26.6.18

Die Wunderübung

Österreich 2018, Regie: Michael Kreihsl, mit Aglaia Szyszkowitz, Devid Striesow und Erwin Steinhauer, 90 Min. FSK ab 0

Paartherapie kann komisch sein! Als Joana (Aglaia Szyszkowitz) und Valentin (Devid Striesow) voller Streit und Hass aufeinander beim Paartherapeuten (Erwin Steinhauer) auflaufen, können sie sich nicht mal in die Augen sehen. Nach siebzehn Jahren Ehe mit zwei Kindern wissen sie nicht mehr weiter. Er kommt trotzdem nur gezwungenermaßen mit zur Paartherapie. Kein besonders hoffnungsvoller Beginn einer Probestunde, bei welcher der Therapeut auch nicht besonders kompetent wirkt und zwischendurch dringend mal essen muss. Er bescheinigt seinen Klienten jedoch eine „lebendige Streitkultur auf hohem Niveau". Ob Erinnerung ans Kennenlernen, ob schöne Momente mit geschlossenen Augen aufrufen - dieses Paar scheint hoffnungslos entzweit. Doch nach einer dringend notwendigen Pause wird dann der Therapeut therapiert, weil ihn seine Frau gerade per SMS verlassen hat. Diese Wende dreht die Situation komisch ins Absurde.

„Die Wunderübung" von Regisseur Michael Kreihsl ist eine Adaption des Theaterstücks und Buches von Daniel Glattauer („Gut gegen Nordwind"). Bis auf den Rahmen und einer kurzen Pause im Café gegenüber findet die komplette Handlung in Echtzeit in der Praxis des Therapeuten statt. Beim reduzierten Setting sorgen die drei klasse Darsteller und die geschliffenen Dialoge für eine unterhaltsame Kino-Sitzung. Striesow („Ich bin dann mal weg", „Drei", „Zeit der Kannibalen") ist komödiantisch großartig als Techniker mit einigen egozentrischen Schrullen und großer Unfähigkeit, seine Frau zu verstehen. Die Wende zur Halbzeit und eine herrliche Doppelpointe am Ende machen „Die Wunderübung" zu einem kurzweiligen Spaß.

Renegades

Frankreich, Belgien, BRD, USA 2017 Regie: Steven Quale, mit J.K. Simmons, Sullivan Stapleton, Clemens Schick, Sylvia Hoeks 106 Min. FSK ab 12

Tonnenweise Nazi-Gold, für das deutsche Soldaten ein ganzes kroatisches Dorf ermordet haben, wollen im nächsten deutschen Krieg, 1995 in Sarajevo, fünf US-amerikanische Schnorchel-Soldaten aus der mittlerweile gefluteten Stadt klauen. Zuvor haben sie einen General der Serben entführt, Stil und Film waren dabei so grob wie eine Rumpel-Fahrt mit Panzer durch Sarajevo. Drittklassige Action-Darsteller mühen sich also im Rambo-Stil an allseits dämlichen Handlungen ab, unterstützt von penetranter und stupider Marschmusik. Dazu super Scherze über dumme Eingeborene und sadistisch präsentiertes Morden als Spaß für die guten Mörder aus den USA. Erst im zweiten Teil, nach viel zu langatmiger Einführung, geht einigen im Unterwasser-Finale die Luft aus und etwas Spannung kommt auf. Bei aller arroganter Überlegenheit - zumindest bei der Feuerkraft - riecht das stark nach verwesten Vietnamkriegs-Filmen.

„Renegades" ist ein europäisches C-Movie von der Resterampe für die Kino-unfreundliche WM-Zeit, in dem gute Schauspieler wie J.K. Simmons („Whiplash", „Terminator: Genisys"), der Deutsche Clemens Schick („James Bond 007 – Casino Royale", „Overdrive") als serbischer General und die Niederländerin Sylvia Hoeks („Blade Runner 2049", „Whatever Happens") als kroatisches Liebesobjekt sehr verloren wirken. Simmons gibt den extrem eloquenten und sarkastischen General allerdings mit so viel Verve, dass nur seine Szenen in diesem elenden Filmchen erträglich sind.

Love, Simon

USA 2017 Regie: Greg Berlanti, mit Nick Robinson, Katherine Langford, Alexandra Shipp 110 Min. FSK ab 0

Ja, es ist immer einer der ganz schweren Momente im Leben eines Jugendlichen, wenn der Sohn den entsetzten Eltern erklären muss, dass er ein Mädchen liebt. Oder die Tochter verschämt gesteht, dass sie auf Jungen steht. Diese Umkehrung unserer hetero-normierten Gesellschaft in witzigen Szenen zu erleben, gehört zu den vielen guten Momenten beim Coming Out des schwulen Schülers Simon. „Love, Simon" traut sich etwas im Deckmäntelchen eines typischen us-amerikanischen Highschool-Films, überzeugt aber vor allem durch sympathische Figuren.

Es wird anfangs etwas sehr betont, dass der 17-jährige Simon (Nick Robinson) ja „ein normales Leben" hat. Normal als Junge, der selbstverständlich mit Mädchen Beziehungen hat und das volle Heten-Programm normal mitmacht. So outet sich der beliebte Schüler, der Kinks vom Plattenspieler hört und sich zu Halloween als John Lennon verkleidet, nicht bei seiner Kindergarten-Freundin, nicht in der vertrauten Clique, sondern erst mal anonym online im Chat mit einem Unbekannten namens „Blue". Simon wird sich dabei richtig klar, was er nur leise ahnte: Er steht auf Männer und gerade besonders auf den knackigen Gärtner nebenan. Das Coming out passiert also per Email - was Simon nebenbei zum Smartphone-Abhängigen macht. Und dem herrlich verrückten Schuldirektor mit seiner Tirade gegen die Allgegenwart von Smartphones einen grandiosen Auftritt verschafft.

Denn „Love, Simon" ist gerade kein „Problem-Film". Das flott inszenierte Schülerleben wirkt sehr lebensnah, recht echt. Die Highschool-Welt mit den täglichen Ritualen, lebendig und originell ins Bild gebracht, dreht sich einfach weiter. Regisseur Greg Berlanti („Dawson's Creek", „Brothers & Sisters") baut zwar die komplette Highschool-Kulisse mit exzessiver Party und Football-Spiel auf, aber lässt alle dazugehörigen Klischees links liegen, um seine eigene Geschichte zu erzählen. Bei der dann ein wirklich eklig aufdringlicher und unangenehmer Mitschüler Simons Emails entdeckt und ihn erpresst. Der unausstehliche Sonderling will mit Simons Freundin Abby (Alexandra Shipp) zusammenkommen. Und der eigentlich sympathische und besonnene Junge verrät tatsächlich seine Freunde, damit er nicht geoutet wird.

Wie wunderbar, diese Vorstellung einer Welt, in denen sich die Heteros für ihre Vorliebe bei Eltern und Mitschülern erklären müssen. Und auch die Vision einer komplett schwulen Schule a la „Fame" macht mächtig Spaß. Nett, wie er sich den jeweiligen heißen Verdächtigen für sein ebenfalls anonymen Gesprächspartner vorstellt. Hier wird nebenbei mitfühlbar, wie repressiv das „Normale" der heterosexuellen Norm ist. Dabei ist „Love, Simon" allerdings kein „Call me by your name", kein traumhaft schönes Coming Out im Kreise gebildeter, einfühlsamer Menschen.

In „Love, Simon" bringt es selbst die Psychologen-Mutter nicht fertig, dass das Coming Out im Familienkreis wie eine Trauerfeier wirkt. Und im vertraulichen Gespräch wird Simon zum Wesen von einem anderen Planeten gemacht: „Das ist deine Sache", da kann ein „normaler" Mensch dann wohl nicht mehr helfen. Doch auch wenn der Film selbst seltsame Probleme mit Simons Vorlieben hat, sein Protagonist ist überzeugend in den schönen und auch immer wieder nett inszenierten Gedanken. Dieser fast ohne Panik suchende junge Mensch wird mit all den vielen Gefühlslagen von Nick Robinson („Du neben mir", „Jurassic World") sehr gut gespielt.

Obwohl - so gut und glaubwürdig alles gezeigt wird, erscheint der Verrat an seinen Freunden dramaturgisch schwierig. Man traut diesem recht vernünftigen Kerl so etwas nicht zu. Dann macht es allerdings klar, wie groß Simons Angst ist, geoutet zu werden. Und es verstärkt das Gefühl von Einsamkeit nachdem es dann doch alle wissen. Das Vorspiel zum voll romantischen Finale wirkt allerdings wie eine Pflichtübung, ausgeführt von einem anderen Team. Alle klärenden Gespräche stehen aufgereiht Schlange. Verdächtig demonstrativ betont jeder, dass alles bleibt, wie es war. Während die Schlussmontage das viel eleganter hinbekommt.

Die Umsetzung von Becky Albertallis Buch durch von Isaac Aptaker und Elizabeth Berger („This is us") überzeugt mit ein paar großen, schönen, bewegenden Momente und einer tollen Hauptfigur. „Love, Simon" bietet den besseren Highschool-Film und ein gut gemeintes Plädoyer für viele mutige Coming Outs.

25.6.18

Meine teuflisch gute Freundin

BRD 2018 Regie: Marco Petry, mit Emma Bading, Janina Fautz, Ludwig Simon, Samuel Finzi, Oliver Korittke 100 Min. FSK ab 6

Marco Petry ist ein teuflisch guter Regisseur, der in der Schule hängengeblieben ist: 18 Jahre ist es jetzt her, seit der 1975 in Würselen Geborene auf die Schule kam, also mit „Schule" ins Kino kam und dann von der Schiene nicht mehr runter. „Meine teuflisch gute Freundin" macht dabei klar, wohin solche Teufels-Pakte führen ... hier für die eiskalte Tochter Satans von der Schulbank ins liebliche Happy End.

Im Zentrum des Bösen, einem Hochhaus in Frankfurt, kocht es: Lilith Schwarz (Emma Bading) hat die Schnauze voll von der Schule in der Hölle. Ja, auch für sie ist Schule die Hölle, aber für die Tochter des Teufels (Samuel Finzi) ist die Schule tatsächlich IN DER Hölle! Lilith kann verführen, lügen, betrügen, tricksen ... alles was eine junge Teufelin braucht, um die Welt in größeres Chaos zu stürzen. Doch ihr strenger Vater denkt, dass seine Tochter zu jung für die Außendienst-Arbeit des Teufels ist. Denn Lilith will raus in die richtige Welt und zeigen, was sie kann. Es kommt zu einem teuflischen Pakt: Der Teenie mit den feuerroten Haaren und den geflochtenen Hörnchen auf dem Kopf soll innerhalb einer Woche einen guten Menschen zum Bösen verführen. Scheitert Lilith, muss sie im Aktenkeller arbeiten, das ist die Hölle!

Der Teufel hätte allerdings nicht seinen üblen Ruf, wenn es nicht auch bei dieser Wette mit der Tochter einen Pferdefuß gäbe: Lilith landet, statt wie erwartet in Manhattan, in einer Provinz voller lauter Gutmenschen, langweilige, nervig naive, überliebliche Ökos. Und die Zielperson, Gretchen beziehungsweise ähnlich altertümlich: Greta (Janina Fautz), ist der Höhepunkt der schreienden Harmlosigkeit. Kein Alkohol, keine Drogen und singt im Chor der Landei-Idylle. Doch Lilith sorgt schlagfertig für Stimmung, macht dem Schul-Bully Feuer auf dem Kopf und plant, Gretas Herz brechen zu lassen. Bis sich die eiskalte Mephistofeline in den überaus lässigen Schul-Verweigerer Samuel (Ludwig Simon) verliebt...

Da ist dann klar - eine richtig böse Komödie wird „Meine teuflisch gute Freundin" nicht mehr. Im Thema vertraut, aber in Stil und Stimmung ganz anders ist dieses „Fack ju Göhte" brav und harmlos, nicht so grell, aber gut inszeniert. Es fäustelt durchgehend ein wenig, doch wenn das Konzept „Mephistos Tochter geht zur Schule, um Gretchen zu verführen" erst einmal an Norddeutschlands beschaulicher Küste gelandet ist, geht das Schulfilmchen routiniert seinen Weg.

Emma Bading („Die Kleinen und die Bösen", Lucky Loser - Ein Sommer in der Bredouille") spielt die Lilith glaubhaft fies, allerdings ist sie nur ein fader Abguss ihrer göttlich lüsternen Namensgeberin. Janina Fautz spielt die unauffällige und zu nette Greta so überzeugend, dass man sie nicht unbedingt wiedersehen will. Allen wurde jedoch der Hinweis ins Klassenbuch geschrieben, dass man bei Marco Petrys Schulstunden gut für die Karriere lernen kann: Axel Stein bleibt ihm seit der gemeinsamen „Schule" treu, allerdings tritt er hier als sympathischer Lehrer wesentlich braver und zurückhaltender auf als in seinen bekanntesten Rollen. Matthias Schweighöfer ging 2003 in Petrys „Die Klasse von '99". Jasmin Schwiers hatte 2008 die Hauptrolle einer Musik-Produzentin in „Machen wir's auf Finnisch", einem der wenigen Erwachsenen-Filme in den bisherigen sieben Kino-Besuchen Petrys. Die richtig gute und richtig ernsthafte Tragikomödie „Heiter bis wolkig" mit Elyas M'Barek und Jessica Schwarz in der Rolle einer Krebskranken, fand bislang keinen Nachfolger.

Zwar droht der handwerklich exzellente Regisseur und Drehbuch-Autor zum Sitzenbleiber der deutschen Schule zu werden, er zeigt aber auch bei „Meine teuflisch gute Freundin" dadurch fundierte Kenntnis von Jugendkultur und Sprache. Und wenn die Produktion einen netten Jugendfilm für die ganze Familie und das Sonntags-Fernsehprogramm wollte, ist diese Vorgabe exzellent gemeistert worden.

20.6.18

Nicht ohne Eltern

Frankreich 2017 (Momo) Regie: Vincent Lobelle, Sébastien Thiéry, mit Christian Clavier, Catherine Frot, Sébastien Thiéry 86 Min. FSK ab 6

Ein junger, etwas sorglos bekleideter Mann lauert André Prioux (Christian Clavier) beim Einkauf mit seiner Frau Laurence (Catherine Frot) auf. Patrick (Sébastien Thiéry) redet unverständlich aber sehr aufgeregt, haut dann mit dem vollen Einkaufswagen des Paares ab. Die Tüten voller Lebensmittel stehen nach deren Rückkehr ins üppige Heim schon bereit, aber auch der lallende Mann, der wegen seiner Laute bald Momo genannt wird, ist da. Mit freundlicher Herablassung versucht man das seltsame Gerede des herzlich begeisterten Fremden zu verstehen. Wobei Laurence dies bald gelingt, während André weiterhin Übersetzungs-Hilfe braucht. Als sich Momo das geliebte Auto leiht, hat Andrés Geduld jedoch ein Ende. Da findet sich in Momos Sachen ein altes Foto des Paares mit dem krakeligen Schriftzug „Mama und Papa" auf der Rückseite.

Momo wirbelt das Leben der beiden nicht mehr ganz so fitten, aber immer adretten und vor allem kinderlosen Alten durcheinander. Während sich André mehrmals mit großen Gesten aufregen darf, wallen bei Laurence Muttergefühle gewaltig hoch. Aber es kommt auch noch eine alte Affäre ans Tageslicht. „Nicht ohne meine Eltern" verläuft eine Weile als etwas seltsame Klamotte mit einigem Bildwitz. Die reifen Hauptdarsteller Christian Clavier und Catherine Frot können in diesen erst mal sinnfrei albernen Eingangsszenen ihre Würde bewahren.

Aber statt in Richtung Tiefgang etwa das wahre Wesen der braven Bürger auszuloten, häufen sich die Absurditäten mit dem Zuzug einer blinden Schwiegertochter samt bissigem Köter. Beim Tierarzt stellt sich heraus, dass man mit dem bissigen Schäferhund nur deutsch sprechen muss, um ihn zu beruhigen. Dieser seltsame Gag nimmt gleich mehrere Minuten in Anspruch und stellt eine Herausforderung für die Synchronisation dar. André wird immer misstrauischer und genervter während der vermeintliche Trickbetrüger mit schwangerer Verlobter bei ihm einzieht. Laurence hingegen lebt anlässlich dieses Familienzuwachses auf.

Aus dem großen Pool exzellenter französischer Film- und Theaterschauspieler gibt es immer reichlich Einsatzkräfte für so eine Boulevard-Komödie. Catherine Frot kann sehr feine Darstellungen wie die Hebamme in „Ein Kuss von Beatrice" oder die präsidentielle Vertraute in „Die Köchin und der Präsident" und geht auch bei extrem peinlichen Klamauk nicht ganz unter. Was letztlich das Positivste an diesem schlechten Scherz ist.

Am Strand

Großbritannien 2017 (On Chesil Beach) Regie: Dominic Cooke mit Saoirse Ronan, Billy Howle, Emily Watson, 110 Min. FSK ab 12

Exakt zum 70. Geburtstag des außerordentlichen Schriftstellers Ian McEwan startet mit „Am Strand" die Verfilmung seines unter gleichem Titel in Deutschland veröffentlichten Romans nun auch bei uns. Ein Marketing-Gag, doch um den Autoren von wunderbaren, verstörenden und unvergesslichen Werken wie „Der Zementgarten", „Abbitte" oder „Solar" hervorzuheben, sei es verziehen. „Am Strand" („On Chesil Beach") beschenkt uns in betörenden Landschaften und Dekors mit den Abgründen, die eine sexuell restriktive Gesellschaft in den Seelen der Menschen erzeugt.

Ein wunderschöner Spaziergang am Strand wird für das junge Paar bei der Rückkehr in die Unterkunft zur beklemmenden Angelegenheit. Das frischvermählte Ehepaar Florence Ponting (Saoirse Ronan) und Edward Mayhew (Billy Howle) ist Anfang der Sechziger Jahr für die Flitterwochen am Strand von Chesil Beach im englischen Dorset. Die Liebe ist groß, die Sympathien sind stark, ein besonderes Verständnis füreinander überschreitet soziale wie kulturelle Grenzen und hat sie zusammengebracht. Doch je näher die erste gemeinsame Nacht rückt, um so mehr begeben sich beide auf unbekanntes und stark vermintes Gebiet.

Das einleitende Gespräch über Musik macht in der Spanne von Chuck Berrys „Roll over Beethoven", dem Idol von Edward, bis zur Klassik des Streich-Quintetts von Florence auch ein soziales Spannungsfeld zwischen den jungen Menschen deutlich. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie, die kreative Mutter ist seit einem Unfall geistig behindert. Die reichen Eltern von Florence schauen auf den neuen Freund herab - ist dies vielleicht nur eine rebellische Phase der zu aufgeweckten Tochter gegen die reaktionäre Mutter? Sie lernten sich schließlich bei einer Aktion der Friedensbewegung gegen Aufrüstung kennen. Nein, Florence liebt Edward wahrhaftig. Ihre Liebe und (Mit-) Menschlichkeit von Florence überbrückt die gesellschaftlichen Schranken mit Leichtigkeit

Doch eines kann die Frau nicht überwinden. Nach der Rückkehr ins Hotel, aus dessen Tapeten die Spießigkeit herausdünstet, spürt man die Anspannung . Die dreist ordinäre Bedienung zweier Kellner beim Abendessen auf dem Zimmer ist gleich mehrfach ein heftiges Überschreiten persönlicher Grenzen. Eine bittere Farce. Florence wollte schon immer Sex vermeiden. Ihre Erfahrungen scheinen seit der Kindheit traumatisch belastet zu sein. Edward beweist mit tölpelhaft nervösen Verhalten, dass er völlig unerfahren ist. Aber beide bringen einige Pakete Altlasten mit zu diesem Moment.

In diesem einen, tragischen Tag am Strand von Chesil Beach tauchen - elegant und geschickt montiert - fließend Momente aus dem Vorleben des Paares auf: Die erste Begegnung, sein Weg an die Universität, ihre Auseinandersetzungen mit der reaktionären Familie, die Treffen voller Austausch und Spaß. Aber diese Liebe auf den ersten Blick wird durch gesellschaftliche Restriktionen ein Drama des Verkennens.

Hauptdarstellerin Saoirse Ronan erhielt ihre erste Oscar-Nominierung mit 13 für „Abbitte", auch eine Ian McEwan-Verfilmung. „Brooklyn" war dann ein erster ganz großer Erfolg mit ihrer ergreifenden Rolle als Auswanderin, die sich in Fremde und Einsamkeit emanzipiert. Zuletzt war ihr rebellischer Teenager „Lady Bird" in dem Gerwig-Film eine Sensation. Nun sind es wieder die kleinen, feinen Gesten, die zarten Gefühle, die von ihr sehr gekonnt und eindrucksvoll eingesetzt werden. Vor allem sie eröffnet das Mitfühlen und -Leiden für die Zuschauer auf fesselnde und beklemmende Weise. Die verkrampften Füße unter dem Tisch bilden einen schmerzlichen Widerspruch zum froh lachenden Gesicht ein paar Momente zuvor. Auch ansonsten ist „Am Strand" bis ins Detail exzellent besetzt. So hat Emily Watson („Hilary & Jackie", „Die Entdeckung der Unendlichkeit", "The Happy Prince") eine Nebenrolle als Mutter von Florence.

Dass Ian McEwan selbst das Drehbuch verfasste, mag zum stimmigen Gelingen des Films beigetragen haben. Aus Erfahrung vermeidet man diese Verquickung so unterschiedlicher Schreib-Tätigkeiten gerne. Doch diesmal bleibt die intensive Verstörung im äußerlich schönen Erzählrahmen erhalten. Theater-Regisseur Dominic Cooke gelingt in seinem Kinodebüt dank der Kamera von Sean Bobbitt und dank einer Konzentration auf sagenhaft gute Darsteller.

19.6.18

Ocean’s 8

USA 2018 Regie: Gary Ross, mit Sandra Bullock, Cate Blanchett, Anne Hathaway, Mindy Kaling, Sarah Paulson, Awkwafina, Rihanna, Helena Bonham Carter 111 Min. FSK ab 0

Er sah gut aus, die Unterschrift war Nebensache, doch damals wurde Debbie Ocean (Sandra Bullock) aus der berühmt-berüchtigten Trickbetrüger-Familie der Oceans vom schönen Galeristen selbst reingelegt: Fünf Jahre, acht Monate und zwölf Tage im Knast folgten, aber die Eröffnungssequenz zeigt, dass wir uns um Debbie keine Sorgen machen müssen. Ein paar clever-dreiste Tricks und sie logiert neu ausgestattet in einem New Yorker Luxushotel. Alles ohne Geld und unter falschem Namen. Die alte Komplizin Lou (Cate Blanchett) haust in einem bröckeligen Loft, macht Dollars mit dem Verschneiden von Wodka und lässt sich nicht lange bitten, bei großen, unmöglichen Coup mitzumachen, den Debbie in fünf Jahren, acht Monaten und zwölf Tagen Auszeit ausgetüftelt hat.

Sandra Bullock scheint diese klasse Rolle mit maximaler Begeisterung auszufüllen. Zwar irritieren anfangs irgendwelche Veränderungen an ihrem Gesicht, die Details zu diesem Thema werden wohl in den Klatsch-Blättern zu finden sein. Gradheraus, klar und zielstrebig folgt sie Punkt für Punkt ihrer Erledigungs-Liste. Die Vorstellungsrunde der sieben (plus eins) Frauen von „Ocean's 8" gerät dank interessanter Figuren nicht zu langweiliger Routine: Da es darum geht, Cartier ein Hundert Millionen Dollar schweres Collier abzuluchsen, ist die Juwelierin Amita (Mindy Kaling) dabei. Die junge Trickbetrügerin Constance verblüfft als Schweizer Messer in Sachen Taschendiebstahl und ihre Darstellerin Awkwafina sorgt für jungen, flippigen Spaß. Rihanna gibt cool und lässig zugleich die Hackerin Nine Ball. Aufgeregt und schrullig hingegen Helena Bonham Carter als Modedesignerin Rose Weil. Denn Debbie will das Collier nicht selbst aus dem Tresor im Keller von Cartier klauen. Sie lässt es sich liefern, und zwar zur berühmten Met-Gala im New Yorker Metropolitan Museum of Art. Tragen soll es dort das neurotische Sternchen Daphne Kluger (Anne Hathaway) und Rose erscheint ihr nach ein paar manipulativen Tricksereien als die perfekte Designerin für die Abendgarderobe.

Ja, tatsächlich: Daphne Kluger, da muss man an Diane Kruger denken, doch nur Heidi Klum taucht von den deutschen Prominenten wirklich auf - „Ocean's 8" ist in Sachen Prominenz ein paar Zähler unterhalb von „Ocean's 11" anzusiedeln und nicht alle Witze zünden. Der größte Gag ist tatsächlich, dass Danny Ocean auf einem Friedhof liegt, Todesjahr 2018. Man kann George Clooney förmlich grinsen sehen, anlässlich dieser Gemeinheit gegenüber den Fans von Ocean's 11-13, in denen Steven Soderbergh mit Clooney, Pitt und einer erweiterten Star-Riege die Rat Pack-Raubzüge von Frank Sinatra, Dean Martin und Co aus den Sechziger Jahren herrlich wiederbelebte. Aber jetzt ist Frauen-Power angesagt bei „Ocean's 8": Sandra Bullock, Cate Blanchett, Anne Hathaway, Rihanna und Helena Bonham Carter sind die Gallionsfiguren dieser netten Variante von Produzent Soderbergh. Allerdings lassen sich Macho-Kebbeleien und Bromance-Sprüche nicht so einfach einer Geschlechts-Operation unterziehen. Doch Zickenkrieg bleibt uns bei diesem unterhaltsamen Raubzug erspart und Bullock brilliert als Schwester von Danny Ocean, alias George Clooney.

Denn wenn „Star Wars" mit Diversifikation viel Geld machen kann, kennen die Oceans - unter damit der geniale Regisseur, Kameramann und Produzent Steven Soderbergh - diesen Trick schon lange. Nur ist „Ocean's 8" kein Soderbergh-Film. Und auch keine Frau übernahm seltsamerweise den Regie-Posten. Mit Gary Ross ist dieser nicht ideal besetzt. Er hat zwar mit „Seabiscuit", „Die Tribute von Panem" und „Pleasantville" gute Sachen auf die Leinwand gebraucht, aber diese souveräne Leichtigkeit der „Ocean's"-Serie geht ihm ab. Irgendeinen Blödsinn, die frotzelnde Kumpelhaftigkeit einer Handvoll Gauner, die besondere Chemie zwischen den eingespielten und tatsächlich lang bekannten Stars Clooney und Pit, die Chuzpe, eine zwar spannende, aber wenig originelle Nichtigkeit mit höchster Eleganz zu inszenieren, das alles ist nicht übertragbar.

So funktioniert zwar der Wechsel von Poker und Casinos zu Mode und Schmuck, der Raubzug verläuft spannend, die Überraschungen gelingen und Debbie bekommt auch ihre persönliche Rache unter. Doch Blanchett kann nur ein paar verschiedene Gesichter zeigen, weitere Beteiligte wirken unterfordert, die zweite Reihe der acht Gangsterinnen erscheint kostengünstiger und alles fühlt sich eher als nette Kopie an und nicht wie eine richtig originelle Neuauflage. Das kraftvolle feministische Versprechen von Nancy Sinatras Song „These boots are made for walkin'" wird schon gar nicht erfüllt.

13.6.18

Die brillante Mademoiselle Neïla

Frankreich, Belgien 2017 (Le Brio) Regie: Yvan Attal, mit Daniel Auteuil, Camélia Jordana, Yasin Houicha, 97 Min. FSK ab 0

Die äußert präzise Eingangsszene lässt im riesigen Hörsaal voller MacBooks die aus Nordafrika abstammende Jura-Studentin Neïla Salah (Camélia Jordana) auf den blasierten Dozenten Pierre Mazard (Daniel Auteuil) mit seiner nasalen Arroganz und seinen rassistischen Bemerkungen. Man hat ihren langen Weg aus den Banlieues erlebt, die Kontrolle, die der weiße Student hinter ihr nicht durchmachen muss. Man spürt und begreift die enorme Wut angesichts einer weiteren Demütigung. Aber da der Ausfall vom arroganten Prof in den sozialen Medien landet, muss der widerwillig die Studentin für einen Rhetorik-Wettbewerb vorbereiten.

Schon in der nächsten Szene bekommt die seine elegante wie rücksichtlose Überlegenheit einen Reiz, den auch Neïla spürt. In einer offenen Zusammenarbeit entwickelt sie sich zu einer exzellenten Rednerin, ohne den Kontakt zu ihren Wurzeln zu verlieren. Auch Mazard, ein bedauernswerter Typ, der am Abend alleine in der Kneipe isst und säuft, wandelt sich. Die fünfte Regiearbeit des französischen Schauspielers Yvan Attal („The Jews", „Meine Frau, die Schauspielerin") ist ein genau beobachtetes, klares, engagiertes und Klischee-freies Plädoyer für das Zusammenleben und die Ausbildung der Humanität. Neben dem Star Daniel Auteuil begeistert Camélia Jordana mit großartigem Lachen und allen anderen Gefühlslagen.

12.6.18

Vom Ende einer Geschichte

Großbritannien 2017 (The Sense of an Ending) Regie: Ritesh Batra mit Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Harriet Walter 108 Min. FSK ab 0

Die Verfilmung des hochgelobten und mit dem Man Booker Prize ausgezeichneten Romans „The Sense of an ending" von Julian Barnes ist ein wunderbar subtil ausgeführtes Melodram über die Subjektivität der Erinnerung. Jim Broadbent glänzt darin als scheinbar freundlicher, alter Kauz, der einer furchtbaren Lebenslüge auf die Spur kommt.

Tony Webster (Broadbent) wirkt wie ein sympathischer und trotz Scheidung zufriedener Sonderling, der noch Briefe schreibt und Leica-Kameras verkauft. Er gibt beim Geburtsvorbereitungskurs für die lesbische Tochter die Vertretung der Vertretung und kebbelt sich mit seiner Ex, die davon eher genervt scheint. Bis der Brief einer Kanzlei ihn über den Tod der Mutter seiner ersten Freundin informiert. In Studienzeiten Mitte der 60er-Jahre traf Tony Veronica, die junge Frau mit der Leica. Sie waren eine Weile zusammen, er durfte für ein seltsames Wochenende mit zum Landhaus ihrer Eltern. Dann aber verlässt ihn Veronica für seinen besten Freund Adrian, der sich bald darauf umbringt.

Dass Geschichte laut Patrick Lagrange „die Lüge der Sieger und die Einbildung der Besiegten" sei, ist die Grundidee von Film und Buch, reflektiert in Tonys Philosophie-Seminar. Denn in den umständlichen Erzählungen gegenüber seiner geschiedenen Frau, redet der irritierte alte Tony konstant über sich selbst und um einen unbestimmten heißen Brei herum. Als er nach eher komischen Versuchen die gealterte Veronica (Charlotte Rampling) ausfindig machen kann, die nichts von ihm wissen will, wird aus der nonchalanten Postkarte für das frische Liebespaar seiner Erinnerung ganz real ein bitterböser Brief voller Verwünschungen. Und dass der freundlichen Fassade Tonys auch raue Antworten und Ausbrüche entschlüpfen, zeigt, dass er nicht wirklich in seinem Leben ruht.

Regisseur Ritesh Batra, der schon 2013 mit seinem Debüt „Lunchbox" begeisterte, verschachtelt gekonnt Erzähl-Ebenen und -Perspektiven. Ihm gelingt die Verbindung der Zeitebenen auf verschiedene Weise formvollendet. Unter den großartigen Schauspieler für die alten und jungen Rollen sticht Jim Broadbent („Iris", „Moulin Rouge") hervor, als egozentrischer alter Mann, der sich zum Schlechteren wandelt. Diese völlig glaubhaft verkörperte Rolle lockert Broadbent mit den ihm typischen linkischen Einlagen auf. Die Erinnerung an eine alte, schmerzliche Liebesgeschichte wandelt sich in den Hass einer unerfüllten Liebe, ein düsteres Geheimnis enthüllt sich nur teilweise. Nick Drakes Klassiker „Time has told me" gibt dabei musikalisch die Stimmung vor.

Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes

BRD, Italien, Schweiz, Frankreich 2018 Regie: Wim Wenders 96 Min. FSK ab 0

Von Wim Wenders, Papst des Neuen Deutschen Films, Palmen-Gewinner mit „Paris, Texas" und ewig junger Bild-Visionär, kann man auch dokumentarisch einiges erwarten. „Pina", seine Würdigung der Tänzerin Pina Bausch war der bislang einzige Film im neuen 3D, der Grenzen verlagerte und berauschte. Die kubanische Musik-Doku „Buena Vista Social Club" kümmerte sich zwar nicht wirklich ums Leben in Kuba, wurde aber ein Hit und musikalisch ein Dauerbrenner. Zuletzt berührte der Augenmensch Wenders tief mit dem Öko-Wunder und Porträt des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, „Das Salz der Erde". Und nun eine filmische Audienz beim Papst, die durchgehend enttäuscht. „Papst Franziskus" ist der schlechteste Wenders überhaupt, eine distanz- und kritiklose Beweihräucherung eines überkommenen Religions-Führers.

Ja, so kennt man Wim Wenders, wie er sich auf der Tonspur Gedanken über die Zeit und den Zustand der Welt macht, dazu im Zeitraffer Luftaufnahmen von Castel Gandolfo. Dessen berühmter Bewohner, der aktuelle Papst, wird bei Franz von Assisi verortet, nach dem er sich benannte: „Ein Revolutionär, ein Visionär, der sich für die Armut entschied und einen Bettlerorden gründete. Genau das, was heute gebraucht wird?" fragt Wenders auf der Tonspur. Ja, wäre nicht schlecht, wenn jemand das florierende Unternehmen Katholische Kirche zu einem Bettlerorden umwandeln und die Billarden an Vermögen zum Mindern des Leides der Menschheit einsetzen würde. Dieser Papst Franziskus redet allerdings nur davon. Dies jedoch brillant, eine perfekte Werbefigur. Dieser Mann, der immer im langen Kleid rumläuft, hat nicht nur die Menge im Griff, er gewinnt auch beim festen Blick in die Kamera.

Bei vier Audienzen saß der Papst vor der Kamera von Wenders. Die Produktion wurde vom Medienteam des Vatikan initiiert, der Regisseur betont allerdings seine großen Freiheiten. Franziskus, der erste Papst aus der südlichen Hemisphäre, spricht konzentriert in die Kamera, macht Denk-Pausen, spult keine Phrasen ab. Man nimmt ihm die Sorge um die Erde ab. Ein Thema, dass Wenders auch in seiner letzten Doku „Das Salz der Erde" bewegte. Im Öko-Block gibt es dann auch die einzigen „großen" Bilder zu sehen, von einer Diaprojektion auf den Petersdom. Wirkungsvoller sind stimmungsvoll montierte Giotto-Fresken aus einer umbrischen Assisi-Kapelle. Und die Szenen eines jüngeren Jorge Mario Bergoglio, der in Buenos Aires predigt und die Gläubigen zu einer Geste der gegenseitigen Umarmung aufruft.

Staunen kann man tatsächlich über die Fülle des offiziellen Vatikan-Materials, aus der Wenders schöpfen konnte. Es wirkt, als sei er überall dabei gewesen. Bei den aus den Medien bekannten Auftritten und Aussagen zur Offenheit der Kirche für Homosexuelle und zur Nulltoleranz gegenüber Kindes-Missbrauch durch Priester, die den Zivilgerichten übergeben werden sollen. In der Gedenkstätte Yad Vashem, alleine in Auschwitz, auf den Flüchtlingsinseln Lampedusa und Lesbos, nach einer Sturm-Katastrophe auf den Philippinen. Hier zeigt sich allerdings auch der wahnsinnige Aberglaube hinter dem freundlichen Wort Religion.

Kopfschütteln gibt es auch bei vielen Aussagen des populären Predigers, der fast dem Dalai Lama Konkurrenz machen könnte. Mehrmals erwähnt er eine „taube Welt" und betont der Wert des Zuhörens. Eine kleine Episode über den Umgang mit dem Tod ist äußerst berührend. Starke Worte eines geschickten Redners und Rhetorikers zeigen einen Mann mit sozialem Bewusstsein und Gewissen, der als über 80-Jähriger allerdings nicht auf dem neuesten Stand ist. Erzkonservativ und altmodisch klingt die Betonung vom Wert des Bodens und der klassischen Familie, die für aktuelle Probleme wie Robotisierung oder globale Finanzmärkte wertlos bleibt. Die Empörung über geschlossene Wohnanlagen, die in den 70er auch in Argentinien aufkamen, erscheint aufrichtig in diesem offenen Gesicht. Dass er mit seinem Klan selbst in geschlossenen Wohnanlagen lebt, könnte Wenders dezent im Bild andeuten. Doch „Papst Franziskus" ist ein Fan-Film, Wenders zeigt nichts von seinem sehr genauen Auge, das auch widersprüchliche Details einfangen kann. Höchstens die Aufnahmen der meist feisten Kurien-Bischöfe bei einer weiteren Armuts-Rede könnten als ironischer Bruch verstanden werden. So ist vielleicht der Titel „Ein Mann des Wortes" die einzige Pointe: Mehr als schöne Worte sind auch von diesem rhetorisch exzellenten Führer einer weiteren, extrem reichen und überkommenen Religion nicht zu erwarten.

Overboard

USA 2018 Regie: Rob Greenberg, mit Eugenio Derbez, Anna Faris, Eva Longoria, 112 Min.

Das Original vom Komödien-Könner Garry Marshall mit Goldie Hawn und Kurt Russell hieß „Overboard – Ein Goldfisch fällt ins Wasser". Dementsprechend wird das billige Remake hiermit zu „Overboard - Eine witzige Idee geht im Klamauk unter" schiffs-getauft. Gab 1987 Goldie Horn die reiche Zicke, die nach Sturz von der Luxusjacht und Gedächtnisverlust hämisch in ein hartes Arbeitsleben eingespannt wurde, erleben wir 2018 einen Rollenwechsel: Leonardo (Eugenio Derbez), ist der schon recht alte und sehr reiche Sohn aus Mexiko, der auf der Luxusjacht im Macholeben haufenweise junge Frauen verschleißt und sein Personal terrorisiert. Als Kate (Anna Faris), die alleinerziehenden Mutter dreier Kinder, bei einem ihrer beiden Jobs den Dreck von Leonardo wegwischen soll, geraten die beiden aneinander und Kate landet unfreiwillig mit ihrem Arbeitsgerät im Wasser. Doch erst in der folgenden Nacht stürzt auch das reiche Ekel besoffen von der Luxus-Yacht und wird mit Gedächtnisverlust an den Strand gespült. Nach einer Folge recht haarsträubender Zufälle holt sich Kate mit falschen Dokumenten den verwirrten Mann als ihren Ehemann nach Hause. Kinder und Freunde spielen mit, und so muss Leonardo plötzlich arbeiten, auf Kinder aufpassen und dazu noch im Schuppen schlafen. Nur solange bis Kate die Prüfung zur Krankenpflegerin geschafft hat...

„Ich bin arm? Ich arbeite? Das kann nicht mein Leben sein!" Dieser seltsame Gedächtnisverlust, ohne große Kenntnis der realen medizinischen Situation, ist wohl das größte Unglück in dieser an Fehlern und Unwahrscheinlichkeiten reichen Geschichte. Aber sie kommt halt aus sehr heiterem Himmel, die eigentliche und eigentlich nette Idee des Films. Dass nicht nur Kate anfangs mit viel Spaß ihren weiterhin eher stupiden Peiniger quält, sondern auch die neuen Kollegen auf der Baustelle eine Rache der Arbeiterklasse an dem Typen mit den manikürten Händen durchziehen, liefert weitere Scherze der Kategorie Schenkelklopfer. Nebenbei finden sich an der sozialen Grenze zwischen den USA und Mexiko auch Spott auf Kosten der reichen Amis und Sympathien für die armen Einwanderer. In Amerika läuft der Film über lange Strecken im untertitelten Spanisch und zielt vor allem auf ein Telenovela-Publikum.

Während Anna Faris als Goldie Horn-Double Mitgefühl für die gutherzige Kämpferin erwecken soll, darf der eigentlich zu alte mexikanische Komiker Eugenio Derbez den Clown raushängen lassen und punktet dabei leichter. Beide sind jedoch keine Top-Komödianten, den Begriff „Romantische Komödie" würde man mit diesem Klamauk-Versuch nur beschmutzen. Vieles ist hier so billig wie bei den beliebten Latino-Soaps: Minimal grundierte Figuren, die Entwicklung Leonardo von nichts zum idealen Vater, Mann, Koch , Pädagogen und Spanisch-Lehrer unglaublich sorglos runter geschrieben. Im Hollywood-Realismus kann die letztendliche Entscheidung zwischen Geld und Liebe nie eine echte sein. Das Happy End liefert beides - unecht und aus Plastik.

4.6.18

Auf der Suche nach Oum Kulthum

BRD, Österreich, Italien, Marokko 2017 (Looking for Oum Kulthum) Regie: Shirin Neshat mit Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh, Kais Nashif 91 Min. FSK ab 0

Mitra wandelt mit ihrer modernen Bekleidung quasi in der Vergangenheit der berühmten ägyptischen Sängerin Oum Kulthum (1904-1975) herum. Folgt in einem Dorf in vergilbten Farbtönen dem jungen Mädchen, das zur Zwangsheirat weggeben wird. Die Puppe als Symbol der Kindheit fliegt in eine Ecke. Das staunende Mitfühlen zeigt sich auf dem Gesicht der Filmemacherin. Plötzlich steht ein kleiner Junge in der historischen Szene und ruft „Mama!". Ihr Sohn ruft sie zurück in die Gegenwart. Dort castet die Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian) für ihren Film über Oum Kulthum. Ein Dreh mit einigen Problemen, an denen die zerrissene Künstlerin fast zerbricht.

Shirin Neshat, die iranisch-amerikanische Regisseurin von „Women without Men" (2009), realisierte keine gewöhnliche Biografie, das wird schon in den ersten Bildern deutlich. Die bildende Künstlerin verknüpft aussagekräftig das Leben des bewunderten Stars Oum Kulthum mit Frauen von heute: Oum Kulthum, die „Maria Callas Ägyptens", die durch ihre Berühmtheit in einer sehr patriarchalen Welt relativ unabhängig sein konnte. Dann die Lehrerin Ghada (Yasmin Raeis), die für die Rolle der Sängerin gecastet wurde, aber nur zögerlich die Aufgabe annimmt. Und schließlich Mitra zwischen den Welten, angefeindet für ihre Interpretation und als Exil-Iranerin, als „Fremde, die nicht mal Arabisch spricht". Bei Mitra wird der gefeierte Mythos der noch vierzig Jahre nach ihrem Tod in der muslimischen Welt verehrten Sängerin entzaubert und politisiert, wobei auffällig viel vom eigenen Karriere-Kampf der Regisseurin einfließt.

Immer wieder gibt es überraschende Wechsel zwischen Film und historischem Film-im-Film, die Gefühle und Situationen spiegeln sich. Shirin Neshat will vor allem mit Bildern, Farben und poetischen Szenen etwas vermitteln, auch wenn die Fakten nicht ausgespart bleiben. Ägyptens Geschichte von Nassers Revolution in den 50er Jahren bildet auch den Hintergrund für so etwas wie einen Polit-Krimi über die Haltung des Stars zum Herrscher. Frauen-Proteste für politische Rechte und Bildung gab es übrigens schon 1914, sie wurden allerdings blutig unterdrückt. Dies sind allerdings recht bekannte Positionen. Wie vieles wird hier eher der Status quo bestätigt, selten blitzen neue Erkenntnisse auf. Die Bilder zwischen den gesellschaftskritischen Behauptungen behalten trotzdem ihre eigenwillige Kraft. Und selbstverständlich auch die Musik von Oum Kulthum, die in nachgespielten Szenen nicht zu kurz kommt.

Goodbye Christopher Robin

Großbritannien 2017 Regie: Simon Curtis mit Domhnall Gleeson, Margot Robbie, Alex Lawther, Kelly MacDonald, Stephen Campbell Moore 107 Min. FSK ab 6

„Wer hätte gedacht, dass dieser Bär uns verschlingen würde ..." Ja, tatsächlich, die Geschichte von Pu der Bär (Winnie-the-pooh), eines kleinen Bären „von sehr geringem Verstand", wurde eine riesige (Erfolgs-) Geschichte. Im deutschen Sprachraum besonders beliebt dank der genialen Neuübersetzung und Nacherzählung durch Harry Rowohlt. Das illustrierte Kinderbuch des britischen Schriftstellers A.A. Milne wurde inspiriert von den Stofftieren seines Sohnes, im Buch Christopher Robin genannt. Wie ausgerechnet das Grauen des Krieges zu diesem wunderbaren Buch führte, und wie Christopher Robin selbst unter dem Erfolg zu leiden hatte, erzählt „Goodbye Christopher Robin" auf eine annähernd anrührende Weise nach.

Wir erleben Alan Alexander Milne (Domhnall Gleeson), den Schöpfer der leichten, verspielten Geschichten um Pu der Bär, zu Beginn als traumatisierten Zyniker nach furchtbaren Erlebnissen im Ersten Weltkrieg. Der Autor hat größte Schwierigkeiten, sein Leben weiterzuführen. Immer wieder kommen grausige Erinnerungen an die Laufgräben hoch, an die Fliegen von den Leichen. Kaum jemand in der englischen Gesellschaft versteht das, ein Verleger nimmt Milnes ironische Schilderung vom Autor mit Schreibmaschine und Sherryglas im Giftgas für bare Münze. Nun will A.A. Milne, der die Machthaber, die „ihr Volk" in Kriege hetzen, heftig kritisiert, mit seinem nächsten Werk verhindern, dass es wieder einen Krieg geben wird. Aber eine Schreibblockade verhindert, dass er überhaupt etwas aufs Papier bringt.

Der Umzug aufs Land hilft nicht, die Geburt und das Aufwachsen eines Sohnes berührt Milne kaum. Die Ehefrau Margot Robbie (Daphne Milne) vergnügt sich allein in London, das Kindermädchen Olive (Kelly MacDonald) ist dem Jungen eine wahre Mutter. Doch als diese plötzlich weg muss, beginnt das kaum existierende Verhältnis Milnes zu seinem Moon genannten Sohn zu wachsen: Gemeinsam gehen sie auf Honigsuche in den Wald. Das Summen der Insekten treibt den Vater nicht mehr in Panik, weil das Kind erkennt, das sind Bienen und keine (Leichen-) Fliegen. Denn der Kleine versteht auch ohne Erklärungen enorm viel. Als sie endlich Luftballons platzen lassen können, ohne dass Milne wegen der vermeintlichen Explosionen erstarrt, ist das ein doppeltes Fest. Vater und Sohn erfinden und erleben Abenteuer, der zerrüttete Mann wird selber wieder Kind und lässt sich vom Sohn Moon beraten. Denn bald hält er die Geschichten der beiden und der Stofftiere des Sohnes zusammen mit seinem Zeichner und Leidensgenossen des Krieges schriftlich fest und „Winnie-the-pooh" wird ab 1926 rasant zum weltweiten Erfolg.

Mit erschreckenden Folgen für das Kind: Christopher Robin wird als Kinderstar vermarktet, die kalte, hartherzige Mutter wandelt sich zum erfolgsgeilen Manager. Die Eltern lassen sich auf Welttournee feiern. Der junge Moon bleibt allein zuhause, wo nur das Kindermädchen versteht, besser versteht, wie es um das Kind steht. Die Tragödie, Christopher Robin zu sein, bestimmt den letzten Teil des Films, in dem der auf Schule und Internat dauernd gehänselte Junge unbedingt zum Militär will. Die ursprünglichen Bestrebungen von A.A. Milne scheinen sich auf Grausamste in ihr Gegenteil zu verkehren. Christopher Robin Milne wurde selber später Schriftsteller und schrieb auch über diese Zeit mit seinem Vater.

„Goodbye Christopher Robin" entwickelt sich für eine „Pu der Bär-Autobiografie" überraschend aus dunklen Abgründen des Krieges und seiner Folgen. Wie eine komplett zerrüttete Familie durch Kindergeschichten wieder zusammenfindet, beschert den Freunden des niedlichen und seltsamen Bären viel glückbringendes Wiedererkennen. Es ist schön, wie die Figuren des berühmten Kinderbuches langsam eingeführt und entwickelt werden. Dabei aber immer packend exakt gezeichnet und vor allem von Domhnall Gleeson („The Revenant", „Star Wars: Das Erwachen Der Macht") ungeheuer gut gespielt, wie Milne mit seinen Dämonen kämpft und wie Moon ängstlich und tapfer den Vater retten will. Der Sohn ist ein kluges Kerlchen, findet ein paar bessere Worte für Gedichte und berät den Vater bei der Geschichte. Das ist in warmen Farben fotografiert, die selbstverständlich auch mal dunkel werden.

So eine intensive und berührende Geschichte konnte man von Simon Curtis, dem Regisseur der ebenfalls freien biografischen Episode „My Week With Marilyn" und dem nicht ganz so starken Raubkunst-Drama „Die Frau in Gold" erwarten. Eine sehr aktuelle Anklage gegen den Wahnsinn des Krieges und gegen die Politiker, die ihn zulassen, hingegen nicht direkt im Umfeld von „Pu der Bär". Dass aber genau diese Verbindung - sicherlich im Geiste von A.A. Milne - gelingt, dass auch noch das frühe Drama eines Kinderstars nahtlos eingeflochten ist, macht „Goodbye Christopher Robin" zu einem ganz außerordentlich sehenswerten Film.

Swimming with Men

Großbritannien 2018 Regie: Oliver Parker mit Rob Brydon, Adeel Akhtar, Daniel Mays, Jim Carter, Rupert Graves 103 Min. FSK ab 0

In britischen Komödien lassen Männer, die untergehen, gerne mal die Hosen runter, und schon haben sie als Stripper in „Ganz oder gar nicht" einen Riesenerfolg. Nun drohen sechs Briten in der Eintönigkeit des etablierten Lebens zu versinken und gehen deshalb ins Wasser. Ins Badewasser, um als Synchronschwimmer die Lebensfreude wiederzufinden.

Eric (Rob Brydon) arbeitet als erfolgreicher Zahlenschieber bei einer großen Steuerberatungs-Kanzlei. Dass er dabei nicht glücklich ist, zeigt vor allem seine unmotivierte Eifersucht gegenüber der Ehefrau, die gerade in die lokale Politik einsteigt. Aus nichtigem Anlass explodierend, schmeißt Eric sich selber aus der Wohnung und quartiert sich im Hotel ein. Die Augen öffnen ihm ein Trupp witziger Männer am Beckenboden des Schwimmbades, als Eric beim Schwimmtraining tatsächlich unter Wasser die Augen öffnet. Mehrmals sieht er diese komischen Gestalten noch komischere Dinge tun, bis sie ihn einladen, bei ihrem Synchron-Training mitzumachen. Angeblich, weil ihnen für eine der kläglichen Formationen ein Mann fehlt.

Es kommt, wie es schon öfter kam: Eric lebt in dieser gemischten Männertruppe wieder auf. Die inoffizielle Weltmeisterschaft in Italien ist ein Finale, die Wiederherstellung der Ehe das eigentliche Ziel. Das kennt man fast genau so von der unübersehbaren schwedischen Inspirations-Quelle „Männer im Wasser" aus dem Jahr 2010. Und wie im Wasser-Becken sind die Schweden auch beim Film etwas besser: Das Original arbeitete die Beziehungsprobleme der Hauptfigur dramatischer aus. Vor allem die Trennung vom Kind sorgte für Aufregung und Herzschmerz. Hier ist der Sohn für Eric nur ein besserer Stichwortgeber. Doch, wie betont es schon Luke (Rupert Graves) bei der Taktik-Besprechung, beim „Schwimmen mit Männern" soll eher intuitiv ohne große Erklärung verstanden werden.

Vor allem aber, und das ist das Neue an diesem freien Remake, geht es nicht mehr um den kreativen Aufschrei der Verlierer. Bei „Swimming with Men" müssen die Erfolgreichen mal gegen den Strom schwimmen. Ausbrechen, um sich selbst wieder zu finden. Denn bei den Karrieren der Männer ist etwas Wichtiges auf der Strecke geblieben. Hier schwindet der Selbstrespekt nicht, weil „mann" keine Arbeit mehr hat, sondern weil man zu viel und zu gut den falschen Job macht. Als Zahlenschieber beim Steuerberater oder als Zahnarzt. Ok, den kleinen Gauner in der Truppe, der auf der Flucht vor der Polizei untertauchen muss, lassen wir mal als Ausnahme durchgehen.

Trotzdem bleibt der spaßige und in seinem Aufrütteln auch Ernst zu nehmende „Swimming with Men" ein feuchter Abklatsch vom Übervater dieser „Dir geht's richtig mies, mach was Verrücktes"-Filme, der großartigen Strip-Show „Ganz oder gar nicht". Als Verbeugung sieht „Silent Bob" hier aus wie Robert Carlyle aus der Originalbesetzung. Überzeugen und amüsieren kann durch den stoischen Ausdruck eines entseelten Lebens vor allem der eher unbekannte Rob Brydon als Hauptfigur Eric. Begleitet wird er von einem halben britischen All-Star-Cast: Der rundliche Jim Carter („Downton Abbey") gibt den ruhigen Senior, von dem man am Rande erfährt, dass er seit kurzem Witwer ist. Rupert Graves, der Kommissar aus „Sherlock", ist der gutaussehende Immobilien-Makler, der eine Ersatzfrau sucht. Adeel Akhtar („Four Lions") ist der Zahnarzt Kurt, der immer wieder mit neuen Fähigkeiten überrascht. Den Chaot Tom spielt der junge Thomas Turgoose aus „This is England". Regisseur Oliver Parker begeisterte bei der Wilde-Verfilmung „Ernst sein ist alles" mit Reese Witherspoon schon mal mehr, und auch seine Actionkomödie „Johnny English - Jetzt erst recht" war einiges flotter. Doch unterhaltsam ist „Swimming with Men" auf jeden Fall.