31.10.18

Bohemian Rhapsody

USA, Großbritannien 2018 Regie: Bryan Singer, Dexter Fletcher, mit Rami Malek, Ben Hardy, Mike Myers 135 Min. FSK ab 6

Die Geschichte der Band „Queen" ist Pop-Geschichte, die eine ganz Menge Hits wie „We will rock you"', „We are the Champions" oder „Bohemian Rhapsody" hervorbrachte. Im Rampenlicht stand bei Queen immer der Frontmann Freddie Mercury und so erzählt dieses „Biopic" auch von den frühen Jahren Freddie Mercurys und der Band Queen bis zum „Live Aid"-Konzert 1985.

Der Film beginnt und endet großartig mit Queens legendärer Live Aid-Performance. Das Benefizkonzert war ein Kulturereignis der 80er-Jahre und viele populäre Musiker auf zwei Bühnen, dem Wembley Stadion in London und dem John F. Kennedy Stadion in Philadelphia. Live Aid brachte aber auch die Band wieder zusammen, nachdem Mercury für sechs Jahre nach Deutschland umgezogen war, wo er zwei Soloalben aufgenommen hatte, dabei in Drogen- und Alkoholmissbrauch abgerutscht war.

Mercury wurde 1946 als Farrokh Bulsara auf der Insel Sansibar geboren und wuchs im britisch besetzten Indien auf. 1964 brachten Unruhen seine Familie nach London, wo er 1969 auf die Queen-Vorgängerband Smile traf. Als Roadie begleitete er sie und gründete 1970 mit Brian May und Roger Tayler Queen. „Bohemian Rhapsody" wirkt in diesem scheinbar unaufgeregten und vor allen Dingen sehr spaßig Auftakt wie Karriere im Schnelldurchlauf. Bis Mercurys Solo-Trip plötzlich ein Leben mit Reichtum, Einsamkeit und Exzessen zeigt, die nicht besonders aufregend gefilmt sind. Mit dem Auftritt von AIDS in Freddies Leben wird „Bohemian Rhapsody" endgültig ein ungemein bewegender Film, der seine vielen Hits nicht nur runterspielt. Im grandiosen Konzert-Finale kommen alle Fäden zusammen und jeder Song fließt vor emotionsgeladenen Bedeutungen über. So sieht es aus, als wenn man Freddie Mercury am besten würdigt, wenn man ihn einfach auftreten lässt.

Regisseur Bryan Singer, der nach seinem ersten Erfolg „Die üblichen Verdächtigen" selbst bei einem Action-Spektakel wie „X-Men" dem diskriminierten Individuum Raum gibt, findet im Farrokh Bulsara, der multikulturell aus dem britisch besetzten Indien stammte, seinen markanten Überbiss nie korrigieren ließ und nach einem exzessiven bisexuellen Leben 45-jährig 1991 an AIDS starb, einen passenden Protagonisten. Wenn auch die Hits nicht fehlen dürfen, der Film ist kein Queen-Musical geworden. In die Entwicklung vom diskriminierten „Paki", vom Flughafen-Hilfsarbeiter zum Weltstar, zur rockenden Pop-Diva Sehr wurde sensibel und unaufdringlich die Angst vor und das Leben mit Aids in diesen Pop-Film eingebaut. Rami Malek („Mr. Robot") schafft es, den Gefühlen des einsamen Stars Ausdruck zu geben, und schlüpft mit Zahnprothese so überzeugend in die Person Mercurys, dass man bei dessen Originalbildern im Abspann denkt, der sieht aber „nicht richtig" aus.

Dass unter den vielen Gänsehaut-Liedern „Somebody to love" eine prominente Rolle bekommt, ist bezeichnen: Dies ist ein Film über jemanden, den man Lieben muss. Mit seinen Unsicherheiten und seiner rücksichtslosen Exaltiertheit. Beschönigungen waren zu erwarten, weil mit Brian May und Roger Tayler zwei ehemalige Bandkollegen Ko-Produzenten waren. Und der Film zeigt gerade, dass auch dieses Familien-Leben in der Familie Band nicht einfach war.

29.10.18

Touch Me Not

Rumänien, BRD, Tschechische Republik, Bulgarien, Frankreich 2018 Regie: Adina Pintilie, mit Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein 125 Min. FSK ab 16

Der heftig diskutierte „Goldene Bär" der diesjährigen Berlinale ist ein scheinbar dokumentarisches und experimentelles filmisches Abtasten von Sexualität. Als Handlungsfaden begleitet die rumänische Regisseurin ein paar fragmentarische Figuren bei deren Suchen nach körperlicher Nähe. Ein Strang verfolgt eine ältere Frau mit Berührungsängsten, die sich zur Überwindung dieser unter anderem mit einem transsexuellen Callboy trifft. Andere lädt sie zur Selbstbefriedigung ein, beobachtet die Berührungstherapie einer Gruppe behinderter Menschen. Stroboskopisch blitzen dunkle Szenen aus einem Swinger-Club auf. Dies jedoch keineswegs pornografisch, dazu verweigert sich „Touch Me Not" zu sehr den „schönen" Bildern.

Und letztlich tritt auch die Regisseurin Adina Pintilie selbst auf, die erst nur in der Spiegelung des Kameramonitors zu sehen ist und andere über ihre Sexualität befragt. Aber irgendwann wechselt sie sehr bewegt mit der älteren Frau die Position, gibt mit einem persönlichen Statement den Rahmen des Films. Denn im Epilog kommt die Liebe ins Spiel, eine vergangene.

Zwischendurch tönen experimentelle Klänge und auch ein Song der „Einstürzende Neubauten". Man erfährt über akustische Interview-Aufnahmen etwas über die Protagonisten. Oder Porträtierten? Schon bei der Benennung der Subjekte versagt die übliche Beschreibung. Zwei professionelle Schauspieler sind dabei, Laura Benson spielte einst in „Gefährliche Liebschaften". Der Isländer Tómas Lemarquis, markant glatzköpfig zu sehen in „Snowpiercer" und „Blade Runner 2049", bringt die persönliche Geschichte seines kompletten Haarverlustes ein. Doch der Mechanismus der Identifikation tut sich schwer, bei diesem fast experimentellen und dann doch wieder sehr persönlichen Erstlings-Film. Ein Film, so weit weg vom Mainstream, dass der Hauptpreis der Berlinale sicherlich auch einen Überdruss an konventionellen Erzählstrategien ausdrückt.

25 km/h

BRD 2018 Regie: Markus Goller, mit Lars Eidinger, Bjarne Mädel, Franka Potente, Alexandra Maria Lara, Sandra Hüller 116 Min. FSK ab 6

Mit zwei alten Mofas und Vollgas ins verrückte Vergnügen! Schauspiel-Gott Lars Eidinger und Komödianten-König Bjarne Mädel fahren als entfremdete Brüder auf einen genialen Road-Trip, finden sich selbst und viel Spaß.

Der eine lebt in Singapur, aber sieht nur sein Geschäft und nichts von der Welt. Der andere immer noch im Schwarzwald, wo er den Vater pflegte. Zu dessen Begräbnis kommt der überaus geschäftige Jetsetter Christian (Lars Eidinger) selbstverständlich zu spät. Mit Bruder Georg (Bjarne Mädel) prügelt man sich deshalb noch auf dem Friedhof. Abends im alten Haus der Familie dauert es eine Weile und ein paar Bier, bis der frustrierte Georg überhaupt den Mund aufmacht. Ein paar Flaschen später spielen sie wieder wie in Jugendtagen Tischtennis. Unter den Tisch geschmettert und gesoffen, entdecken sie schließlich die detaillierte Karte ihres gemeinsamen Jugendtraums: Mit dem Mofa quer durch Deutschland bis an die Ostsee. Mit genügend Alkohol im Tank und den Mofas aus der Scheune geht es noch in der Nacht los. Erst am nächsten Morgen, verkatert im schicken Wellness-Hotel, denken der Gestresste und der Frustrierte über ihren Plan nach. Zu dem gehört unter anderem viel saufen (check!), Sex haben, mit Arschbombe in den See und die ganze Karte vom Griechen aufessen!

„25 km/h", das genialste Road-Movie seit „Easy Rider", ist auch für das Publikum ein 70er-Flash mit The Cure, T-Rex und Bonanza-Rad, eine deutsche „Blues Brother"-Verbeugung, ein sensationeller Spaß und feinster Schauspiel-Genuss. Die schöne Geschichte zweier unterschiedlicher Brüder, die nach 30 Jahren in einem verrückten Abenteuer wieder zueinander finden, reicht schon für einen guten Film. Exzellent wird „25 km/h" durch die Besetzung.

Bühnen-Star Lars Eidinger (zwischen „Babylon Berlin" und Mackie Messer) muss sich im Haus der Kindheit („alles wirkt so klein") nur die Krawatte um den Kopf binden, um wieder wildes Kind zu sein. Die Rampensau darf er beim Stepptanz auf dem Weinfest rauslassen, dabei deutsche Spießigkeit anschreien und nackten Hintern zeigen. Eidinger hat selbst auf dem Moped mit Chopper-Lenker und Rückenlehne a la Bonanza-Rad noch was von einem Shakespeare-Prinzen. Bjarne Mädel, der zu sehr auf Bert aus „Stromberg" und den genialen „Tatortreiniger" (auch dort schon mal mit Eidinger) reduziert wird, hält nicht nur beim Steppen mit dem Super-Star mit. Beide grandiosen Vollblutschauspieler spielen so, dass man es sich nicht anders vorstellen kann, als dass sie selbst extremen Spaß beim Dreh gehabt haben. Beim Mofa-Rasen am Geschwindigkeits-Blitzer, beim Tischtennis-Spielen, beim Baden im einsamen See. So sehr die beiden als Christian und Georg in ihre Rollen-Klischee passen, sie übererfüllen diese Rollen enorm.

Die eigentliche Überraschung ist jedoch Regisseur, Ko-Produzent und Cutter Markus Goller: Dass der Macher von „Simpel" (2017) oder „Eine ganz heiße Nummer" (2011) so eine perfekte menschliche Komödie hinlegt, hätte man nicht erwartet. Hier ist der Dialog große Klasse (Buch Oliver Ziegenbalg ), das Timing des entschleunigten Road-Movie stimmt, die Kamera von Frank Griebe gut wie immer. Warum wird nicht mal so was zum Oscar eingereicht? Aber bis dahin gilt das Motto „Denk einfach nicht nach und lass uns fahren", ins nächste Kino!

Der Trafikant

Österreich, BRD 2018 Regie: Nikolaus Leytner, mit Simon Morzé, Bruno Ganz, Johannes Krisch 114 Min. FSK ab 12

„Bis vor kurzem war ich noch ein Kind, jetzt bin ich noch kein Mann..." Und mitten hinein geworfen in das unruhige Wien des Jahres 1938, sind Beobachtungsgabe und Urteilsvermögen des 17-jährigen Franz Huchel (Simon Morzé) aufs schärfste gefordert. Nachdem daheim auf dem Land der generöse Liebhaber der Mutter vom Blitz getroffen wurde, beginnt Franz als Lehrling beim Wiener Trafikanten Otto Trsnjek (Johannes Krisch). Dessen Tabak- und Zeitschriften-Laden liegt in der etwas zu übersichtlich positionierten Wiener Filmstraße links vom rechten Nazi-Fleischer.

Es sind sehr bewegte Zeiten, denn Nazi-Gewalt übernimmt die Stadt, auch die Mutter schreibt im Briefwechsel vom Land: „Überall hängt jetzt der Hitler, direkt neben dem Jesus". Bald wird sich dieser Hitler seine Heimat wie ein Stück Fleisch einverleiben. Im Vorfeld zerstören Rechte immer wieder den Laden des Trafikanten, nur weil der beim-amputierte Kriegs-Veteran Otto jüdische und internationale Zeitungen anbietet. Und ganz mutig nicht das Nazi-Blatt.

Einer seiner Kunden ist der „Deppendoktor für Leute, die es sich leisten können" Sigmund Freud. Franz versorgt den alten Mann bevorzugt mit Zigarren und erhofft sich Rat in Liebesdingen. Der unerfahrene Provinzler verliebte sich nämlich schlagartig in die böhmische Varietétänzerin Anezka (Emma Drogunova). Mit den üblichen Folgen Euphorie und Schmerz.

Die Verfilmung von Robert Seethalers Roman „Der Trafikant" macht aus dem üblichen Narren als Beobachter einen sehr sensiblen jungen Mann, der in seinen Tagträumen immer das Richtige macht, sich in der Realität aber nicht traut. Sowohl gegenüber seiner großen Liebe Anezka als auch gegenüber den brutalen, rechtlosen und gemeinen Nazis. In seinen echten Träumen, wo die sehr ansprechende Bildgestaltung des Films surreal ihren Höhepunkt findet (Kamera: Hermann Dunzendorfer), zeigt sich die manifeste Bedrohung in bildgewaltigen Metaphern. Wie die vom Eisberg, der den Kahn Franzens zu zerquetschen droht. Eigentlich bestes Material für den Traumdeuter Freud, doch der erweist sich bei dem jungen Mann, den er freudig interessiert unter seine Fittiche nimmt, eher als praktischer Ratgeber. Der selbst den Rat, schleunigst nach London zu fliehen, nicht hören will.

Mit solchen dramatischen Details der Zeitgeschichte, an der bald dichtende Franz ein wenig Anteil hat, ist „Der Trafikant" in aktueller Sichtweise eine Ergänzung zum Berlin des Jahres 1929 der TV-Serie „Babylon Berlin". Nur halt für Wien und wesentlich weniger spektakulär. Ein gutes, schön anzusehendes Bildungsbürger-Programm mit interessant gezeichneten und auch gespielten Figuren. Zur rechten Zeit, weil es wieder an der Zeit ist, die Rechten zurückzuweisen. Leider geht der Schweizer Bruno Ganz nie ganz in der Rolle des Österreichers Prof. Freud auf. Er spielt wie gewohnt einen jovialen Onkel, deutet Altersstarrsinn und Gebrechen an, kann aber nie eine selbständige Figur aufleben lassen. Insgesamt reiht er sich in die anständige Verfilmung eines sicherlich packenden Romans ein.

23.10.18

Wildhexe

Dänemark 2017 (Vildheks) Regie: Kaspar Munk, mit Gerda Lie Kaas 96 Min. FSK ab 6

Clara erlebt irritierende Veränderungen nach ihrem 12. Geburtstag: Sie riecht von weitem, dass der Tunfischsalat der Mitschülerin verdorben ist und Tiere reden mit ihr. Auf dem Hof einer Tante, von dem sie noch nie was gehört hat, landet sie im einem Paradies für Tiere. Sie ist nämlich eine Wildhexe und die neue „Wächterin der Wilden Welt". Zusammen mit ihrer Tante Isa, ihren Freunden Oscar und Kahla soll sie die Natur und sich selbst retten – und dafür muss sie gegen die mysteriöse Chimära kämpfen.

Der Jugend-Fantasyfilm, der in einigen Szenen ästhetisch stark von „Game of Thrones" beeinflusst ist, basiert auf der gleichnamigen dänischen Kinderbuchreihe von Lene Kaaberbøl. Nicht nur für die fantastischen Welten wurde einiger Aufwand betrieben. Die diesseitige Geschichte Claras, ihre Ausbildung zur Wildhexe im geschützten Hag ihrer Tante, deutet im idyllischen und gemächlichen Fortschreiten erst nur die Bedrohungen durch die mysteriöse Chimära an. Bis Clara aus der grünen Welt entführt in einem dunklen Reich landet. Die Kombination der typisch irritierenden Teenager-Welt mit einer starken Fantasy-Geschichte und eindrucksvollen großen Landschaftsaufnahmen hebt sich von den vielen ähnlichen Ansätzen ab, indem hier nicht das Leben und Empfinden der 12-Jährigen den Effekten geopfert wird. Bereits die besonders gelungene Verfilmung „Hüterin der Wahrheit" zeigte diese Qualitäten der dänischen Autorin Lene Kaaberbøl.

Wuff

BRD 2018 Regie: Detlev Buck, mit Emily Cox, Johanna Wokalek, Marie Burchard, Kostja Ullmann 114 Min. FSK ab 6

Hundefilme sind eigentlich so unangenehm wie sabbernde Bernhardiner oder vollgeschissene Gehwege. Doch jetzt kommt Buck! Das ist keiner der Hunde vom „Wuff"-Plakat, das ist der Regisseur und Ko-Autor Detlev Buck, der wieder beweist, einer der besten in Deutschland zu sein. Diesmal zaubert er eine belanglose Beziehungskomödie um vier frustrierte Frauchen derart leicht auf die Leinwand, dass man glatt „Hollywood!" denkt.

Ellas Oscar nimmt sich immer alles und glotzt dich dann unverschämt unschuldig an. Nein, Oscar ist kein schlecht erzogener Köter. Oscar (Holger Stockhaus) ist Partner der Journalistin Ella (Emily Cox). Privat und in der Redaktion. Als Oscar ihr den Job der Redaktionsleitung wegschnappt und gleich seine Geliebte auf das Cover des Heftes bringt, ist er raus aus Wohnung und Beziehung. Dafür zieht der Hund Bozer bei Ella ein, der allerdings immer wegläuft.

Die Erklärung liefert Ellas Freundinnen-Quartett, genauer die Wahrsagerin und Katzenfreundin unter ihnen: Die Tarot-Karten empfehlen eindeutig „Folge dem Hund". Der rennt in den Wald, wo sich der junge Förster (Kostja Ullmann) kopfschüttelnd in die naturfremde Frau verliebt.

So leicht kann es gehen und geht es eigentlich immer in Bucks unproblematischer Beziehungs-Komödie „Wuff". Johanna Wokalek gibt zwar die Problem-beladene Mutter Cecile, die dauernd ihren kleinen Sohn mit Down-Syndrom verteidigen muss, aber selbst als sich die Attacken ihres Hundes gegenüber ihrem Mann als Gesundheitswarnung herausstellen, ist das kleine Drama eher Hintergrund für eine kuschelige Musikmontage. Zu freundlich nimmt die Standard-Dramaturgie mit den unerlässlichen kleinen Katastrophen im vierten Akt die Zuschauer mit.

Dass Buck, selbst als Mitarbeiter im Tierheim zu sehen, bei aller Leichtigkeit im Ensemble der Hundehalter nicht verärgert, ist schon ein Kunststück. Das vor allem durch die Konzentration auf die interessanten Figuren bei Vermeidung von „Oh wie süß"-Momenten gelingt. Frederick Lau hält als gescheiterter Hertha-Fußballer Oli Simon die Handlungsfäden und als kläglicher Hundeflüsterer die Hunde-Leinen zusammen. Der verschuldete Zocker schnappt nämlich Ellas und Ceciles rauer Freundin Silke (Marie Burchard) die Kunden ihrer Hundepension weg. So sammeln sich um ihn ein paar schräge Vier- und Zweibeiner, es gibt ein Hundefußball-Spiel, das eigentlich ziemlich egal für die Handlung ist.

Hier ist Buck richtig Buck, mit ganzem Herz bei den Außenseitern und den seltsamen Vögeln. So kennen wir den Regisseur seit seinen ersten kleinen Erfolgen mit „Karniggels" und „Wir können auch anders". Bereits beim netten Pferdefilm „Hände weg von Mississippi" war er auf das Tier gekommen. Die damalige alte Dame Katharina Thalbach hat hier wieder eine klasse Rolle als lüsterne Hunde-Oma. Einer der vielen Cameo-Auftritte, mit denen Buck seine Film anreichert: Milan Peschel und Judy Winter tauchen ebenso auf wie Ferdinand von Schirach oder der Rapper Romano. Harald Martenstein gibt den verpeilten Chefredakteur Harald. Kida Khodr Ramadan ist mit seinem Hund Gangster voll im Rollen-Klischee aus „4 Blocks" drin.

Das wäre jedoch alles nur Geplänkel, wenn der Film mit seinen Menschen nicht funktionieren würde. „Wuff" ist vor allem Menschen- und erst später Hunde-Film. Zum locker flockig unterhalten werden. Und zum Bewundern von Bucks Können in auch diesem Genre.

22.10.18

Gänsehaut 2

USA 2018 (Goosebumps 2: Haunted Halloween) Regie: Ari Sandel, mit Wendi McLendon-Covey, Madison Iseman, Ken Jeong 90 Min.

Während die großen Kinder seit 40 Jahren „Halloween" mit den immer gleichen Figuren sehen müssen, wird mit „Gänsehaut 2" sehr ungeschickt versucht, eine neue, literarische Horror-Reihe aufzumachen. Man muss nachdrücklich darauf hinweisen, dass auch dieser Film, wie der erste aus dem Jahr 2015, auf Stoffen des weitgehend unbekannten Jugendbuchautors R.L. Stine basiert. Jack Black spielt ihn diesmal nur lieblos und beiläufig in den letzten Szenen. Die Idee, dass haufenweise fantastische und meist schreckliche Figuren seinen Büchern entschlüpfen, blieb gleich. Das Personal ist komplett neu und wenig(er) beeindruckend: Die große Schwester will Halloween feiern, der kleine Bruder hat derweil beim Ausräumen eines alten Horror-Hauses ein Buch und eine dämonische Bauchredner-Puppe gefunden. Dieser Slappy erweckt bald mit Hilfe alter Tesla-Techniken den ganzen Kommerz-Kitsch rund um Halloween zum Leben. Ein Overkill an Horror-Figuren überschwemmt das Städtchen und den Film. Zum Glück ist die große Schwester eine noch unentdeckte Autorin, die das Manuskript von R.L. Stine zu einem guten Ende schreiben kann.

Die Routine dieses Zweiten Teils fühlt sich an wie Strafarbeit für Produzenten und Regisseure. Die Geschichte der Figuren ist sehr lahm, bis Slappy einen ganzen Kostümladen belebt. Danach läuft ein Beschäftigungsprogramm für die Trickabteilung ab, während die Drehbuchautoren auf Betriebsausflug waren. Oder hat das Skript der 16-jährige Babysitter vom Gärtner des Produzenten geschrieben? Nach dem Motto: Hauptsache was mit Halloween! Jack Black alias R.L. Stine gesteht in seinem Kurzauftritt auch, dies sei eine Amateur-Arbeit, als Jugendlicher geschrieben. So sieht diese Fantasy mit beschränkter Fantasie denn auch aus.

Halloween (2018)

USA 2018 Regie: David Gordon Green mit Jamie Lee Curtis, Judy Greer, Andi Matichak, Will Patton 109 Min. FSK ab 16

Nachdem er vierzig Jahre mit Maske und Messer in der Filmgeschichte rumstocherte, hätte Michael Myers eigentlich eine gnädige Frührente verdient. Ebenso das Publikum. Doch Carpenters „Halloween", diese grausame Art, Kasse zu machen, wird sicher auch nach diesem Tod von Michael Myers weiter ausgeschlachtet. Auch noch immer dabei ist Jamie Lee Curtis als blutrüstige Oma Laurie. Zusammen mit Tochter und Enkelin (#meetoo) machen sie dem armen Kerl, der doch nur massen-morden will, das x-te Leben schwer. Das ist weder lustig noch gut.

Vierzig Jahre nachdem sich ein Babysitter gegen den Psychopathen Michael Myers wehren musste, John Carpenter mit dem kleinen, simplen Horrorfilmchen „Halloween" berühmt wurde und gleichzeitig seine Synthesizer-Attacken auf die Ohren startete, geht es wieder los. Das Re-Re-Remake tut so, als hätte es die zahllosen anderen Fortsetzungen nicht gegeben. Michael Myers ist mit nur fünf Morden auf dem Kerbholz wieder in der Psychiatrie und hat seit vierzig Jahren nicht mehr gesprochen. Ein Podcast-Journalist meint, es sei eine gute Idee, kurz vor Halloween die alte Maske von Michael wieder zu seinem mörderischen Besitzer zu bringen. Solche Ideen - aber auch alle anderen - werden hier direkt mit dem Tode bestraft.

Laurie (Jamie Lee Curtis) hat derweil vierzig Jahre lang ihr Haus in eine Festung umgebaut, weil Michael ja zurückkehren wird. Dieser Wahn wurde so extrem, dass die eigene Tochter im Alter von 12 Jahren vom Jugendamt abgeholt wurde. Auch mit der Enkelin hatte Laurin keinen Kontakt. Eine gute Gelegenheit für Michael, nach einer schon blutigen Flucht, bei ihr die Mordserie an Teenagern, die ein wenig Sex haben wollen, fortzusetzen.

Wer im Innenhof der psychiatrischen Institution anfangs ein Schachbrett angedeutet sah, ist im falschen Film: Hier gibt es keine Kniffe, keine weitere oder tiefere Bedeutung. Die Handlung verläuft so zuverlässig wie das Abstechen von Schweinen in der Fleischfabrik: Zuerst erwischt es die Wachmannschaft des Gefangenentransportes, dann die Blog-Journalisten (ahnte da jemand die schlechten Kritiken?), danach findet Michael endlich ein Messer und wahllos geht es in die Halloween-Nacht. Immer wieder die gleichen schrecklichen Szenen. Also weniger wegen der Brutalität oder wegen des Sadismus des Films, die wurden von modernen Horror-Filmen längst überboten. Es ist das alte Synthesizer-Thema von Carpenter, das durch Mark und Bein fährt.

Schließlich jagt Oma den unverbesserlichen Stecher und dann prügeln sich zwei Senioren - total einschläfernd. Ohne Witz oder Twist ist auch dieser „Halloween"-Abklatsch ein banales Ausschlachten einer alten Schlachtplatte. Die Moral der endlosen Sticheleien des ziemlich unkaputtbaren Bösewichtes bleibt ebenso messerscharf reaktionär wie sein Abstrafen jugendlicher Sexualität: Das Böse ist immer und überall. Also eifrig Waffen kaufen und den Keller zum Bunker ausbauen.

17.10.18

The Guilty (2018)

Dänemark 2018 (Den Skyldige) Regie: Gustav Möller, mit Jakob Cedergren, Jessica Dinnage 88 Min. FSK ab 12

Ein Kammerspiel kann mit der Konzentration unterschiedlicher Figuren und extremer Situationen viel Druck in nur einem Raum aufbauen. Aber auch das Gegenteil, die einsame Machtlosigkeit in der Kammer einer Polizei-Notrufzentrale, kann für Hochspannung sorgen. „The Guilty" ist Thriller, Psychodrama und Psychogramm in bemerkenswerter Qualität als Gegenstück zu Hollywood-Routinen. Großartiges Kopfkino und Hochspannung mit ungewöhnlichen Mitteln.

Der Polizist Asger Holm (Jakob Cedergren) macht Telefondienst in der Notrufzentrale. Nicht freiwillig, wie er betont, und auch nicht dafür ausgebildet, wie man schnell merkt. Oft ungehalten, aufbrausend und genervt, lässt er einen Freier, den eine Prostituierte ausgeraubt hat, am Telefon warten. Eine Frau, die mit dem Fahrrad gestürzt ist, raunzt er an, sie solle sich ein Taxi zum Krankenhaus bestellen. Da ist „The Guilty" aber schon unheimlich spannend, denn zuvor hörten wir den Notruf einer zitternd ängstlichen Stimme. Eine Frau wählte die Nummer der Polizei, tut aber so, als redet sie mit ihrem Kind, weil sie im Auto ihres Entführers sitzt. Asger erfasst die Situation sofort, fragt nach Standort und Farbe des Wagens. Iben (Jessica Dinnage) kann die Fragen des Polizisten nur mit Ja und Nein beantworten, dann bricht die Verbindung ab.

Ein Anruf noch zu den Kollegen von der Streife im Vorort von Kopenhagen und dann muss Asger Holm warten. Dabei ist er viel zu unruhig für diesen Job. Später wird er auf atemberaubende Weise telefonisch Action-Einlagen einleiten, deren Ausgang erst mal undeutlich bleibt. Auch wir sind mit ihm zum Warten und zur Untätigkeit verdammt. Nicht ganz - in der konzentrierten Situation beobachten wir gespannt und genau. „The Guilty" ist nicht nur geniales Kopfkino, weil die weiteren dramatischen Ereignisse nur als „Hörspiel" bei Asger ankommen. Es ist auch der Kopf vom bislang unbekannten Jakob Cedergren, der einen großen Teil des Films trägt. Die Verachtung gegenüber einem Junkie mit Panikattacke lässt sich dort ebenso ablesen wie der Schweiß im Kampf um gleich mehrere Leben. Denn bei seiner telefonischen Recherche von Ibens Familienverhältnissen verspricht er einer Sechsjährigen, dass ihre Mutter wieder nach Hause kommen wird....

Asger ist kein Held. Eher ein gestresster Unsympath, der einen Läuterungsprozess durchlebt. Im Gegensatz zu Halle Berrys Part in „The Call - Leg nicht auf" aus 2013 auch kein Spezialist für solche Situationen. Es fasziniert, wie genau auch die emotionale Situation dieses Mannes, der selbst an einer Schuld trägt, gezeichnet ist. „The Guilty" ist mit mehreren heftigen Überraschungen ganz hervorragend konstruiert, selbst wenn Versatzstücke aus dem Genre mit den typischen kaputten Polizisten auftauchen. Auch wenn hier nicht Lars von Trier draufsteht, wirkt auch dieser dänische Film wieder hammerhart. Das packende und erschütternde Drama ist im richtigen Leben verwurzelt und deswegen noch spannender als die mit viel Marketing-Aufwand beworbenen Hollywood-Kopien.

Der Vorname (2018)

BRD 2018 Regie: Sönke Wortmann, mit Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters, Justus von Dohnányi, Janina Uhse 91 Min. FSK ab 6

Sönke Wortmann hat einen guten Namen bei Publikum und den Produzenten. Die Zuschauer mögen ihn wegen seiner frühen Komödien wie „Kleine Haie" und „Der bewegte Mann" (1994), danach kamen Renommierprojekte wie „Das Wunder von Bern" (2003). Die Industrie schätzt seine zuverlässige Arbeitsweise. Dass Effektivität ohne Inspiration auch den besten Ruf versauen kann, beweist dieses verunglückte Remake eines französischen Gesellschaftsabends. Wortmann findet für die wortreichen Dialoge keine Filmsprache. Nur die Grundidee des Originals und einige Darsteller, namentlich Christoph Maria Herbst und Caroline Peters, machen den Abend unter Freunden erträglich.

Dass die Adilette mit dem Dritten Reich zu tun hat und jenseits aller Stilfragen hochpolitisch ist, das wussten bislang die wenigsten. So was kommt raus, wenn man den tatsächlich heiklen Vornamen Adolf im Freundeskreis aufregt durchdekliniert. Der Grund ist die Ankündigung vom werdenden Vater Thomas (Florian David Fitz), sein Kind Adolf nennen zu wollen. Schon beim Aperitif kocht so der Abend bei Schwester Elisabeth (Caroline Peters) und Schwager Stephan (Christoph Maria Herbst) hoch: Letzterer, Germanistik-Dozent und prinzipien-steifer Bildungsbürger, verweist auf diesen Hitler und dass gerade in rechtslastigen Zeiten dieser Name tabu, wenn nicht gar verboten sei.

Es geht Stefan (immer) wortreich ums Prinzip. Und dann unter der Oberfläche und in der zweiten Hälfte des Films um nicht besonders tief verborgene Ressentiments. So lässt der Literaturprofessor im Cordanzug dauernd seine Bildung raushängen und führt den jüngeren Thomas grob vor, der ja noch nicht mal Abitur habe. Dafür hat der erfolgreiche und recht ignorante Makler eine teure Drecksschleuder auf vier Rändern und auch sonst überflüssig viel Geld. Was Stephan neidisch macht. Zwischen den Fronten sitzt lächelnd Kindheitsfreund René (Justus von Dohnányi), ein herzensguter Kulturmensch, der keiner Fliege was zuleide tun kann. Hausherrin Elisabeth rennt von beschwichtigend zwischen Esszimmer und Küche herum. Thomas' schwangere Freundin Anna (Janina Uhse) darf später ein paar Stichworte geben.

Es ist nur zeitweise ein aufbrausend spritziger und geistreicher Abend, den uns Sönke Wortmann nach der deutschen Fassung des gleichnamigen Bühnenstücks präsentiert. Da hilft der gute Name vom französischen Theater- und Kino-Erfolg „Der Vorname" ebenso wenig wie dessen Fortsetzung auf deutschen Bühnen. Während einige Dialoge und Themen noch schlagfertig interessieren können, ist erschreckend, wie verloren die Regie agiert: Die Kamera wischt am Esstisch sinnlos an Hinterköpfen vorbei, gelangweilt fragt man sich, wie viele Bissen die Schauspieler wohl tatsächlich in den Mund nehmen mussten. Der Raum bleibt trotz auffälliger Handkamera ein Filmset, auch die Figuren kommen nie zu einem Miteinander. Selbst wenn bei dem vielen Gerede - es war schließlich ein französischer Film - einzelne Momente überzeugen, es sind Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters und Justus von Dohnányi, die hier punkten, nicht ihre Filmpersonagen. Symptomatisch ist der Schlusspunkt, eine Generalabrechnung von Ehe und Rollenverteilung durch die verhinderte Literaturwissenschaftlerin und Hausfrau Elisabeth. Eine großartige Solonummer der Theaterschauspielerin des Jahres Peters, ein Solitär sowohl in Handlung als auch im Personengefüge.

Dieses Misslingen von „Der Vorname" ist vor allem schade, weil einige interessante Themen aufblitzen: Befördern die Intellektuellen mit der Tabuisierung des Namens Adolf und ihrer Erinnerungs-Kultur eigentlich einen Hitler-Kult? Macht Bildung bessere Menschen? Und - ganz banal - wieso übernehmen die Frauen den Großteil der Elternzeit? Könnte man drüber nachdenken. Doch nicht nach diesem Film, da muss man erst mal ausführlich ablästern.

16.10.18

Johnny English - Man lebt nur dreimal

Großbritannien, Frankreich, USA 2018 (Johnny English strikes again) Regie: David Kerr, mit Rowan Atkinson, Ben Miller, Emma Thompson 89 Min. FSK ab 6

Wird die Vergnügungssteuer für britische Filme nach dem Brexit eigentlich steigen? Und ist eine weitere Agentenparodie von Rowan „Mr Bean" Atkinson alias Johnny English überhaupt noch ein Vergnügen? Die nette Idee, Atkinson als Agent 000 in alle Fettnäpfchen schießen zu lassen, hätte man tatsächlich filmisch nicht verlängern müssen. Selbst wenn man Mr. Bean vermisst hat.

Nachdem eine Cyberattacke alle aktiven MI6-Agenten enttarnte, herrscht die zickige und besoffene Premierministerin (Emma Thompson) ihren Stab an: Bringt mir einen Alten! Die besonders tödlichen Chaos-Qualitäten des nun regenerierten Johnny English (Rowan Atkinson) sorgen dafür, dass es die anderen alten Darsteller von Geheimagenten direkt vor dem ersten Briefing in die Luft jagt. So zieht das Komödien-Relikt völlig unmodern und vor allem analog gegen die digitale Bedrohung durch die üblichen mondänen Schauplätze der Geheimdienst-Welt. Zum Retro-Touch gehören ein altes Auto, ein Mixtape und die Pistole statt des Smartphones. Wirkt Johnny English anfangs noch sehr souverän, brechen die Standards der Agenten-Parodie diesem Film bald das Genick. Ist es einfach nur eine bereits doppelt und dreifach abgenudelte Handlung oder schon Hommage an „Pink Panther" Peter Sellers beziehungsweise den „Gendarmen von Saint Tropez", Louis de Funes, wenn Atkinson als französischer Kellner nach einem Duell mit dem Hummer das ganze Etablissement flambiert?

Der Parodien sind mittlerweile genug gedreht! So uninspiriert wie Regisseur David Kerr und Drehbuchautor William Davies in „Johnny English 3" vorgehen, kann nur noch das unvergleichliche Aktieren Atkinsons die Welt retten. In besten Momenten erreicht er tatsächlich die humorige Nonchalance von Sellers als „Partyschreck". Mit Superpille wird er als hyperaktiver Disco-Tänzer zum untreffbaren Ziel für die Attentäterin. Und die erste Erfahrung von English mit der virtuellen Realität, bei der er tatsächlich ganz real London demoliert, geriet umwerfend komisch zur besten Szene. So ist das ganze Filmchen: Hirnrissig, ohne Verständnis für moderne (Humor-) Techniken aber stellenweise witzig. Den Flirt mit der russischen Spionin (Olga Kurylenko aus „James Bond 007: Ein Quantum Trost") nimmt man Atkinson nicht ab. Der smarte Silicon Valley-Spinner (Jake Lacy) hat kein Superschurken-Potential. Emma Thompson als heftig trinkende Premierministerin rettet schauspielerisch noch Einiges, doch so lächerlich rückständig und altmodisch wie Großbritannien hier darstellt wird, ist auch der unnötige dritte „Johnny English".

10.10.18

Bad Times at the El Royale

USA 2018 Regie: Drew Goddard mit Jeff Bridges, Dakota Johnson, Cynthia Erivo, Chris Hemsworth, Jon Hamm, Cailee Spainey 143 Min.

Der neue Goddard erfüllt alle Erwartungen in den brillanten Kopf hinter „The Cabin in the Woods" (Regie), „Der Marsianer" und „Lost" (Drehbuch): Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Drew Goddard legt eine Mischung aus „Pulp Fiction" und „Hateful 8" hin. „Bad Times at the El Royale" ist dabei aber weniger gewaltsam und geschwätzig als Tarantino. Zudem begeistert der ungemein spannende und reizvolle Thriller mit der exzellenten Besetzung durch Jeff Bridges, Dakota Johnson, Chris Hemsworth und Jon Hamm.

Bereits die Raumwahl der vier neuen - und einzigen - Gäste im ehemaligen Casino-Hotel „El Royal" gerät spannend: Der smarte Staubsauger-Vertreter (Jon Hamm) will mit seinem riesigen Koffer unbedingt in die Honeymoon Suite. Father Flynn (Jeff Bridges), ein alter Priester, weiß nicht, ob er Zimmer 4 oder 5 bevorzugt. Die schwarze Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo) will Ruhe vor den anderen. Nur die Hippie-Frau (Dakota Johnson) trägt sich rasch mit einem „Fuck you" in die Gästeliste ein.

Der fahrende Klinkenputzer erweist sich allerdings schnell als FBI-Agent und findet in seinem völlig verwanzten Zimmer haufenweise Abhörmikrofone. Der Priester beginnt den Boden seines Zimmers aufzureißen und Hippie Emily schleift ein gefesseltes Mädchen aus dem Kofferraum. Nur Darlene singt wunderbare Motown-Songs einfach und gut. Derweil träumt der junge Rezeptionist Miles (Lewis Pullman) mit Nadel im Arm auf seinem Zimmer. Er ist in Personalunion auch noch Putzfrau, Kellner, Spion und heroinabhängig.

Im Stil der 60er Jahre gibt das mitten auf der Landesgrenze zwischen Nevada und Kalifornien gelegene, ehemalige Casino „El Royal" ein großartige Kulisse im Deko- und Retro-Rausch. Noch bevor die Bewohner der vier Zimmer („Four Rooms", um noch einen Tarantino zu zitieren) vorgestellt sind, passiert schon heftig viel. „Bad Times" kann im weiteren Verlauf noch mehr überraschen, fesseln und begeistern.

Autor Drew Goddard stellt zwar seine Menschen im Hotel mit teilweise drastischen Geschichten brav nach der Nummer ihrer Zimmer vor, doch chronologisch verlaufen die Ereignisse nicht: Es gibt Dopplungen und Sprünge in der Zeit wie bei „Pulp Fiction" und bevor wir auch nur annähernd alle Geheimnisse verstehen, schon die erste Leiche. Dabei - eine Horrorvorstellung für jeden Hotelgast - beobachtet hinter den Spiegeln ein Peeping Tom hoch vier alles, was passiert!

Da ballt sich eine Menge Verbrechen und kriminelle Energie in diesem fast verlassenen Hotel. Doch mit vielen raffinierte Inszenierungs-Ideen, einer ungemein sicheren Regie und ausnahmslos großartigen Figuren, ist „Bad Times at the El Royale" durchgehend gelungen. Neben all den düsteren Geheimnissen versammeln sich auch die großen Themen der späten Sechziger Jahre der USA in einer Lobby, die zum Fegefeuer für alle wird: Nixon, Watergate, ein mörderischer Sekten-Führer (ein dämonischer Chris Hemsworth tritt mit Donnerknall auf), Hippies auf Abwegen, eine Satans-Tochter, die unmoralischen Genüsse eines bereits toten Politikers (Kennedy?) auf Film, der tief gläubige Scharfschütze, der bereits 123 Morde im Vietnamkrieg hinter sich hat und ein falscher Priester.

Das ist ein ungewöhnlicher Querschnitt durch die späten Sechziger und ungewöhnlich viel Substanz, auch für einen exzellenten Genrefilm. Wo man bei „Pulp Fiction" lange über das nicht chronologische Konstrukt diskutierte, bleibt es bei Drew Goddard interessant, was die faszinierenden Einzelgeschichten als Gesamtbild sagen wollen. Aber einstweilen lässt sich mit dem zeitlos guten „Bad Times" bestens die Zeit vertreiben.

9.10.18

Smallfoot

USA 2018 Regie: Karey Kirkpatrick, Jason Reisig 96 Min.

Unter den vielen bunten Flecken, die Zeichentrick ins Kinos bringt, findet sich öfters Gutes, aber leider auch zu einfach Schlechtes. „Smallfoot" ist eine tolle Ausnahme - jeden Moment witzig und am Ende geht einem sogar das Herz etwas auf.

„Smallfoot", soviel Englisch-Unterricht muss sein, ist der „kleine Fuß", im Gegensatz zum großen „Bigfoot", dem legendären Yeti-Wesen. Oft gesehen von Reinhold Messner und anderen Bergsteigern, die zu lang an der Sauerstoffflasche geschnüffelt haben. Der Gegensatz wird noch sehr wichtig in dieser kleinen und großen Geschichte, aber erst einmal ist alles gut im Yeti-Dorf über den Wolken: Der neugierige junge Yeti Migo hat das Zeug zu einer anständigen Karriere. Fliegen kann er auch, unterstützt durch das Katapult seines Vaters. Ob Migo beim Anblick des schönen Yeti-Mädchens Meechee abgehoben wäre, kann man nicht sagen, denn er fliegt gerade sowieso über sie hinweg. Und deswegen zu weit. Um irgendwo in der weiten Schneewelt nach seiner Landung den Crash eines Flugzeuges mitzuerleben. Es kommt zur kurzen, aber folgenschweren Begegnung mit einem Smallfoot. Jenem Wesen, von dem nur die Legenden der Yeti erzählen. Eine Sensation bei Migos Rückkehr ins Dorf.

Doch der weise Hüter der Steine ist ein Religionsführer, wie es ... wie es auf den Steinen steht: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es gibt keine Smallfoot und Migos fliegt aus der Dorfgemeinschaft. Um direkt in der neugierigen Gemeinschaft junger Yeti-Wissenschaftler zu landen. Sie handeln aufgeklärt und schicken Migo auf gefährliche Mission unter die Wolken. Dort trifft der Yeti tatsächlich einen Menschen. Ausgerechnet einen verzweifelten jungen Naturfilmer mit Karriere-Knick, der schon ein Yeti-Kostüm bestellt hatte, um seine Zuschauerzahlen wieder zu beleben. Dementsprechend ist die erste Begegnung so umwerfend komisch wie ein Hieb mit der Yeti-Pranke. Und der Rest des sehr witzigen Zeichentrickfilms bleibt ein Hammer - in Bild und Wort komisch im Minutentakt.

Die Ausgangsidee von „Smallfoot", die Situation einfach umzudrehen und den Menschen zum sagenhaften Fabelwesen zu machen, funktioniert vortrefflich. Vor allem, weil wir immer wieder entsprechend der Perspektive das eine Wesen verstehen können, während das andere nur grunzt. Oder quiekt, im Falle des Menschen. So albern der Zeichentrick mit den vielen durchgedreht komischen Slapstick-Momenten im Stile der legendären Looney Tunes (siehe Road Runner und Wile E. Coyote) daherkommt - dass sich der ausgegliederte Migo wie ein Jugendlicher fühlt, der seine eigene Ansichten von der Welt hat und sich nicht verstanden fühlt, auch das wird beim Publikum ankommen.

Da stört zwar immer wieder mal Gesang, doch die andauernden Missverständnisse, die Synchron-Übersetzung einer wütend vom Winterschlaf geweckten Bärin bleiben als grandiose Lachnummern hängen. Eine schreiende Ziege mit herrlich dämlichen Blick spielt erfolgreich die Rolle des Eishörnchens Scat aus „Ice Age". Trotz aller Missverständnisse wird schließlich die Nebelwand zwischen den Smallfoots und den Yeti überwunden und wir sehen plötzlich gerührt, wie man auch mit Xenophobie umgehen kann.

Regie bei „Smallfoot" führt Karey Kirkpatrick, der für „Ab durch die Hecke" einen Annie Award gewann und für die Drehbücher zu „Chicken Run – Hennen rennen" und „James und der Riesenpfirsich" Annie-Nominierungen erhielt.

The Happytime Murders

USA 2018 Regie: Brian Henson mit Melissa McCarthy, Elizabeth Banks, Maya Rudolph 91 Min. FSK ab 12

Muppets auf Drogen im Pornofilm? Nein - „The Happytime Murders" ist kein Kinderkram, auch wenn die Zugehörigkeit zur Hanson- und Muppet-Familie unübersehbar ist. Brian, Sohn des „Muppet Show"-Gründers Jim, Hanson lässt mit schmutzigen Puppen und der populären Ulknudel Melissa McCarthy eine Menge kriminellen Stoff aufwirbeln - auch den von zerfetzten Puppen!

Es ist ein Klassiker: Die blonde (ok, hier: rothaarige) Schönheit bittet den heruntergekommenen Privatdetektiv in dessen dunklem Büro um Hilfe in einem Erpressungsfall. Nur ist diesmal in Los Angeles der Bogart-Typ vom Detektivbüro eine Puppe. Phil war einst die erste Puppe im ansonsten menschlichen Polizei-Dienst. Aber nach einem bösen Fehlschuss wurde das Gesetz, dass Puppen keine Polizisten mehr sein dürfen, nach Phil benannt. Mehr als er selbst hasst ihn seine ehemalige Menschen-Partnerin Detective Connie Edwards (Melissa McCarthy). Aber als nacheinander die Puppen-Stars der alten TV Show „Happytime Gang" böse gemeuchelt werden, müssen die Ex-Partner zusammenarbeiten.

Die Ermittlungen führen Phil direkt in einen Porno-Filmverleih, wo eine gefesselte Kuh, die mehrfach von einem Octopus gemolken wird, mit besonders schmutzigem Sex amüsiert und irritiert. Ja, „The Happytime Murders" ist trotz der optischen Nähe zur Sesamstraße eher mit Erwachsenen-Comics wie „Fritz the Cat" verwandt. Vor allem mit der (im Original) sehr deftigen Sprache, die Melissa McCarthys in allen Farben koksender, schlagfertiger und raubeiniger Detective Connie Edwards an den Tag legt, können Kinder nichts anfangen. Eine Freigabe ab 12 Jahren ist daher vor allem für den Geldbeutel schädlich.

Wer sich vorher informiert, bekommt im Genre-Mäntelchen des rauen Detektiv-Films viel deftigen und schrägen Spaß serviert: Hier werden direkt reihenweise Puppenköpfe weggeschossen. Elizabeth Banks spielt eine abgehalfterte Stripperin. Alles ist sexuell sehr eindeutig, geradezu wild wie einst bei „Fritz the Cat". Nicht nur nebenbei sind die blauhäutigen Puppen zwar befreit, aber immer noch unterdrückt. Sie müssen nicht mehr für „the man" singen und tanzen, aber der Rassismus bleibt brutal.

Brutal, wie die auf Polizei- und Agentenrollen spezialisierte McCarthy („Spy: Susan Cooper Undercover"), die diesmal besonders durchgeknallt spielt: Ordinär, schlagfertig und schusswütig. Mit typischer Off-Stimme des erzählenden Detektivs ist „The Happytime Murders" ein kleiner, richtiger und vor allem dreckiger Cop-Film.

Verliebt in meine Frau

Frankreich 2018 (Amoureux de ma Femme) Regie: Daniel Auteuil mit Daniel Auteuil, Sandrine Kiberlain, Adriana Ugarte, Gérard Depardieu 86 Min. FSK ab 0

Träume sind Treibstoff des Films. Sie können aber auch mächtig auf die Nerven gehen. Vor allem, wenn ein alter Pariser Bourgeois beim Essen den jungen Gast mit den Augen auszieht und in Gedanken mehrfach vernascht. Daniel ist dieser unangenehme Typ in dieser unangenehmen Komödie, die der Hauptdarsteller Daniel Auteuil auch noch selbst inszenierte. Das reiche Männlein druckst in seinem Leben rum und traut sich nicht. Weder dem alten Freund Patrick (Gérard Depardieu) abzusagen, der seine neue junge Freundin Emma (Adriana Ugarte) beim Abendessen vorstellen will. Noch seiner Frau Sandrine (Sandrine Kiberlain) die Einladung zu gestehen, obwohl Sandrine Patrick wegen des Abservierens seiner Frau, einer gemeinsamen Freundin, verachtet.

Peinlich grob dann Daniels Reaktion auf die junge Spanierin: Er stammelt nur noch, wenn er sich nicht gerade geistesabwesend in Tagträume verliert, in dem Emma erst mal ihr rotes Kleid auszieht. Das ist plattestes Boulevard-Theater und war ein Bühnenstück mit Daniel Auteuil in der Hauptrolle. Dementsprechend originell soll sein, dass die komplette Handlung während eines Abendessens stattfindet. Auch wenn Daniels Fantasie Emma zwischendurch nach Ibiza oder Venedig entführt. Diese sehr realitätsfernen Wunschträume sind auf Dauer nervig und ermüdend. Die Überraschung bei der Rückkehr in die Realität nutzt sich schnell ab.

Warum Emma an Daniel interessiert sein soll, spielt keine Rolle. Das Drehbuch interessiert sich nicht dafür. Frau ist hier nur ein Fähnchen im Wind des männlichen Begehrens. So konstruiert man eine flache Femme fatale.

„Verliebt in meine Frau" ist eine multiple Enttäuschung: Nicht nur als unsäglich peinliche Komödie um die jämmerlichen unterdrückten Wünsche eines alten Spießers. Das filmische Altherren-Gesabbere sollte nur mit Riesendosis Desinfektionsspray angeboten werden. Dazu geriet es langatmig, redundant sowie inhaltsleer. Regisseur Daniel Auteuil ist ansonsten sehr engagiert dabei, eine Marcel Pagnol-Trilogie zu verfilmen. Und lässt sich unter fremder Regie als wesentlich nuancierterer Darsteller erleben. Nur Enfant terrible Depardieu legt hier ausnahmsweise eine fast langweilig normale Rolle hin. Auch irgendwie enttäuschend.

4.10.18

Venom

USA 2018 Regie: Ruben Fleischer mit Tom Hardy, Michelle Williams 113 Min. FSK ab 12

Der nächste Comic-Superheld wird ins Kino gekarrt und passend zum Überdruss an diesen eindimensionalen Figürchen ist es erneut ein Antiheld: Der aus „Spider-Man"-Comics „bekannte" Venom bekommt einen eigenständigen Film und mit Tom Hardy einen respektablen Darsteller.

Wieder führen die Experimente eines wahnsinnigen Wissenschaftlers zu einer spektakulären Kreatur. Diesmal mischt der Chef eines obskuren Medizin-Konzerns (Riz Ahmed) einen Organismus außerirdischen Ursprungs entführten Obdachlosen unter, wovon der Reporter Eddie Brock (Tom Hardy) erfährt, aber bei seiner forschen Forscher-Recherche auch infiziert wird. Dass Eddie vorher wegen kritischer Fragen an diesen smarten aber hochgradig unethischen Konzern-Chef von seinem Chefredakteur gefeuert wurde, dass ihn seine Freundin Anne (Michelle Williams) deswegen verlassen hat, alles spielt keine Rolle mehr, wenn das Alien die Regie übernimmt und Eddie endlich im neuen Körperpanzer seine Wut rauslassen kann. Der symbiotische Gast, Venom genannt, hat aber vor allem ein Ziel: Alle Menschen auffressen, wobei die Köpfe am leckersten sind.

Tom Hardy („Dunkirk", „Mad Max: Fury Road") reizte die Doppelrolle in diesem Film, denn Brock und Venom sind zwei ganz verschiedene Typen. Und „Venom" ist immer wieder auch ein Buddy-Movie über zwei Verlierer, die zusammen raufen und sich zusammenraufen müssen. Dem Einsatz der Superkräfte, die Spiderman hoch zehn sind, geht immer ein ruppiger Dialog voraus - wie beim alten Ehepaar. Nebenbei macht die Stimme in Eddies Kopf auch noch etwas Paar-Therapie für seine alte Beziehung zu Anne, die auch Venom mag. Doch wieder gilt, der witzigen Worte sind bald genug gewechselt, die folgende Action ist gutes Mittelmaß. Eine Moped-Raserei unter Drohnen-Attacken verblüfft mit den vielfältigen Möglichkeiten eines multimorphen Wesens.

Witzig sind auch die Wechsel der Wirte Venoms, wenn ein Handtaschen-Hund an „Men in Black" erinnert. Tom Hardy gelingt tatsächlich auch diese etwas flache Comic-Figur eines gescheiterten Journalisten. Michelle Williams ist anfangs bessere Stichwortgeberin, darf dann aber im Stile von Catwoman mal richtig mitmischen. Und Venom? Scheinbar ist jede Spannung und auch Mystery raus, wenn das Alien sein mit großen Augen gar nicht so unfreundliches Gesicht zeigt. Doch ausgerechnet der Gast von Eddie erweist sich als besonderer und besonders interessanter Charakter. Das neueste Marvel-Tierchen, diesmal von Sony produziert, soll selbstverständlich wieder eine ganze Filmreihe bekommen. Was nach dem ersten Eindruck ganz unterhaltsam werden könnte.

1.10.18

A Star is born

Regie: Bradley Cooper mit Bradley Cooper, Lady Gaga, Andrew Dice Clay, David Chapelle, Sam Elliott 136 Min.

„A Star is born" ist mittlerweile die vierte Verfilmung der gleichen Geschichte einer schwierigen Liebe in Zeiten des Star-Ruhms. Wobei 1976 Barbara Streisand voll auf Selbstdarstellerin machte, Sehnsucht nach Judy Garlands glänzender Interpretation („Ein neuer Stern am Himmel" 1954, Regie: George Cukor) weckte und Kris Kristofferson neben sich schauspielerisch verdursten ließ. Schon 1937 realisierte William A. Wellman das Musical, das in Deutschland „Ein Stern geht auf" hieß.

Der berühmte und erfolgreiche Jackson Maine (Bradley Cooper) spielt einen - auch im Publikum - schon angegrauten County-Rock. Beim nächsten seiner dramatischen Absacker lernt er in einer Drag Bar die exaltiere Kellnerin Ally (Lady Gaga) kennen und nähert sich ihr auf eine süße Art. Nur bei ihrem unüberhörbaren Talent als Sängerin und Songschreiberin ist er gnadenlos und macht sie auf einen Schlag berühmt, als er sie bei einem großen Auftritt auf die Bühne zerrt und ihr eigenes Lied mitsingen lässt.

Dem gemeinsamen Glück als kreativem Paar steht nur Jacksons Alkoholismus im Wege. Früh offenbarte er den kleinen, ungeliebten Jungen in sich, der vom ebenfalls trinkenden Vater verlassen wurde. Der große Bruder (Sam Elliott) kümmert sich heute als Road-Manager um Karriere und die Folgen der Exzesse. Aber spätestens als Ally mit einer eigenen Karriere abhebt, stürzt die fragile Persönlichkeit Jacksons wieder ab.

Das mit Gaga-Songs musikalische runderneuerte „A Star ist born" liefert zum Glück kein aus der Zeit gefallenes Star-Vehikel: Lady Gaga und Cooper können richtig gut spielen, ihr schauspielerisches Zusammenspiel ist sogar das Beste am Film. Die Lady lässt die andere Supernase, Streisand, vergessen. Man glaubt ihr die ganze Zeit die einfache Kellnerin, das geerdete, aber auch schlagfertige Mädchen. Bradley Cooper ist nach „American Sniper", „American Hustle", oder „Silver Linings" sowieso eine Bank auf der Leinwand.

Lady Gaga erhielt bereits für den Song „Til It Happens to You" aus „The Hunting Ground" eine Oscar-Nominierung und nun sind auch einige weich genug gespülte Kandidaten in den Originalsongs, die sie selbst zusammen mit Cooper und einer Handvoll weiterer Künstler schrieb.

Das ergibt beim Duett kurzfristig Gänsehaut-Gefühl, doch irgendwann setzt in diesem Liebesfilm die Routine ein. Nicht beim musikalisch agilen Pärchen, das sich gegenseitig inspiriert, sondern beim Film. Er wirkt, als müsse er pflichtschuldig die Stationen der Vorlagen abarbeiten. Allys Ruhm, der Plattenvertrag mit einem fies smarten Manager und Jacksons Zerbrechen daran. Wieder zu zweit auf der Bühne ist ihr Grammy-Preis der nächste Wendepunkt, weil er sich völlig besoffen im Scheinwerferlicht in die Hosen pinkelt. Dass es auch nach seiner Entziehungskur in diesem Film nicht gut ausgeht, hat man in den letzten Jahrzehnten gerne der Leinwandpräsenz von Barbara Streisand zugeschrieben - das hält niemand nüchtern lange aus.

Filmisch schöne Szenen wie die erste Nacht in der verwehten Einsamkeit eines Konsumtempel-Parkplatzes ergeben sich nicht mehr. Die Thematik um Aufrichtigkeit und Wahrheit in der künstlerischen Aussage blitzt vernachlässigt hie und dort auf. Auch in den eigentlich passenden Songs der Lady Gaga tauchen zwar immer wieder Lebens-Weisheiten auf. Doch es fügt sich nichts zu einem Ganzen. Die Pop-Balladen kommen an den richtigen Stellen - richtig bewegen können sie nicht. Was vor allem beim herzzerreißend gedachten Finale böse als Ausfall auffällt. Wenn dann noch kurze Rückblenden zu schönen Momenten auf Tränendrüsen drücken, erklingt im filmischen Gedächtnis „Grace of my Heart", der bessere Rückblick einer Singer-Songwriterin auf eine gescheiterte Liebe.