27.5.14

Kathedralen der Kultur

BRD, Dänemark, Österreich, Norwegen, Frankreich, USA, Japan 2014 Regie: Wim Wenders , Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz 156 (auch in zwei Teilen: 78 & 78) Min.

Wim Wenders, dessen internationale Karriere vor fast genau dreißig Jahren mit der Goldenen Palme für „Paris, Texas" begann, erlebt gerade mit seinen Dokumentationen einen neuen Karriere-Höhepunkt. Schon „Buena Vista Social Club" war eine Sensation, dann der Welterfolg mit „Pina" und vor ein paar Tagen ein Spezialpreis in Cannes mit „The Salt of the Earth". Wie dieser ist auch „Kathedralen der Kultur" ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer Regisseure. Doch vor allem der Auftakt von Wenders ist ein Paukenschlag: Unter den sechs Regisseuren, die sechs Bauwerke vorstellen, erwählte er die Berliner Philharmonie. Das in jeder Hinsicht auffallende, seit 50 Jahre moderne Gebäude von Hans Scharoun gewährt Ein- und Aufblicke, reizt mit einem Mix aus inszenierter Doku und spiel(film)erischer Inszenierung, bei denen ein geisterhafter Dirigent, eine begeisterte Zuhörerin unsere Identifikationsfiguren sind.

Im Brechtschen Sinne zeigt Wenders uns nicht nur Chefdirigent Simon Rattle und die Musiker, sondern auch viele Arbeiter des Hauses. Über die sich die Einzigartigkeit in Sachen Akustik und Architektur erklärt. Ineinander gelegte Pentagramme brachten erstmals Dirigenten und Orchester in die Mitte des Raumes. Dazu Stadtgeschichte mit der Philharmonie als Gegenpol früher zur Berliner Mauer und heute zu den Ungetümen am Potsdamer Platz. Oder die Geschichte der Chefdirigenten Karajan, Claudio Abbado und heute Sir Simon Rattle. Die Philharmonie erzählt von all dem ganz persönlich (mit der Stimme von Meret Becker).

Der vor kurzem verstorbene Österreicher Michael Glawogger entdeckt im zweiten Film die Russische Nationalbibliothek vor allem mit langsamen Fahrten und Schwenks, begleitet von literarischen Texten in Russisch und Deutsch, während es bei Michael Madsens (nicht der Schauspieler) Vorstellung des dänischen Gefängnisses Halden eher um ein sehr bewegendes, anrührendes Porträt der Menschen in diesem geht. Auch wenn aus der Perspektive der langen (weiblichen) Gefängnismauer oder der Zelle erzählt wird und ein Foucault-Zitat vorangesetzt ist, dass heute viele Gebäude und Institutionen Gefängnissen ähneln.

Robert Redford zeigt das Salk Institut, das bei der Polio-Bekämpfung entscheidend mitgeholfen hat, historisch und architektonisch in einem sachlichen Ton. „Das Oslo Opernhaus" hingegen ist wieder ein wunderbares Kunststück zu diesem wunschschönen, 2008 vollendeten Kunstwerk. Margareth Olin dokumentiert die zahllosen Menschen, die das schneeweiße Dach täglich überqueren, Proben und Häppchen aus Inszenierungen. Auch im letzten Beitrag, „Centre Pompidou" von Karim Aïnouz, beantwortet der Filmemacher die konzeptuelle Frage: „Wenn Gebäude sprechen könnten, was würden sie uns erzählen?" Die Antworten der sechs verschiedenen Filmbeiträge begeistern unterschiedlich auf der Skala von „Meisterwerk" bis „sehr interessant", können aber insgesamt über zweieinhalb Stunden fesseln - das ist nicht nur für einen Dokumentarfilm außerordentlich!

Nix wie weg - vom Planeten Erde

USA, Kanada 2013 (Escape from Planet Earth) Regie: Callan Brunker 89 Min. FSK: ab 0

Der Planet Baab hat zwar auch drei Dimensionen, doch seltsam zweidimensional sind seine Charaktere, fast so flach wie die Zeichnungen dieser blauen Außerirdischen, die im Ameisen-Staat von „Antz" nicht auffallen würden. Astronaut Scorch Supernova ist ein Held auf Baab, sein kleiner Bruder Gary der Kopf hinter den Rettungsaktionen überall im All. Als zuerst der eigenwillige Scorch und dann auch der mit ihm zerstrittene Gary in die Hände des größenwahnsinnigen Erden-Generals T. Shanker fallen, muss der kleine Sohn und Neffe Kip die Situation und eine Menge Aliens retten.

Denn so vielfältig „Nix wie weg" aus anderen Filmen wie „Die Monster AG" kopiert, so reich ist er an (Film-)Aliens, die Shanker in seiner Area 51 gefangen hält, damit sie für ihn Dinge wie das Internet oder das iPhone erfinden. Seine intergalaktische Spionage-Affäre mit dem Erd-Romeo in Elvis-Verkleidung liefert ein paar sehr witzige Scherze über viele andere Alien-Geschichten und die interessante Außensicht, dass die Erde, der einzige Planet ist, der sich rückwärts entwickelt, wo Länder und Kriege existieren. Das ist dann aber auch bei charakterarmer Zeichnung und sehr konventioneller Familiengeschichte das einzig Unterhaltsame an dieser sterilen Animation. Neben den klassischen Area 51-Aliens mit den großen Augen, gibt es eine Verfolgungsjagd durch Canyons und Teile der Musik von „Star Wars", die Gesichter von „Antz" sowie den depressiven Bord-Computer aus „Per Anhalter durch die Galaxis". Den spricht im Original Rick Gervais, wie dieses überhaupt mit Brandon Fraser, Sarah Jessica Parker, Jessica Alba, James Gandolfini und vor allem „Captain T. Kirk" William Shatner als Generals T. Shanker außerordentlich gut besetzt sind. Aber da haben die mit einer zweitklassigen Synchro bedienten kleinen deutschen Kinogänger leider nichts von.

22.5.14

Cannes 2014: Mommy / Xavier Dolan

Der zweite junge Beitrag im Cannes-Wettbewerb, „Mommy" des filmisch konstant ödipal fixierten Xavier Dolan, entzweit die Cineasten in Cannes. Wie immer geht es dem Franco-Kanadier um das Verhältnis zu seiner Mutter. Wobei der Sohn Steve mit einer Mischung aus egozentrischer Aggressivität und unkontrollierbarer AHDS deutlich Problem und Herausforderung ist. Keine stattliche Institution außer Knast will ihn mehr aufnehmen. Um ihn zuhause zu unterrichten, müsste die Mutter Diane ihren Job aufgeben, das Geld ist sowieso knapp. Als eine stark stotternde Nachbarin und beurlaubte Lehrerin den Unterricht von Steve übernimmt, hellt sich das Leben aller Beteiligter auf, Steve beruhigt sich, Diane kann arbeiten und Kyla hört in dieser Umgebung auf zu stottern.

„Mommy" ist eine Art Fussbroichs auf Québecquois, extrem ordinär und selbst für Franzosen nur mit Untertiteln zu verstehen. Wie die Sprache so die Sprecher - flegelhaft wäre noch schmeichelhaft. Im des Films würde man sagen, ein kleiner dreckiger Bastard, der ganz frech ein Melodram im klassischen Stil hinlegt, während er wieder seinen Ödipus abarbeitet. Am Ende gibt es einen Song von Lana del Rey. Was passt denn dieser Dolan riskiert auch Filmisch eine dicke Lippe.

Jedoch - inmitten der von Vierzigern und Fünfzigern aufgelockerten Rentner-Gang muss man diesem extremsten Mutter-Söhnchen des internationalen Kinos für die Dosis frischer und frecher Ideen dankbar sein. Bis auf zwei Sequenzen, in denen das Leben frei, offen und sorglos erscheint, ist die Leinwand beispielsweise ganz schmal auf ein Bild-Verhältnis von 1:1 zusammengepresst. Der erste Moment der Öffnung erhielt Szenenapplaus - teils belustigten, teils hämischen. Und ganz allgemein wird der Franco-Kanadier geliebt und gehasst - zeitweise von einer Person gleichzeitig. Auch eine Kunst!

21.5.14

Cannes 2014: The Search / Michel Hazanavicius

Nachdem er bei „The Artist" mit einem kompletten Stummfilm erst Cannes und dann die ganze Welt eroberte, bricht nun in „The Search" von Michel Hazanavicius ein stummes Kriegsopfer die Herzen der Zuschauer im Wettbewerb. Der Spaß ist vorbei, im Gegenteil: nach nur fünf Minuten wurden vor der Kamera zwei tschetschenische Eltern von russischen Soldaten sadistisch ermordet, die Tochter erwartet eine brutale Vergewaltigung, der kleine Sohn kann mit dem Baby gerade noch fliehen. In drei Strängen verfolgt der niederschmetternde Film über 150 Minuten drei Stränge: Wie sich die Kinder in verzweifelten Flüchtlingszügen suchen. Wie ein ganz normaler russischer junger Mann durch Militärdrill, Prügel und Schikane zur seelenlosen Mordmaschine wird und wie die EU-Mitarbeiterin Carole (das „Artist"-Lachen Bérénice Bejo) bitter vergeblich versucht, die europäische Außenpolitik auf Massaker und Völkermord des zweiten Tschetschenien-Feldzuges unter Jelzin und Ministerpräsident Putin hinzuweisen. Dass Bejo trotz Engagements und rührender Begegnung mit dem stummen Jungen wie ein Fremdkörper wirkt, erweist sich letztlich als dramaturgisch sinnvoll - die westlichen Helfer können kaum etwas tun. Die Form des Films ist ebenso erschreckend wie das Gezeigte: Am Ende fängt alles wieder von vorne an...

Cannes 2014: Salt of the Earth / Juliano Ribeiro Salgado, Wim Wenders

Durch die Hölle ins Paradies führt „Salt of the Earth", die Lebensgeschichte des berühmten Fotografen Sebastião Salgado. Sein Sohn Juliano Ribeiro Salgado begleitete ihn mit der Filmkamera rund um die Welt bei der Erstellung einiger seiner eindrucksvollen Bildbände. Später kam Wim Wenders als Ko-Regisseur hinzu und es entstand der bislang bewegendste Film von Cannes 2014: Wie der brasilianische Bildkünstler in seinen Bänden „Workers - Arbeiter", „Migranten" oder „Afrika" die Flüchtlingsströme von Ruanda, der Verhungernden der Sahel-Zone, die zigtausenden Arbeiter in einer brasilianischen Goldmine in seinen Fotos wiedergibt, ist atemberaubend, tief berührend und erschütternd. Der Film besteht über lange Strecken aus Schwarzweiß-Fotos, deren Entstehen Sebastião Salgado selbst kommentiert. Trotzdem kämpften im ganzen Kino die Zuschauer mit den Tränen angesichts von Unmenschlichkeiten, die nicht auf Naturkatastrophen sondern nur auf ungerechte Verteilung zurückzuführen sind, angesichts des Ausmaßes von Massakern denen Hunderttausende zum Opfer fielen. „Salt of the Earth" ist aber auch die wundersame Wendung im Leben des Fotografen, den seine Erfahrungen krank gemacht haben: Auf der Farm seiner Familie begannt er mit seiner Frau, die alle Fotobände mit gestaltet hat, riesige Flächen vernichteten Regenwaldes wieder aufzuforsten. In Reflektion zu seinem letzten Bildband „Genesis", der unversehrte Schönheit der Erde zeigt, ein kleines Paradies.
Für Wim Wenders, der in Cannes besonders extravagant mit Schwalbenschwanz und hochkragigem Hemd auftrat, gab es gestern eine zusätzliche Vorführung von „Paris, Texas", der Film, mit dem er vor exakt 30 Jahren die Goldene Palme gewann. „Salt of the Earth" wird im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kommen. (ghj)

20.5.14

Cannes 2014: Deux jours, une nuit / Jean-Pierre und Luc Dardenne

Die ergreifende Solidaritäts-Suche der Lütticher Dardenne-Brüder „Deux jours, une nuit" reiht sich in den Favoriten-Kreis ein:

Zwei Goldene Palmen haben sie schon, Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Lüttich. Ihr neuer Film „Deux jours, une nuit" („Zwei Tage, eine Nacht", Dt. Start 30. Oktober) wurde in Cannes direkt zum großen Favorit und zum Sieger der Herzen. Im Stile eines neuen Neo-Realismus verfolgen sie die Arbeiterin Sandra (Marion Cotillard), die von ihrer Entlassung bei einem Solarpanel-Unternehmen erfährt: Die Kollegen hatten die Wahl zwischen einem Bonus von 1000 Euro und dem Erhalt der Stelle von Sandra. Dank einer engagierten Kollegin soll die Wahl am Montag jedoch nun geheim wiederholt werden. Sandra, die Frau, die sich gerade von einer schweren Depression erholt hat, die mit zwei Kindern und dem Mann Luc nicht mehr in einer Sozialwohnung lebt, hat zwei Tage und eine Nacht Zeit, die Mehrheit der 16 Kollegen zu bitten, für ihren Verbleib im Unternehmen zu stimmen.

Die Odyssee durch Vororte von Lüttich dekliniert in immer wieder bewegenden Begegnungen, was Solidarität wert ist. Ein Paar mit viel Zeit und Freizeit will dem Bonus eine Terrasse vor ihrem neuen Haus hoch über der Maas bauen. Ein Jugend-Trainer beim Fußball bricht direkt in Tränen aus, so sehr drückte ihn das schlechte Gewissen. Einige haben einen zweiten Job, um über die Runden zu kommen, andere einen flotten Sportwagen, der viel verbraucht. Am erstaunlichsten ist jedoch die Haltung Sandras, die immer mehr Pillen gegen ihre Panik und Heulanfälle schlucken muss: Ohne Wut, freundlich und demütig tritt sie auf die Kollegen zu, die ihr Schicksal in der Hand haben. Da wird nicht getrickst und manipuliert.

Ganz so wie die Dardennes ihre Filme in den Vierteln drehen, die sie seit Jahren kennen. Mit den Menschen, die dort leben. Die gefeierten Filmemacher vermeiden mit ihrem ehrlichen, authentischen Stil jede Grobheit, jede dramaturgische Falle, die mit Effektivität lockt, aber Glaubwürdigkeit reduzierte. Selbst der Star, Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard („Der Geschmack von Rost und Knochen", „La vie en rose"), den sie sich leisten, verkörpert mit ihrer berührenden Rolle das Herz vom filmischen Schaffen der Dardennes. Ihre Sandra ist vom ersten Augenblick frei von allem Star-Image. Schon im Schlaf zeigen die dunklen Augen einen Menschen, der fix und fertig ist. Noch bevor sie von der Entlassung erfährt. Doch das kluge Meisterwerk schafft es, ohne zum Filmmärchen abzurutschen, seinen Figuren Würde, Anstand und Stolz zu geben. Sollte es aus irgendwelchen Gründen nicht zu Goldenen Palme reichen, können alle sagen: „Wir haben gut gekämpft!"

Zum neuen Dardenne, der mit lang anhaltendem Applaus in Cannes empfangen wurde, findet man sofort überall im Leben Verbindungspunkte: Von den Riesenkonzernen, die Tausende entlassen, in der Sicherheit, dass der verängstigte Rest schon die Mehrarbeit mit übernimmt. Vom Streik der Busfahrer in Cannes, der gerade die Festivalteilnehmer trifft, die sich nicht völlig überteuerte Absteigen im Zentrum leisten können. Oder direkt vor dem Kino, wo das elitäre System von Cannes rücksichtslose Ellbogen-Kämpfe um die Plätze im Kino fördert. Auch hier wäre Solidarität klüger als das verbitterte Gegeneinander.

Words & Pictures

USA 2013 Regie: Fred Schepisi mit Clive Owen, Juliette Binoche, Valerie Tian, Bruce Davison 116 Min. FSK: ab 0

„Der Club der toten Dichter", jetzt neu mit Bildern! Clive Owen spielt den engagierten Literatur-Dozenten Jack Marcus der seine Schüler fordert und auch schon mal als Androiden beleidigt. Gleichzeitig nervt der arrogante und freche Typ seine Kollegen. Marcus, einst bekannter Dichter, nun zynischer Trinker, bekommt von der Schulleitung noch eine letzte Chance, seinen Job und das Literatur-Heft der Uni zu erhalten. Zum Glück für ihn taucht mit neuen Kollegen die berühmte Malerin Dina Delsanto (Juliette Binoche) auf. Sie erzählt ihrer Kunstklasse direkt zum Einstieg, dass Worte lügen. Eine Provokation für Marcus, der die Auseinandersetzung zum großen Schulstreit und Wettbewerb macht.

Clive Owen hat mit einem Jürgen Klopp-Look und ähnlich hässlichen Gefühlsausbrüchen einen großen Auftritt im ausspielen der destruktiven Seite seiner Figur. Bitter, das mit den harten Übungen parallel zu schneiden, die Dina betreibt, um ihre Krankheit zurückzudrängen. Doch die starke Figur der Binoche gibt ihm als einzige geistreich Paroli und hält beim seinem schwierigen Silben-Spiel. Die unvermeidliche Romanze und der ebenso erwartbare Bruch durch seinen Alkoholismus nehmen dem reizvollen Duell etwas von seinem Schwung. Doch vor allem in der ersten Hälfte bringt der Krieg zwischen Wort und Bild viele kleine und kluge Fundstücke mit sich. Wie die Idee, dass angelesenes Wissen aus Büchern immer ein Netz an anknüpfendem Wissen mit sich bringt, während Wissen aus Google nur ein einsames Fakt ohne weiteren Bezug bleibt. Allerdings wird Google auch schnell verraten, dass „Words & Pictures" vom Regie-Senior Fred Schepisi („Wilde Kreaturen", „I.Q. - Liebe ist relativ", „Das Rußland-Haus") bis zum unglücklich herbei gezwungenen Happy End viele Sympathien wieder verspielt.

Zeit der Kannibalen

BRD 2014 Regie: Johannes Naber mit Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler 93 Min.

Zynisch, arrogant, eiskalt: In ihren glatten Business-Uniformen, von denen alles abperlt, verhandeln sie in Hotels überall auf der Welt das Überleben von Firmen und Belegschaften. Frank Öllers (Devid Striesow) und Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) sind Consutants für ein Hamburger Unternehmen. Sie verschieben mal eben eine ganze Produktion von Indien ins noch billigere Pakistan. Die Unruhen unten in der Stadt interessieren in den klimatisierten Räumen nicht. Seit sechs Jahren arbeiten sie miteinander, wissen nichts voneinander, können aber Phrasen über Globalisierung im Schlaf runterbeten. Sie halten sich für die Elite - „in allem etwas schneller, besser, härter" - sind aber hinter ihrem Anzug zutiefst unsicher und ziemlich ordinär.

Als die jüngere Kollegin Bianca März (Katharina Schüttler) zu ihnen stößt und ihr Chef Selbstmord begeht, beginnen die Fassaden zu bröckeln. Die Feministin und Idealistin März glaubt scheinbar noch an die Phrase „People Profit Planet". Sie „will was bewegen" und erkennt schnell: „ihr seid echt zwei Affen". Denn Niederländer, hochneurotisch und spleenig, ist ein kleiner Junge, der immer sein Rennrad dabei hat, der alles mit sportlicher Konkurrenz macht, und sehr gerne das Hotelpersonal demütigt. Der Zyniker Öllers bezahlt Zimmermädchen auch für Sex und zertrümmert schon mal sein Hotelzimmer, weil zuhause seine Beziehung auseinander bricht. Er will die Welt verbessern, indem er dem Kapitalismus beim Siegen hilft, damit der alles andere zerstört. Doch in Lagos scheint ein islamistischer Aufstand schneller zu sein, die Explosionen kommen immer.

Das grandios zynische und bittere Hotel-Kammerspiel „Zeit der Kannibalen" geht im Zusammenbruch der Typen Business-Mann (und -Frau) in die gleiche Richtung wie Bastian Günthers „Huston", ist nur direkter, klarer, härter. Wie seine Figuren kommt der Film nie raus aus dem Hotelzimmer. Die Fassade der Außenwelt besteht nur aus grauen Quadern. Herrliche Dialoge arbeiten an der Dekonstruktion der Figuren voller Zynismus, Weinerlichkeit, Selbstmitleid. Großartig, wie Devid Striesow und Sebastian Blomberg ihre albernen und erschreckenden Gestalten geben. Katharina Schüttler ist die Krönung der sagenhaften Schauspieler-Riege.

18.5.14

Das magische Haus

Belgien 2013 (The House of Magic) Regie: Jérémie Degruson, Ben Stassen 85 Min. FSK: ab 0

Der ausgefuchste belgische Technik-Trickser Ben Stassen schafft es immer wieder und letztlich auch Hollywood damit zu begeistern, Animationen auf dem neusten Stand der Filmtechnik zu realisieren, die zehnmal teurer aussehen, als sie tatsächlich waren. So beginnt auch diese Animation für Kinder zuerst mit einer süßen Katze und dann mit einer der „Rides", die früher seine Firma nWave erfolgreich gemacht haben: Spektakuläre filmische Achterbahn-Fahrten für Vergnügungsparks. Diesmal jagt es das ängstliche, ausgesetzte Kätzchen und die kleinen Zuschauer durch ein verlassenes Haus. Selbstverständlich aufgepeppt mit 3D-Effekten, denn auch an dieser Entwicklung war der Animations-Pionier mit seiner Brüsseler Firma innovativ beteiligt

Bei dieser Vorliebe für alles Technische ist es nicht verwunderlich, dass Stassens magisches Haus von liebenswerten und lustig anzusehenden technischen Apparaten bevölkert wird, die ein alter, kauziger Zauberer mit viel Liebe zusammengebastelt hat und am Leben hält. Eine mechanische Ballerina (E.T.A. Hoffmanns Olimpia?), eine Spielzeug-Kamera mit Handaufzug, ein Affe mit Schlagzeug, der Kaugummi-Automat und die tollpatschige, breakdancende Glühbirne namens Edison werden von einer weißen Maus und dem farblich passenden Kaninchen begleitet, die eifersüchtig auf den organisch schnurrenden Neuzugang schauen. So muss die Donner genannte Katze im Laufe einer abenteuerlichen Entwicklung als kleiner Held das alte Haus und alle Spielzeuge vor dem Verkauf durch einen habgierigen Neffen des Zauberers retten.

Bei aller technischen Raffinesse zeichnete immer auch mangelnde Charakter-Zeichnung die Stassen-Filme aus. Während das Gesamtpaket bei „Das magische Haus" mit einfacher Geschichte und flottem Oldie-Song wie schon in „Fly me to the Moon" ähnlich wirkt, haben die Figuren viel an Eigenschaften hinzugewonnen. Ein Grund mehr, den belgischen Disney kennenzulernen.

Enemy

Wer gerade nicht googlen oder denken möchte, bekommt noch einen Satz der Roman-Autors mit in den Film: „Ein Mann, der seine Geliebte verlassen und zurück zu seiner schwangeren Frau gehen will, wird seinem ärgsten Feind begegnen: Sich selbst."

One Chance - Einmal im Leben

Großbritannien, USA 2014 Regie: David Frankel mit James Corden, Alexandra Roach, Julie Walters, Colm Meaney 104 Min. FSK: ab 6

Vom ersten Momenten an zielen die Geiger voll auf das Kitsch-Zentrum: „One Chance" ist die allgemein bekannte Geschichte von Paul Potts, dem Opern-schmetternden Gewinner einer britischen Casting-Show. Die sehr simple Wohlfühlgeschichte ist ein modernes Märchen mit einem rundlichen, männlichen hässlichen Entlein, das zur Nachtigal wird. Oder die Verfilmung eines YouTube-Clips.

Das Biopic über Paul Potts erzählt die Geschichte des unterdrückten Außenseiters, des dicken Jungen, der in einer endlosen Folge von Mobbings das Singen als Flucht ergreift. Es ist 2004, der erwachsene Paul hört noch Discman und wohnt bei den Eltern. Da sind die Probleme, eine Freundin zu finden, wenig überraschend. Doch aus einem Internet-Chat zwischen den angeblichen Ebenbildern von Brat Pitt und Cameron Diaz wird mit Hilfe von Pauls Freund und Chef eine echte Begegnung und eine niedliche Liebe. Die der Möchtegern-Opernsänger aufs Spiel setzt, als er nach einem Ferien-Lehrgang in Venedig mit anschließendem vernichtenden Urteil Pavarottis Wochen braucht, um Freunde und Freundin wieder zu kontaktieren.

Ist Paul ein Pechvogel oder tatsächlich nicht fähig zu einer Sänger-Karriere? Auf jeden Fall steht er seinem Traum immer selbst im Weg. Vor seiner Hauptrolle bei einer Amateurtruppe hat er eine Blinddarm-OP. Nebenbei entdeckt man einen Tumor in seinem Hals. Als er nach sechs Monaten doch wieder singen kann, lässt er sich von einem Auto überfahren und verschiedenste Knochen brechen. Bis zum allzu bekannten Weg und Erfolg mit der Casting-Show...

Das Prinzip Casting-Show ist der Aufstand der Ungebildeten gegen Schulen, Lernen, Üben, Training, Ausbildung und all diesen altmodischen Kram. Wenn jetzt ein „Casting-Sieger" verfilmt wird, wird dieser Hohn auf die Spitze getrieben. Dabei bemüht „One Chance" die Überzeugungs-Kraft von Pauls Singens sehr: Mit einem Liedchen kann er die schwer versetzte und verletzte Freundin Jules zurückgewinnen, die Geigen leiten direkt zur Hochzeit und dem ebenfalls gesungenen Gelübde über. Statt der Hochzeitsnacht wird von der männlichen Jungfrau erst eine historische Puccini-Aufnahme genossen. Einer der vielen kleinen Scherzchen, die wie alles andere auf dem Niveau „nett" eingepegelt sind. Obwohl sich so vieles ähnelt, dies ist kein „Billy Elliot" und auch keine britische Sozialkomödie. Denn die traut sich was!

Ausgerechnet der bekannte Ausgang nimmt dem Ganzen auch noch die Spannung. Denn selbstverständlich lässt sich der millionenfach im Internet angeklickte Überraschungsmoment der Entdeckung eines unscheinbaren Talents in seiner Ursprünglichkeit nicht wiederholen. Nur mit den üppigeren Mitteln des Films noch mal aufplustern.

Der Film behauptet dabei, große Kunst und Talent zu feiern, bricht sie aber auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des lustigen und anrührenden Wohlfühlfilms runter. Eine wohl bekannte Geschichte ganz ohne Risiko. Wer nur ganz wenig mehr erwartet, wird sehr enttäuscht - no chance! Ebenso jeder, der hofft, dass „One Chance" nicht trotz - oder wegen - aller Mittelmäßigkeit ein großer Kinoerfolg wird.

Cannes 2014: Kis Uykusu (Winterschlaf) / Nuri Bilge Ceylan

Nach der Künstlerbio „Mr. Turner" und dem Voyeuristen-Thriller „The Captive" präsentierte der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan mit „Kis Uykusu" (Winterschlaf) am Wochenende seine anatolischen „Szenen einer Ehe" das dritte Meisterwerk im Wettbewerb: Alles dreht sich um , einen reichen, ehemaligen Schauspieler Aydin (Haluk Bilginer), der in einem malerischen und touristischen Dorf Kappadokiens ein kleines Hotel betreibt und ein paar der in den charakteristischen Kalkstein gehauenen Wohnungen besitzt. Mit ihm leben seine jüngere Frau Nihal (Melisa Sözen) und - nach einer Trennung - die ältere Schwester Necla (Demet Akbag). Während der Winter einbricht, entdeckt man immer mehr negative Facetten des charmanten Seniors. Wie er sich im Hintergrund hält, während der Streit seines Angestellten Hidayet mit dem aggressiven Mieter und Schuldner eskaliert, ist symptomatisch. Ganz beiläufig wird in dem über drei Stunden fesselnden Film Nächstenliebe, Mitgefühl und gesellschaftliche Verantwortung durchdekliniert.
Für Ceylan ist dies der fünfte Start im Langfilm-Wettbewerb von Cannes, der sechste insgesamt. Den Großen Preis der Jury gewann er 2002 für „Uzak" und 2011 für „Once Upon a Time in Anatolia", die Beste Regie 2008 mit „Drei Affen". Die Goldene Palme hätte er allein für diesen neuen Film verdient.

Cannes 2014 The Homesman / Tommy Lee Jones

Der Man in Black reitet wieder: Nach „Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada" inszenierte Tommy Lee Jones auch seinen zweiten Film als Western. Und erneut ereignet sich in rauer Umgebung ein erstaunliches Exempel menschlichen Handelns: In der Mitte des 19. Jahrhunderts bricht die alleinstehende Farmerin Mary Bee Cuddy (großartig: Hilary Swank) vom eiskalten Wilden Westen Nebraskas auf, um drei Ehefrauen des Dorfes (Miranda Otto, die Dänin Sonja Richter und die TV-Schauspielerin Grace Gummer), die wegen der baren Umstände und ihrer Männer wahnsinnig wurden, in eine Pflegeanstalt der Zivilisation zu bringen. Die mutige Frau liest als Begleiter den amoralischen Briggs (Tommy Lee Jones) auf, eine jämmerliche Gestalt, die sie vom Galgen abknüpft. Während Cuddy bei der Fahrt zwischen Indianern und Gaunern Wärterin, Pflegerin und Psychiaterin ist, bleibt Briggs ein sturer Dickschädel, großartig gespielt von Tommy Lee Jones, der wieder einen außergewöhnlichen, unbedingt sehenswerten Film realisierte. „The Homesman" startet am 13. November.

Cannes 2014 The Rover / David Michôd

„Hasst mich nicht, weil ich schön bin" - dieser Song im Film „The Rover" brachte Robert Pattinson sehr viele Lacher. Zwar ist der „Twilight"-Star in dem nihilistischen australischen Post-Katastrophen-Film von David Michôd als debiler Killer nicht schön, aber es gibt andere Gründe, ihm nicht geneigt zu sein. Denn während die Männer um ihn herum nach einer chinesischen Machtübernahme heftig vom moralischen und auch körperlichen Verfall gezeichnet sind, nimmt man es dem Mädchenschwarm nicht ab, diesem tragischen „Bel Ami" auf der Suche nach passenden Rollen. So hat Guy Pearce („Memento"), bärtig und schief humpelnd, den Film für sich allein in der Hauptrolle eines Mannes, der über Leichen geht, nur um sein Auto wiederzubekommen. Es birgt einen Funken Menschlichkeit, die ansonsten vor die Hunde gegangen ist.

16.5.14

Cannes 2014: The Captive / Atom Egoyan

Atom Egoyan, dessen Figuren früher oft auf der Suche nach der verlorenen Heimat Armenien waren, schickt jetzt im Wettbewerbs-Thriller „The Captive" die Stars Ryan Reynolds, Scott Speedman und Rosario Dawson auf die Suche nach dem Mädchen Cassandra, dass vor acht Jahren verschwand. Der kanadische Regisseur mit armenischen Wurzeln erzählt von doppelter Entführung und Ehedrama mit sehr viel Spannung und großen Emotionen. Das jedoch - wie schon in früheren Filmen - auf zahlreichen Monitoren im Bild genial doppelbödig. Ein charismatisch wahnsinniger Schurke (Kevin Durand aus „Lost") hält sich für die Königin der Nacht und das Mädchen für einen mächtigen Ring von Kindesentführern gefangen. Doch die „Monster" wollen nichts Sexuelles, sie wollen die Gefühle der Opfer und ihrer Angehörigen. Deshalb findet die Mutter nach Jahren immer wieder scheinbar zufällig Gegenstände der Verschwundenen, während sie in diesen Momenten heimlich gefilmt wird. So bedarf es nicht der Erwähnung eines Polizisten, dass dies ja alles stark an eine TV-Show erinnert und wohl für Abonnenten inszeniert wird. Und schon steht die Frage im prall von Emotionen gefüllten Kino-Raum, wer eigentlich für unsere voyeuristische Lust an den Gefühlen anderer bezahlt.

15.5.14

Cannes 2014: EU Prix MEDIA

Mit Danis Tanović steht der erste Sieger von Cannes 2014 fest: Der bosnische Regisseur von „No man's land" und „An Episode in the Life of an Iron Picker", der 2013 den Jury Preis der Berlinale gewann, erhält für sein nächstes Projekt den European Union 'Prix MEDIA'. Dieser unterstützt Autoren und Produzenten für ein Filmprojekt mit den besten Aussichten für einen Kinoerfolg mit Förderung aus dem europäischen MEDIA Programm. Der Film „What Are You Looking At?" ist eine Geschichte über Sarajevo als Stadt in einer endlosen Nachkriegs-Zeit, ohne Helden und in der die Werte von Korruption und Verbrechen in Geiselhaft genommen wurden. Die Vorgänger von Tanović waren die ebenso renommierten Regisseure Asghar Farhadi und Thomas Vinterberg.

Cannes 2014: Marion Cotillard

Cannes. Am Dienstag erwartet Cannes den französischen Superstar Marion Cotillard („Inception", „Der Geschmack von Rost und Knochen", „La vie en rose") im Wettbewerb mit „Zwei Tage, eine Nacht", dem neuen Film von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Sie spielt darin eine Angestellte, die ihren Job verlieren wird, wenn sie nicht die Kollegen überzeugt, auf einen Bonus zu verzichten. Die Oscar-Preisträgerin schildert in einem Interview mit der Fachzeitschrift Variety die Dreharbeiten in Lüttich als neue Herausforderung. Bisher haben die Dardennes mit Ausnahme von Cecile de France in „Der Junge mit dem Fahrrad" immer mit einem Mix aus Laien und unbekannteren Schauspielern gearbeitet. Als Cotillard das Angebot bekam, hoffte sie sehr, dass der Dreh wieder im Lütticher Stadtteil Seraing stattfinden würde, dass sie Teil der legendären Dardenne-Methode mit authentischem Setting und Personal werden dürfte.

Schließlich wurde es, selbst für die wegen ihres Perfektionismus berühmte Schauspielerin, ihr extremster Dreh: Siebzig manchmal achtzig „Takes" einer Szene - und die Szenen sind bei den beiden doppelten Palmen-Sieger gerne mehrere Minuten lang. Trotzdem war es eine Erfahrung, die sie jederzeit wiederholen würde, sie sei in der Kunst des Schauspiels bis aufs Äußerste gefordert worden. Außerdem hätte die Französin in diesem Prozess die mühsam vorbereitete, eigene Biografie ihrer Figur, die sie sich selbst erarbeitet hatte, aufgeben müssen. Ein Geheimnis, wie diese scheinbar verrückten Dreharbeiten die Darsteller mittels totaler Erschöpfung dazu zwingen, besonders offen zu agieren. (ghj)

Cannes 2014: Mr. Turner

Der Brite Mike Leigh („Another Year", „Happy-Go-Lucky", „Topsy Turvy") eröffnete die Galerie der alten Meister im Wettbewerb mit „Mr. Turner", dem Porträt des berühmten Landschaftsmalers William Turner (1775-1851) an der Grenze zur Moderne, die mit Eisenbahn und Fotografie Einzug hält. Timothy Spall verkörpert mit voller Wucht den Maler als Monolith der Kunstgeschichte und zwischen seinen Mitmenschen. Ein Schweinskopf wird in Bild gestellt, um ein massive Physiognomie des Hauptdarstellers (und auch vieler Nebenfiguren) deutlich zu charakterisieren. Dabei ist der schon zu Lebzeiten teuer geschätzte und von der Königin verachtete Künstler ein ungemein feiner, sensibler Mensch. Der allerdings Probleme hat sich zu äußern, was zu einem Grunzen als typischem Grundton führt. Und der zum Weinen tatsächlich in ein Bordell gehen muss, als sein Vater, der auch Freund, Assistent, Haushalter und Manager war, stirbt. Diese großartige und schon jetzt mehrfach preisverdächtige Personen- und Epochen-Gemälde, ist ein eindrucks- und kunstvolles Tableau, das immer wieder Turner in den eigenen, wundervollen Bildern zitiert. Ein perfekter Einstand in die meisterliche Bilder-Galerie des Festivals. (ghj)

14.5.14

Grace of Monaco

Frankreich 2014 Regie: Olivier Dahan mit Nicole Kidman, Tim Roth, Frank Langella, Paz Vega, Parker Posey 102 Min.

Welch eine tragische Geschichte: Da will ein englischsprachiges Mädchen Prinzessin in der alten Adelsfamilie Monacos spielen. Die Tragödie trägt nicht den Namen Grace Kelly, sondern Nicole Kidman, deren Spiel den Film „Grace of Monaco" endgültig scheitern lässt. Olivier Dahan („La vie en rose", „Die purpurnen Flüsse 2") dekoriert das Skript von Autor Arash Amel wie für ein Glamourmagazin oder eine glänzende Familien-Chronik. Dieses Filmmärchen wird ohne Gnade durchfallen.

Doppelbödig wie die Geschichte einer erfolgreichen Schauspielerin, die im richtigen Leben Prinzessin spielt, beginnt auch der Film „Grace of Monaco": Die düstere Ereignisse vorausdeutende Fahrt über enge Straßen erweist sich als Leinwand im Hintergrund von Filmaufnahmen. Grace Kelly (Nicole Kidman), der Star von „Zwölf Uhr Mittags", von Hitchcocks „Das Fenster zum Hof" und „Über den Dächern von Nizza", hat eine Szene ihres letzten Films beendet. Zeitlupe und ein trauriger Klang auf der Tonspur begleiten sie in ihre Garderobe. Es ist 1956, die Hochzeit mit Fürst Rainier von Monaco steht bevor. 1961 ist die Traumhochzeit eine Film-Erinnerung in Schwarzweiß, zwei Kinder spielen bereits im Palast und eine Krise baut sich vor den Grenzen des Zwergstaates auf: Der französische Präsident Charles de Gaulle fordert Abgaben von der Steueroase und droht mit einer unfreundlichen Übernahme. Der Algerienkrieg läuft gerade nicht gut, der Kolonialist braucht Geld und einen Nebenkriegsschauplatz.

Fürst Rainier III. (Tim Roth) kämpft um sein kleines Reich, hat keine Zeit für die unterforderte Frau an seiner Seite und schwankt unter Einfluss eines grob pöbelnden Onassis zwischen liebendem Ehemann und herrischem Patriarchen. Die noch immer nicht zugerichtete Amerikanerin mischt sich in politische Gespräche ein, das Gerücht eines neuen Films mit Hitchcock verschlechtert das schon nicht berauschende Image der Fürstin noch mehr. „Hitch" will seine „Gracie" für den die Rolle einer frigiden Kleptomanin in „Marnie" haben. „So ein unbekannter Schotte" ist für die männliche Hauptrolle eingeplant. Wut und Raserei im Auto der zur Untätigkeit Verdammten führen noch nicht zum Absturz - den Unfall-Tod in dem reichlich gezeigten und voll ausgefahrenen Porsche lässt der Film aus. Stattdessen gibt es Gespräche mit einem vom Vatikan instruierten Priester (Frank Langella), eine Hofintrige mit der Schwägerin, Reiten mit der Callas und zu viele Großaufnahmen einer überforderten Hauptdarstellerin bis zur finalen Heiligsprechung.

„Wieso muss alles so kompliziert sein", klagt Kelly. Oder ist es Kidman? Viel Einsamkeit und Verzweiflung wird behauptet, nicht gefühlt, bevor sich der Neuzugang am Hofe mit einem Publicity-Stunt nach einer bekannten Drehbuch-Formel als würdig und untertänige Ehefrau erweist. Leider erweist sich Nicole Kidman nicht als würdig und fähig, Glanz und Grazie der Grace Kelly auf die Leinwand zu bringen. Im Reigen der ausgestellten Posen und Kostüme zeigen sich die begrenzten Möglichkeiten der Australierin, nerven ihre bekannten Manierismen besonders stark. Der Film hangelt sich am Countdown einer Bedrohung - siehe die Filme zur Kubakrise - entlang. Ein paar gute Sätze, wenige Scherzchen lockern die zähe, niemals packende Entwicklung nicht auf. Dieses High Society-Märchen fällt sogar schlechter aus, als das letzte Diana-Debakel von Oliver Hirschbiegel. Da sollte man sich lieber einen Film mit der echten Grace Kelly ansehen!

11.5.14

Stereo

BRD 2014 Regie: Maximilian Erlenwein mit Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich, Rainer Bock 95 Min.

Nach seinem Rückzug aufs Land genießt der raue Motorrad-Mechaniker Erik (Jürgen Vogel) das Glück einer kleinen Familie. Bis mit Henry (Moritz Bleibtreu) eine Gestalt auftaucht, die nur er sehen kann. Zudem will ihn eine weitere zwielichtige Figur in die Halbwelt drängen. Regisseur Maximilian Erlenwein gelingt mit den klasse Hauptdarstellern Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu ein ausdrucksstarker Rache-Thriller.

An einer offenen und einsamen Landstraße liegt eine Motorrad-Werkstatt, die auch an einem amerikanischen Highway passen würde. Die ersten Einstellungen fangen Weite und Freiheit ein, bis ein sehr biederer und braver Polizist (Rainer Bock) den Motorrad-Raser Erik (Jürgen Vogel) ausbremst und ausgerechnet der Vater von dessen Geliebter Julia (Petra Schmidt-Schaller) ist. Klar, hier wird ein „Wild One" für das bürgerliche Leben runtergedrosselt. Aber Erik ist glücklich mit dieser kleinen Familie, der sexy Julia und ihrer kleinen Tochter Linda, die den „Ober-Löwen" direkt vergöttert. Wäre da nicht dieser Schatten der Vergangenheit in Form eines Kapuzenmannes, der immer näher kommt und sich als Eriks bester Feind Henry (Moritz Bleibtreu) herausstellt. Den kann allerdings nur der gezähmte Rocker sehen und hören.

Schon der Doppelauspuff von Eriks Maschine brüllt da zusammen mit dem Titel „Schizophrenie". Doch wie Regisseur Maximilian Erlenwein dieses Mysterium in einem Action-Finale auflöst, ist großes Genre-Kino mit unerwarteter Besetzung. Denn weder ein Medium noch der „Zigeuner", der Erik gut zu kennen scheint, klären die seltsame Erscheinung auf. Dabei soll der Mann mit den wilden Tattoos und dem Wunsch nach Familie im Kampf gegen den wahnsinnigen Bordellboss Keitel (Georg Friedrich aus „Über-Ich und Du") antreten...

Hier ist jemand Feuer und Flamme für Genre-Filme aus Hollywood. Will uns das der Molotov-Cocktail schon im Vorspann sagen? Maximilian Erlenweins „Stereo" feiert Geschwindigkeit, klare und prägnante Bilder, Maskulines wie Motoren, Maschinenöl und Tattoos, unterstützt durch heftige Bassklänge. In seinem deutschen „Fight Club", der am Ende heftig brutal wird, gibt Jürgen Vogel denn braven Edward Norton und Bleibtreu Brad Pitts Tyler Durden. Oder vielleicht doch umgekehrt? Dabei punktet vor allem Vogel quasi in einer Doppelrolle als Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Gegen ihn in „Stereo" ist selbst „Die Hard" Bruce Willis ein Hampelmann. Moritz Bleibtreu macht in Parka und unter Kapuze viel mit expressiver Körperhaltung. Die bösen und ordinären Bemerkungen seiner gespenstigen Gestalt werden mit großer Treffsicherheit herausgeschleudert. Georg Friedrich, der mit Bleibtreu schon in der Kunstraub-Geschichte „Mein bester Feind" spielte, komplettiert das starke Trio als verkrüppelter und bewährt wahnsinniger Gangster.

Die Auflösung wird deftig präsentiert, ein schmieriges Bordell namens Heaven gerät im Finale tief unter der Erde zur Hölle für alle Beteiligten. Dabei gibt es ein doppelt bis dreifach dickes Ende, doch schließlich geht es aus wie in dunkleren Kapiteln der Schwarzen Serie. Vereinfachungen sind beim Genre gängig und auch in diesem Rachefilm: Fahrendes Volk guckt reihenweise sehr bedrohlich, das Medium hat einen osteuropäischen Dialekt. Das kann man Maximilian Erlenwein vorwerfen, doch mal sollte nicht sein Talent und die Leidenschaft für den Genrefilm unterschätzen. Auch Robert Schwentke startete 2002 mit dem dreckigen, heftigen „Tattoo", mittlerweile hat er vier große Hollywood-Produktionen inszeniert.

Watermark

Kanada, 2013 Regie: Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky 92 Min.

Wie Dokumentation die Weltsicht und den Gefühlshaushalt gleichzeitig erweitern kann, belegt „Watermark" als erquickend positives Beispiel. Der Pressetext fasst noch zusammen: „Wasser ist Grundlage jeden Lebens und hat seit jeher eine starke Anziehungskraft auf den Menschen. Es ist wichtiger Bestandteil unserer Ernährung, Lebensraum für viele Tiere, dient als Energieerzeuger und ist nicht zuletzt Sehnsuchtsort vieler Menschen." Der Film „Watermark" selbst erzählt in seinen Geschichten aus 10 Ländern rund um den Globus in einzigartigen Bildfolgen ohne zu belehren.

Indische Stufenbrunnen, aufgebaut wie umgekehrte Pyramiden, um Grundwasserschwankungen durch den Monsun auszugleichen, unheimlich tief und doch ausgetrocknet. in Los Angeles die Geschichte des legendären Aquädukts von Ingenieur Mulholland (die Sache, bei der in Polanskis „Chinatown" Nicholson die Nase dran hatte). Die Wasserversorgung der Metropole hatte weit entfernt in den Bergen die katastrophale Folge eines ausgetrockneten Sees mit unglaublicher Staubbelastung, der nun wieder mit Milliarden-Kosten künstlich von Wasser besprüht wird. Oder die Jahrtausende alten Reisfeld-Terrassen, die ein junger „Wasserwächter" mit Handy kontrolliert. „Watermark", dieser Bildfluss des Wassers ist voller Leben, wie Wasser Leben ist. Und da dieses Leben ein langer Fluss ist, erlaubt sich der Film auch mal eine meditativ lange Fluss-Fahrt.

„Watermark" macht auch im Bild ohne jeglichen Kommentar eindrucksvoll den Gigantismus chinesischer Staudamm-Projekte klar, wenn verschwindet kleine Arbeiterinnen lächerlich erscheinende Arbeiten manuell erledigen. Das erfolgt mit der ästhetischen Handschrift des Fotografen und Ko-Regisseurs Edward Burtynsky immer wieder mit Top Shots und andere Vogelperspektiven. In einer typischen Szene sieht man erst den Arbeiter vor massiver Betonwand. Nachdem die Kamera ohne Schnitt abhebt und das Ausmaß der Stau-Mauer zeigt, schrumpft der verschwindend kleine Mensch. Der wirklich faszinierende Film erreicht in der Abstrahierung durch großen Abstand zeitweise fast die gleiche Verfremdung vom Wirken des Menschen in der Natur wie Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi - Prophezeiung" (1982).

Im Gesamtblick ergibt sich ohne Indoktrination doch Wissenswertes über Wasser, seine Verwendung und Verschwendung auf der ganzen Welt. Der Schnitt legt spannende Verbindungen von der Erforschung ewig alter Eisschichten zu den Wasserfontänen in Las Vegas. Dabei immer wieder spektakuläre Momente, wie die Schlammreinigung an einem chinesischen Staudamm und Bauarbeiten an einem anderen, die wie ein Science Fiction wirken. Wasser als Rahmen für schwimmende Fischerdörfer (mit sinkendem Ertrag) und Medium für religiöse Rituale in Indien oder sportlichen Kult bei Surf-Meisterschaften. „Watermark" beschreibt so, dass man sich seine eigenen Gedanken machen kann. Störend ist hier nur die Eigenwerbung des Fotografen Edward Burtynsky, der bei Erstellung eines neuen Bildbandes gezeigt wird.

Fascinating India 3D

BRD 2013 Regie: Simon Busch 91 Min. FSK: ab 0

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, aber auch nicht wirklich hinein: Denn der optisch faszinierende Film „Fascinating India 3D" beginnt mit den ersten Bildern zu belehren und hört dann nicht mehr damit auf. Ohne dass man es nach dem Sehen des Films noch wüsste, geht es über viele Stationen durch die Geschichte des riesigen Landes: Der Tempelbezirk von Ranakpur, mit einem Lingam als Heiligtum und haufenweise erotischer Darstellungen als Fries des Gebäudes. Das Taj Mahal (in drei Sätzen), Jaipur, die rosafarbene Stadt im Norden mit dem berühmten „Palast der Winde", Udaipur, mit seinem idyllischen Lustschloss mitten im See, Jodhpur, die blaue Stadt der Brahmanen und die Festung Mehrangarh, eine Enklave von unfassbarem Luxus. Und so eindrucksvoll weiter und so beliebig, weil es keine Geschichte gibt, die man sich dazu merken könnte. Während auch für das 3D enorm viel Aufwand getrieben wurde, kam niemand auf den Gedanken, die Flut der Eindrücke mit einer hilfreichen Erzählung zu ordnen und das eintönige Wissens-Gebrabbel zu akzentuieren. Auch der monotone Erzählton macht es einem schwer, nicht hämisch los zu spotten. Gibt es noch kein 3D für Stimmen?

„Fascinating India 3D" ist nur wirklich wunderbar in den wenigen Momenten, in denen der Erzähler einfach mal den Mund hält. Kurze Momente. Zudem: Der Schlangenbeschwörer vor imposantem Schloss in Hintergrund ... das bleibt ein Klischee, auch wenn es bislang selten so bildgewaltig, mit derartiger Tiefe und Schärfe daher kam. Und so fällt eigentlich fast jede Szene auseinander: Sehr eindrucksvolle, gestochen scharfe und hochauflösend detaillierte Bilder, atemberaubende Raumtiefen, dazu ziemlich banale Begleiterscheinungen, die einem den Genuss verderben. Wenn man nicht schon vom Gebrabbel - nicht von Brahmanen - sanft entschlummert ist.

Man muss jetzt nicht mal der „Megacities" (1998), des „Workingman's Death" (2005) des vor zwei Wochen verstorbenen österreichischen Regisseurs Michael Glawogger gedenken, um zudem festzustellen, dass so gut wie nicht hinter die Fassaden und in die Leben der Menschen hineingeblickt wird. Kein Kolonialismus, nichts von Heute. Für Letzteres eignet sich eine kleine Handkamera dann doch besser, als ein aufwändiger Fänger pompöser Bilder.

Godzilla (2014)

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USA, Japan 2014 Regie: Gareth Edwards mit Aaron Taylor-Johnson, Ken Watanabe, Elizabeth Olsen, Juliette Binoche, Sally Hawkins, David Strathairn 123 Min. FSK: ab 12

AKW - nein danke! Und: Godzilla - gut! Das Öko-Monster Godzilla sorgt in seinem neuesten Filmauftritt für das Gleichgewicht der Natur und der Film für regenerative Energie aus millionenfachem Kopfschütteln. Das völlig unglaubwürdig zusammengeschusterte Familien-Filmchen von „Monsters-Regisseur“ Gareth Edwards enttäuscht nach Roland Emmerichs Action-Godzilla von 1998 in jeder Hinsicht.

Der Atom-Test am Bikini-Atoll war eigentlich der erste Versuch, Godzilla zu vernichten. Und eine vermeintliche Kernschmelze im japanischen Reaktor 1999 nur die seitdem geheimgehaltene Zwischenmahlzeit der neuen Ur-Kreatur Muto ("Massive Unidentified Terrestrial Organism"), die sich von Radioaktivität ernährt. Nach 15 Jahren entpuppt sie sich wieder, verursacht schwere Erdbeben in Tokio und will sich mit einem Weibchen an der Westküste der USA treffen. Aber irgendwie hat Godzilla was dagegen und taucht aus den Tiefen des Ozeans zu einem Kampf der Titanen in der Bucht von San Francisco auf.

Das eigentliche Monster dieses Films heißt jedoch „Familienrettung“. So präsent ist das verfehlte Thema, dass die titelgebenden Kreaturen eindeutig zu kurz kommen. Denn in den zerstörerischen Fußstapfen der Trash-Ikonen aus japanischer Nachkriegsfantasie rennt die Familie Brody herum und sucht Zusammenhalt: Papa Joe (Bryan Cranston) versuchte einst als Kerntechniker, ein AKW Minuten vor dem Erdbeben abzuschalten (obwohl jeder weiß, das dauert Wochen oder Monate). Dann erlebte er, wie seine Frau (Juliette Binoche mit absurdem Kurz-Auftritt) hinter einer Schiebetür, die tatsächlich vor einer Kernschmelze schützen soll, starb. Der vernachlässigte Sohn Ford (Aaron Taylor-Johnson) kümmert sich fortan besser um seinen Nachfahren und landet in unlogischen, schlecht begründeten oder haarsträubenden Wendungen immer wieder im Zentrum das Geschehens.

Die Godzilla-Filmgeschichte besteht größtenteils aus B- und trashigen Movies. Wenn die Amis wie im Film die Führung übernehmen, wird es kritisch. Schon der Versuch, ein großes Popcorn-Filmchen daraus zu machen, war riskant, gelang Roland Emmerich aber sehr laut und unterhaltsam. Jetzt wird ernst gemacht, bis hin zum verständnisvollen Blick von einem Retter zum anderen. Wobei einer circa 1,80 und der andere eher 180 Meter groß ist. Noch so ein Moment, der „Godzilla“ zum heißen Kandidaten auf den schlechtesten Film des Jahres macht.

Bei zwei langen Stunden gibt es tatsächlich nur zwei bis drei raffinierte Momente und Wendungen. Ansonsten wiederholt der Film seine wenigen Ideen immer wieder - diese Filmsprache stottert sprachbehindert vor sich hin. Beispiel: Dauernd werden Türen geöffnet, hinter denen sich nichts mehr als eine weite Aussicht befindet. Ein Gag, der beim zweiten Mal schon langweilt. Und wenn dann noch Soldaten zum Atommüll-Lager in die Wüste Nevada fliegen, durch Gänge rennen und in jede Kammer schauen, bevor der Raum mit dem zweiten Muto leer und nach außen offen gefunden wird, verpufft wieder viel Aufwand in einer lahmen Pointe. Dass man den riesigen Krater in Sekunden aus der Luft hätte sehen müssen, gehört ins große Kapitel der noch größerer Peinlichkeiten.

Tagelang lassen sich Militärs von elektromagnetischen Impulsen überraschen, sodass immer wieder Flieger wie Fliegen effektiv vom Himmel fallen. Das wissenschaftliche Blabla ist weder überzeugend noch beeindruckend. Die immer gleich eingeführten Auftritte und die heiß erwarteten Kampfszenen der Urzeitviecher verschwinden zusätzlich im Dunkeln eines kaum notwendigen 3D.

Positiv bemerkenswert sind nur ein paar Ellipsen - so wird die Zerstörung von Las Vegas in einem Schnitt ausgespart. Das Muto ist einfach durchmarschiert auf dem Weg zur Hochzeit anderswo. Und eine Szene, in der Fallschirmjäger zu sphärischer Musik wie Sternschnuppen in den Rauch der zerstörten Stadt fallen. Der Kampf zwischen Godzilla und Mothra saust im Nebel vorbei - so hätte ein interessanter Film ausgesehen. So war „Monsters“ durchgehend, doch hier ist weder dessen Regisseur Gareth Edwards noch das Godzilla-Genre wieder zu erkennen

6.5.14

Rosie (2013)

Schweiz 2013 Regie: Marcel Gisler mit Sibylle Brunner, Fabian Krüger, Sebastian Ledesma, Judith Hofmann 106 Min. FSK: ab 12

Der bekannte Schriftsteller Lorenz (Fabian Krüger) kehrt von Berlin zurück in sein Schweizer Heimatdorf als seine Mutter Rosie (Sibylle Brunner) nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus kommt. Weder ihm noch seiner ehegestressten Schwester Sophie (Judith Hofmann) passt die Pflege der eigenwilligen alten Dame, die gerne zu viel trinkt, ins Leben. Lorenz ist ein Schriftsteller, der so erstaunt ins Leben blickt, dass man ihm die wegen des Analytischen gelobten Romane nicht zutraut. Mario, ein jüngerer Mann aus der Nachbarschaft, verliebt sich in ihn, doch der überforderte Großstädter, stößt ihn nach einer gemeinsamen Nacht zurück. Während die Mutter immer wieder Rückfälle bekommt, entdeckt Lorenz spät ein ganz anderes Bild von seinem verstorbenen Vater.

„Rosie" vom Schweizer Marcel Gisler ist ein kleines feines, fast undramatisches Familienstück. Vom ganzen Ensemble (im schweizerdeutschen Original) glaubhaft und vor allem von Sibylle Brunner und Fabian Krüger sehr intensiv gespielt, nähert sich der Film ganz ruhig seinen Menschen an. Die Öffnung von Lorenz für die eigene Schwester und vielleicht eine neue Liebe geht einher mit dem unausweichlichen Umzug der unkontrollierbaren Mutter in ein Pflegeheim. Doch auch dabei vermeidet Gisler in seiner schönen Liebes- und Lebens-Geschichte ausgetretene Pfade.

Zulu (2013)

Frankreich, Südafrika 2013 Regie: Jérôme Salle mit Forest Whitaker, Orlando Bloom, Conrad Kemp, Tanya van Graan 110 Min. FSK ab 18

Die grausame Hinrichtung von vermeintlichen Kollaborateuren im südafrikanischen Apartheitsregime ist gewalttätiger Auftakt und das Trauma der Hauptfigur in „Zulu". Jetzt ist Ali Sokhela (Forest Whitaker), der kleine Zulu-Junge, der so die Ermordung seines Vaters erlebte, Leiter der Mordkommission in Kapstadt. Bei den Ermittlungen wegen einer brutal erschlagenen jungen Frau stößt er mit seinen beiden Kollegen zufällig auf mörderische Gangster. Eine horrende Begegnung, die nicht alle überleben. Alle Stränge führen zu einer neuen Droge, die extrem aggressiv macht, die von Weißen entwickelt wurde, um die schwarze Bevölkerung zu schwächen und zu dezimieren. Dabei ist der haltlose Trinker Brian Epkeen (Orlando Bloom) einer, der auch ohne Drogen ausrastet.

Auch dieser Film zeigt Südafrika - im Original auf Englisch und Afrikaans - als ein extrem gewaltsames Land. Vor teilweise grandiosen und oft deprimierenden Kulissen agieren die drei Kollegen mit komplexen Charakteren und aufgeladenen Hintergründen. Ein Vater, der völlig fertig ist. Ein impotenter Sohn, der sich liebevoll um seine Mutter kümmert. Ein Freund, der seine krebskranke Frau pflegt. Die Erschütterung angesichts einer unfassbaren Brutalität bei den Kriminellen, „diesen Tieren", wie sie im Film selbst genannt werden, ist gewaltig. „Zulu" ist mit aufwändiger Kameraarbeit, sehr intensiven Momenten und großartigem Schauspiel keine leichte Krimi-Kost, wie man es vom TV gewohnt ist. Die positiven Polizisten können letztlich nur selbst gnadenlos morden, trotzdem ist „Zulu", basierend auf Caryl Féreys Roman „Zulu" keiner dieser Rachefilme, sondern ein filmisches Erdbeben, das nicht unberührt lässt.

Turn me on

Norwegen 2011 (Få meg på, for faen) Regie: Jannicke Systad Jacobsen mit Helene Bergsholm, Malin Bjørhovde, Henriette Steenstrup, Beate Støfring, Matias Myren 76 Min. FSK: ab 12

Die 15-jährige Alma (Helene Bergsholm) aus der Provinz ist „spitz", wie sie es selbst ihrer Mutter sagt, als die Selbstbefriedigung per Telefonsex von „Wilde, feuchte Träume" (während der Hund zusieht) eine dicke Rechnung zur Folge hat. Als unverklemmtem Teenager bleiben dem Mädchen bei heftiger Verliebtheit in den Mitschüler Artur (Matias Myren) sonst nur spaßige sexuelle Tagträume. Alma geht ganz offen damit um, was vor allem die eifersüchtige und etwas einfältige Freundin Ingrid (Beate Støfring) nicht vertragen kann. Eine ungeschickte Annäherung des Jungen und seine folgende Feigheit führt zum üblen Mobbing der „Schwanz-Alma". Selbst Emanze Sara (Malin Bjørhovde) traut sich nicht, zur ehemaligen Freundin zu stehen. Als Alma dann noch von Artur eine Abfuhr erhält, haut sie ab in die Stadt zur älteren und klugen Freundin Maria (Julia Bache-Wiig aus „Zwei Leben")...

Das tolle Spielfilm-Debüt von Jannicke Systad Jacobsen nach ihrem eigenem Buch erzählt auch vom Außenseiter-Gefühl, ist aber vor allem ganz einfach eine schöne, leichte Geschichte davon, Lust zu haben. Das muss - Skandinavien sei dank - nicht immer so wie in verklemmt obszönen Ami-Filmchen a la „American Pie" verlaufen. Auch von den „Eis am Stiel"-Dämlichkeiten aus dem letzten Jahrhundert ist „Turn me on" weit entfernt. Er erinnert nicht nur wegen der Begrüßung des Ortschildes mit dem Stinkefinger an Lukas Moodyssons „Fucking Åmål" und bietet jungen Jugendlichen viel positive Identifikation. Leider verdirbt die deutsche Synchronisation mit dem üblichen Dosenklang und mäßig passenden Stimmen etwas den Spaß.

Labor Day

USA 2013 Regie: Jason Reitman mit Kate Winslet, Josh Brolin, Gattlin Griffith, Tobey Maguire 111 Min. FSK: ab 6

Ein neuer Film von Jason Reitman - das macht sehr neugierig! Denn der Regisseur von „Juno" (2007) konnte auch mit den Nachfolgern „Up In The Air" und „Young Adult" Interessantes zeigen. Nun gelingt ihm mit Kate Winslet und Josh Brolin ein vielfältig spannender und ungewöhnlich erotischer Liebesfilm.

Der 13-jährige Henry (Gattlin Griffith) muss sich früh, zu früh um seine psychisch labile Mutter kümmern, nachdem der Vater die Familie verlassen hat. So ist es auch er und nicht die immer abwesende Adele (Kate Winslet), der sich im Supermarkt von stillem Druck zwingen lässt, einen verletzten Mann mit nach Hause zu nehmen. Der entflohene und verletzte Sträfling Frank (Josh Brolin) sucht ein Versteck, bevor er mit der Zuglinie, nicht fern vom Haus, weiter fliehen kann. Aber schnell entwickelt sich eine besondere Beziehung zwischen dem Trio. Sehr sanft fesselt Frank Adele - nur für den Eindruck, falls jemand sie erwischt, und füttert sie fast liebevoll. Und in einer Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden kennt, stehen dauernd Nachbarn sehr fürsorglich an der Haustür.

Knisternde Spannung erfüllt diesen „Labor Day" nicht nur, weil draußen die Polizei patrouilliert. Auch die Atmosphäre zwischen den beiden Erwachsenen ist aufgeladen. Und für Henry, der immer der Beobachter und Erzähler ist, gibt es plötzlich einen besseren Vater, der mit ihm Baseball spielt. Zudem kümmert Frank sich ums Haus, repariert das Auto, macht ein sehr leckeres Frühstück, putzt und räumt auf. Die ungewöhnliche Situation zieht sich hin, weil es das Labor Day-Wochenende ist und deshalb keine Züge fahren. Doch schließlich bittet Adele ihn sogar zu bleiben. Und bringt ihm das Tanzen bei.

Adele lebt sichtbar auf. Auch wenn die Umarmungen beim Baseball spielen und Teig kneten fast schon kitschig sind, so eine erotische Lektion in Sachen (Teig) kneten, hat man seit „Ghost - Nachricht von Sam" nicht mehr gesehen. Auch wenn die heimliche Familie im idyllischen, weich gezeichneten Bild Pfirsich-Kuchen backt, jedes Mal, wenn ein Messer ins Bild kommt, droht auch Gefahr. Und die Frage, ob der zu 18 Jahren Haft verurteilte Mörder wirklich so ein guter Mensch sein kann.

Bereits der Titel „Labor Day" ist eine Zeitangabe und die geheime Zutat dieser der wunderbaren Liebesgeschichte ist Zeit. Schon beim Vorspann fahren wir sehr lange durch eine ländliche Umgebung in die Stimmung des Jahres 1987. Dann lässt Regisseur Reitman dem Zuschauer viel Zeit, sich in die Psyche des Zuschauers Henrys hinein zu versetzen, der sehr erwachsen mit aufkeimender Eifersucht umgeht. In zuerst rätselhaften Rückblenden wird gezeigt, was Frank zum Mörder machte. Und schließlich, rührend und erschütternd, die ausführliche Schilderung von Adeles furchtbarem Leiden an einer Fehlgeburt. Zur Krönung dieses Meisterwerks anders knisternder Gefühle gibt es eine Liebeserklärung: „Ich würde 20 Jahre verbüßen, nur um noch mal 3 Tage mit dir zu verbringen!"

Selbstverständlich kann dieser großartige Film nur mit Kate Winslet gelingen, die sich wieder extrem ungeschminkt zeigt, vor allem am Anfang mit unfassbar müdem Gesicht. Auch Josh Brolin ist mit der Sanftheit und Härte, die auch seine breit gefächerte Filmografie („Oldboy", „True Grit", „Milk") wiederspiegelt, eine Idealbesetzung. Und der junge Gattlin Griffith eine Entdeckung. Die war Jason Reitman noch bei „Juno", mittlerweile kann man ihn bei den ganz Großen einordnen.

3 Days to Kill

USA/Frankreich 2014 Regie: McG mit Kevin Costner, Amber Heard, Hailee Steinfeld, Tómas Lemarquis, Richard Sammel 116 Min. FSK: ab 12

Der mit dem Wolf spielt

Nach einer heftigen Schießerei zwischen CIA und Waffenhändlern in Belgrad, nach der Explosion eines herrlich kastigen Hotelbaus des Sozialismus, nach atemloser Verfolgungsjagd stellt der erfahrene Agent Ethan Runner (Kevin Costner) den kahlen Killer namens Albino (Tómas Lemarquis). Der nächste Schuss könnte alles beenden - in den ersten zehn Minuten des Films. Doch Ethans Blick verschwimmt, er fällt in Ohnmacht und Albino wird ihm noch viele Probleme machen. Genau wie Ethan sein Gehirntumor. Denn in dieser gelungenen Variante der „Letzter Auftrag"-Formel streckt mal nicht Alkohol und Lebensüberdruss den tragischen Helden nieder. Der charismatische und überaus lässige Agent besinnt sich für die wenigen Wochen, die ihm noch bleiben, auf seine vernachlässigte Tochter in Paris.

Die 16-Jährige ist nicht begeistert, als Papa ausgerechnet mit einem sehr lila Fahrrad ankommt. Doch es ergibt sich, dass Mama einen Babysitter braucht und sich in Ethans eigener Wohnung eine Migrantenfamilie eingenistet hat, die er laut Gesetz nicht vor dem Frühjahr rausschmeißen darf. So gibt er den verspäteten Babysitter, während er zwischendurch für die mysteriöse Auftraggeberin Vivi Delay (Amber Heard) den deutschen Gangster-Boss Wolf (Richard Sammel) jagt. Als Belohnung wird ihm ein nicht ausgetestetes Heilmittel versprochen. Das führt dazu, dass Ethan seine regelmäßigen Foltern unterbricht, um die Opfer nach Erziehungstipps und Pasta-Rezepten zu fragen!

Produzent und Ko-Autor Luc Besson („Transporter") mixt für sein Action-Spaß-Rezept eine ganze Menge bekannter Zutaten, doch die besondere Ingredienz Kevin Costner veredelt den hochwertigen Routine-Auftrag. Selbstverständlich ist der „Postman", der sich hier gerade keinen Wolf spielt, so altmodisch, wie er und seine Rollen schon immer waren. Scherze über das relative Alter der Zielperson und eine Mode-Diskussion über Bart-Stile der Opfer ziehen sich durch den Film wie Bemerkungen über Ethans zeitlose Lederjacke mit Schal. Doch, der hier den Wolf jagt, kann das ab. Wie er mit viel Lässigkeit durch Paris fährt, macht sogar Postkarten-Motive erträglich und die sinnlose Autoraserei vom „Taxi"-Produzenten Luc Besson.

Ob bei der Folter eines sehr haarigen Griechen mit Klebeband-Waxing oder der Enthauptung per Aufzug der Spaß aufhört, muss jeder selbst entscheiden. Dass die reizvolle Vater-Tochter-Annäherung mit vielen guten Nebenfiguren und die Hauptfigur über vielfältige Beziehungen mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen charakterisiert werden, zeigt noch einmal, dass auch alte Sachen gut sein können.

5.5.14

Über-Ich und Du

BRD 2014 Regie: Benjamin Heisenberg mit André Wilms, Georg Friedrich, Susanne Wolf, Margarita Broich, Bettina Stucky, Maria Hofstätter, Eisi Gulp 94 Min.

Die Begegnung eines vor seinen Schulden davonlaufenden kleinen Gauners mit einem großen, alten Psychologen, der spät seine Schuld im Nazi-System aufarbeiten will, schlägt in dieser geistreichen Komödie reichlich Funken. Mit Georg Friedrich und André Wilms genial besetzt, überrascht Benjamin Heisenbergs Nachfolger von „Der Räuber" in einem ganz anderen Genre äußerst positiv.

Darf man mit dem Unbewussten Schabernack treiben? Regisseur Benjamin Heisenberg („Schläfer", „Der Räuber") gelingt dies mit dem fulminant aufspielenden, ungleichen Pärchen André Wilms und Georg Friedrich vortrefflich: Friedrich ist der Filou Nick, der sich auf der Flucht vor Geldeintreibern zufällig in dem doch nicht leerstehenden Nobelbungalow des hochbetagten Star-Psychologen Curt Ledig (Wilms) verstecken will. Nun offiziell Hausverwalter, zieht der Gauner das geistige Genie mit in die Unterwelt, wo die Hehlerin „Mutter" kräftig Prügel austeilen lässt, weil noch eine Schuld offen steht. Auf der Hand liegende Fragen wie „Hat Mutter dich schon früher geschlagen?" sind nur ein Anlass, um den kleinen Gangster in den unmöglichsten Situationen der Psychoanalyse zu unterziehen. Dabei hat auch der Psychologe, der seit Jahrzehnten keine Therapie mehr gemacht hat, Schuld. Seine Karriere, die später mit Bundesverdienstkreuz und Karlspreis honoriert wurde, begann mit Hilfe von Goebbels. Nun will der alte Mann, der nicht nur am Stock, sondern gleich an zwei Walking-Stöcken geht, diese Vergangenheit aufarbeiten. Und gleichzeitig diesen „nicht uninteressanten Mann", diesen „freundlichen Rumtreiber, widerspenstig und wütend" therapieren. Dabei geht allerdings einiges schief, in einer Übersprungsreaktion übernimmt Nick das Zucken der Augen (im akrobatisch raschen Wechsel) von Ledig. Auch dessen vermeintliche Unmöglichkeit, Küchen zu betreten, befällt nun den Herumtreiber. Es muss zu drastischeren Methoden gegriffen werden, während die herbeigeeilte Familie der Psycho-Koryphäe versucht, den Patriarchen zu schützen.

Der Gangster und der Psycho - so was gab es schon mal mit DeNiro, doch Benjamin Heisenberg macht es geistreicher und auch ein wenig verrückter. Für die verrückte filmische Versuchsanordnung wirken die beiden Hauptdarsteller wie geschaffen: Georg Friedrich ist ein Meister im proletarisch österreichischen Dialekt und einer Mimik, die sich grob aggressiv gibt, aber oft mit der Angst eines kleinen Jungen endet. Eine „Promenaden-Mischung aus Kanal- und Lese-Ratte". André Wilms, bekannt von Kaurismäkis „La vie de la Boheme" und „Le Havre", gibt den verrückten Professor aus dem Elsass mit natürlich französischem Akzent und einem herrlich naiven Witz in seinen Sätzen. Nicht nur wenn die „Sinnkrise des kleinen Gangsters" mit „Nazi-Voodoo" behandelt wird, machen auch solche Ausflüge ins Absurde viel Spaß. Psychologische Hauptseminare mögen sich in den nächsten Jahrzehnten mit den versteckten Referenzen und tiefer liegenden Bedeutungen auseinandersetzen. Selbst wenn sich das Finale etwas im Chaos verliert - fürs Erste vergnügen diese Psycho-Buddies auf ungewöhnliche Weise aber vortrefflich.

Bad Neighbors

USA 2014 (Neighbors) Regie: Nicholas Stoller mit Seth Rogen, Zac Efron, Rose Byrne, Christopher Mintz-Plasse, Dave Franco 97 Min. FSK: ab 12

Mac (Seth Rogen) und Kelly Radner (Rose Byrne) sind angekommen, haben alles, was man sich wünscht: Ehe, Baby, Eigenheim in ruhiger Wohngegend. Allerdings auch keine Energie für Partys mehr und Mac kifft nur noch heimlich auf der Arbeit. Wie gemein, dass dieses Pärchen, das sich immer noch jung glaubt, ausgerechnet eine wild feiernde Studentenverbindung ins Nachbarhaus gesetzt bekommt. Jetzt will man ja nicht spießig sein, aber das „Haltet euch zurück!" kommt bei der ersten Begegnung nicht ganz entspannt von den Lippen. Aber die erste Nacht wird noch gemeinsam wild gefeiert. Was sich in der zweiten Nacht als Fehler erweist, weil auch da wieder durchgemacht wird und die herbeigerufene Polizei auf Handy-Videos die Anrufer selber beim Feiern sieht. Ab jetzt führt das exzessive Feiern zu einem eskalierenden Kleinkrieg zwischen Bürgern und Studenten.

Das sind schon viel zu viele Worte für die vorhersehbare Grundkonstellation des Films, die nur mit ausführlichen Szenen von Studenten-Orgien und Koma-Saufens angedickt wird. Wobei dies jetzt nicht ein wilder, junger Spaß-Film im Stile von „Projekt X" ist. Selbst der Klassiker „Animal House" von John Landis ist dagegen komplexes Meisterwerk und Lacherfolg. Wir befinden uns mit „Bad Neighbors" auf der anderen Seite des Spaßes und letztlich wird die Biederkeit familiärer Langeweile siegen. Das einzig Wilde das bleibt, ist sich weiterhin pubertäre Filme anzusehen. Denn im Geiste des „lebenslänglich pubertär" vieler Komödien - siehe „Jungfrau (40), männlich, sucht..." und andere Produktionen von Judd Apatow - hat „Bad Neighbors" selbstverständlich auch Bad Taste-Humor, mit Muttermilch-Spritzereien und Gummi-Dildo-Duell. Kurz: Viel ungebrochen Erbrochenes.

Seth Rogen spielt das Problem wie immer mit seinen Albernheiten über der ebenfalls sichtbaren Frustration, ist aber weit weg von der Tiefe seiner guten Rolle in „Take This Waltz". Eine doppelte De Niro-Parodie der Gegenspieler Zac Efron und Dave Franco muss reichen, damit wenigstens der Trailer nicht abschreckt. Das Missverhältnis von Qualität und Quantität erreicht mit „Bad Neighbors" wieder einen Höhepunkt, denn wahrscheinlich zeigen die meisten Kinos wieder diesen sehr schwachen aber lauten Film, während man nebenan die Qualitätsfilme nicht mehr verstehen kann.