31.7.17

Final Portrait

Großbritannien 2017 Regie: Stanley Tucci mit Geoffrey Rush, Armie Hammer, Tony Shalhoub, Sylvie Testud 90 Min.

James Lord (1922-2009) war ein amerikanischer Schriftsteller, der Pablo Picasso, Gertrude Stein und Arletty kennenlernte. Mit dem Künstler Alberto Giacometti (1901-1966) war er seit 1952 befreundet, stand ihm in Paris Modell und verfasste dessen Biographie. Gleich zu Anfang der Sitzungen, vieler Sitzungen, erklärt der alte Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) seinem Freund James Lord (Armie Hammer) die prinzipielle Aussichtslosigkeit des Versuches, ein Porträt fertigzustellen. Kunsttheoretisches Geschwafel scheinbar, das sich aber sehr nervenaufreibend konkretisiert. Denn das bekannte Porträt war nach dieser Geschichte eine ganz, ganz schwere Geburt. Allerdings luftig leicht und humorvoll präsentiert von Stanley Tucci, dem bekannten Schauspieler („Die Tribute von Panem", „Der Teufel trägt Prada", „Spotlight") und guten Regisseur („Big Night", „The Impostors", „Blind Date").

Während Lord noch stoisch bis amüsiert Modell sitzt und seinen Abflug wieder und wieder verschiebt, verzweifelt der Meister hinter der Leinwand. „Oh fuck" lautet sein häufigster Kommentar. Wieder und wieder übermalt er die Leinwand. Die Verzögerungen wirken aber gelichzeitig wie ein Spiel, in dem der Meister sein Modell immer weiter herausfordert. Der legt eine bewundernswerte Ruhe und Geduld an den Tag, während man bei ihm Zuhause keineswegs so lange warten will.

Es sind die Gespräche und Ereignisse zwischen den Sitzungen, die Giacometti selbst porträtieren. Impressionistische Fragmente und Szenen, bei denen schon mal der Ton nicht synchron zum Bild läuft. Der recht geschäftstüchtige Künstler versteckt Millionen in Geldbündeln in seinem Atelier, ist aber emotional hoffnungslos abhängig von der Prostituierten und Geliebten Caroline, seinem bevorzugten Modell. Giacometti scheißt die Zuhälter von Caroline förmlich mit Geld zu, die immer wieder gedemütigte Partnerin (Sylvie Testud) des Egozentrikers schaut verbittert zu. Die im Alter zunehmenden Zweifel an seiner Arbeit sorgen für ausreichend Spielraum und das wieder und wieder wunderbare Bild der beiden Figuren im komplett grau gehaltenen Atelier, umgeben von vielen Plastiken Giacomettis (Kamera: Danny Cohen). Geoffrey Rush („The King's Speech", „Shine") und Armie Hammer („The Social Network", „Lone Ranger") machen den schweren kreativen Prozess zu einem leichten Vergnügen.

70. Filmfestival in Locarno 2017

Jedes Jahr im August kehren zwei wunderbare Erscheinungen zurück. Die eine seit Millionen von Jahren, die andere immerhin schon seit 70 Jahren. Anfang August ist Filmfestival in Locarno am Lago Maggiore und immer auch die Zeit der Perseiden, der Laurentiustränen, ein jährlich in der ersten Augusthälfte wiederkehrender Meteorstrom. Wer dieses Naturspektakel im Open Air-Kino der Piazza Grande beim Blick in den Himmel über der Leinwand erleben durfte, vielleicht sogar am 10. August 1982 als „Notte di San Lorenzo", der Film der Brüder Taviani lief, wird für immer vom Zauber Locarnos abhängig werden. Und nebenbei gibt es auch beim 70. „Festival Internazionale del Film Locarno" (2.-12. August) wieder viele gute Filme zu sehen.

Vor 71 Jahren wurde der Mythos des Locarno-Festivals geboren: Es begann 1946 auf einer abschüssigen Wiese vor dem „Grande Albergo", dem mondänen Grand Hotel Locarnos. In einer Zeit, die Filmfestivals weltweit aufleben ließ, gingen in dem eleganten Ferienort der Südschweiz nächtens die Lichter an, die Traumwelt bedeuten. Das Open Air-Kino unter dem Tessiner Sternenhimmel erwies sich als Markenzeichen und Erfolgsrezept des Film-Events. Mit dem Umzug auf die Piazza Grande, einem malerischen Pflaster-Platz nicht weit vom Lago Maggiore, wurde aus dem magischen ein Massen-Ereignis: 9000 Menschen können hier offiziell die zeitweilig größte Leinwand Europas anhimmeln, inmitten von Altstadt- und Berg-Panorama Filme aus aller Welt in exzellenter Qualität erleben. Unter dem freien Kino-Himmel der Piazza Grande kommen die Elemente hoch, der Mensch setzt sich und die Kunst in Relation zu den umgebenden Naturgewalten, den Zwei- bis Dreitausendern, dem riesigen Lago Maggiore. Man schwelgt angesichts dieser Inspirationen in elementaren Betrachtungen, angefeuert von bewegenden Filmthemen. Bei den Höhepunkten des Festivals, den modernen Blockbustern oder den Filmen für die benachbarten Italiener wird regelmäßig jeder Quadratzentimeter der Piazza mit Leinwandleidenschaft gefüllt. Dann drückt sich hier Liebe zu diesem ganz besonderen Kino nicht nur aus, sie quetscht sich geradezu auf den nun gar nicht mehr so mächtigen Platz.

Um das traumhafte Open Air-Kino versammelten sich im Laufe der Jahrzehnte andere Säle, ein Wettbewerb formte sich, der A-Status unter den Festivals wurde erworben und jährlich an die 200.000 Zuschauer bekunden ungebrochene Filmbegeisterung. Mal versuchen häufig wechselnde Festivalleitungen Locarno als das kleine der großen Festivals (Berlin, Cannes, Venedig) zu positionieren, mal als das Größte der Kleinen. Mal tummeln sich die Stars und Leinwandgötter, mal genießt man den offenen Umgang mit noch nicht so bekannten Filmemachern der Nachwuchs-Sektionen am Seeufer. Aber das Fallen der Sternschnuppen über der Leinwand hinterließ meist mehr Eindruck als das Kommen und Gehen der Stars auf der Bühne. Diese teilten immer wieder eines mit dem Publikum der Piazza Grande - die enorme Begeisterung! Mal euphorisch, mal sprachlos oder auch fast religiös angerührt angesichts einer Kinokult-Gemeinschaft von 9000 Menschen.

In all den Jahrzehnten präsentierte Locarno immer neue Impulse der internationalen Filmszene: Hier wurde den italienischen Neorealisten gehuldigt und den chinesischen Regisseuren der 5. Generation. Die Nouvelle Vague mit Truffaut, Godard und Co. war hier ebenso zu entdecken, wie das Osteuropäische Kino der 60-ger Jahre. Marco Bellocchio oder Abbas Kiarostami traten hier ins Scheinwerferlicht und kamen gerne mit ihren neuesten Werken zurück an den Lago. Als Konstante blieb die Hochachtung vor dem Autorenfilm, der Respekt vor persönlichen und unverwechselbaren Handschriften der Filmkünstler. Auch in der Festivalleitung tauchen große Namen auf: Moritz de Hadeln war bis bevor er die Berlinale übernahm. Marco Müller setzte Akzente, ging nach Venedig und ist jetzt in Rom. Olivier Père kam von der Cannes-Nebensektion Quinzaine des réalisateurs.

Das Grand Hotel, wo alles anfing, blieb bis zu seiner Schließung vor zwölf Jahren der wahrlich magische Ort, der Jahrzehnte lang das gesellschaftliche Herz des Festivals bildete: Hier trafen sich nachts nach den Piazza-Filmen all die Schönen, Wichtigen, Genialen mit den begeisterten Cineasten, den Produzenten und denen, die sich nur immer selbst produzieren. Kein anderes Festival bot einen atmosphärisch wie kommunikativ derart aufgeladenen Treffpunkt. Der heilige Ort des Ursprungs verfällt mittlerweile als Spekulations-Ruine, in der nur noch mal indische Filmteams für etwas Leben sorgten. Am Verlust dieses Ortes macht sich eine mögliche Bedrohung des Festivals fest: Auch andere Hotels schließen oder werden zu Eigentumswohnungen umgewandelt - der Ferienort verliert das Mondäne und wandelt sich zum verschlafenen Touri-Nest für betagtes Publikum. Die Festivalgäste übernachten im fußläufigen Ascona und in kleineren Orten der steilen Bergflanke, die sich vom See bis auf über 2000 Meter reckt.

Die Piazza - der Platz und der Platzregen
Überhaupt sind die Immobilien abseits von den üblichen Diskussionen über gute oder weniger gute Programme, über zu viel oder viel zu viel Stars tatsächlich ein ganz handfestes Problem des Sommer-Festivals. Es hat nämlich eigentlich kein richtig großes Kino. Vor allem bei Regen und Gewitter stellt sich die Frage, wohin mit den 9000 Zuschauern, die auf die Piazza passen. Denn trotz Klimawandel ist Verlass wie auf ein Unwetter und das Spektakel, dass Tausende Zuschauer in schicker Abendkleidung von der Piazza in weniger charismatische Kinos mit Bedachung jagt. Ein ehemaliger Festivalpräsident bat zur Eröffnung denn auch regelmäßig die „Madonna del Sasso", deren Kapelle auch im Dunkeln vom Berg herunterleuchtet, für gutes Wetter. Die immer eine sehenswerte Regen-Völkerwanderung geht in den Festivalsaal „Fevi" - eigentlich eine Sport- und Mehrzweckhalle, dem zwar der Scheißgeruch vom Schulbetrieb ausgetrieben wurde, doch die Bestuhlung ist schmerzlicher als Schulsport. Das alte Traditionskino Rex soll renoviert werden, reicht aber kaum für die immer sehr umfassenden und gründlichen Retrospektiven-Reihen aus. Deshalb strahlt das Festival zum Jubiläum besonders mit seinem neuen „Palazzo del Cinema", einem kleinen zusätzlichen Filmpalast: Goldene Metallplatten verzieren das rekonstruierte alte Schulgebäude, das nun in drei Kinosälen weitere 800 Zuschauer modern beherbergt. Die Eröffnung erfolgt pünktlich zur 70. Ausgabe.

Doch die Piazza ist regelmäßig voll, obwohl die Schweizer Preise auch beim Eintritt hoch sind wie die umgebenden Berge. Ein Abend auf der Piazza mit einem Film kostet 25 Schweizer Franken (ca. 22 Euro), bei einem Double Feature sind es schon 35, mit reserviertem Platz sogar 52 Franken! Eingerechnet sind da wohl auch die anderen Attraktionen des Süd-Schweizer Ferienortes, die wunderbaren Bademöglichkeiten im See und in den eiskalten Gebirgsbächen. Die Ponte Brolla, das kleine Weltwunder einer Felsschlucht am Ende des Maggia-Tales verfärbt sich regelmäßig Anfang August im schwarz-gelben Leoparden-Muster der Kataloge, Festivaltaschen und Halsbänder mit Akkreditierungen.

So wird es auch 2017 sein. Diesmal ist „Atomic Blonde" als einziger lauter US-Film auf der Piazza Grande mit Charlize Theron und Berlin in der Hauptrolle vertreten. Mit weiterer deutscher Beteiligung feiern hier „Drei Zinnen" von Jan Zabeil mit Alexander Fehling („Homeland") und Bérénice Bejo („The Artist") sowie „Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau, eine Geschichte aus der Jungsteinzeit, ihre Weltpremieren. Sie versuchen das Fast-Abo deutscher Produktionen auf den Publikumspreis zu verlängern, den schon „Der Staat gegen Fritz Bauer", „Das Leben der anderen", „Das Wunder von Bern" und „Die syrische Braut" auf dem Pflaster ergatterten. Im Wettbewerb „Concorso Internazionale" geht mit „Freiheit" von Jan Speckenbach junges deutsches Kino ins Rennen. Insgesamt sind 28 deutsche Filme und Koproduktionen programmiert. Zum Jubiläum gönnt sich Locarno mit der Retrospektive zu Jacques Tourneur außerdem eine besonders schöne Hommage. Zeitlos gut wie das Festival selbst.

30.7.17

Planet der Affen: Survival

USA 2017 (War for the Planet of the Apes) Regie: Matt Reeves mit Andy Serkis, Woody Harrelson, Steve Zahn, Terry Notary, Amiah Miller, Karin Konoval 140 Min. FSK: ab 12

Nach „Rise - Aufstand" und „Dawn - (Morgen-) Dämmerung" nun also „War - Krieg" für den „Planet der Affen". Die deutsche Vermarktung gibt dem dritten Teil der aufsehenerregenden neuen Kinoserie wieder einmal einen völlig sinnentfremdeten Titel: Das Werk heißt im Original „War for the Planet of the Apes", also Krieg für den Planet der Affen. Man könnte auch sagen: Menschen-Krieg.

Nach der Menschwerdung der durch einen Virus intelligenter gewordenen Affen, das gleichzeitig fast die gesamte Menschheit und deren Infrastruktur ausradierte, versteckt sich das Volk des Ober-Affen Caesar (Andy Serkis) in den Wäldern Nord-Kaliforniens. In der ersten der beiden eindrucksvollen Action-Szenen, zu Beginn und am Ende, wehren sie einen Angriff menschlicher Soldaten ab. Caesar vergibt den überlebenden Angreifern und lässt sie frei - in der Hoffnung auf Frieden. Doch Colonel McCullough (Woody Harrelson), der Führer der Soldaten selbst, wird wiederkommen und Caesars Frau und Sohn ermorden.

Nun sieht anscheinend auch ein Affe rot - die Menschwerdung der hochentwickelten Tiere, die in „2001" noch in einigen Sekunden erfolgte, verläuft hier über drei bemerkenswerte Filme. Caesar lässt sein Volk alleine weiter ziehen, um sich persönlich am Colonel zu rächen. Das ist weiterhin großes Charakter-Drama und diesmal auch ein Western mit biblischen Anlehnungen.

Das Quartett verschiedener Affen, das sich mit Pferden auf den Weg zur verschneiten Berg-Festung des Colonels macht, nimmt sich eines Mädchens (Amiah Miller) an, das wie die meisten Affen nicht sprechen kann. Sie leidet an einer mysteriösen Krankheit, deren Opfer vom Colonel sofort umgebracht werden. Immer noch ist das eine große Gebot, dass ein Affe keinen anderen töten soll, eine Maxime für dieses Volk, auch wenn Caesar selbst diese Linie einmal übertreten hat. Doch im Vergleich jedoch zu dem, was Menschen einander antun, war die Ermordung des vor Hass wahnsinnigen Kobas im zweiten Film nur ein Streichelzoo. Diesmal erreicht das Grausen angesichts von „Menschlichkeit" eine neue Dimension durch den Colonel als Verkörperung des Kurtz'schen Wahnsinns aus „Das Herz der Finsternis" und „Apocalypse Now".

Mit dem Graffiti „Ape-pocalyse Now" macht Regisseur und Ko-Autor Matt Reeves den Bezug zu Ausbeutung und Sklaverei sehr deutlich. Wenn Harrelson als Colonel über der Felsen-Festung thront und zur USA-Flagge einen heiligen Krieg ausruft, wird etwas unübersichtlich, wem hier alles nachgeäfft wird: Caesar leitet wie „Spartacus" den Gefangenen-Aufstand und leidet am Kreuz. Der Vietnam-Krieg mit Hubschrauber-Attacken (diesmal ohne Wagners Walküren) verweist auf die wirklich furchtbare Realität tatsächlicher Menschen-Kriege. Und die Bibel, ja die Bibel wird von demnächst eine Copyright-Klage starten. Zu dick ist die Moses-Parallele aufgetragen, wenn Caesar sein Volks im Exodus führt, aber das gelobte Land nur sehen und nie betreten kann. Zu sehr hält sich der Film eine Weile am Ausbruchs-Genre fest.

Dann folgt allerdings auch ein mächtig rührender und menschelnder Schlusspunkt, wie überhaupt die Wirkung der enorm expressiven Mimik im computer-generiertem Affenfell ungeheuer eindrucksvoll geriet. Zwar spricht Caesar als einziger Affe, alles andere ist Äffisch mit Untertiteln (ein Killer für Deutsche, die im Kino ja alle plötzlich nicht mehr lesen können), doch versteht man diese Wesen, die weiterhin die besseren Menschen sind, nur allzu gut. Dabei wird die großartige Musik von Michael Giacchino mal nicht als emotionaler Krückstock gebraucht. Sie ist eigentlich zu gut, weil auffällig, und bei Action wie in ruhigen Momenten oft das Spannendste - auch wenn der Rest keineswegs langweilig ist. Bei dieser klassischen Western-Geschichte im Affen-Fell, bei der Menschwerdung der Kreaturen und der Animalisierung der Menschen, liegt im Mitgefühl für einander die große Hoffnung. Dass sich das Affen-Volk nun jenseits der Rockies niederlässt und eines Tages dort Filme drehen wird, wie die anderen Affen es heute tun, ist die einzige Sorge bei einer Film-Reihe, die kaum besser werden kann.

Emoji - Der Film

USA 2017 (The Emoji Movie) Regie: Tony Leondis 86 Min.

Ausgerechnet Wortwitz! Bei einem Film über Zeichen-Kommunikation! Altkluge Scherze, wahrscheinlich von arbeitslosen Germanisten, über die in einer Preview mit Kindern exakt niemand gelacht hat. So vergeigen es die Emojis direkt, für sich einzunehmen. Ganz abgesehen davon, dass dieses knallbunt angekündigte Animations-Filmchen ein lebloses Retorten-Produkt ist - genau wie die billige Popmusik, die auf der Tonspur nervt. Auf der IMDB hat der Film aktuell sagenhaft schlechte 1,4 von zehn möglichen Punkten!

In der Welt der Emojis wartet Gene aufgeregt auf seinen ersten Arbeitstag. Allerdings kann er seine Funktion als emotionsloses Emoji nicht erfüllen, dauernd verrutschen ihm die Gesichtsausdrücke. Auch ausgerechnet als der Besitzers des Handys, der Teenager Alex, seinem Schwarm eine SMS schickt. Parallel zu den Teenie-Komplikationen in der (ebenfalls animierten) Real-Welt muss Gene aus der Emoji-Welt fliehen, weil er als schadhafte Software durch bedrohliche Bots gelöscht werden soll.

Ein Film über die Emanzipation eines Emojis also, über das ewige Jugend(film)problem, seinen eigenen Weg zu finden. Das kennen wir, die Verpackung in einer Smartphone-Umgebung soll neu dran sein. Die Erklärung, wie dessen Technik funktioniert, geriet allerdings überhaupt nicht sinnig oder stimmig wie einst bei „Tron" das Innenleben eines Computers oder auch bei „Alles steht Kopf" die Funktion der menschlichen Emotionen.

So ist es ganz kurz witzig, die „eigenen" Emojis auf der Leinwand zu sehen, dann langweilen auch schon pädagogisch wertvolle Bemerkungen zu Facebook und moderner Kommunikation. Die Animation schafft es nicht, wie im Lego-Film den prinzipiell beschränkten Figuren mit witziger Mimik und flotten Sprüchen Leben einzuhauchen. Ausgerechnet die finale Idee, Gene zum Sonderling mit mehreren Gesichtsausdrücken zu machen, läutet mit der Konkurrenz der animierten Sticker das Ende der Emoji ein.

Genes Flucht durch mehrere Smartphone-Applikationen (Achtung: Werbung!) wirkt gezwungen, dass Candy Crush dabei tatsächlich erklärt werden muss, macht klar, wie flott der Film - nicht - ist. Großes Theater um kleine Idee, die sich leer und hohl anfühlt. Nur Katzenvideos rief beim Zielpublikum Reaktionen hervor, was kein Vorschlag für die nächste tolle Film-Idee zu „Irgendwas mit Internet" sein soll.

26.7.17

Das Gesetz der Familie

Großbritannien 2016 (Trespass against us) Regie: Adam Smith mit Michael Fassbender, Brendan Gleeson, Lyndsey Marshal, Georgie Smith, Kacie Anderson, Rory Kinnear 99 Min. FSK: ab 16

Edel-Schauspieler Michael Fassbender landet diesmal im wenig respektablen Milieu - und auch das steht ihm vortrefflich. Zusammen mit dem anderen Schauspiel-Giganten Brendan Gleeson verkörpert er Patriarchen des modern reisenden und raubenden Cutler-Clans in England. Sie leben in einer Wohnwagensiedlung - unangemeldet selbstverständlich. Denn die tief religiöse Bande von gesetzeslosen Außenseitern und Dieben, die vor allem wegen ihrer Nähe zum Fahrenden Volk als asozial betrachtet wird, lebt nicht nur von ihren Raubzügen bei den Reichen der Gegend. Sie halten auch gerne die Polizei zum Narren, am liebsten in Verfolgungsjagden mit geklauten Autos.

Fassbender spielt Chad Cutler, gleichzeitig sorgender Vater und kleiner Junge, der immer wieder Streiche ausheckt. Auch wenn er zu jedem Blödsinn bereit ist und liebend gern die Polizei provoziert, will er wegen seiner Kinder ein anderes Leben. Er kann selber nicht lesen, schickt sie aber trotz vieler Widerstände in der Familie und von den Behörden zur Schule. Vor allem sein Vater und Clan-Chef Colby Cutler (Brendan Gleeson), der seine Autorität mit großer Ruhe und Selbstverständlichkeit auslebt, erachtet modernen Kram wie Schule als Blödsinn. Als die Polizei Chad bei einem nächtlichen Raubzug zu nahe kommt, spitzt sich der Konflikt zu.

Chad Flucht nach dem Einbruch ist eine grandios intensive Action-Szene. Neben Action-Film und Gangster-Drama ist „Das Gesetz der Familie" aber vor allem auch Milieu-Studie. Mit Melancholie wird Abschied genommen von der Freiheit eines Kinderlebens mit Klettern auf Bäumen, mit den eigenen Hunden über Felder jagen und unangeschnallt Auto fahren. Genau: Kinder, die fahren, nicht mitfahren.

Tatsächlich hegt man Sympathien für diesen ungebändigten Chad Cutler. Zumal die Polizei in ihrer Gesetz- und Maßlosigkeit nie positiv rüber kommt. Sie entführt sogar die Kinder von der Schule, um die verzweifelten Eltern unter Druck zu setzen. Bis Chad seine Frustration im Camp an dem geistesgestörten, dauer-aggressiven Gordon raus lässt. Danach merkt auch der immer etwas besser - das heißt: nicht im Trainingsanzug - gekleidete Kerl, dass sich etwas ändern muss.

Michael Fassbender und Brendan Gleeson im Vater-Sohn-Konflikt, der gleichzeitig auch Zeitenwende bedeutet, das ergibt enorme, gebündelte Leinwand-Power dieser beiden Giganten im komplexen Gegeneinander. So bekommt der Zusammenstoß zweier Welten genügend Substanz. Auch der kleine Georgie Smith, der Chad Sohn Tyson spielt, macht Eindruck. Die Film-Musik stammt von The Chemical Brothers, für die Regisseur Adam Smith bereits Musikvideos drehte. Bis zum großartigen Schlussbild zum Abgesang der Freiheit ein sehr gelungener Debütfilm.

25.7.17

Paradies

Russland, BRD 2016 (Rai) Regie: Andrei Konchalovsky mit Julia Vysotskaya, Christian Clauß, Philippe Duquesne,
Peter Kurth, Jakob Diehl 131 Min.

Der russische Filmemacher Andrei Konchalovsky („Onkel Wanja", „Runaway Train", „Der innere Kreis"), Bruder von Nikita Mikhalkov, hatte eine sehr erfolgreiche Periode in Hollywood bevor er nach Russland zurückkehrte. Im 23. Film zeichnet der 79-Jährige in einer ungewöhnlichen wie fesselnden Form Gewalt und Faschismus nach. Die russische Adelige Olga (Julia Vysotskaya) wird in Paris verhaftet, als sie jüdischen Kindern bei der Flucht hilft. Zwar kann sie einen französischen Polizisten verführen und manipulieren, um der Folter zu entgehen, doch als dieser erschossen wird, kommt sie ins KZ. Dort trifft sie auf den jungen adligen Militär Helmut (Christian Clauß), einen linientreuen Hitler-Fan, dessen Familie eine lange Kriegsgeschichte mit Frankreich hat. Als Offizier leitete er Deportationen in Osteuropa und kontrolliert nun das Lager, in dem er in Olga seine ehemalige Liebe aus Italien wiedererkennt.

Die Spielfilmhandlung wird unterbrochen von in die Kamera gesprochenen Verhören der drei Personen in Sträflingskleidung. Eine unbestimmte, spannende zweite Ebene, in welcher der Polizeichef selbst ein Gefangener ist. Die Lebensbeichten in drei Sprachen eröffnen reich und vielschichtig Aspekte um entsetzliche Erlebnisse im KZ. Die Montage um die extremen Gegensätze ganz unterschiedlicher Leben vorher und nachher, bei Herrenmenschen und Gefangenen, einer Liebe in Freiheit, den Abhängigkeiten im Lager. Andrei Konchalovsky erhielt in Venedig 2016 den Silberner Löwe für die Beste Regie.

Sie nannten ihn Spencer

Österreich 2017 Regie: Karl-Martin Pold 122 Min. FSK: ab 0

Pünktlich zur Schwimm-WM würdigt diese kleine Doku einen der bekanntesten Schwimmer Italiens: Carlo Pedersoli, vor allem bekannt unter seinem Schauspiel-Pseudonym Bud Spencer! Die verspielte biografische Suche nach dem Leben des ewig unterschätzten und mittlerweile verstorbenen Trash-Stars (1929-2016) gefällt sich selbst zu sehr in der Kopie von Slang, Gestus und Dramaturgie der Bud Spencer und Terence Hill-Filme.

Marcus lebt inmitten seiner Devotionalien als leidenschaftlicher Bud Spencer-Fan. Er erzählt, wie er nach einem Genickbruch bettlägerig vor allem Bud Spencer und Terence Hill-Filme gesehen hat. Und dankt Pedersoli, dass er mittlerweile wieder gehen kann. Jorgo, der andere Held dieses Films, ist blind, was die Würdigung von Carlo Pedersoli auf eine Tonspur mit wahrscheinlich mäßig übersetzten Synchro-Texten reduziert.

Auf der Reise nach Italien gibt es am laufenden Kilometer krampfhaft komische Szenen, in denen die beiden kopierte Sprüche klopfen. Den Kommentar gibt die deutsche Stimme von Terence Hill, samt typisch flapsigem Tonfall. Untergemischt sind passende Ausschnitte aus den Filmen. Das weitere Leben von Carlo Pedersoli als Schriftsteller, elffacher italienischer Schwimmchampion, zweifacher Olympiateilnehmer, Wasserballeuropameister, Sänger, Komponist, Pilot, Flugunternehmer, Modedesigner, Fabrikant, Drehbuchautor, Produzent und nicht zuletzt Erfinder einer Art Einwegzahnbürste kommt so gut wie nicht vor. Dementsprechend treffen die Scherzkekse ihr Idol erst mal nicht - im Geiste des sympathischen Scheiterns ihrer Vorbilder. Untergemischt sind Interviews mit Zeitgenossen und Terence Hill selbst. Die Dokumentation geht begeistert dem Ausmaß dieses speziellen Fantums nach, ohne mal von außen auf das Phänomen zu blicken. Wenn ein Filmkritiker meint, die beiden wären das erfolgreichste Filmduo aller Zeiten, vergisst er neben Stan Laurel und Oliver Hardy. Bis zum letztendlich eher peinlichen als rührenden Treffen mit einem alten Mann und Verständigungs-Schwierigkeiten geriet die Doku selbstverliebt viel zu lang.

24.7.17

Dunkirk

USA, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, BRD 2017 Regie: Christopher Nolan mit Fionn Whitehead, Tom Glynn-Carney, Tom Hardy, Kenneth Branagh, Cillian Murphy 106 Min. FSK: ab 12

Der erste erfolgreiche Brexit war eine Katastrophe. Im militärischen Denken auf jeden Fall: Deutsche Armeen schlossen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Mai 1940 französische und britische Truppen bei Dünkirchen ein. Der stockende Vormarsch ermöglichte innerhalb einer Woche eine hektische Evakuation von über 300.000 Soldaten. Wobei nicht nur Kais zum Anlegen fehlten, es kamen auch keine Kriegsschiffe - die wurden zur Verteidigung der Insel zurückgehalten.

In diese aussichtslose Situation stürzt Christopher Nolan („Interstellar", „Inception", „The Dark Knight"-Trilogie) uns mit „Dunkirk": Ein verängstigter junger britischer Soldat stolpert als letzter Überlebender seines Trupp aus den Straßen der Stadt an den riesigen Strand, an dem viele Tausend Soldaten auf Rettung warten, während sie unter Beschuss deutscher Flugzeuge stehen. Der namenlose Soldat, der erst im Abspann Tommy genannt wird, versucht sich als Träger von Verwundeten an den eindrucksvoll endlosen Schlangen vorzumogeln. Der Film wird seine Odyssee beschreiben, dauernd auf rettende Schiffe drauf, von sinkenden runter, aus dem Wasser gefischt, nur um wieder am Strand von Dünkirchen zu landen.

Parallel wird gezeigt, wie an der englischen Küste im Rahmen der legendären „Operation Dynamo" alle Privatboote angewiesen werden, Kurs auf Dünkirchen zu nehmen. Eine Flotte von Schiffen und Schiffchen jeder Größe, vom Fischerkahn bis zur Wochenend-Schaluppe. Mit einem kleinen Freizeit-Kahn macht sich ein auch Vater mit seinem Sohn auf den Weg, nimmt zuerst einen völlig verstörten Schiffbrüchigen (Cillian Murphy) auf. Die Überfahrt wird garniert mit Luftgefechten, die wir aus der Perspektive eines britischen Spitfire-Piloten (Tom Hardy) bis zu dessen letzten Benzin-Tropfen verfolgen.

Das große erzählerisches Kunststück von Nolan, der „Dunkirk" nach seinem eigenen Drehbuch inszenierte, liegt darin, die drei Ebenen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen zu lassen: Wirkt es anfangs noch wie eine Parallelmontage, ist es auf dem Boot noch Tag und am Strand plötzlich Nacht. Während die Ereignisse in Dünkirchen im Laufe einer Woche passieren, dauert die Bootsfahrt dorthin einen Tag und die Handlung in der Luft eine Stunde. Auch schon „Memento", Nolans erstes großes Kino-Kunststück, überraschte mit zwei gegenläufigen Zeitsträngen.

Nolan blendet sowohl die militärische Führung in London unter dem Kommando von Churchill als auch die nahezu unsichtbaren deutschen Angreifer aus. Er pickt sich ein paar Einzelschicksale zu Land, zur See und in der Luft heraus, zu ihnen gibt es allerdings keine biografischen Hintergründe, keine Fotos oder Briefe von den Lieben daheim. Es sind auch keine großen Helden, nur einfache Leute, die still tun, was zu tun ist. Das geriet sehr spannend, immer wieder beklemmend, nicht nur bei den vielen Szenen mit unter Wasser gefangenen Soldaten. Auch Cillian Murphy als Gesicht der Verstörung prägt sich nachhaltig ein. Die Darstellungen des Sterbens, des Ertrinkens, Verbrennens sind zurückhaltend, die Schreie der Sterbenden dagegen eindringlich.

Doch selbst ein Kriegsfilm von Christopher Nolan bleibt ein Kriegsfilm, bleibt die Behauptung, mit Waffen könne man Konflikte lösen, bleibt eine Verharmlosung von Morden, Grauen, Gewalt. Bei aller optischer Brillanz, bei allem inszenatorischem Können Nolans und all seinen technischen Spielereien verhindert die eigentlich positive Perspektive des „einfachen Soldaten" mit seinem - bei aller Weite der guten Bilder von Hoyte van Hoytema - begrenzten Horizont, dass irgendein weitergehender Gedanke über diesen Krieg, den Einsatz von „einfachen" Soldaten und das Scheitern von Politikern auftaucht.

23.7.17

The Party

Großbritannien 2017 Regie: Sally Potter mit Kristin Scott Thomas, Timothy Spall, Patricia Clarkson, Bruno Ganz, Cherry Jones, Emily Mortimer, Cillian Murphy 68 Min. FSK: ab 12

Komödie, kurz und knackig. Dieses erfrischende aber seltene Prinzip hat eigentlich der lakonische Finne Aki Kaurismäki für sich gebucht. Sally Potters „The Party" ist mit einer eindrucksvollen Riege Charakterdarstellerinnen mit nicht minder bekannter Herrenbegleitung geistreich, spritzig und sehr witzig.

„The Party" soll ein kleines, feines Essen unter Freunden werden. Janet (Kristin Scott Thomas) wurde gerade zur Ministerin im Schattenkabinett der Opposition ernannt. Die Krönung der politischen Laufbahn muss gefeiert werden. Dazu ahmt Janet einem historischen Vorbild nach („Doing a Thatcher") und bereitet das Essen für die meist feministischen Freunde selbst. Doch um die Gesundheit des Mannes der Gesundheitspolitikerin steht es nicht zum Besten. Bill (genial: Timothy Spall) sitzt zuerst geistesabwesend Rotwein trinkend nur rum und verkündet noch vor dem Toast eine unheilbare Erkrankung. Nun folgen esoterische Sprüche zum Totlachen vom „deutschen" Guru Gottfried (Bruno Ganz), die Bekanntgabe einer erfolgreichen Drillings-Invitro-Befruchtung beim lesbischen Paar und der Auftritt eines extrem eifersüchtigen Bankers Tom (Cillian Murphy), dessen Frau ihn mit einem der Gäste betrügt. Doch Bill hat noch etwas bekanntzumachen, bald fliegen die Sekt-Gläser und die Fetzen.

Die feministische Regisseurin Sally Potter („Orlando" 1992, „The Tango Lesson" 1996) präsentierte ihre spannenden Themen bislang oft verkopft - diesmal geht die herrliche, beidseitige Geschlechter-Karrikatur ganz über den Bauch, vor allem über die Lachmuskeln. In knapp 70 Minuten exquisitem Schwarzweiß-Film schießt sie ein unvergleichliches Feuerwerk an Typen und Themen ab. Die gesundheitspolitische Diskussion des Parlaments wird hier direkt wunderbar komisch in die Praxis umgesetzt. Die feministische Politik-Richtungen der Londoner Upper Class, Post-Post-Feministinnen und alteingesessenen Linksintellektuellen bekommen alle ihr Fett ab, die Männer sowieso.

Baby driver

Großbritannien, USA 2017 Regie: Edgar Wright mit Ansel Elgort, Lily James, Kevin Spacey, Eiza González, Jon Hamm, Jamie Foxx 113 Min. FSK: ab 16

„La La Land" schon wieder - nur diesmal nicht im Stau der Musical-Geschichte sondern mit Vollgas voraus. Edgar Wright („The World's End", „Shaun of the Dead", „Hot Fuzz") legt den eindrucksvollsten und rhythmischsten Film des Jahres hin. Der perfekt auf 23 großartige Songs geschnittene Thriller hängt locker „Driver" und im romantischen Kitsch sogar „La La Land" ab.

Es begann 2003 mit einem Musikvideo Wrights zu „Blue Song" von Mint Royale: Ein Fahrer fragt seine Gang, wie lange sie für den Überfall brauchen und sucht - noch von CD - den passenden Song raus. Während er ein grandioses Playback hinlegt, läuft der Heist im Hintergrund ab. So steigt auch „Baby Driver" ein: "Bellbottoms" von The Jon Spencer Blues Explosion ist lang genug und im zweiten Teil richtig rasant für eine atemberaubende Verfolgungs-Jagd, bei der „Driver" Baby (Ansel Elgort) einen ganzen Polizei-Fuhrpark abhängt. Der nächste Spitzen-Song auf der Playlist ist vielleicht die am besten choreografierte Szene dieses an Superlativen reichen Meisterwerks. Baby holt zu „Harlem Shuffle" Kaffee für die Gang - sein Gang durch die Innenstadt von Atlanta greift den Text in Tags und Graffitis auf den Wänden auf, die coolen Bewegungen des sehr jungen Fluchtfahrzeug-Fahrers spielen exakt auf die Note passend mit einer Trompete im Schaufenster des Musikalienhandels.

Die Erklärung, weshalb Baby dauernd Musik hört und so gut wie nichts sagt, gibt Doc (Kevin Spacey), Boss und Planer der Raubzüge: Der Junge hatte als Kind einen schweren Unfall und übertönt so seinen Tinnitus. Derweil wird das Geld zum Rhythmus von „Egyptian Reggae" auf die Stapel verteilt. Baby bekommt seinen gleichen Teil, den Doc ihm später in der Tiefgarage abnimmt. Dem knallhart lässigen Gangster klaute der Junge einst einen Wagen voller „Waren" und muss nun seine Schulden abfahren.

Im Soundtrack taucht kurz nach diesem unfassbar genialen und kompakten Auftakt Debora gleich zweifach auf: Als „Debra" von Beck und als „Debora" von T. Rex. Songs für den Namen der Kellnerin (Lily James), mit der Baby vom ersten Anblick an die große Flucht plant. Denn Baby will kein Blut sehen, aber vor allem der Psychopath Bats (Jamie Foxx) betont, dass es kein Verbrechen ohne Gewalt gibt. Was dem gefährlich lässigen Mit-Räuber Buddy (Jon Hamm) und seiner extrem heiß emanzipierten Gangster-Braut Darling (Eiza González) extrem auf die Nerven geht. Wetten werden angenommen, wer von den grundverschiedenen Machos den anderen umbringen wird. Baby selbst hat zusätzlich eine tragische Geschichte und einen tauben, schwarzen Stiefvater, um den er sich vor der Flucht vom Fluchtautofahren kümmern muss. Hinter seinen Sonnenbrillen, für die er in jeder Tasche Ersatz hat, den vielen iPod-Generationen und seinen endlosen Popkultur-Zitaten steckt ein sensibler, symphytischer Typ.

„... some Oscar-Shit right there" - Bats, der zum Rhythmus von „Tequila" ballern darf, erkennt selbst, was für ein Oscar-Material „Baby Driver", benannt nach einem Song von Simon & Garfunkel, ist. Sorgte Edgar Wright mit seiner „Blood and Ice Cream"-Trilogie („The World's End", „Shaun of the Dead", „Hot Fuzz") noch für überbordenden Spaß mit Genre-Parodien gut, führt er hier in sagenhafter Perfektion Gangster-Film und Musical zu etwas Einzigartigem zusammen. Da kann „Driver" Ryan Gosling Wagen-Waschen gehen und Haudrauf Tarantino wieder Videos verkaufen. Diese rasanten, witzigen, spannenden, romantischen Szenen machen süchtig, diesen Stoff muss man sich immer wieder reinziehen. Alles hat hier Stil, angefangen mit einem Soundtrack vom Feinsten bis zu den meisten Figuren.

17.7.17

Das unerwartete Glück der Familie Payan

Frankreich 2016 (Le petit locataire) Regie: Nadège Loiseau mit Karin Viard, Philippe Rebbot, Hélène Vincent 104 Min.

Immer kommt sie zu spät, immer verpasst sie was: Nachdem Nicole Payan (Karin Viard) diesmal am Hafen den Untergang ihres Sohnes verpasst hat - er ist auf einem U-Boot stationiert, steht ein verärgertes Lebens-Resümee an. Doch viel Zeit zum Überdenken bleibt nicht, denn prompt kündigt sich auch sehr spät bei der 49-Jährigen eine weitere Schwangerschaft an. Ist dafür noch Zeit bei der Pflege der verwirrten Mutter, der herrlich verantwortungslosen und kindischen Tochter, der Enkelin im Hotel Mama? Und neben dem Geldverdienen, denn ihr Mann Jean-Pierre (Philippe Rebbot) träumt ohne Gehalt vom Erfolg der Turner-Mannschaft, die er betreut. Eine Abtreibung wird kurz angedacht, aber schnell verworfen. Als Mama dann zusammenbricht und im Krankenhaus absolute Ruhe verordnet bekommt, ruft das die ganze Mehrgenerationen-Familie zur Verantwortung. Mit sehr komischen Konsequenzen.

Die Regisseurin Nadège Loiseau „verlängerte" ihren Kurzfilm „Le locataire" (2013) zu einer ebenso flotten wie einfühlsamen Komödie. Sie beweist dabei großes Talent für pointierte Szenen: Das „Familien-Gespräch" am Schlagbaum der Maut-Station, bei der Nicole arbeitet, ist nicht nur dank Philippe Rebbots trottelig gespieltem Ehemann komisch. Als sie die Schwangerschaft ihrem Mann mitteilt, ist das ein Dialog aus lauter Auslassungen. Dazu gibt es gute, treffende Bilder: Die vielen Jobs der „Wonder Woman" werden einfach ausgedrückt in den Schuhwechseln von Arbeiterschuhen, zu Pantoffeln, zu den hochhackigen und wieder von vorne. Selbst alte Scherze wie die hilflosen Männer vor der Waschmaschine funktionieren hier noch herrlich gut.

„Das unerwartete Glück der Familie Payan" dreht sich denn auch hauptsächlich darum, die Geschlechterrollen durcheinander zu wirbeln. Das Thema der späten Schwangerschaft wird gestreift und sorgt für ein bewegtes Finale, aber in der gekonnt spielerischen Aufdeckung der ganzen Bequemlichkeiten, die Nicole (er-) tragen muss, liegt das Pfund dieser klugen Komödie. Erst als die Tochter, Mutter, Großmutter und Ehefrau in Personalunion mit einem Blutdruckmesser konstant vor Aufregung gewarnt wird, stoßen die Lieben um sie herum an eine Grenze, die sich laut piepend deutlich macht. Was in diesem Spaß bedeutet, dass es ziemlich oft sehr laut piepsen wird. Karin Viard („Delikatessen", „Verstehen Sie die Béliers?") spielt wie immer großartig. Aber das Gelingen, dieses sehenswerten Films basiert vor allem auf den vielen einfallsreichen, lebensnahen, glaubhaften und witzigen Ideen der Autorin Nadège Loiseau in ihrem bemerkenswerten Kinodebüt.

Die Geschichte der Liebe

Frankreich, Kanada, Rumänien, USA 2016 (The History of Love) mit Gemma Arterton, Derek Jacobi, Sophie Nélisse, Elliott Gould 135 Min. FSK: ab 6

Der rumänische Regisseur Radu Mihăileanu beeindruckte 1998 mit seinem „Zug des Lebens", eine Tragikomödie über die Flucht eines jüdischen Shtetls vor der Deportation. Auch sein zweiter Erfolg, „Das Konzert" aus 2009, behandelte mit einem in Russland verfolgten jüdischen Dirigenten den Antisemitismus. Nun verfilmte Mihaileanu mit dem gleichnamigen Roman von Nicole Krauss einen geistesverwandten Stoff, in dem mehrere Generationen mit den Nachwirkungen von Verfolgung und Flucht leben.

Der künstliche verschachtelte Film folgt der langen Reise eines Manuskripts mit dem Titel „Die Geschichte der Liebe" von Polen in den 30er Jahren bis ins New York von heute. Im Shtetl liebte Leo Alma und Alma versprach, den besten Schriftsteller von drei konkurrierenden Freunden zu heiraten. Leo schreibt sein Buch über seine „meistgeliebte Frau der Welt", doch der Einmarsch der Deutschen lässt die schwangere Alma nach New York fliehen. Leo kommt erst nach, als Alma mit einem anderen verheiratet ist. Das Manuskript landet mittlerweile in Chile und wird durch Verrat in der spanischen Übersetzung ein Erfolg. Jahrzehnte später ist Leo (Derek Jacobi) in New York ein verbitterter alter Mann, der täglich im Buchladen nachfragt, ob „Die Geschichte der Liebe" mittlerweile veröffentlicht wurde. Er trifft auf ein trotziges Teenager-Mädchen, das auch Alma heißt und das einem berühmten Schriftsteller Kapitel eines gerade übersetzten Buches liefern soll...

Dieser knappe Rote Faden fasst kaum die unübersichtliche Vielfalt der Verbindungen und Verwirrungen um das Manuskript „Die Geschichte der Liebe" zusammen. Von den vielen Geschichten wird leider keine überzeugend präsentiert. Einige Szenen wirken so falsch wie der Kunst-Regen am Set. Einfach schlecht inszeniert - oder zumindest schlecht synchronisiert. Auch das Durcheinander der Ebenen und Zeiten aus dem Roman von Nicole Krauss verdichtet sich nicht zu etwas Großem, es irritiert nur. Beispielsweise damit, dass auf ein Pogrom in Polen ein Brand in New York folgt. Das könnte bedeutungsvoll sein, erschließt sich aber nicht. Die ach so große Liebe wirkt albern wie in einer burlesken Komödie. Ihr Drama besteht in langer Erklärung, nicht in großem Gefühl. Da kann selbst der Star Gemma Arterton („Tamara Drewe") nicht gegen anspielen. Unbeteiligt schaut man zu, wie ein Film scheitert, wo sich die Geschichten finden sollten. Vielleicht hätte es der Verfilmung gut getan, nicht einen verbitterten Hanswurst als Hauptfigur zu etablieren. Bei Leo bleibt man sogar ungerührt, wenn er mit seinem, von Deutschen umgebrachten, eingebildeten Freund streitend durch New York zieht. Zwei Generationen später wird das Leben als Holocaust-Überlebende auch im Teenager-Alter problematisiert: Alma muss entscheiden, ob sie an ihrem Schwarm vielleicht nicht nur die osteuropäische Vergangenheit einer „Survivor"-Familie fasziniert.

Auch die Großeltern der 1974 in New York geborenen Autorin Nicole Krauss („Kommt ein Mann ins Zimmer", „Das große Haus") waren Juden, denen rechtzeitig die Flucht aus Europa gelang. Ihr Roman „Die Geschichte der Liebe", der 2006 erschien, trägt so autobiografische Züge. Sie war mit dem Schriftsteller Jonathan Safran Foer („Alles ist erleuchtet", „Extrem laut und unglaublich nah") verheiratet. Regisseur Radu Mihăileanu ist Sohn von Holocaust-Überlebenden, doch merkwürdigerweise ist in dieser sicherlich sehr persönlichen Arbeit kaum etwas von persönlicher Leidenschaft zu spüren. Da war wohl der große Apparat des Filmemachens zu erstickend. Die Leichtigkeit, mit der sich Mihăileanus Kamera einst über schwerste Schicksalsschläge erhob, ist jedenfalls verschwunden.

16.7.17

Valerian - Die Stadt der tausend Planeten

Frankreich 2017 (Valerian and the City of a Thousand Planets) Regie: Luc Besson mit Dane DeHaan, Cara Delevingne, Clive Owen, Ethan Hawke 137 Min.

Als Mix aus „Blade Runner", „Star Wars", „Das fünfte Element", „Avatar" und LSD trumpft die wahrlich fantastische Comic-Verfilmung „Valerian - Die Stadt der tausend Planeten" auf, mit der Luc Besson nach „Lucy" und „Malavita" mal wieder sein Können auch als Regisseur beweist. Im Herzen des eindrucksvollen Bilder- und Idee-Rausches zeigt sich ein starkes, antimilitaristisches Plädoyer für Völkerverständigung.

Mit „Space Oddity" von David Bowie beginnt - hier - die Geschichte der Raumfahrt. Im Laufe der Jahrhunderte entstand aus der IS-Raumstation die Stadt und Förderation der Tausend Planeten. Wie in der großartigen Eröffnungssequenz (mit Rutger Hauer aus „Blade Runner") die Station Alpha um viele Nationen und schließlich auch Außerirdische wächst, ist herrlich komisch und eine Utopie, die in der Realität gerade eingespart wird. Valerian (Dane DeHaan) und Laureline (Cara Delevingne) sind im 28. Jahrhundert Raum-Agenten für die Regierung, die mit banalem Partner-Gezicke den Ton für zynische oder ironische Sprüchen am laufenden Lichtjahr vorgeben.

Den ersten Einsatz erledigen sie, gekleidet wie Strand-Touristen, in einem gigantischen interplanetarischen „Big Market" auf mehreren virtuellen Ebenen. Was zu ganz neuer, sehr reizvoller Action führt, in der man die Helden im leeren Raum gegen irgendwelche unsichtbaren Gegner kämpfen sieht. Das ist ein großer Zukunfts-Blick auf die aktuellen VR-Brillen, und auch an Amazons Alexa muss man denken bei der virtuellen Raumschiff-Assistentin Alex. Die Version von Alexa als Kampf-Roboter verhindert später sprachgesteuert fast auf brutale Weise das Happy End. Doch zuvor begeistert die traumhafte Eröffnungssequenz um den paradiesischen Planeten Mul mit seinen wunderschönen Kreaturen, die im Stile von „Avatar" im Kreislauf der Natur leben und durch den intergalaktischen Krieg der Menschen vernichtet werden.

Selbstverständlich liest uns auch dieses vertriebene Volk die Leviten: Sie haben viel gelernt und wollen keine Rache. Neben dem nebenher eingeflochtenen Konzept der Seelenwanderung schneidet „Valerian" auch andere große und längst nicht bewältigte Themen an: „Wer keinen Frieden mit seiner Vergangenheit macht, hat keine Zukunft." Dieser Satz gilt nicht nur dem General (Clive Owen), der einen Genozid auf dem Gewissen hat. Auch einige Länder, in denen der Film erfolgreich laufen wird, müssen ihn auch bedenken. Selbst das zynische Argument, eine Ausgleichszahlung für die Verbrechen würde die heimische Ökonomie schädigen, wird hier schon vorweg genommen. Bei einer Serie mal dominanter, mal peinlicher, mal schleimiger Handschläge zwischen den neuen Bewohnern der Raumstation bis zum Satz „Our Citizens first" muss man übrigens sogar an Trump denken.

Die französische Comic-Serie „Valérian et Laureline" (dt.: „Valerian und Veronique") von Jean-Claude Mézières und Pierre Christin, erstmals erschienen 1967, feierte schon früh die universale Vielfalt der Kreaturen, die sich später in den Bars von „Star Wars" tummelte. Obwohl sie eigentlich Laureline, aber in Deutschland aus den üblichen unerklärlichen Gründen Veronique und in Dänemark etwa Linda hieß, war Valerians Partnerin keineswegs austauschbar wie die Bond-Girls. Meistens rettete Laureline der Hauptfigur den Kragen. Dane DeHaan („Life", „Spiderman") gelingt der spöttische, aber doch sensible Action-Held. Cara Delevingne („Margos Spuren") darf kämpfen, etwas schmachten und Liebes-Lektionen erteilen. Ethan Hawke hat einen kurzen Auftritt als Zuhälter-Cowboy, sein „Mädel", Pop-Sängerin Rihanna, legt einen Pole-Dance hin. Der Soundtrack, der unter Mitwirkung von Herbie Hancock entstand, beginnt klassisch mit Bowies „Space Oddity" und mischt einige populäre Songs („Staying Alive") als Cover unter.


„Ein Soldat wählt immer den Tod vor der Erniedrigung"
„Valerian" gehört zu der Art klugem Science Fiction wie „Arrival", in dem Gewalt und Militär abgelehnt werden. Das große Weltraum-Kriegsspektakel ist hier nur ein Verbrechen, das die Vertreibung aus dem Paradies verursacht. Mit dem konsequenten Verzicht auf übermäßige Action geht dabei keineswegs der Verlust von Spannung oder Unterhaltungs-Wert einher.

Auch in der Verfilmung ist Valerian der eher wagemutige als clevere Raum-Agent. Die gigantische Station Alpha ist teils gewaltig mechanisch, aber in Zonen anderer Lebewesen auch ozeanisch oder elektronisch. Das Einsatzfahrzeug beim Big Market erinnert an das Taxi von Bruce Willis aus „Das fünfte Element", auch wenn es diesmal ein gelber Bus ist. Die Straßenschluchten wirken noch eindrucksvoller als damals oder als in „Blade Runner", auch weil sie diesmal in lohnenswertem 3D sind. Zwischendurch erinnern die Abstürze durch viele verschiedene Ebenen an Computerspiele, doch so farbig und einfallsreich lässt man sich das gerne gefallen. Auch der übliche einfallslose Standard-Kram wie Verfolgungsjagden oder Sidekicks taucht nur angenehm dosiert auf. Irgendwann ist in der abfolge fantastischer Szenen nur noch schwer eine Steigerung möglich, so dass der optische und Ideen-Overkill auf hohem Niveau stagniert. Ausufernde Zwischenepisoden hätten gekürzt werden können, doch wie sagt es Valerian selbst: „Time flies when you're having fun"!

11.7.17

Begabt - Die Gleichung eines Lebens

USA 2017 (Gifted) Regie: Marc Webb mit Chris Evans, Mckenna Grace, Lindsay Duncan, Jenny Slate 101 Min. FSK: ab 6

Der erste Schultag ist immer aufregend, die siebenjährige Mary Adler (Mckenna Grace), die mit der Trachtenberg-Methode zum einfachen Lösen komplexer mathematischer Formeln bekannt ist, langweilt jedoch nicht nur das Einmaleins, auch die Mitschüler unterfordern sie. Die erste Klasse ist ein lahmer Witz für sie, doch Onkel Frank (Chris Evans), der sie erzieht und immer wieder von den Büchern zum Strand schleppt, schickt sie trotzdem hin, damit sie endlich Freunde findet. Er kennt das alles, auch er war hochbegabt und gilt jetzt als verkrachte Existenz. Und seine Schwester Diana galt als mathematisches Genie, bevor sie sich mit 22 Jahren umbrachte. Dank einer guten Lehrerin, die Mary herausfordert, scheint alles gut zu gehen. Bis Marys Großmutter Evelyn (Lindsay Duncan) auftaucht, die sie mit einem MacBook kaufen will, und deren ersten Auftritt sie mit „Holy Shit" kommentiert. Evelyn erweist sich als fast faschistischer Elite-Mensch, der die verstorbene Tochter, die fast das Navier-Stokes-Problem gelöst hat, als schwach bezeichnet. Nun soll Evelyns eigenes Scheitern auf dem Gebiet der Mathematik von der Enkelin aufgehoben werden. Beim Gerichtsstreit ums Sorgerecht wird viel schmutzige Wäsche gewacht und es kommt heraus, wie Evelyn die erste Liebe der Tochter mit einer Anzeige wegen Kidnapping bedrohte. Die Liebe eines - nicht biologischen - Vaters steht gegen die materialistischen Vor(ur)teile einer Oma, die nur den Erfolg sieht und akzeptiert.

Doch keine Angst vor Klischees, hier sind echte, selbstbewusste Menschen zu erleben. Meist unglaublich und sympathisch offen, dazu klug auch auf menschliche Weise. Nachdem Mary einen kleinen Mitschüler vor einem fünf Jahre älteren mit einem beherzten Schlag verteidigt hat, kommentiert Frank: Wenn man unsere zukünftigen Führer von den einfachen Menschen trennt, zieht man Kongressabgeordnete groß. Es ist wunderbar rührend, aber nicht abgeschmackt, wie der ehemalige Philosophie-Professor Frank seiner Nichte Mary Eltern-Liebe vermittelt, indem er sich mit ihr lange in den Wartesaal eines Krankenhauses setzt, wo nach vielen Stunden eine Familie die Geburt eines Kindes erlebt. Dieser begabte Film ist ein tatsächlich kluger Film, bei dem man jeden Satz freudig aufnehmen kann und sollte. Nur das Finale geriet mit einem „deus ex machina" als Überraschung etwas holperig. Gute Schauspieler, schöne Bilder und eine kräftig unterstützende Musik-Soße komplettieren die Wirkung.

10.7.17

Zum Verwechseln ähnlich

Frankreich 2016 (Il a déjà tes yeux) Regie: Lucien Jean-Baptiste mit Aïssa Maïga, Lucien Jean-Baptiste, Zabou Breitman, Vincent Elbaz 95 Min. FSK: ab 0

Das sympathische Glück von Paul und Sali als Laden- und Familiengründer wird durch ein adoptiertes Baby komplettiert. Die Franzosen, die aus dem Senegal und von Martinique stammen, freuen sich auch über ein weißes Kind, im Gegensatz zu ihrer Familie. Auch die Kinderärztin hält als Sali für das Kindermädchen Nanny (und staunt gleich darauf über ein schwules Paar mit Kind). Auf dem Spielplatz wird sie von anderen schwarzen Frauen angeworben, doch mehr Kinder zu betreuen - als Nanny. Als zum Erfahrungsaustausch ein weißes Paar mit schwarzen Kind vorbeikommt, herrscht irritiertes Schweigen ... „Jetzt muss jemand mal einen Witz machen!"

Hier wird der bekannte etwas zu lange Blick gegenüber weißen Eltern mit Adoptivkindern aus anderen Weltregionen umgekehrt. Im Film über die „erste Benetton-Familie" tummeln sich zwar durchgehend einfältige Figuren und Karikaturen. In einer ersten Szene werden chaotische Mitarbeiter vom Jugendamt lächerlich gemacht. Rassistische Polizisten kassieren das Baby ein und schicken es zum Jugendamt zurück. Reichlich aufgesetzt folgt etwas Drama und alberne Rennerei.

„Zum Verwechseln ähnlich" vom bekannten Regisseur und Hauptdarsteller Lucien Jean-Baptiste („Triff die Elisabeths") verläuft recht mono-thematisch. Etwas anderes als diese Adaption beschäftigt niemand im Bouquet der Figuren. Nur Pauls durchgeknallter rumänischer Freund Manu macht mal andere Scherze. Und aus der befristeten Erprobungs-Phase soll mit einer verkrampften und rassistischen Aufpasser-Hexe etwas Spannung generiert werden. Von der Tradition dummer rassistischer Komödien aus dem Frankreich der letzten Jahre setzt sich „Zum Verwechseln ähnlich" zum Glück ab. Und der ganze, unterkomplexe Spaß kann doch als Augenöffner funktionieren.

Paris kann warten

USA 2017 (Paris can wait ) Regie: Eleanor Coppola mit Diane Lane (Anne Lockwood), Arnaud Viard (Jacques Clément), Alec Baldwin 93 Min. FSK: ab 0

Die über 80-jährige Eleanor Coppola, Ehefrau von Regie- und Produzenten-Legende Francis Ford und Mutter von Regisseurin Sofia, realisierte mit „Paris kann warten" ihren ersten Spielfilm. Dass die Frau eines Filmproduzenten die Protagonistin ist, ruft autobiografische Assoziationen unweigerlich herbei. Bislang realisierte sie aus dem gleichen Blickwinkel die Dokumentation „Reise ins Herz der Finsternis" über den Dreh von „Apocalypse Now".

Nun zeigt Frau Coppola den Hollywood-Produzenten Michael Lockwood (Alec Baldwin) und seine Frau Anne (Diane Lane) auf vertrautem Terrain in den Suiten und Restaurants von Cannes. Er ein gestresster Mann, immer am Telefon, hat kein Ohr für ihre Ohrenschmerzen. Sie wird übersehen, funktioniert eher als Sekretärin. Dann fährt sie, statt zum nächsten Termin nach Budapest zu fliegen, mit dem französischen Geschäftspartner ihres Mannes nach Paris. Jacques (Arnaud Viard) verordnet wie selbstverständlich eine kulinarische Tour de France mit vielen Pausen und Ruhe. Er ist ein Genießer, Chaot und spaßiger Lebenskünstler, der selbst aus einer Autopanne ein Picknick macht.

Paris muss tatsächlich warten, wie erwartet gibt es dabei eine ganze Menge Klischees, bei denen nicht nur die Cézannes in der Provence fröhlicher sind, als die in New York. Selbst Blumen riechen hier besser als zuhause. Ebenso wie die Köstlichkeiten beeindrucken die ehemaligen Geliebten, die Jacques auf der Strecke trifft, die keineswegs frustrierte, sondern immer noch neugierige und lebensfrohe Anne. Vor purer Leichtigkeit und lauter Genuss kommt der Film zwar nirgendwo an - das aber überzeugend.

Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner

BRD 2017 Regie: Pepe Danquart mit Jessica Schwarz, Felix Klare, Christoph Letkowski, Judy Winter 101 Min. FSK: ab 6

Man könnte zur Gelegenheit der Tour de France noch mal Pepe Danquarts Dokumentation „Höllentour" sehen ... aber was macht frau dann? Einfach den neuen Danquart sehen, in dem die Welt nicht nur gender-mäßig genau so übersichtlich aufgeteilt ist. Kerstin Gier („Smaragdgrün") schrieb die Vorlage zur romantischen Komödie mit einer kleinen aber entscheidenden Zeitreise.

Auch diesmal steht ein Fahrrad am Anfang, dann liegt es platt am Boden, weil die tollpatschige Kati (Jessica Schwarz) es beim Ausparken „übersehen" hat. Später hängt es demoliert an der Wand einer Familien-Wohnung, weil sein Besitzer Felix (Felix Klare), ein angehender Arzt, in den letzten fünf Jahren große Liebe und Ehemann von Kati wurde. In der Beziehungs-Mathematik, kurz im Zeichentrick zusammengefasst, bedeutet dies vier Jahre Glück und eines zum Auseinanderleben. Angesichts eines Workaholics der abends nur noch einschläft, stellt sich nach der Begegnung mit dem äußerst charmanten Mathias (Christoph Letkowski) die Frage nach einem Seitensprung. Es knallt aber dann ganz anderes, nach einem Autounfall wacht Kati im Krankenhaus auf. Viel schlanker, mit längeren Haaren und Menschen um sie rum, die sich komisch verhalten ... Kati ist wieder am Zeitpunkt im Leben kurz bevor sie vor fünf Jahren Felix kennenlernte.

„Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner" erweist sich nun als singulärer Murmeltier-Film: Nur einmal bekommt Kati die Gelegenheit, alles anders und vor allem besser zu machen. Sie wundert sich nicht lange und tippt direkt die richtigen Lottozahlen. Ihr Gedächtnis muss sehr gut sein, denn sie kennt ihre Einsätze im Lauf der Zeit: Das erste Treffen mit dem späteren Mann, der Moment, in dem die Freundin diesmal rechtzeitig zum Frauenarzt muss. Katis Plan lautet: Felix diesmal auf jeden Fall aus dem Weg gehen, was auf komische Weise nur bedingt klappt. Aber auch Mathias taucht überall auf...

„Wenn Du dann da bist, merkst Du dann ganz schnell, dass es doch nur Gras ist...." Trotz des wie üblich vom Leben abgehobenen deutschen Komödien-Settings - mit einer Agentur, in der nur über Beziehungsprobleme geredet wird - lässt sich aus der unterhaltsamen romantischen Komödie durchaus was fürs Leben mitnehmen. Und trotz mehrerer Nachlässigkeiten auf eine Art, die einige Hollywood-Romanzen auch nicht besser machen.

Die hervorragende Jessica Schwarz kann einem sowieso jeden Mist verkaufen. Sie spielt exzellent sowohl tragisch als auch als ungebremste Ulknudel wie hier, wo sie als fröhlicher, optimistischer Mensch gleichzeitig zu doof ist, einen Stecker einzustecken. Christoph Letkowski machte schon in dem romantischen Melodram „Die Reste meines Lebens" einen guten Eindruck. Auch sonst ist die Besetzung ausgezeichnet: Pheline Roggan experimentiert als lächerliche Esoterikerin im Büro mit Hasch-Keksen und Eigenurin. Julianne Köhler gibt eine kühl-knallharte Chefin. Bei allen guten Dingen ist dies leider auch ein Film für die ganz Begriffsstutzigen, mit unerträglich überdeutlichen Szenen, in denen alles gesagt wird, was sowieso schon klar ist. Das filmische Äquivalent zur Sommerlektüre, für das der eigene Sinnspruch gilt: Wonach man sich sehnt, ist nicht immer das, was man braucht.

9.7.17

Spider-Man: Homecoming

USA 2017 Regie: Jon Watts mit Tom Holland, Robert Downey jr., Michael Keaton, Marisa Tomei 135 Min

Das Genre für kleine und große Jungs liefert diesmal tatsächlich einen Kleine-Jungs-Film. „Spider-Man: Homecoming" ist Highschool-Film mit Action-Ende. Und gleichzeitig Familien-Film in dem Sinne, dass die Marvel-Familie bei ihren Action-Figuren Nachwuchs in Form eines Spider-Boys bekommt. Iron Man kümmert sich väterlich um ihn, etwas mehr Fürsorge bei Drehbuch und Inszenierung hätten dem verzogenen Film gut getan.

Ein kindischer Peter Parker (Tom Holland) hat auf einem Privat-Video die Ereignisse aus dem letzten Avengers-Film aufgenommen, als er in Berlin kurz seinen Idolen helfen konnte. Seitdem lässt er sich brav in der Schule hänseln, erzählt von einem Praktikum bei Tony Stark, hilft aber nur als unbeschäftigter Clown alten Damen über die Straße und Fahrraddiebe zu fassen. Während dieser Mini-Superheld auf der Reservebank auf den nächsten Auftrag von Mr. Stark wartet, stolpert er über Gangster, die außerirdisch aufgepimpte Waffen verkaufen. Doch bis sich das Ganze zu einer letzten halben Stunde echtem Avengers-Film verdichtet, fühlt man sich sehr lange im falschen Film - einem „overdressed" Highschool-Film in unnötigem 3D.

In einer Welt, in der die Superhelden normal unter uns leben, sehen wir viel Klamauk und Peter Parker als Super-Tollpatsch. Selbst sein Superhelden-Anzug, Leihgabe von Tony Stark, ist viel klüger als er. Ein lustiger, dicker Freund gibt den albernen Sidekick. Für die kleine Liebesgeschichte hat Parker keine Zeit, weil er ganz allein die Welt retten muss. Wenigstens die Verbrecher sind ernsthafte Figuren: Kurz und knapp wird Michael Keaton als neuer Bösewicht The Vulture eingeführt. Eigentlich ein gelinkter Handwerker, der außerirdische Waffen verkauft und in metallischem Vogel-Anzug rumfliegt. Derweil wirkt auch Darsteller Tom Holland wie ein Schuljunge zwischen den exzellenten Keaton und Robert Downey jr. Erwachsen wird nur der Anzug von Spider-Man, der sehr Iron Mans Rüstung ähnelt.

Man klammert sich trotz weniger kurzer Auftritte, bei denen meist sein Hightech-Anzug alleine rumfliegt, an die herausragenden Iron Man-Szenen. Tony Stark versucht sich an Spider-Kid als Erzieher und will ein besserer Vater sein, als der, den er selbst hatte. Das Gefälle in der Marvel-Hierarchie macht auch klar, dass Captain America nur als Witznummer auf Video auftaucht.

Echte Action-Szenen lassen lange auf sich warten. Erst in der letzten halben Stunde des wieder mal viel zu langen Rumgemaches ergibt sich mit Keaton und Downey jr. ein halbwegs interessanter Superhelden-Film. Davor langweilten zwei Geschichten und zwei Filme, halbgar verquickt. Keine originelle Vermengung der Genres, ein grobes Nebeneinander von sehr abgestandener Schüler-Story und auch nicht origineller Gangster-Klamotte. Durch die einzige Überraschung erhält alles noch eine richtig gute Wendung, leider viel zu spät. Die Vernetzung der Marvel-Filme fällt hier besonders dreist aus, sollen doch mit einer besonders infantilen Avengers-Ausgabe noch mehr Jugendliche für diese Film-Monokultur angefixt werden. Ärgerlich im Detail wie im großen Ganzen.

5.7.17

Ein Chanson für dich

Belgien, Luxemburg, Frankreich 2016 (Souvenir) Regie: Bavo Defurne mit Isabelle Huppert, Kévin Azaïs, Johan Leysen 90 Min. FSK: ab 6

Liliane Cheverny (Isabelle Huppert) erledigt ihren eintönigen Job in einer Großküche für Pasteten sorgfältig. Ihr einsames Privatleben mit Schnaps vor dem Fernseher wird unterbrochen von dem neuen, jungen Kollegen Jean (Kévin Azaïs), der Lilianes Vergangenheit als Schlagersängerin kennt. Hat sie doch als Laura einst fast den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewonnen. Der ungeschickte Kerl stellt dem Idol seiner Eltern penetrant nach, bis sie zusagt, bei einer Fete seines Boxclubs nach Jahrzehnten wieder aufzutreten. Umgehend greift die Presse das Thema auf. Das 21-jährige Jüngelchen Jean, das noch bei den Eltern wohnt, wird trotz des sehr großen Altersunterschieds ihr Liebhaber und schwingt sich ohne Einfühlungsvermögen oder Talent zu ihrem Manager auf. Ein Comeback in Altersheimen und am Rand von Radrennen verläuft erbärmlich, bis sich Liliane heimlich an ihren ehemaligen Mann und Manager wendet.

Mit etwas Melodram und Almodovar-Touch dreht sich dies „Chanson" um eine bescheidene, integre Person in einer Welt, die diese Eigenschaften nicht teilt oder versteht. Vor allem Isabelle Huppert („Elle") und Kévin Azaïs („Liebe auf den ersten Schlag") sorgen dafür, dass die leichte, bescheidene Geschichte interessant bleibt. Der zeitweise überstrahlte, detailfreudige Retro-Look kippt gewollt immer wieder in Kitsch um. Die kongeniale Filmmusik kommt von Pink Martini, bei denen man eigentlich immer das Gefühl hat, dass sie nur Musik aus Filmen spielen.

4.7.17

Casino Undercover

USA 2017 (The House) Regie: Andrew Jay Cohen mit Will Ferrell, Amy Poehler, Jason Mantzoukas 88 Min.

Meistens lahm, umständlich erzählt - nur gesteigerter Wahnsinn kann diese zahme Komödie für ein paar Minuten rausreißen. Um das Studium ihrer Tochter zu finanzieren, machen Scott (Will Ferrell) und Kate Johansen (Amy Poehler) unter Leitung ihres Freundes Frank (Jason Mantzoukas) in dessen Haus ein illegales Casino auf. Das Mini-Vegas mit Shows, Pool und Drogen wird der Hit der Kleinstadt. Die braven Bürger treten in der „Fight Night" gegeneinander an. Scott spielt DeNiro aus „Casino" nach, dem ersten Falschspieler, den sie erwischen, hacken sie einen Finger ab und kontrollieren fortan die Stadt wie richtige Mobster. Nun sind alle Dämme gebrochen, es wird gebrochen, gepinkelt und gesplattert.

„Casino Undercover" beginnt furchtbar uninteressant, die Johansens verhalten sich lächerlich, ohne dass dies lustig ist. Ferrell ist in solchen lahmen Komödien eine Schlaftablette, seine Partnerin ist ... wer war das noch mal, war da was? Erst als die Situation völlig wahnsinnig wird, kann man zwei Mal über Ferrell grinsen. Dieses unter Niveau spielende Casino wird nach 20 Minuten Spaß nicht noch verrückter sondern trotz Action-Routine mit Splatter-Einlage soft und ganz billig. Denn auch wenn die Ausbrüche der Bürger nicht massentauglich sind, die Inszenierung dümpelt auf TV-Niveau herum. Dies ist mal ein positiver Fall, dass kein Kino das zeigt.

Die Erfindung der Wahrheit

USA, Frankreich 2016 (Miss Sloane) Regie: John Madden mit Jessica Chastain, Mark Strong, Sam Waterston, Gugu Mbatha-Raw 132 Min.

Die hochintelligente, knallharte Lobbyistin Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) kümmert sich gerade für ihre Kanzlei darum, dass indonesisches Palmöl in den USA weiter günstig bleibt und der Preis von Nutella nicht steigt. Dann zeigt sie völlig unerwartet doch ethische Regungen - angesichts eines extrem zynischen Auftrages der Waffenlobby, mehr Frauen zum Waffenkauf zu bewegen. Elizabeth Sloane wechselt die Seiten zu der Kanzlei, die ein Gesetz gegen freien Waffenverkauf durchbringen will. Obwohl sie extrem fordernd und gnadenlos mit ihren Untergebenen umgeht, folgt ihr fast das ganze Team. Es beginnt ein spannender Kampf um die Stimmen von Kongress-Abgeordneten, parallel muss Miss Sloane (so der Originaltitel) ein Kongress-Verfahren gegen sich selbst überstehen.

Schon die Spionage und Gegen-Spionage, die Angriffe aus dem eigenen Team und die Live-Debatten im Fernsehen sind hoch-spannend. „Die Erfindung der Wahrheit" ist zwar ein Gerichtsfilm, aber vor allem durch Jessica Chastain („Zero Dark Thirty", „A Most Violent Year") auf ganz andere Weise packend. Dazu so ungemein schnell wie Elizabeth Sloane denkt und handelt. Sie tut alles für den Sieg, zerrt sogar das von einem Highschool-Amoklauf geprägte Privatleben einer Mitarbeiterin gegen deren entschiedenen Willen in die Öffentlichkeit.

Elizabeth Sloane ist eine extrem erfolgreiche und effektive Frau, aber auch extrem gestört. Ein auch durch Pillen am Laufen gehaltener Workaholic, beschäftigt in der „moralisch am meisten bankrotten Branche Washingtons", der die liberalen Gutmenschen um sich herum verspottet. Als Gegenpol versucht ihr neuer Chef Rodolfo Schmidt (Mark Strong) sie menschlich und sozial wieder auf den Boden zu bringen. Dazu hat sie noch mit einem Callboy (Jake Lacy aus „Ihre beste Stunde") zu tun, der ihr zu nahe kommen will. Chastain mit zu dickem Lippenstift auch äußerlich nicht sehr ambivalent gezeichnet. Während der Kongress-Anhörungen soll sie mit Hinweis auf ihre verfassungsgemäßen Rechte einfach nur die Aussage verweigern. Das ist jedoch eine unmögliche Aufgabe für eine derart wortgewaltige und von sich selbst eingenommene Person.

„Die Erfindung der Wahrheit" thematisiert das gleiche Dilemma wie in „No!", wo ein hervorragender Werbemanager die Kampagne gegen Pinochet gewinnt. Elizabeth Sloane macht in ein paar ihrer treffenden Sätze klar, dass man nicht persönlich betroffen sein muss, um gegen eine ziemlich bescheuerte Sache zu sein. Der Film von Altmeister John Madden („Best Exotic Marigold Hotel", "Shakespeare in Love", „Ihre Majestät Mrs. Brown") trumpft zwar mit atemberaubenden Wendungen auf, ist aber bei all seinen vielen Qualitäten vor allem ein packendes Porträt einer ungemein und über alle Maßen starken Persönlichkeit.

3.7.17

Ihre beste Stunde

Großbritannien 2016 (Their Finest) Regie: Lone Scherfig mit Gemma Arterton, Sam Claflin, Bill Nighy, Jake Lacy 117 Min. FSK: ab 12

Die dänische Regisseurin Lone Scherfig („Italienisch für Anfänger", 2000) setzte zwar 2002 mit der schwarzen Komödie „Wilbur wants to kill himself" nach England über, doch sie eroberte fortan mit allen möglichen Genres und immer mit starken Frauen in Hauptrollen („Zwei an einem Tag", „An Education") die Leinwand. Nun erzählt sie von Catrin Cole (Gemma Arterton), die 1940 zwischen den Bombenangriffen des „Blitz" als Autorin die britischen Durchhalte-Filme um eine weibliche Perspektive für die Zuschauerinnen verstärken soll. Dabei gerät sie direkt mit dem arroganten Alt-Star Ambrose Hilliard (Bill Nighy) aneinander, der Frauen nur als Fans akzeptiert. Selbst Catrins Mann, ein erfolgloser Maler, gehört zu den Menschen, die Frauen vor allem zuhause sehen wollen. Wie auch die meisten Mitarbeiter im Filmstudio meinen, die Anwesenheit von Frauen (und osteuropäischen Immigranten) sei eine vorübergehende Kriegsfolge. Dass Catrin eine exzellente Schreiberin ist, erkennt vor allem der Chef-Autor Tom Buckley (Sam Claflin) - erst ihr Förderer, dann verliebt in sie.

Die heftige Geringschätzung Catrins und generell weiblicher Arbeit ist wie Trümmer und Leichen der deutschen Bombenangriffe ein weichgezeichnetes realistisches Element in dieser altmodischen Geschichte mit reihenweise erlesenem Schauspiel. Jeremy Irons gibt kurz den Kriegsminister, der das Filmgeschäft leitet, wie es Goebbels auf der deutschen Seite getan hat. Solche Gedanken kommen in diesem Film allerdings nicht vor. Er ist ungebrochen patriotisch. Der heroische Filmstoff, an dem gearbeitet wird, reflektiert das extreme Leben im Krieg und unter dem „Blitz". Wie auch das Filmemachen die zeitlose Rolle von Filmen reflektiert, die Menschen mit ihren vertrauten Abläufen Halt in chaotischen Zeiten geben. Da darf dann auch mal die wahre Geschichte der Zwillings-Schwestern, die mit ihrem Bötchen Soldaten aus Dünkirchen evakuieren, entgegen der Wahrheit aufgehübscht werden.

Hübsch sind hier die Bilder und die Hauptdarstellerin Gemma Arterton („The Girl with all the Gifts", „The Voices", „Immer Drama um Tamara"), die allerdings auch so exzellent spielt, dass sie selbst einen schlechteren Film retten würde. Komisch kommt „Ihre beste Stunde" daher, wenn das Team auf Befehl von ganz oben einen grinsenden US-Idioten ins Skript einbauen muss und die alte Diva Ambrose ihm das Schauspielen beibringen soll. Und selbstverständlich funktioniert auch „Ihre beste Stunde" wie sein Film im Film: Es geht nicht ohne großes Gefühl, nicht ohne eine Liebesgeschichte und ein Hund muss auch dabei sein. Zu Beginn ficht Catrin einen Kampf wie ihre Vorgängerinnen in „Suffragette" aus, später löst er sich scheinbar in Wohlgefallen und individueller Romantik auf. Letztlich bleibt aber vor allem das selbstbestimmte Glück einer erfüllten und anerkannten Tätigkeit.

2.7.17

Ich - Einfach unverbesserlich 3

USA 2017 (Despicable me 3) Regie: Kyle Balda, Pierre Coffin, Eric Guillon 90 Min.

Nach zwei Kino-, vielen Kurz-Filmen und sogar einem eigenständigen Minion-Film ist diese Gru-selige Filmreihe längst Kult und Selbstläufer, der allgegenwärtige Merchandise ist im Ramschregal angekommen. Verdient, denn bei diesen Zeichentrick-Geschichten lachten sich groß und klein gelb und scheckig. Was kann man nun noch besser machen bei einem „Unverbesserlichen"? So stellt sich tatsächlich nur noch die Frage, ob „Ich - Einfach unverbesserlich 3" mehr vom Gleichen oder auch was anderes bietet. Die Auflösung ist verblüffend einfach: Mit einem Zwillingsbruder für Gru ist tatsächlich mehr Gleiches im lustigen Spiel. Und noch mehr Mehr, was dem Film allerdings nicht gut tut.

Wie anständige Agenten-Action stellt auch „Ich - Einfach unverbesserlich 3" im Teaser den Gegner vor: Balthazar Bratt ist ein Verbrecher, nicht nur wegen seinem Vokuhila und den großen Schulterpolstern. In den 80gern Kinderstar einer sehr, sehr schlechten Serie, spielt der nun Beleidigte seine Rolle im realen Leben weiter. Es gehört auch zur Routine von Bond und Co, dass Gru und Lucy beim Geheimdienst gefeuert werden. Grus Frust wird schnell von der Nachricht seines bislang unbekannten Zwillingsbruders Dru vertrieben. Der ist sehr reicher Schweinezüchter auf der unglaublich detailreich und bunt gezeichneten Insel Freedonia. Und möchte endlich wie der Bruder mal etwas Schurkiges tun. Dabei hat Gru seiner Lucy und den drei Adoptivtöchtern Margo, Edith und Agnes zuliebe die Seiten gewechselt. Fühlt sich allerdings von retro-golden scheinenden Schurken-Labor seines Vater sehr verführt. Und willigt ein, Balthazar Bratt den größten Diamanten der Welt wieder zurück zu stehlen.

Leider verläuft die Geschichte dabei schal. Zwar erleben die ausgezogenen Minions mit ihrer schwer verständlichen Fremdsprache ein eigenes Abenteuer samt Knastausbruch, zwar darf Grus kleinste Ziehtocher auf Einhorn-Jagd gehen, doch dies Durcheinander verhindert einen lückenlosen Unterhaltungsfluss. Klar, ein Monsieur Pompeux als Depardieu-Parodie, etwas Louis de Funès-Action, der Minions Knast-Choreografie zu Pharrell Williams „Freedom", ein Überfall auf Hollywood im japanischen Godzilla-Stil, unterstützt von Schwärmen einer Chucky-Mörderpuppe ... das macht alles Spaß. Aber Grus „Dance fight" mit Balthazar Bratt kein Hit trotz alter Songs vom Kassetten-Rekorder. „Ich - Einfach unverbesserlich 3" erweist sich als der schwächste Film der Gru-Gelben Serie und sogar öfters als langatmig. Das Beste dabei sind wieder die Minions und man freut sich auf deren nächsten Solo-Film.

Small Town Killers

Dänemark 2017 (Dræberne fra Nibe) Regie: Ole Bornedal mit Nicolas Bro, Ulrich Thomsen, Mia Lyhne, Lene Maria Christensen, Marcin Dorocinski, Gwen Taylor 90 Min. FSK: ab 12

Schwarzer Humor mit viel Tiefgang und weiterer Bedeutung, lebensnah und von exzellenten Schauspielern dargeboten - das erwartet man mindestens von einem dänischen Film. Dabei wird allerdings vergessen, dass dänisches Filmschaffen nicht nur Mads Mikkelsen und Trine Dyrholm, nicht nur Bier und Trier ist. Es muss auch das täglich Brot geben, dass die Industrie am Laufen hält, und „Small Town Killers" ist so eine platte Scheibe von dem, was genügend Geld einspielt und dann schnell vergessen wird.

Die beiden Mauer Ib (Nicolas Bro aus „Ant-Man") und Edward (Ulrich Thomsen, „Die Kommune") sind Freunde und Handwerker von heute, die ihre vielen Kunden reihenweise vertrösten. Glücklich sind sie trotzdem nicht, weil die lieb- und sex-losen Ehen frustrieren und eine Scheidung sie Millionen kosten würde. So heuert Edward besoffen per Internet einen russischen Auftragsmörder für Ingrid (Lene Maria Christensen) und Gritt (Mia Lyhne) an.

Ib und Edward werden auch Laurel und Hardy genannt, oder Dumb & Dumber. Dementsprechend geht alles schief, kommt Killer Igor (Marcin Dorocinski) strungsbesoffen an, killt aber direkt den Taxifahrer aus Afghanistan. Kaum seinen Rausch ausgeschlafen, macht er die Ehefrauen an und verrät sich. Die besorgen sich dann aus einer englischen Psychiatrie eine eigene Killerin und das alles soll lustig sein.

Ole Borndal („Dina", „Deep Water") gilt seit seiner hochspannenden „Nightwatch - Nachtwache" (1994), deren Hollywood-Remake „Freeze - Alptraum Nachtwache" er selbst mit Ewan McGregor, Nick Nolte und Josh Brolin inszenierte, als Spezialist für fiese Morde. Fies sind in der Kleinstadt von „Small Town Killers" nur die Partner zueinander - öffentlich beim Abendessen im vollbesetzten Restaurant. Fargo-Qualität oder ähnlich Sehenswertes blitzt exakt einmal auf, wenn es den sich selbstüberschätzenden Arm der Gerechtigkeit erwischt. Den Rest kommentiert die britische Killerin korrekt, als sie die gewünschten Todesarten abschätzig ablehnt: Dies sei die skandinavische Art, „dull and dark", düster und langweilig.

Die klägliche Klamotte verendet in der kurzen Laufzeit ziemlich elend. Das makabre Scherzchen wird weder spannender noch lustiger, nur mit einer unbegreiflichen Travestie noch völlig absurd. Die mittlerweile auch international bekannten Darsteller reißen den platten Quatsch wenigstens souverän runter. Merke: Die einzig wahre Paar-Therapie ist ein Killer mit Pistole im Anschlag. Auch Ole Borndal braucht wohl Geld, um die Handwerker zu bezahlen. So was ins Kino zu bringen, zeugt allerdings wieder von sehr schwarzem Humor.