27.7.10

Moon


Großbritannien 2009 (Moon) Regie: Duncan Jones mit Sam Rockwell, Dominique McElligott, Kaya Scodelario 96 Min. FSK: ab 12

Doppelschicht auf dem Mond

In der Zukunft pflügen Erntemaschinen die Dunkle Seite des Mondes um und das gewonnene Helium3 versorgt die Menschheit mit Energie. Da der Konzern sparen muss, macht ein Astronaut allein in seiner 3-Jahres-Schicht den Hausmeister auf dem Erdtrabanten. Sam Bell (Sam Rockwell) muss nur jetzt noch ein paar Wochen mit dem zickigen, altmodischen Computer Gerti auskommen, dessen Bildschirm nur Smileys zeigt. Doch bei der Kontrolle einer der riesigen Maschinen draußen vor der Station gibt es einen Crash und Sam wacht in der Krankenstation auf. Verwirrt sucht er den Unfallort auf und findet ... sich selbst. Der ramponierte Sam und sein frischer Klon - oder ist es umgekehrt? - ignorieren sich zuerst, spielen dann Pingpong und Konkurrenz, bevor sie ein schockierendes Geheimnis entdecken.

Es gibt keinen Funkkontakt, weil die Relaisstationen ausgefallen sind, und so gerät auch der Kontakt mit Sams Frau schwierig. Doch besorgniserregender sind die Visionen einer unbekannten Frau auf der Station und dass Sam mit den Pflanzen redet. Das klingt nach „Silent running“, „Deep Impact“ und „Solaris“, nach Tiefen- und Höhenkoller. Und wenn Sam im Spiegel die Frage nach der eigenen Existenz stellt, könnte das eine Philip K. Dick-Geschichte sein, vom Schöpfer von „Blade Runner“ und „Total Recall“.

Duncan Jones realisierte nach seinem Kurzfilm „Whistle“ (2002) einen in unauffälliger Ausstattung (mit Ikea-Containern!) besonders wirkungsvollen Weltraum-Film, einen altmodischen Science Fiction. Ein großartiger Sam Rockwell spielt den Sam und auch ansonsten in der Doppelrolle fast nur mit sich selbst. Ein freundlich subversiver Computer steht im Gegensatz zu HAL 9000 und diese Mond-Geschichte wirkt sehr geerdet im Vergleich zu „2001“. Nur das undramatisch Ende gönnt sich einen Farbtrip, einen Hauch Hoffnung, die vielleicht nur ein Traum ist.

Das Konzert


Frankreich, Belgien, Italien, Rumänien 2009 (Le Concert) Regie: Radu Mihaileanu mit Alexej Guskow, Dmitri Nazarow, Mélanie Laurent, François Berléand, Miou-Miou, 122 Min.

Als Andrej Filipow, Hausmeister des Moskauer Bolschoi-Orchesters im Büro seines Chefs das Fax eines Pariser Konzert-Hauses findet, beschließt er, dort mit einigen alten Freunden unter dem Namen des echten Bolschoi zu spielen. Denn vor 30 Jahren war Andrej Filipow ein berühmter Dirigent. Bis er als Volksfeind mitten in der Aufführung des Violinkonzerts von Tschaikowsky gedemütigt wurde. Ausgerechnet der damalige KP-Chef soll nun das Orchester managen, das er vor dreißig Jahren mit einer antisemitischen Denunziation zerstört hat. Schon beim Aufsammeln des verstreuten Orchesters zeigt „Das Konzert“ in vielen doppelbödigen Szenen, wie es um eine kulturell reiche Gesellschaft steht, in der die Kultur nichts mehr wert ist. Oligarchen kaufen Fußballvereine und klauen Musik aus dem Internet. Die entlassenen Musiker, die alle andere Jobs haben, spielen in der Kantine ohne Instrumente. Einige verdingen sich als bezahlte Demonstranten eines kläglichen kommunistischen Aufmarsches. Andere spielen und stöhnen die Begleitmusik in Porno-Synchronstudios. Doch Andrej will sich seinen großen persönlichen Traum erfüllen. Auch wenn er verrückt ist, doch das kleine Restchen Ehre, das einem Hausmeister, einem Krankenwagenfahrer geblieben ist, führt zu großartigen Auftritten voll wahrhaftiger Wut.

Als nach vielen Mühen Paris endlich erreicht ist, gehen alle erst einmal ihren eigenen, alten Geschäften nach. Der Magnat, der sich einen Platz am Cello einkaufte, droht im Handel um Fernsehrechte dem Westen mit dem Abdrehen des Gashahns. Aber schließlich spielt die Chaos-Truppe dieses Katharsis-Konzert so wunderbar, dass sogar der Kommunist in Gott einen neuen Partei-Führer findet. Hinter dem liebevoll komischen und am Ende zu vielen Tränen rührenden Siegeszug von russischer Seele und Musik, hinter der amüsanten Geschichte von heute steckt jedoch die brutale Tragik der Judenverfolgung in Russland und damit ist Mihaileanu wieder bei seinem Erfolgsfilm „Zug des Lebens“ angekommen.

Jungs bleiben Jungs


Frankreich 2009 (Les Beaux Gosses) Regie: Riad Sattouf mit Vincent Lacoste, Anthony Sonigo, Alice Trémolière 90 Min.

Jungs bleiben Jungs. Wirklich? Dann könnte man ja einen alten Film über die alten Themen - Erster Kuss, erste Liebe, peinliche Pubertät und noch peinlichere Pickel - zeigen und es bliebe so wie immer. Wieso hat man denn bei „Jungs bleiben Jungs“ das Gefühl, alles ist wie immer, aber vor allem ziemlich verstaubt? Wieso sucht man so verzweifelt nach Jahresangaben und ähnlichen zeitlichen Orientierungen (man hat viel Zeit zum Suchen bei diesem Film) und ist erstaunt, dass da 2008 steht. „Jungs bleiben Jungs“ ist vor kurzem gedreht, aber erscheint gar nicht wie von heute.

Hervé (Vincent Lacoste) sucht als Vierzehnjähriger verzweifelt an Mädchen ranzukommen, muss aber vorerst mit einem alten Versandkatalog Vorlieb nehmen. Der sei besonders, weil da die Dessous-Fotos noch nicht digital retouchiert sind, meint sein Kumpel Camel (Anthony Sonigo), der die Klischee-Rolle des lustige Immigranten-Kindes übernimmt. Ausgerechnet die beliebte und attraktive Aurore (Alice Trémolière) will etwas von Hervé, was der kaum glauben kann und sich deshalb noch peinlicher und dümmer verhält. Das kennt man ebenso wie die Ekeleinlagen  a la „American Pie“. Allerdings wirkt das Verhalten kindisch, nicht pubertär. Irgendwie von gestern wie die Kataloge mit der nicht retuschierten Damenunterwäsche. Für so ein nichtiges Filmchen wirken erstaunlich viele bekannte erwachsene Darsteller mit - die übrigens alle viel spannendere, weil schrägere und kantigere Rollen als die Jugendlichen haben.

Toy Story 3D


USA 2010 (Toy Story 3) Regie: Lee Unkrich 103 Min. FSK o.A.

Die lustigen Spielzeugfiguren von „Toy Story“ sind wieder da und diesmal in 3D, wow! Aber waren die kunterbunten Freunde von Cowboy Woody nicht schon immer so richtig echt? Das war doch die Kunst vom Pixar-Studio, ein paar Plastikfiguren so zu einfühlsam animieren, dass ihr Reden, Leiden und Leben im Jahr 1995 zum ersten großen Erfolg der Computer-Animation wurde. Dass stellte die Machtverhältnisse beim Zeichentrick so auf den Kopf, dass Disney irgendwie zur Unterabteilung von Pixar wurde. Nun also die dritte „Toy Story“ und bis auf ein paar bescheidene 3D-Effekte kann Pixar erstmals nicht wirklich begeistern. Überraschend vor allem, dass die spannenden Szenen sogar für kleine Kinder ungeeignet ausfielen.

Ein rasanter Western-Weltall-Actionfilm mit Woody und Buzz Lightyear als stolze Helden bildet den Auftakt zu „Toy Story 3“. Doch kein Kind spielt diese Fantasien aus, die Spielzeugfiguren müssen sich selber unterhalten, weil ihr mittlerweile 17-jähriger Andy sie vergessen hat und auch bald zum Studium wegzieht. Angstvoll fragt sich das Spielzeug, was mit ihm geschieht: Landen sie auf dem Dachboden oder gar im Müll? Oder nimmt Andy sie mit zur Uni? Weil sie durch ein Versehen tatsächlich bald im Müllsack an der Straße stehen, verlieren alle den Glauben an die Menschenkinder. Nur Woody bleibt seinen Andy treu und will sich zurück nach Hause durchschlagen. Dabei wirkt der Kinderhort Sunnyside wie Paradies für Spielzeugfiguren. Der knuddelige Lonzo empfängt sie mit freundlichem Lachen - und einem finsteren Plan. Denn der Kuschelbär ist im Inneren ein Monster mit gebrochenem Herzen seit ihn sein Kind auf der Straße zurückließ.

Nun übernehmen raffiniert und gekonnt eingebaute Zitate von Gefängnis- und Flucht-Filmen das Kommando der bis dahin gemäßigt gefühlvollen und spaßigen Geschichte. Wie die kleinen Helden von finsteren Aufsehern eingesperrt und zur Einzelhaft in den Sandkasten geschickt werden, gelang sehr bedrohlich und beängstigend. Nette neue Figuren gibt es ebenso wie schreckliche und schrecklich dumme. Ausgerechnet Barbie darf staatsphilosophisch erwähnen, dass sich legitime Herrschaft durch Gesetze und nicht durch Androhung von Gewalt definiert. Selbstverständlich gelingt Woody eine abenteuerliche und actionreiche Flucht, unter anderem mit einem selbstgebauten Paraglider. Doch ob alle Kinder unbeschadet aus diesem Film kommen, ist fraglich. Denn diesmal ist der Mix aus Anteilen für Kinder und Erwachsene misslungen. Was schade ist, denn die dritte „Toy Story“ wird zum Ende doch noch gut und das extrem gefühlsduselige Finale ist extrem wirkungsvoll.

Wenn uns „Toy Story“ letztendlich erzählt, dass wir unserer Kindheit treu bleiben sollen und die alten (Spielzeug-) Freunde nicht vergessen dürfen, hofft so mancher Produzent auch, dass man dem Filmgeschäft namens „Toy Story“ treu bleibt und die als Merchandise erhältlichen Figuren frisch erstanden ins Herz schließt. Wie Pixar allerdings selber in der Filmgeschichte bewies, ist das Bessere der Tod des Guten und man sollte sich auch in Teil 3 nicht nur aufs Sentiment verlassen.

26.7.10

Space Tourists


Schweiz 2009
Regie: Christian Frei
mit Anousheh Ansari, Jonas Bendiksen, Dumitru Popescu, Charles Simonyi
Länge: 98 Min.
Webseite: http://www.space-tourists-film.com/de/home.php

Mit seinen „War Photographer“ wurde der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei für den Oscar nominiert. Nun begleitete er den jungen Magnum-Fotografen Jonas Bendiksen zum kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur. Dort erfüllt sich für einige reiche „Space Tourists“ der Menschheitstraum von der Reise ins All. In der weiten Steppe leben hingegen andere von den Himmelsgeschenken der ausgebrannten Raketenteile. Christian Frei dokumentiert in einzigartigen Bildern einen Wandel in der Geschichte der Raumfahrt, konterkariert diese Geschichte dabei gleichzeitig geistreich und humorvoll mit ebenso spannenden, anderen Perspektiven.

Kubrick sagte in seinem Presseheft zu „2001“, „im Jahre 2001 werden Weltraumflüge für Jedermann eine Selbstverständlichkeit sein“. Ganz so weit sind wir noch nicht, aber die ersten Touristen fliegen bereits mit einem 20 Mio.-Dollar-Ticket ins All und der mit 10 Mio. Dollar gesponserte Ansari X-Preis treibt die privatwirtschaftliche Raumfahrt voran. Die Sponsorin, jene aus dem Iran stammende Geschäftsfrau Anousheh Ansari, begleitet der Film bei ihrer Touristen-Reise ins Weltall. Nach einer Ausbildung im Raumfahrtzentrum Baikonur fliegt Ansari mit einer Sojus-Rakete zur Internationalen Raumstation (ISS), um dort als erste weibliche Weltraumtouristin in Schwerelosigkeit zu leben und zu forschen.

In den Bildern von „Space Tourists“ erweist sich das alles nicht als strahlender Science Fiction, wie er von Kubrick und anderen ausgemalt wurde: Schon die Landung der Raumkapsel in den ersten Szenen ist eine veritable Explosion, bei der einem Angst und Bange um die Leben der drei Kosmonauten wird. Nachdem man die Kapsel öffnete, zieht man zuerst Ansari mühsam heraus, gibt ihr Blumen und einen Apfel, mit dem sie sichtlich nichts anfangen weiß. Und die Kamera ist hautnah dabei - so hat man die Sojus-Landungen noch nie sehen können!

Ebenso ungesehen die Schrottsammler, die sich um die „Rüben“ genannten, abgestürzten Raketenstufen in der Steppe kümmern. Nicht ohne vorher ein zünftiges Picknick mit Wodka auf das gute Gelingen eingenommen zu haben. Es wirkt verrückt, wie sich die privatwirtschaftliche Demontage-Truppe zuerst aus einem ganz speziellen Teil des Hightech-Geräts Rakete einen Suppentopf bastelt und sich ihr Essen für die drei Tage Flexen und Sägen kocht. Derweil bereitet sich die ISS-Besatzung Tütennahrung und Anousheh wäscht sich die Haare! Damit nicht genug des vor-emanzipatorischen Rollenklischees: Die Millionärin und Ingenieurin saugt in einer der sehr inszeniert wirkenden ISS-Szenen eine der Kabinen.

Entmystifizierend auch die Situation am Boden: Der Glanz vergangener Raumfahrt-Zeiten blättert in Baikonur nicht nur von den Denkmälern ab. 1955 platzierte die Sowjetunion hier ihre Raketenbasis, ihr Kosmodrom mitten im Nichts. Heute ist Baikonur eine unfassbare Fundgrube alter Träume, Größe und Ästhetik. Hier ist die Zukunft schon in einem Museum gelandet; die Kaninchen und Mäuse, die vor der berühmten Hündin Leika ins All geschossen wurden, verharren ausgestopft in ihren Kapseln. Die Buran, das russische Space Shuttle, verrostet irgendwo auf diesem riesigen Gelände, das einst 100.000 Menschen beherbergte. Selbst auf dem Kinderspielplatz stehen kleine Raketen verwaist herum. Während das Fernsehen im Off erzählt, dass nun jeder ins All fliegen könne, zeigt das Bild dagegen alte kasachische Frauen, die sich höchstens eine Busfahrkarte leisten können. Frei stellt in den Bildern zusammen mit dem Kommentar vom Magnum-Fotografen Jonas Bendiksen den Niedergang des russischen Raumfahrtprogramms fest, bei dem alles verkauft wird, was sich irgendwie zu Dollar machen lässt.

Dazu gehören die vier ersten Brennstoffraketen, aber auch die zweite Stufe, die mit ihren giftigen Stoffen 2000 Kilometer weiter im Altai-Gebirge in einer relativ besiedelten Gegend auch mal auf Häuser fällt. Der Traum, dass wir als "ganz normale" Menschen unseren Planeten verlassen und ins Weltall reisen können, hat, wenn er wieder auf die Erde kommt, durchaus auch seine Schattenseiten.

Wirklich fortschrittlich in dieser Hinsicht ist ein rumänischer Raketenbauer, der nicht zuerst reich werden will, um sich ein Ticket ins All zu kaufen. Das würde keinen Spaß machen - deshalb baut er lieber seine eigene Rakete, um beim „Google Lunar X-Preis“ für den ersten Roboter, der privat-wirtschaftlich auf dem Mond landet, mitzumachen. Die Sonne heizt bei ihm einen Ballon auf, der seine Rakete ins All transportieren soll. Leider scheitert der erste Versuch und der Film leistet sich den Spaß, durch den Ton deutlich auf eine Fliege hinzuweisen, die im Cockpit der Versuchs-Rakete herumbrummt. Da ist sie wieder, die eigentlich bodenständige Flickschusterei im All, die schon in Andrei Ujicas Dokz „Out of the Present“ (1999) fasziniert und irritiert hat. Auch in  „Space Tourists“ erstaunen die beschränkten Mittel, mit denen mal ins All kommt: Die Kosmonauten klettern rostige Leitern zur Einstiegsluke hoch, im Cockpit baumelt ein Stofftier als Talisman, nur der Fuchsschweif an der Antenne fehlt.

Die Einzigartigkeit der von Anfang an hochwertigen Bilder von „Space Tourists“, die geradezu sensationellen Einblicke, die sich bescheiden in den Gesamtfilm einfügen, machen die Dokumentation nicht nur humorvoll erkenntnisreich sondern auch sympathisch. Den Schrottsammlern der Steppe wird genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet wie den Helden der Raumfahrt. Die Bilder der verbrannten, zerbeulten Antriebsrakete wirken reizvoller als die glänzender Hightech-Giganten. So „unter“-läuft „Space Tourists“ die üblichen Phrasen von „Alles ist möglich, solange man einen Traum hat“ mit anderen Geschichten und Bildern.

Christian Frei schuf aus - gut vorbereiteten und ausgewählten - Fundstücken einen Film, der wie das Gedicht von Arseny Tarkovsky zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen „Myriaden von Einzellern“ und „Myriaden von Sternen“ „eine Brücke, die zwei Welten vereint“, bildet. „Space Tourist“ zeichnet den alten Traum, zu den Planeten und Sternen zu reisen, nach. Der Blick geht dabei aber über diesen Horizont der erhabenen Gedanken über den Wert unseres Planeten, den man erst aus dem All schätzen lernt, hinaus. Die Herren von Baikonur brauchten sich keine Sorgen wegen der neugierigen Kamera zu machen. Es ist der Schnitt von Frei, der die Vermutung wachsen lässt, dass die wirklich wichtigen Erkenntnisse für die Menschheit vielleicht bei einem Nomaden in der kasachischen Steppe zu finden sind, der sich seine Hütte aus Resten einer Rakete baut. Entdeckungen kommen aus einer unerwarteten Richtung, so wie man am Ende der Wiederverwertungskette vielleicht sein Butterbrot in eine ehemalige Rakete wickelt.

Inception


USA, Großbritannien 2010 (Inception) Regie: Christopher Nolan mit Leonardo DiCaprio, Ken Watanabe, Joseph Gordon-Levitt, , Ellen Page, Tom Hardy, Cillian Murphy, Tom Berenger, Michael Caine 142 Min.

Waren „Avatar“ und „Das weiße Band“ die Filme des vergangenen Jahrzehnts, trumpft Christopher Nolan („Memento“, „The Dark Knight“) mit der ersten Sensation der Zehner Jahre auf: Einzigartig in Komplexität und Spannung wird die Gedankenwelt von „Inception“ die Filmfans in ausufernden Diskussionen beschäftigen wie einst „Matrix“ oder „Pulp Fiction“.

Cobb (Leonardo DiCaprio) spioniert mit seinen Teampartnern die Gedanken mächtiger Geschäftsleute aus, indem sie als Akteure in deren Träume eindringen. Als der japanische Industrielle Saito (Ken Watanabe) umgekehrt einen Gedanken in den Kopf des Konkurrenten Robert Fischer (Cillian Murphy) pflanzen will, halten alle dies für unmöglich. Doch weil Saito die Erfüllung von Cobbs größtem Wunsch verspricht, will der es möglich machen. Mit einer neuen Superdroge und der Studentin Ariadne (Ellen Page) als Architektin labyrinthischer Fantasie-Welten werden gleich mehrere Träume miteinander verschachtelt, in denen man sowohl mit dem bewaffneten Widerstand von Fischer als auch mit den spezifischen Problemen dieser Traumreisen fertig werden muss. So werden aus Sekunden des Schlafes viel Traum-Minuten oder gar Stunden in den nächsten Ebenen. Und wenn sich die Traumgemeinschaft durch einen tiefen Fall in Schwerelosigkeit befindet, gerät die ganze Vision in einen kniffeligen Schwebezustand. Doch die größte Gefahr droht dem Plan durch eine tragisch verlaufene Liebe Cobbs, dessen schlechtes Gewissen sich in Form seiner Frau Mal (Marion Cotillard) immer wieder äußerst destruktiv in den Visionen manifestiert.

Vom ganz frühen, ersten Finale an, wenn ein Traum mitten im Auftrag einstürzt, hält Christoper Nolan die Spannung hoch in der Matrix seiner Gedankenwelt. Nolan war der Regisseur des rückwärts erzählten „Memento“, wenn ich mich recht erinnere. Reagierte damals der Kopf begeistert wegen der Kitzel in den Hirnwindungen, wird er nun orgiastisch aufjauchzen. Nach zehn Jahren Arbeit an seinem zweiten ganz eigenen Projekt „Inception“ geriet das Meisterwerk so komplex, dass der Platz einer Besprechung nun wirklich mal nicht reicht. Unter den vielen atemberaubenden Bildern des Films - von Paris, das sich im Geiste Eschers auf sich selbst faltet, oder eines New Yorks, das wie Sandburgen zerbröselt - gibt es auch die einfachen Sinnbilder, die einen nicht weniger loslassen. Das passende Bild zur Dichte des Films liefert der Einstellungstest für die Architektin Ariadne: Sie soll in zwei Minuten ein Labyrinth zeichnen, dass man in einer Minute nicht lösen kann. Nolan hat in zehn Jahren eine Filmwelt gezeichnet, die man in 140 Minuten nur staunend erleben, aber kaum in ein paar Zeilen erfassen kann.

Der immer wieder reizvolle Traum im Traum wird von Nolan potenziert: Gleich fünf mit modernster Computertechnik gestaltete und so noch nie gesehene Welten werden hier ineinander geschachtelt. Die immer fragileren Gedanken-Gespinste verhalten sich zu anderen Filmen so sensationell anders wie Spock von der Enterprise, der dreidimensional Schach spielte, während andere nur zweidimensional denken konnten.

Von dem ganzen Haufen großartiger Schauspieler sei vor allem Leonardo DiCaprio erwähnt, der in diesem „Shutter Island 2“ erneut dagegen ankämpft, in einer Wahnwelt zu versinken. Emotional ist „Inception“ das große Drama seines Cobb, der sich ein Gefängnis der eigenen Erinnerungen baut - schön und schrecklich zugleich. Wie Orpheus steigt er ins Totenreich hinab, um seine Liebe zu retten. Was sagt uns dabei das „Rien de rien“ der Piaf, das immer wieder aus der Traumwelt zurückruft? Man kann nur wirklich in der Realität leben, wenn man nicht bereut?

Denn bei aller Komplexität, bei der erstaunlich packenden Action und all den fantastischen Momenten ist „Inception“ ganz tief drinnen auch ein Liebesfilm, der große Film einer verlorenen Liebe. Ob er nun einen Offenen oder einen Trugschluss hat, darüber werden die Fans noch lange diskutieren. Auf jeden Fall ist das Ende ebenso genial wie das ganze fantastische Gedanken-Gebäude Nolans.

20.7.10

The Doors - When You're Strange


USA, 2010 (When You're Strange) Regie: Tom DiCillo 90 Min.

Tom DiCillo, der erst Kameramann für Jarmusch und dann selbst Regisseur schön eigenwilliger Filme wie „Box of Moonlight“ (1996) und „Living in Oblivion“ (1995) war, liefert eine enttäuschend konventionelle Dokumentation über Jim Morrison und The Doors ab. Man muss DiCillo zugute halten, dass er im Gegensatz zum delirierenden Spielfilm „The Doors“ von Oliver Stone nur Originalmaterial verwendet und damit Aufstieg und Niedergang der amerikanischen Kultband der zweiten Hälfte der Sechziger chronologisch nacherzählt. Den noch sehr lebendigen Mythos oder den Kult um The Doors braucht der Film nicht aufzubauen und will ihn auch nicht einzureißen. Informativ für die Uneingeweihten, nett für die Fans bleibt diese Doku schwächer als fast jeder einzelne Song der Doors.

Karate Kid (2010)


USA/VR China 2010 (The Karate Kid) Regie: Harald Zwart mit Jaden Smith, Jackie Chan, Taraji P. Henson 140 Min. FSK ab 6

Der neue „Karate Kid“ ist ein Kinderfilm, der sich an den Kult-Erfolg des Originals hängt, obwohl die heutige Zielgeneration von John G. Avildsens „The Karate Kid“ aus dem Jahr 1983 nichts weiß. Die Produktion hat trotzdem keine Mühe für die Kleinen gescheut, von den ersten Bildern an sieht der neue „Karate Kid“ groß aus. Das Karate wurde nach China verlegt und ist jetzt Kung Fu. Ansonsten erweist sich die einfache, so oft schon gezeigte Geschichte eines Kindes in fremder Umgebung nicht groß verändert, aber sehr gut gespielt: Der zwölfjährige Dre Parker (Jaden Smith) zieht mit seiner verwitweten Mutter aus den USA nach China. In der Schule wird er vom größeren Klassenbully schikaniert und verprügelt. So gern er die Mitschülerin Mei trifft, sein Schulalltag ist vor allem davon bestimmt, dass er sich vor den anderen Jungens versteckt. Als ihn der Hausmeister Han (Jackie Chan) vor den Schülern rettet, fordert deren Meister ein Duell der Jungens bei einem Kung Fu-Turnier. Han übernimmt Dres Kampf-Unterricht, lehrt ihm zuerst etwas Respekt und dann, seine Jacke ordentlich aufzuhängen. Dass Kung Fu in jeder Bewegung liegt, wird als weiser Spruch für später aufgespart.

„Karate Kid“ ist ein weiterer Baustein in der Karriere von Jaden Smith, dem schon recht routinierten Will Smith jr. („Der Tag, an dem die Erde stillstand“, „Das Streben nach Glück“). Hilfreich als Qualitätsgarantie wirkt Jackie Chan. Mit trockenem Humor nimmt er Abstand von seiner üblichen Action und wendet sich der Rolle des weisen Lehrers mit tragischer Vergangenheit zu. Eine Rolle, die ihm hervorragend steht. Jung- und Alt-Star funktionieren gut zusammen. Harald Zwart gelingen ein paar große Szenen, mit als emotionalem Höhepunkt den Zusammenbruch des Lehrers. Diesmal rettet der Schüler ihn und die Trainings-Stangen zeigen im Schattenspiel sehr schön die gegenseitige Abhängigkeit von Meister/Vaterersatz und Lehrling. Während dieser Aufwand recht groß ist, um eine etwas artifiziellere Form von Raufen und Sich-Prügeln zu propagieren, läuft die Konfrontation mit der fremden Kultur meist spaßig ab, bleibt aber doch oberflächlich.

Micmacs


Frankreich 2009 (Micmacs) Regie: Jean-Pierre Jeunet mit Dany Boon, Julie Ferrier, André Dussollier, Jean-Pierre Marielle, Yolande Moreau 104 Min. FSK: ab 12

Endlich gibt es wieder eine Film-Delicatesse von Jean-Pierre Jeunet: Sechs Jahre ist es her, seit Audrey Tautou in „Mathilde – Eine große Liebe“ die Leiden des Krieges durchlebte. Die gleiche Tautou, deren Pariser Liebeswirren in „Amélie“ 2001 die ganze Welt rührte. Was stellen die „Micmacs“ nun in Paris an, welche Farbnuance wählte der fantastische französische Regisseur nun? Den schwarzen Humor in vergilbtem Braun aus „Delicatessen“? Oder die hoffnungslose Dunkelheit aus „Die Stadt der verlorenen Kinder“ (1995) und „Alien Resurrection“ (1997)?

Schon der Auftakt erzählt auf geniale Weise, wie Bazil (Dany Boon, der Ober-„Sch'ti“) zu solch einem Sonderling wurde: Ohne Worte explodiert eine Landmine, die Familie des Opfers in Paris erhält ein Abschiedspaket, die Witwe kommt ins Krankenhaus, der kleine Bazil ins herzlose Schwestern-Heim. Jahre später, während Bazil in der Videothek Bogarts „The Big Sleep“ sieht, spielt auf der Straße ein realer Gangsterfilm und eine Kugel landet direkt im Kopf des Videothekars. Eine Münze des Chirurgen entscheidet, dass sie besser dort bleibt und fortan für schön seltsames Verhalten verantwortlich ist.

Wer für die beiden fatalen Waffen in seinen Leben verantwortlich ist, entdeckt der Mann ohne Familie, Job und Wohnung zufällig: Auf der Straße steht Bazil plötzlich zwischen dem Firmenwappen des Landminen-Produzenten Nicolas Thibault de Fenouillet (André Dussollier) und dem des Munitions-Herstellers François Marconi (Nicolas Marié). Da die Konzern-Chefs heftigst verfeindet sind, ist es Bazil ein Leichtes, die Händler des Todes gegeneinander auszuspielen. Bei dieser äußerst originellen Verschwörung sind Freunde aus dem Untergrund sehr findig behilflich.

Diese Freunde sind Freaks der Gesellschaft, ein sehr liebenswerter Ausschuss, der unter einer labyrinthischen Müllhalde lebt. Jeunet und sein Kameramann Tetsuo Nagata schufen ein so fantastisch von der Müllseite her fotografiertes Paris, dass man sofort Clochard werden möchte. Zu den „Micmacs“ gehören die Kontorsionistin Mademoiselle Kautschuk, mit „sensibler Seele in einem flexiblen Körper“, das Rechengenie Calculette, die Mutter der Truppe Cassoulet (die großartige Yolande Moreau aus „Louise hires a contract killer“), sowie der „Delicatessen“-Star Dominique Pinon, der eine Lebendige Kanonenkugel-Legende spielt.

Wie die kleinen, verrückten Trickmaschinen des sympathischen Petit Pierre funktioniert auch „Micmacs“. Der nicht ganz ernst genommene Krimi mit einem sehr humanistischen Herzen ist manchmal eine herrliche Chaplinade ohne Dialog. Dann ein romantischer Anachronismus, wenn der dreirädrige Transporter neben einer lautlosen Straßenbahn daherstottert. Im Hintergrund verfallene Gebäude vor den unvermeidlichen Glas-Stahl-Fassaden der Seine-Stadt. Diese recyclete Welt ist mit einem Zauber erfüllt - und damit Kino pur: Der banale Alltag wird traumhaft. So kann der eigentümliche Mann mit der Kugel im Kopf sich zum raffinierten Trickser und Texter entwickeln. Denn meist sprechen seine Kumpel mehr oder weniger exakt seine Texte nach. So wie er in der Metro die Lippen zu der Musik bewegt, die eine Frau nichts ahnend hinter einer Säule spielt und seinen Hut viel schneller als den ihren füllt.

„Micmacs“ ist die Rache der einfachen Leutchen am korrupten Establishment. Wie es einst „Lina Braake“ und Danny Ocean vormachten. Die Retro-Komödie hat dabei nicht die Coolness von „Oceans 11“, dafür ebenso viel Herz und Sympathien: Während sonst Tom Cruise in einem Seilakt über der Beute schwebt, wird hier nur niedlich ein Stückchen einschläfernden Zuckers in den Tee des Nachtwächters herab gelassen. So liegt eine natürliche Abneigung gegen Waffenhändler (mit denen auch Sarkozy im Bunde ist) der dunkelbraunen Farbpalette von „Delicatessen“ zugrunde, diesmal vermischt mit der Antikriegs-Haltung der „Mathilde“ sowie dem traumhaften Paris der „Amélie“.

Knight and Day


USA 2010 (Knight and Day) Regie: James Mangold mit Tom Cruise, Cameron Diaz, Peter Sarsgaard 110 Min. FSK: ab 12

Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Einst reichte die Strahl- oder Grins-Kraft von Tom Cruise, um jede „Mission Impossible“ interessant zu machen. Er war „Top Gun“ der Schauspieler-Gilde. Nun wandelte sich Cruise mit erstaunlicher Sicherheit vom Kassen- zum Hähme-Magneten. Da ist es eigentlich keine schlechte Idee, sich auf den sicheren Boden eines komödiantisch überdrehten Spionage-Films zu begeben. Aber selbst mit Regie-Routinier James Mangold („Cop Land“, „Walk the Line“) am Ruder läuft bei „Knight and Day“ das Wichtigste schief.

Führerlos rasen Action und Romantik durch die Welt, denn gerade hat der Agent Roy Miller (Tom Cruise) eine ganze Flugzeugbesatzung umgelegt, samt Flugkapitän. Nur die Zufallsbekanntschaft June Havens (Cameron Diaz) bekommt nichts davon mit, während sie sich auf der Toilette des Fliegers für einen Flirt mit dem flotten Roy fertig macht. Vor Sturzflug und Notlandung auf Autobahn und Maisfeld bleibt noch Zeit für einen Drink und einen Kuss. Dann darf June erstmals in Ohnmacht fallen. Eigentlich ist sie keine Zufallsbekanntschaft, denn Roy benutzte sie, um eine sensationelle Superbatterie durch die Kontrollen zu schmuggeln. Obwohl der Agent wie ein Action-Autist wirkt - ziemlich tödlich aber auch tödlich debil, kümmert er sich fortan darum, dass June nicht von den Geheimdienst- und Gangster-Horden geschnappt wird.

Der Action-Tango „Knight and Day“ (mit vielen Remixes vom Gotan-Project) ist längst „Nackte Kanone“, also pure, alberne Parodie. Unübersehbar wenn June ein hormonell aufgeladenes Beziehungsgespräch mitten im Kugelhagel beginnt. Cameron Diaz, immerhin schon mal eine von „Charlie’s Angels“, darf sich dumm gebärden wie schon lange keine Blonde mehr im Film. Ihr Verhalten nahe am Gehirntod wird nur dadurch übertroffen, dass sie einen Großteil des Film betäubt mitgeschleppt wird. Früher war das zu eng geschnürte Mieder schuld an seriellen Ohnmachten. Liegt es heute vielleicht am zu engen Rollenkorsett? Doch der Wahnsinn hat Methode: Gerne wird Unnötiges wie persönlicher Hintergrund, psychologische Tiefe oder Sinnhaftigkeit der Handlung in einem action-getriebenen Blackout weggelassen - es kommt nur auf die Gags an. Das hat insgesamt den gleichen intellektuellen und emotionalen Reiz wie eine Urlaubsreise von Barbie und Ken. Zwei sterile Kunstfiguren - Cruise und Diaz - auf Leerlauf in einem schwachen Fließband-Produkt. Und - eigentlich wollten wir das dem Boulevard überlassen - damit ähnelt die Figur Roy Miller auch dem öffentlichen Auftreten von Tom Cruise. Mittlerweile scheint es eine Mission Impossible zu sein, noch einen anständigen Film mit Tom Cruise hinzubekommen.

14.7.10

Eclipse


USA 2010 (The Twilight Saga: Eclipse) Regie: David Slade mit Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Billy Burke 121 Min.

Was sagt ein zünftiger Vampir, wenn er eine süße Jungfrau sieht? „Blut, Blut, ich rieche Menschenblut!“ Oder: „Schlürf“? Mitnichten. „Heirate mich“ ist der erste Satz von Edward Cullen (Robert Pattinson) gegenüber seiner großen Liebe Bella Swan (Kristen Stewart) in „Eclipse“. Doch sie will etwas anderes: „Beiß mich, mach mich zum Vampir!“ In einer romantischen Szene einigen sich die beiden auf die klassische Abfolge: Erst „Bis dass der Tod euch scheidet“, dann die Verlängerung in die Ewigkeit durch den Biss zur Vampirismus-Konversion Bellas.

„Eclipse“ erzählt auf zwei Ebenen die gleiche Geschichte: Die eine erzählt von den üblichen Teenager-Problemen um Liebe, Sex, Entscheidungen und vielen Fragen angesichts einer unklaren Zukunft. Das Teenie-Filmchen enthält auch den eifersüchtigen wie dämlichen Hahnenkampf von Werwolf Jacob und Vampir Edward um Bella. Bis zum Schulabschluss versucht sie herauszubekommen, wem ihr Herz gehört und wie sie leben will. Auch dies ein simpler Köder, der ins amerikanische Teenager-Leben geworfen und mit den Fantasy-Elementen von Vampiren und Werwölfen aufgehübscht zum anderen Film wird. Denn der große mythische Streit zwischen den verfeindeten Wesen der Nacht wird in der Twilight-Serie auf die Frage reduziert, ob die reifende Frau ein warmes, weiches Kuscheltier will oder sich mit dem Mann einlässt, der in sie eindringen will - mit seinen Zähnen. Dass Edel-Beißer Edward so altmodisch ist, dass er dies erst nach der Hochzeit zulässt, gibt der ganzen Einfalt etwas Länge.

Das innere Drama Bellas steht unter der mörderischen Bedrohung der Erzgegnerin Victoria, die ihre Rache an Edward Cullens Familie sucht. Dazu rekrutiert sie eine eigene Armee von Jungvampiren, die sich ungezügelt durchbeißen. Um Bella zu schützen, kämpfen sogar Vampire und Wölfe zusammen, alles läuft auf eine große Entscheidungs-Schlacht hinaus, während der sich Bella zwischen ihren Männern entscheidet. Die digital aufgebauschten Kämpfe liefern mehr Material für hämische Parodien als für Kult.

Die Eindeutigkeit dieser Parabel wirkt ermüdend und einfältig auf alle, die nicht gerade in dieser Lebensphase stecken. Aber für die ist diese Buch- und Filmreihe ja auch nicht gedacht. „Eclipse“ liefert als dritte Romanverfilmung nach Stephenie Meyer frisches Blut für die Fans der verklemmten Fantasy. Der Mann, das unbekannte Wesen, wandelt sich für die Teenager mal zum blassen Beißer, mal zum riesigen Steiff-Tier. Aber selbst diese Bedrohungen - und Verführungen - verbinden sich verlässlich gegen zügellose Horden. Auch dies passt ins konservativ prüde Konzept von „Twilight“. Am Ende bleibt nur ziemlich viel Gefühlswabern und ganz großer Liebeskitsch mit längst ausgelutschten Worthülsen. Bellas überflüssige Off-Kommentare machen den Film, der von seinen Produktionswerten den Augen einiges zu bieten hat, simpel und verständlich für wirklich jeden, der sein Geld an der Kinokasse lässt.

13.7.10

Marmaduke


USA 2010 (Marmaduke) Regie: Tom Dey mit Lee Pace, Judy Greer, William H. Macy 88 Min.

Es ist zum Heulen. Aber nein: Wolfe heulen, Hunde jaulen. Schon wieder falsch: Hunde sprechen doch, denn wir sind im Hollywood-Film. Das ist zum .... siehe oben. Hieß es früher bei Dr. Dolittle noch „Hör mal, wer da spricht“, verdanken wir es der digitalen Revolution, dass wir beim meist sinnfrei plappernden Getier nun auch die synchronen Bewegungen der Münder sehen. „Guck mal, wer da spricht!“ rufen jetzt die kleinsten aus, wenn ein Riesenköter seine Geschichte erzählt. Das reicht für einen Lacher aus. Einen ganzen Film trägt es nicht, da nervt es nur noch.

Die Dänische Dogge Marmaduke muss sich in der Hundegesellschaft der neuen Hundefutter-Firma seines Herrchens zurechtfinden. Im Freigehege gibt es den Platzhirsch, dämliche Afghanen-Damen, durchgeknallte Pinscher, eine Collie-Prinzessin und eine Straßenmischung als beste Freundin. Man ahnt hier schon, dass Marmaduke all das erleben wird, was Kids an Schulproblemen nach einem Umzug erleiden müssen. Neben der sozialen Eingliederung gibt es eine Liebesgeschichte, denn Marmaduke rennt erst der Falschen hinterher, bevor er schließlich seine Wasserscheu überwindet, um die wahre Liebe zu retten. Dass der ohne Computerhilfe schon trottelig wirkende Hund auf einem Surfbrett und im Rudeltanz besonders bescheuert wirkt, sollte man nicht unter Humor einordnen. Flache Furz-Scherze gibt es nämlich noch dazu. Nach Jahrzehnten der Computer-Entwicklung ist es Zeit für eine ganze neue Spezies, sprechen zu lernen: Der Zuschauer könnte mit den Füßen abstimmen und solchen Filmideen für die Zukunft den Garaus machen.

9.7.10

Hasenheide


BRD 2010

Regie und Buch: Nana A.T. Rebhan, Kamera: Nana A.T. Rebhan, Schnitt: Justyna Hajda, Produktion: Nana A.T. Rebhan, Alfred Exner 72 Min.
Verleih: Alfaville alfaville.film@gmx.net

Nicht der Central Park, nicht der Retiro, nicht mal der Tiergarten: Die Berliner Hasenheide ist kein Protz-Park, kein Touristen-Ziel. Der 50 Hektar große Park in Neukölln an der Grenze zu Kreuzberg liegt hingegen mitten im Leben der Menschen aus der Gegend. Die Regisseurin Nana A.T. Rebhan zeigt in ihrem Park-Porträt „Hasenheise“ vor allem die Spannweite des Genießens. Der Park, das sind unter diesem sympathischen und offenen Blick seine Menschen.

Bei einigen gilt die Hasenheide als „No go area“, denn sie ist unübersehbar ein belebter Drogenumschlagplatz in Neukölln. Die lustige Selbstverteidigungs-Gruppe, die im Park übt, interessiert dieses Klischee nicht: Für sie ist die Hasenheide ein „Ort zum Wohlfühlen“. Das leben auch die multinationalen Bolzteams mit großartiger Ball-Technik vor. Zu den vielen netten kleinen Beobachtungen des Films gehört die Insider-Erklärung, was die heftigen Streits über Tor und Nicht-Tor eigentlich bedeuten: Die Jungs sind einfach ko aber können das nicht zugeben. Da streitet man sich lieber mit großer Geste und beendet so das Spiel.

Auf dem Jogging-Parcours macht selbstverständlich auch eine verhüllte Muslima ihre Dehnübungen. Dies ist schließlich Neukölln! In der Hasenschenke selbst finden selbst echte Berliner noch ein Reservat fern vom touristischen Sony Center am Potsdamer Platz. Hier herrscht kein Biergarten-Chic, passend malt ein Künstler Zille-Motive auf die Wände der Hasenschenke. Überhaupt ist dieser Park nirgendwo fein mit Kunst verziert wie der Tiergarten.

„Hasenheide“ zeigt ein Gegenbild, zeigt die „Parallelgesellschaften“ abseits der aktuell oder ehemalig trendigen Viertel. Es ist ein positiver, netter Blick mit Stimmungsbildern, kurzen Selbstdarstellungen und Interviews. Da folgt der schwulen FKK-Sonnenecke mit dem einsamen Sonnenanbeter im Lotus-Sitz und der Zickenclique eine türkische Musikergruppe. Auch hier bleiben Männer unter sich, aber bekleidet und mit Instrumenten ausgerüstet liefern sie den orientalischen Soundtrack für die Abendstimmung. Die eher seltenen Fragen der Regisseurin zeigen vor allem ein großes Interesse an den Menschen. So erfährt sie von immer neuen Hasenheiden-Bewohnern, etwa von einem originellen Typen, der mit seinen vier Papageien durch den Park geht, und von dem Mann, der täglich den Falken des Parks füttert. Die Szenen wurden kommentarfrei und flüssig aneinander gefügt, wobei sich wie im richtigen Leben immer neue Begegnungen ergeben.

Über die „Hartz4-Wiese“ stolziert auch eine edel bekleidete, ziemlich schräge ältere Dame, passend Schneewittchen genannt. Besonders schön ist hier die Konfrontation mit einer ganz anderen, rustikalen Hunde-Lady, die unter Cowboyhut und Poncho von ihrer Arbeits-Reintegrations-Maßnahme erzählt. Kurios sind nicht nur ihre Versuche, die Probleme mit aggressiv ängstlichen Kindern, die das ach so friedliche Hundleben im Park stören, zu bewältigen.

Nana A.T. Rebhan zeichnet ein freundliches Porträt des vielfältig lebendigen Parks, ohne Interviews mit den Dealern, der Polizei oder Politikern. Ein runder Film über etwas Unspektakuläres, aber vielleicht umso wichtigeres in einer (Medien-) Welt, die reißerische Konfrontationen sucht: Das Zusammenleben.

7.7.10

Lügen machen erfinderisch


USA 2009 (The Invention Of Lying) Regie: Ricky Gervais , Matthew Robinson mit Ricky Gervais, Jennifer Garner, Jonah Hill 100 Min. FSK ab 6

In einer Welt ohne Lüge gibt es keine Werbung und selbstverständlich auch keine Spielfilme. Die gnadenlose Ehrlichkeit fängt schon bei der Begrüßung an. „Wie geht es dir?“ wird tatsächlich mal ehrlich beantwortet. „Nicht besonders gut. Wahrscheinlich werde ich heute gefeuert.“ Mark Bellinson (Regisseur und Ko-Autor Ricky Gervais), ein rundlicher, kleiner Verlierer, hat es ohne freundliche Heuchelei oder Taktgefühl besonders schwer. Doch als der Drehbuch-Autor für todlangweilige Nacherzählungen historischer Epochen in einer Bank spontan über seinen Kontostand lügt, ist er im Vorteil. Die Leute glauben ihm wie unter Hypnose alles: Dass er schwarz oder ein einarmiger deutscher Raketen-Ingenieur ist. Die langbeinige Blondine nimmt ihm sofort ab, dass die Welt untergeht, wenn sie nicht sofort mit ihm schläft. Das Konzept der Lüge ist nicht allgemein bekannt, also hat er immer Recht. Sein Handeln bleibt unerklärlich: Es gibt ja nicht mal ein Wort dafür, dass er etwas sagt, was nicht ist!

Mark erfindet nun sogar das Jenseits samt Paradies, um seine Mutter zu trösten, und jeder glaubt dem neuen - nein: einzigen Propheten. Als Nebenprodukt schreibt er die zehn Gebote (auf Pizza-Schachteln!) und gründet eine Religion. Nur seine große Liebe Anna McDoogles (Jennifer Garner) kann er nicht täuschen. Sie glaubt, dass es bei Liebe darum geht, zwei äußerlich möglichst attraktive Gen-Pools miteinander zu vereinen.

Die nicht ganz oberflächliche Komödie mit einer sympathischen Idee und ihrer sympathischen Hauptfigur präsentiert ein witziges Konzept, das sich selbstverständlich in unserer Welt der Täuschungen nicht ganz schlüssig realisieren lässt. Doch am Ende läuft alles auf nur ein Liebesfilm-Finale hinaus. All die netten Ideen des Anfangs bleiben verlorene Gedanken-Mühe.

6.7.10

Mr. Nobody


Frankreich/ Kanada/ Belgien 2009 (Mr. Nobody) Regie: Jaco van Dormael mit Jared Leto, Diane Kruger, Sarah Polley 138 Min.

Die Lebens-Erinnerungen von Nemo Nobody, dem letzten Sterblichen der Erde im Jahre 2092, führen in ein faszinierendes Labyrinth aus Liebes-Möglichkeiten und Enttäuschungen. Nach „Toto der Held“ (1991) und „Am achten Tag“ (1996) präsentiert der Belgier Jaco van Dormael wieder einen sensationellen Film.

Alle Menschen sind unsterblich im Jahr 2092. Mit Ausnahme eines 118 Jahre alten Mannes, dem letzten Sterblichen der Erde. Die ganze Welt will wissen, wie das Leben, wie die Vergangenheit dieses Mr. Nobody (Jared Leto) war. Darauf hat der Nemo genannte nur einen Scherz als Antwort: „Die meiste Zeit ist nichts passiert - wie in einem französischen Film.“ Doch die Ärzte lassen nicht nach und versetzen den Greis unter Hypnose, damit er sich erinnere: Noch ungeboren im Himmel erwählt sich Nemo sehr witzig ein Elternpaar aus. Mama (Natasha Little) riecht so gut und Papa (Rhys Ifans) erzählt eine schöne Geschichte, wie sich die beiden ineinander verliebt haben. Im Alter von acht Jahren begegnet Nemo drei Mädchen, die er später heiraten und gänzlich verschiedene Leben mit ihnen führen könnte. Damit beginnt ein Weg voller Entscheidungen: Zuerst trennen sich die Eltern und der neunjährige Nemo muss am Bahnsteig zwischen seinem Vater und der Mutter, die mit dem Zug wegfährt, wählen. Sie wird mit dem Vater von Nemos großer Liebe Anna (Diane Kruger) zusammenziehen. Beim eigenen Vater wird Nemo als Teenager mit Elise oder mit Jeanne zusammenkommen. Die manisch-depressive Elise (Sarah Polley) findet niemals ihr Glück an der Seite und mit den Kindern Nemos. Jeanne (Linh-Dan Pham) hingegen würde erfüllt und im Reichtum die Frau eines erfolgreichen Nemo sein. Nur er fühlt nichts in diesem Leben...

Die Leben mit und ohne die große Liebe Anna führen in einer äußerst reizvollen Montage der Möglichkeiten sogar bis zum Mars, wo ein alter Nemo die Asche seiner Frau ausstreut. Oder ist dies nur die eskapistische Science Fiction-Geschichte des frustrierten jungen Mannes, der seinen gelähmten Vater pflegt? Sind dies alles gar Hirngespinste eines alten Mannes unter Hypnose?

Dreizehn Jahre dauerte es, bis nach dem überwältigenden Erfolg von „Am achten Tag“ (mit Daniel Auteuil und Pascal Duquenne) der Belgier Jaco van Dormael wieder einen sensationellen Film hinlegte. Damit kehrte er zum fantastischen Erzählen seiner Erstlings „Toto der Held“ aus dem Jahre 1991 zurück. Die meiste Zeit arbeitete van Dormael tatsächlich an seinem Buch und an der Umsetzung von „Mr. Nobody“, eine Detailarbeit, die dem enorm dichten Film anzumerken ist.

„Mr. Nobody“ berauscht mit der Bildgewalt seiner Welt und seiner Erzählraffinesse. Doch van Dormaels neuestes Meisterwerk begeistert nicht nur durch die Dichte der Idee und Bilder, durch einen eindrucksvollen Cast oder den ebenso leichten, wie treffenden Pop-Soundtrack. Nicht nur wegen seiner grandiosen Ausstattungsdetails. „Mr. Nobody“ erzählt eine ganz große, bis zum letzten Moment mehr und mehr mitreißende Liebesgeschichte. Wie van Dormael das Entstehen von Gänsehaut im Detail zeigt, praktiziert er das Erwecken der Gefühle auch im großen Ganzen.