31.3.14

Rio 2 - Dschungelfieber

USA 2014 Regie: Carlos Saldanha ca. 101 Min.

Während gerade brasilianische Spezialtruppen die Favelas von Rio besetzten und wieder ein Bauarbeiter an den neuen Stadien dem Fußballgott geopfert wurde, erlebt „Rio", der beliebte Zeichentrickfilm für Kinder, eine zweite Auflage, die zu viel will und deshalb immer wieder abstürzt.

Blu und Jewel, das Liebespaar des ersten Teiles, haben mittlerweile drei Kinder und ein Penthouse-Nest in Rio. Das Stadt-Leben mit iPod, Pfannekuchen und TV könnte so weiter gehen, doch dann erfahren sie, dass ihre Menschen-Patin Linda im Amazonas-Dschungel eine ganze Kolonie der vermeintlich fast ausgestorbenen blauen Aras entdeckt hat. Nach einer nett chaotischen Flugreise, bei der sich Blu mit Bauchtausche, Navi und Schweizer Messer als naturfremdes Stadtkind auszeichnet, folgt die schwierige Konfrontation mit Schwiegerpapa, einem strengen Ober-Vogel mit militärischem Bürstenschnitt.

Nun muss der unsichere Flattermann Blu nicht nur mit der neuen Verwandtschaft, einem vermeintlichen Nebenbuhler und all dem Ungeziefer der Natur zurecht kommen. Es gilt auch noch, die benachbarten roten Aras auf Distanz zu halten und eine Horde illegaler Baumfäller zu vertreiben. Derweil veranstalten Blus Freunde eine umwerfend komische Dschungel Casting-Show unter dem Motto „All you can eat", Singen und gefressen werden. Die bedrohte Regenwald-Expedition von Linda ist ein weiteres Abenteuer. Ach ja, und der wütende Kakadu Nigel sinnt mit Ameisenbär Charlie und dem verliebten Giftfrosch auf Rache an Blu. Selbstverständlich wurde das ganze Bunte-Hühner-Ragout auch noch für das europäische Publikum mit krampfhaft reingezeichneten Fußballeinlagen angefüllt.

Ganz schön viel Tropenholz für einen einzigen, wenn auch langen Kinderfilm. Deshalb stolpert die durchgehende komische, nur kurz spannende Handlung auch dauernd vor sich hin. Wobei es vereinzelt zu atemberaubenden Flugtanz-Einlagen im Stile von „Fantasia" oder Busby Berkeleys Musicals kommt. Dann erreicht die Animation ungeahnte Höhen, gefolgt von quälendem Synchro-Gesang, der zum sofortigen Absturz führt. Während Schlager-Ulk Roberto Blanco dem Pop-Paradiesvogel Raffael einige Peinlichkeit anhängt, kann nur Christian Brückner seinen Kakadu Nigel mit der deutschen Stimme von DeNiro zusätzlichen Charakter verleihen. Dass ausgerechnet sein großartiger Auftritt bei einer „I will survive"-Nummer auch der deutschen Übersetzung zum Opfer fällt, ist unverzeihlich.

So bleibt Blu ein alberner Pechvogel und Unglücksrabe, selbst wenn alles im holperigen Mehrfach-Finale irgendwie gut ausgeht und der Held plötzlich Trottel, der Versager auf einmal Retter ist. So geriet das bunter Geflatter durch verschiedene Stadien und Qualitäten der Trickfilmkunst letztlich übervoll. überlang und zum Eigentor.

28.3.14

Welcome Goodbye

BRD 2014 Regie: Nana Rebhan 81 Min.

Der Himmel über Berlin wirft Tag für Tag tausende Touristen in die Metropole. Nur für Sekunden könnte die Dokumentation „Welcome Goodbye" von Nana Rebhan noch ein weiterer flotter Film über die sexy Hauptstadt sein. Dann geraten, erst einmal am Rand, kleine Aufkleber ins Bild, die etwas gegen Trolleys und andere Erscheinungen des Tourismus haben. Ganz schnell wird es voll, übervoll: Menschenmassen, unzählige Füße auf den Straßen und haufenweise Graffiti an Wänden und Laternen, die sich gegen Touristen wenden. Die Fakten sind eindrucksvoll: 2003 zählten Berliner Hotels gerade mal 11 Millionen Übernachtungen, zehn Jahre später sind es bereits 27 Millionen.

Bei der unterhaltsamen Reise in eine schwierige Gemengelage nimmt uns Christian, eine fiktive, bewusst naive Figur, an die Hand, „der wahrscheinlich einzige Berliner" weit und breit. Er begleitet einige exemplarische Gäste, besonders lustige Beispiele der typischen Touristen, wie die beiden witzigen taiwanesischen Mädchen Minhan und Hsuany. Gleichzeitig hören wir die leidvollen Erfahrungen der Bewohnerin eines berühmten Hauses am Prenzlauer Berg, des von Zaungästen frustrierten Besitzers vom Musikladen Central an der Oranienstraße und genießen schöne Fundstücke des Touristen-Alltags, wie die japanische Familie, die am Potsdamer Platz über die Straße geht, nur um auf der anderen Seite direkt wieder umzukehren.

Profis von der Tourismus-Branche relativieren die Aufgeregtheit und weisen auf die Ironie hin, dass gerade recht frisch Hinzugezogene die noch neueren Neuen nicht mehr haben wollen. Harald Martenstein erkennt mit seinem berüchtigten Scharfblick, dass die Grenzen fließend sind, denn „das ist ja auch das Tolle an Berlin, dass man hier her kommen kann und irgendwann dazu gehört". Ein Wissenschaftler analysiert den Hintergrund, dass nun die Touristen beim Prozess des Stadtwandels direkt mitmachen, die Gentrifizierung quasi als Akteur live begleiten. Und gekonnt satirisch meint Martin Sonneborn (im Trailer): „Es wird zurückgeblitzt!"

So spannt sich das faszinierende Kaleidoskop der umkämpften Stadt vom mexikanischen Musiker über eine israelische Puppenmacherin bis zum niederländischen Schriftsteller im Café Wohnzimmer im Prenzlauer Berg, der meint, heutzutage gäbe Berlin nur noch vor, Berlin zu sein: Alles sei nur noch ein Dekor. Nana Rebhan schafft es - wie schon bei ihrer letzten Doku „Hasenheide" - gleichzeitig, Lust auf Berlin zu machen und zu sensibilisieren. Bei sehr sorgfältiger Bildgestaltung von Impressionen und Interviews lebt in „Welcome Goodbye" die Stimmung in Berlin. Die Stichworte „Konsumsklave" und „Easy Jet-Völkerwanderung" tauchen mit Humor und gutem Gespür ganz konkret auf dem Bildschirm auf. Ein Berlin-Trip, der den Blick aufs Reisen allgemein verändert.

25.3.14

Population Boom

Österreich 2013 Regie: Werner Boote 93 Min. FSK ab 0

7 Milliarden Menschen besiedeln die Erde - ein Horrorszenario! Oder doch nicht? Wer behauptet eigentlich, dass die Welt übervölkert ist? Und wer von uns ist zuviel? Nach „Plastic Planet" bereist der Wiener Dokumentarist Werner Boote unseren Planeten und untersucht einen Mythos, der schon in vergangenen Jahrhunderten existierte. Die Erkenntnis, dass auch diese Phrase wenig differenziert, sehr subjektiv und instrumentalisiert ist, führt zu detaillierten Randerscheinungen des Themas, dass etwa die USA die Bevölkerungsexplosion stoppen will - in anderen Ländern. Oder dass es Familien mit vielen Kindern vor allem in den Slums gibt. Aber vor allem, das ein Mensch unterschiedlich viel „wert ist", was an der unendlichen Gier der Reichen liegt. Eine ganze Menge neuer Binsen, die mit ein paar faszinierenden Aufnahmen, irren Bilder und der Selbstinszenierung Bootes im Stile Michael Moores ganz lehrreich und unterhaltsam daher kommen.

Her

USA 2013 Regie: Spike Jonze mit Joaquin Phoenix, Amy Adams, Rooney Mara, Olivia Wilde 126 Min.

Früher schauten sich Verliebte so intensiv an und vergaßen die Welt um sich herum. Heute starren in Bussen und Cafés Menschen auf kleine und große Bildschirme, wirken aufgesaugt und versunken. Sind sie verliebt in ihre elektronischen Spielzeuge? Der geniale Regisseur und Autor Spike Jonze („Wo die wilden Kerle wohnen" 2009, „Adaption" 2002, „Being John Malkovich" 1999) verfilmt diese außergewöhnliche Beziehung als zarten Liebesroman unserer Zeit und als ebenso ironische wie sentimentale Reflexion.

Theodore (Joaquin Phoenix) ist ein einfühlsamer Spezialist für scheinbar handgeschriebene Liebesbriefe anderer Menschen. In einsamen Nächten hat der nerdige Typ sehr bizarren virtuellen Sex. Bis sich das erste künstlich intelligente Betriebssystem bei ihm installiert. Nach zwei, drei Fragen - eine der ersten bezieht sich freudianisch auf das Verhältnis des Nutzers zu seiner Mutter - weiß Samantha, wie sie sich nennt, mehr über ihn als irgendein anderer Mensch. Kein Wunder, sie hat in Sekundenbruchteilen Tausende Emails gelesen und sortiert, alle Kontakte begutachtet, Fotos gescannt und sogar vergessene Wünsche entdeckt. Das nächste Blind Date mit einer echten Frau verläuft zuerst toll und dann beschissen, nicht nur weil Theodore noch an seiner Ehemaligen hängt. Beim virtuellen Sex mit Samantha hingegen entdeckt diese eine Vorstufe ihres Gefühlslebens und es tauchen die alten Blade Runner-Fragen auf: Was ist wahr, sind meine Gefühle echt?

Das stört Theodore jedoch nicht, er ist glücklich mit seiner neuen Freundin. Wie immer mehr Leute in seiner Umgebung: Viele haben nun Beziehungen mit ihrem OS, ihrem Operating System, dem Betriebssystem. Dabei ist der Computer nur noch ein handlicher Knopf im Ohr, der Bildschirm ist niedlich geschrumpft, so dass er wirklich in jede Tasche passt. Dafür lässt sich das Bild überall hin projizieren, Video-Spiele laufen als große Holographie im gesamten Raum ab. So witzig diese perfekt designte, in jeder Form gemäßigte Zukunftswelt (gedreht in Los Angeles und Shanghai) mit ihren hohen Hosenbünden und den Pastellfarben daherkommt, „Her" schafft es, noch bevor einen die unheimlich treffende Widerspiegelung unseres digitalen (Beziehungs-) Lebens umhaut, mit einer zarten, intimen Liebe zu faszinieren. Der sonstige „Badboy" Joaquin Phoenix („The Master", „Walk the Line", „Gladiator"), der mit Schnurrbart und Hornbrille sehr langweilig aussieht, flirtet, philosophiert, reist, scherzt, spielt, lebt und liebt im Dialog mit seiner neuen Freundin. Die wird im Original von Scarlett Johansson äußerst einfühlsam und sexy gesprochen. Wie irgendwann auch hier Eifersucht und Trennung hinzukommen, muss man selbst erleben - Spike Jonze erhielt für sein Originaldrehbuch zu Recht einen Oscar. Nur die Tatsache, dass Samantha gleichzeitig das Betriebssystem von 8316 weiteren Nutzern ist und dass davon 641 in sie verliebt sind, sei als mal echter Grund für Eifersucht erwähnt.

So wie Theodores Büro als zarter Ausstattungstraum im Gegensatz zu den im Wortsinn schrägen Räumen von „Being John Malkovich" stehen, ist auch die Skurrilität von „Her" ein sanfte geworden. Die eingeblendeten Erinnerungen an frühere Beziehungen sehen aus wie die in „Vergiss mein nicht!" („Eternal sunshine of the spotless mind", 2004) von den ehemaligen Jonze-Mitarbeitern Michel Gondry und Charlie Kaufman. Sie haben aber auch etwas von dem verflochtenen Strom aus Bildern und Gefühlen, die Terrence Malick erzeugt: Bilder nicht von der pur handlungsbegleitenden Art. Staubteilchen in der Luft, wirbelnde Schneeflocken, wenn Samantha von ihrer Befindlichkeit erzählt.

„Her" ist ein naher Science Fiction und gleichzeitig das Drama eines Menschen, der sich vor der Herausforderung einer echten Beziehung drückt. Bei dieser berührenden Geschichte kommt man nicht drumrum, über den Zustand unserer Gesellschaft nachzudenken, über die Vereinzelung der Menschen, die alle an ihren Smartphones kleben. Diese Verfilmung von Siri (mit der übrigens auch dieser Text „geschrieben" wurde), ist witzig, geistreich und gefühlvoll, ein emotional und intellektuell bereichernder Film-Flirt, aus dem eine verzehrende Langzeitbeziehung werden könnte, wenn wir die Köpfe nicht wieder von den Maschinchen zurück zu den Menschen wenden.

Endless Love

USA 2013 Regie: Shana Feste mit Alex Pettyfer, Gabriella Wilde, Bruce Greenwood, Joely Richardson, Robert Patrick 105 Min. FSK ab 6

Oh, ihr Götter, welch Leid mutet ihr den Reichen und den Schönen auf dem Fernsehschirm zu! Arm und Reich kämpfen in dieser lächerlichen Schmonzette um eine endlos langweilige Liebe - aber alle sind ziemlich schön dabei: David Elliot (Alex Pettyfer) und Jade Butterfield (Gabriella Wilde) sehen aus wie Ken und Barbie - viel mehr Charakter haben sie auch nicht. Ähnliches gilt für die Bilder und Szenen, die ohne Veränderung als Werbeclip für Zahnpasta, Klamotten oder Shampoo verwendet werden könnten. So vorhersehbar verläuft denn auch die Love-Story, in der David als einfacher Mechaniker-Sohn nicht die Arzt-Tochter Jade bekommen soll. Weil Papa Chirurg (Bruce Greenwood) „Besseres" mit „seiner" Tochter vorhat.

Ein überflüssiges Drama um erwachsene, völlig unrealistisch unselbständige Menschen. So was ging vor ein paar Jährchen bei Jane Austen durch, aber doch nicht heutzutage. Zudem ist diese Leinwand-Pest mit ziemlich schief konstruierten Figuren komplett besiedelt, angefangen bei der reichen, schönen, gebildeten, freundlichen Jade, die absolut keine Freunde hat! Bis zu Davids eifersüchtiger Ex, einem totalen Abziehbild aus irgendeinem billigen Fotoroman.

So gerät das uralte Thema des jungen Wilden, der nicht den Segen der Väter bekommt und für seine Liebe kämpfen muss, zu einer abgestandenen Schale, der ein paar Körnchen Tragik eingestreut werden. Denn hier ist es ein junger Spießer und Langweiler, der sich erfolgreich bei ihrer Familie einschleimt. Selbst ein spontaner HipHop-Tanzwettbewerb lässt da höchstens spontan auch noch die Zehen einschlafen. David-Darsteller Alex Pettyfer, der in „Magic Mike" auch mal richtigen im Film mitgespielt hat, sieht nur schön aus. Ansatzweise spannend spielt allein Bruce Greenwood als böser Papa, der seine üblen Pläne hinter einem freundlichen Grinsen versteckt.

So was kann man als Nachmittags-Soap versenden und übersehen. Doch wer derart Idiotisches ernsthaft verkauft, sollte zur Strafe selbst für mindestens zehn Jahre in solche sterile Kunstwelt versetzt werden. Wobei es eigentlich eher dreist ist, so eine Kiste voller Klischees in die Kinos zu kippen und nicht mal ein Minimum an Geschmack und Intelligenz zu erwarten.

24.3.14

Zwischen Welten

BRD 2014 Regie: Feo Aladag mit Ronald Zehrfeld, Mohsin Ahmady, Saida Barmaki, Abdul Sala Yosofzai 103 Min.

Die in Wien geborene Regisseurin Feo Aladag („Die Fremde") schickt Ronald Zehrfeld („Barabara") als psychisch angeschlagenen Befehlshaber nach Afghanistan, um die Bevölkerung zu drangsalieren und in einer dramatischen Situation die Schwester eines Übersetzers zu retten. Dieser wird bedroht, weil er für die Bundeswehr arbeitet. Ein handwerklich gelungener und oft spannender Kriegsfilm, der aufgrund der einseitigen Sicht der Besatzer mehr als bedenklich ist.

Obwohl sein Bruder beim Kriegseinsatz in Afghanistan ums Leben kam, tritt der deutsche Soldat Jesper (Ronald Zehrfeld) dort zu einem zweiten Einsatz an. Nach knappen Besprechungen im klaren Militär-Stil fährt seine Einheit in gepanzerten Lastern, die in dieser Umgebung wie UFOs wirken, zu einem Dorf, in dem ein Ex-Taliban Schutz vor den Widerstandskämpfern erbat. Mit dabei ist der junge afghanische Dolmetscher Tarik (Mohsin Ahmady), der allerdings immer wieder seine Aufgabe vernachlässigt, weil in Kunduz seine Schwester allein Drohungen und Angriffen ausgesetzt ist. Den beiden Waisen wird vorgeworfen, dass Tarik mit den Besetzern zusammenarbeitet.

Als ein Auto mit einem verwundeten Kind zu schnell auf die deutsche Truppe zufährt, zeigt sich, wie angeschlagen Jesper (Ronald Zehrfeld) tatsächlich ist. Seine Überreaktion führt zu einer weiteren Schikanierung der Bevölkerung. Auch die „Zusammenarbeit" im Dorf vom Überläufer Haroon funktioniert überhaupt nicht, egal ob mit oder ohne Tarik. Der übersetzt zum Ausgleich sehr frei, was die Untertitel manchmal sogar witzig verraten. Aber das ändert nichts am mangelnden Verständnis der Soldaten für ihr Einsatzgebiet und die dortigen Menschen. Auch die Marschbefehle verhindern Zusammenarbeit, ja sogar dass gemeinsam gekämpft wird. Nur mit dem Übersetzer selbst kann der deutsche Kommandant ein persönliches Verhältnis aufbauen. Als Tariks Schwester dann auf offener Straße von einem Attentäter angeschossen wird, widersetzt sich Jesper den Befehlen und fährt das Mädchen zur lebensrettenden Behandlung ins deutsche Lager.

Feo Aladag inszeniert gekonnt und mit massiver Unterstützung der Bundeswehr eine sehr einseitige und beschränkte Sicht auf den Kriegseinsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Vor den von Kamerafrau Judith Kaufmann eindrucksvoll eingefangenen Landschaften werden Figuren und Situationen des „zwischen den Welten" Seins unmissverständlich aufgestellt: Der große aber sanfte Soldat mit der Macke und dem guten Willen. Die sympathische, tapfere und junge Afghanin, die studiert und ihrem faulen Macho-Chef die Meinung geigt, aber von den bösen, gesichtslosen Taliban bedroht wird. Der engagierte, offene und kluge Übersetzer, der gerne nach Deutschland fliehen würde, was aber das Auswärtige Amt verhindert, weil keine Beweise einer Bedrohung vorliegen. Besonders hier zeigt sich deutlich, wie einseitig das in sich funktionierende und gekonnt die Spannung haltende Konstrukt ist. Wäre Tarik ein Übersetzer für die russischen Besetzer und Vorgänger der Bundeswehr gewesen, also ein Kollaborateur, der Film hätte keine der aktuell reichlichen Länder- und Sender-Förderungen erhalten.

Der in Wien geborenen Regisseurin Feo Aladag („Die Fremde") „gelang" ein gut aussehender und funktionierender Film, der sich zur Komplexität der ganzen Hindukusch-Verteidigung verhält, wie die deutschen Truppen dort zum Land - es gibt nicht viel Verständnis und klappen tut auch nichts. Aladag tappt mit den gesichtslosen Gegnern und der einseitigen Perspektive in alle Fallen des propagandistischen Kriegsfilms. Dass die Regisseurin das Ganze noch handwerklich versiert mit Spannung und Lagerfeuer-Romantik garniert, macht die Propaganda für noch mehr deutsche Kriegseinsätze umso verachtenswerter.

Antboy

Dänemark 2013 Regie: Ask Hasselbach mit Oscar Dietz, Nicolas Bro, Samuel Ting Graf 80 Min. FSK ab 0

12 Jahre alt ist er, doch so klein und vermeintlich unbedeutend, dass man Pelle für jünger hält. Der Schüler schwärmt für Amanda aus der gleichen Klasse, die ihn selbstverständlich überhaupt nicht wahrnimmt. Dafür nehmen ihn die Schul-Bullies mit den Bullen auf ihren T-Shirt ins Visier und nur die Flucht in einen verlassenen Vorgarten kann ihn retten. Was nun nach dem Biss einer Ameise folgt, ist bekannt und deshalb auch witzig: Nach einem sehr langen Schlaf und heftiger Fressattacke hat Pelle übermenschliche Kräfte. Sein Mitschüler Wilhelm ist Spezialist für Superhelden-Comics und weiß gleich Bescheid. Der neue Freund berät auch beim wichtigen Entwurf eines Superhelden-Kostüms. Nun kann Pelle als Antboy, als Ameisenjunge, Verbrecher jagen, Kinder retten und zum Helden der dänischen Kleinstadt werden.

„Antboy" macht Spaß mit den Zitaten, die das kurze Zielpublikum eigentlich noch noch kennen dürfte. Denn die großen Spiderman-Filme sind erst ab 12, eigentlich. Aber es gibt da ja auch die ursprünglichen Comics. Rasant auf jeden Fall erzählt der Kinderfilm die gleichen Phasen wie im großen Spiderman, aber erfreulicherweise viel zügiger. Pelle zweifelt an seiner Rolle, will den Job schmeissen, aber die Erkenntnis, dass Freunde wichtiger sind als Superhelden, lässt ihn paradoxerweise wieder die Antboy-Maske aufsetzen, um gegen einen gemeinen Schurken und wahnsinnigen Wissenschaftler namens Floh anzutreten.

Dieser dänische Spiderman für Kinder ist nett, manchmal ganz schön spannend, aber reine Action wie in „Spy Kids" von Rodriguez braucht er nicht. Comic-Einblendungen machen ebenso Spaß wie Pelles Fantasien, in denen er seinen Schwarm Amanda rettet. Der kleine Hauptdarsteller sieht aus wie Timothy Spall als Kind und dass sein rundes Gesicht auch hinter der Maske immer zu erkennen ist, macht die Geschichte noch sympathischer. „Antboy", dessen zweiter Teil gerade in Hamburg gedreht wird, basiert auf einer Kinderbuch-Reihe des sehr vielseitigen dänischen Autoren Kenneth Bøgh Andersen. Selbstverständlich geht es darum, dass ein kleiner Junge lernt, auf seine eigenen Fähigkeiten und Freunde zu vertrauen.

18.3.14

Need for Speed

USA 2014 Regie: Scott Waugh mit Aaron Paul, Dominic Cooper, Imogen Poots, Ramon Rodriguez, Dakota Johnson 131 Min. FSK ab 12

Noch eine Verfilmung eines Computerspiels... Obwohl, schlimmer ist, dass „Need for Speed" vor allem „The Fast and the Furious" imitieren und ihm das Publikum entführen will. So geraten ein paar gute Anlagen und Schauspieler unter die Räder endlos nervtötender und langweilender Raserszenen.

Lebensinhalt des Films und seiner Figuren sind illegale Straßenrennen - also das, was 90 Prozent der Autofahrer mit unbestraften Geschwindigkeitsüberschreitungen in unseren Städten tagtäglich betreiben. Tobey Marshall (Aaron Paul) ist der kleine, arme König dieser Szene. Nach einem tödlichen Unfall, bei dem zum Glück nur ein Raser und nicht auch ein Unbeteiligter stirbt, hat niemand etwas begriffen und nach nur zwei Jahren Haft geht das Heizen weiter. Um sich am ebenfalls am unfallflüchtigen, reichen, Rennfahrer Dino Brewster (Dominic Cooper) zu rächen, will Tobey ihn bei noch so einem illegalen Wettbewerb besiegen. Dafür muss in 45 Stunden von New York nach Kalifornien fahren. Die meiste Zeit im Blindflug, gesteuert von einem Kumpel als Luftüberwachung und praktischerweise immer schön durch den Gegenverkehr. Zum Rennen vor dem Rennen kommt es, weil die intelligente und selbstbewusste Julia (Imogen Poots) ihm den Wagen stellt und dafür Beifahrerin wird.

Damit ist der Road-Raser-Film gleichzeitig ein Buddy-Movie, was auch der beste Teil bei diesem nervigen Blei-Verbrennen darstellt, das selbst mit Gegenverkehr so laut langweilig wie ein Autorennen verläuft. Die Figuren wurden so deutlich gezeichnet wie Warnschilder auf der Autobahn. Die Identifikationsfiguren sind junge Männer, denen man auf den ersten Blick gar nicht ansieht, dass auch sie mit ihren lauten und absurd schnellen Autos irgendwas kompensieren müssen. Imogen Poots gibt mit ihrer Julia den einzigen Lichtblick, weil sie eine in diesem Umfeld ungewöhnliche Frau spielt, die Hosen anhat und sagt, wo es langgeht. Eine tolle Besetzung für die intelligentere, aber ebenso verrückte Beifahrerin. Michael Keaton ist als wahnsinniger Pate des illegalen Rennens eine mäßig witzige Randfigur.

Need for Speed

17.3.14

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Schweden 2013 (Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann) Regie: Felix Herngren mit Robert Gustafsson, Iwar Wiklander, David Wiberg, Mia Skäringer 114 Min.

Auch wenn dieser Hundertjährige keinen Bart hat - der Witz des Filmes zieht einen sehr langen hinter sich her. Die Bestsellerverfilmung „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" überrascht den Rezensenten, der zur Minderheit gehört, die das Buch nicht gelesen haben, mit erstaunlich simplen Scherzchen. Weise Weltbetrachtungen und anrührende Freundschaftsszenen bleiben in der Unterzahl.

Keine schlechte Idee, rechtzeitig zur furchtbaren Feier des eigenen Hundertjährigen aus dem Altersheim abzuhauen! Wieso Allan Karlsson (Robert Gustafsson) allerdings mit seinen letzten Groschen ausgerechnet in das nächste Kaff quasi ins Nichts fährt, kann nur die Simplizität dieses glücklichen Narren erklären. Mit der er durch sein ganzes erstaunliches Leben tapste, wie Rückblenden zeigen, die genau so chaotisch verlaufen wie die Handlung in der Gegenwart. Denn noch am Bahnhof bleibt Karlsson nichts anderes übrig, als den Koffer eines groben Rockers mitzunehmen. Ein Koffer voller Geld, wie der Rentner gemeinsam mit einem Schrankenwärter in Ruhestand entdeckt. Zusammen brechen sie fluchtartig auf, nicht ohne den Gauner vorher tiefzufrieren und nach Afrika zu verschicken.

Im weiteren Verlauf der Odyssee lesen die Senioren noch einen Studenten auf, der sich nie entscheiden kann, und bei einer frisch getrennten Powerfrau freundet man sich sogar mit einem befreiten Zirkuselefanten an. Derweil folgt die extrem dämlich Rockerband der Spur des Geldes und die ahnungslose Polizei einer breiten Schneise des Verbrechens. Aber keiner hat mit den Beziehungen Karlssons zum alten KGB-Netzwerk gerechnet. Denn der alte hat in seinem Leben nicht nur Unterdrückung und eine Kastration in Folge von Rassenlehren erlitten, er hat auch im spanischen Bürgerkrieg rumgebombt, Franco das Leben gerettet, Oppenheimer bei der Atombombe entscheidend geholfen und mit Stalin gesoffen. Mit größter Naivität war der tumbe Mitläufer auch als Doppel-, Trippel- und Quadrupel-Agent im Kalten Krieg aktiv.

Die Fabulierkraft von Jonas Jonassons Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" ist schon erstaunlich. Der schwedische Regisseur Felix Herngren setzt die skurrilen Erlebnisse mit flotten, komischen Rückblenden ins Bild. Das ist eine Weile unterhaltsam, doch das Anekdotische dabei ermüdet bei fast zwei Stunden Laufzeit. Mit dem in Schweden bekannten Komiker Robert Gustafsson in der Hauptrolle bleibt dieser Karlsson ohne Dach und Heimat ein stoischer Antiheld. Dieser Blick auf die Welt unterhielt auch in Woody Allens „Zelig" oder in „Forrest Gump" - allerdings mit reichlich mehr Tiefgang.

So bleibt zwischen den vielen, nur netten Scherzen Zeit genug, sich ausnahmsweise ein Hollywood-Remake herbei zu sehnen. Statt der authentisch schwedischen Verfilmung etwas im perfekten, glatten Stil von „Walter Mitty" vielleicht? Doch dann wäre vielleicht auch am Ziel der langen Reise in diesem langen Road-Movie nicht doch dieses anrührende Gefühl, in das man sich ein- und wohlfühlen kann.

Lone Survivor

USA 2013 Regie: Peter Berg mit Mark Wahlberg , Taylor Kitsch, Emile Hirsch, Ben Foster , Eric Bana, Ali Suliman 122 Min. FSK: ab 16

Was für ein schreckliches Drama: Da sind vier nette Freunde in Wald und Gebirge unterwegs und müssen dann gegen Horden schießwütiger Bauern um ihr Leben kämpfen. Wobei - eigentlich wollen die schwerbewaffneten us-amerikanischen Soldaten mitten im besetzen Afghanistan einen vermeintlichen Taliban-Führer ohne Gerichtsverfahren ermorden. Dass man jetzt mit den gejagten Jägern mitfühlen soll, bedarf schon einer ganzen Menge manipulativer Filmkunst. Im Übrigen wäre dieser komplette Film durch den Einsatz einer Drohne unnötig geworden.

Die unmenschliche, ja faschistische Härte einer Ausbildung zum Mörder in fremden Ländern zeigt sich schon im Vorspann: Genauso viele Wiederbelebungsversuche gibt es da, wie US-Soldaten, die ihre Ausbildung unter Demütigungen aufgeben müssen. Das Ergebnis sind dann bärtige Muskelpakete, deren Lebensinhalt aus Machoritualen besteht. Quasi „300" im Viererpack ohne Griechen, dafür haben die Helden wenigstens mehr an als nur Leder-Tangas.

Selbstverständlich kommt die menschliche Seite dieser staatlichen Mörder in Uniform nicht zu kurz: Der eine hat zum Beispiel furchtbare Sorgen, weil seine Frau zu Hause einem Kaufrausch unterliegt! Wie ernst diesen Leuten der Krieg wirklich ist, zeigt sich als sie als Codenamen Biermarken verwenden! Dazu gibt es als geistige Nahrung in Form von unablässig ruppig rumpelnden Kämpfer-Gedichten. Ernst Jünger hätte seine stählerne Freude dran.

„Lone Survivor" ist wieder so ein typischer Kriegsfilm, bei dem wir an der technischen Überlegenheit einer Seite teilhaben dürfen. Nahaufnahmen der Gegner gibt es eher selten, meist im Visier der Besatzer kurz vor dem Erschießen. Peter Berg benutzt eine ähnlich manipulative Montage wie Oliver Stone. Wobei der ja meint, damit immer pazifistisch zu wirken, während bei Berg Mordaufträge in besetzten Ländern möglichst cool und interessant aussehen sollen. Das ist etwas ganz anderes als der durchaus kritische Film „Zero Dark Thirty" von Kathryn Bigelow über die Ermordung bin Laden.

Inhaltlich steht endloses, sinnloses Geballere zentral, dekoriert mit pathetischen Heldentoden. Und dann wird uns zum Schluss noch das Märchen des Aufstandes eines Dorfes gegen die Taliban aufgetischt, nur zur Rettung eines verlorenen Soldaten. Tatsächlich fliegt dann sogar die Kavallerie ein - so etwas Abgedroschenes hat sich lange nicht mehr ins Kino getraut.

Das ganze Debakel hätte mit dem makabren Humor von „Very Bad Things", dem Regiedebüt des Schauspielers Peter Berg aus dem Jahre 1998, was werden können. Doch so ist „Lone Survivor" nur ein Werbefilm für die Armee, da können haufenweise aufwändige Landschafts- und Action-Aufnahmen nicht drüber hinweg täuschen. Und es ist auch ein Werbefilm für deren Ausstatter - man sollte sich mal überlegen, ob man mit dem Kauf eines Garmin-Navigationsgerätes oder einer Oakley-Brille die Kriege dieser Welt weiter mitfinanzieren will.

Doch der größte Hohn erwartet alle, die diesen Mist bis zum Ende ausgehalten haben, beim Abspann: Da hört man Peter Gabriel mit seiner konzertanten Version von „Heroes". Peter Gabriel, der sehr engagiert und auch klug für den Frieden auf der Welt kämpft, sollte mit so einem kriegstreibenden Gemetzel und dieser Glorifizierung von Besetzung und Unterdrückung nicht in Verbindung gebracht werden.

Kreuzweg

BRD 2014 Regie: Dietrich Brüggemann mit Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter, Lucie Aron, Moritz Knapp, Klaus Michael Kamp, Hanns Zischler, Birge Schade 107 Min.

Der äußerst talentierte Autor und Regisseur Dietrich Brüggemann brachte bei der diesjährigen Berlinale mit seinem „Kreuzweg" einen dieser unangenehmen Stoffe auf die Leinwand, die brennen und polarisieren: Die 14-jährige Maria (Lea van Acken) lebt mit ihren Eltern und drei Geschwistern in einer süddeutschen Kleinstadt. Die streng katholische Mutter ist ein Familientyrann und macht vor allem Maria bei jeder Gelegenheit fertig. Selbstverständlich werden dem Teenager „satanische Musiken" wie Funk und Soul, sowie „schlimme Filme" verboten. Doch im Firmunterricht eines extremistischen Kirchenablegers (Florian Stetter), erweist sich Maria selbst als glühende Verehrerin von Gott und Jesus. Begeistert bringt sie persönliche Opfer, um als „Soldatin Gottes" im eigenen Herzen „den Kampf gegen Satan" zu führen. So weist sie empört das sympathische und freundliche Interesse eines Mitschülers zurück, der ironischerweise Christian heißt. Dann setzt sich das zierliche Mädchen in den Kopf, für den vierjährigen Bruder, der noch nicht spricht, ihr eigenes Leben „hingeben" zu wollen. Nicht ganz ohne Zweifel magert Maria ab, bis sie ein Arzt - noch gegen den Willen der Mutter - ins Krankenhaus einweisen lässt. Doch auch dort will Maria nicht mehr essen.

In vierzehn streng komponierten Kapiteln, die den Stationen des Kreuzweges Jesu folgen, beobachtet Brüggemann dieses entsetzliche und erstaunliche Martyrium. Dabei gibt es nur vierzehn fast starre Einstellungen, in denen die ausgezeichneten Akteure die Szenen tragen. Während die Kamera im ganzen Film also nur einmal schwenkt und dann zum Schluss gen Himmel fährt, bewegte das intensiv gespielte Drama so sehr, dass sich bei der Berlinale zur Bewunderung auch Ablehnung mischte.

Denn Katholizismus unterscheidet sich hier keineswegs von dem, was man gerne als „Muslimus" verteufelt. Maria darf nicht allein mit dem Arzt in einem Zimmer bleiben, im Sportunterricht nicht zu teuflischen Rhythmen hüpfen. Das alles im heiligen Geiste einer, so tatsächlich existierenden, katholischen Extremisten-Gruppe, welche die Beschlüsse des 20. Vatikanischen Konzils ablegt und noch in Latein mit dem Rücken zur Gemeinde betet. So unglaublich das für moderne Menschen klingen mag, so glaubwürdig schrieb (zusammen mit seiner Schwester Anna und Alexander Sass) und inszenierte Dietrich Brüggemann diesen religiös verbrämten Leidensweg. Man darf dabei ruhig den mit Religion ringenden Lars von Trier in „Breaking the Waves" als Referenz erwähnen. Dabei bleibt Brüggemann durchgehend ernsthafter als etwa Ulrich Seidl mit seinem auch formal weiterem „Paradies: Glaube". Vor allem dass die schreckliche Mutter nicht ganz in die Karikatur abgleitet, ist für das Gelingen von „Kreuzweg" entscheidend. Ein guter, provokanter und wichtiger Film.

11.3.14

Cerro Torre - Nicht den Hauch einer Chance

Österreich, Großbritannien, USA, Argentinien 2013 (Cerro Torre: A Snowball's Chance In Hell) Regie: Thomas Dirnhofer 101 Min.

Aktuell erfährt scheinbar jede eine extreme Randsportart durch kräftige Finanzspritzen einer Gummibärchen-Limo einen enormen Schub. Dieses sogenannte „Redbull Media House" - andere nennen es Werbeagentur - haut reihenweise Extremsport-Dokus raus, in denen die meisten Leute irgendwo am Körper Werbeaufkleber tragen. Diesmal ist es der junge Freeclimber David Lama, der ganz ohne Hilfsmittel, also als Freeclimber, als erster den wohl ziemlich steilen Cerro Torre besteigen will. Hacken und Seile gibt es zwar, aber nur zur Sicherung. Auch eine Kletterroute, die einst mit einem schweren Schlagbohrer angelegt wurde, aber die können ja die Kameraleute in der Wand nutzen, während die Helikopter-Kameras den anderen Blickwinkel einfangen. Und auch ein ganzes Team von Mitkletterern gibt es, sowie jahrelange Vorbereitung und mehrere Versuche. Wie gesagt: Freeclimber, so ganz pur, nur der Mensch und der Stein...

Der sehr vorhersehbare und schematische Film für ein begrenztes Publikum von Kletterfreunden beginnt mit der Geschichte des jungen Freeclimbing-Stars David Lama, dessen Vater ein Sherpa war. Bei allen Mätzchen der Inszenierung und den vielen Mützchen mit Werbung drauf, ist es wieder die gleiche Geschichte eines verwegenen Plans, einer verrückten Idee mit den Phasen des Scheiterns, der Frustration, des Wartens und schließlich dem fest eingeplanten Erfolg, der trotzdem triumphal aufgeblasen wird. Das Dumm-Fernsehen ist mittlerweile auch in höchste Gipfel vorgedrungen, sodass auch hier alles, was man schon aus zig Winkeln sehen konnte, noch einmal nachträglich beim Lagerfeuer erzählt werden muss. In schwer verständlichem Alpendialekt selbstverständlich. Dieser rekordversessene Höhenrausch ist ein Tiefpunkt des Dokumentarfilm-Genres.

Mittsommernachtstango

BRD, Argentinien, Finnland 2012 Regie: Viviane Blumenschein 82 Min. FSK: ab 0

Wer jemals einer finnischen Tango-Band lauschen durfte, weiß dass Aki Kaurismäki Recht hat, wenn er denn Ursprung des Tango im hohen Norden verortet. Der große Regisseur der Lakonie erzählt diese Geschichte und die Regisseurin Viviane Blumenschein verifiziert sie mit ihrem herrlichen Film „Mittsommernachtstango" im Niemandsland zwischen Dokumentation und Fiktion.

Die musikalische Ursachenforschung fängt dann doch noch mal richtig mit Gardel an: „Mi Buenos Aires Querido" wird von der Kamera als „dreckige Stadt, in der es schöne Musik gibt" gestreift. Klar, und wir haben die Sauna erfunden, lautet der trockene Kommentar eines Argentiniers. „Wir den Tango. Ihr die Sauna. Dabei belassen wir es." Dabei ist es umwerfend komisch, wenn man die Geschichte umdreht und drei Tango-Typen aus Südamerika mit den finnischen Stars dieser Musik-Gattung zusammenbringt. Sie presst in einer Szene vier seiner Protagonisten in ein Taxi und zitiert damit nebenbei noch „Night on Earth". Dann könnte man noch hinzufügen, umwerfender lakonischer Humor ist eine Erfindung von Aki Kaurismäki und daher klar finnisch wie der Wodka. Eine Menge gute Musik nimmt die Regisseurin und Autorin dieser absolut sehens- und hörenswerten Dokumentation am Rande ihres langen Reisewegs auch auf.

Drei der impulsiven, schwungvollen Argentinier treffen auf die langsamen, misstrauischen Finnen. Wenn die drei Touristen an einem See bemerken, wie ruhig hier alles und auch die Menschen sind, ist das ein weiteres Detail der unterhaltsamen Landeskunde zu Finnland. Die Besuche bei finnischen Tango-Legenden wie M.A. Numminen sorgen für mehr als nur einen Soundtrack, und auch ihn würden die Herren kommentieren: Seltsam, aber schön. Selbst die Missverständnisse zwischen den Bandoneon-Spielern unterschiedlicher Kontinenten sind köstlich und könnten besser kaum von Drehbuchschreibern ausgedacht werden.

Die Bücherdiebin

USA, BRD 2013 (The Book Thief) Regie: Brian Percival mit Geoffrey Rush, Emily Watson, Sophie Nélisse, Ben Schnetzer, Nico Liersch 132 Min. FSK: ab 6

„Niemand diente dem Führer so loyal wie ich!" Der Tod hat nicht nur als Erzähler viele starke Auftritte in der wechselhaften Verfilmung des Romans „Die Bücherdiebin" von Markus Zusak. Die Geschichte einer jungen Leserin in der Nazi-Zeit schafft es, als englischsprachige Produktion in den allzu bekannten Kulissen der Babelsberg-Filmproduktion so gerade, den Reiz der Vorlage am Leben zu lassen.

Liesel (Sophie Nélisse), Tochter einer Kommunistin (Heike Makatsch für ein paar Sekunden im Bild) wird 1938 zu Adoptiveltern verschickt. Ihr kleiner Bruder stirbt schon bei der Anreise. Während die Adoptivmutter Rosa Hubermann (Emily Watson) sie mit garstiger Strenge empfängt, wird ihr Mann zum liebevollen Pflege-Vater, der Liesel bald das Lebens beibringt. Unter anderem, indem der Schildermaler die Wände des Kellerraums zu einem riesigen Wörterbuch macht. Trotz der Ausgrenzung als „Neue" findet Liesel im Nachbarsjungen Rudi (Nico Liersch) bald einen Freund, der zu ihr hält, selbst als die Familie Hubermann den Juden Max (Ben Schnetzer) im Keller versteckt. Wie eine umgekehrte Scheherazade hält sie ihren geschwächten Max mit dem Vorlesen von Büchern am Leben, wobei sie dafür sogar beim Ortsvorsteher aus der Bibliothek klaut. Schließlich wird Liesel auch zur Vorleserin im Luftschutzkeller, um die Angst der Menschen zu vertreiben.

Von 1938 und der Progrom-Nacht über Kriegs-, Terror- und Bomben-Jahre bis zur Befreiung reicht der Erzählbogen bei „Die Bücherdiebin". Man kann dem Film nicht direkt vorwerfen, dass er ein Buch oder eine Geschichte „geklaut" hat. Es ist vor allem immer noch die Welt der Worte, die er beschwört und er steckt seine bedrohten Protagonisten dann gleich zwischen Wände voller Worte. Das ist ein sehr schönes Bild - im wahrsten Sinne des Wortes. Und auch übertragen, denn der jüdische Flüchtling verabschiedet sich von Liesel mit dem Satz: „Du wirst mich immer in deinen Worten finden, da lebe ich weiter."

Trotzdem, vieles wirkt in „Die Bücherdiebin" mehr gestellt als gelebt, die exzellenten Hauptdarsteller Geoffrey Rush und Emily Watson sind sehr unterfordert. Vor allem gibt es hier ganz ausnahmsweise mal ein Argument für die ansonsten kulturlose Synchronisation: Die hervorragende Emily Watson spricht als schlechte Person namens Frau Hubermann ein schlechtes Englisch mit deutschem Dialekt. Eine Entscheidung, die völlig sinnlos bleibt. Während auch alle anderen ihr Englisch deutschtümelnd verhunzen, reden dabei die Nazis weiterhin Deutsch, etwa bei den Hetzen zur Bücherverbrennung.

Ähnlich unpoetisch bringt auch die Filmversion eines Jugendbuches die Härte der Menschen im Regime, die Rassenlehre oder die Hakenkreuz-Fahnen überall rüber. Die Welt der Kinder ist ordentlich aufgeteilt: Die Außenseiterin Liesel, der stramme Nazi Franz Deutsche (sic!) und der nette deutsche Nachbarsjunge Rudi. Der Widerstand zeigt sich als ein Lesezirkel. Die zu bekannten Babelsberg-Kulissen sorgen dafür, dass Nazi-Deutschland oder DDR immer gleich aussehen. Das Grauen des Krieges zeigt sich weit weg von der Front vor allem in der Angst vor der Todesmeldung, in Verstümmelten und wenn Kinder und Alte eingezogen werden. Am Ende hat der mächtige Tod wieder das letzte Wort, wenn mehrere Bomben die zentrale Kulisse treffen. Dass dabei die Bilder in die Ferne rücken und das Wort rührend wirkt, ist nur ein schwaches Plädoyer für den Film.

10.3.14

Non-Stop

USA, Frankreich 2013 Regie: Jaume Collet-Serra mit Liam Neeson, Julianne Moore, Anson Mount, Michelle Dockery 106 Min. FSK: ab 12

Den betrunkenen Flugkapitän hat uns Denzel Washington schon auf grandiose Weise hingelegt. Nun startet ein alkoholkranker Air-Marshall durch und Liam Neeson gibt mit starker Präsenz bei Non Stop-Spannung den Helden unter Terrorverdacht.

Bill Marks (Liam Neeson) ist der übliche Sicherheitsmann, der eigentlich selbst wegen seiner Trinkerei das größte Sicherheitsrisiko ist. So könnte er auch unten am Boden ein psychisch derangierter Polizist sein oder der Detektiv, der seine eigene Verderbtheit aufdeckt. Auch die Vorstellung der Passagiere von „Non-Stop" folgt sekundenschnell ermüdend dem Klischee solcher Katastrophen und Entführungsfilme - bis zum kleinen Mädchen mit Flugangst. Dass der eine arabisch aussehende Mann mit Kopfbedeckung sofort verdächtig und die anderen Mitflieger in nett und unsympathisch aussortiert werden, lässt einen fast noch vor dem Start aussteigen. Doch nachdem wir mit dem ebenfalls in Start-Panik befindlichen Bill Marks abgehoben sind, packt die Spannung effektiv zu.

Marks ist ein Air-Marshall mit Flugangst und der ungewöhnlichen Angewohnheit, auf der Flugzeugtoilette zu rauchen. Was besonders unpassend ist, wenn ein Unbekannter dies weiß und dem Aufpasser damit droht. Außerdem will der Erpresser alle 20 Minuten einen Passagier ermorden, wenn man ihm nicht 150 Millionen Dollar auf ein Nummernkonto überweist. Es liegt an Marks Personalakte, dass ihm zuerst keiner glaubt. Dass das Konto auf seinen Namen läuft, macht die Situation auch nicht einfacher. Ein erstes Handgemenge auf engstem Raum der Flugzeugtoilette verläuft raffiniert inszeniert. Ebenso die Tatsache, dass Marks dabei selbst den ersten Mord ausführt - an seinem Marshall-Kollegen, der auf die Seite des Erpressers wechselte.

Dann müssen bald der Pilot und der erste Passagier dran glauben. Dass der Aufpasser der Lüfte nach dem dritten Toten einen Drink und ne Zigarette braucht, wirkt albern, aber funktioniert hervorragend. Die doppelte Bedrohung, weil der Air Marshall von den Passagieren und Sicherheitsbehörden als Entführer angesehen wird (Buch: John W. Richardson , Chris Roach, Ryan Engle), sorgt immer wieder für das Scheitern möglicher Lösungen und hält die Identität des Erpressers lange geheim.

Liam Neeson(„96 Hours", „The Grey") hat auch in diesem Film eine körperliche Präsenz, mit der er ohne Waffe ein Flugzeug kontrollieren kann. Für Humor oder Ironie bleibt beim packenden Verlauf, der sich im Ablauf oft der Echtzeit annähert, keine Zeit. „Non-Stop" bietet bei Hoch-Spannung nur ganz wenige Minuten Action, ist ansonsten intensives Drama auf hohem Niveau. Neeson wird dabei vor allem von Julianne Moore unterstützt. Die SMS-Konversation mit den Drohungen sind ästhetisch reizvoll ins Bild eingeblendet, selbst mit ein paar Rissen, wenn der Bildschirm des Handy mal runter fällt.

Nach dem eher misslungenen Berlin-Thriller „Unknown Identity", den der spanische Regisseur 2011 Jaume Collet-Serra auch schon mit Liam Neeson inszenierte, findet er zu den Qualitäten von „Orphan - Das Waisenkind" (2009) zurück. Dass dies auch eine Joel Silver-Produktion ist, gilt jedoch seit längerem nicht mehr als Markenzeichen. Jenseits seiner Blockbuster „Nur 48 Stunden", „Brennpunkt L.A.", „Leathal Weapon" oder „Matrix" liefert Silver jedoch wieder spannende Unterhaltung ab.

Man of Tai Chi

USA, VR China, Hongkong 2013 Regie: Keanu Reeves mit Tiger Chen, Karen Mok, Keanu Reeves, Yu Hai 105 Min.

Der neue Film von Keanu „Neo" Reeves verortet den Star auf der Matrix seiner Rollen in die Ecke der Bösen: Sein Fight Club-Boss Donaka Mark sieht gut aus, ist mächtig und mächtig unsympathisch. Noch interessanter als diese Figur ist die Tatsache, dass Reeves erstmalig Regie führt und das gar nicht schlecht.

Der nicht mehr wirklich jugendliche Tai Chi-Schüler Tiger (Tiger Chen) erfährt vom alten Meister, dass er sein Chi mäßigen solle, dass ihm mal etwas Meditation gut täte. Doch statt Abwehr nutzt Tiger seine Kraft um den Speer des Lehrers zu zerbrechen. Was seinen zukünftigen Lebensweg besiegeln würde, prophezeit düster der weise Alte.

Bald darauf gerät Tiger, der als Paketbote arbeitet und Tai Chi in Karate-Wettkämpfen erfolgreich einsetzt, ins Visier der unheimlichen Unternehmers Donaka (Keanu Reeves), der wohl nur zum Schein eine Sicherheitsfirma in China leitet. Hauptsächlich organisiert er illegale Kämpfe im Untergrund. Seine Pay Per View-Kunden zahlen dabei auch für den Tod des Unterlegenen. Wobei die Kämpfer jederzeit von versteckten und offenen Kameras beobachtet werden.

Als Tiger zum Star dieser Untergrund-Kämpfe wird, wandelt er sich. Er genießt und sucht den Ausbruch brutaler Gewalt, kämpft wie besessen, sodass selbst die hart gesottenen Handlanger Donakas anerkennen müssen: „Der ist ein Killer!" Nun ist Tiger mit zwei grundverschiedenen Arten von Kämpfen beschäftigt und kann sie nicht immer auseinanderhalten. Als er sich entscheidet, doch nicht töten zu wollen, steckt er schon zu tief mit drin. Vielleicht kann ihn noch die Polizistin helfen, die parallel versucht den Ring dieser Fight Clubs auffliegen zu lassen, obwohl ihr Chef sie schon von dem Fall abgezogen hat.

„Man of Tai Chi" klingt nur von der Handlung und den Kämpfen her noch billiger Massenware, aber wie auch immer zum Fight Club gesagt wird, steht mehr dahinter. Zuerst einmal steckt Keanu Reeves nicht nur drin sondern inszenierte auch zum ersten Mal. Wobei die Kampfszenen vom bewährten Spezialisten Yuen Woo-ping choreografiert wurden, der von seinen Anfängen mit Jackie Chan Ende der Siebziger bis zur Arbeit für Ang Lees „Tiger & Dragon" sowie
den Matrix-Filmen zum bekanntesten Meister der Film-Kämpfe wurde. Mit von der Partie bei den letzten Hits war auch Tiger Hu Chen als Stuntman für diese Szenen. Aus der Freundschaft zu Keanu Reeves entstand schließlich dieser Film, in dem der asiatische Hauptdarsteller meist mit einem undurchdringlichen Gesicht herumläuft - um es positiv zu werten.

Wirklich bemerkenswert ist jedoch die Intensität der Kampfszenen, die mit erstaunlich wenigen Schnitten eine authentische Wirkung erzeugen. Auch durch den speziellen Kampfstil entstehen faszinierend fließende Bewegungen, welche die Kamera von Elliot Davis kaum einfangen kann. Eine neue filmische Form entspricht der anderen Form asiatischer Kampftechniken.

Keanu Reeves hält sich auch dabei bis zum Finale zurück. Dazwischen ist er erschreckend dämonisch und kalt. Und wenn sein Donaka Mark das eigentliche Ziel der ganzen medialen Inszenierung verrät, dann ist das ganz nah am „Running Men", ist es eine zynische Menschenjagd kombiniert mit einem Experiment im Stile der „Truman Show". An dem auch wir als Zuschauer mitschuldig sind.

Pettersson & Findus - Kleiner Quälgeist, große Freundschaft

BRD 2014 Regie: Ali Samadi Ahadi mit Ulrich Noethen, Marianne Sägebrecht, Max Herbrechter 90 Min. FSK: ab 0

Nachdem der kauzige Bauer Pettersson (Ulrich Noethen) entdeckt, dass sein Kater Findus spricht, folgt sogleich ein gemeinsames Liedchen, das den Ton für diese (Klein-) Kinderunterhaltung vorgibt. Nette, kurze Episoden, kleine Scherze und kindgerechte Erzählweisen fassen mehrere der Bücher zusammen (Buch: Thomas Springer). Dann folgen wir auch gleich schon Findus bei einer Entdeckungsreise zu den Welten der Ratten hinter den Wänden. Draußen begegnet der animierte Kater einem Fuchs und dem realen Hund von Nachbar Gustavsson (Max Herbrechter). Die späteren gemeinsamen Entdeckungen zusammen mit Pettersson verlaufen mit weniger Angst, sodass „Sprössling" Findus sogar einen Stierkampf angeht. Dem Fuchs wird eine Falle mit Feuerwerk und Niespulver gestellt, doch rechtzeitig bekommen alle Mitleid mit dem kleinen Räuber. In der letzten der kleinen Geschichten lernt der Kater seine Lektion in Sachen Eifersucht und alle erfahren, mit der Freundschaft ist es anders als mit der Pfannenkuchen-Torte. Wenn man sie miteinander teilt, wird sie mehr.

Die beliebte Kinderbuchreihe Sven Nordqvist mit ihren einfachen Geschichten und Zeichnungen wurde bislang als reiner Zeichentrickfilm umgesetzt. Nun, unter der Regie von Ali Samadi Ahadi sehen wir eine sehr aufwändige Verbindung aus Realfilm und Animation. Ulrich Noethen nutzt als vergnüglicher Pettersson seine Sams-Erfahrung in Sachen Kinderfilm. Beim behosten Kater war man bemüht, den (gezeichneten) Charakter auch in der animierten Version zu erhalten. So ist Findus seinem Vorbild hyperrealistisch ähnlich. Die Animation macht ihn fast dreidimensional, doch wichtiger blieb auch hier die Nuancen von kindlicher Freude, freundschaftlicher Hilfsbereitschaft und auch Eifersucht bei der Figur. Das sieht alles toll aus, aber wenn man gerade noch einmal die dreißig Jahre alte „Marry Poppins" gesehen hat, weiß man, dass jede tricktechnische Sensation einmal alt aussehen wird.

Da ist eher Verlass auf den witzigen Schnitt, der Pettersson schon mal mehrfach zeigt, den Charme naiv gezeichneter Hintergründe oder auf die lustigen wie hilfsbereiten Ratten. Die originelle und abwechslungsreiche Bild- und Szenen-Gestaltung vergnügt mit slapstick-artigen Zeitraffern. Und fürs Leben übt sich dieses sehr seltsame und sympathische Paar in Kind- und Elternrollen.

5.3.14

Saving Mr. Banks

USA, Großbritannien, Australien 2013 (Saving Mr. Banks) Regie: John Lee Hancock mit Emma Thompson, Tom Hanks, Colin Farrell, Ruth Wilson, Paul Giamatti 131 Min. FSK: ab 0

Zwanzig Jahre lang versuchte Walt Disney, die Rechte an dem Kinderbuch „Mary Poppins" zu bekommen. „Saving Mr. Banks", die humorvolle und rührende Geschichte, wie er schließlich die Autorin P.L. Travers überzeugte, ist im Kern des exzellent inszenierten Films die große Sehnsucht eines kleinen Mädchens nach ihrem zu früh verstorbenen Vater...

1961 sitzt die eigenwillige Schriftstellerin P.L. Travers (Emma Thompson) störrisch in ihrem Londoner Häuschen: Zwar hat sie kein Geld mehr, aber „Geld ist sowieso ein schmutziges Wort". Das Telefon ist abgemeldet, weil es nervt. Vor allem dieser Mr. Disney (Tom Hanks) aus Hollywood, der immer wieder anfragt, ob er „Mary Poppins" den großen Erfolg von Mrs. Travers verfilmen darf. Mit dem Zauberwort „final say", dem Versprechen, dass sie das „letzte Wort" haben werde, fliegt die verschrobene Frau in den Sechzigern schließlich doch zu den Disney-Studios. Vielleicht wird sie zustimmen, aber es soll auf keinen Fall ein Musical werden - „Singen ist frivol" - und sie will es nicht in „silly cartoons" verwandelt sehen.

Nun erlebt der Disney-Club einen grandiosen Kultur-Clash, denn die wortgewandte Britin geht mit den Kreativen um, wie die Gouvernante mit den unartigen Kindern in „Mary Poppins". Doch neben allem Spaß an der spitzzüngigen, abweisenden, verächtlichen und doch liebenswerten alten Schachtel, steckt hinter der vehementen Abwehr von Disneys Ideen, die seine Komponisten (Jason Schwartzman, B.J. Novak) als fröhliche Liedchen über den garstigen Bürokraten Mr. Banks schmettern, mehr als nur „ihr Baby", das sie nicht hergeben will. Mit sehr eleganten Überleitungen verzahnt, liegt allem die Geschichte der Kindheit von Pamela Lynwood Travers zu Grunde, die eigentlich Helen Lynwood Goff hieß und aus Australien stammte. Ihr liebevoller Vater Travers Goff (Colin Farrell) überraschte mit immer neuen, verrückten Geschichten, ruinierte sich aber auch mit einer unstillbaren Leidenschaft für den Alkohol. Nach seinem frühen Tod an einer Lungenkrankheit fand die Tochter nie richtig ins Leben, konnte das geliebte Idol nie loslassen.

Das alles analysiert Walt Disney in einer entscheidenden aber unnötigen Szene beim Tee mit Mrs. Travers, denn gespürt haben wir diese Trauer und Sehnsucht schon längst. Dank des exzellenten Spiels der Drehbuch-Autorin (Oscar 1996 für „Sinn und Sinnlichkeit") und Schauspielerin (Oscar 1993: „Wiedersehen in Howards End") Emma Thompson. Und dank der Inszenierung von John Lee Hancock („Blind Side - Die große Chance" 2009), der die grämende, einsame Frau in der bunten Disney-Welt auf ein ganz einfaches Kinderkarussell setzt und sie erstmals zum Lachen bringt. Der verächtliche Blick für all die Melodien, die uns noch nach Jahrzehnten wohlbekannt sind, weicht der eigenen Rührung und mit einem wahren Dammbruch der Erlösung von selbst auferlegter Schuld bei der großen Film-Premiere.

„Saving Mr. Banks" ist zwei Filme in einem. Und Vorausdeutung zu einem dritten, der Klassiker, Ohrwurm und Allgemeingut ist: „Mary Poppins" mit seinen bekannten Melodien klingt immer wieder an. Dabei folgen Disney im Film und der Disney-Film „Saving Mr. Banks" tatsächlich dem simpel wirkenden Lied-Rezept „Wenn ein Löffelchen voll Zucker bittre Medizin versüßt, rutscht sie gleich nochmal so gut."

Dass dabei Walt Disney meist als der nette Onkel, als freundlicher Patriarch und väterlicher Freund all seiner Kreativen verharmlost wird, dass Mrs. Travers in Wirklichkeit überhaupt nicht brav oder enthaltsam war und zur Zeit der Filmverhandlungen einen alkoholkranken Adoptivsohn im Londoner Gefängnis hatte, ist eine andere Geschichte. Diese hier ist perfekt und sehr wirkungsvoll erzählt.

4.3.14

Grand Budapest Hotel

Großbritannien, BRD 2014 (The Grand Budapest Hotel) Regie: Wes Anderson mit Ralph Fiennes, Tony Revolori, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody 100 Min. FSK ab 6

Wes Anderson inszenierte bislang mit einer akribischen Besessenheit für göttlich ausgefallene Details Familien-Komödien und -Tragödien im Puppenkasten-Stil, bei dem die Ausstattungen ebenso viel Spaß machten wie schräge Konstellationen und exzentrisches Personal. Nach „Die Royal Tenenbaums" (2002), „Die Tiefseetaucher" (2005) und „Moonrise Kingdom" (2012) spielt er im gleichen Stil, ebenso exzellent, aber nun politisch das Aufkommen des Faschismus im Hotelgewerbe Osteuropas nach. Ein melancholisches Vergnügen!

Schon die dreifache Erinnerung des verschachtelten Rahmens ist hervorragend Geschichte: Vom heutigen Gedenken eines großen Dichters entführt Anderson ins „Grand Budapest Hotel" unter kommunistischer Führung und von da mit einem charismatischen Erzähler (F. Murray Abraham) in den fantastisch fiktiven Ort Nebelsbad des Jahres 1932. Er liegt in Zubrowka, einem Balkan-Alpen-Mix mit vielen lustigen Namen. Die „bezaubernde alte Ruine" des Grand Budapest Hotels lebt durch den legendären Concierge Monsieur Gustave (Ralph Fiennes), der in perfektem Stil alle Gäste beglückt, vor allem aber die älteren Damen. Als die Gräfin zu Desgolfs und Taxis (Tilda Swinton uralt) stirbt und ihm ein wertvolles Gemälde vermacht, sorgt ihr Sohn Dmitri (Adrien Brody) mit Mord, Intrige und der Hilfe des brutalen Jopling (genial: Willem Dafoe) dafür, dass Gustave im Gefängnis landet. Nach einer spektakulären Flucht unter der Führung des glatzköpfigen Mitinsassen Ludwig (Harvey Keitel im Slapstick-Stil) sucht Gustave gemeinsam mit dem Page Zero Moustafa (Tony Revolori) nach dem verschwundenen Gemälde. Die ultrageheime Loge der Concierges (mit Bill Murray) steht ihnen zur Seite in der turbulenten und für Anderson ungewöhnlich spannenden Geschichte.

Während der ganzen Reihe rasanter Abläufe drohen an den Grenzen von Zubrowka die grauen Truppen der Zig-Zag-Division (ZZ oder SS), die im Lutz-Blitzkrieg schließlich auch das Grand Budapest Hotel übernehmen. Wie sie sich hirnlose Schießereien auf den Galerien liefern, wie sie mit dumpfen Desinteresse hinrichten und mit naturgegebener Lust Gewalt ausüben, ist eine der seltsamsten und treffendsten Faschismus-Darstellungen in der Unterhaltungs-Branche. Irgendwo im weiten Feld zwischen dem Comic „Maus" von Art Spiegelman und „To be or not to be" von Ernst Lubitsch könnte man „The Grand Budapest Hotel" verorten.

Wes Anderson erzählt, nach eigenen Angaben inspiriert von Stefan Zweigs Schriften (unter anderem „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers"), wieder umwerfend komisch, sogar noch wenn Monsieur Gustave seine Mörder äußerst höflich begrüßt: "Sehr erfreut Sie zu treffen! Sie sind der erste Vertreter der berühmten Todesschwadronen, den ich kennenlerne." Doch wie treffend der texanische Kulturmensch diese europäische Katastrophe erfasst, zeigt die tiefe Wehmut angesichts eines Verlustes von Anstand und Menschlichkeit, welche dieser außergewöhnliche Film nach viel Spaß hinterlässt.

Im August in Osage County

USA 2013 (August: Osage County) Regie: John Wells mit Meryl Streep, Julia Roberts, Ewan McGregor, Chris Cooper, Julianne Nicholson, Benedict Cumberbatch, Juliette Lewis 121 Min. FSK: ab 12

Pretty Women - Fehlanzeige

Wer große Stars schon immer mal ganz schön hässlich sehen wollte, kommt bei „Im August in Osage County" voll auf seine Kosten: Die Verfilmung des Bühnenstücks von Tracy Letts („August: Osage County" / „Eine Familie") zeigt Julia Roberts und Meryl Streep als keifende, schreiende und fluchende Familien-Tyrannen im düsteren Kammerspiel. Nicht schön, aber beeindruckend bedrückend.

Nach einem kurzen Prolog, der das Verhältnis zwischen der extrem zynischen und bösartigen Violet Weston (Meryl Streep), die ironischerweise Mundhöhlenkrebs, hat und ihrem alkoholkranken Ehemann Beverly Weston (Sam Shepard), verschwindet dieser in ein auf jeden Fall besseres Leben danach. Der Selbstmord hat einen Familienauflauf im abgelegenen Haus des rückständig ländlichen Mittleren Westens der USA zur Folge. In einer Hitze, die selbst tropischen Vögeln den Garaus macht.

Violets drei Töchter kommen mit jeweils interessantem, aber vor allem nebensächlichem Anhang: Barbara (Julia Roberts) lebt schon getrennt von Bill (Ewan McGregor). Karen (Juliette Lewis) ist ein sehr verlebtes und immer noch naives Blödchen, das keinen Zweifel an bevorstehender Hochzeit und Glück in Miami mit dem geschäftigen Steve (Dermot Mulroney) hat. Ivy (Julianne Nicholson), die Jüngste, lebte sowieso noch in der Nähe der Eltern und freut sich vor allem auf ihren Cousin „Little" Charles (Benedict Cumberbatch), mit dem sie ein Verhältnis hat. Die scheinbar nur rundlich gutmütige Schwester Violets, Mattie Fae Aiken (Margo Martindale), hat mit Charles (Chris Cooper) auch so einen fast unsichtbaren Mann im Schlepptau.

Was diese Familie eint ist eine erschreckende Bösartigkeit - und alle schlucken oder nehmen: Alkohol, Pillen oder Gras. Die violente Violet, diese Lady Macbeth der Hinterwäldler, ist auch hierbei die Krönung. Unter voller Dröhnung sondert sie eine unablässige Tirade voller Verletzungen, Hass-Ausbrüchen und gemeinen Sticheleien ab. Alles kulminiert beim zentralen, zwanzigminütigen Leichenschmaus. Einer Tischszene, die selbstverständlich laut wird und dann ziemlich handgreiflich endet.

Barbara geht aus dem Handgemenge als Siegerin hervor, sie hat eine von zig Pillendöschen erobert und setzt ihre Mutter nun auf Entzug. Alle zeigen sich im zweiten Teil dann demonstrativ ungeschminkt, vor allem Violet ohne Perücke mit kurzen und dünnen Haaren. Meryl Streep ist ganz herrlich als ganz fieses Ekel anzusehen. Verachtung kriecht aus jeder Pore, am bösartigsten ist jedoch ihr Mundwerk, dem man(n) scheinbar nur mit der Flucht in den Tod entkommen kann.

Julia Roberts hält schauspielerisch mit einem wenig glamourösen Gesicht mit. Ewan McGregor ist als ihr Gatte mit Vorbiss und Langeweiler-Bart nur einer der vielen Männer unterm Pantoffel. Schön, dass sie alle von ganz wunderbaren Schauspielern verkörpert werden. Chris Cooper hat als Eingeheirateter einen großen Moment, als er sein Unverständnis herausbrüllt, wie man sich gegenseitig so verletzen und fertigmachen kann. Sein Entsetzen kann man nur teilen, angesichts dieser Familie.

Als das so untypisch stille und sympathische Nesthäkchen Ivy bekannt gibt, dass sie mit ihrem Cousin nach New York zieht und das Urteil „Ihr seid Monster" fällt, beginnt der große Exodus aus dem dunklen Haus. Aber einen weiteren Inzest-Schock hat der heftige Film noch für die letzte halbe Stunde in der Hinterhand.

Schon „Nebraska" mit einem eindrucksvollen Bruce Dern zeigte ein wenig schmeichelhaftes Bild der us-amerikanischen Landbevölkerung. Die reaktionären Hinterwäldler, bei denen es eine Vegetarierin extrem schwer hat, erhalten nicht mehr als eine Minute Mitgefühl, wenn Violet bei einem ihrer vorwurfsvollen Monologe über die Härten ihrer eigenen Kindheit und die angeblich so verwöhnte Kinder-Generation referiert. Übrig bleibt vor allem ein großes Entsetzen über diese Unmenschen und Erleichterung für jeden, der doch den Weg zur freien, weiten Straße woandershin findet.