29.9.09

Das Geheimnis des Regenbogensteins


USA, Vereinigte Arabische Emirate 2009 (Shorts) Regie: Robert Rodriguez mit Jimmy Bennett, Jake Short, Kat Dennings 89 Min.
 
Robert Rodriguez, der mit Tarantino meist ziemlich heftige Erwachsenen-Filme dreht, vergnügt auch mit einer Serie von frechen und rasanten Kinderfilmen wie „Spy Kids“. Sein neuer, sehr unpädagogischer Spaß heißt im Original Shorts und erzählt völlig unchronologisch in einer Serie von Kurzfilmen was ein Wunschstein in Regenbogenfarben im verrückten Ort Black Falls anstellt. Mini-Aliens und riesige Popel sind Folgen des Problems von Wünschen, die sich erfüllen. Der Stein landet in falschen Händen oder Rachen, und schon gibt es Krokodile, die auf zwei Beinen laufen. Und wenn man sich telekinetische Kräfte wünscht, sollte man das Wort richtig aussprechen können. Fantasiereich, nicht brav, nicht realistisch Rodriguez macht selbst aus der Zahnpflege von Zahnspangen einen Filmspaß.

Gigante


Uruguay, BRD, Argentinien, Spanien, Niederlande 2009 (Gigante) Regie: Adrián Biniez mit Horacio Camandule, Leonor Svarcas, Fernando Alonso 88 Min. FSK ab 6

Ein großer „kleiner Film“, der Abräumer bei der Berlinale und bei allen folgenden Festivals: „Gigante“ zeigt einen gutmütigen Riesen. Jara (Horacio Camandule) arbeitet als Wachmann in einem Supermarkt und kontrolliert Nacht für Nacht die Überwachungskameras. Jara redet nicht viel, frisst sich vor Langeweile noch mehr Bauch an. Irgendwann zoomt er auf das Gesicht der Putzfrau Julia (Leonor Svarcas), die ihn fortan nicht mehr loslässt. Er folgt ihr mehr oder weniger unauffällig nach der Arbeit, lenkt den Geschäftsführer von der nächste Pfütze ab, die Julias Ungeschicktheit verursacht hat. Nicht nur Jara blickt immer wieder in den Spiegel, auch das Spiel mit den Überwachungskameras kehrt sich um. Irgendwann erwischt Julia ihrerseits Jara über den Monitor.

Jara bleibt ein gütiger Gigant bis Julia mit einem Kollegen aus dem Kontrollbereich der Kameras verschwindet und Jara darauf im Keller verdächtige Geräusche hört. Er löst die Sprinkler aus - und scheucht zwei seiner Kollegen mit runtergelassener Hose auf. Als er merkt, dass seine Putzfreundin im Rahmen einer Entlassungswelle gefeuert wurde, dreht er richtig durch. Ein Happy End am Strand gibt es aber trotzdem...

„Gigante“ erzählt eine kleine Geschichte und ist großes Kino - spätestens, wenn Julia auf einem der langen Gänge einen kleinen Kaktus mit Grußkarte findet. Schon die Bilder der Putzkolonne, die mit ihren Wischmobs die Gänge aufmarschiert, machen Spaß. Dieser Humor ist ein leiser. Nur mal ganz kurz blitzt Slapstick auf, wenn Jara beobachtet, wie Julia langsam aber unbeirrbar auf eine riesige Wand von Papierrollen zuwischt, die dann auch über sie zusammenpurzelt. Oder man hört, nachdem ein Taxifahrer Julia übel anmachte, erst im Off ein wiederholtes Hupen. Nach dem Schnitt sieht man, wie Jara den Kopf des Rüpels immer wieder auf den Lenker knallt. Ohne Kommentar.

Die Romanze des Aufpassers und der ungeschickten Putzfrau ergibt einen ungemein sympathischen Film, der ganz einfach die Sicht eines großen Kleinen Mannes einnimmt und ganz alltäglich das Wunder einer schönen Liebe erzählt. Ein Wohlfühlfilm, auch weil er ohne alle abgeschmackten Hollywood-Klischees auskommt. Auf der Berlinale gewann "Gigante" den Silbernen Bären, den Alfred-Bauer-Preis für den innovativsten Film und wurde als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet.

Es kommt der Tag


BRD 2009 (Es kommt der Tag) Regie: Susanne Schneider mit Katharina Schüttler, Iris Berben, Jacques Frantz 104 Min.

Katharina Schüttler („Sophiiiie!“) als Tochter von RAF-Terroristen, die im Untergrund und auf der Flucht leben. Das gab es schon einmal bei „Die innere Sicherheit“ von Christian Petzold. Wo Petzold analytisch in vielen Details ein aus der Zeit gefallenes Leben skizziert, erzählt Autorin und Regisseurin Susanne Schneider „Es kommt der Tag“ sehr emotional.

Alice (Katharina Schüttler) ist auf dem Weg ins Elsass. Sie lässt ihren Freund auf der Strecke und sucht mit einer harten Entschlossenheit die Frau auf, die „sie geboren hat“ und dann verließ, um als RAF-Kämpferin für eine gerechtere Welt in den Untergrund zu gehen. Nun lebt Judith Müller (Iris Berben) unter neuem Namen mit neuer Familie in Frankreich. Die Begegnung mit der Tochter ist knallhart, Alice drängt sie erschreckend aggressiv in die Defensive. Judiths neuer Mann, ein gutmütiger Weinbauer und zwei andere Kinder sind staunende Zeugen einer Deutschen, die mit dem Steckbrief und dem Bild eines Opfers in der Tasche ihre Mutter direkt ins Gefängnis bringen will. Die Wut aus vielen Jahren ohne Mutter entlädt sich bei einer deutsch-französischen Sonntags-Tafel, in der Idylle des Innenhofes explodiert eine ungeheure Anspannung.

Katharina Schüttler spielt erneut grandios in dem ungeheuer spannenden, schmerzlich intensiven Drama „Es kommt der Tag“. Ihre Alice ist die eigentliche, die gnadenlose Radikale. Iris Berben zeigt sich in der starken Rolle mutig ungeschminkt. Doch die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen Alice und Judith. Auch die französischen Kinder befinden sich im pubertären Dauerkonflikt, hören nun endlich die Anklage an eine verwöhnte Generation. Der Film macht es sich nicht einfach, er entscheidet sich nicht für eine Seite oder Position, stellt klar: „Es ist so verdammt einfach, die Dinge nur von ihrem Ende zu betrachten.“ So bleibt man nicht nur wegen des ungewöhnlich offenen Endes noch lange in seinen Bildern und Emotionen gefangen.

28.9.09

Die nackte Wahrheit


USA 2009 (The Ugly Truth) Regie: Robert Luketic mit Katherine Heigl, Gerard Butler 96 Min. FSK ab 12

Männer sind simpel und wollen nur das Eine: Auf keinen Fall mit in so eine Romantische Komödie gehen! Auch nicht, wenn Gerard Butler, ihr Held aus der antiken Schlachtplatte „300“ dabei ist? Und dazu noch ein nettes Blondchen als anfängliche Gegnerin und spätere Herzensdame? Nur schade, dass der Film noch simpler und vorhersehbarer ist, als es Männer angeblich sein sollen.

Die TV-Produzentin Abby (Katherine Heigl) ist immer perfekt vorbereitet. Selbst bei einem Date lässt sie vorher einen Background-Check des Mannes machen und führt eine Liste an Punkten, die überein stimmen müssen. So
managt sie das Chaos im Sender, während zuhause eine Katze und die Einsamkeit warten. Denn so eine Perfektionistin will doch kein Mann haben, meint später der neue Star vor der Kamera, der ungehobelte Mike (Gerard Butler). Ausgerechnet Abbys Pussy-Katze wechselt unwissentlich den Sender zu diesem Typen, der solch eine Vorlage sicher zu einer zotigen Zweideutigkeit verwandelt hätte.

Nun muss Abby, die auf einen klugen, gewandten, beredten, einfühlsamen und gepflegten Traumprinzen wartet, täglich in ihrer Sendung hören, dass Männer nur Sex haben und angemacht werden wollen. Diese hässliche Wahrheit - so der Originaltitel - akzeptiert sie erst, als sie mit der Beratung von Mike den gut aussehenden Nachbarn für sich begeistern kann. Doch längst ist klar, dass sie dabei nicht sie selbst ist. Eigentlich stehen Abby und Mike aufeinander.

Gerard Butler ist bisher als schreiende spartanische Kampfmaschine in „300“aufgefallen. Das konnte er auch glaubhaft spielen. Der Verführer oder gar Charmeur ist nicht sein Ding. Grobe Fehlbesetzung. Es bleibt zwar ein Rätsel, was ein für Talent sein Mike wirklich hat, doch zum Erstaunen nicht nur von Abby, ist er ein Erfolg auf dem Sender. So fehlt der Romantischen Komödie das Romantische. Da sprühen keine Funken, es gibt keine Spannung, keine Chemie zwischen den beiden. Die Komödie ist nur stellenweise gelungen. Man kann es witzig finden, dass Abby langsam anfängt zu fluchen und ordinär zu reden, aber es ist vor allem albern, wie sie einem Schönling verfällt. Als konstruierte Lachnummer hält eine Orgasmusszene beim Geschäftsessen her. Sie kommt auf dem Sampler solcher Höhepunkte der Filmgeschichte irgendwo weit hinter „Harry und Sally“. Da war auch die Geschichte drum herum auf ganz anderem Niveau. Hier ist sie vorhersehbar: Männer sind vielleicht simpel, solche Filme sind es auf jeden Fall.

Gangs


BRD 2008 (Gangs) Regie: Rainer Matsutani mit Jimi Ochsenknecht, Emilia Schüle, Wilson Ochsenknecht 90 Min. FSK ab 12

Wilson Gonzalez Ochsenknecht als harter Kerl? Gerade aus dem Knast und schon wieder voll in Trouble? Todesdrohungen eines Killers? (Der allerdings eher wie einer der grauen Männer von Momo aussieht.) Das kann nicht gut gehen! Die beiden Vatersöhnchen aus dem Hause Ochsenknecht als James Dean-Imitate, da hätte jeder, dem nicht nur die Euro-Zeichen in den Augen blinken, Stopp sagen müssen.

Flo (Waldorf-Schüler Jimi Ochsenknecht), das Jüngelchen mit dem weichsten Gesicht ist die offensichtliche Fehlbesetzung in der Gang namens Rox, weil die anderen Jüngelchen wenigstens grimmig dreinschauen können oder etwas multikulti sind. Aber Flos Bruder Chris (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) ist der Boss und der muss ganz schnell viel Geld auftreiben, weil ein ausgeblichener Gangster ihm droht. Während ein Raubüberfall mit Ochs- und Esels-Masken ebenso gründlich schief geht wie die folgende Verfolgungsjagd, schwebt Flo mit der süßen harmlosen und reichen Tanzschülerin Sofie (Emilia Schüle) im Himmel der ersten Liebe. Doch er verrät Sophie für das Leben seines Bruders, bevor am Ende die Polizei kommt und wieder alles gut wird.

Rocker auf albernen Mopeds, die mehr Krach als Tempo machen. So ist der ganze Film ein zu großes und zu sehr gewolltes Drama für erbärmliche Darsteller, extrem schwache Regie, furchtbare Musik und unverschämte Bilder. Lauter Krücken für sehr talentarme Vatersöhnchen, die sich beim Versuch ernsthafter Rollen als Katastrophe erweisen. Die Ochsenknechte können nicht mal anständig rennen oder einen Stuhl gegen die Wand schmeißen. Wenn diese Sternchen miteinander spielen müssen und gar noch reden, dann landet der Film sofort auf dem Niveau von Vorabend-Serien. (Als einzige kann Marie-Lou Sellem - als Sofies Mutter - in diesem Schrott spielen, tatsächlich ein Schockmoment.) Zu klein hängen die Jungs im riesigen Amischlitten, fahren durch dekorativ verfallene Gegenden, die Berlin behaupten aber niemals echt wirken. Die Kamera sucht im abgefilmten Beton die Härte, die in den Gesichtern der Milchbubis nicht zu finden ist. Dazu nebelt es dauernd unmotiviert von irgendwo her.

Die Komplettvermarktung der zwei Os (oder der Doppelnull) über Sountrack, Hörspiel, Buch und Film meint, Eltern würden ihren Kindern nur das Billigste geben wollen. Wobei das im Kino nicht funktioniert: Ein guter Jugend-Film kostet an der Kasse exakt gleich viel.

23.9.09

Short Cut to Hollywood


BRD 2009 Regie: Jan Henrik Stahlberg, Marcus Mittermeier mit Jan Henrik Stahlberg, Marcus Mittermeier, Marta McGonagle 94 Min. FSK ab 16

Wie weit würdest du gehen, um berühmt zu werden? Was würdest du für den Ruhm opfern? Einen Finger? Oder einen Arm? Angesichts menschenunwürdiger Casting-Shows sind solche Gedanken gar nicht zu weit hergeholt. John Frederik Salinger (Jan Henrik Stahlberg) ist noch jemand mit der naiven Idee, er wolle jetzt sofort Erfolg haben und am besten in Hollywood. Nicht über harte monatelange Arbeit für irgendeine Casting-Show. Noch schneller talentfrei berühmt werden, dass denkt sich ein Trio aus Berlin, können sie in den USA. John gibt alles: Erst den kleinen Finger, dann den ganzen Arm, um einen Produzenten zu überzeugen. Der Versicherungskaufmann will populär werden, indem er sich live vor der Kamera zerstückeln und schließlich umbringen lässt. Schnell beißt die übliche Maschinerie der Talkshows und Medienwelt an, mit Bild-Schlagzeilen wie „Wir sind John“.

Nach dem tollen Erstling „Muxmäuschenstill“ und der holperigen Politsatire „Bye, Bye Berlusconi“ treten Marcus Mittermeier und Jan Henrik Stahlberg nun mit der Substanz eines kurzen Sketches an. Eine bescheuerte Idee, umgesetzt im Stil eines schlechten Amateurfilmchens wartet zum Beispiel mit einem Selbstmord-Tanzeinlagen-Anschlag der „Bagdad Street Boys“ auf. Das ist abstrus wie Uwe Boll oder erinnert entfernt an die Verwegenheit eines Christoph Schlingensief, der seine Krankheit thematisiert und ausstellt. Nur beim „Short Cut to Hollywood“ ist alles sehr flach und landet zielsicher im Bereich des Fremdschämens. Eine eher bescheuerte als eine richtig intelligente Mediensatire, wobei der Film selbst auch nicht davor halt macht, die Amputationen auszukosten. Irgendwann fragen sich die drei Verlierer, ob die Idee nicht so gut oder „totale Scheiße“ sei. Die Antwort ist fällt nicht schwer.

21.9.09

Vision ­ Aus dem Leben der Hildegard von Bingen


BRD 2009 (Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen) Regie & Drehbuch: Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa, Heino Ferch, Gerald Alexander Held, Hannah Herzsprung, Lena Stolze 111 Min. FSK ab 12

Brauchen wir ein Kopftuch-Verbot für Filme? Dann hätten die verqueren Ideologien kultureller Kreuzritter vielleicht mal was Gutes! Margarethe von Trottas Historienfilm über die christliche Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) schafft es, trotz einiger Anknüpfungspunkte zum Heute, spröde zu bleiben wie ein kratziges Klostergewand. Eine entmystifizierte Mystikerin kann auch wohlmeinend nur als dröger Schulstoff durchgehen.

Hildegard von Bingen gehört zu den bedeutendsten und faszinierendsten Frauenfiguren des Mittelalters. Sie war Äbtissin, Seherin, Heilkundige und Komponistin. Ihr Leben, gespielt von Barbara Sukowa und inszeniert von Margarethe von Trotta, zeigt Mittelalter zwar oft üblich düster, gewährt aber auch neue Ansichten. So war das Klosterleben für reiche Töchter keine Abstellkammer sondern durchaus eine Karriere. Vor allem wenn man im Kloster unter der wegen ihrer Schriften berühmten Schwester Hildegard dient. Bei den Ränken und Machtspielen spielen auch die mit ins Klosterleben eingebrachten Ländereien und die Schenkungen von Sponsoren, sprich: Landesherren wie dem Bischof von Mainz, eine Rolle. Das wäre dramatisches Material, wenn Hildegard sich eigenwillig ihr eigenes Kloster zulegt. Immer im Streit gegen den kleingeistigen, eifersüchtigen Abt. Doch diese Szenen bleiben erschreckend dröge, ebenso die beinahe unsichtbaren Visionen der Hildegard, die sie doch berühmt gemacht haben. Ästhetisch ist dies alles finsterstes TV-Mittelalter, unterbrochen durch eine unmotiviert wackelige Handkamera. Die Kraft des Gesangs wabert nur dekorativ im Hintergrund herum.

Neben lieblos eingestreuten Szenen über Kräuter, Steine und Musik, die den Lernstoff Hildegard abhaken, bleibt eine energische Frau, die ihre Karriere verfolgt. Dabei glaubt sie sich immer ihrem Glauben verpflichtet, einzelne Szenen zeigen aber auch Eifer- und Selbstsucht. Barbara Sukowa spielt mit der Hildegard bereits zum dritten Mal nach „Die bleierne Zeit” und „Rosa Luxemburg“ in einem Film von Margarethe von Trotta. Eindrucksvoll ist sie nur, wenn mal eine Rebellin wie in der „Bleiernen Zeit“ aufblitzt. Unauffällig auch Heino Ferch als Mönch Volmar, Alexander Held als Abt Kuno und Hannah Herzsprung als Novizin Richardis.


20.9.09

Die Entführung der U-Bahn Pelham 123


USA 2008 (The Taking of Pelham 123) Regie: Tony Scott mit Denzel Washington, John Travolta, John Turturro, James Gandolfini 106 Min. FSK ab 16

Was für eine nette, altmodische Idee: Wir entführen einen U-Bahn-Wagen in New York und fordern ein paar Millionen vom Bürgermeister. Dass man heutzutage im Kino Flugzeuge entführt, mit ungebremsten Bussen durch L.A. rast oder gleich Kreuzfahrtschiffe zu voller Fahrt zwingt, einfach mal beiseite gelassen. Wir nehmen einen Film aus dem Jahre 1974, „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“, Regie Joseph Sargent, Hauptrolle Walter Matthau, sorgen für drahtloses Internet im U-Bahn-Tunnel, erhöhen das Lösegeld, motzen die Bilder auf und besetzen den Geisel-Zug vor allem mit den Stars Denzel Washington und John Travolta.

Es beginnt wie ein normaler Arbeitstag für Geiselnehmer in einem Film von Tony Scott: Da sind hektischer Schnitt, wackelnde Kameras mit Riss-Schwenks und aggressiver Rap direkt inklusive im Millionen-Vertrag. So packte Scott auch in „Déjà vu“ und in „Der Staatsfeind Nr. 1“. „Top Gun“ aus 1985 war da noch antiquarisch und richtig übersichtlich. Zügig wird der Zug Pelham 123 an einem uneinsehbaren Ort im Netz der U-Bahn-Tunnel platziert. Über den Strecken-Funk meldet sich der Gangster-Boss Ryder (John Travolta) bei der Fahrleitung, wo zufällig der strafversetzte Bahnbeamte Walter Garber (Denzel Washington) Dienst tut. Ein guter Mann mit Durchblick, wie vorher etabliert wurde. Doch wie geht er mit dieser extremen Situation um? Garber muss vor allem dran bleiben, da Ryder irgendwas an ihm gefressen hat. Als sich ein eifriger Polizist (John Turturro) dazwischenschalten will, stirbt die erste Geisel. Und in einem ersten Psycho-Duell zeigt sich, was den braven Garber und den Ex-Häftling Ryder verbindet: Schuld.

Entführer und Unterhändler wechseln in einer Art katholischer Beichte immer wieder die Rollen zwischen Büßer und Beichtvater. Garber wurde strafversetzt, weil er bei einem großen Einkauf für die Bahngesellschaft Geld vom Lieferanten angenommen haben soll. Unter Ryders Druck gesteht der Familienvater, er muss gestehen, sonst erschießt der Geiselnehmer weitere Fahrgäste. Der Mann am Drücker will Buße - vom Bürgermeister, ja, gleich von der ganzen Stadt New York, die er nachdrücklich hasst.

So unterbrechen diese Inseln intensiven Schauspiels mit einem brutalen Travolta und einem bedächtigen Washington die unruhige und überbordende Action der Entführungsgeschichte. Die Buchvorlage von John Godey bearbeitete Skript-Spezialist David Koepp zusammen mit Peter Stone zu einem halbwegs anständigen Drehbuch. Heute kommt nicht nur WLAN hinzu, heute gibt es keine klassischen Gangster mehr, es sind alles nur Spekulanten und Börsianer. Vor allem beim letzten Wort- und Schusswechsel jedoch stimmt etwas nicht. Hier wird klar, dass Garber und Ryder nichts vom Stockholm-Syndrom wissen, sie haben keine richtige Beziehung zueinander aufgebaut. Kaum aus dem Tunnel rausgekommen, fallen im Tageslicht die Lücken in der psychologischen Entwicklung auf.

19.9.09

Louise Hires A Contract Killer


Frankreich 2008 (Louise-Michel) Regie & Drehbuch: Gustave de Kervern, Benoît Delepine mit Yolande Moreau, Bouli Lanners, Mathieu Kassovitz, Benoit Poelvoorde 95 Min. FSK ab 16

Louise Michel (1830-1905) war eine französische und Anarchistin. So sollte man „Louise-Michel“ - so der Originaltitel - vielleicht als anarchische Komödie bezeichnen. Denn tatsächlich: „Louise Hires A Contract Killer“ ist komisch. Wie komisch, ist allerdings schwer zu fassen. Genauso schwer, wie sich die Schweine, die dauernd die Fabriken schließen, von den Arbeitern erwischen lassen...

Da steht Louise (Yolande Moreau) ziemlich verdattert da. Nicht dass sie sowieso immer verdattert durch die Gegend sieht und geht. Die Frau hat eine schlaksige Gestalt wie aus einem Kaurismäki-Film - da weist auch der Titel wenig subtil drauf hin. Aber dass über Nacht alle Maschinen ihrer Fabrik verschwunden sind, ist die Härte. Die soziale Härte. Dabei gab es doch gerade erst neue Kittel und laue Jobversprechungen. Nun beraten die versetzten Arbeiterinnen, was sie mit der lächerlichen Abfindung anfangen. Der Kalender mit Nacktfotos wird abgelehnt - es wird also nicht auf die Art komisch wie in den britischen Sozialkomödien. Louise schlägt trocken vor, den Boss umzulegen. Und sofort sind alle einverstanden.

Der Killer ihrer Wahl heißt Michel (Bouli Lanners) und zeichnete sich aus, weil er mitten auf der Straße seine antiquierte Knarre verliert. Dagegen findet er nicht mal zu seinem „Büro“ im einförmigen Wohnwagenpark. Auch einen kleinen Hund kann er nicht erschießen. Für den gescheiterten Auftrag handelt er sich schließlich selbst von 20 auf 1 Euro runter. Den er sofort wieder verliert. Ein Vollprofi. Bei Schießübungen trifft er wenigstens eine Kuh - die zufällig hinter der Zielscheibe stand.

Doch Michel hat eine Idee: Eine schwer krebskranke, fast tote Verwandte führt den Mord für ihn aus. Ein kahlköpfiger Todesengel im Ballkleid - manchmal blitzt makabre Poesie aus der lakonischen Handlung auf. Da der Boss noch einen anderen Boss hatte, muss ein weiterer Schwerkranker mit nach Brüssel, um auch diesen Manager umzulegen.

Was für eine Komödie ist dies nun, durch die zwei sonderliche Figuren trotten? Erwähnten wir schon, dass die Rückblenden beider von einem Geschlechterwandel erzählen? Das Coming Out des Mannes Louise und der Frau Michel jedenfalls, über die Frühstückstische eines braven Brüsseler Familienhotels hinweg, macht viel Spaß. Wie so manch andere Szene. Die Stärke von „Louise-Michel“ liegt in diesen beiden Figuren, auch wenn sie schwer zu fassen sind. Das Hochhaus, das Louise gerade verlässt, wird durch eine trockene Sprengung dem Erdboden gleich gemacht. Denn Louise kann nicht lesen. Weder die Räumungserklärung, noch die Hinweise auf die Sprengung. Der Ostbelgier Bouli Lanners schafft es wieder, schon beim Auftritt ohne viel Worte umwerfend komisch zu sein. Trotzdem erreicht er nicht ganz die Klasse aus seinem eigenen Film „Eldorado“ oder seiner Episode aus „J'ai toujours rêvé d'être un gangster“. Die Talente der Regisseure Gustave de Kervern und Benoît Delepine („Aaltra“) müssen also woanders liegen. Und surreale Szenen wie mit Benoit Poelvoorde, der im Garten eine Modelsimulation der Flugzeugeinschläge von 9/11 nachspielt, gehören sicher dazu. Wie auch eine deutliche Haltung zum Kapitalismus: Der arrogante Begriff „Peanuts“ darf in der deutschen Synchro nicht fehlen und am Ende machen die Arbeiterinnen weiter - bis sie den Boss der Bosse erwischt haben.

16.9.09

Extreme Movie


USA 2008 (Extreme Movie) Regie Adam Jay Epstein, Andrew Jacobson mit Ryan Pinkston, Michael Cera, Brian Burt 85 Min.

Was will man auf dem Gebiet der körperlichen Erfahrungen pubertierender Jugendlicher noch parodieren, wenn „American Pie“ schon als Klassiker gilt. Noch etwas derber versuchen es die Episoden in „Extreme Movie“, wobei sowohl derb als auch „Humor“ relative Begriffe sind. Die Scherzchen haben eindeutig verklemmte Amis als Zielpublikum und werden hier kaum ein müdes Lächeln ernten. Die Kids sind konfrontiert mit einen überdeutlichen Aufklärungslehrer. Es gibt ein „erstes Mal“, das mit Schafen, Liliputanern und Nazi-Uniformen etwas extrem ausfällt. Das erst romantische, dann dramatische Verhältnis mit einer Masturbations-Hilfe gehört auch zu den kleinen Szenen, die alle Teeniefilm-Vorbilder auf Links drehen. Zwischendurch gibt Promi Matthew Lillard politisch unkorrekte Tipps, wie man sich einer Frau gegenüber garantiert beschissen benimmt. Ganz entfernt an „American Fried Movie“ erinnern Einsprengsel, etwa die witzigen Ecards, mit denen man Ex-Bettpartner über Geschlechtskrankheiten informiert. Was reimt sich noch auf Herpes, Syphilis und so?

Wie das Leben so spielt


USA 2008 (Funny People) Regie und Buch: Judd Apatow mit Adam Sandler, Seth Rogen, Leslie Mann 146 Min.

Der exzellente Komiker Adam Sandler beeindruckte schon im New York-Trauma „Reign Over Me“ mit einer ernsten Rolle. Nun spielt er den todkranken Stand Up-Komiker George Simmons, der sich den erfolglosen Kollegen Ira (Seth Rogen) als Freund, Krankenschwester und Helfer mietet. Simmons leidet nicht nur an einer Blutkrankheit, sondern auch an der Berufs-Deformation, auf alles mit einem Witz zu reagieren, auch auf niederschmetternde Meldungen vom Arzt. Der naive und liebe Ira müht sich unermüdlich an dem Zyniker ab, eine finale Playlist für Georges iPod ist aber auch extrem peinlich. Nicht nur todkrank, sondern auch zu Tode betrübt lässt der Star die eigene Karriere Revue passieren und kann damit sogar Mitgefühl gewinnen. Seine Ex kehrt zurück, was schwierig wird, als eine revolutionäre Heilmethode tatsächlich anschlägt. Auch die Veränderung zum besseren Menschen endet abrupt mit der Veränderung der Blutzellen. Mit der Freundschaft zwischen Ira und George scheint es doch nichts zu werden.

Diese Komödie - oder soll es Buddy Movie sein - enthält Elemente und sogar ganze Strecken eines ernsthaften Films über einen Menschen, dem eine Krankheit moralische Besserung bringt. Aber ebenso leicht und nebenbei, wie die Krankheit plötzlich verschwindet, wirft der Film banale und albernen Szenen ein. Vor allem die WG von Ira ist eine Reminiszenz an die pubertären Produktionen aus dem Hause Apatow. Nun hatte Judd Apatow eine TV-Karriere mit Ben Stiller und Roseanne, drehte peinliche Filme mit Jim Carrey, die man auf den Postern in Sandlers Haus wiedererkennt. Er weiß also, worüber er schreibt, wenn er reiche Komiker zeigt, die eigentliche arme Gestalten sind. Und er kann locker Cameos von Berühmtheiten der Szene wie Sarah Silverman, Eminem oder Ray Romano einbauen. Leider sind trotzdem die Witze des Films nicht wirklich komisch. Zudem ist eine Berufskrankheit von Filmen aus dieser Produktions-Ecke, dass immer ein unattraktiver Idiotnoch eine Frau abbekommen muss. Vor allem die Situation in Iras WG bleibt arg pubertär. Irgendwann muss man an „Man on the Moon“ über den genialen Komiker Andy Kaufman denken, der seine Krankheit zum Show-Akt machte. Aber alles hier ist von diesem Meisterwerk so weit weg wie der Mond vom Kino um die Ecke.

Schande


Australien, Südafrika 2008 (Disgrace) Regie: Steve Jacobs mit John Malkovich, Scott Cooper und Eriq Ebouaney, 120 Min.

Dass sich Südafrika nach dem Ende der Apartheid nicht zu einem Traumland entwickelt hat, wissen alle bis auf die Entscheider bei der Fifa, die trotzdem eine Fußball-WM dort organisieren wollen. Im Roman „Schande“ (1999) des Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, der sogar für politische Diskussionen in seiner südafrikanischen Heimat sorgte, stellt sich das Leben am Kap als extrem gefährlich und als immer noch sehr komplex den Schwarz-Weiß-Rastern verhaftet dar. Dem exzellenten Film „Schande“ von Steve Jacobs gelingt es, die Vielschichtigkeit zu übernehmen und vor allem mit einem sehr intensiven John Malkovich zu packen.

Literaturprofessor David Lurie (John Malkovich) steht wieder vor einer Klasse und wieder interessiert sich niemand. Lurie ist ein zurückhaltender etwas seltsamer älterer Herr weißer Hautfarbe in Kapstadt. Er interessiert sich nicht nur für Literatur, er atmet sie, nimmt sie auf, lebt sie. Und steht auf junge Frauen dunkler Hautfarbe. Als er seiner Prostituierten zu persönlich wird und die sich entfernt, verfällt er der Studentin Melanie. Die Anmache erfolgt mit den Worten eines Poeten, aber dennoch grob. Lurie schläft mit ihr und übersieht ihren Ekel. Als die Ausnutzung seiner Machtposition bekannt wird, fliegt er von der Schule. Nicht ohne sich in einem Moment grandioser Überheblichkeit (ein Malkovich-Highlight) arrogant schuldig zu bekennen - aufrichtiges Gefühl ist dabei nicht zu erkennen.

Anfangs meint dieser Kulturmensch zu Byron: „Sie sterben alle jung, vertrocknen oder werden wahnsinnig.“ Wo man Lurie einordnen muss, bleibt offen und macht die Spannung des Films aus. Er meint über den Dingen zu stehen. Wobei man ihm teilweise auch Recht geben muss, angesichts der Tatsache, dass eine Reporterin aufgrund ihres beschränkten Wortschatzes seine Antwort nicht mal versteht. Literaturzitate am laufenden Meter beeindrucken auf den ersten Blick mit einem geschliffenen Kommentar für jede Lebenssituation. Doch sie können moralische Defizite nicht überdecken.

Dramatische Ereignisse erschüttern im Folgenden diesen gesetzten Mann: Er fährt zu seiner lesbischen Tochter auf der Farm. Schon dass der einstige Arbeiter jetzt Nachbar und als Schwarzer Landbesitzer ist, irritiert Lurie. Trotzdem versucht er sich in den neuen Verhältnissen nützlich zu machen. Ein extrem brutaler Überfall dreier schwarzer Jugendlicher zeigt, auch außerhalb der gefährlichsten Stadt der Welt ist man nicht vor Gewalt geschützt.

„Schande“ wirft einen genauen Blick auf die neuen Verhältnisse in Südafrika, auf sehr schwierige Situationen zwischen Männern und Frauen, schwarz und weiß, Opfern und Tätern. Es muss ein komplexes Bild werden, auch wenn dieser Film nur ein Ausschnitt des Buches, das Buch nur ein Teil des Lebens sein kann. So gehört zu den vielen Themen Luries Umgang mit seiner eigenen verachteten Lust. Oder die Empathie für Menschen, die er im Umgang mit Hunden erlernt. So beginnt er in sehr bewegenden Szenen, Demut vor anderen Wesen zu haben. Andererseits findet er sich nur mühsam und schmerzlich mit den erschreckenden Verhältnissen ab, die seine Tochter mitmacht, nur um ihr Land nicht aufzugeben. Ein bewegender Einblick ohne Antworten aber auch ohne Festlegungen.

Oben


USA 2009 (Up) Regie Pete Docter 96 Min.

Dieser Film wird ihr Leben verändern. Nicht nur mit der schönen Geschichte, die mit bunten Farben und Figuren zeigt, dass es nie zu spät ist, das Leben zu ergreifen und etwas zu erleben. Vor allem mit seinen Hunderten Luftballons sorgt der erhebende Pixar-Trickfilm „Oben“ dafür, dass man so schnell keinen Luftballon mehr sieht, ohne an „Oben“ zu denken. Ganz nebenbei ein genialer Markting-Coup von Pixar. Aber wer schon mit dem ersten Kurz-Film „Luxo Jr.“ (1986) aus einer Schreibtischlampe ein liebenswertes Ikon machte, wer als Chef den in Design nicht gerade unbedarften Steven Jobs von Apple hat und wer in „Toy Story“(1995) die populärsten Spielzeuge der USA zu einem Spielfilmerfolg machte, dem gelingt so was nicht aus versehen. So fügt Pixar seinen neun Sensations-Hits nun die Nr. 10 hinzu - erstmals in 3D. Und überall ... viele bunte Luftballons.

Schon die kurze Zusammenfassung des erfüllten Lebens von Carl und seiner Jugendliebe Ellie enthält ungefähr so viel Drama, Glück und Rührung wie „Vom Winde verweht“. Und das bei gezeichneten und im Computer bewegten Figuren! Doch damit fängt „Oben“ erst an. Denn der alte Ballon-Verkäufer Carl ist nun allein, nach einem schönen Leben fand Ellie einen friedlichen Tod. Nun wird ihr letzter Wunsch Carl aus seiner Trauer helfen und in neue Dimensionen entführen. Getragen von der kreativen Kraft der Fantasie und seiner Luftballon fliegt Carl komplett mit seinem alten Häuschen von New York nach Südamerika. Dort bei den Wasserfällen namens Paradise Falls soll es landen, genau wie Ellie es als Kind zeichnete. Doch es hat sich nicht nur ein kleiner, nerviger Pfadfinder als Blinder Passagier eingeschlichen. Bei dem folgenden Abenteuer treffen sie auf – dank Pixar umwerfend komisch – sprechende Hunde, ein albernes Fabelwesen und einen skrupellosen Forscher. Wer sich für Animationsfilme begeistert wird übrigens „Das wandelnde Schloss“ vom japanischen Meister-Animateur Hayao Miyazaki wiedererkennen!

Egal ob 2, 3 oder irgendwann 4D: „Oben“ beweist mit seiner wunderbaren Geschichte voller Abenteuer und Emotionen wieder einmal, dass es um die Geschichten und die Menschen geht: Der sympathische Held Carl ist eine gezeichnete Version des alten Spencer Tracy, grummelig aber mit einem guten Herzen von hier bis zum Äquator. Sein Gegenspieler Charles Muntz ist eine unübersehbare, kantige Hommage an Kirk Douglas. Schon die in einer meisterlichen Montage zusammengefasste Lebens- und Liebesgeschichte von Carl und Ellie wird als ein herzergreifendes Stückchen Film auf diesem Festival hängen bleiben. Wie Regisseur Pete Docter mit all den Nebenfiguren und originellen Wendungen der Handlung ein herzliches Spaßfeuerwerk in die Luft gehen lässt, ist ganz großes Kino mit kleinen Zeichenfiguren. Docter war Regisseur von „Monsters Inc.“, aber vor allem auch Mitarbeiter bei allen zehn bisherigen Pixar-Spielfilmen! John Lasseter, der Produzent hinter dem Pixar-Erfolg erhielt letzte Woche in Venedig eine Ehrenlöwen für sein Lebenswerk. Aber vielleicht kann man jedem nach diesem Film mit einem einfachen Ballon ein größeres Geschenk machen.

12.9.09

Venedig 2009 Preise

 

Deutsche Produktionen fangen drei Löwen ein

 

Venedig. Krieg und Frieden sind die großen Sieger der 66. Filmfestspiele Venedigs: Das Antikriegs-Drama „Lebanon" erhielt den Goldenen Löwen und Fatih Akins lustvolle Lebensgemeinschaft „Soul Kitchen" den Großen Preis der Jury. Zwei verdiente Gewinner in einem wechselhaften Preisreigen. Alle drei Hauptpreise sind deutsche (Ko-) Produktionen!

 

Schon auf dem Roten Teppich wurde Fatih Akin mit seinen Schauspielern wie zuvor in den Vorstellungen gefeiert. Neben Stars wie Colin Firth, Omar Sharif oder dem Team der deutsch-französischen Produktion „Women without Men", das mit grüner Bekleidung auf die blutig unterdrückten Proteste gegen die iranische Präsidentenwahl hinwies.

 

Jury-Präsident und zweifacher Venedig-Sieger Ang Lee („Brokeback Mountain", „Lust/Caution") entschied sich mit der Jury, der unter anderem

Sandrine Bonnaire, Joe Dante und der russische Regisseur Sergeij Bodrov angehörten, den Goldenen Löwe an den israelischen, deutsch und französisch produzierten Film „Lebanon" zu verleihen. Die durchrüttelnde und erschütternde Panzerfahrt in den Libanon-Krieg des Jahres 1982, rein aus der Perspektive der in Panik befindlichen israelischen Panzer-Besatzung gezeigt, ist ein ungemein starkes Fanal gegen Krieg oder wie auch immer Regierungen das steuerfinanzierte Morden nennen mögen. Die klaustrophobische Atmosphäre erinnert stark an Petersens „Das Boot". Regisseur Samuel Maoz, der seine eigenen Erlebnisse Jahrzehnte verarbeitete und nun verfilmte, widmete den Preis allen, die Krieg überlebt haben und nach Hause kommen konnten.

 

Der zweitwichtigste Preis, der Jurypreis, ging an Fatih Akins Hamburg-Komödie „Soul Kitchen". Ein Film, der von einigen anfangs als „zu leicht" befunden wurde. Aber das weiß man von den großen Komödien-Regisseuren wie Lubitsch und Chaplin, dass es am schwersten ist, etwas so leicht erscheinen zu lassen. Mit den Tagen wuchs die Achtung vor dem Film und der Leistung von Akin und seinem Team. Wenn es einen Publikumspreis gegeben hätte, der Applaus würde „Soul Kitchen" vergolden.

 

Die Beste Regie lieferte nach Meinung der Jury Shirin Neshat mit „Women without Men" ab, ein schöner, poetischer Un-Wohlfühlfilm, der den Beginn der Militärdiktatur unter dem Schah 1953 in vier exemplarischen Frauenschicksalen nacherzählt. Er blieb allerdings weit hinter der Kraft und Aktualität des heutigen iranischen Kinos, vom dem Hana Makhmalbafs Protestfilm „Green Days" zeugte, zurück. Hintergrund solcher schwer nachvollziehbarer Entscheidungen ist das Reglement Venedigs, das nur einen Preis pro Film zulässt. So kann auch die viertbeste Regie belobigt werden, wenn bessere Leistungen bereits Preise in anderen Kategorien erhielten.

 

Einhellige Begeisterung erntete der Brite Colin Firth, der in Tom Fords überragenden, stilistisch und emotional stärksten Film „A single man" einen schwulen Literaturprofessor spielt, der kurz vor dem Freitod an gebrochenem Herzens die Freude am Leben wieder findet. Firth bedankte sich gerührt und ausführlich auf Italienisch: Für das, was ihm das Land gegeben hat. Neben guten Filmen, Essen und Trinken auch eine Frau!

 

Dass die Beste Darstellerin die russische TV-Schauspielerin Ksenia Rappoport aus dem italienischen Film "La doppia ora" von Guiseppe Capotondi sein sollte, rief selbst beim einheimischen Publikum keine Begeisterung hervor. Ein schlechter Witz, wenn man bedenkt, dass Isabelle Huppert und Juliane Moore unberücksichtigt blieben.

 

Gelungene Mostra

Die Filme im Wettbewerb von Venedig interessierten und polarisierten in 2009 besonders stark. War der Sieger „Lebanon" für viele ein heftiger Antikriegs-Film, hörte man auch den Vorwurf der Einseitigkeit. Claire Denis unterlief in „White Material" ästhetisch alle Klischees und Erwartungen an den afrikanischen Konflikt zwischen der weißen Farmerin (Isabell Huppert) und verschiedenen schwarzen Bürgerkriegsparteien. Trotzdem fanden einige den Film kolonialistisch. Für die Qualität der Auswahl spricht, dass mehr als jeder zweite Film als Favorit diskutiert wurde - die vier italienischen Starter einmal ausgenommen, die hier von der Qualität oft unter Niveau mitlaufen. Wenn man demnächst auch viele der Filme im heimischen Kino entdecken kann, war die 66. Mostra wirklich eine gelungene Leistungsschau des internationalen Kinos.

 

Weitere Preise

Das Beste Drehbuch der 66. Mostra verfasste unbestritten Todd Solondz für seine düstere „Happiness"-Fortsetzung „Life during Wartime". Den Technikpreis erhielt der Belgier Jaco Van Dormael für seine komplexe Erinnerungsreise in das Herz von „Mr. Nobody".

 

3D-Hype

Venedig sprang als erstes großes Festival auf die neuerliche 3D-Welle auf, indem es einen Wettbewerb für diese Schau-Filmchen ausrief. Dabei zeigte ausgerechnet Joe Dante, der solide Handwerker und Spezialist für Popcorn-Unterhaltung mit seinem siegreichen, für 3D gedrehten Teenie-Horror „The Hole", dass die dreidimensionalen Effekte dem Film oft im Wege stehen und noch nicht ausgereift der Handlung dienen. Während Festivaldirektor Marco Müller verkündete, dass die Säle in Venedig mit immer besseren digitalen 3D-Projektoren ausgerüstet werden sollen, war das Publikum längst frustriert von sehr vielen technischen Pannen und Verspätungen beim ganz normalen Film. Das Pannenjahr zu Müllers Einführung kam vielen als echte Horror-Erinnerung hoch.

10.9.09

Venedig 2009 Soul Kitchen von Fatih Akin, Favoriten

Soul Kitchen

 

Von Günter H. Jekubzik

 

Venedig. Beseelt von echter Freundschaft, guter Musik, gutem Essen und selbstverständlich auch gutem Film, eröffnete Fatih Akin sein „Soul Kitchen" zum Ende des Wettbewerbs der „66. Mostra Internationale d'Arte Cinematografia" in Venedig (2.-12.9.2009). Der Film über eine kultige Esskneipe in Hamburg verbindet eine starke Brüdergeschichte, Romantik, Musik und Zeitgeschichte einer Stadt im Wandel zur Unterhaltung, die vielleicht mehr Laune als Preise macht.

 

Perfekt passt der neue Film von Fatih Akin ins diesjährige Wettbewerbsprogramm, das sich sehr populär zeigt, ohne banal oder oberflächlich zu sein. „Soul Kitchen" macht definitiv gute Laune und der Startplatz im Wettbewerb zeigt, wie sehr der Hamburger Filmemacher international angesehen ist. Auch wenn er vor dem Abschluss seiner großen Trilogie (mit „Gegen die Wand", „Auf der anderen Seite") nur einen „kleinen Film zwischendurch" machen wollte. Es wurde nach eigenem Bekunden sein härtester – was man dem schwungvollen Szene-Spiel nicht ansieht.

 

Alles dreht sich um das Restaurant Soul Kitchen, das Zinos (Adam Bousdoukos) in einer heruntergekommen Ecke Hamburgs betreibt. Vielleicht dreht sich zu viel um den Laden, denn seine Freundin Nadine (Pheline Roggan) zieht nach Shanghai um. Gleichzeitig verschrecken die neuen Kreationen des verrückten Kochs und Messerwerfers Shayn (Birol Ünel) das Wiener Schnitzel-Stammpublikum. Auch Zinos' Bruder Illias (Moritz Bleibtreu), ein Häftling auf Freigang, sorgt mit seiner lässigen Nichtstuerei für Ärger. Finanz- und Ordnungsamt haben viele Beschwerden. An all dem verhebt sich Zinos ganz konkret und humpelt mit Bandscheibenvorfall durch die weitere Handlung. Doch aus diesem Chaos entwickelt sich eine Erfolgskneipe mit toller Gemeinschaft, satter Soul-Musik und herzlichen Dramen.

 

Während „La Paloma" in vielen Varianten auf der Tonspur segelt, legt Film-DJ Fatih Akin klasse Szenen auf die Platte: Da ist Bleibtreu, der als Abziehbild des nutzlosen Mackers beginnt, aber sein Herz an die knallharte Kellnerin Lucia mit ihrer Uma Thurmann-Frisur verliert. Wie er sich jetzt als Kellner und DJ bemüht und zum echten Bruder wird, hat echt Stil. Birol Ünel hat den sowieso und diesmal eine tolle komische Rolle als Koch. Die verstorbene Monika Bleibtreu ist noch einmal als resolute Mutter vom echten Sohn Moritz zu sehen.

 

Neben guten Parts, Szenen (Abschiedsparty mit ganz viel Aphrodisiaka) und Dialogen („Der Grieche auf dem heißen Blechdach") spielt Hamburg eine schöne Rolle: Der ehemalige Karstadt, in dem Fatih Akin seine erste LP gekauft hat, fungiert als cooler Club. In der schicken Speicherstadt scheint es noch illegale Wohnungen zu geben. Die Stadt wandelt sich rasant und der echte Hamburger Jung wollte die Chance ergreifen, seine wilden Jahre noch einmal festzuhalten. Nicht nur das ist gelungen bei diesem Film, mit den Menschen, der Stimmung und der Musik, für die man sich begeistert.

 

"Soul Food", Filme für die Seele, gab es einige in den vergangenen zehn Tagen der Mostra. Soderbergh und auch Werner Herzog erwiesen sich als Meister guter Unterhaltung. Nicolas Cage ist als Herzogs „Bad Lieutenant" der einzige heiße Tipp für die Löwen-Vergabe. Aber erstaunlich sensibel und schnell reagierte Venedig auch auf die brennenden Themen der Weltpolitik: Ein Spielfilm zu den „Green Days", den Protesten um die letzte Wahl im Iran, nur wenige Wochen später im Kino zu sehen, ist nebenbei rekordverdächtig, aber vor allem erneut erschütternd. Hana Makhmalbaf, von der emsigen und wachend Makhmalbaf-Filmemacher-Familie, stellte diesen klugen, ebenso appellativen, wie selbstreflektiven Film aus Handy-Aufnahmen der blutigen Massaker und poetischen Spielszenen zusammen. Damit ist sie sogar stärker als der aufwändige Spielfilm „Women without men" von Shirin Neshat, die den Beginn der Militärdiktatur unter dem Schah 1953 in vier exemplarischen Frauenschicksalen nacherzählt.

 

Dass asiatische Filme unter Festivaldirektor Marco Müller weiterhin erstaunlich stark und gern gesehen sind, ist nichts Neues in Venedig. So brachte sich der Hongkong-Chinese Yonfan mit seinem historischen Drama „Prince of Tears" auf die Favoriten-Liste. Das „Leben der anderen" auf Taiwanesisch erzählt nicht nur (Verrats-) Geschichte, es lässt die „Weißer Terror" genannte Zeit der Unterdrückung in den Fünfzigern auch Propaganda-bunt ästhetisch aufleben. Heftig diskutiert wurde „White Material" von Claire Denis, in dem Isabel Huppert eine uneinsichtige Kaffee-Farmerin in einem ungenannten afrikanischen Land spielt. Zwischen den Fronten von Rebellen und Militär ist in der einzigartigen Ästhetik der Französin nichts, wie man es erwartet. Ein Tipp für die morgige Verleihung der Goldenen Löwen, bei der man bislang keine Ahnung hat, was einen dann an Preisträgern erwartet.

Interview Jan Krüger

 

Die Nahaufnahme im Theater - ein Filmregisseur bringt seine Vision von Intensität auf die Bühne

 

Aachen. Jan Krüger erhielt auf dem Festival von Rotterdam 2004 den „Tiger Award" für seinen ersten langen Spielfilm „Unterwegs". Günter H. Jekubzik traf den Regisseur während der Probearbeit für seine erste Theaterarbeit im Mörgens.  „Habe ich dir eigentlich schon erzählt..." ist ein Zweipersonen-Stück nach Sibylle Bergs gleichnamigem „Märchen für alle", wie es im Untertitel heißt. Vor der Premiere am 17.9. präsentiert Jan Krüger seinen letzten Spielfilm „Rückenwind" am Sonntagabend (13.9.) in der Kneipe „Last Exit" direkt am Mörgens.

 

Wie kamst du als Filmregisseur zum Theater?

Caroline Schlockwerder (Dramaturgin beim Theater Aachen) hat mich nach der Vorführung von „Rückenwind" beim „Made in Europe Film Festival" im März angesprochen, ob ich Lust habe, Theater zu machen und mir zwei Stücke angeboten. Ich hab dann den Roman von Sibylle Berg gelesen (über zwei Jugendliche und ihre Flucht aus der DDR) und auch die Bühnenfassung. Dieses Stück hat eine Perspektive da drauf, die ich so noch nie gesehen habe. Meistens bemühen sich Texte, die Zeit zu vermitteln und auch zu versöhnen. Dieser Text ist nicht politisch korrekt. Er ist sehr subjektiv und damit immer in der Gefahr, missverstanden zu werden. Das empfinde ich als große Herausforderung.

 

 

Es heißt zu dem Stück: „ Hänsel und Gretel im Ostblock - ein Märchen für Erwachsene. Eine doppelte Flucht". Die Beschreibung könnte auch auf deinen letzten Film „Rückenwind" passen?

 

Das war einer der Gründe, weshalb Caroline mich angesprochen hat. Sie kannte den Kurzfilm „Freunde" (Silberner Löwe in Venedig 2001), der von zwei 15-jährigen Jungs erzählt, die auch durchaus nicht spannungsfrei zusammen finden, eine Art tiefere Verbindung zueinander finden und auch wieder verlieren. Anders als man normalerweise denkt.

Deswegen ist es bisher gut geglückt, uns mit den beiden erwachsenen Schauspielern gemeinsam und offen und empfänglich zu machen für Gefühle, die mit Unschuld und Unbeholfenheit zu tun haben. Man wird erwachsen und erlebt einige häufige schmerzhafte Erfahrungen und versucht das zu verstecken. Ich habe eine Lust dran, das wieder frei zu legen.

 

 

In Wikipedia heißt es zu Sibylle Berg, sie „jobbte in verschiedenen Berufen, bis sie nach eigener Aussage das Gefühl hatte, alt genug zu sein." Wie jung oder erwachsen fühlst du dich?

 

Ich bin jetzt 36, das ist eigentlich ganz schön alt, aber trotzdem habe ich immer noch Lust zu probieren und zu spielen hier. Ich würde mich aber nicht als Kindskopf bezeichnen. Regie führen ist auch immer so etwas, wie ersatzweise eine Elternfigur bieten zu können, eine Verantwortung zu übernehmen.

 

 

Du hast nach der ersten Probewoche gesagt, du könntest jetzt schon loslegen. Wie läuft es zurzeit?

Es ist für mich eine neue Situation, über einen Zeitraum von 6 Wochen etwas Schritt für Schritt aufzubauen. Das ist ja beim Film anders: Man entscheidet sich für einen einzelnen Schauspieler, der das, was man in der Rolle sieht, möglichst schon verkörpert. Das war eigentlich die größte Herausforderung für mich: Wie schaffe ich es, zwei Kinder entstehen zu lassen, ohne dass sie die Stimme verstellen oder sich ein Schleifchen ins Haar binden. Da war der Schlüssel, sich wieder weich und sensibel werden zu lassen. Ich habe probiert, über Gespräche oder Spielchen wieder eine Empfindlichkeit dafür herzustellen, eine Idee von Unschuld oder Unbefangenheit.

 

Hattest du schon vorher Lust auf Theater?

Es gibt ein paar Theaterstücke, wo ich immer schon mal dachte, wow, das kickt mich und ich hab auch schon ein paar Aufführungen gesehen, die mich gekickt haben, aber häufig fehlt mir im Theater, dass die Leute, die das verkörpern, sich persönlich einbringen. Ich möchte aber was von den Menschen erfahren, die da stehen. Ich wollte ein bisschen von dem, was uns im Film selbstverständlich erscheint, dass die Leute in einzelnen Momenten wahrhaftig erscheinen, im Theater reproduzierbar herstellen.

 

Nahaufnahme

Was fällt noch im Vergleich zum Film auf?

Ich bin froh, wie wenig Technik hier im Weg ist. Das liegt auch an dem Stück, das so konzentriert ist, das nur zwei Personen hat und daran, dass wir auf ein realistisches Bühnenbild komplett verzichtet haben. Dadurch ist es eine Arbeit, die ganz eng mit den Schauspielern und ihrem Ausdruck zu tun hat. Das sind beim Film die sehr, sehr schönen, aber seltenen Momente. Meistens muss man sich viel mehr Gedanken machen, wo die Kamera steht und dass die verschiedenen Ablaufe zusammenkommen, dass es dann an dem Tag nicht regnet…

 

Dann kommt noch dazu, dass die Bühnensituation sehr nah dran ist. Hier ist es so, dass man in jedem Moment so nah dran ist, dass man sich die Nahaufnahmen fast sparen kann.

 

 

Was machst du sonst zwischen den Filmen und Stücken?

Ich bereite meinen nächsten Spielfilm vor, in Kooperation mit dem WDR. Da schreibe ich auch das Drehbuch, ein Drehtermin steht noch nicht fest. Es heißt „Auf der Suche" und ist die Geschichte einer 50 Jahre alten Frau und eines jungen Mannes, die gemeinsam in Marseille nach ihrem vermissten Sohn suchen. Wieder eine Geschichte, die beide Figuren aus ihren eigentlichen Zusammenhängen rauslöst und in der Fremde zusammentreffen lässt. Man braucht manchmal diese Ausnahmesituationen, um einen Schritt weiter zu kommen. Das funktioniert in seinem Alltag zuhause eigentlich auch nur durch kleinere Katastrophen.

 

Hast du jetzt eine Ausnahmesituation in Aachen?

Auf eine komische Art und Weise habe ich das Gefühl, ich begegne mir hier als junger Mann, Anfang 20 wieder. Die Erinnerungen sind konserviert, wenn ich hier durch die Straßen laufe oder in der Kneipe sitze, fallen mir Momente von vor 15 Jahren ein, als ich hier meine ersten Studienjahre verbracht hab. Eigentlich komme ich her und die Vergangenheit kommt mir vor wie jemand anderes, zu der muss ich mich auch nicht verhalten. Ist eine lustige Situation, macht mir Spaß.

 

Hattest du Zeit in Aachen ins Kino zu gehen?

Im Capitol hab ich „Alle anderen" gesehen. Ein Film, der auch so verspielt und versponnen ist. Die großen Dramen verläppern sich letztlich. Schön, dass so was funktionieren kann, ohne dass die großen Kapitel der Zeitgeschichte verhandelt werden, ohne dass irgendwelche Häuser in die Luft fliegen, oder dass Kinderschänder zur Strecke gebracht werden. Dass der Alltag, wenn man den richtigen Blick drauf findet und die richtige Spielfreude, die Leute noch berührt. Und wieder motiviert, daran Zeit und Gedanken zu verlieren.

 

Was sind deine Zukunftspläne?

Wenn ich darf, mache ich gerne mit Caroline wieder auch mal was ganz Klassisches. Die Aufgehobenheit in diesem Haus, so konzentriert zusammen zu arbeiten, finde ich sehr angenehm. Film ist dagegen immer wie Pokern, man darf sich nicht in die Karten gucken lassen. Man muss immer gucken, dass man im richtigen Moment die Trümpfe spielt. Es geht um mehr Geld. Die Konkurrenz ist groß, die Entscheidungen sind intransparenter, die große Frage, wird es ein großer Erfolg. Man kann in jeder Runde immer rausfliegen, das ist das Gefühl beim Film. Ich hab mich da zwar bis jetzt gehalten, aber ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahr einen Film machen darf.

 

Jan Krüger, geboren am 23. März 1973 in Aachen, studierte von 1992 bis 1996 an der Rheinisch-Westfälischen TH Aachen die Fächer Elektrotechnik, Physik und Sozialwissenschaften. Dann wechselt er zum Film und erhält 2001 sein Diplom an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Dem Dokumentarfilm "In den Kreis des Lichts" (1998) folgen als eigene Projekte die Kurzfilme "Verführung von Engeln" (2000), "Hochzeitsvorbereitungen" (2000) und "Freunde" (2001).

2004 legte Krüger mit "Unterwegs" seinen ersten langen Spielfilm vor, der besonders im Ausland auf starke Resonanz stößt – wie auch einige von Krügers Kurzfilmen, die hierzulande kaum beachtet werden. So wurde "Freunde" (2001) auf den 58. Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen für den Besten Kurzfilm ausgezeichnet.

8.9.09

Stone schlägt Oceans 3 in Venedig

Soderbergh, Clooney und Damon neben Star-Farce um Hugo Chavez

 

 

Venedig. Die "Oceans 3" George Clooney, Matt Damon und Steven Soderbergh hätten die Stars der zweiten Mostra-Woche werden sollen. Doch einer von „Stones 5" entwickelte sich bei den 66. Filmfestspielen von Venedig (2.-12.9.2009) zum Politiker der Herzen: Hugo Chavez, provokanter sozialistischer Staatschef von Venezuela, wurde bei der Gala zu „South of the Border" wie ein Pop-Star gefeiert. Damit erreichte Oliver Stone mit seiner Dokumentation über fünf Staatschefs Latein-Amerikas sein wichtigstes Ziel: Er wolle der Verteufelung von Chavez, Luna und anderen durch die US-Medien ein reales Bild entgegensetzen.

 

So erlebte Venedig Politik als Show bei Oliver Stone, Militärs als Clowns in "The Men Who Stare at Goats" und Matt Damon als unverbesserlichen Betrüger in Steven Soderberghs „The Informant!". Während die Aktion um Stones und Chavez eher als lachhaft abgetan werden kann, lieferten sich Soderbergh und seine Stars einen guten Humor-Wettbewerb in und außerhalb des Rennens um die Goldenen Löwen. „The Men Who Stare at Goats" von Regisseur Grant Heslov schickt Ewan McGregor als frustrierten und von seiner Frau verlassenen Journalisten Bob in den Irak. Dort begegnet er dem seltsamen Schnurrbarträger Lyn (großartiger Clown: George Clooney), der vorgibt einer Einheit für paranormale Kriegsführung anzuhören. Er selbst sei berühmt geworden, weil er nur mit seinem Blick eine Ziege getötet hätte. Es gibt noch reichlich Abstruses von der Sondereinheit zu berichten, die Jeff Bridges in bester „Big Lebowski"-Manier anführt. Dass Jedi-Darsteller Ewan McGregor tatsächlich zum Jedi-Soldaten wird und das Finale mit Hilfe von LSD die gute alte Hippie-Zeit aufleben lässt, macht den verrückten Star-Spaß (außer Konkurrenz) noch sympathischer.

Matt Damon gibt unter der Meister-Regie von Soderbergh als „The Informant!" einen biederen Angestellten, der das FBI über gigantische Preisabsprachen der Lebensmittelkonzerne informiert. Dass er damit verdecken will, wie er selbst viele Millionen beiseite schaffte, ist nur ein Teil des Lügengeflechts dieser faszinierende Figur. Mit vielen karikierenden Details in Maske, Musik und Kleidung lässt Soderbergh seine Lügen-Komödie perfekt wie ein Uhrwerk ablaufen. Kein Favorit aber ein schöner Spaß.

Ein guter Bekannter der Region, Oliver Schwabe, ist mit seinen "Zarten Parasiten" zum zweiten Male in Venedig. 2001 wurde Jan Krügers Kurzfilm "Freunde" als bester Kurzfilm mit einem Silbernen Löwen ausgezeichnet, Oliver Schwabe war Kameramann. Nun führte er auch Regie zusammen mit Christian Becker im zweiten Spielfilm des Regieduos. Robert Stadlober kann mit Maja Schöne als junges, obdachloses Paar fesseln, dass sich in die einsamen Leben anderer Menschen einnistet. "Zarten Parasiten", ein junges Stück Kino aus der richtungsweisenden Nebensektion „Horizonte", ist eine von sieben geförderten Produktionen, mit denen die Filmstiftung NRW in diesem Jahr ein ungewöhnlich starken Auftritt hat.

7.9.09

Wickie und die starken Männer

 

BRD 2009 (Wickie und die starken Männer) Regie: Michael Bully Herbig mit Jonas Hämmerle, Günther Kaufmann, Christoph Maria Herbst, Jürgen Vogel 85 Min.

 

Man reibt sich verwundert die Nase. Irgendwo muss der Mann eine Zeitmaschine haben: So einfach fröhliche Gesichter sah man zuletzt in Astrid Lindgren-Filmen oder in den Kinderfilm-Klassikern der Tschechoslowaken, als die noch ein Land waren. Strahlend erwartet das niedliche Wikinger-Dorf die Rückkehr ihrer Männer. Und neben aller handwerklicher Meisterschaft von Tausendsassa Michael Bully Herbig überzeugt er diesmal mit einem besonderen Trick: Der Abwesenheit von jeder Art von Zynismus.

 

Wickie (Jonas Hämmerle) ist ein aufgeweckter Wikinger-Junge mit rotblonden Haaren, der lieber nachdenkt als sich prügelt, wie es sich für Wikinger gehört. Deshalb wird er von seinem Vater Halvar, dem stursten Wikinger-Chef aller Zeiten, nicht ernst genommen. Als das Dorf von einer Horde maskierter Fremder (mit Jürgen Vogel unter ihnen) überfallen wird, die alle Kinder bis auf Wickie entführen, hissen die Wikinger aus Flake die Segel zur Verfolgung. Wickie will seine Freundin retten, versteckt sich auf dem Schiff und durch seine tollen Ideen kann die liebenswert chaotische Truppe den Schreckliche Sven besiegen.

 

Wetten auf das nächste Kinoprojekt von Bully Herbig würden immer schief gehen: Nach der Western-Parodie „Der Schuh des Manitu" ging es mit „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1" in den Weltraum und mit dem Animationsfilm „Lissi und der wilde Kaiser" in die Abgründe des K-und-K-Heimatfilms. Und nun „Wickie und die starken Männer" nach den Kinderbüchern von Runer Jonsson, aber vor allem nach der 78-teiligen ZDF-Zeichentrickserie aus den 70er Jahren. Während sowohl die legendären Sissi-Filme als auch der Charakter von Bully Herwig sicher in den Zeichentrick "Lissi" übertragen wurden, gelingt auch der andere Transfer: Obwohl es in den recht flachen Zeichungen des Wickie-Originals von knorrigen Gestalten nur so wimmelt, erkennt man sie im Realfilm ohne grobe Maskerade trotzdem wieder. So kann Herwig auch vom Ausflug ins Wikingerland und in die Sphären des sympathischen, volkstümlichen Familienfilms mit gefüllten Schatztruhen zurückkehren.

 

Antichrist

 

Dänemark 2009 (Antichrist) Regie: Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe 104 Min.

 

Es ist eine der nicht unwesentlichen Kleinigkeiten des genialen und vielschichtigen Films „Antichrist": Ausgerechnet der Regisseur Lars von Trier, dessen Filmen wie „Breaking the Waves", „Dancer in the Dark" oder „Dogville" immer wieder Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird, lässt seine Heldin in „Antichrist" eine historische Untersuchung über Misogynie betreiben.

 

Aber dieser Scherz und dieser Schlüssel zu einem großen Rätsel folgen später. Erst erlebt ein Paar den tragischen Tod ihres kleinen Kindes - ausgerechnet während eines intensiven und hochästhetisch gefilmten Liebesaktes. Die Umschlingungen in Schwarzweiß und Zeitlupe mit einem ergreifenden Händel-Lied sind grandioses Kino - wie auch der Rest des Films. Der Sturz des Kindes aus dem Fenster in sanft aufwirbelnden Schnee - eine grausame Bildpoesie. Da der namenlose Mann (Willem Dafoe), von Beruf Psychiater, die depressive Trauer seiner Frau (Charlotte Gainsbourg) nicht beenden kann, ziehen sie sich zusammen in ihre einsame Hütte, „Eden" genannt, in die Wälder zurück.

 

Dort versucht er ihr beizubringen, mit ihren massiven Ängsten umzugehen. Doch mitten in einem sehr schaurig präsentierten deutschen Wald (gedreht wurde in Nordrhein-Westfalen) ereignen sich immer mehr unerklärliche Dinge und die Natur tritt dem Analytiker mit totgeborenen Tieren entgegen. Er meint, weiter Herr der Lage zu sein, während der Wahnsinn sich in extrem brutalen Verletzungen äußert. Der Überlebenskampf zwischen einem männlichen und weiblichen Prinzip wird sehr körperlich und gleichzeitig mysteriös geschildert.

 

Man sollte sich nicht vom Etikett „Horrorfilm" abschrecken lassen - auch wenn einige Szenen vom Härtesten sind. Der Däne Lars von Trier lehrt, die Angst vor seinem eigenen Film zu überwinden, wirft fast alberne Momente, wie einen dämonisch sprechenden Fuchs ein. Bis auf drei, vier Schockmomente, ist sein Schrecken ein ganz eigener in faszinierenden Bildern und Szenen. Das Schauspiel ist grandios, Charlotte Gainsbourg erhielt in Cannes, wo „Antichrist" am meisten Aufsehen erregte, den Darstellerpreis. Selbstverständlich ist die ganze Geschichte psychologisch sorgfältig unterfüttert. Ein grausamer Hass auf die eigene Sexualität, die tröstet und zerstört, ist eine Triebfeder von Gainsbourgs Figur. Während man sich fragt, wer eigentlich der Antichrist in diesem Film ist (Mann, Frau oder gar Kind?), kämpft sie mit dem Zweifel, ob tatsächlich etwas Böses in ihr schlummert. Das mag in einigen Momenten drastisch umgesetzt sein, ist aber sowohl gedanklich als auch ästhetisch extrem faszinierend. Im vor Energie wabernden Bild kehrt von Trier nach reduzierten Arbeiten wie „Dogville" und „Manderlay" zum Vielschichtigen seiner früheren Werke („Element of Crime", „Epidemic") zurück. Er selbst verweist psychologisch auf Strindberg und im Bild auf den russischen Meisterregisseur Tarkowski. Dass Lars von Trier Ahnung von Ängsten hat, erklärte er in einem offenen Interview vor der Weltpremiere des Film: Über ein Jahr lang wurde er von schweren Depressionen gequält, der Film „Antichrist" sei seine Rettung gewesen.

Sturm

 

BRD 2009 (Sturm) Regie: Hans-Christian Schmid mit mit Kerry Fox, Anamaria Marinca und Stephen Dillane

 

Hans-Christian Schmid beweißt erneut, dass er nicht nur ein exzellenter Regisseur mit ganz besonderem Vermögung zur Schauspielführung ist, er kommt auch mit den unterschiedlichsten Genres zurecht. Nachdem er mit der verrückten Jugendgeschichte „Nach Fünf im Urwald" Franka Potente entdeckte, dirigierte er für seine Internatsgeschichte „Crazy" ein ganzes Jugend-Ensemble. „Lichter" war ein soziales Episoden-Stück an der deutsch-polnischen Grenze, wogegen er bei „Requiem" ein Psychodrama mit Anklang an den Horrorfilm meisterte. Nun drehte er einen Politthriller: „Sturm" hat als Hauptfigur die Juristin Hannah Maynard (Kerry Fox), Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien. Sie schafft es, eine in Berlin lebende Bosnierin (Anamaria Marinca) zu überzeugen, in Den Haag gegen den ehemaligen serbischen Befehlshaber Goran Duric, einen mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher, auszusagen.

Hannah Maynard muss nicht nur politische Hindernisse überwinden. Zuerst wird sie bei einer Beförderung übergangen, dann erweist sich ihr Hauptzeuge für die Deportationen Durics in einem bosnisch-muslimischen Dorf als Lügner. Nach dem Selbstmord des jungen Bosniers droht der Prozess zu platzen, doch Hannah entdeckt die Schwester des Toten, die selbst durch die Hölle gehen musste, und versucht sie zu einer Aussage zu bewegen.

 

Nicht nur die Überzeugungsarbeit bei der traumatisierten Zeugin, die schnell brutale Angriffe unbelehrbarer Serben erlebt, spannt Hannah Maynard ein. Von allen Seiten, ja sogar vom Haager Gericht selbst, wird der Weg zur Gerechtigkeit verstellt.

 

Das intensive Spiel in ist vielen packenden Szenen faszinierend, es macht das Grauen des Jugoslawischen Bürgerkrieges in den Gesichtern und Geschichten der Opfer deutlich, ohne dass es gezeigt werden muss. Ebenso faszinierend ist, wie Schmid das Geflecht von Abhängigkeiten und Interessen um eine mutige Frau herum strickt. Von einem Partner, der nicht zu ihr steht, über den Vorgesetzten, der sie hintergeht, bis zum globalen Niveau der Europäischen Union, die einen Deal einfädelt, und damit grausamste Verbrechen im Tausch für ein noch größeres Europa unter den Teppich kehrt.

 

In einer Schlüsselszene zeigt Schmid ein Gemälde Vermeers und lässt davon erzählen, wie Maler im Dienste ihrer politischen Herren arbeiten musste. Schmid selbst zeichnet mit Gesichtern, die einem nahe gehen, das Bild einer supranationalen Institution, die für eine bessere Welt absolut notwendig ist, aber deren Funktionieren noch in den Kinderschuhen steckt. Er hätte „die Themenkomplexe Völkerrecht und Balkankriege erarbeitet und dann Figuren entwickelt, welche die Leidenschaft und Integrität der Vorbilder spiegeln, die wir beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag gefunden haben," meinte Schmid zu seinem hochaktuellen und bewegenden „Sturm".

 

3.9.09

BAARÌA Venedig 2009 Eröffnungsfilm

 

Regie: Giuseppe TORNATORE mit Francesco Scianna, Margareth Madè, Raoul Bova, Enrico Lo Verso, Michele Placido, Vincenzo Salemme, Monica Bellucci, Laura Chiatti

Italy 162'

 

zu viele Geschichten und dadurch zu viele Geschichten, die verloren gehen. Lange weiß man gar nicht recht, wer denn die Hauptfigur sein soll. Oder das Thema.

 

Run Forest, run

 

Was für ein Start für die 66. Filmfestspiele von Venedig: Guiseppe Tornatores kleiner Held Peppino hebt schon in den ersten fünf Minuten ab. Unterstützt durch die Musik von Ennio Morricone. Ein Eröffnungsfilm, der mit den Mitteln des großen Kinos klotzt. Und abstürzt, weil er zu viel will.

 

Peppinos Vater ist der bärenstarke und raffinierte Cicco, der sich nichts vom reichen Grundbesitzer gefallen lässt. Hier beginnt der Kampf von Arbeit gegen Kapital, wobei das Kapital in Sizilien eine gute Waffe und eine kräftige Portion Amoral sind. Dieser Film ist sizilianisch in Geschichte, Figuren, Schauspiel und in Sprache - so sehr, dass auch die Italiener zeitweise Untertitel brauchen. Und in Sizilien muss es eine Geschichte von Armut und Hunger sein. So arbeitet Peppino schon als kleiner Knirps beim Schafhirten. Die Eltern bekommen drei Laib Käse dafür. Später wird er in den Straßen Milch verkaufen, ganz frisch von der Kuh, die er an einer Leine mitführt.

 

Es sind die dreißiger Jahre. Das Volk macht Scherze über die Faschisten, ebenso wie es sich über die Mafia lustig macht. Zwar werden immer mal wieder „Subversive" abgeführt, aber der Film geht milde mit den Verbrechern um. Nie kocht die Wut gegen die heimlichen Herrscher Siziliens und ihre Morde hoch. Selbstverständlich eint die Familie über mehrere Generationen von Männern die Leidenschaft für das Kino. Und auch die große Liebe darf nicht fehlen, es ist erst eine Liebe in Briefen des mittellosen Peppino zu Mannania. Bis er das Haus der Schwiegereltern besetzt und so zur Hochzeit kommt.

 

 

Immer wieder taucht Tornatore in große Szenen ein, immer wieder sehen wir die Straßen um die Kirche und das Haus von Peppino. Die Zeitsprünge mit dem immergleichen Trick einer Szene in der ein Gesicht - vom Schwenk versteckt - in einem Bild altert, wirken beim dritten Mal schon fade. Es gibt auch immer wieder nette Momente, etwa wenn aus dem Fallschirm der amerikanischen Befreier nach einem Schnitt sehr viel Kinderbekleidung wird.

 

„Baaria" erzählt ein wenig auch die Geschichte der Kommunistischen Partei Italiens, bei der man für die politische Karriere einen warmen Mantel brauchte: Ohne einen Besuch im kontrollierenden Moskau ging nichts. Doch große Themen wie eine illegale Landnahme, die bei den Tavianis episches Gewicht bekommen hätten, laufen hier nebenher mit. Auch die Konzentration auf ein ewiges Duell zwischen Ausbeutern und Arbeitern wie in Bertollucis „1900" kristallisiert sich nicht heraus. Über Demonstrationen der Linken, die zu Toten in den Städten führten, berichtet der Film vom Hörensagen. Nur selten darf das steinige, so brutale und so eindrucksvolle Land selbst in seiner Großartigkeit ins Bild. Es war sicher eine aufwendige Studioproduktion, aber es bleibt eine Studioproduktion.

 

Garniert mit viel sizilianischer Tradition und absurd kurzen und peinlichen Szenen mit Monica Bellucci mag „Baaria" ein italienisches Thema sein, aber keine Sensation, die über die Landesgrenzen hinaus begeistern wird. Erst in den letzten 15 Minuten purzeln die großen Szenen wieder in den Film: Da ist der Hohn eines blinden, aber selbstverständlich korrupten Stadtplaners, der die Farce um eine blinde Wählerin abschließt. Poetisch mit doppeltem Boden erweist sich Peppinos Leben nur als Traum eines kleinen Jungen, der doch Jahrzehnte später genau in der Welt erwacht, deren Entstehen sein Traum erzählte.

2.9.09

Klischees und Kirchen-Zombies

 

Venedig. Die Filmfestspiele bedienen gleich von Anfang an alle Italien-Klischees und die Filme alle sonstigen Wünsche. Da begrüßt einen die Vermieterin mit einem Lamento über Berlusconi und seine Medien-Diktatur. Da steht der Neubau für den Festivalpalast selbstverständlich exakt im wuseligsten Weg rum. Da ist das Behelfskino schlecht und viel zu laut gekühlt. Aber all das lieber, als ein dämonisches Virus im Haus. Oder einen vatikanischen Exorzisten-Chemiker unter dem Dach, der mit Genen und Kindern experimentiert. Oder eine Reporterin, die viel zu gut aussieht für ein Zombie-Massaker. All das packen die Spanier Jaume Balaguero und Paco Plaza unter das Quarantäne-Dach von „[REC] 2". Und mann, haben die beiden seit ihrem Überraschungshit „[REC]" dazugelernt. Nun stehen einem 80 Minuten lang die Haare zu Berge und dann muss auch Schluss sein. Klasse zu sehen, dass es noch intelligente Schocker gibt und dass die Spanier immer noch sehr wachsam die Rollen von Kirche, Militär und Zivilisten durchdeklinieren. Womit wir wieder bei Berlusconi wären - aber das ist ein ganz spezieller Horror eines Todgeglaubten im zweiten Teil.

 

1.9.09

Dance Flick


USA 2009 (Dance Flick) Regie: Damien Dante Wayans mit Shoshana Bush, Damon Wayans jr., Essence Atkins 83 Min. FSK ab 12

Wie schön, endlich mal ein dämlicher deutscher Zusatz-Filmtitel, der genau ins Schwarze trifft: „Dance Flick“ ist das „Allerletzte“. Auch wenn sich die aus Prinzip ganz nahe am Albernen herumtrippelnden Tanzfilme dringend für eine Parodie aufdrängen. Wenn sich bei „Fame“ ein Rhythmus und eine Horde von Musikschülern tanzend und singend auf die Straßen New Yorks ergießt, ist das selbst schon so bescheuert, dass man es kaum karikieren kann. Und zudem war extrem gut gemacht. Dass man es dann einfach mit schlechten Darstellern noch überdrehter nachdreht, ein paar Schwulenwitze einstreut, ist nicht witzig. Daran scheitert auch dieser Humorversuch der Brüder Wayans. Wenn man Großen ans Bein pinkeln will, muss man selbst ein gewisses Niveau erreicht haben.

Einfacher haben es da die Brüder der Billig-Parodie mit Filmchen, die selbst eher erbärmlich sind: Wie bei „Step up“ oder „Stomp the Yard“ bildet ein Street Dance Battle das klapperige Handelsgerüst. Scheinbar darf man im Genre der Parodie neben Schauspiel, Tempo und Dialog auch die Dramaturgie völlig vernachlässigen.

Final Destination 4 3D


USA 2009 (The Final Destination 4) Regie: David R. Ellis mit Krista Allen, Nick Zano, Mykelti Williamson 82 Min.

Dieser Film ist grausam und brutal. Vielleicht auch von der Handlung her, da ihm nicht viel mehr einfällt, als am laufenden Filmmeter Figuren zu zerstückeln. „Final Destination 4“ ist vor allem brutal für die Augen. Wenn man als Teil 4 startet, hat man es nie leicht. Doch dieser Teenie-Schocker wurde auch noch, wie viele andere Filme zur Zeit, für das digitale 3D-Format gedreht. So erweist sich „FD 4 3D“ als das bisher schlimmste Beispiel dafür, dass die dreidimensionale Technik in jeder Hinsicht extrem flache Filme hervorbringen kann. Eine Film- Katastrophe!

Die Handlung beschränkt sich auf die Formel, die den ersten Teil so erfolgreich machte: Diesmal ist es Nick, der mit Freunden unterwegs ist und aus heiterem Himmel die Vision einer schrecklichen Katastrophe hat. Dadurch kann er so gerade noch abhauen und ein paar Menschen springen dem Tod von der Schippe. Der Sensenmann gibt sich damit jedoch nicht ab, sondern holt sich die Todeskandidaten einer nach dem anderen zurück. Bis die Helden das Prinzip begreifen und sich gegen ihr Schicksal wehren.

Das könnte bei Terry Pratchett eine leicht humorige Geschichte sein, bei dem vor allem der Tod in GROSSBUCHSTABEN trocken-witzige Sätze abliefert. Doch „Final Destination“ zelebrierte von Anfang an die Mechanik einer Reihe unwichtiger Details, die in sadistischer Konsequenz zum Tode führen. Und „Final Destination“ genießt ebenso detailliert die Desintegration von Körpern. Das machte schon der Vorspann mit Röntgenaufnahmen durchlöcherter, zerrissener oder zerstückelter Skelette klar. Wenn Nick nun auf der Rennbahn die erste Katastrophe dieses katastrophalen Films erlebt, fliegen nicht nur Gegenstände, sondern auch gerne Körperteile spektakulär dem Publikum in die Tiefe des Kinoraumes entgegen. Selbstverständlich muss sich ein Pfahl auf der Blickrichtung erst durch einen von Nicks Freunden und dann quasi durch die Leinwand bis in die Augäpfel der Zuschauer bohren. Und wenn man die Lust dieser Bilder betrachtet, hat die Menschheit scheinbar Jahrmillionen darauf gewartet, Köpfe nicht nur rollen, sondern in 3D auch fliegen zu sehen. (Wobei dieses Stadium der Kultur schon vor Jahrhunderten bei Belagerungen von Städten erreicht wurde. Nur da flogen die Köpfe als Abschreckung - hier soll es eine Attraktion sein!)

Während dies alles Geschmackssache ist, eröffnen sich bei diesem 3D-Film handwerkliche Abgründe, die eine Unverschämtheit gegenüber jedem zahlenden Zuschauer darstellen. Selbst umsonst grenzt dieses Machwerk noch an Körperverletzung. Denn außer der Mechanik des Todes erzählt „Final Destination 4“ so gut wie nichts. Jede weitere Figurenzeichnung oder Nebenhandlung fiel flach. Zudem erweist sich die Mechanik an sich als simpler, nicht funktionierender Nachbau. Die Kette der Ereignisse ist nie zwingend. Und so schlimm die Zerstörungen der Körper sind, die Leerräume dazwischen sind noch unerträglicher: Wie bei anderen Umstellungen in der Technik sind einige von den neuen Anforderung völlig überfordert: Das Team von „Final Destination“ hatte keinerlei Vorstellungen, was man mit einem 3D-Raum vor der Kamera anfängt. Die Szenen wurden von Legasthenikern der Bild-Sprache auf unsäglichste Weise gestaltet. Wenn solch flache 3D-Produkte die Zukunft des Kinos sein sollten, wird es mit dem Kino ganz schnell vorbei sein.

Taking Woodstock


USA 2009 (Taking Woodstock) Regie: Ang Lee mit Demetri Martin, Imelda Staunton, Henry Goodman, Eugene Levy 120 Min.

Woodstock ist ein scharf vermarkteter Mythos mit Copyright sogar auf dem Namen eines Dorfes. Und Woodstock ist Chaos: Zuerst war es extrem schwer, Karten für das legendäre Open Air-Festival zu bekommen, dann sorgte ein ähnlicher „Lapsus“ wie bei der Öffnung der Mauer dafür, dass die Zäune fielen und alle gratis hinein durften. Statt 500.000 Menschen sollen es mehr als doppelt so viele gewesen sein. Ang Lee zeigt in seinem herzlichen und komischen Film auf der Seite des Chaos eine private Geschichte, ohne die es Woodstock nie gegeben hätte...

Was braucht ein jüdischer Junge aus einem Dorf im Staate New York Ende der Sechziger zum Coming Out? Nur 500.000 Menschen sowie einen Musik- und Drogen-Trip namens Woodstock. Für ein paar Brownies für ein paar nicht legalen Zusatzstoffen mehr versteht er sich denn auch mit seinen verknöcherten Eltern wunderbar problemlos.

Im dem Song „Woodstock“ von Crosby, Stills, Nash & Young (oder nach Geschmack von Joni Mitchell) singen die alten Herren von den Partys, die es damals überall auf der Strecke nach Woodstock gab. Meister-Menschenfilmer Ang Lee zeigt eine dieser Partys, aber aus einer sehr persönlichen Perspektive. Elliot Teichberg (Dimetri Martin) kehrte gerade zum heruntergekommenen Motel seiner alten Eltern zurück, um den Laden vor dem Bankrott zu retten. Dynamisch übernimmt er im Kaff auch den Vorsitz der Handelskammer und verspricht das übliche Sommerfestival mit Platten, die er vorspielen wird. Dass die Genehmigung dazu von einem verrückten Rock-Festival namens Woodstock dringend gebraucht wird, weil es im Nachbarort nicht willkommen war, bildet den Anfang einer lawinenartigen Entwicklung. Kaum macht Elliot den Organisatoren das Angebot, tauchen Helikopter und reihenweise schwarze Limousinen auf. Nicht nur das schrottreife Motel wird rasend schnell von Konzert-Managern und Hippies überrannt, das ganze Dorf steht Kopf.

Das Drehbuch zu „Taking Woodstock“ basiert auf den Erinnerungen von Elliot Tiber. Was daran historisch wahr ist, bleibt Nebensache. Oder Sache des Dokumentarfilms von Michael Wadleigh, der auch gerade erschien. Doch Woodstock ist bei der humorvollen Geschichte von Elliot und Ang Lee nur Nebensache - wenn man 500.000 Menschen, die drei Tage lang feierten wie noch nie, als Nebensache bezeichnen kann. Es sind die anderen Menschen, die sich erst widerwillig und dann voller Lust in den Freudentaumel stürzen, die „Taking Woodstock“ zu einem Quell der Lebensfreude machen. Angefangen bei Elliot, der zwar ahnte, dass ihm das Dorf zu klein ist, aber der aus Fürsorge für die Eltern auf Kalifornien verzichtete. Jetzt wird er mehrfach von Männlein und Weiblein wach geküsst und weiß sofort, was ihm am besten schmeckt. Elliots Vater erlebt einen zweiten Frühling und selbst die ostjüdische Mutter wettert mal nicht über Antisemitismus und die Schlechtigkeit der Welt. Von nudistischen Theatertruppen bis zum transsexuellen Bodyguard (Liev Schreiber in großartiger Drag-Rolle!) präsentieren Ang Lee und sein angestammter Autor James Schamus immer wieder diese Menschen, die man alle in den Arm nehmen möchte und liebhaben. „Taking Woodstock“ ist nicht nur prall von sympathischen Figuren, es ist ein großartiges Erlebnis, wenn auch das ganze Happening immer in reine Geschäftemacherei abzugleiten droht. Doch diese Geschichten wurden woanders erzählt. Ang Lee konzentriert sich ganz auf das Gefühl, das CSN&Y so besangen: „We are stardust, we are golden ...“