzern und schematisch quält sich der simple Handlungs-Mechanismus in drei Parallel-Handlungen vorwärts. Das ist nicht mehr als eine Szenen- und Scherz-Sammlung für die Fans. Zeitreisen, diese Krücke für alle Drehbuch-Sackgassen, verlaufen hier stümperhaft.

„Avengers Endgame" bemüht das, was der sagenhaft guten SciFi-Geschichte „Star Trek Discovery" auf Netflix gelingt: Zeitreisen müssen her, damit die bereits geschehene, ökologische gedachte Massentötung durch Thanos rückgängig gemacht wird. Die Schnitzeljagd nach den Infinity-Steinen, der Rote Faden im Vorgänger-Film, läuft nun also umgekehrt ab. Was die Sache nicht viel interessanter macht. So viel sei verraten - am Ende gibt es tatsächlich nur einen Ausfall unter den Super-Strumpfhosen. Aber was bedeutet das noch, wenn es ja Zeitreisen gibt.

Am besten kommen Downey Jr. und Scarlett Johansson aus der Sache raus, sie sind befreit für bessere Filme.


Die Brüder Russo waren Regisseure von bereits drei anderen dieser Superhelden-Filmchen. Den Vorgänger „Avengers: Infinity War" (2018), „The First Avenger: Civil War" (2016) und „The Return of the First Avenger" (2014).

Tea with the Dames

Großbritannien 2018 (Nothing like a Dame) Regie: Roger Michell, mit Eileen Atkins, Judi Dench, Joan Plowright, Maggie Smith 84 Min.

Ein Tee-Kränzchen von vier Freundinnen, die sämtlich geadelte Schauspielerinnen sind: Seit über 50 Jahren treffen sich Eileen Atkins, Judi Dench, Joan Plowright und Maggie Smith regelmäßig. Diesmal lassen sie ein Kamerateam mit dabei sein und lassen sich dadurch nicht abhalten, viel zu lachen. Vor allem amüsieren sie sich immer mal wieder über die Amateurhaftigkeit der Aufnahmen, die allerdings vom Routinier Roger Michell („Notting Hill", „Jane Austens Verführung") geleitet wurden. Sympathischerweise lässt der Film die kleinen Spitzen der Damen dazu drin.

Die BBC-Dokumentation arbeitet sich chronologisch an den eindrucksvollen Karrieren ab, die bei allen auf der Bühne begann. Das ergibt in vielen Aufnahmen und Filmausschnitten eine Menge Theater-Geschichte, bei der auch ein paar bekannte Männer erwähnt werden. Interessanter als das „name dropping" wird heutzutage der Umgang der berühmten Herren mit den unsicheren Kolleginnen wahrgenommen. Unfaire Kritik oder echte Schläge bei "Othello" von Laurence Oliver gehören anscheinend zu den Karrieren von Schauspielerinnen.

Die vier englischen Schauspiel-Legenden reden recht offen über die Herausforderungen und Fallen bei der Rolle der Kleopatra. Auch Tendenzen der Inszenierungsmoden werden kurz gestreift. Es braucht immer nur ein Stichwort - „Kritiken" - um einen Strom von Anekdoten zu starten. Auf dem Cottage der mittlerweile erblindeten Joan Plowright ergibt sich viel Erinnerungs-Sentiment bei immer wieder unverstellt persönlichen Äußerungen, die keineswegs „ladylike" sind: „My arse, did you have tits there!" Was zu ihren Erfahrungen passt, was es bedeutet, zur „Dame" geadelt zu werden. Jetzt dürfen wir noch mehr fluchen!

Im flotten Wortwechsel der redegewandten Damen geht es nicht um Tiefergehendes. Das Thema Tod wird schnell abgewendet. Die Frage nach der Arbeit mit den Ehemännern - „welche?" - ruft erst mal betretenes Schweigen hervor. Mit solchen angenehmen Kleinigkeiten aus dem Nähkästchen vergangener Zeiten vergeht „Tea with the Dames" tatsächlich wie ein netter Kaffee-Nachmittag dahin.

23.4.19

Atlas (2018)

BRD 2018 Regie: David Nawrath, mit Rainer Bock, Albrecht Schuch, Nina Gummich, Johannes Gevers 100 Min. FSK ab 12

Was bei den Darstellern als eindrucksvolle Herrenriege auftrumpft, bleibt nicht nur ein üblicher Besetzungs-Coup: „Atlas" ist ein knallharter Krimi um Gentrifizierung und arabische Familien-Gangs, dazu eine bittere Vater-Sohn-Geschichte und ein großartig geschriebener Film mit enormer emotionaler Wucht.

Der alte Möbelpacker Walter (Rainer Bock) arbeitet bei einem Speditionstrupp und räumt Wohnungen für einen Gerichtsvollzieher. In einem Mieter, der sich wehrt, erkennt Walter seinen Sohn Jan (Albrecht Schuch), den er vor Jahren im Stich gelassen hat. Und der legt sich ausgerechnet mit dem neuen Kollegen an. Hadi (Mohammad-Ali Behboudi) ist ein ultrabrutaler Vollidiot und Mörder, der für arabische Familien die Mieter mit aller Gewalt vertreibt. Walter nimmt Kontakt mit der Familie seines Sohns auf, ohne sich erkennen zu geben. Da er weiß, wie die Immobilien-Mafia vorgeht, versucht er Jan zum Aufgeben zu überreden. Aber der Heißkopf will die Gefahr nicht erkennen, in der er sich befindet.

Rainer Bock, zuletzt in „Der Fall Collini" nur am Rande zu sehen, kann hier mit Können und Körper wuchtig aufspielen. Der Titan des Titels ist sein Walter, der immer noch mehr trägt als die jüngeren Kollegen. Aber mit der Rettungsaktion verhebt er sich. In der Dickköpfigkeit gleicht der Sohn dem vorbestraften ehemaligen Gewichtheber. Obwohl Walter wieder zu kriminellen Mitteln greift, gibt man seiner Schwiegertochter recht, wenn sie sagt: „Sie sind ein guter Mensch!"

Was als feinerStudie vereinsamter und verschlossener Männer beginnt, wird auf dem Weg zum Sozialkrimi immer intensiver und dramatischer. Mit der letzten Wendung krönt Regisseur und Ko-Autor David Nawrath sein großartiges Debüt.

Ein letzter Job

Großbritannien 2018 (King of Thieves) Regie: James Marsh, mit: Michael Caine, Jim Broadbent, Tom Courtenay, Michael Gambon, Ray Winstone, Charlie Cox 108 Min. FSK ab 12

Der „letzte Job" als Rentenbaustein oder aus Langweile im Ruhestand ist seit Generationen Routine. So könnte man diese Variante mit den Schauspiellegenden Michael Caine, Jim Broadbent, Tom Courtenay, Michael Gambon, Ray Winstone und Charlie Cox vorspulen und nur die Momente genießen, in denen auf die jungen (Gauner-) Rollen verwiesen wird. Doch im Kino fehlt dieser Knopf zum Glück. Deshalb darf man hier allzu Bekanntes erneut mitmachen.

Als die große Liebe des wohlhabenden Ruheständlers Brian Reader (Michael Caine) stirbt, hält ihn nichts mehr an seinem Versprechen, legal zu bleiben. Der junge Basil (Charlie Cox) hat die Idee für einen lukrativen Raubzug und Brian trommelt ein paar alte Kumpels zusammen. Der Bruch geht scheinbar sehr leicht vonstatten, die Probleme tauchen erst später auf und sind vor allem intern. Gierige und niederträchtige Gauner legen sich gegenseitig rein, während die Polizei dank allgegenwärtiger Überwachungskameras leichtes Spiel hat.

Dieses „Oceans 60+" sollte wahrscheinlich so cool sein, wie Caine in seinen besten Rollen („Get Carter", „Zwei hinreißend verdorbene Schurken") war. Tatsächlich klaut er seinen auch nicht untalentierten Kollegen die meisten Szenen, wie man so schön auf Englisch sagt. Sein Brian trifft sich immer in einem Jazzclub. Kenny hingegen werkelt in seinem kleinen Garten. Doch der eigentlich gute Regisseur James Marsh („Vor uns das Meer", „Die Entdeckung der Unendlichkeit") kann der Routine mit Minimal-Twist kein reizvolles Aussehen geben. Der spannungslose Film läuft ab wie ein dünnes Erinnerungsalbum der britischen Gangster-Darsteller.

Streik (2018)

Frankreich 2018 (En Guerre) Regie: Stéphane Brizé, mit Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie 114 Min. FSK ab 12

Welche Arbeit die französische Kunst des Streikens macht, vermittelt dieser kluge und schockierende neue Film von Stéphane Brizé („Der Wert des Menschen"). Hautnah bei den Kämpfern für die Würde der Arbeiter spielt Star Vincent Lindon unter vielen Laien.

Die Filiale eines deutschen Automobilzulieferers mit 1100 Arbeiterinnen und Arbeitern in Frankreich soll geschlossen werden, nachdem die Fabrikangestellten bereits zwei Jahre für weniger Lohn gearbeitet haben. Nun bricht das Unternehmen, das im letzten Jahr 17 Millionen Gewinn gemacht hat, die fünfjährige Vereinbarung. Die Manager reden davon, dass man nicht mehr wettbewerbsfähig sei. In ihrer gierigen Logik heißt das: Die 3,8 Prozent Gewinn der rentablen Fabrik würden nicht den angestrebten 7 Prozent genügen. Dabei erhielten die Aktionäre eine 25 Prozent höhere Dividende, der Chef des Unternehmens verdient 9 Millionen Euro, während auf Kosten der Arbeiter 14 Millionen gespart wurden.

Reichlich Gründe also, wütend aufzubegehren. Und all diese Fakten einer typischen zynischen Ausbeutung fließen ein, während man sich mitten im teilweise chaotischen Kampf der 1100 Arbeiter befindet. Die Kamera ist hautnah im Gerangel mit der Polizei bei der Besetzung der Arbeitgeber-Vertretung. Während der zähen Gespräche bei der Regierung, die ihre Subventionen feige nicht zurück fordert, ist Geduld gefragt. Man spürt, wie sich Laurent Amédéo (Vincent Lindon) zurückhalten muss. Er ist Wortführer einer der beteiligten Gewerkschaften. Kümmert sich zwischendurch um seine geschiedene Frau und sorgt sich um die hochschwangere Tochter.

Mitten aus den kämpfenden Menschen heraus zeigt der besondere Film auch das Abbröckeln der Streikfront, als einige auf die Abfindungen des Unternehmens eingehen. Heftig ist die Räumung der Firmenblockade für ein paar Streikbrecher. Das ist in der Entwicklung packend, unterstützt durch einen intensiven Musikeinsatz, der den Kampf sehr stimmungsvoll begleitet.

„Streik" folgt dem Widerstand über mehrere Monate, in denen die Familien und das Privatleben der Aktivisten zu kurz kommen. Auch in dem Film kommt nicht viel davon vor. Es wird nur in den Hauptpersonen gespiegelt, in dem Druck und Stress, den sie zeigen.

Die intensiven, dokumentarisch wirkenden Momente mit Lindon inmitten der Laien-Darsteller wechseln sich mit (inszenierter) TV-Berichterstattung ab. Zwar berichtet „Streik" von keinem bestimmten Arbeitskampf, doch Regisseur und Autor Stéphane Brizé verwebt in seinem engagierten Film mehrere wiedererkennbare Ereignisse der letzten Jahre. Das Arbeitskräfte nur „Variablen im Profit-Interesse der Aktionäre" sind, lässt sich klar analysieren. Doch um zu spüren und wirklich zu verstehen, was das bedeutet, braucht es Werke mit solchen kämpfenden und leidenden Menschen.

16.4.19

Greta (2018)

Irland, USA 2018 Regie: Neil Jordan, mit Isabelle Huppert, Chloë Grace Moretz, Maika Monroe 98 Min.

Start: 16.5.2019

Greta ist klasse! Weil sie als Galionsfigur einer Jugendbewegung der verkrusteten Politik aufzeigt, wo es hingehen muss. Nicht diese Greta Thunberg? Egal: Greta ist klasse, weil Greta als Schauspielerin und Regisseurin das verkrustete Filmgeschäft mit leidenschaftlichen und klugen Filmen belebt. Wie auch nicht Greta Gerwig? Ok, „Greta" als Film von Neil Jordan ist überhaupt nicht klasse.

Altmeister Neil Jordan realisierte im letzten Jahrtausend einige spannende, intensive und bewegende Geschichten, immer mit einer Extra-Lage unter der Handlung: „Butcher Boy" (1997), „Michael Collins" (1996), „Interview mit einem Vampir" (1994). Er gewann einen Oscar, den Goldenen Löwen und einen Silbernen Bär. „The crying game" (1992) vor dem Hintergrund des irischen Bürgerkriegs war sein bekanntester Film. Aus dieser Zeit scheint auch die Idee für „Greta" zu stammen. Wie in „Fatal Attraction" oder „Single White Female" verkraftet eine Frau die Trennung nicht und es ergibt sich ein Psychothriller mit Stalkerin.

Diesmal ist Isabelle Huppert (wieder) die seltsame Frau. Ihre ungarische Klavierspielerin (sic!) Greta Hideg hat in einer Metro New Yorks die Handtasche vergessen und die freundliche junge Frances (Chloë Grace Moretz) bringt sie ihr nach Hause. Frances hat kürzlich ihre Mutter verloren und Greta vermisst die Tochter, so treffen sich die ungleichen Frauen ein paar Mal. Frances' Mitbewohnerin Erica (Maika Monroe) findet das etwas seltsam, aber richtig unangenehm wird es, als Frances in der dunklen, abgelegenen Wohnung ganz viele Handtaschen entdeckt, die junge Frauen anlocken sollen. Ja, diese „Cruella" hat ein paar Leichen im Keller.

Erst einmal kommt Frances davon, doch nun greift einfallslose Routine dem Film an die Kehle. Die einsame alte Frau stalkt von nun an aufs Heftigste. Wie ein Gespenst steht sie auf der Straße, taucht bei der Arbeit und bei Frances zuhause auf. Mit Liszt und Tücke übernimmt sie die Kontrolle, bis sich das verängstigte und verstörte Mädchen völlig eingesperrt fühlt. Die letzte Viertelstunde bringt etwas Spannung, Action und eine Fingerspitze Splatter. Leider kippt dabei das Dramatische immer ins Alberne ab.

Das Erwartbare eines Stalking-Thrillers wird vom Iren Neil Jordan mit ideal besetzter Huppert und schwacher Chloë Grace Moretz solide inszeniert. Da ist sogar der Part der oberflächlichen Mitbewohnerin Erica von Maika Monroe vielversprechender. Stephen Rea, der Hauptdarsteller aus „The crying game" muss als Detektiv übrigens für seine gute Schnüffler-Nase büßen. Ansonsten kein besonderer Twist, keine neue Inszenierungs-Idee, keine weiteren Ebenen, keine Überraschungen. Nur Steigerung des Stalking-Wahnsinns. Diese „Greta" kann man vergessen, die anderen jedoch...

Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit

USA, Frankreich 2018 (At Eternity's Gate) Regie: Julian Schnabel, mit Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac, Emmanuelle Seigner, Mads Mikkelsen, Mathieu Amalric, 111 Min. FSK ab 6

Julian Schnabel dreht einen Film über Vincent van Gogh. Das ist fast so sensationell wie Van Gogh, der einen Film über Julian Schnabel dreht. Und beim großen Ego des letzteren Malers wäre das irgendwie konsequenter. Wie man in der Dokumentation „Julian Schnabel - A Private Portrait" über den gerne im Bademantel in die Öffentlichkeit tretenden Künstler riesiger Formate bemerken kann. Oder ist Schnabel vielleicht doch nicht der Elefant im Kunstbetrieb, als der er sich gibt? So sensibel, wie er Zweifel, Ängste und Hilflosigkeit bei Van Gogh aufspürt, bekommt dies Image endgültig Brüche.

Ein braunes Feld verblühter Sonnenblumen, ein Gang durch eine Wiese, gesehen vom energisch Dreinschreitenden. Immer wieder überfluten ganz besondere Farben die Augen. Ein kaltes Blau, das Gelb des vom Gemälde „Het gele huis" bekannten Hauses in Arles so intensiv, dass man im Kino Angst vor Farbflecken auf den Klamotten bekommt.

Hier macht unübersehbar ein Maler einen Maler-Film und Willem Dafoe musste für diese Rolle Malen lernen. Um dann den Pinsel zu halten, wenn er das Bild „Ein Paar Schuhe" mit seinen abgewetzten Stiefeln malt. Ob dies nun in Paris entstanden ist oder in der Provence, wo ein Großteil des Films spielt, interessiert Julian Schnabel, den Regisseur von „Basquiat" und „Before Night Falls", nicht. Er schaut vor allem in die Köpfe seiner Figuren. Vor allem in verschlossene Menschen wie den gänzlich gelähmten Werbechef, der so gut wie nicht mehr kommunizieren kann in „Schmetterling und Taucherglocke". (Von dem wir hier Mathieu Amalric und Emmanuelle Seigner wiedersehen.)

So sehen wir in all dem immer wieder berauschenden, vom Piano begleiteten Seh-Genuss einen von diesen Eindrücken mitgerissenen Menschen, der in den Feldern rast, in der Erde wühlt. Aber auch mal in den Haaren einer Bäuerin am Weg, die das nicht begeistert. Es gibt wenig Handlung, aber viele emotional starke Szenen. Das Unverständnis der Kinder über die „falschen" Bilder und die daraus folgende Brutalität der Landbevölkerung skizzieren nur einen Lebensweg. Die Kritiken in der Kunst-Gesellschaft sind parallel zum Aufenthalt in der Irren-Anstalt geschnitten. (Hier gibt es das schönste Schnabel-Bonmot: „Sind alle Maler verrückt? Nur die Guten!") Ein langes Grundlagen-Gespräch dort über Religion und die ihr genehme Sicht der Welt, trumpft mit Mads Mikkelsen als Priester auf. Der Verweis auf das Gespräch von Pontius Pilatus mit Jesus, den er nicht verurteilen will, aber muss, verstärkt die Spannung. Die innigen Begegnungen mit dem geliebten Bruder Theo (Rupert Friend) geben Vincent Ruhe, während der Abschied vom Freund Paul Gauguin (Oscar Isaac) eine Panikattacke auslöst.

Willem Dafoes intensive Darstellung wird das Bild van Goghs in den Köpfen prägen und mit den teilweise nachgestellten Selbstporträts konkurrieren. Schnabels „Van Gogh" ist unbedingt sehenswert, wenn auch nicht ganz leichte Kost. Die gibt es bei der Van Gogh-Episode von „Doctor Who". Gegenüber Vincente Minnellis klassisch biographischem „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft" (mit Kirk Douglas) ist das hier große Kunst.

15.4.19

Der Fall Collini

BRD 2018 Regie: Marco Kreuzpaintner, mit Elyas M'Barek, Alexandra Maria Lara, Franco Nero, Heiner Lauterbach, Manfred Zapatka, Jannis Niewöhner 123 Min. FSK ab 12

Von der Blödelkomödie „Fack ju Göhte" zur klugen antifaschistischen Rechtsdrama - diesen Sprung müssen junge Fans von Elyas M'Barek jetzt überstehen: „Der Fall Collini", dieser raffinierte Stoff des Erfolgsautoren Ferdinand von Schirach, übersteht mit guten Nebendarstellern eine überzogene Inszenierung.

Der frischgebackene Anwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek) erhält als ersten Fall eine Pflichtverteidigung: Der 70jährige Italiener Fabrizio Collini (Franco Nero) hat mit großer Ruhe den angesehenen Großindustriellen Hans Meyer (Manfred Zapatka) erschossen und sich darauf der Polizei gestellt. Seitdem schweigt der Täter. Das Opfer ist als Industrieller nicht nur sehr prominent, es war auch Mentor des jungen Caspar und sein großzügiger Ersatz-Vater. Was der sehr unbedarfte Anwalt erst nachträglich erfährt - Meyer trug offiziell einen anderen Vornamen.

Unter sorgfältig düsterer Atmosphäre entwickelt sich die Handlung nun sehr langsam. Ein Schwedenkrimi hätte in der gefühlten Zeit schon drei Folgen um die Ecke gebracht. Wenn man weiß, was so alles auf jedem zweiten Sender ermittelt wird, wirkt erstaunlich, wie wenig Leinen nachfragt. Viele Leute sagen ihm derweil, was er tun soll. Unter anderem fällt der Klassiker des Gerichtfilms: „Man kann so jemanden nicht verteidigen." Doch mit Hilfe einer kessen Pizza-Fahrerin kommt der Nachwuchs-Jurist schließlich auf die Spur eines deutschen Kriegsverbrechens in einem italienischen Dorf.

Gerade als man denkt, das ist ja alles ganz furchtbar, wurde aber schon sehr oft und um einiges besser erzählt, überrascht „Der Fall Collini" doch noch: Die Enttarnung eines sadistischen SS-Offiziers, der nahtlos auch in der BDR das Kommando hatte, ist Drama-Routine. Siehe „Music Box", um nur ein herausragendes Beispiel zu nennen. Dass im Handumdrehen nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die Gesetz-Schreibung unter Adenauer auf der Anklagebank sitzt, ist eine geniale weiterführende Wende des Jura-Literaten Ferdinand von Schirach. Im Kern des Dramas - und in der Realität - bescherte das „Dreher-Gesetz" 1968 deutschen Kriegsverbrechern eine weitreichende Amnestie, indem es für „Totschlag" im Krieg eine Verjährung nach 20 Jahren einführte.

Regisseur Marco Kreuzpaintner hat mit „Beat", „Krabat" oder „Coming In" bislang eine Reihe von Filmen mit wechselnden Qualitäten und Erfolgen vorgelegt. Die Bücher und Verfilmungen des Ferdinand von Schirach hingegen waren immer zumindest sehr interessant. Und auch jetzt übersteht der kluge Justiz- und Antifa-Stoff aufdringliche Mittel vor allem der Filmmusik.

Bei der Besetzung war wohl die Bekanntheit der Gesichter in den Hauptrollen wichtiger als die Eignung für den Part. Elyas M'Barek verkörpert mit seinen Schwiegersohn-Qualitäten sehr gut den unbedarften Verteidiger. Der Rassismus gegen den „türkischen Anwalt" trifft nachfühlbar, besonders wenn er auch von seiner Geliebten kommt. Mit Johanna (Alexandra Maria Lara), der Enkelin von Meyer, war Leinen einen Sommer lang ein Paar. Lara darf mit den Riesenaugen wieder traurig und betroffen gucken. So schaut man auch rein, wenn man realisiert, dies könnte im schlimmsten Fall eine Anwaltsserie werden. Der gefühlte und verstandene Mehrwert in Unterscheidung zwischen Recht und Gerechtigkeit bleibt aber unbenommen.

14.4.19

Die sagenhaften Vier

BRD 2018 Regie: Christoph Lauenstein 92 Min. FSK ab 0

Nach dem enttäuschenden Zeichentrick-Klamauk „Luis und die Aliens" zeigen die Brüder Lauenstein in der witzigen Variation der Bremer Stadtmusikanten wieder Qualitäten, mit denen sie 1989 ihren Oscar-Sieger „Balance" realisierten.

Schon beim Namen Marnie könnte man an Hitchcock denken, aber die pummelige Hauskatze ist alles andere als ein wildes Biest, das Krimi-Zitat folgt später. Doch wie liebevoll ihre Geschichte, ihr Zuhause und ihre Detektiv-Leidenschaft hier gezeichnet werden, macht „Die sagenhaften Vier" zum sagenhaften Film über vier vertriebene Tiere.

Auch der ängstliche Wachhund Elvis, der Yoga-liebende Hahn Eggbert und das Zebra Mambo Dibango bekommen eine mehr oder weniger verrückte Vergangenheit zugeschrieben. Dabei macht schon ihre Zeichnung Spaß. Die tolle Animations-Qualität zeigt jedes Härchen und Federchen messerscharf. Angesiedelt in einem englischen Dorf mit verliebten deutschen Postboten ist neben den vier Viechern auch eine mysteriöse Diebstahl-Serie. Bei den Bauern wird jeweils ein Ölgemälde, Schmuck und eine riesige Unterhose geklaut! Ausgerechnet Paul, der Stiefbruder von Marnies Katzenmutter Rosalinde, leitet den Raubzug aus seinem Rollstuhl mit Helikopter-Antrieb. Marnie kommt ihm auf die Schliche und wird prompt per Post-Paket zum Nordpol adressiert. Auf dem Weg kommt sie mit Elvis, der von seinem Hof gejagt wurde, mit Eggbert, den seine unbefriedigten Hühner in den Topf stecken wollen, und mit dem Zirkus-Zebra Mambo zusammen. Bald wird die Truppe als Kunsträuber gesucht.

Zebra, Hund, Katze und Hahn - das sind nicht ganz die Bremer Stadtmusikanten gemäß Brüder Grimm, doch die fein gezeichneten Persönlichkeiten der vier nicht wirklich traurigen Helden haben auch ein paar Überraschungen in petto. Genau wie der Film, der auf offenem Feld locker witzig die Hitchcock-Szene mit dem Sprüh-Flugzeug voller Glyphosat zitiert. Bei einem atemberaubenden Balance-Akt auf Flugzeug-Flügeln erinnern die deutschen Trickfilm-Brüder Lauenstein sogar an ihren eigenen Oscar-Erfolg „Balance". Mit „Die sagenhaften Vier" konkurrieren sie locker und verrückt mit dem berühmten englischen Filmstudio Aardman Animations („Shaun das Schaf", „Wallace und Gromit", „Hennen rennen"). Man weiß bei diesem bunten Ideenreichtum, gar nicht was mehr begeistert: Die klasse gezeichneten Autos und Figuren, die irren Geschichtchen oder das Zebra, Seifenblasen rülpst.

Axel Prahl spricht den ängstlichen Wachhund Elvis und Alexandra Neldel leiht Hauskatze Marnie ihre Stimme.

Wenn du König wärst

USA 2019 (The Kid who would be King) Regie: Joe Cornish, mit Louis Ashbourne Serkis, Dean Chaumoo, Patrick Stewart 121 Min. FSK ab 6

Wie passt man die Artus-Sage an die heutige Zeit an - wenn man nicht direkt ein mittelalterliches Schlacht-Spiel draus macht? „Wenn du König wärst" verbindet eine Geschichte vom Mobbing unter Schülern mit Fantasy-Einlagen. In einem Englang, das aus den Fugen gerät, entdeckt der cleverer Schüler Alex (Louis Ashbourne Serkis) Excalibur im Beton einer Baustelle. Zugleich tauchen Höllen-Reiter auf, die ihm das Schwert von Artus wieder abnehmen wollen. Ausgerechnet mit den beiden Schul-Bullys, die ihn und seinen Freund immer gequält haben, muss Alex nun Ritter spielen, um die Welt zu retten.

Der Mix der Sphären Schule und Mythos ist in diesem Kinder-Filmchen eher selten komisch. Nur Merlin, der mal jung und mal alt (Patrick Stewart) auftritt, unterhält als Lachnummer der Schule etwas. Kleine Ideen, wie das Verkehrszeichen als Waffen-Schild und ein ausklappbarer Tisch der Tafelrunde werden sporadisch eingestreut. Die lustigen Action-Szenen mit den jede Nacht wiederkehrenden Höllenrittern ermüden im überlangen Abenteuer-Versuch. Auch die Entdeckung, dass der meist abwesende Vater von Alex doch nicht so ein toller Kerl war und seine Mutter ihm das Abenteuer-Buch geschenkt hatte, wirkt eher angeklebt als gefühlt. Diese Artus-Variante verzaubert niemanden.

10.4.19

Berlin Bouncer

BRD 2019 Regie: David Dietl, mit Sven Marquardt, Frank Künster und Smiley Baldwin 87 Min. FSK ab 12

Frank Künster nennt sich Exzess-Betreuer. Smiley Baldwin, ein ehemaliger G.I., malt jeden Abend ein Bild mit dem Publikum seines Clubs. Die „Berlin Bouncer" sind die Herren über den Einlass im Club, drei Türsteher-Legenden aus Berlin. Sven Marquardt ist Türsteher im berühmten Berghain, dem Club mit der „härtesten Tür" der Stadt. Der Mann mit den vielen Tattoos und Piercings ist aber auch gefragter Fotograf. Eine seiner vielen unterhaltsamen Anekdoten ist die Vorstellung einer Vorhölle, in der er selbst nie eingelassen wird.

Alle drei „Berlin Bouncer" sind fotogen, können gut sprechen und erzählen, eignen sich also für ein Psychogramm einer besonderen Berufsgattung und Zeiterscheinung. Diese Reibungspunkte beim Reinlassen sind auch privat interessante Typen.

Ihre Erinnerungen gehen zurück zu ihren ersten Clubs Berlins, was Stadtgeschichte erzählt. Denn mit dem Fall der Mauer begann eine neue Clubkultur in leer stehenden Hallen von Mitte, im ehemaligen Kaufhaus Tacheles und seinen Nachfolgern. Auch wenn es Geschichten von Prügeleien gibt, der Film mischt sich kaum ins Gedränge vor der Tür und zeigt seine Protagonisten als liebe Kerle. Sven Marquardt beklagt die Gentrifizierung, deren aktiverer Teil er selbst ist. Solche weiterführenden Gedanken sind allerdings selten zu entdecken, in Regisseur David Dietls („Rate your date", „König von Deutschland") guten Alltags-Bildern um die drei Bouncer.

9.4.19

Niemandsland - The Aftermath

USA, Großbritannien, BRD 2018 Regie: James Kent, Keira Knightley, Alexander Skarsgård, Jason Clarke, Jannik Schümann 109 Min. FSK ab 12

Das edel ausgestattete Nachkriegs-Melodram „Niemandsland" ist ein Trauer-Spiel im besseren Sinne: In der Trümmern Hamburgs finden sich die Trauer der Sieger und der Besiegten unter dem Dach einer Elb-Villa.

„Das sind komische Leute, halte dich lieber von ihnen fern!" Die Handlungsanweisung eines englischen Kindes könnte heute auf „Flüchtlinge" gemünzt sein, meinte aber 1946 die Deutschen. Im immer wieder unfassbar zerbombten Hamburg finden sich noch Leichen und Granaten in den Trümmern. In der Bevölkerung, die ja von nichts was gewusst hat, verstecken sich noch Werwolf-Kämpfer, dich sich „88" für „Heil Hitler" in den Arm ritzen. Der britische Oberstleutnant Lewis (Jason Clarke) soll diese zerstörte Stadt wiederaufzubauen. Er gehört zu den Leuten, die dem ehemaligen Feind mitfühlend gegenübertreten. Seine Kollegen schießen Flüchtenden auf dem Schwarzmarkt lieber in den Rücken. Die Begrüßung seiner Frau Rachel (Keira Knightley) fällt jedoch sehr distanziert aus. Nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes im deutschen Bombardement auf London fand das Paar nicht mehr zueinander.

Nun sind sie außerhalb der zerbombten Stadt in einer luxuriösen Elb-Villa untergebracht. Dem ehemaligen Besitzer, dem verwitweten und kultivierten Architekten Stefan Lubert (Alexander Skarsgård), begegnet Rachel frostig, es ist ja nur noch so ein mörderischer Nazi. Seine Tochter Freda (Flora Thiemann) läuft sogar noch in der Uniform der Hitler-Mädels rum. Erst zickt Rachel rum, weil sie Tee und eine kuschelige Wohnung nur für sich haben will. Dann findet sie beim trauenden Deutschen, dessen Nazi-Vergangenheit noch nicht geklärt ist, mehr Verständnis als beim verschlossenen Gatten.

Alles in „Niemandsland" um die Villa an der Elbe sieht gut aus. Besonders das Wohnzimmer mit dem Liegesessel von Mies von der Rohe. Allein dieser Raum erzählt von einer Gesellschaft zwischen hölzerner Tradition und Moderne. Was fehlt und in allen deutschen Wohnzimmern einen hellen Fleck auf der Tapete hinterließ, ist das Porträt Hitlers. Der Steinway im Wohnzimmer dient als Katalysator für Erinnerungen an die Verstorbenen in beiden Familien. Sein Klang verbindet im besseren Moment des Films alle im gleichen Leid.

Eine Handvoll Positionen sind mit dem guten und dem bösen Deutschen, mit dem unverzeihlichen und dem gnädigen Engländer besetzt. Das psychologische Drama ist übersichtlich: Um eine Zukunft zu haben, reicht es nicht, edel und anständig zu sein, man(n) muss sich für die eigenen Verluste öffnen. Lewis, der „Lawrence of Hamburg" verdrängt nicht nur Schmerz der Trauer, auch Gespräche drüber verweigert er.

„Niemandsland" ist von Jason Clarke, Skarsgård und der Knightley gut gespielt, dazu eine satte Inszenierung, die Zeit lässt, sich psychologischen Details aus dem gleichnamigen Roman von Rhidian Brook zu widmen. Aber es bleibt ein Gefühl, dass die komplexe Situation des frischen Friedens zugunsten des Melodrams ungeschickt gerafft wurde.

Willkommen im Wunder-Park

USA 2019 Regie: Dylan Brown 86 Min. FSK ab 0

Wie sähe das Phantásien aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte" aus, wenn man die Grundidee durch den Computer jagt, der sonst die Buchhaltung macht? Eine grell-bunte AHDS-Version eines Fantasielandes soll ein kleines Mädchen über die schwere Krankheit der Mutter hinweg helfen. Grober Mechanismus in Erzählung, Zeichnung und Dramaturgie macht „Willkommen im Wunder-Park"
trotz gelungener Ansätze zum unangenehmen Kino-Ausflug.

Der Park aus Junes Fantasie wird geleitet von sprechenden Tieren und bevölkert von angeblich begeisterten Kindern mit flachen, leblosen Gesichtern aus dem Film-Computer. Das ingeniöse, fantasiereiche Mädchen bastelt zusammen mit ihrer Mutter an diesem kunterbunten Freizeitpark. Viel fantastischer ist noch die lebensechte Seifenkisten-Bahn, die sie sich selbst baut. Durch (unbenannte) Krankheit und Abwesenheit der Mutter, mit der sie eine besondere Verbindung hatte, versiegt allerdings Junes Lebensfreude. Also sie sich bei einem Schulausflug absetzt, entdeckt das Mädchen im Wald ihren verfallenen Wunder-Park, in dem die tierischen Freunde von Zombie-Äffchen terrorisiert werden.

Tatsächlich vermehren sich diese Zombie-Affen wie Krebs-Zellen überall und ziehen einen ins Nichts. Auch wie June ihre eigene Verschlossenheit beim Menschenaffen Peanut erkennt und überwindet, ist im Ansatz gute Metapher für das Problem des Kindes. Doch im Gegensatz zu „Alles steht Kopf" („Inside Out"), dem Meisterwerk dieser Disziplin, fehlt hier eine elegante wie schlüssige Verbindung zwischen innerer und äußerer Handlung. Die Karussells und rasanten Achterbahnen bieten tolle Spielzeuge für übertrieben rasante Action, aber alles spult recht beliebig ab. Es gibt witzige Figuren und Dialoge, aber die Handlung bewegt sich wie ein großer grober Roboter, zusammengeschraubt aus demolierten Bestandteilen besserer Geschichten. Im kalten Mechanismus greller Attraktionen fehlt Geist und Zauber aus einem echten Wunder-Land.

Christo - Walking on Water

USA, Italien, BRD, Vereinigte Arabische Emirate 2018 Regie: Andrey Paounov 105 Min. FSK ab 0

Dass jede Christo-Installation eine neue Werbe-Dokumentation mit sich bringt, ist Routine. In diesem Genre des „filmischen Kataloges" zur Aktion stellt „Christo - Walking on Water" keinen guten Dokumentarfilm dar. Er liefert nur beschränkten Einblick in die Arbeit des Künstlers und einen Abglanz für alle, die nicht persönlich auf goldgelben Pontons über den Lago d'Iseo spazieren konnten.

Ja, der über 80-jährige Wladimirow Jawaschew, wie der weltberühmte Künstler Christo einst hieß, ist ein wahnsinniger Visionär, der sich in der Öffentlichkeit zurückhalten und verkaufen kann. Der gebürtige Bulgare, der mit seiner 2009 verstorbenen Partnerin Jeanne-Claude den Reichstag verhüllte, ein ganzes Tal mit Vorhang ausstattete oder eine Landschaft mit Schirmen dekorierte, kann auch sein Team und Partner in den Wahnsinn treiben, nicht nur wenn er Computer benutzen muss.

So viel zeigt „Christo - Walking on Water" von der Persönlichkeit des Künstlers Christo während seine letzten Installation „Walking on Water" im Lago d'Iseo entsteht. Man sieht seine kindliche Freude, als die ersten Schwimm-Elemente ins Wasser gelassen werden und er sich auf dem Ponton im Rhythmus der Wellen wiegt.

Die Projekte von Jeanne-Claude und Christo wurden immer von Büchern und Postern finanziert, sowie von einer filmischen Auswertung begleitet. Die verstorbenen Albert und David Maysles dokumentierten fünf Christo-Projekte, neben dem wunderbaren „Umbrellas" auch Valley Curtain, Running Fence, Islands und Christo in Paris. Nun übernahm der bulgarische Regisseur Andrey Paounov den Job und der Film zu einer faszinierenden Aktion enttäuscht.

Die übliche Dramaturgie mit ersten Entwürfen, Problemen bei den Behörden und einer Fast-Katastrophe - diesmal durch enormen Besucherandrang - zeigt sich in Bezug auf Christos Kunst völlig unreflektiert. Dass keine klassischen Interviews vorkommen, ist zwar angenehm, verhindert aber auch die Annäherung an die Person Christos. Und es gäbe Einiges zu Besprechen: Die schmerzliche Abwesenheit von Partnerin Jeanne-Claude wird nur durch die häufige Erwähnung ihres Namens deutlich. Zwar ist „Walking on Water" zeitweise auch witzig und mit der Nebenfigur von Christos Neffen und Manager Vladimir Yavachev unterhaltsam. Gelungen und besonders aber nur, wenn der Film die Menschen auf dem Wasser in Interaktion mit dem Kunstobjekt zeigt. Das Glück, die verspielte Freude angesichts eines wirklich einmaligen, 16-tägigen Kunstwerks.

4.4.19

Border

Border

Schweden, Dänemark 2018 (Gräns) Regie: Ali Abbasi, mit Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson 110 Min. FSK ab 16

„Border" heißt im schwedischen Original „Gräns" und grenzüberschreitend ist dieser sagenhafte Film über eine außergewöhnliche Zöllnerin nicht nur in seinem Mix der Genres Schweden-Krimi, Fantasy und bewegendes Drama. Auch die Grenzen des Menschseins werden auf faszinierende Weise ausgelotet.

An einer Wasser-Grenze Schwedens erschnüffelt die Zollbeamtin Tina (Eva Melander) die Sünden der Einreisenden. Ihr verblüffender Erfolg beruht nicht auf dem Riechen von Alkohol- oder Drogen-Spuren, sie wittert Angst, Scham oder Schuld bei den Menschen. So entdeckt sie sogar die Kinder-Pornografie auf der SD-Speicherkarte eines Mannes. Ihr andersartiges Aussehen wird mit Neandertaler-Stirn, knubbeliger Nase, rauer Haut und faulig bleckenden Zähnen halbwegs beschrieben. Dementsprechend beleidigen sie die Reisenden, die beim Alkohol-Schmuggeln erwischt werden, oft mit fiesen Worten. Zuhause, tief im Wald, wird sie schlechter als der aggressive Hund ihres blöden Freundes behandelt. Als sie eines Tages auf Vore (Eero Milonoff) trifft, der ihr beim Beschnüffeln sehr ähnlich sieht, ändert sich Tinas Existenz am Rande der Gesellschaft schlagartig.

„Border" hat einige Überraschungen in petto, die man sich nicht verderben lassen sollte. Dass Tina und Vore eine leidenschaftliche, animalische Beziehung beginnen werden, ist schnell klar. Wer dabei welche Rolle spielt, irritiert heftig. Parallel verfolgt Tina die Spur eines Kinderporno-Ringes, voller Entsetzen, was Menschen ihren eigenen Nachkommen antun. Ein düsterer Thriller ganz in Tradition der Skandinavien-Krimis. Während sich die nur scheinbar parallele Verbindung mit dem dreisten Vore atemberaubend im Fantastischen bewegt.

Dem iranisch-schwedischen Regisseur Ali Abbasi gelingt ein sensationeller Mix aus Genre, Mythos und sehr alltäglichem Verbrechen. Das Drehbuch stammt vom schwedischen Schriftsteller John Ajvide Lindqvist, der schon mit dem Stoff zum außergewöhnlichen Vampirkinder-Film „So finster die Nacht" begeisterte. „Border" ist nun viel mehr als noch einmal das Märchen vom Hässlichen Entlein und auf keinen Fall Disney-Stil. Wenn man das unvergleichliche Ereignis dieses Films irgendwie einordnen muss, landet man eher bei den „X-Men" und seinen Monstern, die sich menschlicher als Menschen verhalten. Auch wenn die Bilder des Vernaschens von Maden oder die seltsamer Wesen im Kühlschrank irritieren. Sie erschrecken nicht. Der eigentliche Horror dieser Geschichte lauert woanders und ist ein recht menschlicher Konflikt um Verbrechen und gnadenlose Rache.

Die unglaubliche, atemberaubende Geschichte erzählt auch von Emanzipation, wobei das mit dem Geschlecht nicht ganz eindeutig ist. Was in einem der vielen ungewöhnlichen Momenten des Films deutlich wird. Die Selbstbehauptung der unterdrückten Kreatur geht weiter, da ist „Border" verwandt mit „Wild" von Nicole Krebitz. Nicht nur wild im Sujet, sondern im ganzen tierisch fantastischen Erzählen.

„Border" erhielt beim Europäischen Filmpreis 2018 einen Preis für seine Visual Effects, beim Schwedischen Filmpreis sechs Auszeichnungen, unter anderem als Bester Film und Eva Melander als Beste Hauptdarstellerin.

3.4.19

The hole in the ground

USA 2019 Regie: Lee Cronin, mit Seána Kerslake, James Quinn Markey, Kati Outinen 91 Min. FSK ab 16, Kinostart: 2. Mai 2019

Wenn die eigenen Kinder mit toten Augen und blassem Gesicht wie emotionslose Fremde wirken, muss das nicht immer am gerade aktuellen Computer- oder Konsolen-Spiel liegen. Es könnte auch irgendwas in sie gefahren sein, wie beim außergewöhnlich reizvollen, irischen Horror-Film „The hole in the ground".

Auch wenn die Musik vom Anfang an eindeutig Horror auf die Tonspur kratzt, der Anflug auf die Geschichte deutlich „Shining" sagt und die Welt direkt Kopf steht, die Geschichte um ein entfremdetes Kind sieht besser und raffinierter als pure Epigonentum aus. Dass sich der achtjährige Chris (James Quinn Markey) anfangs noch im Spiegelkabinett verzerrt „widersieht", wird bis zum letzten schaurigen Moment eine große Rolle spielen.

Seine Mutter Sarah (Seána Kerslake) zieht weg vom Partner in ein abgelegenes Haus. Als Chris das erste Mal im Wald verschwindet, entdeckt sie ein riesiges, organisch wirkendes Loch, das scheinbar die ganze Umgebung verschlingt. Aber eigentlich könnte mit Renovierung und neuer Schule Alltag sein, auch wenn die Haustür nachts zu oft laut auf und zu schlägt. Doch hier werden keine simplen, billigen Schockmomente eingesetzt. Schauerlich ist allerdings die Geschichte der alten Frau (Kati Outinen), die einst ihr Kind ermordete und immer sagte „Er ist nicht mein Sohn".

Regisseur Lee Cronin hält in seinem fesselnden Debüt die Anspannung mit ungewöhnlichen Kamera-Perspektiven und einer schleichenden Beunruhigung aufrecht. Es gibt ein bisschen „Blair Witch" im dunklen Wald, selbstverständlich flackert das Licht im Keller. Doch „The hole in the ground" setzt bis zum spannend offenen Ende die Akzente geschickter. Vor allem die Kamera von Tom Comerford gefällt sehr. Kaurismäkis Lieblingsdarstellerin Kati Outinen hat noch mal einen besonders seltsamen Auftritt als seltsame alte Frau. Seána Kerslake sieht als Sarah aus wie Shelley Duvall in „Shining" und beeindruckt auch mit tollem Schauspiel.

2.4.19

Birds of Passage

Kolumbien, Dänemark, Mexiko 2018 (Pajaros de Verano) Regie: Cristina Gallego, mit Carmiña Martínez, José Acosta, Natalia Reyes 121 Min. FSK ab 12

Aus kolumbianischen Familien-Clans, deren Traditionen selbst den spanischen Eroberern widerstanden haben, werden in den 70er-Jahren sich selbst zerfleischende Drogenbanden. Der kolumbianische Filmemacher Ciro Guerra („Der Schamane und die Schlange") begeistert mit diesem gewaltigen Epos, das mit gleichartigen Familien-Geschichten von Scorsese konkurrieren kann.

Ein altes Wayuu-Ritual der „Frauwerdung" in Abgeschiedenheit wird vom jungen Rapayet (José Acosta) gestört. Zwar begeistert er beim traditionellen, farbenprächtigen Yoona-Tanz in der Wüstenlandschaft die schöne Zaida (Natalia Reyes), doch zur Brautwerbung hätte er eine Ziege und nicht nur eine Halskette mitbringen sollen. Dann tauchen US-amerikanische Hippies auf, die Kommunismus verbreiten und Marihuana rauchen wollen. Zusammen mit seinem Kumpel Moisés (Jhon Narváez) startet Rapayet einen rasch wachsenden Drogenhandel.

Was wie ein ethnographischer Film mit archaischen Sitten um das Kaufen von Frauen beginnt, wird schnell zum sehr jetzigen Drama um Marihuana-Schmuggel. In diesem Wayuu-Matriarchat hat Zainas Mutter Ursula (Carmiña Martínez) das Sagen. Nach anfänglicher Ablehnung des jungen Brautwerbers unterstützt sie seine Drogengeschäfte. Der muss bald seinen zu gierigen Freund Moisés exekutieren. Doch der Zaidas unkontrollierbarer Bruder Leonídas (Greider Meza) sorgt immer wieder für Konflikte zwischen den Familien bis es zu einem verheerenden Banden-Krieg kommt.

Dieses „Es war einmal in Kolumbien" ist ein großes Familien- und Gangster-Epos im Stile von Scorseses Filmen. Selbstverständlich sieht „Birds of Passage" ganz anders, aber nicht weniger faszinierend aus. Ein zurückhaltender Musikeinsatz, immer wieder Blicke auf die Tierwelt und Traumdeutungen zeugen von der Tradition. Beim Zeitsprung nach 1979 steht eine moderne weiße Villa in der Wüste. Scheinbar endlose Kolonnen mit Marihuana bepackter Esel, viele Jeeps und Flugzeuge bewältigen den Schmuggel. Aber immer mehr alte Regeln werden verletzt. Immer mehr Leichen liegen auf den Wegen.

„Birds of Passage" ist gleichzeitig packendes Weltkino- und spannender Genre-Film. Denn auch wenn es ganz anders aussieht, so unähnlich sind sich die Verhaltensweisen der Italo-Amerikaner und dieser Kolumbianer nicht.