31.1.11

Serengeti


BRD 2010 Regie: Reinhard Radke 102 Minuten FSK ab 6

„Serengeti darf nicht sterben“ hieß es 1959 in der Dokumentation von Bernhard Grzimek. Ein halbes Jahrhundert später geht es ihr sichtbar gut. Auch dank des Einsatzes des possierlichen TV-Zoo-Direktors Grzimek ist der Nationalpark in Tansania weiterhin „Ein Platz für Tiere“. Nun nahm der erfahrene Raubtierfilmer Reinhard Radke die Spur Grzimeks auf und machte Kamera-Jagd auf .... Gnus! Die massiven Huftiere stehen nicht ganz oben beim Zoobesuch, doch mit (immer wieder fragwürdiger) Dramatisierung und vor allem extrem spektakulären Aufnahmen gelang Radke ein altmodischer Tierfilm auf ausgetretenen Pfaden.

Der Kreislauf des Lebens in Form der lang unverstandenen, saisonalen Wanderung der Huftiere in der Serengeti, bilden das Handlungsgerüst von „Serengeti“. Am Wegesrand lauern Löwen, Geparden, Leoparden und Krokodile. Besonders die Querung des Mara-Flusses sorgt immer wieder für Staunen. Während sich Tausende Gnus an den steilen Hängen drängen und fast wie Lemminge wirken, fragt man sich, wie viele Filmteams wohl das gegenüberliegende Ufer bevölkern. Schon vorher verglich man die realen Tiere mit den teilweise attraktiveren Verwandten aus Disneys Trickfilm „Der König der Löwen“. Solch Spott mag gemein wirken, doch der sich endlos in Banalitäten wiederholenden Kommentar von Hardy Krüger Jr., dem Wüstenfuchs der Vorabendserie, und vor allem die abgenudelte Musik provozieren derartige Reaktionen.

Klassisch geschnitten, didaktisch immer mal wieder informativ. Ein netter Film, doch die Konkurrenz andere Filme ist für „Serengeti“ gefährlicher als lauernde Löwen. Radke konnte für seine NDR-Produktion ein paar sagenhafte Super-Zeitlupen einfangen, die Zeitraffer des Sternen-Himmels beeindrucken ebenso wie Helikopter-Aufnahmen der rauchenden Vulkan-Schlote. Die geniale Tarnung der Geparden lässt sie selbst beim Sprint im hohen Steppengras fast unsichtbar werden. Auch die unfassbare Menge an Huftiere auf diesem Meer aus Gras macht Eindruck. Vermenschlichung und rührselige Momente inklusive. Doch mit modernen Mega-Produktionen des BBC oder französischer Tierfilm-Spezialisten kann die „Serengeti“ nicht mehr mithalten. Das „Survival of the fittest“ gilt auch im Kino. Zumindest mit dem Hintergrund der großen Wanderung belohnt der Film am Ende: Es sind die Jod SL-Körnchen oder so im vulkanischen Boden, die Millionen Huf-Tiere zu Wandervögel machen und Tierfilmer reichlich Film-Futter liefern.

27.1.11

I Killed My Mother


Kanada 2009 (J'ai tué ma mère) Regie: Xavier Dolan mit Anne Dorval, Xavier Dolan, François Arnaud 96 Min.

Ein 16-jähriger Junge hasst seine Mutter, die ihn zur Schule und zur Videothek fährt, das Essen macht und das Erbe der Oma verwaltet, bis der aufmüpfige Teenager 18 wird. Das klingt jetzt schon dramatischer als das erweiterte und nervige Kammerspiel eigentlich ist, der Titel „I Killed My Mother“ ist gar völlig überzogen. Was der junge Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan damit erledigt sind wohl seine pubertären Rest-Frustrationen. So brüllt seine Figur Hubert Minel leidenschaftlich, oft und gleichbleibend. Die Mutter Chantale (Anne Dorval) schreit meist mit, weiß aber auch, dass sie mit dem leisen Summen irgendwelcher Liedchen die Wut noch steigern kann.

Während Hubert sein selbstverliebtes Kamera-Tagebuch in s/w führt, macht stattet der linear langweilig erzählte Film die Mutter lächerlich aus und versucht den rebellischen Sohn zu stylen, was ebenso erbärmlich wirkt. Da hängen Kunst-Drucke beim kiffenden Liebhaber mit der sexy Mutter und provenzalischer Kitsch in der dämmerigen Küche zuhause. Zwischendurch gibt es ein paar Zitate und einen Hauch von zärtlichem Gefühl. Doch bald wird wieder gebrüllt. Filmisch mit schwacher Kamera und Kunstversuchen. Akustisch sowieso. Vielleicht hätte Dolan die Probleme persönlich mit seiner Mutter klären sollen, anstatt ein Publikum anzubrüllen, das daran nun mal keine Schuld hat. Ein sehr expressives und unreifes Werk. Am originellsten ist noch das kanadische Französisch im Original, selbst wenn man das Wallonische gewohnt ist. Doch, etwas Gutes gab es in diesem anstrengenden Film: Die Musik klingt wie die Pianoläufe von Wim Mertens aus dem „Bauch des Architekten“. Der nächste Film von Dolan ist schon am Start, ebenfalls beim ansonsten exzellenten Verleih Kool. „Les amours imaginaires“ wird mit Regie, Produktion, Buch und einer Rolle wahrscheinlich erneut eine sehr  individuelle Dolan-Äußerung.

26.1.11

Diamantenhochzeit DVD


BRD 2009

Regie: Michael Kupczyk

Lighthouse

Aachen-Komödie

Die rasanteste Aachen-Komödie aller Zeiten ist jetzt endlich auf DVD erhältlich: Von der Jakobskirche bis zum Spielcasino jagt die Hochzeits-Gangster-Geschichte in „Echtzeit“ durch die Straßen der Stadt und zieht alle Register eines flotten Spaßes: Ein Beutelchen Diamanten zur Hochzeit mitbringen - eine schöne Idee, die ein junges Brautpaar freuen wird. Allerdings nicht, wenn die Diamanten noch im Bauch des Kuriers stecken und der tot im Kofferraum liegt. Der Vater der Bräutigams hat mal wieder ein krummes Ding vergeigt. Der aus Lünen stammende Regisseur Michael Kupczyk („Nordstadt“) machte aus dieser Grundidee und einigen bekannten Gesichtern (Marleen Lohse, Jörg Pohl, Uta Maria Schütze, Dietrich Hollinderbäumer, Anja Franke) in seinem zweiten Langfilm eine flotte Komödie, mit welcher der aus Aachen stammende Produzent Peter Kreutz seiner Heimat eine Hommage abstattete.

Buffalo Soldiers '44 - Das Wunder von St. Anna


USA, Italien 2008 (Miracle at St. Anna) Regie: Spike Lee mit Derek Luke, Michael Ealy, Laz Alonso, Omar Benson Miller, Pierfrancesco Favino 154 Min. FSK: ab 16

DVD: Ascot Elite

Nach seinem ungewöhnlichen Bankraub-Film „Inside Man“ ehrt der Regisseur Spike Lee („Do the right thing“) in einem bewegenden Epos von zweieinhalb Stunden die vergessene und verdrängte Rolle schwarzer US-Soldaten im 2. Weltkrieg. Der Mord eines alten Postbeamten an einem italienischen Kunden im Jahre 1984 und der Kopf einer extrem wertvollen italienischen Skulptur spannen das Rätsel. Eine Kriegs-Geschichte mit gewaltsamen, eindrucksvollen, humorigen und sentimentalen Szenen löst das Versprechen eines guten Spike Lee-Joint, der es nicht ins deutsche Kino geschafft hat:

Lee beginnt den Kampf der US-Truppen in Italien mit seinem, kleinen "Soldat Ryan". Die „Buffalo Soldiers“, eine schwarze Truppe, werden im Stich gelassen, obwohl sie einen erfolgreichen Vorstoß gelandet haben. Vier Soldaten verstecken sich hinter den deutschen Linien in einem kleinen Dorf. Sie haben einen verstörten Jungen aufgelesen und fangen einen flüchtigen deutschen Soldaten. Zwischen heftigen Kampfszenen und märchenhaften Momenten im Stile von „Das Leben ist schön“ löst sich ein anderes Rätsel um ein deutsches Massaker an Zivilisten im Dorf Santa Anna, dessen Bewohner kaltblütig ermordet wurden.

Es gibt an allen Fronten Mörder, Verräter und eine Handvoll Guter. Die Guten beten in einer der vielen bewegenden Szenen einstimmig in drei Sprachen. „Buffalo Soldiers 44“ ist einerseits wie schon Edward Zwicks „Glory“ Teil der Rehabilitierung des afro-amerikanischen Anteils an der Geschichte. Aber Spike Lee, das vergisst man manchmal, wenn er Themen wie die Folgen von Katrina in der großartigen Dokumentation "When the Levees Broke" behandelt, Lee kann immer noch großartige Szenen erzeugen und fantastisch Geschichten montieren. Derer gibt es hier vielleicht ein paar zuviel, aber dieses eindrucksvolle Stück Kino mit super Besetzung und erlesener Musik sollte man auf keinen Fall verpassen.

Lee trumpft mit richtig guten Schauspielern wie John Turturro, der mit ihm groß geworden ist, auf. Ein paar deutsche Gesichter machen den Waltz, Christian Berkel liest italienische Poesie und die blonde Propaganda-Stimme Axis Sally (Alexandra Maria Lara!) erzählt bemüht verführerisch, dass Deutsche die „Neger“ lieben und nicht so mies behandeln wie die weißen US-Offiziere.

24.1.11

Hereafter


USA 2010 (Hereafter) Regie: Clint Eastwood mit Matt Damon, Cécile de France, Jay Mohr, Bryce Dallas Howard, George McLaren, Frankie McLaren 129 Min. FSK ab 12

„Menschen reagieren feindlich und irrational, wenn sie hören, dass man mit dem Jenseits Kontakt haben kann. Jemand in Ihrer Position kann das andern.“ Das erfährt eine berühmte französische Journalistin, die beim Tsunami fast ertrunken ist und ein Nahtod-Erlebnis hatte. Aber der Satz einer Schweizer Professorin, die seit Jahrzehnten in einem Hospiz arbeitet, gilt vielleicht auch Clint Eastwood. Ihm gelang mit „Hereafter“ ein Film, den nur wenige machen können. Glaubwürdig, frei von esoterischem Kitsch und ungemein spannend, erzählt er von drei Personen, die auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Tod in Berührung kommen und damit ihren Frieden finden müssen.

Innerhalb weniger Minuten wird man auch in diesen Film eingesogen. Wegen der sagenhaften Tsunami-Effekte, die Marie Lelay (Cécile de France) den Boden unter den Füßen wegreißen, wegen der filmisch beeindruckenden Naturgewalten, die sie ein mysteriöses Licht sehen lassen. Danach ist die Pariser Star-Moderatorin wie ausgewechselt, nimmt beruflich eine Auszeit. Sie schreibt aber nicht, wie vertraglich vereinbart, über die Skandale Mitterands, sondern über Nahtod-Erlebnisse. Ein Buch, das erst einmal kein Verleger haben will.

Derweil verliert in England der junge Marcus seinen Zwillingsbruder Jason bei einem Unfall. Der verlorene Rest eines unzertrennlichen Paares (Frankie und George McLaren), das wegen einer drogensüchtigen Mutter nur sich selbst hatte, macht sich auf die Suche nach Antworten. Das was Google von Moslems oder Christen anbietet, erntet nur Kopfschütteln, genau wie einige Scharlatane. Dann entdeckt Marcus den Amerikaner George (Matt Damon), doch dieser wehrt sich gegen seine besondere Gabe, die für ihn ein Fluch ist und ihn nicht mehr schlafen lässt...

Clint Eastwood („Gran Torino“, „Million Dollar Baby“, „Erbarmungslos - Unforgiven“), der sich vom Alter her tatsächlich langsam dem Jenseits annähert, segelt scheinbar mühelos auf dem Olymp der filmischen Meisterschaft herum und packt mit jeder Szene direkt. Er geht die schwierige Frage an, was passiert, wenn wir sterben. Leiht dabei auf seine typisch ernsthafte Weise Menschen Gehör, die etwas von diesem Jenseits erfahren haben. Auch wenn er schließlich ganz unglaublich auf einer ungemein romantische Note landet, ist „Hereafter“ Welten vom sentimentalen Kitsch des „Wie durch ein Wunder“ entfernt. Man muss viel eher an Peter Weirs „Fearless“ mit Jeff Bridges denken. Matt Damon überzeugt wieder, diesmal als kräftiger, einfacher Typ, der deshalb umso glaubhafter in seiner Zerrissenheit ist. Eastwood veredelt seinen Film mit eigenen Piano-Kompositionen auf dem zurückhaltenden Soundtrack, genau wie damals bei „Brücken am Fluss“. Der Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt schrieb einst vom „Hinübergehen. Das Wunder des Spätwerks“. Ersteres wäre auch ein guter deutscher Titel für diesen Film und das Zweite eine Umschreibung des Eastwoods der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Another Year


Großbritannien 2010 (Another Year) Regie: Mike Leigh mit Jim Broadbent, Ruth Sheen, Oliver Maltman, Lesley Manville 129 Min.

Ein nettes, älteres Paar, das sich herzlich um Freunde, Familie und Pflanzen kümmert. Freundliche, zivilisierte Briten, denen man nur das Beste wünscht, aber keinen Film, schon gar keinen von Mike Leigh zutraut. Doch der fast 70-jährige Brite, der mit „Nackt“ und „Vera Drake“ auftrumpfte, zeigte schon mit „Happy-Go-Lucky“, dass er die Abgründe von Nettigkeit ebenso meisterlich ausloten kann. Nun stellt er in „Another year“ dem übermäßigen, nahezu unerträglichen Lebensglücks eines gesetzten Paares die Lebens-Verlierer in ihrer näheren Umgebung entgegen.

Tom und Gerrie - ist dieses an Cartoon-Helden erinnernde Namenspaar schon ein Scherz Leighs? Egal, das Paar (Jim Broadbent, Ruth Sheen) ist geerdet - im wahrsten Sinne des Wortes durch ihren Garten. Sie ernten, was sie im Frühling säten. Ein heftiger Schauer kann sie nicht erschrecken, macht den alten, kauzig wirkenden Londonern sogar Spaß. Das kleine Familienleben mit Schrebergarten wird ergänzt von Gerries Kollegin Mary (Lesley Manville), einer Quasselstrippe, die ihr Leben nicht geregelt bekommt und unter Alkohol schon mal einen peinlichen Seelenstriptease hinlegt. Mary findet immer Gehör bei Gerrie und hat ein Auge auf Joe (Oliver Maltman), den Sohn des Hauses geworfen, der nett aber Single ist. Auf Mary wiederum ist der körperlich und in seinen Manieren sehr ausufernde Ken scharf - eine nicht nur für sie unangenehme Vorstellung.  

Frühling, Sommer, Herbst und Winter eines Jahres begleiten das Paar mit Anhang, milde Musik erklingt dazu, keiner der Hauptfiguren passiert etwas Schreckliches. Das klingt nach gepflegter Langeweile und ist doch ein wunderbarer und mitten aus dieser anrührenden Mitmenschlichkeit plötzlich böser Film. Tom und Gerrie kümmern sich zwar um völlig verzweifelte Kollegen und Verwandte, doch mit einer gnadenlosen Konsequenz grenzt letztendlich auch die Kamera die aus, die niemals dieses komische Ding namens Leben in den Griff bekommen werden. „Another Year“ ist von einer Wahrhaftigkeit durchdrungen, die zu unerwarteter Bitterkeit umschlägt. Doch es gibt auch diesen herrlich trockenen Humor, der aber nie bösartig wird.

Tron Legacy


USA 2010 (Tron: Legacy) Regie: Joseph Kosinski mit Jeff Bridges, Garrett Hedlund, Olivia Wilde, Bruce Boxleitner, Martin Sheen 127 Min. FSK ab 12

Daddel-Dude

Mit einem schwer zu widerstehenden Sog zieht auch der Erbe von „Tron“ - „Tron: Legacy“ - den Zuschauer (männlich!) in seine fantastische Cyber-Welt im Inneren eines Computer-Netzes. Der Fantasy-Film aus dem Jahre 1981 war tricktechnisch eine Sensation und wurde schnell zum Kult. Damals neue, computer-technische Begriffe wie „disk“ oder „Master Control Programm“ bildeten die Eckpunkte einer etwas simplen Handlung, die das Universum der Consolen-Spiele mit gesellschafts-theoretischen, ja sogar spirituellen Inhalten unterfutterte. Leitmotiv war und ist auch heute das Ausbrechen aus festgelegten Bahnen, das Überschreiten von Grenzen. „New Frontier“ ist immer noch ein wesentlicher Begriff der amerikanischen Kultur wie der Hacker-Szene. So kann „Tron: Legacy“ nahtlos an den Vorgänger anschließen und bekommt auch die personelle Kontinuität hervorragend hin:

In einem Kinderzimmer voller Tron-Gadgets erzählt ein älterer Mann dem kleinen Sohn von seinen Abenteuern im System, dem Kampf an der Seite von Tron gegen das MCP. Ist es....? Das kann doch nicht...? Doch, es ist Jeff Bridges als Kevin Flynn, dem Held aus „Tron“, nur wenige Jahre gealtert und computer-technisch geliftet. Mit dem Versprechen einer Fortsetzung schwingt sich Daddy auf seine Ducati und ward jahrelang nicht mehr gesehen. Der fast erwachsene Sam Flynn rast nur einen Schnitt später auf der gleichen Maschine durch L.A., sabotiert in einer atemberaubend spannenden und akrobatischen Action den Riesen-Konzern seines verschollenen Vaters, der in falsche Hände geriet. Ein anachronistischer Pager-Anruf bringt Sam in die Arcade-Halle und mit dem altbekannten Laser-Strahl auch in die Cyber-Welt seines Schöpfers. Hier in den fantastischen Grafiken digitaler Brot und Spiele-Arenen scheint „Tron: Legacy“ sein Erbe zu erfüllen. Doch wenn Sam sofort in die vertrauten, aber noch spektakuläreren Gefechte mit Licht-Frisbees geworfen wird, den vollen Drive der Motorrad-Rennen fühlt, ist der satte und wohlige Trip des Wiedererkennens und erneut Begeisterns noch lange nicht beendet.

Sam setzt die Tradition von „Tron“, von Open Source und allen Hackern fort, indem er die Grenzen des Spiels verlässt. Zuerst trifft er auf Clu, Diktator dieser digitalen Welt und jung gebliebener Klon seines Vaters. Dann, weit draußen im offenen Nichts schließlich den Meister selbst. Kevin Flynn ist hier Jeff Bridges mehr als Jeff Bridges Kevin Flynn ist. Der „Dude“ ist hier zum meditierenden, gar gottähnlichen Daddel-Dude geworden. So wie sich Bridges zu einer Art Obi-Wan Kenobi der älteren Schauspielgeneration enwickelt: Er ist überall und macht mächtig Eindruck. Hat er in dem gleichnamigen Coen-Western den „True Grit“, so verteidigt er hier das „New Grid“, das neue Netz, das Menschen ungeahnte Möglichkeiten eröffnen soll. Doch es gibt immer einen, der mit neuen Techniken auch Schindluder treibt...

„Tron: Legacy“ schafft das Unglaubliche - er wird seinem Erbe gerecht, begeistert erneut mit fantastischen Grafiken, einem atemberaubenden Cyber-Universum und kultigen Szenen. Dabei wurde die im Grunde immer noch einfache Geschichte nicht nur modernisiert, sondern auch klug erweitert. Neben Bridges, den man nicht genug feiern kann, und Michael Sheen, der als barocker Club-Chef Zuse die prallste Szene abseits der rasanten Action hat, muss man unbedingt die Musik von Daft Punk erwähnen. Die französischen Elektroniker - selbst in Zuses Club als DJs zu sehen - legen einen gewaltigen Score hin, der immer wieder den Rest des Films übertönt. Hier haben sie endlich „ihren“ Science Fiction, viel besser als die niedliche Animation „Interstella 5555“. Einen leichten Schleier legt nur die Technik auf das ganze grandiose Spektakel: „Tron“ blieb im Dunklen, um die Tricks etwas zu kaschieren, die technisch ihrer Zeit weit voraus waren. Heute klaut das 3D-Verfahren mit den getönten Brillen Helligkeit, die dunkle Welt mit den grellen Leuchtspuren und den barocken Einsprengseln sieht zwar klasse aus, aber man sieht wegen 3D einfach weniger. Doch was wiegen solche Kleinigkeiten gegen nur einen Spruch vom Dude: „Man kann nur gewinnen, wenn man nicht spielt!“

Brothers


USA 2009 (Brothers ) Regie: Jim Sheridan mit Jake Gyllenhaal, Natalie Portman, Tobey Maguire, Sam Shepard 104 Min.
FSK ab 12

Der eine Bruder reist nach Afghanistan ab, der andere kommt aus dem Knast. Die Markierung ist überdeutlich, dazu macht der strenge Vater in jedem Wort klar, wer der gute, wer der ungeliebte Sohn ist. Es wird viel passieren, bis die Familie wieder um diesen Tisch sitzt und sich der Blick auf die Rollen verschoben hat. Verschoben und erweitert, denn Jim Sheridans („Mein linker Fuß“, „Im Namen des Vaters“) erschütterndes Remake von Susanne Biers („Nach der Hochzeit“) dänischem „ Brothers - Zwischen Brüdern - “ aus dem Jahre 2004 ist gnadenlos in der Analyse grausamer Familienstrukturen. Und schonungslos in der Darstellung von dem, was es menschlich kostet, „unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen“.

Der Stolz des verknöcherten Vietnam-Veteranen Hank Cahill (Sam Shepard) ist fast verständlich: Der Sohn, Captain Sam Cahill (Tobey Maguire) ein freundlicher, liebvoller Familienvater. Die hübsche Frau Grace (Natalie Portman) liebt ihn sehr, ebenso seine beiden netten Töchter. Selbst sein Bruder Tommy (Jake Gyllenhaal), das schwarze Schaf, das es nur drüber bekommt, mag ihn unheimlich gern. Einige mögen es auch noch positiv finden, dass Sam für das Vaterland nach Afghanistan fliegt, um dort Krieg zu führen. Dort empfängt man den Aggressor jedoch nicht so freundlich und schießt seinen Hubschrauber ziemlich bald ab. Die Nachricht von Sams Tod streckt Grace nieder, die Trauer-Solidarität der kleinen, religiösen Gemeinde kann ihr nicht helfen. Doch Tommy taucht wieder auf, betrunken zwar, aber er versucht, was gut(es) zu machen. Anfangs ungeschickt, renoviert er mit Freunden die Küche der Schwägerin, kümmert sich um die Nichten, lässt das Leben weiter laufen, während Grace jedes Detail des Abschiednehmens schmerzvoll und kraftlos durchlebt. Trotz seiner Wandlung gerät Tommy immer wieder mit dem ungerechten Vater aneinander.

Während das familiäre Drama mit aller Härte und Wahrheit, die man von dänischen Filmen kennt, durchgezogen wird, erlebt Sam sein eigenes Drama in einem afghanischen Erdloch als Kriegs-Gefangener. Der freundliche Mann erweist sich im Krieg als Monster und Mörder. Als der Todgeglaubte nach Monaten doch zurückkehrt, haben selbst die eigenen Töchter vor ihm Angst. Sie vermissen Onkel Tommy, vor allem die ältere Izzy (eindrucksvoll: Bailee Madison) beklagt die Bevorzugung der beliebteren Schwester. Zu den Dingen, die Sam sichtbar quälen, gesellt sich noch die Eifersucht und so findet sich die Familie wieder zu einem Essen zusammen...

Regisseur Jim Sheridan setzt mit großartigen Schauspielern meisterlich die Spannungen der familiären Verhältnisse und die Zerstörungen des Krieges um. Dank der Vorlage, die zeitweise Szene für Szene übernommen wurde, hat „Brothers“ eine Offenheit, die es im US-Film selten gibt. So ist das packende Drama einerseits Anklage gegen den Wahnsinn des Krieges, der in unerlaubt geöffneten Briefen oder staatlich gesponserten TV-Shows liegt. Dabei sind die psychischen Verwundungen auf der Seite der Angreifer, nicht die der überfallenen Familien, nicht ganz so grausam wie das emotionale Unrecht der Bevorzugung eines Geschwisterteiles. Obwohl auch dies wieder ein traumatisierter Vietnam-Veteran verantwortete, so dass sich der Kreis schließt, wie es sich für solch ein erschütterndes wie einfühlsames Meisterwerk gehört.

18.1.11

Black Swan


USA 2010 Regie: Darren Aronofsky mit Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis, Barbara Hershey, Winona Ryder 110 Min. FSK ab 16

Blutiger Schwan

Ein abgewrackter „Wrestler“ und ein aufsteigender Ballett-Star vor der Rolle ihres Lebens haben anscheinend nicht viel gemeinsam. Doch unter der Regie von Darren Aronofsky werden Mickey Rourke und die gerade mit einem Golden Globe prämierte Natalie Portman zu zwei Seiten extremer Formen körperlicher Karrieren. Mit den dunklen und hellen Seiten dieser Figuren ist der einstige Arthouse-Regisseur von faszinierenden und schwer fassbaren Zuständen menschlichen Wahnsinns seinen ersten Filmen „Pi“, „Requiem for a Dream“ und „The Fountain“ immer noch sehr nahe. Der Psycho-Trip einer jungen Tänzerin mit Horror-Elementen - so hat man „Schwanensee“ noch nie gesehen!

Ein ängstliches Wesen huscht durch die Betriebsamkeit der New Yorker Metro zum angesehenen City Ballet. Nina (Natalie Portman) soll Ballerina dieses Ensembles sein? Schwer vorstellbar und so versteht man den ebenso exzentrischen wie brutalen Ballettdirektor Thomas Leroy (Vincent Cassel), dass er der strebsamen Tänzerin sehr wohl technisch die Rolle des Weißen Schwans in einer Neuinszenierung von Tschaikowskis „Schwanensee“ zutraut, aber nicht die abgründigere des Schwarzen Schwans. Leroy beginnt ein Spiel aus Verführung, Forderung und Erniedrigung mit dem Mädchen. Zuhause sorgt Ninas Mutter (Barbara Hershey) für den klassischen Psycho und auch die so viel lebenslustigere Konkurrentin Lily (Mila Kunis) scheint die unter zunehmendem Druck immer mehr Verwirrte auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Trotzdem verkündet Leroy öffentlich den Abschied des alten (Winona Ryder) und die Geburt eines neuen Stars: Nina. Doch nicht nur die Abgesägte, vor allem ihr eigener Körper entwickelt sich zum Feind. Zu den Kontrastfarben Schwarz und Weiß gesellt sich das Blut, das aus den Ballett-Schuhen fließt.

Große Tanzszenen - in die sich Natalie Portman hervorragend eingearbeitet hat - präsentiert „Black Swan“ nur im wahnsinnigen Finale. Darren Aronofsky feiert seine eigene Kunstform mit einer Geschichte, die nicht allein dank einer hervorragenden Hauptdarstellerin schnell in den Bann zieht, aber auch immer wieder verstört. Natalies Nina erlebt im Schnelldurchgang einen Karriere-Sprung, sexuelle Erweckung und eine psychologische Achterbahn-Fahrt, die in regelmäßig auf die Geisterbahn abzweigt. So wie die Ballerina ihre Karriere ohne Rücksicht auf Verluste auf die Spitze treibt, lässt auch Aronofsky viele Konventionen hinter sich. Einerseits setzt er extrem stilsicher die Doppelungen von Tschaikowskis Vorlage in Spiegeln und Figuren fort. Dabei zeigt er die Selbstzerstörung für den sportlich/künstlerischen Erfolg mit Bulimie und körperlichem Verfall so gnadenlos erschreckend wie er den Drogenwahn in „Requiem for a Dream“ unerträglich machte. Dass dies nur Horror sein kann, mag einige Zuschauer verschrecken, ist aber konsequent. Die auf der Bühne wie im Leben meisterhaft bewegliche und elegante Kamera schmeichelt über die Abgründe hinweg. Eben so spannend wie der Ausgang von Ninas Visionen ist der Erfolg dieses Films: Schafft es ein mutiger Autor des Wahnsinns mit seinem Können auch den Mainstream zu begeistern? Hat der Schwarze Schwan eine Chance oder bekommt nur die langweilige Schönheit den üblichen Applaus?

72 Stunden - The next three days


USA 2010 (The Next Three Days) Regie: Paul Haggis mit Russell Crowe, Elizabeth Banks, Brian Dennehy, Lennie James 122 Min.

Und dann hattete er seine Frau befreitet... So sieht es aus, wenn Zeiten in einem Satz verunglücken. Genau das passiert in „72 Stunden“ und noch Schlimmeres. Drei Jahre werden in wenigen Minuten abgehandelt, um grob gerechnete drei Tage völlig unglaubwürdiger Action zu begründen. Ein Literatur-Dozent entwickelt sich zum perfekten Fluchthelfer, dabei haben diese Akademiker doch den Ruf, außerhalb der Buchdeckel eher ungeschickt und mit zwei linken Händen gesegnet zu sein. Es sei denn, man war wie Russell Crowe im früheren Leben „Gladiator“, dann weiß man vielleicht intuitiv, wie man mit Gewalt und Waffen umgeht!

Ein Abendessen mit zwei Pärchen, eine aufbrausende und leidenschaftliche Ehefrau. Wird sie deshalb am nächsten Tag von der Polizei mit großem Getöse von Zuhause abgeholt? Man verdächtigt Lara Brennan (Elizabeth Banks) des Mordes an ihrer Chefin. Es gibt Zeugen, einen Blutfleck, das reicht für Lebenslänglich. Nur der Ehemann John Brennan (Russell Crowe) glaubt an Laras Unschuld. Als die juristischen Mittel ausgeschöpft erscheinen und sich Lara vor Verzweiflung umbringen will, kümmert er sich nicht nur um den kleinen Sohn, sondern auch um einen Fluchtplan. Ein Ausbrecher-König wird interviewt, eine Wand mit der akribischen Planung zugepflastert. Wenn sich der brave, aber nicht heldenhafte Dozent ohne Hilfe gefälschte Ausweise und eine Waffe besorgt, knarzt es laut im Glaubwürdigkeits-Gebälk der Figur.

„72 Stunden“ funktioniert weder als Action-Film noch als Psycho-Drama um eine Person, die zu extremen Maßnahmen greifen muss. Es gibt ein paar positive Punkte, so bemüht sich Paul Haggis („Im Tal von Elah“, „L.A. Crash“) über längere Strecken ohne Dialog zu erzählen. Er zeigt vor allem Lara konsequent von außen: Der geliebte Mensch bleibt einem in seinem Antrieben verschlossen - sowohl räumlich als auch emotional.

Wie groß muss der Druck sein, damit man einen Menschen zu ermordet? Wie weit geht man(n) für seine Liebste? Immer wieder stockt John und dem Film der Atem, wenn beispielsweise aus Versehen fast ein Kind überfahren wird. Zweifel, ja die sind im Ansatz vorhanden und hätten in einem guten Film zur Wirkung kommen können. Nur hier fallen sie schnell unter den (Schneide-?) Tisch. Schließlich geht es ohne Rücksicht auf Verluste und Glaubwürdigkeit auf die Action-Schiene.

Vorstadtkrokodile 3


BRD 2010 Regie: Wolfgang Groos mit Nick Romeo Reimann, Fabian Halbig, Leonie Tepe, Manuel Steitz, Javidan Imani, Robin Walter, David Hürten 90 Min.

Die sind aber groß geworden! Das dritte Kinoabenteuer der neuen „Vorstadtkrokodile“ kommt nicht drumherum, das (er-) Wachsen seiner Helden und Schauspieler zu thematisieren. Gleichzeitig wurde auch der Abenteuerfilm für Jugendliche wieder ein Stück erwachsener und variiert die Gefängnisflucht „großer Filme“ ebenso spannend wie altersgerecht.

Herzlichen Glückwunsch: Hannes hat Geburtstag, flüchtet sich vor den zarten Kussversuchen von Maria aber lieber noch in die alte Clique und in ein absolut rasantes Abenteuer mit Go-Karts im Parkhaus. Ein böser Crash ohne Schutzengel bringt Frank ins Krankenhaus und in Lebensgefahr: Seine Leber ist verletzt, nur ein Blutsverwandter kann ihn noch retten. Nun muss Hannes ausgerechnet Franks üblen Bruder Dennis aus dem Knast holen, in den er ihn selbst gebracht hat! Dabei plagt Hannes ein schlechtes Gewissen und zusätzlich die Eifersucht, denn Maria setzt bei dieser gewagten Aktion zusehends die Waffen einer Frau ein. Doch dank einiger albern dickköpfiger Erwachsener bleibt den Vorstadtkrokodilen keine andere Wahl: Sie müssen wie große Gangster und Filmhelden in den ausbruchssichersten Knast des Landes, um den Gauner Dennis rauszuholen...

Vor 30 Jahren gab es zuerst den tollen Jugendroman des Max von der Grün, dann die Verfilmung des WDR aus dem Jahre, die jedem dieser Generation im Gedächtnis geblieben ist. Regisseur Christian Ditter erwies sich mit der Neuverfilmung als echter Fan und Könner. „Die Vorstadtkrokodile“ sorgten für eine Ehrerbietung gegenüber dem alten Ruhrpott-Klassiker und einen zeitgemäße Jugend- wie Kinderfilm. Auch Wolfgang Groos, der schon mit dem klasse Jugendfilm „Hangtime - Kein leichtes Spiel“ voll punktete, setzt nun die gute Arbeit mit den Krokodilen fort.

Wenn die Karts durch die Kurven schleudern, ein (ferngelenkter) Hubschrauber das Seil für die Knast-Flucht spannt, wenn die Kamera auf Höhe der quietschenden Reifen und der schwindelnden Ausguckposten mit dabei ist, dann bieten „Die Vorstadtkrokodile“ den Jugendlichen ganz großes Kino. Zur gekonnten Action und dem (Axel Stein-) Klamauk im Knast kommt noch der harte Alltag des Erwachsenwerdens: Mutter (Nora Tschirner wieder flott mit dabei) hat zu wenig Zeit, die Freunde verschwinden und was will der alte Mädchen-Kumpel plötzlich ganz Neues von einem? Statt das mitwachsende Erfolgs-Franchise „Vorstadtkrokodile“ nur noch auszuquetschen, produzierten die Macher noch so ein tolles Stück Film von Rhein und Ruhr. Der sentimentale Abschied von sorgenloser Jugendzeit ist gleich eingebaut und wird im Abspann mit Outtakes und Flashbacks der drei Kinofilme abgefeiert. Mal sehen, ob den Machern nicht doch noch eine Formel zur Verlängerung einfällt, denn dies ist eine Jugendserie, deren Ende man mal wirklich bedauert.

Im Alter von Ellen


BRD 2010 Regie: Pia Marais mit Jeanne Balibar, Stefan Stern, Georg Friedrich, Julia Hummer 95 Min.

Ellen Colmar, die französische Stewardess in deutschen Diensten, nervt schon beim Zusehen. Vom Düsseldorfer (dank Filmförderung der Filmstiftung NRW) und Frankfurter Flughäfen geht es in die Welt, die sie nie wirklich sieht. Die seltsame Beziehung mit einem mürrischen, unwilligen Österreicher zerbricht an dessen Untreue. Nachdem irgendwo in Afrika ein Gepard den Start verzögerte, steigt Ellen nach zehn Jahren im Job springt Ellen in Frankfurt aus dem Flieger, rennt panisch über die Startbahn und landet entlassen in einem Limbo der Flugbegleiter-Hotels: Von der betrunkenen Anmache in der Flughafen-Bar bis zu exzessiven Partys im haltlosen Schwebezustand bleibt Ellen ein Sicherheitsrisiko vor allem für sich selbst. Die „im Alter von Ellen“ ungewöhnliche Orientierungslosigkeit führt sie zu einer Gruppe von jungen Tierrechts-Aktivisten (mit Julia Hummer als dogmatische Anführerin im strengen Look), die ihre Nacktheit in einer Aktion gegen das Fleisch-Essen einsetzen. Doch wenn das Geflügel eines Tiertransportes „befreit“ wird, die Hühner auf Kies-Hügeln herumirren und sich der Fuchs freut, wenn weiße Mäuse orientierungslos auf der Straße überfahren werden, dann ist das kalt servierter Idealismus. Kann man/frau sich finden, wenn die eigenen Interessen zurückgestellt werden und man sich für etwas anderes einsetzt? Ellen sucht weiter, reist zu militanten Tierschützern in Afrika und verschwindet schließlich im Dunst. Vielleicht findet sie dort „Gorillas im Nebel“, aber das ist eher unwahrscheinlich, denn die etablierten Kämpfer warnten: „Naivität ist gefährlich hier draußen!“

Pia Marais montiert anfangs das unruhige Leben der Ellen flott, versucht die beklemmende und dann panische Situation fühlbar zu machen: Ein betäubter Zustand in schnellen Schnitten, immer wieder gibt es gute Bilder für diese Verlorenheit. Der jüngere Karl, den sie später treffen wird, urteilt hart: „Du flatterst völlig verpeilt durch die Gegend.“ Auffällig trägt sie ein in Papier eingewickeltes Paket mit sich herum, eigentlich hat sie mehrere Päckchen zu tragen. Auch ihr Arzt will ihr dringend ein Untersuchungsergebnis mitteilen. Aber das Gepäck wird zunehmend leichter.

Pia Marais gelang ein streckenweise reizvoller, aber auch verkopfter Film. Wie in den „Unerzogenen“ geht es auch in ihrem zweitem Spielfilm nebenbei um die Kinder der Hippies. Mit einer untergründig spürbaren Sehnsucht nach dieser gelebten Revolution verbindet sich eine skeptische Distanz zum gescheiterten 68er-Experiment. Auch für Ellen gibt es keine Antworten, die Hoffnung bleibt und statt sich abzufinden, sucht sie wieder. Das ist kein Happy End, aber es geht zumindest weiter.

11.1.11

Love and other Drugs - Nebenwirkung inklusive


USA 2010 (Love and other Drugs) Regie: Edward Zwick mit Jake Gyllenhaal, Anne Hathaway, Oliver Platt 112 Min.

Wir empfehlen Ihnen ein Multipräparat mit verschiedenen Vitaminen, wichtigen Mineralien, Ballaststoffen, Nahrungsergänzungen und Glücksversprechen. Und nun zum Spielfilm, der ebenso eine eierlegende Wollmilchsau-Kombipackung darstellt, aber keineswegs von der Pharmaindustrie gesponsert wurde. Obwohl mit den 32,4 Milliarden, die wir in Deutschland 2009 für Arzneimittel zahlten, durchaus der eine oder andere Spielfilm zu finanzieren wäre. Stars wie Jake Gyllenhaal und Anne Hathaway gibt es aus der Portokasse...

Jamie Randall (Jake Gyllenhaal) ist ein genialer Verkäufer und Verführer. Das prädestiniert ihn zum Pharma-Vertreter. Beim grell präsentierten Training der Firma Pfizer lernt er schnell und ist ungeheuer raffiniert in der Psychologie, Bedürfnisse zu wecken. Jamie schläft sich auf dem Weg zum Arzt-Geschäft durch die Reihen der Arzthelferhelferinnen bis er im Behandlungszimmer bei einer weiteren verkaufsfördernden Trickserei die Parkinson-Patientin Maggie Murdock (Anne Hathaway) trifft. Sie sieht in ihm genau den richtigen Idioten für unverbindlichen und häufigen Sex. Doch irgendwann klappt es bei ihm nicht mehr - er hat sich verliebt und seine Firma bringt bald Viagra auf den Markt.

Klingt ziemlich durcheinander und so ist der Krankheits-Liebes-Satiren-Film „Love and other Drugs“ (nach der Vorlage „Hard Sell: The Evolution of a Viagra Salesman“ von Jamie Reidy) tatsächlich - das muss an den Nebenwirkungen liegen. Der hemmungslose Jamie erlebt zwei Seiten der Medizin, als Verkörperung des Viagra-Erfolges und - etwas nachdenklicher - das Versagen bei einer Medizin gegen Parkinson. So taumelt der in Detail gut inszenierte und gespielte Film von einer Pharma-Farce mit so gut wie keinen bitteren Pillen über eine oberflächliche und mit Anne Hathaway viel zu hübsch anzusehende Krankheitsgeschichte zur Bekehrung des herzlosen Frauen-Flachlegers.

Devil


USA 2010 (Devil) Regie: John Erick Dowdle mit Chris Messina, Logan Marshall-Green, Geoffrey Arend, Bojana Novakovic, Jenny O'Hara 80 Min. FSK ab 16

Sie fühlen sich nicht wohl im Aufzug? Dann lesen Sie jetzt nicht weiter! Schon immer sorgten nicht nur die Drahtseile der vertikalen Fahrkabinen für Hochspannung, etwa in dem Dick Maas-Schocker „De Lift“ (Fahrstuhl des Grauens). Nun mischt sich der „Devil“ in die schon immer beklemmende Situation des klaustrophobischen Kinos ein und sorgt auf Basis einer Story von M. Night Shyamalan für sauber inszenierte Genre-Unterhaltung mit einigen Aussetzern.

Die Leiche vor dem Haus sollte ein Omen für Detective Bowden (Chris Messina) sein. Während dieser mit Hilfe einiger Visionen den Tatort sucht, finden sich dort fünf Personen zu einer engen (sic!) Schicksalsgemeinschaft zusammen: Der junge Mann vom Wachdienst, ein Ex-Soldat, ein schleimiger Verkäufer, eine schick bekleidete, junge Frau und eine ältere Dame. Bis diese einen an „Rosemarys Baby“ denken lässt, gibt es Vorgeplänkel, komische technische Störungen und dann geht das Licht aus ... Gemurmel, Geschrei, Unruhe. Nachher fließt dezent das erste Blut, der nächste Stromausfall bläst dann tatsächlich einem der Aufzug-Insassen das Licht aus. Und der mexikanische Wachmann, der dies alles auf den Überwachungsmonitoren beobachtet, sieht eine Teufelsfratze zwischen den Bildern. Während nun der Rosenkranz einen Drehwurm bekommt, macht Bowden gute Polizei-Arbeit und sinniert nur ein wenig über Schuld und Sühne.

Wie bei vielen anständigen Genre-Filmen ist der Ansatz simpel, die Ausführung jedoch effektiv. Ohne übermäßiges Blutvergießen sorgt „Devil“ für Gänsehaut. Fast schon angenehm kommt er als eine Art Anti-Saw daher. Ja, es ist sogar ein Grundprinzip des Films, dass die Morde im Aufzug im Dunkeln bleiben müssen. Dazu serviert uns der teuflisch raffinierte Autor und Ko-Produzent M. Night Shyamalan eine Auflösung, die nicht ganz hanebüchen wirkt.

Satte Farben vor Schwarz


BRD, Schweiz 2009 Regie: Sophie Heldman mit Senta Berger, Bruno Ganz, Barnaby Metschurat, Carina Wiese, Leonie Benesch 85 Min. FSK: o.A.

Die Routine eines alten, sehr wohlhabenden Paares. Sie reden nicht miteinander, nerven sich etwas mit dem Kratzen des Messers auf dem Zwieback. Die morgendliche Verabschiedung zur Arbeit ist freundlich, beim Einkauf sieht Anita (Senta Berger) dann ihren Fred (Bruno Ganz) aus einiger Entfernung und entdeckt, dass er sich eine neue Wohnung einrichtet. Der erste Verdacht einer Affäre bestätigt sich nicht, doch der Bruch des Vertrauens ist da. Nicht der zeitweilige Rückzug in einen eigenen Raum, sondern die Uneinigkeit über die Wahl des eigenen Lebensendes führt zum Streit. Denn Fred hat Prostata-Krebs im fortgeschrittenen Stadium, drückt sich davor drüber zu reden, geschweige sich operieren zu lassen, ein Patient zu werden und eventuell seine Potenz zu verlieren. In einem zickigen Beziehungsstreit verlieren sie sich, um in ihrer Liebe zueinander wieder sich und eine finale Lösung zu finden...

Die 37-jährige Regisseurin Sophie Heldman inszeniert für ihren Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin nicht, wie man es bei so einem Cast mit Prominenten im Fernsehen erwartet. Sie lässt sich viel Zeit, die Persönlichkeit der beiden Hauptfiguren aufzubauen und mit kleinen alltäglichen Handlungen zu charakterisieren, etwa wenn sich Anita mit der Wut der Verzweiflung auf ihre Gartenarbeit stürzt. Der mutig und auch im Bild sehr offen angegangene Themenkomplex Alter/Krankheit/Tod gibt den beiden guten und erfahrenen Hauptdarstellern Gelegenheit, viele Gefühlslagen eindrucksvoll zu zeigen. Mehr als in vielen größeren Produktionen, die etwa Bruno Ganz in letzter Zeit auf dem Plakat führten. „Satte Farben vor Schwarz“, die intensive Zeit vor dem dunklen Ende, zeigt seine Figuren sehr lebendig im Leben mit Kindern und der neugierigen Enkelin. Aber auch den nackten, skeptisch kontrollierenden Blick von beiden in den Spiegel. Ein Liebesfilm, der den Satz „bis dass der Tod euch scheidet“ ernsthaft mit einbezieht.  

Morning Glory


USA 2010 (Morning Glory) Regie: Roger Michell mit Rachel McAdams, Harrison Ford, Diane Keaton, Jeff Goldblum 108 Min. FSK ab 6

Was waren das noch für Zeiten, als eine Abrechnung über die Kommerzialisierung des Fernsehen über Leichen ging: „Network“ von Sidney Lumet erhielt 1977 vier Oscars und machte Ernst mit dem Widerstand gegen Anspruchslosigkeit und Volksverdummung. Heute gibt es Frühstücksfernsehen, „Social Network“ und wenn Filme wie „Morning Glory“ das längst verlorene Thema noch einmal angehen, dann sollte man alle Hoffnung fahren und das Unterhaltungs-Popcorn rankarren lassen. Wenigsten gibt es bei all dem hübschen Elend einen herrlich grimmigen Harrison Ford zu sehen.

Identifikationsfigur für das Publikum von Heute ist Becky Fuller (Rachel McAdams), ein fleißiges Medien-Lieschen. Die Producerin provinzieller Fernseh-Shows hat nur Ehrgeiz im Kopf und auch Herzen weite Leere. Die Kündigung lässt ihr Leben, das nur Arbeits-Leben war, in ein tiefes Loch fallen, doch nach gefühlten zwei Stunden Verzweiflung holt sie die Frühstückssendung „Daybreak“ nach New York. Die 28-Jährige feuert auf dem sinkenden Morning Show-Schiff zuerst den arroganten, sexistischen Star-Moderator und bemüht sich dann um die Reporter-Legende Mike Pomeroy (Harrison Ford). Ausgestattet mit allen großen Preisen des Metiers und einem Vertrag, der ihm viel Zeit für seine Hobbies lässt, interessiert den seriösen Journalisten nichts weniger als eine alberne Sendung mit Kochrezepten, netten Gesprächen und sonstigen Nichtigkeiten. Doch da gibt es noch das Kleingedruckte und Becky landet tatsächlich ihren Besetzungs-Coup. Während Pomeroy herrlich angewidert auftaucht, um vor allem mit seiner Co-Moderatorin, der ehemaligen Schönheitskönigin Colleen Peck (Diane Keaton), herumzuzicken, sinken die Quoten weiter in den Keller, in dem sich die Redaktion der Sendung schon seit Jahren befindet.

„Morning Glory“ kann eigentlich nur zynisch gemeint sein, glorios ist hier nichts. Der Film hat eher „Die Teufelin“ als Verwandte denn den Klassiker „Network“. Und: Auch wenn man das austauschbare Gesicht von Rachel McAdams im Mode-Filmchen „Teufelin“ verortet - sie war nicht mit dabei und auch nicht bei irgendwas anderem von Belang. Ihre Rolle als nerviger Workaholic wird nur durch Mitleid oder ein „Ach, wie süüüß“ erträglich. Trotzdem schlägt sich der Film tatsächlich auf ihre Seite und feiert einen blondierten und exzellent bebilderten Sieg gegen Anspruch, Wissen und Verstand.

Der routinierte Regisseur Roger Michell, der mit „Notting Hill“, „Frontline“ oder „Jane Austens Verführung“ auch herausragende Filme realisierte, kann mit diesem Stoff (Buch: Aline Brosh McKenna) nur scheitern. Neben der auffällig guten Bildgestaltung, die Bildungsanspruch ersetzt, bleiben die großartig spöttischen Darstellerleistungen: Jeff Goldblum bringt als Beckys Sender-Chef eine notwendige Dosis Realismus in das Medien-Märchen. Harrison Fords ehrenwerter Reporter, der schon „Mutter Theresas Kopf mit nassen Lappen kühlte“, übersteht selbst die schmonzettigsten Szenen. „Morning Glory“ schmeichelt die Augen und beleidigt das Hirn.

We Want Sex


Großbritannien 2010 (Made in Dagenham) Regie: Nigel Cole mit Sally Hawkins, Bob Hoskins, Miranda Richardson, Geraldine James, Rosamund Pike 114 Minuten FSK    ab 6

Klassenkampf und Spaß dabei: Britische Sozial-Komödien wie „Ganz oder gar nicht“, „Brassed Off - Mit Pauken und Trompeten“ oder auch „Kalender Girls“ machten Kino-Solidarität mit den unterdrückten und ausgebeuteten Arbeitern schon immer zu einem ganz besonderen Vergnügen. Bei „We want Sex“ wird erst mal eines geklärt: Die Arbeiterklasse ist unteilbar und auch die Frauen gehören dazu!

Im britischen Dagenham wehrte sich im Jahr 1968 eine kleine Gruppe von Näherinnen bei Ford gegen unverschämt niedrige Löhne. Damals bettelte die Autoindustrie noch nicht um Sozialhilfe in Milliardenhöhe, sparte aber schon wo sie konnte. So firmierte man die gut gelaunten Frauen jeden Alters trotz komplizierter Arbeit zu Ungelernten um, stopfte sie zudem in eine Halle, die bei Regen undicht und im Sommer brütend heiß war. Dagegen ruft der kleine Gewerkschaftler Albert (Bob Hoskins) die muntere Frauenschar zu einer Arbeitsniederlegung auf und ist von der einhelligen Resonanz begeistert. Dann stellt sich bei den Gesprächen mit der Ford-Leitung die bislang eher unterschätzte Rita O'Grady (Sally Hawkins) als kluge und geschickte Rednerin heraus. Unter ihrer Führung wird nicht nur die traditionelle Auto-Gewerkschaft aufgemischt, die eher schäbige Deals mit den Herstellern ausklüngelt. Rita geht aufs Ganze: Gleicher Lohn für alle Frauen! Doch die anfängliche Unterstützung durch Ehe- und andere Männer bröckelt, als diese ausgesperrt werden...

Der durchaus sexistische Kampf gegen Sexismus in Sachen Lohn bringt einen historischen Gewerkschafts-Sieg etwas verkürzt aber sympathisch und humorvoll auf den Punkt. Dass „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ eigentlich immer noch Science-Fiction ist, darf dabei ebenso mal übersehen werden wie die etwas grob gestrickte Dramaturgie der BBC-Produktion. Ebenso erhebend wie die Erfolge der mutigen und netten Frauen-Gemeinschaft, die es nicht leicht hat, aber auch zu feiern weiß, ist eine tolle Besetzung, die Nigel Cole nach „Kalender Girls“ vor die Kamera bringt. Vor allem Sally Hawkins, die 2008 in Berlin den Silbernen Bären für „Happy-Go-Lucky“ erhielt, gibt ihrer gradlinigen und glaubwürdigen Kämpferin Rita das perfekte unsicher/tapfere Gesicht mit einem ansteckenden Lachen. Ebenso großartig ist Miranda Richardson als ruppig-resolute, „feurige Rote“ genannte Arbeitsministerin Barbara Castle, die sowohl die Deppen ihres Amtes als auch den Premierminister Harold Wilson albern aussehen lässt. Unter den männlichen Figuren hat nur Bob Hoskins als Frauenrechtler gut Substanz, der Rest besteht aus Knallchargen - Ähnlichkeiten mit real lebenden Personen nicht ausgeschlossen.

So überzeugt die Arbeiterinnen-Komödie mit dem dämlich reißerischen Titel „We want Sex“ durch die üblichen Solidaritäts-Szenen zum richtigen Zeitpunkt vor allem emotional. Da diese Szenen aber auch zu rasch und zu wenig intensiv abgehandelt werden, kann Nigel Coles neuer „Frauen-Film“ nicht ganz und gar mit großen Vorbildern des Genres mithalten.

4.1.11

La danse. Das Ballett der Pariser Oper

La danse - Das Ballett der Pariser Oper

Frankreich, USA 2009 (La danse - Le ballet de l'Opéra de Paris) Regie: Frederick Wiseman 158 Min.

Bald tanzt Natalie Portman in Darren Aronofskys Thriller „Black Swan“ Schwanensee und gegen sich selbst an. Die wunderbare Dokumentation „La danse“ vom „Cinéma Vérité“-Meister Frederick Wiseman funktioniert als perfektes Aufwärmtraining.

Es ist der Traum vieler Kultur-Freunde - einmal in der berühmten Pariser Oper herumschnüffeln, schamlos bei den Proben zuschauen und in alle Winkeln blicken, ja sogar in die Katakomben, in denen der Kitsch das „Phantom der Oper“ verortete. Frederick Wiseman, Großmeister des beobachtenden Dokumentarfilms, war mit seiner Kamera wochenlang beim Ballett der Pariser Oper. In unterschiedlichen Räumen erlebte er ein breites, unerwartet spannendes Spektrum der Probenarbeit. Vom klassischen Spitzen-Tanz bis zu modernen Bewegungen und Konzeptionen. Schon die ersten Szenen sind voller Momente, zu denen man unbedingt die ganze Aufführung sehen will. Stars und Ensemble zeigen unfassbare Körperbeherrschung, Eleganz, aber auch Bewegungen, die das Bekannte und Vorstellbare sprengen und klar machen, was nur Tanz ganz einzigartig vermitteln kann.

Dazwischen würdigen starre Aufnahmen die Räume, Treppenhäuser, Kulissen, des 1860-1875 erbauten Palais Garnier, der Handlungsort von Gaston Leroux’ Roman „Le Fantôme de l’Opéra“. Verspielt fängt die Kamera immer wieder die wunderschönen Fenster ein, dazu Einblicke in verschiedene Werkstätten wie die Gewandmeisterei. Ein Handwerker spachtelt eine Wand, alle in der Kantine Gesundes oder Schnelles. Auf dem Dach pflegt ein Imker seine Bienenstöcke.

Ganz doku-klassisch gibt es keinen Kommentar, keine Untertitel mit Namen von Künstlern oder Aufführungen. Hintergründe des gewaltigen und weltberühmten Ballett-Betriebes erschließen sich in Gesprächen der Leiterin mit Sponsoren, einzelnen Künstlern und auch Gewerkschaftlern. Ganz nebenbei ergibt sich die Entwicklung von sieben Stücken, von klassischen wie „Der Nussknacker“ bis zu techno-unterlegter Akrobatik bei Wayne McGregors „Genus“.

„La danse“ ist das Beste des Tanzes und des Dokumentarfilms in einem! Dieser großartige Genuss fällt wie immer bei dem mittlerweile über 80-jährigen Wiseman mit 160 Minuten etwas länger aus, aber man will keine Minute davon missen. Egal ob man mit diesem Metier vertraut oder gänzlich unbedarft ist!

2.1.11

Burlesque


USA 2010 (Burlesque) Regie: Steve Antin mit Cher, Christina Aguilera, Alan Cumming, Kristen Bell, Stanley Tucci 119 Min. FSK ab 6

Ali (Christina Aguilera) kellnert als tollpatschiges Naivchen in der „Burlesque Lounge“ am Sunset Boulevard von Los Angeles. Bald erhält sie die Chance, auf der Bühne ihr Tanz- und vor allem Sanges-Talent zu zeigen. Trotz des anfänglichen Widerstandes der kratzbürstigen Chefin Tess (Cher) und dank der Intrige einer neidischen Kollegin bringt der Abschied vom Playback dem erotisch sein wollenden Gezappel auf der Burlesque-Bühne neuen Erfolg. Um die Schließung des verschuldeten Etablissements zu verhindern, muss sich Ali aber erst über den Charakter ihrer Männer klar werden...

Der Film zum Soundtrack und ein Star-Vehikel: Christina Aguilera hat eine eindrucksvolle Stimme. Es klingt zwar nach Marketing-Spruch, doch ist auch wahr, wenn sich eine dunkelhäutige Sängerin in „Burlesque“ fragt, wie diese weiße Braut an so ein Organ kommt. Doch Entertainerin im alten Sinne ist Frau C&A noch lange nicht. Nahaufnahmen zeigen, wie schwach ihre Mimik ist! Das ist jedoch noch erträglicher als dieser Zombie namens Cher, der im dämmerigen Hinterzimmer nach zahllosen „kosmetischen“ Operationen echt Alptraum-Potential hat: Eine Großmutter mit absurd aufgeblasenen Lippen, die trotz Botox bei den Nahaufnahmen noch Weichzeichner braucht. So weit zu ehemaligen Entertainern, die noch oben auf dem Plakat stehen, aber nur ein trauriges Liedchen vom Abschied singen dürfen. Christina A. hingegen darf singen, tanzen, Kostüme zeigen und Schauspielen üben. Das scheitert einerseits beim neuerlichen Versuch, einen Superstar das unsichere Hühnchen spielen zu lassen. (Das Unvermögen zeigt sich immer, wenn die guten Schauspieler wie Tucci oder Cumming daneben mühelos glänzen.) Den Tanz sieht man vor lauter hektischer Montage nicht wirklich. Das hingeholperte Drama kann man sowieso vergessen. Also tatsächlich eine aufwändig hergestellte Luftnummer, an der nur die Fans Freude haben werden.

Die Unterhaltungs-Form Burlesque wird hier übrigens bis zur Kinderfreigabe verharmlost. Selten sah man wohl so viel Haut ohne jegliches Kribbeln. Ein richtig guter Film mit authentischem Burlesque-Ensemble ist „Tournée“ von Mathieu Amalric. Ein deutscher Starttermin für „Tournée“ ist allerdings (noch?) nicht vorgesehen.

Summer Wars (DVD)


Japan 2009

Regie: Mamoru Hosoda

Science-Fiction-Trickfilm

Der schüchterne Computer-Nerd Kenji wird von der quicklebendigen Mitschülerin Natsuki zum Geburtstag von deren Oma eingeladen. Er soll sich als Natsukis Freund ausgeben, was herrlich komisch schief geht. Allerdings wird Kenji auch, kaum auf der imposanten Familienresidenz angekommen, als Cyber-Terrorist landesweit gesucht. Er solle das Netzwerk Oz (ein Schelm, wer Facebook dabei denkt) lahmgelegt haben. Aber eigentlich steckt jemand anderes hinter dem Identitäts-Klau und der Angriff auf Oz richtet auch in der Realwelt ein riesiges Chaos an, da es nicht nur Plattform für Spiele und soziale Kommunikation sondern auch für Geschäfte und Behörden ist. Als der Verkehr zusammenbricht, greift Natsuki Großmutter zum Telefon und lasst die Beziehungen des sehr alten Takeda-Klans spielen. Sehr beeindruckend für alle aus der nächsten und übernächsten Generation. So findet Kenji nicht nur zufällig einen der Kampfhelden von Oz in der neuen Familie, er erfährt auch Solidarität und Familienbande in einem ungeahnten Maße. Doch alles ist mit einem alten Familiendrama noch tiefer vernetzt, als man vermutet.

Wie in „War Games“ geht es darum, die Menschheit vor einer atomaren Katastrophe durch schrottige Kernkraftwerke zu retten, aber es geht auch um eine kleine Liebesgeschichte. „Summer Wars“ stellt in scheinbar einfachen Animationen sehr schön realen und virtuellen Welten sowie deren Werte gegenüber. Statische Bilder zeigen die große Takeda-Familie im weit verzweigten Haus klassischen Stils. Bunt und immer bewegt dagegen die Welt von Oz. Hinter den „Kinderbildern“ verbirgt die Filmkunst auch bildende Kunst mit Schattenrissen.

Equinox - Zwischen Tag und Nacht (DVD)


Regie: Alan Rudolph

USA 1992, 105 Min.

Mystery-Thriller

Zu den vergessenen Meistern des Kinos gehört der Autorenfilmer Alan Rudolph, der im Umfeld von Robert Altman arbeitete. Seine große Zeit hatte Rudolph in den Achtzigern mit „Choose Me - Sag ja“ (1984), „Trouble in Mind“ (1985), „Made in Heaven“ (1987) und „The Moderns“(1988). „Die Liebe eines Detektivs“ (Love at Large, 1990) begann ein kargeres, aber immer noch bemerkenswertes Rudoplph-Jahrzehnt. „Breakfast of Champions - Frühstück für Helden“ (1999) und „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ (1994) kamen noch beim großen Publikum an. „The Secret Lives of Dentists“ erlebten 2002 nur noch Insider und Fans.
Deshalb erfreut jede „Neuerscheinung“ dieser auch von der DVD großflächig vergessenen Periode.

Der Mystery-Thriller „Equinox“ aus dem Jahr 1992 ist mit Fred Ward, Marisa Tomei, Matthew Modine, Lara Flynn Boyle, Lori Singer und M. Emmet Walsh hervorragend besetzt. Alan Rudolph erzählt die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Zwillinge anhand des Bildes der die Tag- und Nachtgleiche Equinox. Können auch Zwillinge wie Tag und Nacht sein? Henry Petosa arbeitet in einer Autowerkstatt und ist in die Schwester seines Freundes verliebt. Aber Henry ist schüchtern. Eines Tages erfährt er von seinem Zwillingsbruder, der ist verheiratet und arbeitet als Fahrer für einen Gangster. Durch Zufall erfährt eine Hobbydetektivin, dass die Zwillinge kurz nach der Geburt getrennt wurden - das Rätsel um die Identität der beiden Brüder beginnt. Zur geheimnisvollen Geschichte gibt es die hypnotische Musik von Terphe Rypdal!

Howl - Das Geheul


USA 2010 (Howl) Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman mit James Franco, Todd Rotondi, Jon Prescott 90 Min.

Der historisch-literatische Fall ist Fakt, ein Kuriosum im ewigen Kampf zwischen künstlerischer Freiheit und Enge der Gesellschaft, zwischen der bedrohlichen Kraft der Poesie und ängstlich um sich schlagender Prüderie. Das Gedicht „Howl“ des noch nicht berühmten Beat-Poeten Allen Ginsberg (1926-1997) wurde 1955 veröffentlicht und zwei Jahre später beschlagnahmt. Ginsbergs Verleger Lawrence Ferlinghetti wurde wegen Obszönität angeklagt (und später freigesprochen). Vor allem die Zeile „die sich in den Arsch ficken ließen von heiligen Motorradfahrern und vor Freude schrien“ störte prüde Geister.

In fast absurden Szenen diskutieren im genialen Spielfilm „Howl“ nun sehr ernste Menschen über die Bedeutung der Zeilen und interpretieren an ihnen herum. Dazwischen allerdings entfaltet sich die Kraft der Worte von „Howl“ in einer kongenialen Animation (Regie Eric Drooker) und einer Lesung vor begeistertem Publikum. Als vierte Ebene reinszeniert der Film Interviews mit Ginsberg, die fast so fantastisch und wortgewaltig verlaufen wie das Gedicht.

Mit diesem harmonisch verlaufenden Vierklang der Annäherung an Howl lassen die Dokumentarfilmer Epstein und Friedman („Gefangen in der Traumfabrik – The Celluloid Closet“, 1995) einerseits den ursprünglichen Text wirken, nähern sich aber auch immer wieder neu an das packende Poem an, schaffen mit Wiederholungen ein eigenes filmisches Versmaß zu Howl. Der angeblich im Rauschzustand entstandene Aufschrei gegen die Herrschaft des Geldes, gegen starre Regeln zeigt sich so erstaunlich lebendig und gegenwärtig. James Franco macht sich in der Rolle Ginsbergs unvergesslich.

Der Auftragslover


Frankreich, Monaco 2010 (L' Arnacoeur) Regie: Pascal Chaumeil mit Romain Duris, Vanessa Paradis, Julie Ferrier, François Damiens 105 Min. FSK o.A.

Die Sonne verschwindet hinter sanft wogenden Hügeln. Ihre Lippen nähern sich zitternd den seinen. Im letzten Moment wendet er den Kopf ab: „Ich bin nicht mehr frei! Doch dir steht die große Liebe offen...“ Dies könnte das Finale einer großen Romanze sein, er sollte dann noch sagen „Uns bleibt immer noch Paris“ oder so. Aber für Alex (Romain Duris) ist das nur das Finale eines weiteren erfolgreichen Auftrags: Er zeigt Frauen die große Liebe, um sie im Auftrag von Vätern oder besorgten Freunden von unwürdigen Verlobten loszueisen. Wie der verschmitzte Lover seine immergleiche Nummer in verschiedenen Rollen und Verkleidungen bei unterschiedlichen Frauen abzieht, ist grandios. Detektivisch erforscht Alex mit seiner Schwester Mélanie (Julie Ferrier) sowie deren Mann Marc (François Damiens) die Vorlieben der Zielpersonen, um mit der richtigen Lieblingsmusik zum perfekten Essen aufzutrumpfen oder Dirty Dancing zu tanzen. Doch wir ahnen, dass es bald einen Auftrag gibt, an dem der Leih-Liebhaber sich verhebt.

Eine Menge Schulden und nur zehn Tage Zeit hat Alex, um die reiche und sehr selbständige Juliette (Vanessa Paradis) im Auftrag ihres Vaters vom noch reicheren Verlobten zu befreien. Monaco ist die Kulisse für den Superlover und Supermann Alex, der sich diesmal als Bodyguard für Juliette ausgibt. Anfängliche Widerstände überwindet das Trick-Trio mit einem vorgetäuschten Raubüberfall - kleine Inszenierungen unterstützen die Glaubwürdigkeit. Derweil beobachten Marc und Mélanie aus dem Nebenzimmer des Hotels, in dem Alex das Nebenzimmer von Juliette belegt, hoch technisiert jeden Schritt der zu Becircenden. Aber Herzens-Täuscher Alex, der sich als Künstler sieht, bringt Job und Privatleben durcheinander. Am Ende bekommt auch er eine Lektion in Sachen Liebe verpasst.

Romain Duris als romantischer Held, das wirkt erst einmal wie Fehlbesetzung mit dem eindrucksvollen Franzosen, der als „Gadjo Dilo“, als verrückter Fremder bekannt wurde. In der Studenten-WG „L'auberge espagnole“ war er zwar etwas braver, doch „Der wilde Schlag meines Herzens“ könnte als gemeinsamer Nenner seiner Paraderollen gelten: Wild, leidenschaftlich, hemmungslos. Nun spielt sein Alex mit den Gefühlen, bis er einer besonderen Frau begegnet. Vanessa Paradis, mit der süßen Zahnlücke und dem sexy Ehemann Johnny Depp, spielt die eigenwillige Juliette gekonnt und überzeugend - das Schlagersternchen mit der piepsigen Stimme („Joe le taxi“) ist da längst vergessen.

Richtig überzeugend ist das Debüt von Pascal Chaumeil aber durch die flotte Inszenierung der frischen romantischen Komödie, die in Ton und Bild nicht durch sanfte Geigen sondern klaren Rock (Musik: Klaus Badelt) begleitet wird. Den Autoren Laurent Zeitoun, Jeremy Doner und Yohan Gromb gingen die lustigen Ideen nicht aus und so erfreut dieser Gangster of Love Herzen und Lachmuskeln gleichermaßen.