26.3.07

Herzen


Frankreich, Italien 2006 (Coeurs) Regie: Alain Resnais mit Sabine Azéma, Isabelle Carré, Laura Morante, Pierre Arditi, André Dussollier, Lambert Wilson 120 Min.
 
Alain Resnais ist Kinolegende: "Letztes Jahr in Marienbad" war schon im letzten Jahrtausend, genauer im Jahr 1961. Vorher drehte er "Hiroshima, mon amour" und "Nacht und Nebel", eine erschütternde Holocaust-Dokumentation. Resnais ist also ein über den Moden und Zeiten stehender Meister der (fiktiven und dokumentarischen) Leinwand, der trotz seiner nun fast 85 Lebensjahre (!) immer noch mit formaler Innovationskraft überrascht. So setzte er Ayckbourns "Smoking / No Smoking" in einen zweiteiligen Film um, dessen Simulation von Interaktivität zu insgesamt sechzehn Enden führte. Und dann "Das Leben ist ein Chanson" - die verrückteste und französischste Variante des "Musicals" überhaupt. Nun realisierte der Franzose mit seinem vertrauten Team einen der pessimistischsten Kinokammerspiele seiner letzten Jahre.
 
Der Winter in Paris lässt jede Fröhlichkeit der Figuren wie vergebliche Versuche erster Blüten wirken. Das Lächeln des Maklers Thierry (André Dussollier) hält sich mühsam im Gesicht. Zaghaft und verlegen reagiert er auf die Angebote seiner schrulligen Mitarbeiterin Charlotte (Sabine Azéma), ihm eine verpasste, dröge religiöse Kultursendung auf Video auszuleihen. Aber Thierry ist höflich, kuckt sich den Quark tatsächlich an und wacht zu lustvollen Lauten auf. Da wurde doch auf dem Band ein heftiger Heimporno von der hehren Kultur überspielt! Thierry (miss-) versteht nun die Ausleihe als Anmache und es folgt ein Krampf aus ungelenkem, ungeübtem sozialen Umgang.
 
Wie Gaelle (Isabelle Carré), die jüngere Schwester Thierrys, den lüsternen Fernsehabend auch falsch interpretiert und ihre verzweifelte Einsamkeit hinter moralischer Aufregung versteckt, ist eine andere Geschichte: Die einsame Büromaus verfällt dem abgeschmackten Charme des depressiven Trinkers Dan (Lambert Wilson), der wiederum gerade von seiner wohnungssuchenden Frau Nicole (Laura Morante) rausgeworfen wurde. Das alles beobachtet Barkeeper Lionel (Pierre Arditi) im Hin und Her vor seinem Tresen.
 
Wie dieser wiederum Thierrys Sekretärin Charlotte als Pflegerin des bettlägerigen, unverschämt lüsternen und launischen Vaters einstellt, gehört zu den besten Momenten der "Coeurs". Hier schlägt das einsamste Herz der Geschichten, hier kann die verdrehte Frau aber auch ihre andere Seite als peitschenschwingende Lederlady ausleben. Bis es einem Herz zuviel wird...
 
"Herzen" ist erneut ein typischer Resnais, aber doch einzigartig: Es sind die Sets, die in Reduzierung und Künstlichkeit an Bühnenbilder erinnern. Doch diesmal sind sie noch menschenleerer, einsamer. Nicht zufällig führen immer wieder Makler Menschen durch idealisierte, leblose Modellwohnungen. Vertraut sind auch die Schauspieler, quasi die Leinwand-Familie von Resnais. Wieder schrieb das Buch Alan Ayckbourn, der mit seinen über 70 Stücken zu den am häufigsten gespielten englischsprachigen Bühnenautoren gehört – nach William Shakespeare. "Private fears in public places" lautet der passende Titel der Vorlage. In den leisen Tönen der feinen Figurenzeichnungen sind die Ängste erschreckend fühlbar. Bis zum wundersamen, wunderbaren Moment am Ende, wenn es wieder schneit. In der Küche von Lionel wohlgemerkt!

Die Herbstzeitlosen


Schweiz 2006 (Die Herbstzeitlosen) Regie: Bettina Oberli mit Stephanie Glaser, Annemarie Dürringer, Heidi Maria Glössner, Hanspeter Müller-Drossaart 86 Min.
 
Dass es in Alpentäler hoch hergehen kann, wussten einst die Schmuddelfilmchen der Sechziger. Dass mit Sechzigern und sogar mit siebzigjährigen Damen noch ziemlich viel los ist, zeigt diese herzliche Heimat-Komödie mit liebvollem Blick. "Die Herbstzeitlosen" waren DER Kinohit der Schweizer im vergangen Jahr.
 
Das Leben von Martha im Schweizer Bergdorf sieht so trostlos aus, wie ihr Tante-Emma-Laden. Der Sohn, Dorfpfarrer der Gemeinde, kümmert sich - ebenso um die Immobilie wie um die Mutter. Sein Drängen, sie möge den Laden schließen und sich endgültige in den Ruhestand abschieben lassen, hat fast Erfolg. Doch im letzten Moment bringt Lisi, die wilde Träumerin, Martha auf eine Idee: Sie solle doch endlich die Dessous nähen und verkaufen, von denen sie ein ganzes Leben lang träumte. Mit Hilfe ihre drei Freundinnen realisiert Martha tatsächlich ihre Kollektion aufreizender Wäsche mit originellen Heimatmotiven. Sie wird ein Hit im Internet und ein Skandal im engstirnigen Dorf. Selbst der Sohn wettert mit dem ganzen Drohkanon seiner Kirchenmacht, die Bibelgruppe exkommuniziert ihren Übungsraum, aber die tapferen alten Damen geben nicht auf...
 
"Die Herbstzeitlosen" bietet einen sympathischen Spaß beim Aufbrechen von Klischees: Wenn die wunderbaren Ladys mit ihrem Unruhestand die Bauerntrottel aufmischen, bleibt kein Auge trocken. Das ist dem Buch der Deutschen Autorin Sabine Pochhammer und der wohlmeinenden Regie von Bettina Oberli zu danken. Aber vor allem den grandiosen Schauspielerinnen, die in der Schweiz seit Jahrzehnten bekannt sind.

Stellas Versuchung


GB 2005 (Asylum) Regie: David MacKenzie mit Natasha Richardson, Ian McKellen, Marton Czokas, Hugh Bonneville 99 Min.
 
Inmitten einer tödlich langweilig gemusterten Gemeinschaft sumpft Stella (Natasha Richardson) in ihrem Frust: Sie folgte dem Gatten Dr. Max Raphael mit dem Sohn in eine, auf dem Lande abgelegene psychiatrische Anstalt. Nun wird das Leben im England der späten 50er so geschildert, dass für jeden noch minimal lebendigen Menschen jedwede Flucht erstrebenswert scheint. Doch diese Anstalt ist eine von denen, wo nicht klar ist, auf welcher Seite der Gitterstäbe die wahren Gefangenen sitzen.
 
Stella verfällt jedenfalls dem einzigen interessanten jungen Mann der Umgebung, dem Patienten Edgar Stark. Erkundungen bei den Ärzten über dessen Vergangenheit erhalten unklare Antworten und so kümmert sich Stark erst um den Garten und dann um den Körper der Hausherrin. Diese verspürt eine zunehmend wahnsinnige Anziehung und bricht mit allen Regeln, um bei ihrem Geliebten zu sein. Doch: Wer in der Psychiatrie lebt, sollte nicht im Glashaus die Kleider von sich werfen. Es kommt zum Eklat und später zu Katastrophe. Der ältere Doktor Peter Cleave (Ian McKellen) zeigt sich anfangs als stiller, aber eifersüchtiger Beobachter. Wie er seine Fäden spinnt, überrascht und lässt schaudern.
 
Der Begriff "amour fou" - wahnsinnige Liebe - bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn Frauen, die sich nicht mit der Trostlosigkeit ihrer Position abfinden, in der Psychiatrie landen. Was als dichte Psychostudie mit geschliffenen Dialogen und sehr schönen Bildern beginnt, endet extrem dramatisch. Das kann man mögen oder nicht. Eindrucksvoll bleibt vor allem Natasha Richardson in einer Rolle, für die sich fünf Jahre lang kämpfte. Vorlage des Films ist der Roman "Asylum" (dt. Titel: Stella) von Patrick McGrath. Ian McKellen ist wieder eine Kategorie für sich. Wer ihn nur als "X-Man" oder als Gandalf kennt, verpasst bei diesem Edelmann der britischen Schauspieler-Creme sein wirkliches Können.
 

25.3.07

Hollywood-Star eröffnet Filmfestival Maastricht


Maastricht. Nicht nur die Fakten des "Film Festival Maastricht" (FFM), das gestern feierlich eröffnet wurde, beeindrucken: Vom 25. März bis zum 1. April werden im Filmtheater Lumiere mehr als 50 Filme in 120 Vorstellungen zu sehen sein. Zur Gala lud Maastrichts Bürgermeister Gerd Leers 200 Gäste in das Kinocenter Minerva, das man den ganzen Tag für dieses Event reservierte. Der schwedische Schauspieler Stellan Skarsgård war Star auf dem Roten Teppich. Mit seinen Rollen zwischen ausgezeichneten Arthouse-Filmen wie "Breaking the Waves" oder "Dancer in the Dark" und populärem Mainstream wie "Fluch der Karibik" in dem er - unter Tintenfischmaske - den Geister-Piraten Bootstrap Bill spielt, entspricht der europäische Star dem Charakter des europäischen Filmfestivals.

Aber auch der Schulterschluss zwischen Film und Politik ist bemerkenswert: Mit der Eröffnung des Filmfestivals feierten EU-Botschafter, Filmgrößen, lokale Politiker und Bürger der Stadt auch den Vertrag von Rom, der vor exakt 50 Jahren unterzeichnet wurde. Zur niederländischen Vor-Premiere des Films "Goyas Geister" von Milos Forman lud man Jubilare ein, die dieses Jahr zwischen dem Datum der Unterzeichnung der Maastrichter (7.2.) und der Römische Verträge (25.3.) fünfzig Jahre alt wurden.

Diesen besonderen Stellenwert hat sich die Filmkultur unter engagierter Führung von Jan Besselink über Jahrzehnte in der Maas-Stadt erarbeitet. Mit dem florierenden Filmtheater Lumiere und dem FFM, das nun im dritten Jahr unabhängig vom großen Partner Rotterdam agiert. Und nun seinerseits Entwicklungshilfe bietet. Auch für Aachen, das heute und morgen ein Mini-Festival im CineKarree feiern darf. Mit Filmen wie dem neuen Daniel Brühl "Salvador" (Mo. + Di. 19.30 Uhr), der überraschend spannende Anlagebetrugs-Dokumentation "Die Hochstapler" (Mo. 22 Uhr) und brandneuen Kurzfilmen von Studenten aus der Euregio (Di. 22 Uhr) setzt sich das ebenso anspruchsvolle wie populäre Programm Maastrichts jenseits der Grenze fort.

Dass neue geographische Grenzen in Europas Osten einen thematischen Schwerpunkt bilden, überdeckt dabei die unsichtbaren Grenzen, die der Film noch vor der Haustür zu überwinden hat. Festivalleiter David Deprez und sein Team mussten das ursprüngliche Konzept aufgeben, dieselben Filme in den beteiligten Städten Maastricht, Aachen und Tongeren zu zeigen. Das strikte Rechtediktat der Filmverleiher macht den grenzüberschreitenden Austausch unmöglich, der für Kaffee oder Fußballer mittlerweile selbstverständlich ist. Es gibt noch einiges zu tun in Europa.

22.3.07

Dieter Schleip - Große Musik statt großer Töne


Maastricht/Aachen. Sie stehen oft im Scheinwerferlicht der glänzenden Scheinwelt Film. Sie haben aber auch die Bodenhaftung nicht verloren. Stellan Skarsgard und der Münchener Komponist Dieter Schleip sind die prominentesten Gäste des Filmfestivals Maastricht-Aachen-Tongern 2007 (25.3. - 1.4.).

Stellan Skarsgard dreht Filme in Hollywood, lebt aber lieber in Schweden, wo ihm nicht "jeder Taxifahrer sein Drehbuch aushändigt". Er wird am Eröffnungstag, den 25.3. in Maastricht sein, wenn dort "Goyas Geister" läuft, in dem Skarsgard - an der Seite von Javier Bardem und Nathalie Portman - den spanischen Maler verkörpert. Dieter Schleip stammt aus Aachen, komponiert in München für junge Regisseure und filmisches Urgestein wie Dominik Graf. Der mehrfach ausgezeichnete Musik, der nicht so sehr frustriert wie Wiederholungen hat sich begeistert bereit erklärt, am engagierten Kinofilm junger Aachener Regisseur mitzuarbeiten. Schleip wird mit seinem aktuellen Film "Die Hochstapler" am Montag (22 Uhr) im Cinekarree sein.

Es sind auch im Film meist richtig gute Geschichten, wenn einer seiner Heimat den Rücken kehrt, in der großen Welt Erfolg findet und dann wiederkehrt. Dieter Schleip - geboren 1962 in Aachen - ist Autodidakt, brachte sich das Komponieren und das Spielen der Instrumente mit der Heimorgel seines Vaters und der Wandergitarre seiner Schwester selbst bei. Als E-Gitarrist und Keyboarder der Punk-Band "Catch 22" wurde es ihm bald zu "eintönig". Dieter gründete mit anderen das "Aachener Filmhaus" und schrieb erste Musiken für Kurzfilme seiner Kumpel.

"Ich hatte mich gefragt, wie ich meine Liebe zum Film und zur Musik am besten verbinden kann. Die einzige Antwort auf diese Frage ist für mich, Filmmusik zu machen". (Dieter Schleip)

1987 zog der Aachener nach München, arbeitete als Tonmeister am Theater, lernte junge Film-Studenten kennen. 1995 gab es mit der Musik zu "Roula" den Durchbruch, 2000 den "Deutschen Fernsehpreis" für zwei Fernsehfilme. Nach der Beziehungskomödie "2 Männer, 2 Frauen - 4 Probleme!?", dem hoch gelobten Drama "Roula", "Die Einsamkeit der Krokodile" und "Der Felsen" war "Der Rote Kakadu" ein weiterer Kinofilm auf Schleips Erfolgsliste. Er überrascht immer wieder mit einer Vielfalt der Stile, produziert mal aufwändig mit großem Orchester, mal prägnant mit begrenztem Instrumentarium. Der Komponist sieht es als Lob an, dass er nicht direkt wieder erkennbar ist. Wie etwa Hollywood-Kollege Hans Zimmer, der seinen Stil in Kleinserie von Handlangern imitieren lässt.

So zeigen "Die Hochstapler", die im Filmfestival Maastricht-Aachen am 26.3. zu sehen sind, auch musikalisch viele Gesichter. Wobei es schon ungewöhnlich ist, das eine Dokumentation mit symphonischem Score auftrumpft. "Die Hochstapler" (Regie Alexander Adolph) sind vier Männer, die ein besonderes Wissen weitergeben: Wie man andere belügt, betrügt, manipuliert, für dumm verkauft, wie sie sich Geld, Aufmerksamkeit und Liebe erschwindelt haben - und was das Lügen mit einem anstellt.

Daneben arbeitete Schleip, der immer noch was gegen Eintöniges hat, mit drei jungen Aachenern zusammen: Die drei Regisseure von "Rebell Film" - Bahman Nedaei, Babak Ghassim und Ben Ouatarra - bezeichnen sich selbst als "internationale, junge Gruppe mit Ambitionen, die eingerostete, deutsche Filmindustrie zum nächsten Level zu führen". Sehr dynamisch gewannen sie für ihre Kurzfilme schon Preise bei den "Aachen Hotspots 04" und dem "Euregio Filmpreis". Jetzt gehen sie ihren ersten Kinofilm an, die Szenen sind abgedreht, man sitzt gerade am Schnitt. Es geht um einen Brandanschlag auf eine türkische Familie, die eine ganze Stadt in Aufruhr gebracht hat. Ausländische Jugendliche mischen die Stadt auf. Sie schüren Hass gegen Deutsche, und wollen Rache. Die Protagonisten sind ein deutscher, ein türkischer und ein afrikanischer Jugendlicher. Ihre Geschichten werden sich kreuzen und vereinen. "Entweder finden sie ihre Identität, oder gehen an ihr kaputt", sagen die Film-Rebellen zu ihrer Story. Das ist zwar eine andere Generation, aber die Energie dieser jungen Kreativen erinnert an einen Punk-Gitarristen, der vor zwanzig Jahren aufbrach und jetzt ganze Orchester nach seinem Taktstock spielen lässt.


Von Dieter Schleip auf CD erschienen:
- Roula - Dunkle Geheimnisse (1996, Colosseum Nr. CST-8056)
- 2 Männer, 2 Frauen, 4 Probleme (1997, BMG Ariola Nr. 74321522632)
- Die Einsamkeit der Krokodile (2001, Koch Classics Nr. 3-6968-2)
- Der Felsen (2002, all score media Nr. ASM 011)
- Liegen lernen (2003, Labels 7243 593 444 23)

http://www.dieter-schleip.de


Programm Aachen, Cinekarree
Montag, 26. März
19.30 Uhr: Avant-Premiere SALVADOR mit Daniel Brühl
21.30 Uhr: Eröffnungsempfang im Restaurant Regie / Cinekarree
22.00 Uhr: Aachen-Premiere DIE HOCHSTAPLER mit Dieter Schleip (Komponist, Aachen/München)

Dienstag, 27. März
19.30 Uhr: Avant-Premiere SALVADOR mit Daniel Brühl
22.00 Uhr: European Student Shortfilms mit 3 MÄNNER aus Aachen

Weitere Infos unter:
http://www.cinekarree.de/ (Link: Filmfestival 2007 unter "Specials")
http://festival2007.lumiere.nl/index_html

20.3.07

The Number 23


USA 2007 (The Number 23) Regie: Joel Schumacher mit Jim Carrey, Virginia Madsen, Danny Huston 98 Min. FSK: ab 16
 
Walter Sparrow (Jim Carrey) langweilt sich als desinteressierter Hundefänger durchs Leben. Bis ein Hund ihn zu einem Grab führt und seine Frau zufällig den Roman "The Number 23" kauft. Nach den ersten Seiten ist Walter von der Zahl 23 besessen. Sie steckt in allem und weist auf einen mysteriösen Zusammenhang. Mehr und mehr Parallelen zwischen dem Romanhelden, dem Detektiv Fingerling (Jim Carrey), und seinem eigenen Leben entdeckt Sparrow. Mit reichlich Erschrecken, denn Fingerlings Weg ist reichlich blutig und endet tragisch. Nun scheint der Leser das nächste Opfer der Zahl 23 zu werden...
 
Reichlich verrätselt verläuft das Spiel mit den zwei Erzählebenen und die Auflösung braucht am Ende fast fünfzehn Minuten, um alles halbwegs zu erklären. Abgesehen von einem gewissen ästhetischen Reiz der Inszenierung mit vielen digitalen Tricks, die Joel Schumacher ("Flatliners", "Falling down" uvm.) routiniert hinlegt, packt diese Masche nicht mehr richtig. Liegt es daran, dass wir im Kino zu oft auf diese Holzwege geführt wurden? Oder liegt es am zwiespältigen Clownsgesicht von Jim Carrey? Neben Grimassen versuchte der Star bei "Man on the Moon" oder "Truman Show" immer mal wieder Gefühle und Gehalt in sein Gesicht zu zwingen - mit wechselndem Erfolg. Nun spielt er bemüht, passt sich aber nie richtig in die Rolle des Familienvaters mit der dunklen Seite ein. (Dies ist übrigens Jim Carreys 23. Kinofilm!)

Die Fälscher


BRD, Österreich 2006 (Die Fälscher) Regie und Buch: Stefan Ruzowitzky mit Karl Markovics, August Diehl, Devid Striesow 98 Min. FSK: ab 12

Erstaunlich sicher begibt sich der Genre-Regisseur Stefan Ruzowitzky in die Hölle eines KZ und erzählt dort eine spannende, teilweise komische, dramatische und historische Geschichte. Ein leichter Mainstream-Stil präsentiert essentielle Fragen von Widerstand und Opportunismus.

Es ist eine unglaubliche Geschichte: Ausgerechnet KZ-Häftlinge sollten die beste Geldfälscher-Werkstatt der Welt aufbauen. Mit massenhaft hergestellten Blüten plante ein Sonderkommando der Nazis erst die britische und dann die amerikanische Wirtschaft zu schwächen. Nach den Erinnerungen des Zeitzeugen Adolf Burger machte der Österreicher Stefan Ruzowitzky aus der historischen Fußnote der "Operation Bernhard" eine spannende Kinogeschichte.

Der clevere Fälscher Sally Sorowitsch (Karl Markovics) genießt das Vorkriegsberlin in Saus und Braus. Zur Tarnung seiner Fälscherwerkstatt dient eine beliebte Nachtbar. Pässe macht Sorowitsch auch, doch immer nur gegen Bezahlung, da macht der jüdische Zyniker keinen Unterschied. Eine Nacht mit einer schönen Flüchtigen bricht ihm das Genick, der Kommissar Herzog (Devid Striesow) erwischt den lang Gesuchten. Aus Zuchthaus wird KZ, mit blutigen Händen malt Sorowitsch Porträts von eitlen Untersturmführen und sichert sich eine bevorzugte Behandlung. Doch der eiskalte Herzog spielt wieder Schicksal. Als SS-Offizier und Experte für Fälscher richtet er mitten im KZ Sachsenhausen eine Werkstatt mit Spezialisten aus vielen Fachrichtungen ein. Hier wird Papier geschöpft, bastelt man an exklusiven Druckmaschinen, mischt geheime Farbrezepte nach und feilt an Druckplatten. Während von außen der mörderische Alltag nur akustisch hereindringt, genießt die abgeschirmte Spezialabteilung einen Goldenen Käfig.

Aber gegen die Willkür Herzogs hilft nur die schwierige Solidarität der Gemeinschaft aus rassistisch, politisch oder einfach kriminell Inhaftierten. Ein junger Russe gibt sich als Drucker aus und muss, als er schwer erkrankt, auch noch vor den Bewachern versteckt werden. Der Menschenkenner Sorowitsch will sich wieder durchlavieren, doch als Gegenpol fordert der idealistische Drucker Adolf Burger (August Diehl) die Sabotage der kriegsverlängernden Fälscherei.

"Man passt sich an oder man geht drauf", lautet das Motto Sorowitschs. Darüber lässt sich trefflich diskutieren. Auch wenn der menschenverachtende Scherzkeks Herzog zu sehr Schablone ist, die Schrecken des KZs setzen einen eindringlichen Maßstab für persönliches Handeln.

Stefan Ruzowitzky begeisterte anfangs mit dem modernen Alpen-Drama "Die Siebtelbauern", danach enttäuschte er mit den banalen Splatter-Filmchen "Anatomie" und der dümmlichen Kriegstravestie "All the Queens Men". Aber die historische Arbeit brachte ihm zumindest Erfahrung, die er hier völlig überraschend zu einem rundum gelungenen Drama vor ernstem Hintergrund wandelte.

Alpha Dog


USA 2006 (Alpha Dog) Regie: Nick Cassavetes mit Ben Foster, Shawn Hatosy, Emile Hirsch 118 Min.
FSK ab 16
 
Da trifft ein ernsthafter Filmemacher, ein exzellenter Regisseur von Familiengeschichten auf eine Figur der Klatschseiten, auf einen jungen Kriminellen, der so fragwürdig Karriere machte, dass auch dieser Film ihm nichts abgewinnen kann. So kann sich das Boulevard ein paar intime Einblicke in das Leben des lang vom FBI gesuchten und noch nicht verurteilten Jesse James Hollywood erhoffen. Dessen fiktive Umsetzung Johnny Truelove in Cassavetes Film "Alpha Dog" geriet allerdings so uninteressant, dass man sich wieder auf die Familienbande der verwöhnten Kleingangster konzentriert. Diesen Fokus begleiten viel Lärm und Gewalt.
 
Reiche Kids aus Kalifornien handeln mit Drogen und imitieren die Videos der Gangster-Rapper. Wenn sie sonst keine Probleme haben ... könnte man diese besonders unsinnig verlorene Generation abschreiben. In unserem Fall kommen Überdosen Steroide und Adrenalin hinzu und führen zum Drama, dass man nicht unbedingt als solches sehen muss: Johnny Truelove (Emile Hirsch), ein Dealer aus dem kalifornischen San Gabriel Valley, hat Probleme mit einem seiner Kuriere. Jake (Ben Foster) schuldet ihm ein paar Hundert Dollar und tickt nach einer Ermahnung vor Wut für mehrere Tausend Dollar aus. Johnny nimmt daraufhin - eher zufällig als irgendwie geplant - Jakes 15-jährigen Halbbruder Zack als Geisel. Der wird in der Gang herumgereicht, was eher einem Partymarathon als einem Verbrechen gleicht. Zack findet das auch alles ganz große Klasse, kifft und flirtet wie blöd.
 
Doch das Jüngelchen stirbt letztlich wegen einer juristischen Absurdität: Für eine Entführung erwartet den Drogendealer "lebenslänglich". Ein Mord ist angeblich nicht so schwerwiegend. Nun muss ausgerechnet Frankie (Justin Timberlake), dem Zack besonders ans Herz gewachsen ist, den Mord erledigen.
 
Mit inszenierten Kommentaren über das Geschehen und bekannten Schauspielern (Bruce Willis, Sharon Stone, Harry Dean Stanton, Timberlake) bekommt die Gangster-Pistole ein Gewicht, dass sich vielleicht nur Fans berühmter Krimineller erschließt. Ein Verfall von Moral ist zu sehen, lässt einen aber auch kalt. Ist diese Welt zu weit von uns weg? Verstellen uns gerade Stars wie Justin Timberlake und Bruce Willis den Blick auf soziale Feindarstellung? Trotz vieler Drehbuchänderungen - hauptsächlich wegen juristischer Probleme - konzentriert sich die Entwicklung allein in einem kleinen Drama, einem großen Blödsinn. Die Figuren sind durchgehend statisch. Der neue Film von Cassavetes ist eine Enttäuschung.

Hände weg von Mississippi


BRD 2007 (Hände weg von Mississippi) Regie: Detlev Buck mit Zoe Mannhardt, Katharina Thalbach, Christoph Maria Herbst 100 Min. FSK: o.A.

Kin'ers, das müsst ihr sehen! Keiner wird glauben, dass die Enkel von Tom Sawyer und Pippi Langstrumpf irgendwo in Meck-Pomm ihr Unwesen treiben. Doch dank des gleichnamigen Romans von Cornelia Funke ("Herr der Diebe") und der wunderbaren Regie von Detlev Buck ("Karniggels", "Knallhart") ist "Hände weg von Mississippi" zum besten Kinderfilm seit langen Zeiten geraten.

Nein, keine neue Rechtschreibreform: Hände weg "von" Mississippi ist richtig, denn Mississippi ist ein Pferd. Die 10-jährige Emma (Zoe Mannhardt) rettet es aus einem Stall, als sie während der Ferien ihre Oma Dolly (Katharina Thalbach) auf dem Land besucht. Mississippis Besitzer, der alte, eigensinnige Klipperbusch, verstarb kürzlich. Dessen hinterhältiger Neffe Gansmann (Christoph Maria Herbst), ein "Alligator mit schleimigem Lächeln" (O-Ton Kinder), überlässt Dolly gegen gutes Geld den lästigen und störrischen Mississippi.

Emma freundet sich wie der "Kleine Prinz" langsam mit dem Pferd an, versteht dessen Verhalten und Wesen. Derweil erfährt Gansmann, dass von Klipperbusch erbt, wer gerade Mississippi pflegt. Jetzt startet der gierige Städter mit Hilfe eines dämlichen Gehilfen reihenweise Gemeinheiten, um Mississippi zurück zu bekommen. Allerdings ist Emma viel zu clever, um sich von so einem schmierigen Typen einwickeln zu lassen. Dank der flotten Oma Dolly und des anhänglichen Veterinärs geht die Geschichte richtig gut aus.

"Buck is back" hieß es vor einer Weile beim neuen Film von Detlev Buck. Jetzt, nach dem rau realistischen "Knallhart" ist Buck tatsächlich zurück bei seinen Anfängen im Norden Deutschlands - geographisch grob gesehen. Wie in Schleswig-Holstein "Erst die Arbeit und dann...", "Karniggels" und "Hopnick" mit trockenem Humor amüsierten, macht in Mecklenburg-Vorpommern die Funke-Verfilmung nur Spaß. Störche, Hängebauchschweine und Eselchen bevölkern das nette Dorf in schöner Landschaft. Comicartig gezeichnete Erwachsene, die nicht alle das Herz am richtigen Fleck, aber ihre Zunge nie verschluckt haben, treffen auf gewitzte Kinder, die selbstbewusst wissen, wo es lang geht.

Neben der Entdeckung Zoe Mannhardt in der Rolle Emmas, kann Buck haufenweise gute Gesichter rankarren: Die Herbst-Wochen gehen weiter mit Christoph Maria Herbst ("Stromberg", "Neues vom Wixxer") als Kinderschreck und der Erwachsenen Freude. Katharina Thalbach hat sichtlich Spaß als unkonventionelle Großmutter. Heidi Kabel, die Ur-Oma des Volkstheaters, ist zusammen mit Tochter noch einmal zu sehen. Buck macht sich selbst in seiner Lieblingsrolle als dummer Bulle zum Deppen, während kleine Zitate auf die Kinderbuch-Klassiker "Tom Sawyer" und Pippi Langstrumpf verweisen. Die Musik von Canned Heat bis BossHoss erzählt vom Evergreen "Country" - oder synchronisiert: Heile Heimatwelt. Die sich allerdings mit Hilfe der Kinder erfolgreich gegen Discounter und Globalisierung wehren muss.

12.3.07

Der letzte König von Schottland


Großbritannien 2006 (The Last King of Scotland) Regie: Kevin Macdonald mit Forest Whitaker, James McAvoy, Kerry Washington 123 Min. FSK: ab 16

Nach "Bobby" von Emilio Estevez begeistert auch "Der letzte König von Schottland" als packender Spielfilm, der engagiert auch von Welt und Politik erzählt: Der Afrika-Trip eines jungen schottischen Arztes führt Anfang der Siebziger Jahre direkt in den inneren Kreis der Macht um den neuen ugandischen Präsidenten Idi Amin. Dass dies auch ein Herz der Finsternis ist, entdeckt der ebenso rebellische wie naive Schotte zu spät.

Nicholas Garrigan (James McAvoy) nutzt den Abschluss seines Medizinstudiums zum großen (Auf-) Bruch: Statt in die Praxis seines Vaters tritt er in die große Politik ein - auf Umwegen: Nicholas ist ein lebenslustiges Jüngelchen mit gutem Herzen bis er in einer unglaublich intensiven Szene auf Idi Amin (Forest Whitaker), den neuen Präsidenten Ugandas trifft. Es kommt zum ungleichen Trikottausch: Das Uniformhemd des Generals gegen Garrigans T-Shirt mit "Scotland"- Aufschrift. Garrigan fährt bald darauf im Auto des Präsidenten durchs Land, wird Leibarzt, Freund und macht nebenbei Staatsgeschäfte. Es ist eine fröhliche Party im engsten Kreis der Macht. Nur kurz überlegt der Quereinsteiger, wo denn eigentlich seine Vorgänger abgeblieben sind...

Nicht nur im gemeinsamen Hass gegen die Briten finden sich der Schotte und der ehemalige englische Kolonialsoldat Amin. Der früh als brutaler Schlächter und Kannibale verrufene General begeistert sich für den jungen Arzt wegen dessen unangepasster Art. Garrigan sagt was er denkt, wandelt sich aber auch zu einer Art Hofnarr. Zu lange verteidigt der Europäer den selbstbewussten Afrikaner, der eines der ersten freien Länder des Kontinents regiert, es aber dank zunehmender Paranoia mit Terror überzieht.

Der Jähzorn, der absolutistische Wille des 1,90 Meter großen, 100 kg schweren großen Kindes Idi Amin wird sensationell und preisgekrönt (BAFTA Award, Golden Globe, Oscar) von Forest Whitaker verkörpert. Kameramann Anthony Dod Mantle ("Das Fest", "Mifune") bringt den direkten, unruhigen Stil der Dogma-Filme hier in einen ganz anderen ästhetischen Zusammenhang. Und er funktioniert auch dabei großartig. Die fiktionale Geschichte über einen ganz realen Diktator, der in acht Jahren Herrschaft 200.000 - 500.000 Menschen ermorden ließ, basiert auf dem gleichnamigen Roman des englischen Journalisten Giles Foden aus dem Jahre 1998. Das Drehbuch schrieb Peter Morgan, der schon in "The Queen" (Regie: Steven Frears) über die Britten herzog.

Zu einem eindringlichen und erschreckenden Meisterwerk fügte der Dokumentarist Kevin Macdonald ("Touching the Void", "Ein Tag im September") alles zusammen. Dabei bietet er genügend Material für eigene Beobachtungen an. Der Vergleich etwa zwischen den ärmlichen Gesundheitsverhältnissen auf dem Land und den luxuriösen Klinik in der Hauptstadt Kampala. Es gibt Action bei Attentatsversuchen, Angst bei paranoiden Ausbrüchen Amins, enorm starke, eindringliche Bilder wie das Blut, das Garrigan wie nebenbei an seinen Händen findet. Doch das Psychogramm eines Diktators ist das dunkle Herzstück dieses gewaltigen Films.

11.3.07

Das Schnitzelparadies


Niederlande 2005 (Het Schnitzelparadijs) Regie: Martin Koolhoven mit Mounir Valentyn, Bracha van Doesburgh, Mimoun Oaissa, Tygo Gernandt, Yahya Gaeir 82 Min.
 
Der Hit der Jahres 2005 in den Niederlanden! Was eine Warnung sein sollte, denn die erfolgreichsten Filme sind selten die besten. So gelangt das äußerst mäßige "Schnitzelchen" über die Grenze, während filmische Filetstücke unentdeckt bleiben.
 
Nordip (Mounir Valentyn) ist ein richtig assimilierter Marokkaner-Sohn in den Niederlanden. Der Musterschüler und Stolz seines Vaters, eines kleinen Händlers, wird selbst von der Polizei nicht diskriminiert. Aber Nordip weiß nicht richtig, was er machen soll mit seiner Zukunft und seinem Cum laude-Zeugnis. So nimmt er einem Job als Abwäscher in der Küche des Hotels "Zum Geier" an. Da ist die Chefin scharf auf ihn, die bleichgesichtigen Idioten in der Küche machen ihn runter. Holländer, Marokkaner, Serben und Türken bilden einen wenig originellen Mikrokosmos. Doch noch bevor Nordip anfängt, den Berg an dreckigem Geschirr anzugehen, fällt sein Blick auf die blonde Hotel-Erbin Agnes, die ihm das Herz raubt. Was nicht gut gehen kann, denn ihre Eltern halten nichts von so einer Multikulti-Beziehung.
 
Das "Schnitzelparadies" bildet keineswegs den Hintergrund für Romeo und Julia in der Hotelküche. Es ist ein TV-Filmchen von gerade mal achtzig Minuten, mühsam mit Zeitlupe und unerträglichen Liedchen auf gefühlte zwei Stunden gestreckt. Die Musik klaut kreuz und quer durch Europa, hat selten mit Bezug zur Szene. Da gibt es Flamenco-Klänge für Agnes und Bregovic-Imitat immer wenn es komisch sein soll. Die Kamera schwenkt fröhlich umher, als suche sie Filmkunst irgendwo in der Umgebung. Oder auch nur den Ausweg aus dieser lahmen, platten Komödie.
 
Der dämliche Bruder Nordips, die Kommentare des überstolzen marokkanischen Vaters und seiner traditionellen Freunde - Klischees versammeln sich vor allem in den Nebenfiguren. Doch eigentlich besteht die ganze Handlung aus zusammen geschusterten Klischees bis zur ganz kleinen Flucht durch Tulpenfelder. Dazu die schrägen Typen in der Küche, der psychotische serbische Schlachter Goran, der türkische Depp der Truppe, der eklige Vorarbeiter Sander und als Küchenchef aus einem Comic. Ein dauernd besoffener, immer grad heraus fluchender Captain Haddock. Vielleicht sollen wir ja begreifen, dass Nordip freier von familiären Zwängen ist, als die niederländische Hotelerbin Agnes. (Und "Zum Geier" soll wahrscheinlich auf die skandalöse Restaurantkette De Valk anspielen.)
 

6.3.07

Strajk - Die Heldin von Danzig


BRD, Polen 2006 (Strajk) Regie: Volker Schlöndorff mit Katharina Thalbach, Andrzej Chyra, Dominique Horwitz 108 Min. FSK: ab 12
 
Streit um Strajk! Mit den besten Absichten hat Volker Schlöndorff einen wichtigen Moment neuerer europäischer Geschichte verfilmt. Und bekommt dafür vor allem in Polen eine Menge Ärger. Nicht nur bei der Initialzündung Polens freier Gewerkschaft Solidarnosc gibt es mehr als eine Sicht der Dinge.
 
Volker Schlöndorffs kehrt nach seinem Oscar-Erfolg (hier ginge aufgrund der Hauptfigur Oskarchen, ausnahmsweise auch: Oskar-Erfolg) "Die Blechtrommel" und dem NS-Schelmenroman "Der Unhold" wieder nach Polen zurück. Die Leninwerft in Danzig ist das Pflaster einer persönlichen Geschichte, die letztendlich zum Fall des Eisernen Vorhangs und zur Neuordnung Europas führte.
 
Die energische Kranführerin Agnieszka (Katharina Thalbach), einst Heldin der Arbeit, wehrt sich gegen Ungerechtigkeiten auf der Leninwerft und wird entlassen. Ihre Kollegen treten darauf in den Streik. Sie zeigen sich solidarisch, das sind die Anfänge der polnischen Solidarnosc.
 
Ins Zentrum der Ereignisse von 1960 bis 1980 setzt Schlöndorff eine Randfigur, die kleine Kranführerin und alleinerziehende Mutter Agnieszka, beeindruckend gespielt von Katharina Thalbach. Diese fiktive Figur basiert teilweise auf der wahren Geschichte von Anna Walentynowicz. Diese beschwert sich nur über "ihr Porträt", die deutsch-polnische Koproduktion kam auch im polnischen Kino nicht besonders gut an. Was wohl eher an ideologischen Vorbehalten und nicht an den Qualitäten des neuen Schlöndorff liegt.

Mitten ins Herz - Ein Song für Dich


USA 2006 (Music and Lyrics) Regie: Marc Lawrence mit Drew Barrymore, Hugh Grant, Brad Garrett 104 Min. FSK: o.A.

Ein äußerst populärer Film, das ist bereits klar! Mit zwei Schätzchen, zwei Volltreffern im Publikumsgeschmack wie Drew Barrymore und Hugh Grant kann die romantische Nichtigkeit nur "Mitten ins Herz" gehen. Da braucht man eigentlich gar kein Drehbuch. Zumindest kein besonders originelles...

Wer war eigentlich der andere bei Wham? Der neben dem späteren Superstar George Michael herumhüpfte? Genau so eine musikalische Gedächtnislücke ist auch Alex Fletcher (Hugh Grant), die vergessene Hälfte von "Pop". Heute ist Colin der Star und keiner erinnert sich an Alex. Das Fernsehen will ihn nur noch für das Allerletzte: Box-Shows! Doch - Wunder über Wunder - Cora, der größte Star der Welt, "größer als Brittney und Christina zusammen", ist sein größter - und vielleicht einziger? - Fan. Als sie sieben war, half einer seiner Songs ihr über die Scheidung der Eltern. Jetzt hat sie ein Freund verlassen und sie hätte gerne einen neuen Song von Alex, um den Schmerz zu verarbeiten. Außerdem ist noch eine Lücke im neuen Album, das in wenigen Tagen fertig sein muss.

Allerdings hat Alex seit zehn Jahren kein Lied mehr geschrieben, und texten konnte er noch nie. Zum Glück gibt es die chaotische Haushaltshilfe Sophie Fischer (Drew Barrymore), ein süßer Tollpatsch, eine Chaos-Frau in Sachen Blumenpflege. Aber ein Genie, wenn es darum geht, einen Reim perfekt zu vollenden. Wenn sie losquasselt, ist es pure Poesie. Und obwohl sie anfangs nicht will, raufen sich Alex und Sophie für den nächsten großen Hit zusammen.

Wie bei vielen Filmen vollzieht auch "Mitten ins Herz" eine totale Kehrtwende: Anfangs kann man sich grandios über furchtbar alberne Musikclips amüsieren, der Vorspann ist der schmerzliche 80er-Videoclip "Pop Goes my Heart" von der extrem peinlichen Band "Pop", irgendwo zwischen Modern Talking und Wham angesiedelt. Hugh Grant verführt selbstverständlich auch als netter, entspannter und tief frustrierter Verlierer. Herrlich das Gekreische um diesen älteren Mann, der die Hüften bis zum Rückenschmerz schwingt und damit sehr erwachsene Frauen zur Ekstase bringt. Grant ist wieder der süße, etwas oberflächliche Charmeur. Der immer eine Weile braucht, zu begreifen, was wirklich wichtig ist. Aber auch der Film kümmert sich erst in der zweiten Hälfte um Sophies Probleme und dramaturgisch ist die ganze Phase des Songschreibens nur netter Leerlauf. Man kann Drew und Hugh zuschauen, schmunzeln und fragt sich, was der Film noch bringen wird. Eins ist dabei sicher: Falls sich der angepasste Alex und die ehrliche Haut Sophie eventuell kriegen sollten, erklingt dabei bestimmt ein wunderschön romantisch-kitschiger Finalsong. Womit die Wende vollzogen sein wird.

Bobby


USA 2006 (Bobby) Regie und Buch: Emilio Estevez mit Demi Moore, Anthony Hopkins, Elijah Wood, Sharon Stone, Freddy Rodriguez, Shia LaBeouf, Lindsay Lohan, Nick Cannon 117 Min. FSK: ab 12
 
Menschen im Hotel und die Hoffnungen einer ganzen Welt: Schauspieler Emilio Estevez gelang in seiner grandiosen Regiearbeit eine beeindruckende Mischung aus menschelnden Geschichten und einer großen, tragische gescheiterten Utopie. Kurz vor dem Mord am Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy versammelt das Ambassador-Hotel in Los Angeles zahlreiche Geschichten...
 
Los Angeles, Anfang Juni 1968. In Kalifornien wird abgestimmt, wer für die Demokraten gegen den ungeliebten Präsidenten Nixon antritt. Das Ambassador beherbergt die Wahlkampfzentrale Bobby Kennedys, aber "Bobby" zeigt sich nur am Ende in einigen besonders bewegenden Szenen. Vorher erleben wir große und kleine Geschichten: Demi Moore monologisiert als alternder, alkoholkranker Vegas-Star. Die Chef-Manikeuse des Hotels (Sharon Stone) macht eine junge Braut (Lindsay Lohan) zurecht, die heiratet, um wenigstens einen jungen Mann (Elijah Wood) vor dem Tod in einem weiteren unsinnigen Krieg zu retten. Ein Ehepaar (Martin Sheen, Helen Hunt) bewältigt seine Depressionen. Der Hotelchef (William H. Macy) feuert den rassistischen Küchenmanager und betrügt seine Frau. Zwei Wahlhelfer erleben ihren ersten LSD-Trip. Der verschmitzt altersweise Ruheständler (Anthony Hopkins) liefert sich Rede- und Schachduelle mit einem Kollegen (Harry Bellafonte). Mexikaner und Schwarze streiten in der Hotel-Küche, wie man den Weißen ein paar Rechte abtrotzen könnte, was macht man mit der Wut, die in einem steckt...
 
Die grandiose Darstellerriege gestaltet diese Episoden einnehmend. Vor allem spürt man den gemeinsamen Nenner der Geschichten, die auf einen kulminierten Höhepunkt von Wahlparty, Hochzeit und Entlassung zulaufen. Emilio Estevez (selbst als Manager des Vegas-Star zu sehen) gelang nach mäßigen Regie-Versuchen ("Men at Work") ein dramaturgisches Meisterwerk, das die zerstörten Hoffnungen einer Gemeinschaft mit den Tragödien der Menschen im Hotel zu verbindet. Dabei - und das sieht man nicht alle Tage - fungiert eine politische Rede im Originalton als emotionaler Höhepunkt. Auf dem demokratischen Senator Robert "Bobby" Kennedy ruhten nicht nur die Hoffnungen, den Vietnam-Krieg zu beenden. Auch in Sachen Chancengleichheit, Armut und Umweltverschmutzung versprach er neue Ansätze. Kennedys Rede gegen die Politik der Angst, der Konfrontation wirkt dabei hochaktuell. Wie heute hängt die USA in einem extrem mörderischen, Milliarden verschlingenden Krieg. Statt Ausgleich wird auf geradezu kindische Weise Konfrontation gesucht. Dieser tragisch endende Moment einer kurzen Hoffnung, wird geschickt mit dokumentarischen Aufnahmen inszeniert. Dabei erstaunt weniger die technische Umsetzung. Es ist der in allen Szenen mitklingende Zeitgeist, dessen Verbluten im Finale so erschüttert.

Pathfinder


USA 2006 (Pathfinder) Regie: Marcus Nispel mit Karl Urban, Moon Bloodgood, Russell Means 100 Min.
FSK: k.J.
 
Bei der letzten Invasion ließen die grausamen Wikinger ein trotziges Kind (siehe "Asterix bei den Normannen"), einen jungen Kriegsdienst- und Mord-Verweigerer, in Nordamerika zurück. Dieser "Ghost" wächst zu einem weißen Indianer heran, lebt in der friedlichen Gemeinschaft von Jägern und Händlern. Bis die Wikinger wiederkehren und das Dorf von Ghost vernichten. Der junge Krieger sähe jetzt rot, wenn die ganze Sache nicht so dunkel und düster gefilmt wäre.
 
Der deutsche Werbefilmer Marcus Nispel ("Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre") macht hier wieder aufwändig Werbung für Gewalt, die im Kontext der minimalen Geschichte als lebensnotwendig und unvermeidlich erscheint. Während Filmautoren wie Terrence Malick mit "The New World" auf gleichem Terrain, einige Jahrhunderte später, die Verständigung, das Nebeneinander wenigstens als Möglichkeit zulassen, verfällt dieser "Pfadfinder" auf das ausgelatschte Schema der Dämonisierung. Dabei pickte man sich aus der oscarnominierten, norwegischen Vorlage Nils Gaups aus dem Jahre 1987 vor allem die Action-Elemente heraus.
 
Diesmal sind "wir" die amerikanischen Ureinwohner. Die anderen (diesmal die Wikinger) bleiben unverständlich und bekommen Untertitel eingebrannt. Dass sie böse sind, erkennt man schon an den martialischen Rüstungen, den Panzern, Hörnern. Wie aus einer Tolkien-Verfilmung entlaufene Ringgeister. Das Dämonische wird durch ein Sounddesign mit vielen Schreckmomenten verstärkt. Die körperlich wie technisch überlegenen Eindringlinge bekämpft Ghost mit Guerilla-Taktik. Wobei nun gar nicht mehr deutlich ist, wer beim Bezug auf heutige Eindringlinge nun wer ist.
 
Die nicht jugendfreie Schlittenfahrt der Action-Spielereien, das Mordsspiel ohne Grenzen zeigt sich ästhetisch irgendwo zwischen "Apocalypto" und "Der 13. Krieger". Dazu gehören auch ziemlich drastische Szenen, denen ein ebenso großer ästhetischer Aufwand angedieh. Zu viel Aufwand für noch eine dieser Schlachtplatten, die immer besser aussehen, aber im Denken furchtbar rückschrittlich bleiben.