31.7.12

Who Killed Marilyn?

Frankreich 2011 (Poupoupidou) Regie: Gérald Hustache-Mathieu mit Jean-Paul Rouve, Sophie Quinton, Guillaume Gouix, Olivier Rabourdin 102 Min.

Wer war Marilyn? Ein Star, eine Ikone, klar. Und wer Norma Jeane Baker? So wie man sich mit dem eigentlichen Namen hinter dem Mythos Marilyn dem Privaten nähern will, so nähert sich auch dieser Krimi mit komödiantischem Einschlag einer tragischen Geschichte um die Monroe des verschneiten Jura-Kaffs Mouthe.

Candice Lecoeurs Gesicht strahlt von jeder Verpackung des berühmt-berüchtigten Jura-Käses aus Mouthe. Doch bevor sie ein Fotograf beim Jobben an der Tankstelle entdeckte, bevor sie sich die Haare blond färbte und bevor die Liebe ihrer Fans sie erstickte, hieß Candice als schüchternes Mädchen Martine Langevin (Sophie Quinton). Nun liegt sie tot im Schnee, der Fundort im Niemandsland zwischen Frankreich und Schweiz verhindert Ermittlungen - die verstreuten Pillen weisen sowieso deutlich auf Selbstmord hin.

Das alles ist ein gefundenes Fressen für den blockierten Schund-Schriftsteller David Rousseau (Jean-Paul Rouve) aus Paris, der hier ein Erbe abholen wollte und dem selbst Rum und Mac nicht helfen, sich den Vorschuss auf einen neuen Roman zu verdienen. Wie ein Aasgeier stürzt er sich auf die Geschichte des blonden Käsestars der Provinz. Mit seiner persönlichen „James Ellroy-Methode" schleicht er sich sowohl ins Leichenschauhaus als auch in die Wohnung der Verstorbenen, um rauszufinden, ob es wirklich Selbstmord war. Dazu gibt es Kommentare, die es eigentlich nicht geben kann, nämlich die von der Toten, die fleißig miterzählt.

Martines Tagebücher geben Auskunft über die Rollen eines Mädchens aus armen Verhältnissen, die durch einen erotischen Werbespot berühmt wurde. Dabei sind die Parallelen zu Marilyn frappant: Der schlagende Mann ist statt Baseball-Star französischer Biathlon-Meister. Der Arthur Miller des Jura ist Literaturkritiker und ihr nächster. Als strippenden Wetter-Fee gibt sie sich ebenso kapriziös und männermordend wie Marilyn bei Dreh zu „Der Prinz und die Tänzerin". JFK heißt hier JFB und ist Präsident der Region. Candice singt für ihn „Happy Birthday, Mr. President" bei einer Kartoffel-Preisverleihung. Bobby, der Bruder, sorgt dann dafür, dass sie sterben muss...

Der schräge französische Krimi auf den Spuren der Coen-Brüder („Fargo") fängt an wie „Twin Peaks" und folgt auch den Spuren von Laura Palmer. „Who Killed Marilyn?" lebt einerseits vom skurillen Schriftsteller-Typen David Rousseau, der sich immer wieder in peinliche Situationen bringt und die Verschrobenheit des von Kyle MacLachlan gespielten „Twin Peaks"-Detektives Dale Cooper wie das Etikett seiner frisch erstandenen Winterjacke an sich hängen hat. Mitten in der Winterlandschaft des kältesten Dorfes Frankreichs rockt er in seinem Peugeot-Cabrio auf „California Dreaming" in einer besonders sonnigen Version von José Feliciano ab.

Dagegen ist die kurze Lebensgeschichte von Martine Langevin anrührend schmerzensreich und mit klugen wie bitteren Bemerkungen zum Preis des Erfolges gespickt. Wie Rousseau schließlich erfährt, dass die mögliche Heldin seines neuen Romans ein begeisterter Fan seiner alten Geschichten war, gehört ebenso wie sein Hotel mit optisch heftigen Tapeten zu den raffinierten und vertrackten Details dieses vielfältig reizvollen Films.

30.7.12

Rum Diary

USA 2011 (Rum Diary) Regie: Bruce Robinson mit Johnny Depp, Aaron Eckhart, Michael Rispoli, Amber Heard, Richard Jenkins, Giovanni Ribisi 119 Min. FSK ab 12

Johnny Depp ist wieder Gonzo! Paul Kemp, die Hauptfigur im „Rum Diary" ist zwar ein anderer alter Ego Hunter S. Thompsons als Raoul Duke, der wahnsinnige Journalist aus „Angst und Schrecken in Las Vegas" („Fear and Loathing in Las Vegas", 1998). Doch Depp, der Freund des berüchtigten, 2005 und verstorbenen Autoren spielt ihn ähnlich. Obwohl „Rum Diary" wesentlich zahmer ist, vor allem formal. Wenn Kemp doppelt sieht, sehen wir das nicht selbst. Terry Gilliam machte aus dem konstanten Rausch Raouls einen mitreißenden Filmtrip. Bruce Robinson aus Kemps kurzem Karibik-Ausflug einen interessanten Film.

Depp stand schon hinter der Veröffentlichung des Romans von Hunter S. Thompson, der vor Jahrzehnten entstand und erst 1998 gedruckt wurde. Als Produzent und Hauptdarsteller blickt Depp mit seinem sattsam bekannten Stauen auf das Puerto Rico der früher 60er Jahre. Paul Kemp (Depp) wird als Journalist für die abgehalfterte englischsprachige Zeitung der Karibik-Insel angeheuert. Zwischen Alkoholrausch und Katerstimmung macht er Reportagen mit fetten US-Touristen auf der Bowlingbahn und beobachtet mit hochprozentigem Zynismus „The Big White", die gefährlichste Spezies der Welt. Gemeint ist selbstverständlich der weiße Ami. Ein besonders gefährliches Exemplar umkreist schnell den mittelprächtigen Schreiberling, der eigentlich Romane stemmen will: Sanderson (Aaron Eckhart), ein strahlend weißer Immobilien-Trickser, der tief in schmutzigen Geschäften steckt, will Kemp als Broschüren-Schreiber für einen Grundstücks-Schwindel. Der angebliche Autor der New York Times lässt sich im großen Stil kaufen und verführen, vor allem von Chenault (Amber Heard), der lebenshungrigen Frau seines Auftraggebers.

Paul Kemp ist hauptsächlich Beobachter einer unfassbare Ausbeutung und der soziale Ungleichheit dieses sogenannten Außengebietes der USA, in dem die Einwohner noch heute zwar Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen. Irgendwann in einem nüchternen Moment schreibt er ein anständiges Stück Enthüllungs-Reportage, doch da ist die Zeitung schon pleite und geschlossen. Neben der frühen Thompson-Geschichte und etwas Karibik-Couleur unterhält Regisseur Bruce Robinson mit ein paar aberwitzigen Szenen, einen Liebesdrama und faszinierenderen Randfiguren wie dem völlig abgewrackten Journalisten Moburg (Giovanni Ribisi). Bruce Robinson ist bislang als Schauspieler, Drehbuchautor („The Killing Fields", 1984) und Regisseur („Jennifer 8", 1991) auffällig geworden und auch nun gelingen ihm tolle Momente: Es ist umwerfend komisch, wenn Kemp mit seinem Fotografen Sala (Michael Rispoli) zu zweit aufeinander im einem ausgenommenen Fiat 500 unter Beobachtung der Polizei ohne Vordersitze fahren. Der gemeinsame LSD-Trip bleibt hingegen weit hinter der Las Vegas-Erfahrung auf den Spuren von Thompson zurück. Wer also „Fear and Loathing Puerto Rico" erwartet, wird sehr enttäuscht. Hier ist alles so strahlend, dass man wie Kemp dauernd eine Sonnenbrille braucht. „Rum Diary" hinterlässt als Instant-Kater das Gefühl, da muss doch mehr sein, und macht so Lust, den Roman zu lesen.

Merida - Legende der Highlands

USA 2012 (Brave) Regie: Mark Andrews, Brenda Chapman 93 Min.

Die moderne Animations-Schmiede Pixar gehört zum traditionellen Zeichentrick-Konzern Disney - oder ist es umkehrt? Es hat jedenfalls eine Weile gedauert, bis eine derartige Annäherung wie jetzt bei „Merida" stattfand: Digital animiert erzählt es brav und familiengerecht von jugendlicher Aufmüpfigkeit, die im reizvollen Zeichenrahmen bleibt. So lässt der 13. Pixar-Film die Sensationen von „Toy Story" oder „Findet Nemo" vermissen, kann aber doch mit einer turbulenten Märchengeschichte vor schön gezeichneten und komponierten (Musik: Patrick Doyle) schottischen Hintergründen unterhalten.

Merida ist als schottische Prinzessin eher Räubertochter und wild als etepetete. Wann immer sie kann, schleicht sie sich von Burg und strenger Schule der Mutter weg, um im Wald mit Pferd und Bogen herum zu jagen. Das lockige rote Haar im Wind dabei so ungezügelt wie das Kind. Da kommt Merida ganz nach dem Vater, einem riesigen, schottischen Clan-Chef, dem einst ein legendärer Bär ein Bein abriss. Die unterschiedlichen Lebenspläne von Mutter und Tochter führen aber zum Riss in der Familie, als die Söhne von drei verbündeten Clans - u.a. die Macguffin und die Macintosh - um Meridas Hand anhalten. Das Mädchen besiegt sie kurzerhand im Bogenschießen, sprengt die Enge des Kleides (so wie vorher das rote Haar partout nicht unter die Haube wollte) und flieht in den Wald. Dort führen Irrlichter und eine Art Mini-Stonehenge zu einer sehr wirren und witzigen Hexe, deren Zauber allerdings gar nicht komisch ist: Meridas Mutter soll sich ändern, wünscht sich das Mädchen, doch die Verwandlung in eine mächtige Bärin ist nicht, was sie erwartete. Nun muss Merida sich um Mutter-Bär kümmern, während der bärenhassende Vater mit den anderen Clans in der Burg rauft und säuft. Dabei haben die Frauen nur zwei Tage Zeit, den Zauber rückgängig zu machen...

Dass die höfisch feine Mutter auf die harte Tour das Leben in der Wildnis schätzen lernt, ist ein Effekt dieses drastischen Einschnitts ins feine Gewebe des Schicksals, dargestellt durch einen Wandteppich, den Merida aus Versehen zwischen ihrer und der Mutter Darstellung zerschneidet. Andererseits muss das Mädchen nun allein die komplizierte und traditionelle Machtbalance zwischen den Clans raufender Deppen ausgleichen, die ja eine Hochzeit bewerkstelligen sollte. Dass die Erfindung der romantischen Liebe dabei vom Himmel fällt, ist als Lösung etwas einfach. Aber im Kern ist „Merida" ja auch nur ein Teenie-Verwechslungskomödie, aufgehübscht um ein paar keltische Elemente.

Das klingt tatsächlich sehr nach Disney, man könnte außer dem Ausbleiben neuer Visionen auch bemängeln, dass die Heldin Merida ein Gesicht wie eine Plastikpuppe hat. Das Lebendige ihrer Figur steckt ganz und gar in den Bewegungen ihres Körpers und im wilden Haar. Doch insgesamt ist „Merida" durchaus gelungen. Die Mischung aus Humor, Abenteuer und Gefühl stimmt. Drei kleine, freche Brüder des Mädchens sorgen für Scrat-Slapstick zwischendurch. Und sowohl Mutter wie Töchter können etwas Verständnis mit aus dem Kino nehmen, für die nächste Erziehungssituation, wenn wieder mal eine zum Tier wird.

Ted

USA 2012 (Ted) Regie: Seth MacFarlane mit Mark Wahlberg (John Bennett), Mila Kunis, Joel McHale, Giovanni Ribisi 106 Min.

Ted ist ein Zotenbär. Die Einschränkung „ab 16 Jahre" macht schon klar, dass dieser Teddy aus einem Zoo absonderlicher Kreaturen stammt. Dass der Film „Ted" dazu noch eine einzige Dauer-Zote darstellt, durchgekaut und abgestanden, sollte allen eine Warnung sein, die Humor und Rülpsen nicht in die gleiche Schublade einordnen.

Mark Wahlberg, der als ehemalige Schaufensterpuppe in seinen Action-Rollen gerade noch durchgeht, scheitert hier komödiantisch als Autoverkäufer John Bennett. An die Wand gespielt wird er von einem animierten Teddybär: Mehr Ausdruck, mehr Lebendigkeit, mehr Schweinereien. Das nämlich soll der fragwürdige Witz des Films sein - ein harmlos aussehender Teddy verhält sich wie ein pubertärer, ordinärer Vollidiot. Da ist es denn eine große Szene, wenn Ted sich mit vier Nutten besäuft und bekifft, während eine von ihnen im Wohnzimmer auf den Boden scheißt. Haha!

Um dieses Bouquet lustiger Szenen zusammenzuhalten, bemühte man das Handlungsgerüst ähnlich gelagerter Buddy-Filme: Der kleine John darf mit den anderen Jungs der Straße nicht jüdische Nachbarskinder verprügeln (ja, auch das gilt hier als Humor), und hat nur seinen Teddy als Freund. „Fürs Leben" soll diese Verbindung sein und schon spricht der Milbenfänger mit den Plastikaugen. Er will auch nicht ausziehen als John ein unreifer Mittdreißiger ist und seit Jahren mit Lori Collins (Mila Kunis) zusammenlebt. Die hält es jedoch nicht mehr aus, dass sich Ted und John andauernd bekifft schlechte Filme ansehen und stellt ihrem Freund ein Ultimatum. Bringt die Trennung die Teddy-Buddies auseinander?

Es mag im Trailer noch kurios aussehen, wenn ein Teddy-Bär Felatio pantomimisch mit Lebensmitteln und spritzendem Gel nachspielt. Doch selbst wenn man diese Scherze, derbste Sprache und durchgehenden Sexismus nicht als ordinär betrachtet, die Wiederholung im Minutentakt ödet an. Ein Kandidat für den schlechtesten Film des Jahres.

Und, liebe Werbung: Auch wenn ihr auf das Wortspiel „bärvers" total stolz seid, das hat mit pervers nichts zu tun. Das ist furchtbar verklemmt und spießig.

22.7.12

The Dark Knight Rises

USA, Großbritannien 2012 (The Dark Knight Rises) Regie: Christopher Nolan mit Christian Bale, Michael Caine, Gary Oldman, Anne Hathaway, Tom Hardy, Marion Cotillard, Joseph Gordon-Levitt, Morgan Freeman 164 Min. FSK ab 12

Acht Jahre nach dem Sieg über Joker sowie dem zwiegesichtigen Staatsanwalt Dent steckt der dunkle Ritter in einem schwarzen Loch und es ist nicht Batcave, die Hauptquartier-Höhle des Flattermanns. Alle Kriminellen oder Verdächtigen von Gotham City hocken im Knast, Bruce Wayne versteckt sich in seinem Schloss, speist und lebt nur mit seinen Depressionen. Erst der Diebstahl einer Perlenkette durch die raffinierte Selina Kyle (das einstige Prinzesschen Anne Hathaway wird zur Catwoman) bringt ihn ins Leben zurück. Gerade rechtzeitig zu einem gigantischen Komplott gegen Gotham City, das ohne jede Verkleidung einfach das New York meint. Oberschurke Bane (Tom Hardy) trägt den Krieg seiner arabischen Heimat in die westliche Vorzeige-Metropole, hat für die Wall Street-Banker statt Milliarden nur ein paar Kugeln, vertreibt dann die Reichen aus ihren Palästen an der 5th Avenue. Dabei ging Bane, diese Ausgeburt einer sozialistischen Hölle, zur gleichen Kampf-Schule wie Bruce Wayne, doch der verstoßene (Schwieger-) Sohn Ra's Al Ghuls (Liam Neeson) hat trotz einer Gesichts- und Atemmaske noch richtig Biss. Vor allem im Gegensatz zum satten und trübsinnigen Batman. Der muss mit gebrochenem Rückgrat (und Willen?) erst in den Untergrund, aus dem einst Bane hervorkroch, während der martialische Mörder seinerseits den Untergrund New Yorks unterminiert. Denn diesmal wird statt Gift in Kosmetik in ganz Manhattan Sprengstoff unter den Beton gemischt - mit atemberaubenden (Bild-) Folgen...

„The Dark Knight Rises" zeigt vor allem eines: Wenn man sich bei einem Guru anmeldet, weil man psychische Probleme hat oder meint immer eine Millionenstadt retten zu müssen, bitte gründlich über dessen Verhältnisse informieren. Denn die ganze Trilogie wäre in 15 Minuten erledigt, gäbe es nicht Ra's Al Ghul, diese bittere Mischung aus Konfuzius und Kampfmaschine.

Nach „Batman Begins" und „The Dark Knight" trägt „Dark Knight Rises" schmutzige Weltpolitik in den Mikrokosmos Gotham City, der sich immer selbst genügte. Nolan tobt sich mit den Comic-Charakteren Bob Kanes aus, beginnt mit James Bond-Action über den Wolken und will auch am Ende noch nicht Schluss machen, denn da heißt es: Robin (Joseph Gordon-Levitt) Rises. Dabei überzeugt wieder die gelungene Balance aus guten Charakteren mit ernstzunehmenden Tiefen und eindrucksvollen Popcorn-Szenen. Beim ganz großen Anschlag lässt Bane ein komplettes Football-Feld im Untergrund versinken, während ein Spieler zum Touchdown stürmt und dann im Rückblick staunend die riesige Trümmerlandschaft sieht, in der beide Mannschaften vor versammelten Rängen verschwanden. Das macht was her auf der Leinwand, aber spielt auch maßlos mit Menschen, die nicht zählen. Das Drehbuch spielt sogar ohne große Folgen mit Atombomben - eine seltsame Energiewende. Den Humor übernimmt eine feine Ironie ohne Schenkelklopfer, wenn Bruce Wayne etwas beim Wohltätigkeits-Maskenball der einzig ohne Maske ist. Oder wenn die Maskenmänner Wayne und Bane, bei den direkten Duellen mit archaischer Faustkraft mit ihren verzerrten Stimmen irgendwie nach Muppet-Show klingen.

Bei allem großen Kino - unterstützt von einem endlich mal wieder beeindruckenden Soundtrack Hans Zimmers - lassen auch fast drei Stunden Lauflänge zu wenig Zeit: Marion Cotillard verschwindet als wahrlich nicht unwichtige Wayne-Gespielin Miranda Tate in den Hintergrund, das Handlungs-Holterdiepolter wirkt stellenweise übereilt. Was aber beim gespannten Staunen nicht wirklich auffällt. „The Dark Knight Rises" liefert ein gelungenes Finale zu Nolans Latex-Triptychon.

17.7.12

Das verflixte 3. Jahr

Frankreich, Belgien 2012 (L' amour dure trois ans) Regie: Frédéric Beigbeder mit Gaspard Proust, Louise Bourgoin, JoeyStarr 98 Min. FSK ab 12

„Sie können sich den Rest des Lebens hassen," meint der Standesbeamte bei der Scheidung und so hat der Vorspann eigentlich schon alles erzählt. Der gallige Literaturkritiker und Lifestyle-Kolumnist Marc Marronnier (Gaspard Proust) fast seine Ehe - meist besoffen und bitter - im Roman „Die Liebe dauert drei Jahre" zusammen. Aber beim Begräbnis der Großmutter in der Bretagne wird aus dem pointierten Zynismus eine neue Liebesgeschichte zu Alice (Louise Bourgoin), der Frau von Marcs Cousin. Beide sind Fan von Jacques Demys Mega-Kitsch „Peau d'ane", er philosophiert über die Folter der ausbleibenden SMS und ein ausufernder Demonstrations-Kuss startet die große Leidenschaft. Als der Roman tatsächlich unter Pseudonym erfolgreich veröffentlicht wird, erfährt Alice, dass ihre Liebe so schlecht über die Liebe schrieb...

Als Kritiker kann der Protagonist Marc den bekannten zynischen Ton Frédéric Beigbeders aus „39,90" anschlagen. Damals Werbetexter und Romanautor, inszeniert Beigbeders diesmal sein Buch selbst. Der Zynismus trifft den Punkt, wird von der Musik ironisch begleitet, durch Montage und Texteinblendungen mit Leichtigkeit aufgeheitert. Die Liebesgeschichte präsentiert sich echt, man könnte höchstens bekritteln, dass Marc von einem Modellfrauen-Katalog umgeben ist. Ansonsten gelingt Beigbeder die Balance zwischen ironisch witziger Distanz und einem mitgefühlten Liebesdrama.

Der Lorax

USA 2012 (Dr. Seuss' The Lorax) Regie: Chris Renaud 89 Min.

In der Plastik-Stadt Thneed-Ville sind die Bäume zum Aufblasen und werden mit Fernbedienung sowie Extras geliefert - einige sogar im Disco-Kugel-Modus! Nichts eignet sich besser für solche eine aseptische Kunstwelt wie die kunterbunten Visionen aus dem Animations-Computer. So scheint auch Dr. Seuss' Kinderbuch „Der Lorax" in der Verpackung als Animationsfilm (wahlweise 2 oder 3D) gut aufgehoben. Ein toller Spaß mit bunt abgefederter Gesellschaftskritik.

Der zwölfjährige, abenteuerlustige Ted Wiggins lebt mit schriller Mutter und kauziger Großmutter glücklich in Thneed-Ville. Bei all dieser Fröhlichkeit könnte man glatt vermuten, dass irgendwas in die täglichen Frischluft-Lieferungen gemixt wurde. Doch „Der Lorax" ist nicht so ein Film. Ted schwärmt einfach verliebt dem Nachbar-Mädchen Audrey hinterher, die von richtigen Bäumen malt und träumt, welche es früher mal gegeben haben soll. Als Audrey erwähnt, wer ihr einen echten Baum bringe, den würde sie glatt heiraten, sieht der Junge seine Chance gekommen. Den Hinweisen seiner gar nicht so verrückten Großmutter folgend, überwindet er mit einem Einrad-Elektroscooter die Stadtumzäunung und entdeckt draußen in einer toten, staubigen Welt das Haus eines einsamen Mannes...

Thneed-Ville könnte auch Pleasant-Ville oder Seahaven heißen, denn wie in der „Truman-Show" werden Ted die Schleier einer Scheinwelt von den Augen gerissen. Der grimmige, bärtige Typ, der sich in einem hohen Turm verschanzt, erzählt wie es dazu kam, dass die Bäume verschwanden: Ein junger Unternehmer holzte einen dieser magischen Stämme mit den unsagbar weichen Farbenstrudel im Wipfel um. Dies rief die eher lustige als mystische Figur Lorax hervor, den Wächter des Waldes. Zwar sind diese Marshmallow-Fantasie vom Paradies, die nächtliche Entführung mit Kuscheltier-Version der Mission Impossible-Melodie, das River-Rafting in Bett und Pyjama oder der Chor krähender Goldfische durchschüttelnd und umwerfend komisch. Aber den Tod des Waldes für ein gänzlich nutzloses Konsumprodukt verhindert der Lorax nicht.

„Der Lorax" bringt einen großen und leicht hintersinnigen Spaß vom Kinderbuch ins Kino: Flotte Abenteuer, fantastische Animationen, lustige Liedchen, ein Haufen 3D-Effekte und eine raffiniert verpackte Portion Gesellschaftskritik machen in Deutschland nachhaltig Werbung für den hier unterschätzten Kinderbuch-Autor Dr. Seuss („Horton hört ein Hu!", „Der Grinch"). Bei allem Spaß wird nebenbei Kapitalismus noch kindgerecht erklärt: Frischluft in Plastikflaschen ist doch genauso bescheuert, wie für Wasser zahlen, dass vom Himmel fällt. Doch wenn die Produktion dieser Luft-Flaschen die Umwelt völlig verschmutzt, macht der Unsinn sich selbst rentabel. Ein Schild-Kapitalisten-Streich.

Aber trotz dieses Hauchs von Öko ist „Der Lorax" kein tiefgründiges, mythisches Kunstwerk wie die Animationen von Hayao Miyazaki („Ponyo", „Prinzessin Mononoke"). Der Film ist sogar harmloser als die eigene Vorlage, die jetzt neu aufgelegt wurde. Doch wenn er einen mit großen Kuscheltier-Augen niedlicher Nager anblickt, wird die Trauer um den toten Baum, vielleicht genügend zukünftige Fortschritts-Profiteure rechtzeitig auf Abwege bringen.

11.7.12

Das Haus auf Korsika

Belgien, Frankreich 2011 (Au cul du loup) Regie: Pierre Duculot mit Christelle Cornil, François Vincentelli, Jean-Jacques Rausin 82 Min. FSK ab 6

Als ihre Oma, die sie in den letzten Lebensjahren pflegte, stirbt, vermacht das Testament Christina (Christelle Cornil) ein Häuschen auf Korsika. Ihre italienisch-stämmigen Familie aus dem wallonischen Verlierer-Städtchen Charleroi, die praktischere Dinge wie Geld oder eine Wohnung vor Ort erbte, empfiehlt der arbeitslosen Absolventin eines scheinbar nutzlosen Kunststudiums sogleich: verkaufen. Doch obwohl nicht mal ihr Freund mitzieht, bricht Christina mitten in der Nacht völlig spontan nach Korsika auf. Dort macht schon das Licht allein ihre Entscheidung verständlich. Während Charleroi neben Arbeitslosigkeit, griesgrämigen Menschen vor allem Grau-Grün bietet, offeriert die harte Abgeschiedenheit des verfallenen Hauses im Gebirge eine wohltuende Klarheit. Auch die etwas andere Ruppigkeit der rauen Insel nimmt Christina ein. Sie erobert mit einem Moped, das kaum den Berg schafft, die Insel, erfährt einiges über ihre Oma und beginnt ihre Bruchbude bewohnbar zu machen.

Undramatisch, ja geradezu zaghaft zurückhaltend entwickelt sich der einnehmende Film. Ein paar musikalische Einlagen mit Lokalkolorit und die unerwartete Herzlichkeit gegenüber der „Enkelin von Lucchese", wie sie bald heißt, sorgen dafür, dass man selbst ganz schnell so ein Haus auf Korsika zumindest mieten will. Im Kern ähnelt „Das Haus auf Korsika" dem anders mediterranen „Unter der Sonne der Toskana" - halt ohne die Sonne und Korsika. Auch Christina muss ein paar einsame, kalte Nächte ohne Mann verbringen, weil der begehrte Schäfer schon vergeben ist. Doch irgendwann tauchen Vater und Bruder unerwartet auf, um beim Umbau zu helfen. Die belgische Hauptdarstellerin Christelle Cornil passt da sehr gut hinein. Sie ist nicht eine der lieblichen und beliebten französischen Kindfrauen. So wie „Das Haus auf Korsika" nicht zu den überkitschten Wohlfühlfilmen gehört. Die klare Luft tut auch dem Genre gut.

10.7.12

Bis zum Horizont, dann links!

BRD 2012 Regie: Bernd Böhlich mit Otto Sander, Angelica Domröse, Ralf Wolter, Marion van de Kamp, Us Conradi, Herbert Feuerstein, Anna Maria Mühe, Tilo Prückner, Robert Stadlober 92 Min.

„Eine Entführung ist kein Spaß." „Altersheim auch nicht!" Das ist, auf zwei Sätze gebracht, die Motivation des Seniors Eckehardt Tiedgen (Otto Sander) bei einem Rundflug seines Heimes eine alte Junkers voller Lebens- und auch Filmgeschichten zu entführen. „Bis zum Horizont, dann links!" macht sich nicht die übliche Mühe, Vorleben, Krankheiten und den Standard-Satz an persönlichen Eigenheiten mit einzupacken. TV-Routinier Bernd Böhlich startet schnell durch und legt mit eigenem Buch und Regie eine unterhaltsame Punktlandung hin.

Das Beste dabei sind seine Passagiere, sprich: Darsteller. Für die jüngeren Semester gibt es das neue Cover-Girl Anna Maria Mühe als sexy Pflegerin Amelie und Robert Stadlober als Ko-Pilot Mittwoch. In der Mittellage meckert Herbert „Mad" Feuerstein als nerviger Spießer Miesbach (sic!) über alles. Doch die echten Senioren sind ein wahrer Augenschmaus und wie die „Tante Ju" eindrucksvolle deutsche Filmgeschichte. Vor allem Angelica Domröse und Otto Sander bereiten großes Sehvergnügen. Sein großartiger Monolog über das Leben auf dem Abstellgleis führt zu einer ganz demokratischen Abstimmung für die Entführung. Der junge Ko-Pilot Mittwoch (Robert Stadlober) macht vor lauter Begeisterung über seine Insassin Schwester Amelie (Anna Maria Mühe) auch mit. Eine ehemalige Schauspielerin ergreift die Chance des Comebacks in der Rolle einer arabischen Terroristin.

„Bis zum Horizont, dann links!" erlaubt sich triviale neben großen Momenten. Dazu ein schön offener Horizont am offenen Ende. Tatsächlich ein Film, für den sich der Ausflug ins Kino von Bernd Böhlich lohnt.

Hasta la Vista

Belgien 2011 (Hasta La Vista) Regie: Geoffrey Enthoven mit Robrecht Vanden Thoren, Gilles de Schryver, Tom Audenaert, Isabelle de Hertogh 120 Min. FSK ab 12

Der Druck, mit Querschnittsgelähmten und anderen Behinderten fast ganz normale Komödien zu machen, ist so groß, dass man fast ein eigenes Genre dafür aufmachen könnte. Oder eigentlich nicht, denn Oscar Pistorius startet ja nun schließlich auch mit allen anderen bei Olympia. "Hasta la vista" jedenfalls ist einfach eine manchmal pubertäre aber oft auch eine fein beobachtete, ganz normale Komödie aus Belgien. Der wahre Sex-Leben der behinderten Belgier halt.

Der querschnittsgelähmte Philip (Robrecht Vanden Thoren) träumt von joggenden Brüsten und Mama fragt hilfsbereit, ob sie "seine Hand unten hinlegen soll..." Philip und seine Freunde, der extrem sehbehinderte Jozef (Tom Audenaert) sowie der todkranke Lars (Gilles de Schryver) sind fast erwachsene, junge Männer, die durch ihre Behinderung in einigen Bereichen etwas hilflos sind und vor allem sexuell endlich mal nicht mehr bemuttert werden wollen.
So zieht es die lüsternen männlichen Jungfrauen unter Anführung des rabiaten Philip nach Spanien, wo das Puff El Cielo sich besonders um Behinderte kümmert. Das genau Ziel kennen die Eltern nicht, stimmen aber nach einiger Überredung zu. Doch der Tumor von Lars ist mittlerweile gewachsen, er darf nicht mitfahren. Die drei brechen trotzdem auf - heimlich, mit einem etwas schäbigeren Van und einer etwas günstigeren Betreuung. Die heißt Claude (Isabelle de Hertogh) stellt sich bei ersten persönlichen Treffen nicht nur unerwartet als Frau heraus, sondern auch noch als ganz schön üppige Wallonin. Was Phillip zu einem Schwall von Gemeinheiten auf Flämisch veranlasst. Typisch belgische Verständigungsprobleme, die auf den ersten paar Hundert Kilometer ausgeräumt werden, denn schon in der ersten Nacht geht einiges schief, die drei kleinen Arschlöchern verhalten sich betrunken noch etwas schlimmer und zuletzt völlig hilflos. Claude erweist sich als nicht nachtragender, klasse Kumpel, der sehr wohl flämisch versteht und gegen die Verfolgung der mittlerweile alarmierten Eltern einige Tricks auf Lager hat. So übernachtet man nicht in Paris sondern im „1000 Sterne Hotel Claude" unter freiem Himmel. Endlich am Mittelmeer geben sich die Jungs zwar Cool im Pool, aber reichlich unerfahren in Sachen Sex. Auch hier kann Claude helfen und sorgt sogar für etwas Romantik.

Zwischen „Uneasy Rider" und Nicholsons „Das Beste kommt zum Schluss" bewegt sich diese deftige und herzliche Komödie aus Belgien. Die drei Jungs dürfen ein paar Behinderten-Scherze machen, man schwelgt zu Joe Dassins „Et si tu n'existais pas", findet wahre Liebe und genießt das Leben. Ein herzliches Vergnügen mit nur etwas Wehmut.

9.7.12

Fast verheiratet

USA 2012 (The Five-Year Engagement) Regie: Nicholas Stoller mit Jason Segel, Emily Blunt, Chris Pratt, Alison Brie und Rhys Ifans 124 Min. FSK ab 12

Kann Rom-Com noch komisch sein? Wenn gleich zu Beginn der Heiratsantrag herrlich misslingt, gibt es Hoffnung auf eine gute Romantische Komödie, diesmal sogar mit einem Schuss Realismus. Ein Jahr kennen sich Tom (Jason Segel) und Violet (Emily Blunt) bereits. Exakt am Jahres- und Silvestertag reserviert der Koch einen ganz speziellen Tisch mit traumhaftem Ausblick über San Francisco und verrät die Überraschung aufgeregt wie ein Teenager vorher. Dass die beiden Spaß miteinander bekommen, war schon beim Kennenlernen klar: Die Britin Violet überstrahlte als Princess Di die Party, er als rosa Riesen-Kaninchen. Auch weiterhin ist das Paar für einen Scherz gut, Freunde und Verwandten machen in bester Besetzung und gut aufgelegt mit. Erstere beispielsweise mit dem besten Freund Alex, die in einem lustigen Video alle Ex-Freundinnen von Tom vorführt. Eltern, Onkels und Tanten, indem sie langsam wegsterben und die Dringlichkeit einer Hochzeit nahelegen. Doch der Ernst des Lebens hinterlässt einen Brief in der gemeinsamen Wohnung: Violet bekommt nach ihrem Studium nur einen Uni-Job im eisigen Michigan. Aber der gutmütige Chefkoch Tom zieht mit (um), obwohl ihm seine derbe Lesben-Chefin eigentlich ganz treuherzig ein eigenes Restaurant anbieten wollte. Die ersten zwei Jahre übersteht Tom geduldig in unwirtlicher Umgebung als Fast-Food-Zubereiter während Violet mit absurden Donut-Experimenten als Sozialwissenschaftlerin Karriere macht. Ihre Vertragsverlängerung erschüttert die Beziehung: Aus dem etwas tapsigen, sympathischen Kerl wird ein bärtiger Waldschrat mit seltsamen Vorlieben für Schusswaffen und übergroße Strickpullover. Zwar kommt ein neuer Hochzeitstermin näher, doch die Distanz zwischen den Verlobten wächst...

Wenn man noch blütenweißen Mädchenträumen nachhängt, mögen solche Organisationsprobleme als dramatische Triebfeder hinlangen. Falls nicht, gibt es einige Längen in „Fast verheiratet". Doch man kann Nicholas Stoller, einem gemäßigten Regisseur der ansonsten grobschlächtigen bis absurden Aptow-Fabrik, zugute halten, dass er den Clash zwischen romantischen Träumereien und ganz realistischem Gegenwind im Beziehungsleben immer wieder zulässt. Aber vor allem gelingen ihm mit einem vielköpfigen Set an kantigen und komischen Figuren einige starke Komödien-Knaller. „Harry and Sally" darf als Referenz erwähnt werden, die Salat-Szene kommt mehrfach auf der Lacher-Skala in Sichtweite. Auch wenn es wohl nicht ohne die Aptow-typischen, absurden Ausreißer geht, bei denen das Lachen ins Kopfschütteln übergeht, hält Stoller meist die Stimmung des Films zusammen.

4.7.12

Sons of Norway

Norwegen, Schweden, Dänemark, Frankreich 2011 (Sønner av Norge) Regie: Jens Lien mit Åsmund Høeg, Sven Nordin, Sonja Richter 88 Min. FSK ab 12; f

Zwischen herrlicher Komödie und herzerweichender Tragödie bewegt sich die Geschichte von Nikolaj: Für den Jungen aus einem dieser Trabantenstadt-Häuschen, die sein alternativer Vater plant, wird Johnny Rottens „No Future" von der Phrase mit dem Unfall-Tod der Mutter zur schreckliche Situation. Nikolaj und sein Freund verkleiden sich als kleine Vorstadt-Punks und irgendwann macht der großartige Vater mit. Aus Liebe zu seinem Sohn und weil beide allein nicht recht weiter wissen. Das ist genauso ungewöhnlich wie der ganze Film, der eine Vielzahl von Themen und Gefühlslagen gekonnt und sympathisch verbindet. Die Energie des revolutionären Aufbegehrens führt ausnahmsweise mal zu einem generations-übergreifenden Spaß.

2.7.12

Woody Allen: A documentary

USA 2012 (Woody Allen: A Documentary) Regie: Robert B. Weide 117 Min.

Was Sie schon immer über Woody Allen wissen wollten, aber nie zu fragen wagten... - verspricht diese Dokumentation von Robert Weide im unausweichlichen Wortspiel mit einem von Allens Filmtiteln. Man erfährt tatsächlich viel, sehr viel. Auch vom Meister selber, der entspannt Antwort gibt und sich ungeachtet seines ansonsten eher scheuen Images mit der Kamera begleiten lässt. Doch über fast zwei Stunden ist halt nur Woody Allen mit seinen frühen Bühnenauftritten, seinen Filmausschnitten lustig oder interessant. Die Doku über ihn langweilt hingegen oft.

Sie ist schon erstaunlich, die Karriere des am 1. Dezember 1935 in Brooklyn geborenen Allen Stewart Konigsberg, der als Gag-Schreiber begann, es selbst - bis zum Erbrechen hypernervös - auf der Bühne ziemlich schwer hatte und seit seinem Coming Out als Filmregisseur mit pedantischer Disziplin jedes Jahr einen Film fertig stellt. Mit dem ihm ureigenen Humor beschreibt er den Prozess des Filmemachens als anfängliche Vorstellung, einen neuen „Citizen Kane" zu schaffen, bis zur künstlerischen Prostitution am Ende, nur um das alles zu überleben. Doch scheinbar besser dies als die Apotheker-Karriere, die seine Eltern geplant hatten, wie die Schwester sehr offen und unerwartet persönlich erzählt. Kurios auch, dass der extrem fleißige Autor und Regisseur immer noch auf seiner deutschen Olympia tippt, die er vor Jahrzehnten für 40 Dollar erstand. „Cut & Paste" nennt sich bei ihm noch ganz ursprünglich das Arbeiten mit ausgeschnittenen und dem Hefter zusammengefügten Papierstücken.

Die an derartigen Anekdoten reiche, aber trotz einiger persönlicher Auftritte (etwa von der langjährigen Lebensgefährtin Diane Keaton) selten weiterführende Dokumentation „Woody Allen: A documentary", profitiert von und leidet unter der freundschaftlichen Vertrautheit zum Objekt der Beobachtung. Man darf Woody Allen aus der Nähe betrachten, doch Regisseur Robert B. Weide blickt so gut wie nie hinter die Kulissen. Ärgerlich gar der dauernde Auftritt eines Filmbeauftragten der us-amerikanischen Kirche. Dessen konstante Versuche, dem bekennenden Atheisten Woody Allen gerade wegen dessen häufigen Scherzen über Gott einen tiefen Glauben unterzujubeln, klingen wie ein Allen-Witz, den der selbst schon tausendfach besser gebracht hat. Trotzdem erreicht „Woody Allen: A documentary" im Guten wie im Schlechten Eines: Man bekommt Lust, sich noch mehr Woody Allen anzusehen.

Cosmopolis

Kanada/Frankreich, 2012 (Cosmopolis) Regie: David Cronenberg mit Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel, Samantha Morton, Paul Giamatti 113 Min. FSK ab 12

Den Niedergang des Risiko-Kapitalismus mitzuerleben, ist kein Vergnügen. Wenn man sich das im Kino ansehen soll, muss schon Robert Pattinson den gierigen Zeitgeist verkörpern. Er spielt den extrem reichen Banker Eric Packer in David Cronenbergs Verfilmung von Don DeLillos prophetischem Roman „Cosmopolis".

Cronenberg inszeniert eine Stretch-Limousine auf der 24-stündigen Fahrt über die 47. Straße quer durch Manhattan als Panzer eines Cyber-Kapitalisten, als Monade. Kalt und herzlos bewegt sich der Multimilliardär Eric Packer (Robert Pattinson) im Schneckentempo durch New York. Während der US-Präsident und das Begräbnis eines Rap-Stars die Straßen blockieren, steigen Packers Analysten, Ärzte und Affären ein oder aus. Er trifft sich mit seiner Frau, die nach der Heirat zweier Geldfamilien seine Augenfarbe entdeckt und noch immer nicht mit ihm schlafen will. Draußen brechen soziale Unruhen aus, die Weltwirtschaft ist wieder in einer Krise, diesmal wegen des Yuan, und die reizvolle Idee der Ratte als Währung geistert herum. Gleichzeitig ist ein unbekannter Attentäter hinter Packer her, wie dessen Sicherheitsdienst berichtet. Der Mega-Reiche und -Mächtige sucht und erlebt an einem Tag seinen Niedergang, macht lustvoll den Ikarus, weil ihn alles andere zu langweilen scheint.

David Cronenberg und auch Leos Carax zeigten beim letzten Festival von Cannes die immer mehr raumgreifenden Stretch-Limousinen als Symbol für grenzenlosen Kapitalismus. Sowohl die dichten, gesellschafts-analytischen und psychologischen Dialoge als auch einzelne Szenen im neuen Cronenberg „Cosmopolis" sind hoch spannendes Gedanken-Futter. Das Emotionale ist im Protagonisten und im Film reduziert. Nur die Binoche darf als ganz normale Geliebte an Packers menschliche Seite appellieren. Bei der nächsten Besucherin geht es wieder zurück zum skurillen Normalzustand Während Packers Prostata in der Limousine untersucht wird, entdeckt direkt daneben seine vom Joggen durchgeschwitzte Analystin in einer wunderbar absurden Szene ihre verborgenen sexuellen Interessen. Allerdings verliert der Film zum Ende an Drive, ausgerechnet wenn es beim Friseur und väterlichen Freund Packers ans Innerste des Protagonisten gehen soll.

Im Vergleich der Stretch-Limousinen hat Carax nicht die längste, aber die schrägste, wenn er die unsinnige Perversionen auf Rädern als die eigentlichen Lebewesen zeigt, in denen Menschen nur als Schmarotzer mitfahren. Auch wenn der Cyber-Kapitalist vom Twilight-Blutsauger Robert Pattinson treffend verkörpert wird, schaut man sich „Cosmopolis" vor allem analysierend an. Wie schon beim letzten Film Cronenbergs, dem C.G. Jung-Drama „Eine dunkle Begierde", macht der Regisseur, der sich früher mit „A History Of Violence" (2005), „Crash" (1995) und vor allem „Naked Lunch" (1991) spektakulär in die Eingeweide des menschlichen Wesens wühlte, nun hauptsächlich Kopf-Kino.