27.2.08

I'm Not There


USA, BRD 2007 (I'm Not There) Regie: Todd Haynes mit Christian Bale, Cate Blanchett, Marcus Carl Franklin 136 Min. FSK ab 12

Bob Dylan heißt in Wirklichkeit Robert Zimmermann. Der Musiker wählte seinen Künstlernamen nach dem walisischen Poeten Dylan Thomas ("Do not go gently ..."). Hätten Sie's gewusst. Egal: In der einzigartigen Dylan-Biographie "I'm Not There" finden sich zahllose Bruchstücke zu Leben und Werk des allseits verehrten und epochalen Musikers. Dabei gelang Regisseur Todd Haynes das Kunststück, dass man all dies gar nicht zu wissen braucht und trotzdem einen sehr reizvollen Film erleben kann.

Die Bob Dylan-Biografie "I'm not there" (Ich bin nicht dort) setzt sich Karriere und Persönlichkeit des Folk-Rock-Poeten aus mehreren Charakteren zusammen. Unter ihnen steht der schwarze Junge Woody Guthrie für die musikalischen Wurzeln des Barden. Cate Blanchett verkörpert wiederum eine drogenreiche Episode Dylans, scherzt mit den Beatles rum und macht der Journaille: "Ich will mit meiner Musik NICHT die Welt verbessern!" Richard Gere taucht in einer modern-märchenhaften Western-Stadt als Billy the Kid auf - Fiktives steht hier gleichberechtigt neben Biographischem. Haynes, der Regisseur der Glam-Rock-Geschichte "Velvet Goldmine" und von "Far from Heaven", erzählt ebenso kunstvoll wie originell, nur macht er es recht mühsam, ein Gesamtbild Dylans zusammen zu puzzlen. Cate Blanchett erhielt in Venedig sehr verdient den Preis für die Beste Schauspielerin.

No Country for old men


USA 2007 (No Country for Old Men) Regie: Ethan Coen, Joel Coen mit Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin 122 Min. FSK: ab 16

And the winner is ... niemand. Höchstens das Böse an sich siegt. Gäbe es einen Oscar für den dunkelsten Nihilismus im Film, "No Country for old men" hätte sich diesen als fünften neben den Kategorien Bester Film, Bester Nebendarsteller (Javier Bardem), Beste Regie und Bestes adaptiertes Drehbuch (beides: Ethan Coen, Joel Coen) eingeheimst. Die Coen-Brüder ("Fargo") wandeln in ihrer mordlustigen Filmreise den Spaß am cooler Töten in eine schauerlich pessimistische Bilanz dieser Welt.

Es ist eine Sauerei - Sheriff Bell (Tommy Lee Jones) erkennt es sofort: Mitten in der texanischen Wüste zeugen viele Leichen und verlassene Autos von einem Drogendeal, der ziemlich schief gegangen ist. Was Bell noch nicht weiß: Vorher fand der Antilopenjäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) ein paar Säcke Heroin und 2,4 Mio. Dollar. Das klassische moralische Dilemma: Niemand sieht es, niemand gehört es und zuhause möchte eine liebe Frau verwöhnt werden. Moss greift zu und geht nach Hause. Ein Fehler, vor allem in einem Film von Ethan und Joel Coen, die von "Miller's Crossing" bis "Fargo" nie zimperlich mit ihren Figuren umgingen. Doch je mehr Moss vom Jäger zum Gejagten wird, je mehr er gar nicht mehr ums Geld, sondern nur noch ums Überleben seiner Frau kämpft, umso mehr wird einem die einfache Habsucht sympathisch.

Denn auf der anderen Seite steht das Böse. Die Perücke des Grauens: Mit einem wahrlich unglaublich bescheuerten Haarschnitt tritt der Killer Anton Chigurh (Javier Bardem) in die Szene. Diese absurde, aber dadurch noch erschreckendere Verkörperung des Bösen verfolgt mit Nachdruck die Spur des Diebes. Oder mit Hochdruck? Auf jeden Fall mit Druckluft, die ein Bolzen-Schußgerät antreibt. Und so jeden mit chirurgischer Genauigkeit umbringt, der ihm im Weg ist. Oder fast jeden, denn Chighur mordet nicht nur eiskalt und mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der die Sonne jeden Tag aufgeht. Er lässt auch schon mal seine Opfer vorher eine Münze werfen, die über Leben und Tod entscheidet. Eine finale Pointe.

Eine von vielen trockenen, unvergleichlichen Coen-Scherzen, die sich durch den Film ziehen wie die Blut-Spur hinter Chigurh. Insofern adaptieren sie den Roman-Stoff von Cormac McCarthy ganz wie man es von ihnen erwartet. Aber die beiden exzellenten Regisseure sind nicht nur Meister des Schöner-Mordens. Immer wieder taucht Transzendentes bei ihnen auf und genau diese Ebene veredelt den in Bild, Schauspiel, Musik und Rhythmus schon hervorragenden "No Country for old men". Es bleibt diesmal nicht beim makabren Spaß, die Mordserie führt zu einer erschütternd pessimistischen Sicht auf die erschreckende Gewalt in den USA. Und zur Resignation der alten Ordnungsmacht Sheriff Bell: Dies sei kein Land für alten Menschen mehr - No Country for old men.

8 Blickwinkel


USA 2007 (Vantage Point) Regie: Pete Travis mit Dennis Quaid, Matthew Fox, Forest Whitaker 90 Min. FSK: ab 12
 
Angeblich soll die Action-Spielerei "8 Blickwinkel" eine Art "24" fürs Kino sein. Aber 8 ist nur ein Viertel von 24 und damit kommt der Film über ein Präsidenten-Attentat in Spanien noch ganz gut weg. Aber es ist ja auch nur Kino, und das gibt sich heutzutage viel weniger Mühe als der Flimmerkasten.
 
Auf dem großen Platz der spanischen Stadt Salamanca wird ein Attentat auf den US-Präsidenten (auf Autopilot: William Hurt) verübt und kurz darauf explodiert eine Bombe. Dieses Ereignis zeigt "8 Blickwinkel" aus den Perspektiven von acht Beteiligten. Nachdem die Handlung solch einen Erzählstrang verfolgte, spult sie zurück und geht einer anderen Spur nach - manchmal mit neuen, überraschenden Einblicken.
 
Im ersten Durchlauf wird der Zynismus der Newsbranche kurz abgehandelt, dann erleben wir alles aus dem Blickwinkel des Sicherheitsbeamten Barnes (routiniert verbissen: Dennis Quaid), der erst vor einem Jahr ein paar Kugeln abfing, die für den Präsidenten bestimmt waren, und der jetzt seine zweite Chance bekommt. Ganz ausgewogen, dürfen wir auch erleben, wie die Attentäter vorgehen, wie sich ein Tourist im blutigen Chaos durchschlägt und wie - etwas fürs Herz - ein kleines Mädchen seine Mutter sucht.
 
Im Gegensatz zu "Rashomon", Kurosawas Klassiker des Blickwinkel-Genres, ist "8 Blickwinkel" vor allem rasch. Die ganze Verschachtelung, das beschleunigte Zurückspulen zwischen den verschiedenen Perspektiv-Episoden peppt die Dramaturgie zwar was auf, liefert aber kaum Erkenntnisgewinn. So sitzt man am Ende, wenn alle Verfolgungsjagden und Schicksale wieder am gleichen Punkt zusammenkommen, eher unzufrieden vor dieser Drehbuch-Kapriole. Zweifel an der Plausibilität bleiben ebenso zurück wie Ärger angesichts eines scheinbar unvermeidlichen US-Pathos. Aus dem 9.Blickwinkel gesehen, sind die anderen acht eher zu vernachlässigen.

26.2.08

Meine Frau, die Spartaner und ich


USA 2008 (Meet the Spartans) Regie: Jason Friedberg, Aaron Seltzer mit Sean Maguire, Carmen Electra, Ken Davitian, 83 Min. FSK: ab 12
 
Über den Verfall von Film-Filmparodien zu schreiben, wäre fast so langweilig, wie diese mittlerweile selbst geworden sind. Es geht, wohlgemerkt, um die Verwurstung erfolgreicher Filme, Genres und Szenen in einem Billigfilmchen, das Bekanntes durch den Kakao zieht. Die "Airport"-Serie oder "Nackte Kanone" vom Abrahams/Zucker-Team waren noch witzig, geistreich im Entblößen von Filmroutinen und -Klischees. Das Niveau der Gags landete allerdings im Laufe der Jahre gefühlt ein paar Kilometer unter dem Meeresspiegel. Trotzdem ist für die erneute Bruchlandung in Sachen Raubbau-Humor zu vermelden: Es geht noch schlimmer!
 
"Meine Frau, die Spartaner und ich" stammt von Aaron Seltzer und Jason Friedberg, der Machern des gar nicht fantastischen "Fantastic Movie" und des doofen "Date Movie". Nun also eine Parodie auf die Fascho-Aktion "300". Und tatsächlich lassen sich die spartanischen Prügelknaben, die in Leder-Pampers herum metzeln, herrlich veralbern. Das gelingt sehr nett, wenn die ultraharten Jungs durchgehend als soft und schwul dargestellt werden, wenn sie Händchen haltend und mit dem "Priscilla"-Hit "I will survive" in die Schlacht tänzeln. Doch nach dieser Nummer, die sich in Varianten durch den ganzen Film zieht, kommt humortechnisch schon der halbwegs originelle Filmtitel und danach haufenweise Fernseh-Schund. Tatsächlich ist  "Meine Frau, die Spartaner und ich" vor allem TV-Parodie, was die ganze Chose weniger universell macht.
 
Denn wer kennt schon das Bohlen-Gegenstück zu "DSDS", das in den USA "American Idol" heißt? Bei den anderen zitierten Talent- und Geschmacklosigkeits-Shows kommt der deutsche TV-Konsument überhaupt nicht mehr mit. Und auch die Idee, aus dem extrem bluttriefenden Gemetzel von "300" ein Breakdance-Battle der albernen 13 Kämpferlein zu machen, versteht man nicht so gut, wie die weltweit erfolgreichen Filme, die bislang den Parodien Futter gaben. Wenn die "Nackten Kanone" noch treffsicher das Kino parodierte, zielen die Spartaner der Billig-Parodie auf TV-Trash-Shows - eigentlich nicht verwunderlich in diesen Zeiten.
 
Einen Gedanken nimmt man aus diesem Humor-Debakel mit: Muss man mit dieser Verlagerung der Popkulturreferenzen vom Kino ins Fernsehen auch gleich die Kinokultur abschreiben? Mit solcher Niedrigst-Qualität ergibt sich das Kino tatsächlich einer aussichtslosen Schlacht gegen die neuen Unterhalter Fernsehen, Games und Computer.

20.2.08

10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen


Australien 2006 (10 Canoes) Regie: Rolf de Heer Mit Crusoe Kurddal, Richard Birrinbirrin, Frances Djulibing, Jamie Gulpilil, Peter Djigirr
91 Min. OmU
 
Dass Ethnographie sehr witzig sein kann, beweist dieser sensationelle australische Film, der gleichzeitig bestens unterhält und einen vielfältigen Einblick in Aborigines-Kultur gewährt. Auf zwei Ebenen, süffisant kommentiert durch einen Erzähler, verläuft die Geschichte während einer Jagd auf Gänseeier. Ein junger Mann will was von der dritten Frau seines älteren Bruders. Das führt ansonsten zu Problemen, hier aber zu einer Erzählung von Fremden, Entführung, Eifersucht, Mord und Rache. Dass dabei viele Mythen in verschiedenen Sprachen auftauchen, dass durch die Mitarbeit des Ureinwohners David Gulpilil als Autor und Erzähler ein selten erreichtes Maß an Authentizität zu erleben ist, braucht gar nicht bewusst zu sein. „10 Kanus“ ist in der Bildern, der Erzählung und vor allem der Art des Erzählens ein einzigartiges, beeindruckendes und auch spaßiges Filmerlebnis.

Helden der Nacht ­ We own the night


USA 2007 (We own the night) Regie: James Gray mit Joaquin Phoenix, Mark Wahlberg, Eva Mendes 117 Min.
 
Der Polizei-Pate
 
Familienbande einmal anders: Die Grusinsky stehen auf der guten Seite. Vater Burt Grusinsky (Robert Duvall) ist Legende bei der Polizei. Sohn Joseph (Mark Wahlberg) tritt strebsam und mit perfekter Frisur in seine Fußstapfen. Nur dessen Bruder nennt sich Bobby Green (Joaquin Phoenix) und hält sich von der Familie fern, hat sogar seinen Namen geändert. Die Familie – das sind nicht nur die Grusinsky, es sind ebenso die Polizeikollegen. Wie viel diese Bande wert sind, wird sich zeigen, als es zum Krieg mit der Unterwelt kommt.
 
New York im Jahre 1988: Die Polizei kämpft gegen ein brutales russisches Drogenkartell. Der Gangsterboss Vadim (Alex Veadov) führt ein striktes Regime, seine Leute bringen sich auf Kommando im Polizeiarrest eher um, als auszusagen. Und mit Vadim verkehrt im Nachtleben New Yorks ausgerechnet jener Bobby Green, dessen Familie in Uniform die Clubs unsicher macht – unsicher für die Drogen-Dealer.
 
Bobby ist beliebter Nachtclubmanager für einen netten russischen Boss, lebt, feiert, kokst, schmeißt Pillen ein. Bobby liebt sein Leben und findet die Familie eher albern. Als ihn Bruder und Vater bitten, gegen Vadim zu ermitteln, lehnt er brüsk ab. Doch nach einer Razzia in Bobbys Club nimmt der Gangsterboss gnadenlos Rache. Josephs Leben steht auf Messers Schneide und Bobby entschließt sich, Vadim zu überführen. Als auch das schief geht, der Dealer von Bobbys wahrer Identität erfährt, bricht ein offener Krieg zwischen der russischen Mafia und den Grusinskys aus. Die Familie lebt nur noch in Verstecken unter Polizeischutz. Die extreme Situation belastet auch die liebevolle und leidenschaftliche Beziehung zu seiner Latina-Freundin Amanda.
 
Ein neuer Film von James Gray, der mit dem atmosphärisch dichten „Little Odessa“, dem Porträt einer gleichnamigen russischen Enklave, für Aufsehen sorgte. Und doch ein bekannter Film: Schon "The Yards" erzählte die Geschichte zweier Brüder, damals auf der anderen Seite des Gesetzes. Und es spielten Joaquin Phoenix sowie Mark Wahlberg. Nur Eva Mendes sah damals nach Charlize Theron aus. Gab einst James Caan das Familienoberhaupt, beeindruckt nun Robert Duvall als Vertreter einer alten Zeit integrer Polizeiarbeit.
 
Das muss nicht gegen Gray sprechen, schafft er es doch wieder, mit einer intensiven Inszenierung zu fesseln. „Helden der Nacht“ ist ein guter Thriller, bei dem einem die persönlichen Schicksale ebenso nahe gehen wie die spannungsgeladenen Momente. Wahlberg ("Boogie Nights", "Three Kings") spielt mittlerweile besser. Die Hauptrolle hat aber eindeutig Phoenix als verlorener Sohn, der sich als wahrer Erbe des Vaters erweisen wird. Und dieses klassische Drama kann tatsächlich noch einmal packen.

19.2.08

Sweeney Todd


USA 2007 (Sweeney Todd - The Demon Barber of Fleet Street) Regie: Tim Burton mit Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman 116 Min. FSK: ab 16
 
Noch nie wurde Blut so schön gezeichnet. So süß und bitter dieser Saft, so auch die Moritat des betrogenen und nach Rache dürstenden Barbiers von London – grandios gespielt von Johnny Depp. Das neuerliche Meisterwerk Tim Burtons („Nightmare before Christmas“) steigert die melodramatische Geschichte aus dem düsteren 19.Jahrhundert mit Gesang: Schaurig schön!
 
Bitter, dieser Blick auf London: Nach 15 Jahren unschuldiger Haft und Verbannung kehrt Sweeney Todd (Johnny Depp) zurück, um zu erfahren, dass sich sein große Liebe vergiftet hat und das gemeinsame Kind Johanna in den Händen des rechtlosen Richters Turpin (Alan Rickman) ist, der Todds Glück vernichtete. Zusammen mit seiner alten Vermieterin Mrs. Lovett schmiedet der Barbier Todd einen Racheplan, der gleichzeitig die Fleischpasteten der Köchin Lovett lieblich füllt. Doch nicht nur die Liebe eines naiven Jungen zu der gefangenen Johanna sorgt für Überraschungen...
 
Johnny Depp macht wieder den Frisör. Aber im Gegensatz zu „Edward mit den Scherenhänden“, dem ersten von mittlerweile sechs gemeinsamen Filmen mit Burton, erweitert diesmal nur ein Rasiermesser den menschlichen Arm. Nur? “Sweeney Todd” macht das Rasieren, Barbieren und Halsabschneiden zu einer Kunst und bringt diese gleich zu höchster Vollendung. Stilisiert in einer Geste des Körpers richtet sich alles auf die messerscharfe Rache aus. Aus den düsteren Bildern weist allein die helle Spiegelung der Klinge ins Licht.
 
Nur wer keine Gänsehaut bekommt, wenn in einer dieser klassischen Kinomomente das Rasiermesser gewetzt wird, bleibt vom Schauer der Szenen unberührt, in denen mehr als einmal das Leben auf Messers Schneide steht. Hinzu kommt jetzt noch Gesang! Duette zwischen Sweeney und seiner herrlich düsteren Vermieterin (Helena Bonham Carter als Gothic-Ikone) - ganz wunderbar, auch dies Gänsehaut-Material. Aber erst wenn der noch unwissende Richter Turpin unter der Klinge von Sweeney liegt und beide gemeinsam die Vorzüge schöner Frauen besingen, steigern sich Spannung, Schauspiel, Bild- und Tonkunst zu einem unvergleichliche Genuss.
Ein Horror-Musical vom Feinsten: Wie in einem besonders außergewöhnlichen Leben folgt ein Höhepunkt dem nächsten. Immer wieder schwillt ein Lied an, Lippen verschenken Leidenschaft, Schönheit zeigt sich in ihrer ganzen Pracht, die Gefühle explodieren sinnlich und laut. Tim Burton fand in dem Musical von Stephen Sondheim eine ideale Vorlage.
Bei Depp stimmt auch die Stimme, der Londoner Dialekt lässt ihn reizvoll wie den frühen, rauen Bowie klingen. Die Nebenrollen wurden äußerst exquisit besetzt: Rickman als eiskalter Richter, Timothy Spall als schleimiger Assistent Beadle und Sacha Baron „Borat“ Cohen als eitler Italiener Pirelli.
 
Welch ein weiter Weg von Musicals wie den „Regenschirmen von Cherbourg“, bei dem das Grauen  - etwa der Algerien-Krieg als Grund des Trennungsschmerzes - nur angedeutet bleibt. Hier spritzt das Blut wie die Springbrunnen in anderen Singspielen. Denn von Tim Burton darf man niemals nur Liebliches erwarten: Das Märchen um “Edward mit den Scherenhänden” zerriss ebenso den Schleier hässlicher ausgrenzender Bürgerlichkeit wie die Herzen. Der Stopp-Trick “Nightmare before Christmas” verband Horror mit Kitsch und versorgt die Gothic-Szene immer noch mit niedlichen Totenköpfen auf Taschen und Jacken. Seine “Corpse Bride” brachte als Brautgeschenk die schauerlich-schöne Romantik einer verwesenden Vermählten mit. Zwischendurch realisierte Burton noch zwei der besten “Batman”-Filme und attackierte mit “Mars Attacks!” das Zwerchfell ebenso wie den Science Fiction.

12.2.08

There Will Be Blood


USA 2007 (There Will Be Blood) Regie: Paul Thomas Anderson mit Daniel Day-Lewis, Paul Franklin Dano, Kevin J. O'Connor 158 Min. FSK: ab 12
 
Die Biographie eines Giganten! Das Leben des amerikanischen Ölbarons Daniel Plainview fesselt jenseits aller Erwartungen und bekannten Vorstellungen. Nach "Magnolia" und "Punch-Drunk Love" begeistert Paul Thomas Anderson erneut und ganz anders mit der freien Verfilmung des Romans "Öl!" von Upton Sinclair aus dem Jahr 1927.
 
Ein Mann gräbt nach Gold. Allein. Entschlossen. So entschlossen wie sich noch nie jemand in die Erde eingewühlt hat. Oder wie die Verkörperung all der Schatzsucher aller Zeiten. Dann findet Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) das Schwarze Gold. Kauft Land, bohrt nach Öl. Als einer seiner Arbeiter verunglückt, nimmt Daniel dessen Kind an Sohnes statt. Was sich als sehr hilfreich bei den Käufen neuer Landstriche erweist.
 
Mit einer erdschweren Tragik in der Musik fließt die Geschichte voran. Schon in den ersten, wortlosen Minuten ist eine ungeheure Kraft spürbar, eben wie das Beben einer explodierenden Ölquelle.
 
Wir erleben den Anfang des 20.Jahrhunderts, den Beginn des Ölzeitalters, einer neuen Form des Kapitalismus. Plainview tritt als Mann mit Visionen in einer ausgemergelten Gegend auf. Mit den Pumpstationen will er auch Bildung, Infrastruktur und Wohlstand ankurbeln. Der Öl-Mann als Wohltäter trifft bald auf den jungen, dämonischen Kirchenführer Eli Sunday (Paul Franklin Dano), verspricht ihm eine Prämie für dessen Kirche. Doch der Segen für die Ölquelle bleibt aus, Daniels Ziehsohn verunglückt und verliert sein Gehör. Ein Duell zwischen dem unbeugsamen Willen eines Machers, der nur an sich selbst glaubt, und einem fanatischen Christen, der nur den Glauben gelten lässt, beginnt und bestimmten die nächsten Jahrzehnte des wirtschaftlichen Aufstiegs und seelischen Niedergangs von Plainview.
 
Paul Anderson gelang eines der großartigen Lebens-Dramen, aus deren Bildern Urkräfte strahlen. Wie in "Days of Heaven", wie in "Citizen Kane" oder wie in George Stevens Öl-Drama "Giganten" mit James Dean und Elizabeth Taylor. Die Kamera fixiert kraftvolle Kompositionen, die zeitweise an die Kunstinstallationen eines Matthew Barney erinnern, fährt sie langsam ab und in sie hinein. Der Soundtrack von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood wirkt mal mechanisch, mal nur organisch vibrierend ebenso eigen unvergleichlich, wie der gesamte Film.
 
Daniel Day-Lewis spielt wieder sensationell: Man hat dieses Gesicht schon so oft in unterschiedlichen Rollen aufgesogen, bei "Mein linker Fuß", als "The Boxer" oder Anführer der "Gangs von New York". Eigentlich müsste man es ja kennen. Doch den Menschen und den Unmenschen Daniel Plainview lernt man ganz neu kennen und kommt aus dem Staunen nie heraus in diesem gigantischen Film.

Das Waisenhaus


Mexiko, Spanien 2007 (El Orfanato) Regie: J.A. Bayona mit Belén Rueda, Fernando Cayo, Roger Príncep 105 Min. FSK: ab 12
 
Schon eine verrückte und naive Idee, ausgerechnet in das ehemalige Waisenhaus zu ziehen, in dem sie aufgewachsen ist. Aber Laura ist mittlerweile glücklich verheiratet und liebt ihr Adoptivkind Simón. Der redet seit dem Umzug aber nicht mehr nur mit seinen zwei eingebildeten Freunden, andere kommen hinzu. Als Simón verschwindet und Laura immer wieder die Anwesenheit von Eindringlingen spürt, holt sie Geisterkundige heran. Tatsächlich wird das Haus durch die Geister von Kindern bewohnt, die hier grausame Dinge erleiden mussten.
 
Lauras Mann, als Arzt ganz Naturwissenschaftler, glaubt nicht an Geister und verlässt Haus und Frau. Die verkündet den (Quäl-) Geistern, sie habe keine Angst und geht auf deren Spiel ein. Versteckte Gegenstände und Hinweise führen sie zu einer schrecklichen Entdeckung.
 
Nicht der Holzhammer-Schrecken, sondern sanfter Grusel in der Form von "The Others" sorgt im "Waisenhaus" für Spannung. Ein tödliches Kinderspiel läuft zwischen Lebendigen und Toten, mit Laura mittendrin, ohne dass sie die Regeln kennt. Das hat etwas vom "Hospital der Geister" des Lars von Trier, sorgt für reizvollen Schauer, aber auch nicht mehr.
 
Der mexikanische Jung-Meister Guillermo Del Toro produzierte, aber anders als bei seinen eigenen Filmen "El Espinazo del diablo" und "Pans Labyrinth" fehlt dem Erstling von J.A. Bayona der historische Hintergrund, der dem Schrecken eine weitere Ebene gab. So war im ersten ein entlegenes Waisenhaus gleichzeitig Bollwerk und Schreckensstätte des Franco-Faschismus. Und die märchenhaften Verführungen Pans boten einer Halbwaise eine traumhafte Flucht vor dem realen Terror der Frankisten. Nun ist es ein Spiel, ein tödliches, ein reizvolles. Dabei belegt "Das Waisenhaus" erneut den exzellenten Umgang der Thriller- und Horror-Genres in Spanien, wo der Film alle Kassenrekorde schlug.

27 Dresses


USA 2008 (27 Dresses) Regie: Anne Fletcher mit Katherine Heigl, James Marsden, Malin Akerman 110 Min. FSK: o.A.
 
In einem nicht wirklich existenziellen Streitgespräch zwischen Redakteurin und Autor geht es darum, dass die Anzeigenkunden lieber schöne Hochzeitskleider als kritische Bemerkungen zur dreisten Geschäftemacherei um Heiraten sehen wollen. Ähnliche Diskussionen führen in Filmproduktionen genau zu so netten und "schönen" Romantischen Komödien wie "27 Dresses". Zum Glück gibt es freie Filmpresse ...
 
Da kann man sagen, dass "27 Dresses" ein ganz netter Film um die ewige Brautjungfer Jane (Katherine Heigl) ist. Sie heiratet für ihr Leben gerne - leider nur als Organisatorin für andere. So brachte sie es auf eine stattliche Sammlung von 27 mehr oder weniger schönen Braut(jungfer)kleidern. Dabei arbeitet sie im Büro schon für ihren Traummann George. Doch der fährt voll auf die dämliche und hinterhältige Schwester Jane ab. Jane hingegen wird vom frechen Journalisten Kevin verfolgt. Will der etwa mehr als ihre Hilfe für einen guten Text?
 
Überraschende Wendungen, scharf geschliffene Dialoge, klare Durchblicke zum Thema Hochzeit, ungeahnte Einsichten ...  gibt es in dem Filmchen nach dem Buch von Aline Brosh McKenna ("Der Teufel trägt Prada") selbstverständlich nicht. Dafür ein sicheres Happy End, nette Gesichter und schön viel Hochzeiten zum Schwärmen.
 

John Rambo


USA 2007 (John Rambo) Regie: Sylvester Stallone mit Sylvester Stallone, Julie Benz, Matthew Marsden 92 Min. FSK: k.J.
 
Den jüngeren Lesern muss man an dieser Stelle vielleicht erklären: Rambo ist nicht die amerikanische Schreibweise des bekannten und beliebten französischen Dichters Arthur Rimbaud. Es handelt sich vielmehr um eine längst vergessene, archaische Figur des Gewalt-Kinos. Rambo rückte in bislang drei Filme mit reichlich Dickschädel und Waffengewalt Weltpolitik im Sinne der gesund beschränkten Volksmeinung zurecht. Bei amerikanischen Hinterwäldlern setzte er seine mit US-Steuergeldern antrainierten Vietnam-Kampftechniken ein. Dann entsorgte er die historischen Reste des Vietnamkrieges, bevor er die Russen aus Afghanistan verjagte. Alles wirkte schon damals recht vorgestrig.
 
Jetzt ist das Timing gelungen. Raubte in der vergangenen Kinowoche mit "Charlie Wilson" ausgerechnet ein Politiker Rambo die Ehre, Afghanistan von den Russen befreit zu haben, besetzt der Senioren-Kämpfer nun eigenhändig den Norden Burmas, um dem unterdrückten Bergvolk der Karen und ein paar dämlichen Westlern beizustehen. (Den eigenmächtig angeeigneten Eigennamen des Landes Myanmar wollen wir gar nicht erst in simple Spielfilmchen bringen.)
 
Wieder will der Rammbock der Filmgeschichte mit dem Kopf durch die Wand des Dschungel-Gefängnisses. Damit die Gewaltorgie auch berechtigt und ohne schlechtes Gewissen losbrechen kann, müssen vorher die Schurken ganz extrem brutal morden, foltern und vergewaltigen. Die Schraube der Gewalt dreht hier durch - auch dieser Film erhält keine Jugendfreigabe.

11.2.08

Preis der deutschen Filmkritik f=?ISO-8859-1?B?/A==?=r Dieter Schleip


Berlin. Gestern Abend wurden am Potsdamer Platz im Rahmen der Berlinale die Preise der Deutschen Filmkritik feierlich vergeben. Bereits zum dritten Male erhielt Dieter Schleip den Preis der deutschen Filmkritik für die Beste Filmmusik des Jahres. Und morgen kann der aus Aachen stammende Komponist in Berlin noch die Neuerscheinung einer Doppel-CD mit vielen seiner Melodien feiern.
 
"Ich liebe die Kritiker!" war die erste Reaktion des Komponisten, der in München für Film und Fernsehen arbeitet. Die Auszeichnung für die Beste Filmmusik des Jahres 2007 ging an den aufwändigen und ungewöhnlich groß orchestrierten Score zur Dokumentation "Die Hochstapler" von Alexander Adolph. Auch die Jury ließ sich davon überzeugen: "Der Umstand, dass ein Dokumentarfilm mit einem eigens komponierten vollorchestralen Soundtrack ausgestattet wird, ist selten genug. Darüber hinaus findet Dieter Schleip zarte, aber auch opulent-aristokratische Klänge für die vier Gentleman-Gauner, die hier offen über ihre „Profession" sprechen. Er denunziert seine Protagonisten nicht, auch wenn deren Aktivitäten oftmals am Rande der Legalität liegen. Ein charmantes Hörvergnügen, dass bestens mit dem Retro-Style des Langfilm-Debüts von Alexander Adolph korrespondiert."
 
Dieter Schleip wurde 1962 in Aachen geboren und lebt seit 1987 in München. Seit 1995 ist er ausschließlich als Filmkomponist tätig und schreibt vornehmlich komplexe Orchesterpartituren. Neben großen Kinofilmen komponierte er auch die Musik zu besonders anspruchsvollen, häufig preisgekrönten Fernsehfilmen.
 
Neben dem "Deutschen Fernsehpreis" 2003 und 2000 erhielt der immer neugierige und weiter suchende Schleip den "Preis der deutschen Filmkritik" 2002 für "Der Felsen" von Dominik Graf, der übrigens regelmäßig mit dem Ex-Aachener zusammenarbeitet. 2001 feierte die Kritik dessen Score zu "Die Einsamkeit der Krokodile" von Jobst Oetzmann.
 
Die enorme Wertschätzung in Fachkreisen zeigt sich auch in der liebevoll editierten Doppel-CD der verdienstvollen und qualitativ hochwertigen "Edition Filmmusik". Darin finden sich unter anderem Kompositionen aus "Liegen lernen", "Ausländer ohne Grund", "Aphrodites Nacht", "Tango zu dritt", "Die Hochzeit meines Vaters", "Kommissarin Lucas", "Der rote Kakadu", "Roula" und "Der Magier". Wobei Dieter Schleip Garant dafür ist, dass es nie wieder erkennbar im Sinne von langweilig ist. Die Reihe wird von der Fachzeitschrift fachkundig "film-dienst" begleitet und betont, dass der "aktuelle deutsche Kinofilm sich sehen- aber auch hören lassen kann: dank des Talents und der Vielseitigkeit von Filmkomponistinnen und -komponisten, die aus Filmen Hörerlebnisse machen." Besonders schön auch das 16-seitige Booklet mit Biographie und Infos zu allen Filmen.

Rede-Rhapsody in Hellblau


Mitte der Woche mit Robert de Niro bei der Goldenen Kamera diniert, am Vorabend auf dem Roten Teppich der Berlinale und dann auf dem roten Teppich der Bühne im alten Kurhaus: Martina Gedeck führt auch abseits des Sets ein bewegtes Leben. Die Schauspielerin las in "Rhapsody in Blue" fiktive Erinnerungen an George Gershwin vor, während der Pianist Sebastian Knauer den Künstler selbst über seine Kompositionen aufleben ließ. Die Weltpremiere in der Reihe "Wort trifft Musik" fand ein begeistertes Publikum.
 
22. September 1945. George Gershwin ist seit mehr als acht Jahren tot und "Rhapsody in Blue", ein Film über sein Leben, feierte gerade Premiere. Georges jüngere Schwester Frances erinnert sich schön chronologisch an Leben und Karriere des amerikanischen Ausnahme-Komponisten und Pianisten. Mit einem dieser modernen Mikrophone klobig um den Kopf gezwängt, mit High Heels zum schwarzen Kleid, betritt Martina Gedeck als Frances die Bühne, summt eine Gershwin-Melodie und spielt Trauer. Als das erste Stückchen Biografie rezitiert ist, hat der Pianist Sebastian Knauer seinen Einsatz. Er spielt kurz Gershwin-Hits an, erinnert mit Klavier-Versionen an Standards wie "Summertime". Dabei gibt es viel Gelegenheit zum "Star schauen".
 
Martina Gedeck machte sich in "Der Zeit" Gedanken zum Wesen der Diva, ist aber selbst viel zu bodenständig um diese Aura zu berühren. Auf den Bildern berühmter Fotografen wie Jim Rakete schlüpft sie in ebenso viele unterschiedliche Personen wie auf der Bühne und vor der Kamera. Für ihre Rolle der "Bella Martha" erhielt Martina Gedeck den Deutschen Filmpreis in Gold. Bei den "Bayerischen Filmpreisen" gab es im vergangenen Jahr den mit 10.000 Euro dotierten Darstellerpreis für ihre Rolle in dem Film "Meine schöne Bescherung". Aber vor allem in Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-prämierten Film "Das Leben der Anderen" beeindruckte sie nachhaltig. Gerade hat Martina Gedeck die Bernd Eichinger-Produktion "Der Baader Meinhof Komplex" abgedreht, der am 25. September in die Kinos kommen wird. Vorher ist sie noch als die Pianistin "Clara Schumann" zu erleben. Und im August kann man sie bei den Salzburger Festspielen in der Titelrolle von "Harper Regan" sehen.
 
Bei der Rede-Rhapsody mimiert die Gedeck minimal. Kuckt sie so traurig, weil Frances ihren Bruder vermisst oder weil sie sich unterfordert langweilt? Als Sebastian Knauer mit der abschließend virtuos gespielten "Rhapsody in Blue" den Saal begeistert, fragt man sich, weshalb so ein eindrucksvoller Pianist durch literarisch uninteressante Wortbeiträge unterbrochen wurde. Doch die Texte stammen von Sebastians Vater Wolfgang Knauer und Junior scheint es zu gefallen: Er hat mittlerweile ein ganzes Repertoire solcher Lese-Spiel-Abende aufgebaut. "Rhapsody in Blue" bietet seine Agentur alternativ auch mit Gudrun Landgrebe oder Hannelore Elsner an. Wie sehr dieses Konzept den Zeitgeist trifft, bewies erneut die sehr erfolgreiche Veranstaltung im Alten Kurhaus - alle 300 Plätze waren ausverkauft.

6.2.08

Berlinale Er=?UTF-7?B?K0FQWS0=?=ffnung

 
Berlin. Heldenverehrung ist angesagt: Nicht nur, weil die Rentnerband Rolling Stones auf der Leinwand und dem Roten Teppich heute Abend die Berlinale eröffnen werden. Zahlreiche Helden aus Entertainment und Politik werden ihnen in den Berlinale-Palast voran gehen, wenn Ex-Ehrensenf-Frontfrau Katrin Bauerfeind die Gala moderiert und die Pop-Rock Band „Wir sind Helden" musiziert. Ein festlicher Auftakt vor den zehn Filmfeiertagen mit mehr als 400 Beiträgen aus aller Welt.
 
Berlinale-Direktor Dieter Kosslick eröffnet das größte deutsche Filmereignis gemeinsam mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und dem Jury-Präsidenten Costa-Gavras. Zwischen Mario Adorf, Fatih Akin, Daniel Brühl, Hannelore Elsner, Heike Makatsch, Neil Young und vielen anderen wird der Normalbürger keinen Platz finden, doch dafür bekommt er am Roten Teppich am Potsdamer Platz besonders viel zu sehen. Direkt um die Ecke kann er sich dann in die lange Schlange vor dem Kartenvorverkauf einreihen - Berlin ist neben Wettbewerb, Filmmarkt und Branchentreff auch ein vitales Publikumsfestival. Und wenn man sie auf den Straßen vergeblich sucht, in den ersten Reihen der Abendgalas hat sich die Berliner Schnauze einen Platz reserviert. Es wird sie besonders freuen, wenn in den nächsten Tagen jeweils eine Berlinale-Kamera an die sehr volksnahen Karlheinz Böhm und Otto Sander geht.
 
Michael Schmid-Ospach, Leiter der Filmstiftung NRW, findet es kurz vor Abreise aus Düsseldorf an die Spree nicht dramatisch, dass sein Vorgänger und aktueller Berlinale-Chef Dieter Kosslick nur zwei deutsche Filme (Dörries "Kirschblüten", Luigi Falornis "Feuerherz") in den Wettbewerb holte und keiner von ihnen in NRW gefördert wurde: "Wir freuen uns auf die Berlinale, weil wir im eigentlichen Bereich, in den Reihen, in denen junge Filme präsentiert werden, besonders stark sind. Hier werden Schicksale von Filmemachern entschieden."
 
Ein besonderer Clou der Berlinale und eine immer beliebtere Insel in ihr ist der "Talent Campus" im Haus der Kulturen der Welt, mitten im Tiergarten: Hier finden sich junge Filmemacher aus aller Welt zusammen, die ihr Projekt im Internet vorstellten und planten, um es unter prominenter Begleitung in den zehn Tagen zu realisieren. So zieht sich ein Festival seinen eigenen Nachschub heran und wer hier so groß wurde, will vielleicht in ein paar Jahren sein Meisterwerk gar nicht unbedingt in Cannes zeigen.
 
Und auch der Lokalpatriotismus hat was zum Schauen: Gerade frisch beim Max Ophüls-Festival mit dem Darstellerpreis prämiert, zeigt "Nichts geht mehr" auf der Berlinale einen humorvoll erzählten Bruderkonflikt. Regisseur Florian Mischa Böder inszenierte am Theater Aachen 2005/2006 "Die Rote Zora und ihre Bande" sowie 2006/2007 "Das Wirtshaus im Spessart". Produzent Peter Kreutz (Aquafilm, Köln) studierte in Aachen und fasst für einen zukünftigen Film die alte Heimat als Drehort ins Auge. Und man soll sich auch nicht den Bären aufbinden lassen, in Berlin gäbe es nur Bären in Gold zu gewinnen. Die sind auch mal aus Glas für den Kinderfilm oder aus Teddy für das Beste Schwul-Lebische. Dazu kommt eine unübersehbare Anzahl weiterer Auszeichnung. Im Rennen um die Beste Filmmusik des Jahres 2007 ist übrigens ein weiterer Ex-Aachener: Dieter Schleip ist für "Hochstapler" nominiert. Wobei wieder einer jüngere Musik macht, als die Herren des Eröffnungsfilms "Shine the Light" - aber das ist auch nicht schwer, denn Martin Scorsese porträtierte darin ja bekanntlich die Rolling Stones.
 
 

5.2.08

Der Jane Austen Club

USA 2007 (The Jane Austen Book Club) Regie: Robin Swicord mit Kathy Baker, Maria Bello, Emily Blunt 105 Min. FSK: o.A.

Auf der Skala der verständnisvoll bloßgestellten Männer dieses Films muss sich der Kritiker beim Nur-Austen-Verfilmungs-Kenner einordnen. Männer haben von Gefühlen grundsätzlich keine Ahnung und lesen deswegen nicht Jane Austen - Ausnahmen machen besonders viel Spaß. Unter dieser Grundvoraussetzung finden sich fünf Frauen aus Sacramento zu einem Lese- und Leidenszirkel ein, um die sechs Romane zu besprechen, die von der Engländerin Jane Austen bis zu ihrem Tode 1817, im Alter von gerade mal 41, geschrieben wurden.

Da Sylvia (Amy Brenneman) nach 32 Jahren Ehe kürzlich von ihrem Mann Daniel (Jimmy Smits) für eine ältere Frau verlassen wurde, holt die Hundeliebhaberin Jocelyn (Maria Bello) noch den knackigen Grigg (Hugh Dancy) in den Kreis. Sylvias heißblütige und lesbische Tochter Allegra (Maggie Grace) stürzt sich gerade wieder in eine neue stürmische Affäre. Die freundliche Bernadette (Kathy Baker), weise lächelnde Übermutter des Lesezirkels, glaubt für die siebte Hochzeit reif zu sein. Die sich europäisch intellektuell gebende Lehrerin Prudie (Emily Blunt) macht ihrem Namen Ehre, träumt aber von der Affäre mit einem Schüler. Denn ihr Gatte sagt den Trip nach Paris für ein Football-Spiel ab. Reichlich unbefangen und unbelesen kommt der nette Grigg hinzu und tauscht seine bevorzugte Science-Fiction-Literatur gegen einen dicken Austen-Schinken.

In der Folge spiegeln sich in den Austen-Romanen wie "Verstand und Gefühl", "Sinn und Sinnlichkeit" oder "Stolz und Vorurteil" die Schicksale der Leserinnen. Die Dramen unerfüllter Liebe drohen sich zu wiederholen...

Jane Austen bleibt populär - auch im Kino. Im Herbst erst erzählte uns die Biografie "Geliebte Jane" ("Becoming Jane") von den ersten Liebesjahren der Autorin. Doch liegt es am Geschlecht, dass man sich mit dem "Jane Austen Club" schwer tut? Oder hat es sich die erfolgreiche Autorin Robin Swicord ("Die Geisha", "Betty und ihre Schwestern") in ihrer ersten Regie zu einfach gemacht? Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Karen Joy Fowler kann sich nie von Look und Gefühl einer TV-Serie lösen. Zu klischeehaft wirken die Liebes- und Leid-Episoden der fünf Frauen, die literarischen Bezüge erscheinen platt und oberflächlich. Zu wenig Eigenes lässt sie im gepflegten Bilderreigen uninteressant wirken. Kein Vergleich zu anderen Duetten zwischen Literatur und Film, "The Hours" etwa. Vielleicht liegt ja gerade der Erfolg von Jane Austen darin, recht allgemeingültige Gefühlsverstrickungen geschildert zu haben. Aber der heutigen Autorin und Regisseurin obliegt es, auch in der x-ten Variante noch Interesse für diese Wirrungen und Irrungen, diese Kämpfe mit gesellschaftlichen Normen und Blicken zu wecken.

4.2.08

Der Krieg des Charlie Wilson


USA 2007 (Charlie Wilson's War) Regie: Mike Nichols mit Tom Hanks, Philip Seymour Hoffman, Julia Roberts 102 Min. FSK: ab 12
 
Oscar-Rambo
 
Zuerst muss gesagt werden, dass einen dieser Krieg nicht sonderlich zu interessieren braucht: "Der Krieg des Charlie Wilson" ist so eine uramerikanische Geschichte wie Highschool-Football oder Springbrake. Der 75-jährige Routinier Mike Nichols ("Mit den Waffen der Frauen", "Die Farben der Macht", "Wolf") legte eine zahnlose Heldenverehrung hin. Dass diese naive Politgeschichte Satire sein soll, kann man nur im Presseheft erfahren. In einer Reihe von durchaus kritischen Großproduktionen ("Syriana", "A good shepherd", "Lord of War") stellt diese Hochglanz-Lüge einen Rückschlag dar.
 
Charlie Wilson (Tom Hanks) ist Kongressabgeordneter und Lebemann. Sein Vorzimmer sieht aus wie eine Modell-Agentur, den Sitz im Ethik-Ausschuss sieht er als Witz an und sein politisches Engagement für Afghanistan erhebt sich ausgerechnet im Whirlpool mit ein paar Stripperinnen. Doch dann legt er - angestachelt durch die Verführungskünste der resoluten erzkonservativen Lobbyistin Joanne Herring (Julia Roberts) - richtig los und lässt den CIA-Etat für Afghanistan von 5 auf 500 Millionen wachsen! Alles nur, um Anfang der achtziger Jahre den afghanischen Mudschaheddin Waffen zu besorgen, mit denen sie sowjetische Hubschrauber und Flugzeuge abschießen können. Dabei hilft ihm kongenial der unkonventionelle CIA-Agent Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman). Letztendlich geht der Plan auf, die Sowjets ziehen nach vielen Kriegsjahren ab.
 
Dieser aufwändig und mit vielen Schauwerten produzierte Hollywood-Film, basierend auf der realen Geschichte des realen Charlie Wilson, macht im Prinzip nichts anderes als die Rambo-Filme: Politische Zusammenhänge dreist verkürzen und ziemlich vorteilhaft für die USA verdrehen. Zwar weiß der Kokser Wilson, wo Afghanistan liegt und selbst, wie die Nachbarländer heißen. Doch die Gutmenschen-Rührszenen in pakistanischen Flüchtlingslagern sind unerträglich verlogen: Wenn dem US-Politiker das Leid der Minenopfer - oft Kinder - so rührte, sollte er mit seiner Regierung einen Bann dieser Waffen vorantreiben und nicht noch mehr Munition in den brutalen Krieg einbringen.
 
Nur am Ende hängt Nichols eine bittere Note - oder ein Feigenblatt an: Nachdem Charlie Wilson seinen Krieg gewonnen, also fast ganz allein die Rote Armee besiegt hat, sieht er dank Nachhilfe von Gust Avrakotos ein, dass jetzt "der Frieden gewonnen" werden muss. Mit Schulen und Aufbauhilfe für Afghanistan. Das würde zwar nur ein Bruchteil der Millionen kosten, die in Waffen investiert wurde, aber trotzdem findet sich keine Mehrheit im Kongress. Weil der zu großen Teilen durch die Waffeindustrie finanziert wird? Dann doch lieber direkt den Rentner-Rambo schauen, der nächste Woche anläuft. Der ist ehrlicher verlogen.