Der haushohe Favorit, der französische Film „Amour" vom Österreicher Michael Haneke, erhielt verdientermaßen die Goldene Palme bei einem eindrucksvoll guten Cannes-Jahrgang. Eigentlich war nur noch offen, ob er oder seine Darsteller Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva einen Hauptpreis bekommen. Denn beides geht laut Reglement nicht. Ausgerechnet Haneke selbst hat mit „Die Klavierspielerin" 2001 diese Regel verursacht, als der Film den Preis der Jury sowie beide Darstellerpreise einsackte! Auch Hanekes letzter Film „Das weiße Band" begann übrigens seinen Siegeszug mit der Goldenen Palme im Jahr 2009.
„Amour", der bei uns am 20. September unter dem Titel „Liebe" ins Kino kommen wird, krönt damit einen Cannes-Jahr, das vom europäischen Film bestimmt wurde. Eine gute Entscheidung der Jury von Nanni Moretti, wenn auch eine für den hermetischen, perfekten Diamanten des Festivals. Ungeschliffenere, kantigere Kunstwerke wie der genial verschrobene „Holy Motors" von Leos Carax blieben dabei außen vor. Nur der Preis für die Beste Regie an den Mexikaner Carlos Reygadas mit dem umstrittenen „Post Tenebras Lux" würdigte das offene Kunstwerk, das provoziert und auf unbekannte Wege führt. Diese Qualität von Cannes - fast alle Wettbewerbsfilme hatten offene Enden! - wurde zu wenig berücksichtigt.
Was, um den Liebes-Reigen zu schließen, dann doch auch für die Darsteller von „Amour" gilt: Mads Mikkelsen ist klasse als Kindergärtner unter falschem Verdacht in „Die Jagd" von Thomas Vinterberg, aber Trintignant in jeder Faser, in jedem Wort ein atemberaubender Ausnahme-Schauspieler. Auch Emmanuelle Riva als Sterbende ist so viel eindrucksvoller als die beiden jungen Rumäninnen Cristina Flutur und Cosmina Stratan als Novizinnen in Cristian Mungius Drehbuchpreis-Gewinner „Beyond The Hills". Somit wäre wieder Haneke ein Grund, diese Regelung zu überdenken. Doch anders als Wims Wenders, der 2008 aus gleichem Grund in Venedig mit „The Wrestler" Mickey Rourke großes Theater machte, nahm der stille Österreicher einfach seine Stars wie selbstverständlich aus Liebe zum guten Schauspiel mit auf die Bühne.