31.3.19

Monsieur Claude 2

Frankreich 2018 (Qu'est-ce qu'on a encore fait au Bon Dieu?) Regie: Philippe de Chauveron, mit Christian Clavier, Chantal Lauby, Ary Abittan 99 Min.

Man wird ja wohl noch sagen dürfen... Ja, auch der zweite „Monsieur Claude" ist ein „Man wird ja wohl noch sagen dürfen..."-Film. Und immer noch, das muss man einfach sagen, ein großer rassistischer Mist. Lachen über den Fremdenhasser darf das Publikum mit und ohne AfD-Mitgliedschaft.

Wie Monsieur Claude Verneuil und seine Frau Marie bei vier Hochzeiten und einem total komischen Rassismus gegenüber anderen Hautfarben, Nationalitäten oder Religionen zur erfolgreichen Kinokomödie wurde, war nicht nur als Zeit-Erscheinung erschreckend. „Monsieur Claude" löste gleich eine ganze Lawine von französischen Filmen aus, bei denen über hemmungslose Rassisten gelacht werden durfte. Über oder mit den Rassisten? Auf jeden Fall erleichtert - denn: Man wird ja wohl sagen noch dürfen. Nun ist es ein Knaller, dass Monsieur Claude (Christian Clavier) in seinem üppigen Landhaus in Panik ist, weil seine Frau Marie (Chantal Lauby) einen afghanischen Flüchtling im Gerätschuppen übernachten lässt. Als der sich einen medizinischen Stützgürtel anlegt, schlägt Claude mit der Schaufel zu. Es kann ja nur ein Bombengürtel sein.

Doch bis es zu solchen geschmacklichen Tiefschlägen kommt, wird extrem mühsam und langatmig eine überladene Handlung aufgebaut, die niemals in die Gänge kommt: Da machen sich die Verneuils tatsächlich zu einer Weltreise zu den Eltern ihrer vier Schwiegersöhne auf und der Film zeigt den Trip nicht. Denn alles dient nur dazu, dass Claude beim gemeinsamen Abendessen seine Vorurteile über die Länder und Menschen rauslassen kann. Aber alles ist ja gut, denn bei jeder Unverschämtheit lachen immer die drei gerade nicht betroffenen Schwiegersöhne mit. Kann also nicht so schlimm sein. Und außerdem ist der dicke, schwarze, geldgierige Schwiegervater ja selber Rassist.

Zu einem Zeitpunkt, an dem gute Filme schon auf die Zielgerade eindrehen, fällt „Monsieur Claude" der eigentliche Plot ein: Die vier Töchter wollen mit ihren Ehemännern in deren Heimat ziehen oder zumindest Frankreich verlassen. Denn Frankreich wäre antisemitisch, bemerkt der nicht besonders intelligente jüdische Versager. Und er dürfe nur Burka-Trägerinnen verteidigen, beschwert sich der Anwalt mit algerischer Abstammung. Der ängstliche Chinese ist der perfekte AfD-Kandidat: Er wohnt im sichersten Viertel von Paris und hat dauernd Angst vor Ausländern. Der Schauspieler von der Elfenbein-Küste, der endlich mal Othello spielen möchte, erhofft sich in Indien weniger stereotype Rollen.

Dass nicht nur die letzte Argumentation schizophren ist, bemerkt der Film nicht. Sonst wäre er ja eine intelligente Komödie. Auch dass die Präsentation eines fortschrittlichen Frankreichs ganz aktuell im Sinne Präsident Macrons wäre, macht diesen Film nicht anders politisch. Denn in ihrer Verzweiflung wegen in die Ferne ziehender Enkelkinder zwingt Marie Claude zu einer nationalistischen Tour mit den Schwiegersöhnen. Im TGV und irgendeinem Benzinfresser aus Frankreich geht es gähnend an die Loire, und für jeden einst ungeliebten Gatten wird vermittels fast unerschöpflicher Finanzen ein verführerisches Angebot inszeniert. So kaufen die rassistischen Schwiegereltern ein ganzes Stadttheater für mehrere Monate, damit der frustrierte und unwissende Schauspieler den „Othello" geben kann.

Die mühsame Komödie um gehässige, kleingeistige Menschen vernachlässigt ihre Handlung für rassistische Schenkelklopfer völlig. So kann das aufgeklärte Publikum wenigstens noch mal miterleben, dass man Sachen so ausspricht, wie sie früher mal waren. Der Trick ist, dass man ja nur über den Rassisten lacht. Der eigentlich eher widerlich und verabscheuungswürdig als lustig ist. Was Millionen Zuschauer genauso vehement bestreiten werden, wie sie über Juden- und Schwarzen-Witze lachen.

Another Day of Life

Polen, Spanien, Belgien, BRD, Ungarn 2018 (Jeszcze dzień życia)) Regie: Raúl de la Fuente 86 Min.

Beim letzten Film Festival von Cannes lief diese reizvolle Mischung aus Realfilm, Doku und Animation über den polnischen Kriegsreporter Ryszard Kapuściński. „Another Day of Life" erzählt von dessen Erlebnissen im Krieg um die Unabhängigkeit von Angola.

Als „Richard" 1975 in Angolas Hauptstadt Luanda ankommt, begegnet ihm zuerst „confusão" - die speziale portugiesisch-afrikanische Konfusion, die das Land im Umbruch bestimmt. Im Bürgerkrieg wollen verschiedene Gruppen die Kolonie übernehmen. Richard gibt sich nicht mit den offiziellen Verlautbarungen zufrieden. Ohne Genehmigung bricht er in den Süden auf, wo er an der Front den berühmten General Farrusco interviewen will. Von diesem portugiesischen Soldaten, der übergelaufen ist, stammt der Titelsatz „Another Day of Life": Wieder ein Tag zum Leben.

Der Film „Another Day of Life" von Raúl de la Fuente entstand nach dem gleichnamigen Buch von Ryszard Kapuściński, der zig Bände über seine Reisen in Krisengebiete geschrieben hat. Diese Reportage ist der Erinnerung an die Menschen gewidmet, die er in Angola kennengelernt hat. Vor allem der Soldatin Carlota, tragische Heldin und Galionsfigur des linken Widerstandes.

Denn bei der Berichterstattung über den Kampf um die Unabhängigkeit des Landes ergreift Kapuściński direkt Partei für die linke MPLA (Volksbewegung zur Befreiung Angolas). Dabei verschweigt er trotz großer Skrupel den Einsatz kubanischer Hilfskräfte auf Seiten der MPLA. Denn dieser „Bürgerkrieg" war eigentlich auch so ein Stellvertreter-Krieg, wie er heute gerade wieder im Jemen stattfindet. Im Süden droht Apartheid durch den Einmarsch der weißen südafrikanischen Armee mit der CIA im Hintergrund. Kuba wird auf der anderen Seite von der Sowjetunion mit Waffen unterstützt.

Gleichzeitig zeigt „Another Day of Life" den Krieg um die Informationen und die Verantwortung der Presse dabei. In Gedanken stellt sich Ryszard Kapuściński den kritischen Fragen seiner Studenten in einem Seminar. Hier, wenn die Animation surreale Szenen ermöglicht, spielt das Konzept des Films seine Qualitäten aus. Die „übermalten" Spielszenen wirken im groben Stil ansonsten ungelenk. Das erinnert nicht von ungefähr an „Waltz with Bashir": Bei dieser preisgekrönten Real-Animation wurde das Unzeigbare der israelischen Kriegsverbrechen im Libanon halbwegs erträglich ästhetisiert. Nun bindet Raúl de la Fuente zusätzlich Interviews mit den Überlebenden ein, und Dokumentarbilder, die zeigen, wie authentisch die Geschichte ist.

Insgesamt eine interessante Geschichts-Stunde und ein rau skizziertes Porträt des Reporters Ryszard Kapuściński. Übrigens ist zur Zeit ein weiterer, nachdenklicherer Film über Kriegsreporter zu sehen: Rosamund Pike spielt in „A Private War" die britische Fotografin Marie Colvin.

27.3.19

Dumbo

USA 2019 Regie: Tim Burton, mit Colin Farrell, Danny DeVito, Eva Green, Michael Keaton 112 Min. FSK ab 6

Disney setzt die Realverfilmungen seiner Zeichentrick-Klassiker nach „Die Schöne und das Biest" und „Cinderella" nun mit dem 78-jährigen „Dumbo" fort. Regisseur Tim Burton hat nicht nur Disney-Erfahrungen seit „Alice im Wunderland" (2010), er wuchs geradezu in Symbiose mit dem Animations-Konzern auf. Trotzdem zeigt das eindrucksvolle Trickspektakel mit dem rührenden Elefanten nichts mehr vom abgründigen Stil Burtons.

Die Handlung um den kleinen Elefanten mit den zu großen Ohren musste in der fast verdoppelten Filmlänge angereichert werden: Danny DeVito - einst Pinguin in Burtons „Batman" - gibt nun den trickreichen Zirkusdirektor Max Medici. Seine Show hat schon bessere Zeiten gesehen. Überhaupt ist dies eine schwierige Welt für Erwachsene und Kinder, mit Armut, den Kriegstraumata und den Folgen der Spanischen Grippe, mit seelischen und körperlichen Verstümmelungen. Zudem erweist sich Max' letzte Investition in ein Elefanten-Baby als Pleite, denn der süße Kleine kommt mit Riesen-Ohren zur Welt. Der ehemalige Dressurreiter-Star Holt Farrier (Colin Farrell), der mit einem Arm weniger aus dem Krieg kam, soll nun die Elefanten übernehmen. Seine Kinder Milly (Nico Parker) und Joe (Finley Hobbins) fühlen sich besonders zum Dumbo genannten Tier hingezogen, weil es auch ohne Mutter zurecht kommen muss.

Zwar entdecken die Kinder bald, dass Dumbo mit seinen riesigen Ohren fliegen kann, doch wie Milly scheut der Kleine Menschenmassen. Dumbo ist ein menschenscheues, sensibles Wesen wie „Edward mit den Scherenhänden" und all die anderen Button-Kreaturen. Es dauerte auch nicht lange, bis die hässliche Volksfratze mit Verachtung für alles, was anders ist, ihn verlacht. Als der schmierig schillernde Unterhaltungs-Entrepreneur V.A. Vandevere (Michael Keaton) den ganzen Zirkus aufkauft und in eine Art Disneyland bringt, bleibt jedoch kein Platz mehr für solche Regungen. Dumbo muss als neue Sensation kapitalistisch ausgebeutet werden.

Mit viel Bewegung und Details zaubert Tim Burton ein mitreißendes Kaleidoskop der Zirkuswelt - eigentlich eher das Territorium von Baz Luhrmann („Moulin Rouge", „Der große Gatsby"). Er liefert in ausgewählten Szenen eine Hommage an den alten „Dumbo"-Zeichentrick von 1941, der nach einer Kurzgeschichte von Helen Aberson und Harold Pearl entstand. Der neue erzählt eine weiterführende Geschichte mit dem modernen Thema des Erfolgs in der Öffentlichkeit. Auch der Umgang mit Tieren im Zirkus wird heutig kritisch gezeigt.

Obwohl mit seinem festen Haus-Komponisten Danny Elfman und Michael Keaton, dem alten Bekannter aus Burton-Filmen wie „Batman", alles wie immer scheint, fehlt bei der großen Hollywood-Show um rosa Elefanten das Abgründige von Burton. „Dumbo" ist kein „Elefantman" für Kinder. Was eigentlich verwundert: Burton ist zwar als Nachbar der Disney-Studios im kalifornischen Burbank aufgewachsen, hat dort Animator gelernt und seine ersten Filme (u.a. „Vincent") gemacht. Aber seine schaurig-schönen frühen Erfolge wie „Beetlejuice" (mit Michael Keaton) oder „Nightmare before Christmas" sind exakt das Gegenteil von Disneys Süßlichkeit. Doch für die Fantasie von Tim Burton sind die reichen Mittel des Medien-Giganten ideal. Mit den digitalen Trick-Möglichkeiten lässt sich Alles auf die Leinwand zu bringen - selbst fliegende Elefanten-Babys. Und wenn der Film „Dumbo" für die Flugszenen eindrucksvoll abhebt, schafft Burton in den besten Momenten, was selbst den gerissenen Geschäftsmann verwandelt: Man wird wieder staunendes Kind.

Unser Team - Nossa Chape

Brasilien 2018 (Nossa Chape) Regie: Jeff und Michael Zimbalist, mit Alan Ruschel, Jackson Follmann, Hélio Neto 102 Min. FSK ab 12

Dass nicht alle Menschen gleich sind, belegen schon absurde Manager-Gehälter und Ablösesummen. Aber auch diese Dokumentation über den Absturz eines brasilianischen Flugzeuges wäre nicht entstanden, wäre nicht ein Fußballverein an Bord gewesen. Aus dem Unglück des brasilianischen Fußballvereins Chapecoense am 28. November 2016 macht „Unser Team" hemmungsloses Rührstück und konventionellen Sportfilm.

Ein Flugzeug mit 77 Insassen stürzt in Kolumbien ab, nur sechs Menschen überleben. Der brasilianische Fußballclubs Chapecoense war auf dem Weg zum Finale der Copa Sudamericana. Was dieses tragische Unglück mit Hinterbliebenen, Fans, Vereinsvertretern und den Bewohnern Chapecós macht, ist nüchtern gesehen Thema von „Unser Team". Tatsächlich steuert die wenig sensible Dokumentation mit tränenreichen Interviews direkt Betroffenheit an und hört nie auf, rumzuheulen. Bei dieser furchtbaren Situation stand direkt ein Filmteam parat, um zum Beispiel die Sitzung eines extrem dezimierten Vorstandes aufzunehmen. Sensationsheischend wird der Absturz ausgeschlachtet und immer wieder geschildert. Dazu viel Sportfilm-Standard um immer wieder ein neuerlich wichtiges Spiel im gefeierten Comeback des Vereins. Auftraggeber ist schließlich ein Sport-Sender.

Erst als ein neues Team steht, kümmert man sich also um posttraumatische Probleme der Menschen. Hinter allen dreisten Übertreibungen ahnt man etwas den Prozess kollektiver Trauer und Verarbeitung. Abgesehen von solchen ethischen und Geschmacks-Fragen fällt der ermüdend konventionelle Stil mit den typischen Interview-Köpfen und unermüdlich plärrender Musik unangenehm auf.

25.3.19

Ein Gauner & Gentleman

USA 2018 (The old man and the gun) Regie: David Lowery mit Robert Redford, Casey Affleck, Sissy Spacek, Tom Waits, Danny Glover 94 Min. FSK ab 6

Er kann es nicht lassen: Robert Redford raubt wieder Banken aus. Die ruhige und elegante Gangster-Geschichte „Ein Gauner & Gentleman"
soll angeblich sein letzter Film sein und ist auf jeden Fall sehenswert.

Er habe gelächelt, sagen übereinstimmend Filialchef und Bankangestellte, nachdem sie von Forrest Tucker (Robert Redford) freundlich ausgeraubt wurden. Tucker lächelt auch, wenn eine ganze Flotte von Polizeiwagen hinter ihm her ist, das ist Leben für ihn. Aber meist ist er zu clever, um sich erwischen zu lassen. Und falls das doch mal passiert, bricht er wieder aus. 16 mal geschah dies bisher, denn dies ist die wahre Geschichte eines 70-jährigen Gentleman-Gangsters.

Robert Redford kann es tatsächlich nicht lassen, schon 1969 ging er charmant auf Raubzug in „Butch Cassidy and the Sundance Kid" (deutscher Titel: „Zwei Banditen"). Und die Zusammenfassung der Ausbrüche von Forrest Tucker gibt Gelegenheit, ein paar Szenen mit dem jüngeren Redford zu zeigen. Heute laufen die Bankräubereien von Tucker und seinen Kumpels Teddy (Danny Glover) sowie Waller (Tom Waits) gemächlicher ab, „Action" wird hier mit lässigem Jazz inszeniert.

Die Recherchen seines Gegenspielers sind merklich zügiger: Kommissar John Hunt (Casey Affleck) war zufällig bei einem Bankraub von Tucker dabei - ohne es zu merken. Auch die Banknote, die der überaus freundliche Gauner mit persönlichem Gruß für Hunt hinterlässt, befeuert die Jagd. Wobei das klassische Treffen des Cops mit dem Gangster (diesmal auf der Toilette) völlig undramatisch und gewaltfrei verläuft.

Bei Robert Redford wieder von einem Alterswerk zu sprechen, ist eigentlich albern: Quicklebendig hat er in den letzten Jahren unter anderem 2013 mit dem Alleinsegler-Drama „All Is Lost" von J.C. Chandor beeindruckt, mit „Der Moment der Wahrheit" an seine (medien-) politischen Klassiker erinnert und dem linken Widerstand mit seiner eigenen Regie „The Company You Keep - Die Akte Grant" noch mal gezeigt, was ein echter Kämpfer kann.

Mit Casey Affleck bekommt er nun einen interessanten Gegenspieler, weil der zwar viel jünger, aber ebenso ruhig und entspannt, ja anfangs fast verschlafen agiert. Zurückhaltend auch Sissy Spacek, welche die späte Lieber Tuckers spielt und nie zeigt, was sie von seinen Banküberfällen weiß. Eine schöne Romanze, die etwas an Eastwoods „Die Brücken am Fluss" erinnert. Doch letztlich kann er es einfach nicht lassen...

Beach Bum

USA, Großbritannien, Schweiz, Frankreich 2019 Regie: Harmony Korine mit Matthew McConaughey, Isla Fisher, Snoop Dogg, Zac Efron, Jonah Hill, Martin Lawrence 95 Min. FSK ab 16

Das ist mal ein echter Wohlfühlfilm! Das ehemalige Wunderkind Harmony Korine zeigt nach der Sensation „Spring Breakers" nun einen sensationellen Matthew McConaughey als den konsequent durchgeknallten und bekifften Lebenskünstler und Poeten Moondog. Der neue Harmony Korine „Beach Bum" ist eine Provokation höchstens darin, wie er jede Provokation ignoriert.

Ein sonnendurchfluteter Bukowski, ein dichtender „Big Lebowski": Der Poet Moondog (Matthew McConaughey) ist immer betrunken, an und auf den Florida Keys bekannt wie ein bunter Hund und einfach glücklich. Wobei ihm das breite Angebot an Drogen hilft, das er täglich konsumiert. Da Glück für diesen „Beach Bum" Ausgangs- und End-Zustand ist, braucht man handlungsmäßig nicht viel erwarten. Obwohl ziemlich viel passiert und Moondog ziemlich viel Spaß hat, kümmert sich Harmony Korine wunderbar wenig um übliche Handlungs-Leitfäden.

Irgendwann schippert Moondog wegen der Heirat seiner Tochter zur Luxus-Villa seiner Frau Minnie (Isla Fisher), spielt am Piano etwas Bach, bespricht die Feierlichkeiten, während seine Zungenfertigkeit eigentlich sexuell ausgelastet ist. Dann zieht er mit Lingerie (Snoop Dogg), sein Kumpel und Liebhaber seiner Frau, einen durch. Selbst als Minnie bei einem wilden Trip stirbt, folgt Moondog seinem Prinzip, vor allem Spaß haben. Was nun etwas schwieriger ist, weil Minnie ihm erst ihr Vermögen vererbt, wenn er endlich sein Buch zu Ende schreibt.

Ja, was dieser alte Junkie da treibt, ist mehr als hedonistisch, der Film-Dienst bezeichnet „Beach Bum" in seiner Kritik gar als „hypervulgär". Wenn Moondog mit seiner kleinen roten Reiseschreibmaschine im Schritt banale Obszönitäten absondert, erinnert er an Johnny Depps Gonzo aus Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas". Aber auch, was Moondog im Hawaii-Hemd oder Frauen-Fummel so auf seinen Booten anstellt, hat etwas Depp-ertes. Dabei ist er kein Scharlatan. Er zitiert immer wieder mal Baudelaire oder D.H. Lawrence. Mit dessen geliehenen Zeilen gewann er allerdings einst trickreich einen Poesie-Wettbewerb.

Matthew McConaughey („Dallas Buyers Club", „Wolf of Wallstreet") beeindruckt mal wieder in einer ganz anderen Rolle. Wunderbar auch, wie Isla Fisher („Nocturnal Animals") die große, wahnsinnige Liebe von Moondog verkörpert. Zac Efron („Baywatch", „Greatest Showman"), Rap-Superstar Snoop Dogg, Jonah Hill („The Wolf Of Wallstreet") und Martin Lawrence („Bad Boys") machen in kleinen, mehr oder weniger bescheuerten Rollen beim Film-Spaß mit.

Klar kann man sich über Einiges aus dem breiten Angebot von Illegalem, Unverschämtem und Gemeinem aufregen, das Moondog anbietet. Doch die beschwippste Mischung und Hippie und Guru, würde einem schon zu bedenken geben, weshalb man sich das Leben so schwer macht. Harmony Korine präsentiert diese Lebensphilosophie so sonnig überstrahlt und filmisch gekonnt, dass sich moralische Hirnverkrampfungen gerne in ein breites, anhaltendes Grinsen auflösen.

Willkommen in Marwen

USA 2018 (Welcome to Marwen) Regie: Robert Zemeckis, mit Steve Carell, Eiza Gonzáles, Diane Kruger, Gwendoline Christie, Janelle Monáe 116 Min. FSK ab 12

Schon immer war Film eine Fluchtmöglichkeit für traumatisierte Menschen. Für Zuschauer und für Filmfiguren, die regelmäßig in Traumwelten, Albträumen oder Tagträumen stellvertretend alltägliche Probleme lösen. Robert Zemeckis, mit „Der Polarexpress", „Forrest Gump" und „Zurück in die Zukunft" ein Meister des eskapistischen Kinos, porträtiert in „Willkommen in Marwen" nun die Welt eines sympathischen Fluchtkünstlers aus dem wahren Leben.

Es hat ein Hauch von Tarantinos „Inglourious Basterds", wie der US-Soldat Cap'n Hogie (Steve Carell) auf Stöckelschuhen den Nazis entgegentritt und schließlich von schwer bewaffneten Barbie-Frauen gerettet wird. Was wir da als packende Live-Szene verfolgt haben, ist real jedoch nur eine Foto-Installation von Mark Hogancamp, der sich in seiner Fantasie zum Nazijäger macht. Behilflich sind ihm dabei Action-Puppen im Stile von Big Jim und Barbie, die er in liebevoller Kleinarbeit zu Kriegs-Kämpfern ausstattet und im fiktiven belgischen Dorf Marwen hinter seinem Haus ansiedelt.

Es wird auch schon mal drastisch, das Puppen-Spiel, bemerkt die neue Nachbarin (Leslie Mann) angesichts einer heftigen Folterszene. Dabei ahnt sie noch gar nicht, wie heftig Hogancamp vor ein paar Monaten von Neo-Nazis zusammengeschlagen wurde. Die selbst verordnete Puppen-Therapie ist nun Hogancamps einziger Weg mit Angst und Panik zurecht zu kommen. So verlässt er nie sein Haus ohne Unterstützung von Cap'n Hogie und seiner internationalen Frauenbrigade, die er in einem Spielzeug-Jeep hinter sich her zieht.

Regisseur Robert Zemeckis kannte die wahre Geschichte von Mark Hogancamp bereits aus der Dokumentation „Marwencol" (2010) von Jeff Malmberg. Aber so eindrucksvoll wie in „Willkommen in Marwen" ließen sich die nahtlosen Übergänge von Hogencamps realer Welt in die Abenteuer-Fantasien mit Action-Puppen mit einer ganzen Menge Rechenpower erst heute gestalten. Die Puppen haben einen Plastiklook, aber bewegen sich fließend wie die echten Menschen, denen sie in Hogencamps Umgebung entsprechen. Ohne Gegenstück ist nur die dämonische Deja Thoris (Diane Kruger), die eifersüchtig jede Frau umbringt, die Hogy zu nahe kommt. Ihre Haare haben aber die gleiche Farbe wie die Betäubungspillen, von denen der Patient Hogencamp viel zu viele schluckt.

Die digitale Trickkiste ermöglicht, eine trotz des brutalen Ereignisses fast nette Geschichte von Verdrängung und Überwindung zu erzählen. Cap'n Hogie kämpft gegen Nazis von 1944, die der Hogencamp von heute nie erlebt haben kann. Dass Deja (Vue?) auch dafür sorgt, dass die Nazis immer wieder kommen, ist einer der wenigen Momente, in denen der friedfertige Film mal deutlich Finger in aktuelle Wunden legt. Ansonsten beschränken sich Zemeckis und seine Ko-Autorin Caroline Thompson („Edward mit den Scherenhänden", „Corpse Bride") auf die übersichtliche Welt in und um Marwen. Unter zu viel Übersichtlichkeit leidet leider auch die Hauptfigur Hogencamp: Sein furchtbares Trauma wird noch gekonnt bitter-süß verniedlicht, aber die Schritte aus der Traumwelt zeigen sich psychologisch sehr grob geschildert.

„Willkommen in Marwen" ist in Inszenierung, Schauspiel und Tricktechnik sehenswert, bei allem Spaß mit den Plastik-Figuren kommen die aus Fleisch und Blut in zwei langen Stunden leider zu kurz.

18.3.19

Vorhang auf für Cyrano

Frankreich 2019 (Edmond) Regie: Alexis Michalik, Thomas Solivérès, Olivier Gourmet, Mathilde Seigner 113 Min. FSK ab 0

„Cyrano de Bergerac" von Edmond Rostand ist das meist gespielte Theaterstück Frankreichs, die gleichnamige Verfilmung mit Depardieu war ein Kinohit und der Stoff überlebte kürzlich sogar Jugendkultur in „Das schönste Mädchen der Welt". Nun hat „Vorhang auf für Cyrano", dieses witzige, geistreiche, sympathische, flotte, hervorragend inszenierte und gespielte Meisterwerk über die Entstehung des Stücks, das Zeug zum kongenialen Nachfolger.

Die Balkonszene ist ein Klassiker: Der Poet mit der großen Nase souffliert unten unerkannt dem hübschen Einfallspinsel, um oben die gemeinsam angebetete Roxane mit wunderschönen Worten zu umgarnen. Im Paris des Jahres 1897 ist es Edmond Rostand (Thomas Solivérès), der unter dem Balkon den Ghostwriter gibt. Der Bühnenautor leidet nach seinem letzten Flop unter bedrohlicher Schreibblockade. Aber in diesem Moment unter dem Balkon, als Edmond seinen stürmischen Freund Léo Volny (Tom Leeb) bremst und die richtigen Worte findet, ist auch die Idee für ein neues Stück da. Bald wird Constant Coquelin (genial: Olivier Gourmet) begeistert, einer der größten, aber leider in Ungnade gefallenen Komödianten seiner Zeit. Der mietet ein Theater, besorgt Mäzene, die ihre ältere Mätresse als Hauptdarstellerin mitbringen, und kündigt eine Premiere in drei Wochen an. Nur hat Edmond noch kein Wort geschrieben...

Wie Edmond Rostand zur Inspiration nun einen intensiven romantischen Briefwechsel mit Léos Garderobiere beginnt, der sein Familienglück bedroht, wie die Eitelkeiten der Theatertruppe und Probleme der Finanzierung die Uraufführung bedrohen, ist in diesem Film ein rasantes, herzlich komisches Vergnügen.

Regisseur und Drehbuchautor Alexis Michalik brachte „Edmond" (so der Originaltitel) 2016 auf die Bühne. Vorbild war ihm der erfolgreiche Film „Shakespeare in Love" von John Madden. In beiden „Biografien" eines Erfolgs-Stücks durchdringen sich Entstehungsgeschichte und das eigentliche Werk. Da vermischen sich auch hier historische Fakten zu Edmond Rostand (1868-1918) mit frei erfundenen Momenten, die umso schöner sind. Während der Autor im Foyer eines Bordells darauf wartet, dass die Entjungferung die Qualitäten eines unfähigen Darstellers entdeckt, sitzt dort zum Beispiel auch Tschechow. Dass nach „Tschechow" ein „Gesundheit" folgt, gehört zu den einfacheren Scherzen, die man verzeiht wie die Leiche unter der Bühne bei der Premiere. Denn den ganzen, ebenso elegant wie zügig inszenierten Film durchdringt eine wunderbare Herzlichkeit. Die allgemeine große Begeisterung für die Bühnen-Kunst verkraftet es locker, dass der Hauptdarsteller seinen unfähigen Sohn einsetzt.

„Vorhang auf für Cyrano" ist nicht nur in den Hauptrollen grandios besetzt, auch die sehr schön lebendigen und menschlichen Nebenrollen wurden bis ins Kleinste hervorragend ausgefüllt. Die Finanziers sind Bordell-Besitzer, die ihren ehemaligen Star als Roxane sehen wollen, und leere Plätze in den Rängen mit aktuellem Personal besetzen. Und alle sprechen bald vor lauter Begeisterung wie das Bühnen-Ensemble in Versen. Was man bei diesem schönen Spaß in erlesenen Kostümen und Paris-Kulissen übersehen könnte, sind die tollen Bilder der Raum-Inszenierung (Kamera: Giovanni Fiore Coltellacci). Die raffinierte Verschränkung von Stoff und Entstehung setzt sich vor allem im Finale elegant im Wechsel von Bühne und Leben fort. Dieses Theater im Theater, das sich als Widerspiegelung des Lebens erweist, ist rundherum ein feiner und kluger Kino-Spaß.

Iron Sky: The Coming Race

Finnland, BRD, Belgien 2019 Regie: Timo Vuorensola, mit Udo Kier, Julia Dietze, Lara Rossi, Vladimir Burlakov, Tom Green 93 Min. FSK ab 12

Es gibt gerade unter den Filmen, die sich notwendigerweise mit alten und neuen Nazis beschäftigen, eine extreme Formenvielfalt: „Willkommen in Marwen" von Robert Zemeckis verlegt die Bewältigung brutaler Neonazi-Gewalt in eine digitale Traumwelt. „Wintermärchen" verirrt sich aufs Unangenehmste in lächerliche Psycho-Spielchen. Und „Iron Sky" ... handelt die Mond-Nazis ab! Eigentlich eine Fußnote des Obskuren, ein extremer Randbereich des Trash-Kinos. Doch das deutsche „Wintermärchen" ist so furchtbar, dass der doppelte Hitler von Udo Kier mit Steve Jobs von Apple als Alien-Scherge des Bösen plötzlich unterhaltsam wird.

Die Chinesen haben gerade erst eine Raumsonde zur Rückseite des Mondes geschickt, um sie aufzuspüren: Die Nazis, die dort in einer Mondstation überlebt haben. (Dabei ist das Klima in Teilen Deutschlands für sie doch viel angenehmer!) So jedenfalls die abgedrehte Idee, mit welcher der Finne Timo Vuorensola seinen ersten „Iron Sky" an die Fans brachte. Nun ist die Erde nach einem Atomkrieg endgültig unbewohnbar und ein Raumschiff rettet sich zur Nazi-Station, die mittlerweile von Überlebenden des ersten Films bewohnt wird. Die junge Obi Washington (Lara Rossi) schmeißt den Laden und muss direkt mal zur Erde düsen. Die ust nämlich hohl und in ihrem Kern schlummert eine unerschöpfliche Energie-Quelle - der heilige Gral. Bewacht von den größten Verbrechern der Weltgeschichte. Nero, Stalin, Hitler, Thatcher, Putin, Religionsführer und Steve Jobs sitzen am Tisch des letzten Abendmahls und sind eigentlich Aliens, die seid Jahrtausenden Menschen aufeinander hetzen.

Klar, hier stolpert eine bescheuerte Idee über die nächste. Auf die Handlung wurde nicht mehr Mühe verwandt, als auf den nächsten digitalen Trick aus dem Heim-Computer. Adolf Hitler reitet auf einem T-Rex und Apple wurde zur Religion. Auch wenn witzige Sprüche der Produktion wohl ganz wichtig waren, sieht der Rest gar nicht so billig aus, wie es sich für einen Trash-Film gehört. Und Religionen als Massenvernichtungs-Mittel oder digitale Spielzeuge als Versklavung der Menschheit sind ja gar nicht so dumm gedacht. Echte Provokationen fehlen - außer man empfindet ein Wagenrennen hinter Dinosauriern als Angriff auf den guten Geschmack.

14.3.19

Wintermärchen

BRD 2018 Regie: Jan Bonny, mit Jean-Luc Bubert, Thomas Schubert, Ricarda Seifried 129 Min. FSK ab 16

„Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe" - diese treffende Zeile des Ärzte-Songs „Arschloch", verfilmt mit viel sexueller Verklemmung sowie unglücklichen und dummen Menschen, die Ausländer ermorden. Das ist über zwei Stunden lang „Wintermärchen" von Jan Bonny. Wenn man rechtsradikale Morde von NSU und Co. so erklären will, braucht man keine bessere Bildung und auch nachher keine Gerichte. Die Wiedereinführung der Freien Liebe reicht - liebt euch!

Ein Versager und eine hysterische Zicke. Er ist ein frustrierter Hanswurst mit Erektionsstörungen und unterdrückter Homosexualität. Sie keift und will es härter. Es macht keinen Spaß mehr. Irgendwas muss passieren, lass uns Leute im türkischen Supermarkt umbringen. Damit es wieder richtig knallt. Filmisch schlecht ausgeleuchtet, zeigt Jan Bonny mit seltsamster Psychologie anstrengend überzogene Aufgeregtheit. Lebt „das Proletariat" immer so einem klebrigen Beziehungskrampf? Haben alle blonden Nazi-Frauen sexuelle Fantasien mit Schwarzen? Ist das ernst gemeint? Der dämliche Möchtegern-Aufreger „Wintermärchen", dieser Softporno im NSU-Milieu, schafft es, dass diese Woche „Iron Sky 2", ein Klamauk um Mond-Nazis, der gesellschaftlich relevantere Film ist.

„Wintermärchen" feierte seine Weltpremiere beim Filmfestival von Locarno. Erzählt wird die Geschichte von Becky, Tommi und Maik, einer dreiköpfigen rechten Terrorzelle, die im Untergrund lebt und mordet. Wenn man rechtsradikale Morde von NSU und Co allerdings damit erklären will, dass Tommi Erektionsprobleme hat, von der hysterisch kreisenden oder depressiven Becky dauernd runtergemacht wird und Maik es beiden richtig besorgt, ist das absurd kurz gedacht. Wie unendlich naiv und unverschämt Jan Bonny argumentiert, ist eine Qual für den Verstand. Schmutzige Bilder und daueraufgeregtes Spiel tun zusätzlich weh.

Die Goldfische

BRD 2019 Regie: Alireza Golafshan, mit Tom Schilling, Jella Haase, Birgit Minichmayr, Kida Khodr Ramadan, Jan Henrik Stahlberg 112 Min. FSK ab 12

Eine WG mit Tom Schilling („Oh Boy"), Birgit Minichmayr („Nur Gott kann mich richten"), Axel Stein („Nicht mein Tag") und Kida Khodr Ramadan („4 Blocks") - klingt klasse! Nur leider - dramaturgisch: zum Glück - hat jeder von ihnen eine Behinderung: Minichmayrs immer besoffene Zynikerin Magda ist blind, Steins Autist „Rainman" braucht eine besondere Behandlung. Der gierige Pfleger Eddy, den Ramadan spielt, hasst seinen Job und Schilling gibt sehr schön glatt den egoistischen Banker Oliver.

Oliver war einer dieser Killer am Lenkrad, für die Regeln nicht gelten, bis ihn die Raserei querschnittsgelähmt in den Rollstuhl brachte. Nur wenige Wochen später hat er überhaupt keine Probleme mit seiner Behinderung, beherrscht seinen Rollstuhl mit links. Aber das Internet im Reha-Heim ist erbärmlich schlecht. Denn der Portfolio-Manager will seine Zockerei mit dem Geld anderer Leute weiter treiben. Aber erst muss er viel Schwarzgeld aus der Schweiz nach Deutschland schmuggeln. Das Finanzamt hat schon Witterung aufgenommen. So gibt Oliver der von ihm verachteten, sehr gemischten Reha-Gruppe „Goldfische" einmal Kamel-Therapie hinter der naheliegenden Grenze aus, um in Zürich seine Bankfächer zu leeren.

Regisseur Alireza Golafshan hat bislang einige Kurzfilme und Regie-Assistenzen gemacht und darf bei seinem Debüt direkt ein ungewöhnlich zusammengewürfeltes Ensemble bespielen. Der Theaterstar Minichmayr und die Kino-Ulknudel Axel Stein? Der Poster-Boy des Arthouse-Kinos Schilling („Brecht") und der Klischee-Gangster harter Gang-Serien Ramadan? Doch mit einer flüssigen bis glatten Inszenierung sieht das bis zum Ausflug in die Schweiz gut aus. Dann werden Tempo und Chaos gesteigert, es fängt an Spaß zu machen.

Der Film wird jetzt doch nicht gleich die Blinde ans Steuer des kleinen Reisebusses setzen ... später doch! Liefen um den egozentrischen Banker beim Videochat in Jackett und Stützstrümpfen eine ganze Reihe Scherze im Stil von Fisch namens Wanda, kommt nun der „Drive" des Road-Movies hinzu. Oliver bleibt ungebrochen weiter ein Arschloch, doch irgendwann auf der Reise mit der netten Gemeinschaft und der überforderten, gutaussehenden Betreuerin Laura (Jella Haase) setzt eine Wandlung zum Menschen ein. Das ist stellenweise etwas frech, oft haarsträubend unlogisch, hat einige klasse Sprüche und zwei, drei geniale Film-Momente. „Die Goldfische" ist eher nett als ein Komödien-Knaller wie „25 km/h". Alireza Golafshan verdiente sich eine zweite Chance - vielleicht mit besserem Drehbuch nicht von ihm selbst.

12.3.19

Trautmann

BRD, Großbritannien, Irland 2018 Regie: Marcus H. Rosenmüller, mit David Kross, Freya Mavor, John Henshaw, Dave Johns, Harry Melling, Gary Lewis 120 Min. FSK ab 12

Die Angst des Torwarts vor den Engländern

Deutsche Torhüter sind auch im internationalen Fußball eine ganz eigene Geschichte. Die wahre von Bernd „Bert" Trautmann ist besonders: Eine von Krieg und Versöhnung, Schuld und Sühne, sowie die, von einem gebrochenen Halswirbel im englischen Pokalfinale 1956. David Kross spielt die Torwart-Legende eindrucksvoll, Regisseur Marcus H. Rosenmüller emanzipiert sich endgültig von bayerischen Heimatfilmen wie „Wer früher stirbt, ist länger tot".

Man mag angesichts reicher deutsch-britischer Fußball-Geschichte gar nicht glauben, dass es vorher auch noch etwas anderes gab. Nämlich einen Krieg mit furchtbaren Luftangriffen auf britische Städte, Zerstörung sowie vielen Toten unter Zivilisten und Militärs. All dies bestimmt die Kriegsgefangenschaft des 21-jährigen Fallschirmjägers Bernd Trautmann (David Kross) in der Nähe von Manchester. Es gibt im Lager stramme Nazis, Widerständler und Fußball - für ein paar Zigaretten hält Trautmann im Lager jeden Elfmeter. Dies Talent entdeckt der örtliche Lebensmittelhändler Jack Friar (John Henshaw), gleichzeitig Coach des abstiegsbedrohten Provinzclubs St. Helens. Und so geschieht das Unglaubliche, dass ein deutscher Gefangener wenige Tage nach Kriegsende einen britischen Club vor dem Abstieg rettet!

Dabei wird „Bert" - wie ihn die Engländer nennen - Trautmann von Manchester City entdeckt. Und trotz anfänglicher Proteste gegen den Träger des Eisernen Kreuzes zum Star und zur Legende, als er während des Cup-Finals 1956 im Londoner Wembley-Stadion seiner Mannschaft mit einem gebrochenen Halswirbel den Sieg rettet.

Entnazifizierung auf dem Fußballplatz - das will man angesichts rechtsextremer Stimmung in deutschen Studien gar nicht glauben. Aber der ebenso unterhaltsame wie eindrucksvolle Film „Trautmann" macht aus der Sportler-Biografie eine gruselige Geschichte von Schuld und Sühne. Denn immer wieder verfolgt den erfolgreichen Torwart das Bild eines Jungen mit Fußball aus Kriegszeiten. Die eigenen Taten und das, was er nicht verhindert hat, machen aus der Historie ein veritables Melodram, eine bitter belastete Erfolgsgeschichte. Die schaurige Metapher des Jungen bringt literarische Qualitäten ins Drehbuch von Regisseur Rosenmüller und seinem Ko-Autor Nicholas J. Schofield.

Trautmanns wahre Geschichte wurde in dieser tollen englisch-deutschen Ko-Produktion etwas pointierter und stromlinienförmiger gebracht, doch sie ist so in der Wirkung ein Volltreffer. David Kross zeigt einen ebenso spielfreudigen wie traumatisierten jungen Mann. Die Angst im Blick beim ersten Spiel unter lauter Engländern gelingt genau wie die kindische Freude zwischen den Pfosten und die Schwere der Kriegsnarben. So völkerverbindend und heilend könnte Sport also tatsächlich sein, wenn es nicht immer wieder nur dieses „Wir" gegen „Die" wäre.

11.3.19

Was Männer wollen (2019)

USA 2019 (What men want) Regie: Adam Shankman, Taraji P. Henson, Josh Brener, Jason Jones, Max Greenfield 117 Min.

Eigentlich erstaunlich, dass es fast zwei Jahrzehnte dauerte, bis die Mel Gibson-Gleichberechtigung eingeführt wurde: Also dass eine Frau das Recht erhält, eine Mel Gibson-Rolle zu spielen. Eine schwarze Frau. Es liegt dabei allerdings hauptsächlich am Drehbuch, dass „Was Männer wollen" nicht so witzig, unterhaltsam und gut ist, wie „Was Frauen wollen".

Nicht auf den Kopf gefallen ist die Idee, dass eine burschikose Sportler-Agentin plötzlich die Gedanken von Männern hört, nachdem sie auf den Kopf gefallen ist. Nun spielt da auch Gedächtnisverlust mit, denn eigentlich erinnern Mann und Frau sich noch sehr gut an die erfolgreiche romantische Komödie „Was Frauen wollen" von der exzellenten Nancy Meyers. Macho Mel Gibson gab den Frauenversteher in einer Werbeagentur. Nun spielt Ko-Produzentin Taraji P. Henson („Empire", „Hidden Figures") die maskulin polternde Ali Davis in einer sehr von Steroiden geschwängerten Sportagentur. Nachdem die Karrierefrau bei der Beförderung wieder übergangen wurde, weil sie angeblich Männer nicht genug verstehe, versteht sie nach ein paar Drogen und viel Party alles, was Männer denken.

Es dauert ziemlich lange, bis der Film sich vor den Kopf schlägt und mit dem Clou herausrückt. Bis dahin muss Ali egoistisch und hysterisch im alten, frauenfeindlichen Sinne durch die Handlung stöckeln. Dabei inszeniert Adam Shankman („Hairspray") in seinem afroamerikanischen und weiblichen Remake alles lieber zu laut als etwas raffiniert. So fällt zu sehr auf, dass Ali erst eine Kakophonie an Gedanken verwirrt und sie dann dramatisch günstig bei Pokerspiel alles brav hintereinander hört.

Später gewinnt „Was Männer wollen" etwas an Gehalt. Nein, nicht direkt finanziell! Ali sieht ihren Egoismus ein und dass sie mit den Gefühlen anderer spielte. Das Schema kennt man nicht nur vom dem weißen Männer-Film „Was Frauen wollen". Und man erkennt, „Was Männer wollen", dass es nicht automatisch besser ist, wenn es nicht mehr weiß und männlich daher kommt.

Destroyer

USA 2018 Regie: Karyn Kusama, mit Nicole Kidman, Sebastian Stan, Tatiana Maslany 121 Min.

Nicole Kidman als „Bad Lieutenant"? Als gebrochene, verrohte Cop-Figur? Das kann nicht wirklich funktionieren und so ist „Destroyer" bei allem Aufwand an Maske und düsterer Atmosphäre kaum ein mittelmäßiger Gangster-Film.

Wie bei der Routine des TV-Krimis liegt am Anfang eine Leiche rum. Nur hier ist der Tatort ein Abwasserkanal des sonnenüberfluteten Los Angeles und man fragt sich, ob die ermittelnde Polizistin LAPD-Detective Erin Bell (Nicole Kidman) nicht noch schlechter aussieht als der Tote. Wie ein übernächtigtes Gespenst schlurft die Betrunkene heran, die Kollegen bedauern, verlachen und suchen sie seit langem. Markierte Geldscheine von einem Überfall starten in Bells Kopf zwei verschachtelte Rückblenden.

Denn die Scheine stammen aus einem Bankraub vor 17 Jahren, an dem die junge Polizistin undercover beteiligt war. Ebenfalls heimlich für die Polizei unter Gangstern war ihre große Liebe. Einiges ging schief, und nun meldet sich der damalige Anführer Silas (Toby Kebbell) zurück.

Im Umfeld von „Destroyer" wird von der Werbung eine große Welle gemacht, weil Nicole Kidman mal eine dieser Rollen übernimmt, für die sich Schauspieler körperlich schinden und nachher in Promotion-Interviews viel drüber reden. Man sieht tatsächlich eine ganz andere Kidman - oder ist das wieder Cherize Theron als „Monster"? Aber zuerst sieht man eine übertriebene Maske. Dieses kaputte, eingefallene und müde Gesicht erschreckt etwas. Dann ist man doch mehr damit beschäftigt, sich in der etwas unübersichtlichen Handlung zurecht zu finden.

Als „Kaputter Cop", weibliche Version, ist irgendwas nicht verarbeitet worden, muss viel zu viel gesoffen werden und gilt Hoffnung als Fremdwort. Das Düstere im hellen Los Angeles bekommt Karyn Kusama, die Regisseurin des wesentlich eindrucksvolleren „Girlfight" mit Michelle Rodriguez, noch ganz gut hin. Doch Kidman hat trotz schmieriger Lederjacke und strähniger Perücke nicht die Substanz, so einen kaputten Charakter auszufüllen. Und es ist auch schwer glaubhaft, dass diese Figur sich gleichzeitig kläglich um die entfremdete Teenager-Tochter bemüht, dann aber als Polizistin aus einem Banküberfall ein Massaker macht, weil sie eine der Beteiligten als Spur zum alten Boss braucht. Klar, diese Erin Bell ist eigenwillig, unkontrollierbar, geht gnadenlos über Leichen, um ihr eigenes Ziel zu verfolgen. Wenn man diesen wandelnden Abgrund dann nur mäßig interessiert verfolgt, stimmt Einiges am Film nicht.

Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks

Frankreich 2018 Regie: Alexandre Astier, Louis Clichy 85 Min.

Die ganze Welt wandelt sich im Sauseschritt. Die ganze Welt? Nein, Filme über ein kleines gallisches Dorf werden immer noch wie früher erzählt. Selbst wenn der neue „Asterix"-Film nach klassischem Zeichentrick und Realfilm nun zum zweiten Mal als digitale Animation daherkommt, bleibt es die gleiche Geschichte. Die inhaltlich etwas dünn wirkt.

Fällt ein Druide vom Baum. Eigentlich kein Beinbruch, doch beim Druiden Miraculix löst der Beinbruch eine große Endzeit-Krise aus. Ein Nachfolger zur Bereitung des überlebenswichtigen Zaubertranks muss gefunden werden, sonst kann sich das kleine gallische Dorf nicht mehr gegen Cäsars Römer verteidigen. So weit die übersichtliche Handlung, die mal nicht auf einen der vielen, seit 1959 veröffentlichten Asterix-Bände basiert. Doch auch im 14. Film seit „Asterix der Gallier" (1967) bleiben die Bestandteile die gleichen: Sich ständig prügelnde Dorftrottel, gehtzte Römer und Wildschweine, Wortspiele und Namenswitze wie der Schweizer Druide Zürix, Genre-Parodien und Film-Anspielungen wie der Senator Tomcrus. Nun hat diesmal Tomcrus aber gar nichts von Tom Cruise. Eine sinnlose Pointe.

Die digitale Animation macht Asterix und Obelix zwar so knuffig rund wie die alten Spielfiguren, doch in der neuen Tiefe gibt es nichts zu entdecken. Knollige Nasen und Dickschädel, aber dünne Charakter-Zeichnung. Da interessiert es schon gar nicht mehr, dass sich die dicken Freunde Asterix und Obelix selbstverständlich wieder streiten und trennen.

Das Wiedersehen bekannter Gesichter und Geschichten ist eher für recht junge Fans gedacht. Die bekommen als Anachronismus auch einen steinernen Keypad zum Türöffnen, ein wenig „Star Wars" mit dem neuen Schüler Emporkömmlix, der sich gegen böse Kräfte wehren muss. Von den „X-Men" borgten sich der Wildschein streichelnde Oberschurke Dämonix die Superkräfte. Die Action-Spannung am Ende gibt fast den altmodischen Charme für ein Riesenmonster, einen römischen Transformer, auf.

„Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks" ist kein neuer, nur ein weiterer „Asterix"-Film. Resteverwertung, auf die niemand gewartet hat.

5.3.19

White Boy Rick

USA 2018 Regie: Yann Demange, mit Richie Merritt, Matthew McConaughey, Bel Powley 112 Min. FSK ab 12

Der Niedergang der ehemaligen Autostadt Detroit in den 1980er Jahren zog viele menschliche Dramen nach sich. Die wahre Geschichte von Rick Wershe Jr., der als Teenager vom FBI als Informant angeheuert wurde und drei Jahre später eine lebenslange Freiheitsstrafe erhielt, könnte eine typische Gangster-Biografie von Martin Scorsese sein. Doch Regisseur Yann Demange („71: Hinter feindlichen Linien", „Top Boy") überhöht die deprimierenden Verhältnisse nicht für ein Genre-Drama. Bei „White Boy Rick" ist nichts Schillerndes zu finden - was den Filmbesuch zu einer niederschmetternden Erfahrung macht.

Wie Rick mit seinem Vater Richard Wershe Sr. (Matthew McConaughey) illegale Schnellfeuerwaffen handelt und aufmotzt, wirkt noch raffiniert. Dabei ist der Senior schon eine tragische Gestalt, die ein prekäres Leben mit nur einem Fuß in der Gesetzlosigkeit noch als akzeptabel erachtet. Nicht nur weil die Tochter Dawn (Bel Powley aus „Mary Shelley") ein hoffnungsloser Junkie ist, gehen Deals mit Drogen gar nicht. Papa ist deswegen entsetzt, als Rick durch Druck von ein paar skrupellosen FBI-Beamten (großartig: Jennifer Jason Leigh) immer mehr in diese Szene abrutscht. Letztendlich verraten die Gesetzeshüter den Spitzel, den sie mit Drogen zum Verkauf versorgt haben, und Rick wird als 17-Jähriger zu lebenslangem Gefängnis verurteilt.

Darren Aronofsky („Mother!", „The Wrestler ") ist einer der Produzenten und man erinnert sich an die Spirale des Niedergangs im umwerfenden Drogenfilm „Requiem for a Dream". Hier gäbe die Geschichte die gleichen Voraussetzungen her, doch die Ausführung ist nüchtern bis ernüchternd. Der Feststellung furchtbarer Lebensumstände lässt sich so rein gar nicht Weiteres abgewinnen. Der hoffnungslose Glaube an eine Wendung ins Positive bei der von Matthew McConaughey noch am eindringlichsten gespielten Vaterfigur, wirkt besonders deprimierend. Dass der 49-Jährige Rick 2017 begnadigt wurde, ist eine Fußnote des Abspanns.

Vom Lokführer, der die Liebe suchte

BRD 2018 Regie: Veit Helmer, mit Miki Manojlović, Denis Lavant, Maia Morgenstern, Paz Vega 90 Min. FSK ab 6

„Vom Lokführer, der die Liebe suchte" - das klingt nach Gefühl und Poesie in vollen Zügen. Doch hinter der schönen Fassade von Veit Helmers Balkan-Märchen läuft ein alter Diesel-Motor. Besserer Titel: Vom alten Mann, der die Frau mit der passenden Körbchengröße suchte.

Veit Helmer erzählt gerne wortlos mit Bildern und auch dieses Bild prägt sich wieder ein: Wenn der Zug durch Bakus ärmlichen Vorort Shanghai fährt, heißt es, Schachtische einklappen, Wäscheleinen einziehen und Kinder reinholen. So eng ist die Gasse der Schienen zwischen den Häusern, dass einige in die Haustür springen müssen, wenn der Zug kommt. Ein kleiner Junge warnt vorher, indem er mit seiner Pfeife rennend den Zug ankündigt.

Klar, dass die Lok trotzdem einiges mitnimmt, mal ein Betttuch, mal einen roten Ball. Und der Lokführer (Miki Manojlovic) ist ein gutherziger Mann, der abends immer alles zurückbringt. Nur diesen einen Spitzen-Büstenhalter, den er schon vorher in einem Fenster erspähte, den behält er bis nach seiner Pensionierung. Und dann zieht er von seinem Bergdorf in die emsige Gasse, um die Frau zu finden, der dieser BH passt.

Ja, dies ist ein umgekehrtes Aschenputtel, und dementsprechend ist der BH mal zu klein, mal wider erwarten zu groß, wenn sie ansonsten Push Up trägt. Mal schlagen ihm die Frauen mal die Tür vor der Nase zu, mal wollen sie ihn gar nicht mehr weglassen, was leidlich komisch sein soll. Was das auch für eine bescheuerte Idee ist, wird spätestens bei der Parade gescannter Brüste klar, als der Lokführer einen Mammographie-Röntgenbus kapert. Die passende Körbchengröße einer Frau ohne Gesicht als gesuchte Liebe zu verkaufen, darauf muss man erst mal kommen!

Aber Veit Helmer („Tuvalu", „Tor zum Himmel") kommt bei seinem Balkan-Märchen ohne Sprache noch auf andere Dinge, und die sind zumindest nett anzusehen. Der stille Held durchwandert auf dem Heimweg ein idyllisches Tal, darüber liegt ein malerisches Dorf und auch die Armut sieht in diesen Bildern sehr reizvoll aus. Der aus Kusturicas „Underground" bekannte Hauptdarsteller Miki Manojlovic steht für den Spaß an einfachen, skurillen Balkan-Geschichten, in denen die Geschlechter-Verhältnisse für die Männer noch übersichtlich sind. Diese erstaunlich wenig anzügliche Poesie der Skurrilität rettet sich am Ende damit, dass der passende Busen nicht gefunden wird, dafür aber ein Freund.

4.3.19

Beale Street

USA 2018 (If Beale Street Could Talk) Regie: Barry Jenkins, mit KiKi Layne, Stephan James, Colman Domingo 120 Min. FSK ab 12

Das bedrohte Leben einer jungen schwarzen Familie in den USA der 70er-Jahre ist Thema des nächsten filmischen Aufschreis gegen Rassismus und Klassen-Justiz. "Moonlight"-Regisseur Barry Jenkins erschüttert bei der Verfilmung eines Romans von James Baldwin mit einer stillen Anklage und großen Gefühlen.

Die Geschichte von Tish (KiKi Layne) und Fonny (Stephan James) ist vor allem eine Liebesgeschichte - in rassistischen Zeiten. Das junge Paar aus dem ärmlichen, schwarzen Harlem ist seit Kindertagen eng befreundet. Der sanfte Übergang zur Liebe ist ebenso ein filmisches Gedicht, wie die vielen anderen Liebesbekundungen von Tish als Erzählerin. Die liebevollen Dialoge im Off um eine unglaublich rührende Verbindung kann selbst Tishs heftige Schwiegermutter nicht verbittern. Zu herzlich kümmern sich die eigenen Eltern um die bald schwangere 19-Jährige.

Doch ungewöhnlich - oder eigentlich typisch - für das Leben eines jungen Schwarzen aus einem „Problemviertel" ist, dass Fonny fälschlicherweise verhaftet und angeklagt wird. Eine Puerto-Ricanerin wurde vergewaltigt und „erkennt" den Schwarzen, den die Polizei ihr vorzeigt. Bald darauf verschwinden alle Zeugen, nur Fonny muss im Gefängnis bleiben.

Schon in „Moonlight" wurde das Coming-out eines jungen Schwarzen aus einem Drogendealer-Umfeld über drei Lebensphasen vor allem mit leisen Tönen emotional ergreifend erzählt. Barry Jenkins braucht nicht die große Spannungskurve oder extreme Momente, um tief zu berühren. Nun verfilmte Jenkins den gleichnamigen Roman des US-Autors James Baldwin als berührende Liebesgeschichte im Amerika der 70er-Jahre. Denn tatsächlich, bei all der schockierenden Missjustiz und der rassistischen Polizei-Gewalt, ist „Beale Street" eine wunderbare Liebeserklärung. Mit leichter, schwebender Musik-Begleitung (Nicholas Britell) gibt es - anders als Spike Lee inszenieren würde - niemals die große dramatische Entladung. Dafür oft intensive Blicke direkt in die Kamera. James Laxton zeigt eine traumhafte Kameraarbeit, ein Spiel mit dem Licht, das man sich hundertfach an die Wand hängen könnte.

So bliebt ungewöhnlicherweise viel Unmittelbares über ein Leben als unterdrückte Minderheit hängen, aber vor allem wirkt ein Gefühl von Hoffnung und Glück nach, das sich selbst durch widrigste Umstände nicht unterkriegen lässt.

The Sisters Brothers

Frankreich, Belgien, Rumänien, Spanien 2018 Regie: Jacques Audiard, mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed 121 Min. FSK ab 12

Ein Xylophon in der Western-Kneipe ist ebenso ungewöhnlich wie ein Agent für Auftragskiller, der in literarischer Sprache kaum verständliche Briefe schreibt. Vor allem in einem Umfeld blutrünstiger, gnadenloser Killer und kaputter Typen, die dringend Psychotherapie bräuchten. „The Sister Brothers" ist weder ein richtiger Western, noch der erwartete neue Film des gefeierten Regisseurs Jacques Audiard.

1851 jagen in Oregon zwei berüchtigte Auftragskiller den Erfinder einer Wunderformel zum einfachen Goldwaschen. Die Sisters Brothers heißen mit Nachnamen Sisters und sind Brüder, was im Englischen als „Brüder Schwester" reichlich komisch klingt. Der ältere Eli (John C. Reilly) hält den Laden zusammen, während Charlie (Joaquin Phoenix) dauernd säuft und selbst für einen Revolverhelden zu schießwütig ist. Kontaktmann zum ominösen „Commodore" ist bei der Suche nach der Wunderformel Jim Morris (Jake Gyllenhaal), ein komischer Vogel in diesem komischen Wilden Westen.

„The Sisters Brothers" wurde bei den Filmfestspielen Venedig 2018 mit dem Silbernen Löwen für die Beste Regie ausgezeichnet und übrigens mitproduziert von den Brüdern Dardenne aus Lüttich - bislang nicht als Westernfan verdächtig. Was auch für den Regisseur Jacques Audiard selbst gilt: Die Reihe bemerkenswerter Filme, für die er international die größten Preise erhielt, lassen sich keinem Genre zuordnen. Man sollte bei Audiard das Genre „Besonders intensiver Dramen mit getriebenen Menschen in extremen Situationen" einführen. Für „Ein Prophet" gab es in Cannes 2009 den Großen Preis, für „Dämonen und Wunder - Dheepan" ebenda 2015 die Goldene Palme.

Davon unterscheidet sich „The Sisters Brothers" nun erheblich. Eli und Charlie Sisters sind vom ersten brutalen Revolver-Gemetzel an eher Vertreiber als Getriebene. Sie haben die sechsschlüssige Macht in ihren Händen. Dass der Auftraggeber ihrer Morde sie irgendwann selbst jagen lässt, nimmt man eher als Genre-Element der Erzählung wahr, als dass es menschlich berührt.

Ansonsten zeigt „The Sisters Brothers" viel dreckiges, unspektakuläres Abknallen. Bis zum Niedergang, in dem die Schießereien nur noch als fließender, fliehender Epilog ohne Details verlaufen. Als Material für den Psychologen gibt es Albträume vom gewalttätigen Vater und den Streit um die Führungsrolle zwischen den Brüdern.

Die Hauptrollen wurden Stars schräg besetzt, die bereits auf schräge Kunst spezialisiert sind. Der Komödiant John C. Reilly überlebt nach Oliver Hardy in „Stan & Ollie" oder Watson in „Holmes & Watson" weiter den Spagat ernster und blöder Szenen, wenn er als liebevoller Fürsorger auch die ersten Zahnbürsten ausprobiert. Joaquin Phoenix zeigt sich verrückt wie meist.

Trotzdem gelingen Audiard wieder ungemein starke Momente, wenn Charlie das Wort „Prestige" tatsächlich auskotzt und damit den irren Konkurrenzdruck unter den bekanntesten Killern ausdrückt. Und als zentrales, prophetisches Bild der Goldgräber-Gier die toten Tiere am chemisch ausgebeuteten Fluss und die verätzten Goldsucher daneben.

3.3.19

Mid90s

USA 2018 Regie: Jonah Hill, mit Sunny Suljic, Lucas Hedges, Katherine Waterston,
Na-kel Smith, Olan Prenatt 85 Min. FSK ab 12

Die ersten Regie-Arbeiten von Schauspielern sind - ob gelungen oder nicht - oft prätentiös. Da muss jemand beweisen, was er alles gesehen und gelernt hat. Jonah Hills, das bekannte Gesicht aus „21 Jump Street" , „The Wolf of Wall Street" und vielen populären Filmen macht es anders. Sein Regiedebüt, eine Zeitreise in die 90er, ist begeisternde Filmkunst voll mit authentischem Lebensgefühl.

Stevie (Sunny Suljic) ist ein strahlender kleiner 13-Jähriger mit staunenden Augen. Das Zimmer des großen Bruders mit dessen Musiksammlung betritt er wie einen Schrein. Nachher gibt es brutale Prügel von dem gestörten und aggressiven Jugendlichen. Ganz anders die Atmosphäre unter den ebenfalls älteren Skatern im Skateshop der Gegend. Ruben, Ray, „Fuckshit" und „Fourth Grade" hängen dort und an den Plätzen der Stadt ab. Skaten ist in den 90ern noch keine Attitüde für verwöhnte Wohlstands-Kinder, sondern gelebte Rebellion, die schon mal von der Polizei aufgemischt wird.

Die Kids liefern immer wieder witzige Dialoge. Aber nicht platt witzig für die nächste Pointe oder ein weltweites Publikum, hier glaubt man jung und damals dabei zu sein. Man glaubt dieser Clique überhaupt, was sie sagen, beziehungsweise ihren Erinnerungen. Dabei hilft die Präsenz der jungen Profiskater Na-kel Smith (Ray) und Olan Prenatt (Fuckshit).

Die Jugenderinnerungen des bekannten Schauspielers Jonah Hill in seinem Regie-Erstling „Mid90s" wurden auf 16mm-Film gedreht. Im alten, quadratischen TV-Format, fängt der tolle, frische Film die Atmosphäre unter den jugendlichen Skatern in Los Angeles Mitte der 90er ein. Jonah Hill erzählt fragmentarisch und endlich mal gibt es keine Erfolgsgeschichte, kein Skate-Wettbewerb im Finale. Klassisch allerdings ist das Auseinanderfallen der Freundes-Clique. Die daraus folgende Katastrophe wird mutig und hart geschnitten.

Auch die Filmmusik (Trent Reznor, Atticus Ross) ist unkonventionell und sehr gelungen: Kurze ungewöhnliche Musik-Clips von den Pixies bis zum Wu-Tang Clan akzentuieren gegen den Strich. Andere verstärken ganz besonders wunderbare der vielen wunderbaren Momente mit Morrissey oder HipHop.

Hill hatte 2007 seine erste Hauptrolle unter den Fittichen von Produzent Judd Apatow mit „Superbad". Bei Apatow spielte er auch in „Walk Hard: Die Dewey Cox Story" und in „Männertrip" (2010). Hinter der Kamera setzte Hill mit den Drehbüchern (zusammen mit Michael Bacall) für „21 Jump Street" (2012) und „22 Jump Street" (2014) erste Akzente. Mit Channing Tatum sah man ihn dabei auch vor der Kamera. Nun zeigt „Mid90s" ein weiteres Gesicht: Hier will jemand anders erzählen und nicht nur seien Idolen nacheifern. Trotz des bekannten und oft dem flachen Komödien-Genre verhafteten Typen auf dem Regiestuhl, ist dies einer der frischesten Filme des Jahres.