29.4.06

Der Traum des Vaters

Heimkehr mit Film über die Fremde
  
Aachen. Der Aachener Regisseur Michael Chauvistré stellt am 2 .Mai im Apollo-Kino (20 Uhr) seinen neuen Dokumentarfilm "Der Traum des Vaters" zusammen mit seiner Frau und Ko-Regisseurin Miriam Pucitta persönlich vor.
 
Es ist eine Heimkehr im doppelten Sinne: Nach zwanzig Jahren in München und Berlin zieht Michael Chauvistré wieder nach Aachen. Und sein neuer Film läuft wieder bei den "Jungs", bei Hans-Peter Coenen und Walter Render, den Machern des legendären "Movie" und heutigen Betreibern von Apollo und Capitol. Mit dem Movie am Kaiserplatz hatte der junge Student aus dem Eifelstädtchen Simmerrath eine cinematographische Heimat direkt um die Ecke der Studentenbude. Jetzt bringt er Aachen ein eigenes Stückchen guten Film zurück und es ist nur konsequent, dass "Der Traum des Vaters" im Apollo, dem ehemaligen Atlantis, läuft.
 
Michael Chauvistré wurde 1960 als Sproß der Degraa-Familie Vonderbank geboren. Nach dem Studium
der Philosophie und Geschichte begann er 1986 ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München in der Spielfilmabteilung. 1988 gründete er die Produktionsfirma Happy Endings Film. "Der Traum des Vaters" ist der erste gemeinsame Film von Michael Chauvistré und seiner Frau Miriam Pucitta.
 
Er erzählt von einem ungewöhnlichen "Gastarbeiter": Rinaldo Talamonti ist heute ein bekanntes Gesicht aus über 70 Filmen, darunter "Liebesgrüße aus der Lederhose". "Mehr Quantität als Qualität" meint er selber. Der Italiener Rinaldo Talamonti kam in den 1960er Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern nach München. Der Traum von einem besseren Leben in Deutschland sollte nicht lange dauern. Schon nach drei Jahren musste die Familie nach Italien zurückkehren. Doch Rinaldo blieb. Gegen den Willen des Vaters. Mit Roswitha, seiner zukünftigen Frau, befreite er sich von den Zwängen der italienischen Familie und nutzte alle Möglichkeiten, um zu beweisen, dass er es weiter bringt als die anderen Gastarbeiter.
 
Dem Mix aus Interviews mit Erinnerungen, dichten Aussagen, Filmausschnitten und alten Fotos gelingt es mit Leichtigkeit, das Leben von vier Generationen anzureißen. Bemerkenswert, wie die Söhne immer den gescheiterten Traum des Vaters erfüllen und große Anerkennung erfahren.
 
Es hat fünf Jahre gedauert, seit Michael Chauvistré seinen letzten Film "Mit IKEA nach Moskau" realisierte. Ein Grund sind die beiden Kinder des Paares, "die auch etwas Zeit fordern", wie der Regisseur und Produzent lakonisch bemerkt. Um in Aachen weiter zu arbeiten, sind schon Verbindungen zur Zinnober Filmproduktion von Dieter Zeppenfeld geplant. Es wird also einen herzlichen Empfang geben, nicht nur bei der Vorführung im Apollo am 2.Mai. Wer nicht dabei sein kann, hat Gelegenheit, den "Traum des Vaters" als TV-Premiere am 11.Mai um 22 Uhr bei ARTE zu erleben.

28.4.06

Kino und Couch - Filme mit viel (Sigmund) Freud sehen

Zur Psychoanalyse in Kino
 
Sie sind Kinder der gleichen, wechselvollen Zeiten: 1895 kann als Geburtsjahr von Kino und auch von Psychoanalyse gesehen werden. Sigmund Freud veröffentlichte zusammen mit Josef Breuer die "Studien zur Hysterie". Die Brüder Lumière führten im Grand Café in Paris erstmals einen Film öffentlich vor. Und so verwundert nicht, dass Kino und Psychoanalyse im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Begegnungen und Anknüpfungspunkte aufweisen.
 
Zum 150. Geburtsjahr Freuds gibt es ARTE-Abende, Kinoreihen, Vorlesungen und Ausstellungen wie "Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud" in der Deutschen Kinemathek Berlin (September 2006 bis Januar 2007). Die Freud-Stadt Wien zeigt gleich 39 Filme zur "Seele und dem Versuch, dieser mit der Erzählsprache des Films habhaft zu werden". Psychoanalytiker aus Düsseldorf und Köln gehen "Mit Sigmund Freud ins Kino", sie stellen im Kölner Off-Broadway ihre Lieblingsfilme vor.
 
Psychoanalytiker, Psychopathen und Patienten
"Geheimnisse einer Seele", G. W. Pabsts Film beschäftigte sich schon 1926 mit dem Thema Psychoanalyse im Medium Film. Freud war im Gegensatz zu seinen Jüngern gar nicht davon begeistert. Doch das Kino analysierte fröhlich weiter. Eigentlich seltsam, dass so viele Couch-Szenen und -Filme bei der Komödie angesiedelt sind. Doch Ihr Analytiker kann Ihnen hier sicher was über die entkrampfende Wirkung des Lachens bei unangenehmen Situationen erzählen.
 
Erst kürzlich waren wir auf der Couch von Meryl Streep. Ihre jüdische Psychoanalytikerin Lisa Metzger musste sich als "Couchgeflüster" anhören, was die jüngere Patientin Rafi (Uma Thurman) mit Metzgers noch jüngeren Sohn anstellt - detaillierte Angaben zu Geschlechtsteilen inklusive! Eine herrliche Kombination, die zu umwerfend komischen Verwerfungen in Streeps Gesicht führen: Einerseits eine lockere, offene Psychoanalytikerin, andererseits eine sehr strenge und verklemmte jiddische Mame. Tiefenanalytische Hintergründe zur Q-Tip-Sucht vom Sohnemann werden es nicht in die psychoanalytische Fachliteratur schaffen, aber sie machen Spaß.
 
Ganz humorlos kam der Psychiater Dr. Sobel (Billy Crystal) in "Reine Nervensache" daher. Kein Wunder, wenn man den Mafiaboss Paul Vitti (Robert De Niro) analysieren muss (Originaltitel: "Analyse this!"). Wobei man sich das "muss" mit Pistole an der Schläfe vorstellen darf! Die mittlerweile schon fortgesetzte Erfolgskomödie schlägt reichlich Witz aus der kulturellen Kluft zwischen italienischem Mafioso-Macho und jüdischem Mittelklasse-Akademiker.
 
Weshalb die Psychoanalyse vor allem im amerikanischen Film ein meist jüdisches Erbe Freuds bleibt, ist sicher vielfach beantwortet worden, doch das entscheidende Wort von Woody Allen steht noch aus. Oder habe ich es in den genau 10.592 Erwähnungen des Themas in seinen Filmen überhört? Woody Allen ist auf ewig der beste Patient, den das Kino und die Psychoanalyse je hatten. Von seinen Sitzungen könnten sich ganze Psychotherapie-Kongresse ihre Couch neu beziehen lassen. Aber ob sie auch den hämischen Spott des "Stadtneurotikers" über die eigenen Neurosen mögen, ist eine andere Frage.
 
 
Der Film als Traum
"Psychoanalytiker haben mit den meisten Kinobesuchern etwas gemeinsam: sie suchen nach (Be-) Deutungen für das Gehörte, Gesehene, Erlebte. Die Technik der Psychoanalyse ist nicht auf die Behandlung von Patienten beschränkt, man kann sie - ohne ihrem Wesen Gewalt anzutun, wie Freud es seinerzeit formulierte, auch in anderen Bereichen zur Anwendung bringen, so zum Beispiel bei der Analyse eines Filmes", schrieb die Dipl. Psych. Uta Scheferling zu einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Psychoanalyse + Film".
 
Liegt es an dem gemeinsamen Alter, der gemeinsamen Epoche, der Kino und Psychoanalyse entstammen? Oder wollen Analytiker im Kino endlich mal richtig gute Geschichten erleben? Jedenfalls hat sich in der Filmanalyse neben biographischen, sozialkritischen oder semantischen Ansätzen auch der psychoanalytische etabliert. Man legt den Film auf die Couch, betrachtet den Traum oder das Unterbewusste und kommt zu richtig spannenden Ergebnissen. Auch in Bezug auf den "Träumenden", den wir hier der Einfachheit halber als Regisseur bezeichnen. (Dass Film in einem recht arbeitsteiligen Prozess hergestellt wird, steht auf einem anderen Blatt.) Obwohl man sicherlich nicht studiert haben muss, um zu erkennen, dass Hitchcock irgendwas Komisches mit Blondinen laufen hatte. Und wir sind schon alle viel zu sehr Freudianer, um beim sadistischen "Psycho" von "Marnie", den Quälereien von Sean Connery, nicht über das Verhältnis von Klein-Alfred zu seiner Mammi zu grübeln.
 
Ein gutes Beispiel ist vom Autor Manfred Riepe die "Intensivstation Sehnsucht. Blühende Geheimnisse im Kino Pedro Almodovars. Psychoanalytische Streifzüge am Rande des Nervenzusammenbruchs." (Bielefeld: transcript 2004, 260 Seiten, 25,80 Euro) Obwohl beim spanischen Meister die Familienkonstellationen äußerst lustvoll anti-patriarchal und klerikal aufgebrochen werden, das Ödipale Dreieck mit Hilfe von transsexuellen und schwulen Figuren zu einem Pentagramm der Multikulti-Sexualiät gerät, lässt er sich doch mit Freuden freudianisch analysieren. Väter fehlen dauernd, aber sie fehlen nicht wirklich, wie der Almodovar-Titel "Alles über meine Mutter" schon klar macht. "Umso erstaunlicher ist, dass der im Ödipuskomplex festgelegte Platz des Vaters und seine symbolische Funktion bei Almodovar keineswegs verschwunden sind", zitiert Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja in ihrer Buchrezension auf www.f-lm.de
 
Kino im Kopf
Film spielt oft mit dem Reiz, die Kinositzung mit der analytischen parallel verlaufen zu lassen: Sowohl in seinem sensationellen Erstling "Element of Crime" als auch in "Europa" hypnotisiert der Cannes-Sieger und Oscar-Gewinner Lars von Trier seinen Protagonisten, um daraufhin seine traumatischen Erinnerungen auf der Leinwand zu zeigen. Tom Cruise (und Eduardo Noriega im spanischen Original "Abre los ojos") verwirren mit einer faszinierenden Persönlichkeitsspaltung in "Open your eyes" (beide von Alejandro Amenábar und beide mit Ex-Cruise-Frau Penélope Cruz): Welche Ebene der Geschichte ist real, was ist Verdrängung? Flieht der nach einem Autounfall Entstellte in eine Traumwelt?
 
Mit einem Crash beginnt und endet auch die Verwirrung in "Stay". Ähnlich wie das dramatisch-romantische Ausradieren des Liebesgedächtnisses "Vergiß mein nicht" oder die traumhaft leichte Liebesgeschichte "The Science of Sleep" mit Gael Garcia Bernal (Start steht noch aus), eine ästhetisch wie erzählerisch brillante Reise in die Psyche oder ganz konkret in den Kopf bei "Being John Malkovich". Bei "Stay" muss sich Ewan McGregor als Psychiater in einem immer mehr verwirrenden London um ein selbstmordgefährdetes Unfallopfer kümmern. Bis die letzte Szene - vorsicht: Spoiler - alles im Kopf eines Verunglückten verortet, der sich am seidenen Faden eines Wortes am Leben hält: Stay - Bleib!
 
Lügen und Geheimnisse
Die Täuschung wird gerne kriminell, wenn das notwendige Vertrauensverhältnis um die Couch missbraucht wird: Der Psychoanalytiker Michel Durand nickt bei einer Sitzung mit der verführerische Kleptomanin Olga Kubler kurz ein. Als er aufwacht, liegt die Dame erwürgt da. Jean-Jaques Beineix ("Diva") spielte in dem erotischen Psycho-Thriller "Mortal Transfer" beißend-ironisch mit den Klischees von Psychoanalyse. Doch auch die Lüge - dreht sich nicht alles um sie? - kann zum Happy End führen: In dem stillen Meisterwerk "Intime Fremde" (Confidences trop intimes) von Patrice Leconte geht Sandrine Bonnaire statt zum Psychoanalytiker aus Versehen in das benachbarte Büro eines Steuerberaters (Fabrice Luchini). Der ist von seiner neuen Klientin so fasziniert, dass er die Verwechslung verschweigt, als er sie endlich begreift. Das wöchentliche Treffen mit der geheimnisvollen Anne führt zu intimen Geständnissen, die Farben werden heller, die Kleider leichter, so manch verklemmter Reißverschluss der Seele löst sich.
 
Wobei die wahren Traumbilder aus der Kamera anderer Meister kamen und dem großen Surrealen Luis Buñuel ("Der andalusische Hund") das Schlusswort gebührt: "Der Film ist das beste Mittel, um die Welt der Träume, Gefühle und Triebe auszudrücken. Es ist, als wäre er zum Ausdruck des Unbewussten erfunden worden, dessen Wurzeln tief in die Poesie hineinreichen."

26.4.06

Bambi 2 - Der Herr der Wälder


USA 2006 (Bambi and the Great Prince of the Forest) Regie: Brian Pimental, Jun Falkenstein 72 Min. FSK: o.A.
 
Die Probleme eines allein erziehenden Hirsches, die Pubertät eines Rehkitzes - das Comeback von "Bambi", der süßesten Farbflecken aller Zeiten auf der Leinwand erinnert mehr an einen pädagogischen Lehrfilm als an einen Zeichentrick-Klassiker. Frische Farben, aber verstaubte Moral. Ohne Mutter (sie starb am Tränenstrom in Teil 1) steht der kleine Bambi unter der Obhut seines Vaters. Der "Herr der Wälder" ist ein strenger, mit Ausschauhalten beschäftigter Vater und sucht deshalb eine Adoptivmutter für den Thronfolger. Bis dahin verbringt der Mini-Hirsch seine Tage mit den Freunden: Der Hase Klopfer, der genervt von seinen kleinen Schwestern ist, das ängstliche Stinktier Blume, Bambis Freundin und der angeberische Rüpel Ronald. Das Murmeltier grüßt auch mal kurz und singt ein Frühlingsliedchen.
 
Doch bei Disneys Tierleben mit alten Bekannten aus dem Wald will sich Bambi erst einmal vor dem übermächtigen Vater bestätigen, ihn stolz machen. Die Verdrängung von Trauer wird auch noch hinein gepackt und fertig ist das überladene, ansonsten sehr einfach gestrickte Filmpaket für Vorschulkinder.
 
Im Wechsel der Jahreszeiten gibt es bisweilen sehr dramatische Jagdszenen, in verfremdeten Farben der Abenddämmerung wirken die Bluthunde recht dämonisch, aber gefährlicher könnten die übersüßen Liedchen mit der Kariesgefahr fürs Hirn sein. Oder das sehr konservativ patriarchalische Vater-Sohn-Verhältnis, zu dem eine politische Filmkritik anmerken müsste, dass das Bild einer Herrscherelite nicht unbedingt demokratie-förderlich ist.

FC Venus


BRD 2006 (FC Venus) Regie: Ute Wieland mit Nora Tschirner, Christian Ulmen, Heinz Hoenig, Florian Lukas 99 Min. FSK: ab 6
 
Nur um es noch mal zu erwähnen: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist Weltmeister! Bei den Frauen. Und zwar ganz ohne diese kollektive Tatsachenverdrängung, die an Pfeifen im Walde erinnert, diese krampfhafte Mannschafts-Motivations-Mantra: Wir schaffen es, ganz bestimmt, vielleicht ... Dann kommt da allerdings ein Filmchen namens "FC Venus" daher, der sich die Hälfte der Zeit darüber amüsiert, wie dämlich die Damen doch fußballtechnisch sind. Zwar wird im Rest der Zeit der noch viel depperte Fußballwahn der Männer klamaukhaft abgefeiert, doch daran musste man sich ja im realen Leben mittlerweile gewöhnen.
 
Weil der Dorf-Verein "Eintracht imma 95" in Abstiegsnot seinen Fußballgott Paul Bruhn (Christian Ulmen) braucht, zieht dieser unter einem Vorwand mit seiner Frau Anna (Nora Tschirner) wieder aufs Land. Paul entpuppt sich schnell als Fußball-Verrückter, Anna staunt erst über diese Seite ihres Mannes. Nach einer Hochzeit auf dem Fußballplatz, komplett mit Priester auf Stollenschuhen, kommt es zu einer stark alkoholisierten Wette: Wenn die fußballfrustrierten Frauen die Männer auf dem Platz schlagen, ist ein für alle mal aus mit dem idiotischen Balla-Balla. Verkatert stellt man am nächsten Tag die Regeln auf. Sex mit einem der Männer qualifiziert für das Frauen-Team, der Quotenhomo bringt einen Mann und einige Schwulenwitze in die Damenriege.
 
Soweit, so originell. Allerdings machte Regisseurin Ute Wieland "das Ding nicht rein". Laue Scherzchen werden nur selten von guten Momenten wachgerüttelt. Die Figuren sind nett, aber nur Paul und Anna haben Raum für ihr Spiel. Und bei denen überzeugt nur Christian Ulmen - auch wenn er sich nicht nackig mit Sushi belegt darbietet. Aber auch das bessere TV-Lüftchen "FC Venus" versucht es wie die teueren Fußballer: Mit viel Werbung muss es einfach klappen. Man will ja auch ohne Talent, nur mit Glauben Weltmeister werden.

25.4.06

Das geheime Leben der Worte


Spanien 2005 (The Secret Life of Words) Regie: Isabel Coixet mit Sarah Polley, Tim Robbins, Sverre Anker Ousdal 115 Min. FSK: ab 6
 
Selten, zu selten schenkt uns das Kino solch ein emotionales Erdbeben: Still, leise anrührend und dann gewaltig erschütternd. Nach Isabel Coixets "Mein Leben ohne mich" spielt Sarah Polley auch in dem neuen Meisterwerk der Spanierin die Hauptrolle. Erinnerungen, Narben auf der Haut und der Seele, ein Film der tief unter die Haut geht.
 
Hanna (Sarah Polley) arbeitet seit vier Jahren mit äußerster Perfektion und einem Sterilitätsfimmel in der Fabrik. Das ist den Mitarbeitern derart suspekt, dass die stille, junge Frau in Urlaub geschickt wird. Eine Vorstellung, die bei ihr fast Panik auslöst. Zum Glück trifft sie im Restaurant jemanden, der eine Krankschwester sucht. Auf einer Bohrinsel vor der Küste gab es eine Explosion und Josef (Tim Robbins) liegt mit Verbrennungen sowie Verletzungen der Netzhaut transportunfähig im Bett.
 
Trotz der Schmerzen begegnet der Verletzte seiner Pflegerin mit viel Humor. Ob sie denn blond sei, will er mit einer originellen und charmanten Anzüglichkeit wissen. Hanna hingegen wechselt verlässlich Verbände und wäscht ihn, antwortet aber nicht auf persönliche Fragen des vorübergehend Erblindeten. Der kräftige Mann mit Tätowierungen und Ohrring geben ist selbst in dieser erbärmlichen Situation ein sehr komischer Typ.
 
Sein Heilungsprozess wird ein freundschaftlicher Handel um Informationen: Josef erzählt grandios Geschichten und Hanna gibt dafür minimale Brocken ihrer Geschichte preis. Die Situation entspannt sich. Schmerzhaft wiederum, weil ihm auch das Lachen weh tut. Zeit für Hanna, die anderen seltsamen Bewohner der Stahlplattform im Meer kennen zu lernen, den äußerst kreativen Koch, den melancholischen Meeresforscher. Eine Sammlung von Menschen, die alleine gelassen werden wollen. Und Zeit, in Josefs Kabine dessen Drama zu entdecken. Alte Nachrichten auf einem Handy erzählen von einer falschen Liebe...
 
Vom Vorspann, der die Namen in bedeutungsvolle Worte übergehen lässt, über die besonders guten Songs, literarische Verweise und die Poesie der Handkamera-Bilder ist "Das geheime Leben der Worte" ein dichtes, reiches Meisterwerk. Wobei allein das sagenhafte Schauspiel von Sarah Polley und Tim Robbins es sehenswert macht. Erst ein einfühlsamer, später ein wichtiger Film und dann noch ein großartiger Liebesfilm, der Hoffnung überleben lässt.
 
Doch das Bemerkenswerte am "Geheimen Leben der Worte" ist die schockierende Gewalt der Tragik, die im letzten Drittel losbricht. Bis dahin ein wunderbarer Film über zwei verletzte Menschen, die sich vorsichtig einander anvertrauen, wird es ein grausamer Aufschrei zu der Brutalität von Krieg und Soldatentum. Das Wissen um die Tiefe von Hannas Narben hebt die "Worte" vom berührenden Meisterwerk zur erschütternden Anklage unserer Zeiten.

Wu Ji - Die Reiter der Winde


Hongkong, China, USA 2005 (Wu ji / The Promise) Regie: Chen Kaige mit Jang Dong-Gun, Hiroyuki Sanada, Cecilia Cheung 103 Min.
 
Zwei gewaltige Heere stehen sich in einer tief eingeschnittenen Schlucht gegenüber. Der sagenhafte General Guanming (Hiroyuki Sanada) wartet in seiner roten Rüstung auf die schwarzen Horden, will aber die erste Angriffswelle mit Sklaven brechen, die ihr Leben lang nur auf allen Vieren herum krochen. Doch letztendlich entscheidet einer der Verachteten den Kampf: Nachdem er zum aufrechten Gang gezwungen wurde, rennt Kunlun (Jang Dong-Gun) schneller als der Wind und wird so Leib-Sklave des Generals...
 
Eine eindrucksvolle Massenszene in gewaltiger Landschaft. Vielleicht etwas zu dick aufgetragen in Farbe und digitalen Effekten. Ein sehenswerter Moment, wenn nicht ... die Keulen der Schwarzen deutlich sichtbar billig aus Plastik wären! Wie bei Asterix gegen die Chinesen aus dem Karnevals-Zubehör! So fabrizierte der einst respektable chinesische Regisseur Chen Kaige einen aufwändigen Super-Kitsch namens "Wu Ji - Die Reiter der Winde". Welch ein Unterschied zu dem still berührenden "König der Kinder" (1987), der gewaltigen Friedensfabel "Die Weissagung des Meisters" (1991), dem Drama "Lebewohl, meine Konkubine" (1993) oder selbst zum schon schwächeren Gangster-Geschichtchen "Temptress Moon" (1996). Mit dem staatstragenden "Assasin" brach die Reihe der inhaltlich und ästhetisch spannenden Werke ab. Das National-Epos sah nur noch gut aus und ärgerte ansonsten.
 
Schade, denn das kitschige Filmmärchen "Die Reiter der Winde" fing vielversprechend an: Das kleine Mädchen Qingcheng irrt in einer schaurigen Szene durch einen Wald voller Leichen. Nach dem kurzen Streit um ein Stück Brot mit einem frechen Jungen, verspricht eine über den Wassern schwebende Fee der unglücklichen Qingcheng Schönheit und Reichtum. Allerdings wird sie nie das Glück der Liebe finden dürfen...
 
Zwanzig Jahre später wird die schöne und begehrte Qingcheng aus den Klauen eines lüsternen König gerettet. Von Kunlun in der Uniform seines Meisters, des Generals Guanming. Der einfache aber ehrliche Sklave verliebt sich in die Prinzessin, ebenso der General. Zwischendurch führt ein Superheld aus dem Schneeland Kunlun zu dessen Ursprüngen und wahren Fähigkeiten, damit dieser geläutert um seine Prinzessin kämpfen kann.
 
Und es ist tatsächlich so trivial, wie es sich anhört. Der neue Chen Kaige bewegt sich in Richtung der Bollywood-Filme. Das fantastische Element vieler chinesischer (Action-) Filme verzaubert diesmal nicht, es wirkt plastikhaft und albern. Es gibt die bekannte und noch immer eindrucksvolle Kampfakrobatik, Massenszenen, die man sich wahrscheinlich nur in China oder im Computer leisten kann. Leider sieht dieses Film-Märchen digital künstlich und furchtbar kitschig aus. Fast wie japanischer Zeichentrick für Kinder. Solch eine fernöstliche "Schönheit" wird wohl im Westen ziemlich einsam bleiben.

17.4.06

Mord und Margaritas


USA 2005 (The Matador) Regie: Richard Shepard mit Pierce Brosnan, Greg Kinnear, Hope Davis 97 Min. FSK: ab 12
 
Für jeden, der nicht immer den gleichen Film sehen will, ist es ein Glückfall, dass Pierce Brosnan den Bond endlich los ist: Er hat mehr Zeit, alles zu zeigen und zu produzieren, was er wirklich kann. Etwa diesen herrlich herunter gekommenen Killer, der mit "Mord und Margaritas" das Leben eines braven Biedermanns aufmischt ...
 
Cool! Dieser Film und dieser Typ! Julian Noble (Pierce Brosnan), ein Reisender in Sachen Mord, erzählt gerne dreckige Witze, läuft in Shorts und Stiefel und sonst nix durch die Hotel-Lobby, um mit der Bierdose in der Hand im Pool zu versinken. Zwischendurch macht er schöne, immer jüngere Frauen an, steht aber an seinem Geburtstag ziemlich allein in Mexiko dar. Wenn man so dem Wrack seines eigenen Lebens begegnet, hilft auch der härteste Strip-Club nicht weiter. So schnappt sich Noble an der Hotelbar den gänzlich harmlosen, langweiligen Danny Wright (Greg Kinnear). "Du bist da exakte Gegenteil von mir, deshalb liebe ich dich so sehr", wird später eine seiner seltenen Einsichten sein. Beim einen Stierkampf gesteht Noble, wie er sein Geld verdient und gibt gleich eine Kostprobe seines mörderischen Könnens. Doch der ungehobelte Killer verscherzt es sich mit Grobheiten. Das letzte Mexiko-Bild zeigt ein supercooles Wrack, das wie ein kleiner Junge um Freundschaft bittet. Jahre später steht Noble bei Danny und dessen Frau Bean (Hope Davis) in Denver vor der Haustür, braucht Hilfe, weil er nach ein paar verpatzten Jobs seelisch zerrüttet ist und nun selbst auf der Abschussliste steht.
 
Beginnend mit einer langen Exposition, die ebensoviel Spaß macht wie fünf Bond-Filme zusammen, packt dieser reizvoll schräge Genre-Ableger. Ein wunderbar abgehalfterter Brosnan spielt mit seinem Rollenklischees: Lustvoll veralbert er den Geheimdienstler, setzt noch einen drauf auf seinen skrupellosen Geheimagenten aus dem "Schneider von Panama". Der Meister-Killer und die Margaritas erfreuen mit bulgakovscher Absurdität, wenn Noble sich die Fußnägel mit der Farbe seiner Nutte lackiert.
 
Die schwarze Buddy-Komödie variiert Hitchcocks "Strangers on the train" - mordest du meinen Vater, übernehm ich deine Frau - zieht die Geschichte aber ganz anders auf. Dabei ist der Mords-Spaß äußerst treffend besetzt, was sich sehr schön in einem Tänzchen des Killers mit der angesichts einer Pistole plötzlich sehr aufgeregten Hausfrau Bean zeigt. Den kompletten, interessanten Figuren haftet immer ein Zweifel an: Wer ist der Stier, wer Matador (so lautet der Originaltitel)? Dazu bietet "Mord und Margaritas" in jeder Szene Augenschmaus, ist cool gestylt, exzellent in Kamera und Farbdramaturgie.

16 Blocks


USA 2006 (16 Blocks) Regie: Richard Donner mit Bruce Willis, Mos Def, David Morse 102 Min. FSK: ab 12
 
Manchmal ist es unmöglich, nur ein paar Straßenzüge weiter zu kommen. Es geht hier nicht um den Autowahn, der die Innenstädte verstopft, es geht um die Zwangslage eines letzten aufrechten Polizisten, der einen wichtigen Zeugen vor seinen korrupten Kollegen schützen muss. Bruce Willis, der Star zynisch-lässiger Action, trifft bei dieser anständigen Genre-Routine auf Richard Donner, den Macher von "Lethal Weapon" und eine Naturgewalt in Sachen Action-Kino.
 
Der New Yorker Polizist Jack Mosley (Bruce Willis) hat längst Feierabend, auf der Uhr und mental. Er sitzt seinen Job nur noch am Schreibtisch aus, immer den Alk in Reichweite. Heute soll er einen Zeugen vom Polizeirevier 16 Häuserblocks weiter zum Gerichtsgebäude bringen. Zuerst scheint es, als sei die nervige Quasselstrippe Eddie Bunker (Rapper Mos Def) das einzige Problem bei diesem Job, doch als Mosley gerade was zu Trinken nachkauft, wird Eddie auf der Straße fast erschossen. Es beginnt eine atemlose Flucht, bei der sich bald herausstellt, dass die Killer selbst Polizisten sind. Ihr eiskalter Anführer ist Frank Nugent (David Morse) und der ehemalige Partner von Mosley geht über Leichen, um eine Aussage gegen seine korrupten Machenschaften zu verhindern.
 
Eine solide Inszenierung gelingt Donner mit dem nicht sehr originellen Stoff. Durch den dicht stehenden Straßenverkehr, rein und raus in die Wohnungen, rauf und runter in den Häuserblocks, quer durch Geschäfte im chinesischen Viertel gönnt sich die Verfolgung keine Atempause. Die Entführung eines Linienbusses kommt im Chaos des Individualverkehrs nicht weit. Neben dem guten Handwerk überzeugt auch die anständige Charakterzeichnung mit der Bruce Willis routiniert das Interesse des Action-Publikums gewinnt.

Die Bären sind los

USA 2005 (The Bad News Bears) Regie: Richard Linklater mit Billy Bob Thornton, Greg Kinnear, Marcia Gay Harden 113 Min. FSK: ab 6
 
Wenn der "Bad Santa" Billy Bob Thornton, dieser fluchende, saufende, rumhurende Weihnachtsmann in einem Kinder-Sport-Film auftaucht, lässt man die Kleinen am Besten zuhause. Doch diese Auftragsarbeit des ehemaligen Autorenfilmers Linklater ("Before Sunrise", "School of Rock") schafft es, im Remake eines Walter Matthau-Films (von 1975), routiniert die Balance zwischen harmlosem Kinder-Genre und frechem Erwachsenen-Witz zu wahren.
 
Nur wegen des Geldes übernimmt der ehemalige Profi-Baseballer Morris Buttermaker (Billy Bob Thornton) das Training einer Kindertruppe aus lauter Verlierern und neurotischen Typen. Da sein Interesse hauptsächlich dem alkoholischen Erfrischungsgetränk gilt, erleben die "Bears" eine deftige Niederlage. Doch dann packt ihn der Ehrgeiz angesichts des besonders unangenehmen gegnerischen Trainers Roy Bullocks (Greg Kinnear im Doppelstart mit "Mord und Margaritas"). Der Schädlingsbekämpfer Buttermaker nimmt seine Gurken-Truppe mit zur Arbeit, wo sie sich mit Unkrautvernichter besprühen und Rattengift verstreuen. Das moralische Anti-Vorbild rät einem Schützling, zuhause kräftig zu lügen, schmuggelt einen Liliputaner ins Team, äußert unentwegt nicht jugendfreie Bemerkungen und besorgt als Sponsor einen Stripclub.
 
Doch erst als Buttermaker seine bislang völlig vernachlässigte zwölfjährige Tochter Amanda überredet, ihr Talent als Werferin einzusetzen, gewinnt das Team mit klassischen Familienwerten. Die Auseinandersetzung, wer die Kinder mit aufgezwungenen Siegeswillen schlechter behandelt, wird im Finale aufgebrochen, selbst der Rollstuhlfahrer darf aufs Feld und es verbreitet sich ansteckende Spielfreude. Der Verzicht auf krampfhaften Ergeiz bringt einfach mehr Spaß bei der Feier des zweiten Platzes mit alkoholfreien Bier und den knapp bekleideten Frauen, die Buttermaker in letzter Zeit flachgelegt hat.

Scary Movie 4

USA 2006 (Scary Movie 4) Regie: David Zucker mit Anna Faris, Regina Hall, Simon Rex ca. 85 Min. FSK: ab 12
 
In Horror-Film gegangen, gelacht. Gar nicht ungewöhnlich, denn die Fans finden all den Schrecken nicht wirklich so schrecklich, wie man sich das von außen vorstellt. Spätestens wenn auch der letzte Zuschauer die Gruselmasche durchschaut, ist es Zeit für eine Parodie. Wenn diese wie bei "Scary Movie" allerdings schon in die vierte Runde geht, ist das dann wieder Horror?
 
Regisseur David Zucker ist so was wie die Mutter der Filmparodie. Mit "Airport!" (1980) und "Naked Gun" (1988) nahm er Bullen- und Katastrophenfilme treffsicher aufs Korn. "Scary Movie" veralberte anfangs den Horrorfilm mit den immer gleichen Gags in sorgfältiger Inszenierung. Jetzt ist es nur noch eine routinierte Nummernrevue, bei der Kritiker nur die vielen Scherze und paar wirklich guten Gags zählen können. Und die zitierten Filme erwähnen: Nebeneinander stehen die Häuser von amerikanischen "Krieg der Welten" und japanischen "The Grudge". Die Parodie des Familienvaters von Tom Cruise lässt vor allem seine Tochter irgendwo gegen rennen, vom Blitz treffen und vieles Lustiges mehr machen, während die außerirdischen TriPods - nicht von Apple! - die Menschheit auslöschen. Nebenan hat die Blonde aus dem Japan-Horror "The Grudge" mehr mit ihrer Doofheit als mit einem gespenstigen Kind zu kämpfen. Zwischendurch besucht man "The Village" und deckt dort den schaurigen Mummenschanz auf, während das Maskengesicht aus "Saw" sein Unwesen treibt und seine Opfer zwingt, sich den Fuß abzusägen. Bei "Scary Movie 4" wird es sicher nicht schrecklich und noch sicherer der falsche Fuß sein.
 
Die breite Varianz von Humor serviert reichlich Fäkales, Slapstick, treffende Punchlines und zahllose amüsante Zitate für die eifrigen Kinogänger. Die sind allerdings so dick aufgetragen, dass man sie schon mit der Kenntnis der Trailer erkennt. Also der übliche Serien-Ulk, diesmal mit einer Trefferquote von 57 Prozent.

16.4.06

The Big White

USA 2005 (The Big White) Regie: Mark Mylod mit Robin Williams, Holly Hunter, Giovanni Ribisi, Alison Lohman, Woody Harrelson, Tim Blake Nelson 100 Min.
 
Robin Williams zeigt sich inmitten endloser Schneemassen sowie eines eindrucksvollen Casts bei "The Big White" als einfühlsamer Komödiant und es ist eine helle Freude, ihn mal wieder so zu erleben.
 
"The Big White" beginnt und bleibt schräg, nicht nur im Kamerawinkel: Holly Hunter, mit Pyjama und Pantoffeln bekleidet, schlurft durch eine große, schneebedeckte Weite. Wie beim Zielsprint springt sie über eine imaginäre Gemeindegrenze bevor sie der Orts-Polizist wieder einfängt. Die verwirrte Margaret Barnell wird von ihrem Mann Paul (Robin Williams) liebevoll gepflegt. Obwohl dem braven Reisebürochef die Schulden und Sorgen über den Kopf wachsen. Eines Tages präsentiert ein Müllcontainer die Lösung und die tragikomische Wende im kleinen, verzweifelten Leben von Barnell. Zwei besonders dämliche Gangster lagern dort eine Leiche zwischen, die sie im Dienste der Mafia vom Leben zum Eisklotz befördert haben. Barnell findet diesen, ist erst entsetzt und fängt dann an zu kombinieren. Es fehlt ihm nämlich eine Leiche zum - wenigstens finanziellen - Glück. Vor Jahren verschwand sein Bruder Raymond und die herzlose Versicherungsgesellschaft will dessen höchst wahrscheinlichen Tod nicht akzeptieren, sprich: nicht mit der riesigen Versicherungssumme rausrücken. Nun lagert der liebende Bruder den Ersatzmann für das Bruderherz in der Tiefkühltruhe ein, inszeniert ein paar rührende Begrüßungsmomente vor Fast-Zeugen und bereitet die Leiche besonders appetitlich zu, damit sie am nächsten Tag von Bären und Wölfen angenagt, aber aufgrund geschickt platzierter Details immer noch als die seines Bruders erkennbar gefunden wird.
 
So weit, so rührend naiv. Man weiß ja spätestens seit "Fargo", wie es endet, wenn brave Bürger mal ein wenig kriminell sein wollen. Die Mafia vermisst einen Arbeitsnachweis ihrer Killer, ein besonders scharfer Versicherungsagent (Giovanni Ribisi macht in Slapstick) traut dem Frostbrand-Braten nicht und zur Krönung taucht auch noch der verlorene Bruder Raymond (Woody Harrelson) auf - leibhaftig sowie gefährlicher und durchgeknallter als je zuvor. Kein Kain und Abel war bislang so mörderisch komisch.
 
Das mag jetzt rassistisch gegenüber allen Nordlichtern sein, aber allein durch die dicken Daunenjacken mit den kleinen, verzweifelten Menschlein drin ist "The Big White" einfach komisch. Dazu tut die Kamera ein Übriges, nimmt mal die Perspektive eine wahnsinnigen Pinschers ein, mal die gewagte Innenansicht eines Müllcontainers. Und selbst eine angefressene Leiche macht noch witzige Grimassen. Eine gelungene schwarze Krimi-Komödie einerseits. Die übliche Variante von "Fargo" und Co trotzdem nicht, dazu bringen vor allem die Frauen zuviel Herz hinein. Ein Glanzlicht ist Holly Hunter: Wenn Margaret ihrem Tourette-Syndrom voll die Zügel gibt, herzerfrischend flucht, weiß man nicht, ob man lachen oder leiden soll. Nur anrührend dagegen, wie Paul damit umgeht, auch wenn er daran selbst fast zugrunde geht. Dazwischen gibt es noch eine verrückte Geiselnahme, Situationskomik mit Rentieren, viele originelle Bildideen und -perspektiven bei dieser in vieler Hinsicht positiven Überraschung abseits von den starren Formeln des Mainstreams.

12.4.06

Running Scared


USA 2006 (Running Scared) Regie: Wayne Kramer mit Paul Walker, Cameron Bright, Vera Farmiga 122 Min. FSK: ab 16
 
Gewalt verseucht Gesellschaften und in diesen auch das Kino. Meist bedenkenlos eingesetzt als billiger Thrill, aber in ganz seltenen Fällen wie diesem auch eine ebenso interessante wie höchst spannende Reflektion auf Waffengewalt.
 
Diese Augen! Ein wenig gespenstig und beunruhigend sah man Cameron Bright in "Birth" als Jungen, der glaubte, die Wiedergeburt von Nicole Kidmans Mann zu sein. Und als jähzorniges Ergebnis eines Genexperiments in "Godsend". Aber noch nie wurden diese Augen so eindrucksvoll eingesetzt wie in dem atemberaubenden Thriller "Running Scared".
 
Der kleine Gangster Joey Gazelle ("Fast and Furious" Paul Walker) entsorgt Waffen für die Mafia. Allerdings landen sie nicht im Fluss, sondern in seinem Keller. Dort schnappt sich Oleg (Cameron Bright), der zehnjährige Freund von Joey Sohn, ein besonders glänzendes Exemplar und schießt nebenan auf seinen Stiefvater, der ihn immer wieder brutal zusammenschlägt. Da die Waffe vorher bei einem Polizistenmord benutzt wurde, beginnt eine fieberhafte Suche nach Oleg, der mit ihr weglief. Joey versucht, den Jungen zu retten, aber neben der psychotischen Russenmafia ist auch ein besonders korrupter Bulle (Chazz Palminteri) mit eiskaltem Grinsen hinter der Sache her.
 
Der Stil, mit dem Wayne Kramer seine zweite Regie nach "The Cooler" inszeniert, schlägt ein wie eine Kugel - um im Bild zu bleiben. "Running Scared" ist ein aufregender, ungemein spannender und erschreckender Horrortrip in die Gewalt, der ohne den Zynismus von Tarantino & Co bleibt, weil die Gewalt aus der Perspektive des Jungen Oleg gesehen wird. Er irrt zwischen Zuhältern, Waffenhändlern, Drogendealern und Päderasten herum, während sich die atemlose Handlung um ihn überschlägt.
 
Immer wieder springt die Szene kurz zurück, um die rasenden Abfolgen aus neuer Perspektive und mit raffinierten Kamerafahrten auszuleuchten. Farbverfremdungen distanzieren die Gewalt, die trotzdem schwer erträglich bleibt. Ansonsten ist das Bild wie die Welt dunkel und dreckig. "Running Scared" zeigt einen Albtraum, aber keinen für irgendeinen billigen Thrill aufgesetzten. Besonders erschreckend ist der Gedanke, dass dies alles durchaus eine komprimierte Version des Horrors ist, den Kinder heutzutage erleben können. Dabei verbirgt sich das Furchtbarste, ein widerwärtiger Missbrauch, hinter der Fassade braver Bürger, nicht hinter all den markanten Verbrecher-Fratzen.
 
Den Kreislauf der Gewalt, der durch eine Waffe ausgelöst wird, hat Wayne Kramer schlüssig und rasant inszeniert. Immer wieder fesseln einzelne Szenen und Figuren. Etwa der beängstigende Psychopath (Karel Roden), den Oleg anschießt. Ein "Duke"-Verehrer mit einem großen John Wayne-Tattoo auf dem Rücken. Oder der absurd gefährliche Zuhälter in seinem weißen, bestickten Elvis-Anzug. Paul Weller wirkt als Schurke mit gutem Kern eindringlicher als in seinen früheren Varianten der Rolle. Es bleibt das Dilemma, dass die Situation von den "Guten" auch nur mit Gewalt gelöst werden kann ...

Final Destination 3


USA 2005 (Final Destination 3) Regie: James Wong mit Mary Elizabeth Winstead, Ryan Merriman, Kris Lemche 93 Min. FSK: ab 18
 
Wie wäre es mit Dreharbeiten, bei denen eine Explosion alle Beteiligten dahinrafft? Produzenten und Autoren bitte nicht vergessen! Ein paar Schauspieler überleben, doch die holt sich der Tod in den nächsten Tagen. Klingt zynisch, aber wenn man dauernd Filme mit genau dieser Art von "Grusel" sehen muss, wünscht man den Verantwortlichen einiges an den Hals. Bislang gibt es diesen Fall allerdings noch nicht, wird jedoch bestimmt Teil 7 oder 8 der einträchtigen Kino-Häkselmaschine namens "Final Destination".
 
Auf einem Jahrmarkt mit reihenweise Geisterbahnen und Gruselgesichtern hat die Schülerin Wendy Christenson Horrorvisionen beim Betreten einer extrem hohen Achterbahn, die gleich an mehreren Stelle defekt ist und auseinanderfliegt wie ein schlechtes Spielzeug-Model. Wendy steigt schreiend aus und der Rest stirbt in dem dann tatsächlich eintreffenden Unglück. Nur ein paar Bekannte springen dem Tod ebenfalls von der Schippe, doch der holt sie sich einer nach dem anderen. Wendy hat zufällig vorher von allen Beteiligten Fotos gemacht und kann sehen, wer wie noch sterben muss.
 
Für ein paar lahme Schrecken muss man sich fast zwei Stunden dem Gesellschaft von hirnamputierten Teenager aussetzen. (Nicht das Publikum, das Figurenensemble aus Spannern, Zotenreißern, Halb- und Vollidioten ist hier gemeint.) Schrecklicher als der Horror sind eigentlich die Teenager-Leben mit haufenweise hohlen Existenzen und ein paar düsteren, melancholischen Ausnahmen. Recht verständlich, dass jeder einigermaßen sensible Mensch in dieser Umgebung düster und melancholisch werden muss.
 
Die erfolgreiche Masche von "Final Destination" schlug erstmals mit einem Flugzeugabsturz ein. Die Besonderheit dabei ist der sadistische "Spaß", die Opfer detailliert und ausführlich hinzurichten. Schon das erste Unglück lässt die Fahrgäste jetzt wieder sehr drastisch dargestellt abstürzen und zerstückeln. Früher schrieb man raffinierte Drehbücher, heute wird ein viel größerer Aufwand getrieben, um besonders sadistische Todesfälle zu inszenieren!

Big Mamas Haus 2


USA, 2006 (Big Momma's House 2) Regie: John Whitesell mit Martin Lawrence, Nia Long, Emily Procter, Mark Moses, Zachary Levi 99 Min. FSK: o.A.
 
Diese Komödie trägt dick auf! Eine mehrere Zentimeter dicke Latex-Schicht auf dem körperlich wie humoristisch schmächtigen Komiker Martin Lawrence reichte als "schrecklich" witziger Einfall für den Erfolg von "Big Mamas Haus". Jetzt ist der Zweit-Aufguss nicht so schlimm wie erwartet. Allerdings befürchtete man bei Riesen-Postern mit Lawrence unter einer Riesenschicht afro-amerikanischem Latex auch das Allerschlimmste...
 
Der FBI-Agent Malcolm (Martin Lawrence) versagt selbst als Werbefigur im Geierkostüm ziemlich albern. Als wieder ein Schurke "undercover" beobachtet werden soll, drängelt sich Malcolm im bewährten schwergewichtigen Kostüm einer lauten Klischee-Afro
-Amerikanerin in den Job. Er/sie macht auf "Mrs. Doughtfire" (hier ist übrigens Teil 2 in Planung), gibt das überforderte Hausmädchen für die Familie des Hauptverdächtigen.
 
An den drei Kindern und am neurotischen, kleinen Pinscher, der nach einem traumatischen Ereignis nur noch TV-Soaps kuckt, werden familienfreundliche Seiten der Scherzfigur "Big Mama" herausgekehrt. Malcolm beweist erzieherischen Qualitäten, während seine schwangere Frau zuhause eifersüchtig wird. Aber das ist schon zuviel der Psychologie, daran hat das Drehbuch bestimmt nicht gedacht. Gemäßigt zotig, dafür mit mehr Charakter nervt diese Übermutter weniger. Besser wurde der schlampig konstruierte Filme trotzdem nicht, denn auch der "ernsthafte Kriminalfall" ist nur dummer Kinderkram.

Rent


USA 2005 (Rent) Regie: Chris Columbus mit Rosario Dawson, Taye Diggs, Wilson Jermaine Heredia 134 Min. FSK: ab 6
 
Ein schwungvolles Musical über Obdachlosigkeit und AIDS von "Kevin - Allein zu Haus"-Regisseur Chris Columbus! Hört sich nach Mutter Theresa an, die einen Cancan steppt. Und es kommt noch schlimmer bei dieser unnötigen Boheme-Verwurstung ...
 
Weihnachten im East Village von New York. Hier brennen nicht alle Lichter, weil der Vermieter den Strom abgestellt hat. So geht es auf die Straße, wo "Fame" dunkel und dramatisch abläuft: Zwei Freunde, der verliebte Filmemacher Mark und der Junkie Roger, treffen ihren ehemaligen Mitbewohner Ben, der jetzt für seinen Schwiegervater den Rausschmeißer der Mietschuldner macht. Er träumt von einem hypermodernen Filmstudio, das an Stelle der Wohnungen entstehen soll. Lieblingsgegnerin der Immobilienhaie - siehe Fassbinders "Die Stadt, der Müll und der Tod" - ist Marks ehemalige Geliebte Maureen, die gerade eine Performance-Show vorbereitet.
 
Wie in einer Fernsehshow knubbeln sich die Schicksale dieser verarmten "Friends": Die ewig untreue Maureen ist jetzt mit einer Frau zusammen. Roger verliebt sich in die Stripp-Tänzerin Mimi und beide sind HIV-positiv - wie die Hälfte der Figuren. Den Moment, in dem die frisch Verliebten erkennen, dass beide AIDS haben, begleitet eine Schnulze auf rührendem Kuschelrock. Schon als in den schönen, kalten Lofts "They call me Mimi" gesungen wurde, erinnerten die modernen Bohemiens endgültig an Puccinis "La Boheme".
 
Diesem Künstlerelend, das alle paar Spielzeiten unverändert wieder auf die Opernbühne kommt, wünschte man immer eine Modernisierung - jetzt verflucht man sie. Ein AIDS-, Armuts- und Obdachlosen-Musical könnte man sich vielleicht als Trash, als schlechten Witz vorstellen. Doch als ernsthafter Broadway-Schlager ist es ebenso unglaublich wie unerträglich. Selbst einem hemmungslosen Fan von Film-Musicals, der sich über Bollywood-Kitsch, Busby Berkeley-Rosetten und Jacques Demys singende "Regenschirme von Cherbourg" begeistert, kommt dies falsch aufgesetzt vor. Dazu ist das Ganze auch als Rockoper angelegt, also musikalisch eher flach und laut. Wenn im Restaurant mit wehendem "Hair" zum Song "La vie Boheme" über Tische getanzt wird, denkt man wehmütig an Kaurismäkis kongenial reduziertes Schwarz-Weiß-Meisterwerk unter dem gleichen Titel.
 
Doch man hat ja gerade Mel Brooks "The Producers" gesehen und weiß, dass am Broadway selbst der größte Mist zum größten Erfolg werden kann. Und immerhin gab es schon mal Rollschuhläufer, die singend meinten, ein Zug zu sein. Oder wie war das mit den albernen Katzen-Kostümen, die einem die Ohren voll jaulten?
 
Jedenfalls war das Musical "Rent" von Jonathan Larson tatsächlich ein großer Erfolg am Broadway, wo die Quadratmeter-Preise wohl Top Ten der Weltrangliste sind. Dieser singende Zynismus wurde noch einmal weichgespült und mit dem kompletten Ensemble der Broadway-Aufführung (plus Rosario Dawson und Tracie Thoms) verfilmt. Dabei sehen alle nicht mehr ganz jung und suchend aus. Die Broadway-Premiere ist immerhin schon vor zehn Jahren gelaufen. Aber in der Oper interessiert es ja auch keinen, wenn schwergewichtige Vielverdiener hungernde Künstler verkörpern.

11.4.06

Handbuch der Liebe


Italien 2005 (Manuale d'amore) Regie: Giovanni Veronesi mit Carlo Verdone, Silvio Muccino, Luciana Littizzetto 116 Min. FSK: o.A.
 
Italienische Liebe und Leidenschaft sollten doch so romantisch sein. Denkste: Ziemlich frustrierend folgen in vier Episoden Verliebtheit, Krise, Betrug und Verlassen im "Handbuch der Liebe" aufeinander. Ein verliebter Idiot nervt seinen Schwarm, ein gelangweiltes Paar jammert rum, eine wütende Politesse rächt sich mit Strafzetteln und ein einsamer Senior findet neues Glück. Das sind Helden, die einen kaum interessieren. Der klägliche Reigen läuft simpel ab wie ein TV-Filmchen, das Personal passt dazu. Man sollte hier jede Hoffnung fahren lassen, weil man nie bekommt, was man erwartet!

Reine Formsache


BRD 2006 (Reine Formsache) Regie: Ralf Huettner mit Marc Hosemann, Christiane Paul, Bastian Pastewka, Floriane Daniel, Oliver Korittke 96 Min. FSK: ab 6
 
Weshalb ist eine Hochzeit für die zwei besonders Beteiligten "der schönste Tag im Leben"? Wissen alle, dass es von nun ab bergab geht mit den schönen Tagen? Ein ebenso sinniger wie gemeiner Gedanke. In diesem Sinne sollte man all denen, die ihre Hochzeit hupend in der Innenstadt verkünden, auch zur Scheidung einen lautstark störenden Besuch abstatten. Felix und Pola begehen diesen besonderen Tag jedoch in aller Stille, was auch daran liegt, dass Felix die Scheidung nicht will.
 
Felix (niedlich: Marc Hosemann) ist ein so lockerer, unkonventioneller Typ, dass er trotzdem fast froh zur amtlichen Trennung nach Berlin eingeflogen kommt. Ein großer, naiver Junge, ein Charmeur, dem haufenweis Frauen zufliegen. Pola (Christiane Paul) hingegen ist von ihm genervt, bitter und humorlos. Aber das Schicksal streckt - gar nicht zimperlich - den Scheidung-Beamten mit einer Herzgeschichte nieder. Die Formsache ist erst einmal verschoben und Felix nutzt die Zeit, um als Kellner und Kollege Pola zu beweisen, dass auch er "richtig arbeiten" kann. Denn bislang lebte der Spieler von seinem unglaublichen Glück, setzte nur einmal im Monat 5000 auf Rot - am Neunten, dem Tag ihrer ersten Begegnung!
 
Zum Glück hat der Sunny-Boy auch tragische Qualitäten, so verklemmt und bricht er seinen Finger ausgerechnet im Kondomautomaten. Dass dieser dabei von der Wand gerissene Familien-Vorrat auf dem Rücksitz seines Sportwagens rumliegt, beruhigt Pola nicht gerade, die ihm einen Seitensprung nicht verzeihen kann. Während rundherum die befreundeten Paare alle fürchterlich chaotisch leiden, kämpft Felix um seine eigene Frau ...
 
Dass er dabei reichlich tollpatschig zu Werke geht, stört die paar romantischen und die noch selteneren poetischen Moment dieser "Formsache" nicht. Aber es verstärkt den Eindruck des Unausgewogenen. Die Dialoge landen häufig einen Treffer, werden aber oft zu hölzern gebracht und schwach inszeniert. Das Bild bleibt gelackt ohne Witz, melancholische Melodien tragen zu dick auf, aber passende Songs helfen dem Gefühl kräftig nach. Bastian Pastewka kann als befreundeter Familienvater nicht richtig frustriert kucken. Selbst die verehrte Christian Paul macht hier kaum Eindruck. Was Schauspielen wirklich bedeutet, zeigt Michael Gwisdek als Felix' dementer Vater in ein paar kurzen, unglaublich eindringlichen Momenten.
 
Doch gerade dieses Genre der Romantischen Komödie hängt ganz vom individuellen Grad des romantischen Pegels ab. Die gefühlte Qualität des Films kann sich bei entsprechender Seelenverfassung enorm erhöhen, auch wenn die "Formsache" ein Kandidat für das große TV-Gefühl mit Schokolade, Chips oder Eis bleibt.

5.4.06

Brudermord


BRD, Luxemburg, Frankreich 2005 (Fratricide) Regie: Yilmaz Arslan mit Xewat Geçtan, Erdal Celik, Bülent Büyükasik, Nurettin Celik, Taies Farzan, Oral Uyan, Xhiljona Ndoja 95 Min. FSK: ab 12 OmU
 
Wie sich der Krieg der Türkei gegen die kurdischen Mitbürger auch in Deutschland fortsetzt, zeigt der ebenso gewaltige wie erschütternde "Brudermord" an der tragischen Geschichte eines Flüchtlingskindes: Der kleine Kurde Ibo kommt verängstigt in einem deutschen Flüchtlingsheim an und wird vom älteren Azad in Schutz genommen. Die kurdischen Flüchtlinge vertrauen eher auf ihre Selbstorganisation als auf die deutschen Sozialarbeiter, so wird Azad schnell der große Bruder Ibos. Das Drama beginnt als beide von zwei Türken mit ihrem Pitbull attackiert werden. Eine Spirale der Gewalt ist unter den schwierigen Lebensbedingungen der Flüchtling nicht mehr zu stoppen. Hoffnungsvolle Versuche, archaische Racherituale zu durchbrechen, enden in einem grausamen Blutbad.
 
Vor dem Hintergrund der ethnischen Verfolgung in Kurdistan inszenierte Yilmaz Arslan ("Yara") ein schwer erträgliches aber unbedingt sehenswertes Stück Kino, dass erschütternde Realitäten nicht für süßliche Happy Ends verkauft.

Mord im Pfarrhaus

Mord im Pfarrhaus
 
Großbritannien 2006 (Keeping Mum) Regie: Niall Johnson mit Rowan Atkinson, Kristin Scott Thomas, Maggie Smith 103 Min. FSK: ab 6
 
Rowan Atkinson und Patrick Swayze, endlich sind diese Traummänner der Leinwand in einem Film vereint! Doch Scherzkekse beiseite, "Mord im Pfarrhaus" ist ein gänzlich unpatriarchaler Frauenfilm mit bemerkenswerter Besetzung und eher dunkelgrauem als schwarzem Humor.
 
Ein langweiliger, humorloser Priester, eine frustrierte Ehefrau, die nymphomane Tochter und der Sohn, der regelmäßig von den Grobianen seiner Klasse schikaniert wird. Das Familienleben der Goodfellows im britischen Kaff Little Wallop braucht dringend eine Nanny! Diese Haushaltshilfe kommt in Form der alten, charmanten, freundlichen und wohlerzogenen Grace (Maggie Smith). Die beseitigt zuerst nächtens den nervigen Kläffer von nebenan. Große Erleichterung auch im Publikum, obwohl das suchende Herrchen einem auch Leid tut. Nach einigen weiteren kleinen Veränderung ist in Little Wallop plötzlich alles gut: Der Hund macht keinen Mucks mehr, die Bullies des Sohns liegen im Krankenhaus, die nymphomanische Tochter fängt an zu kochen. Dazu taucht der Golflehrer Lance (Patrick Swayze) nicht mehr beim Schäferstündchen mit Mutti Gloria Goodfellow (Kristin Scott Thomas) auf und der langweilige Pfarrer wird zum Scherzkeks. Nur birgt der Teich im Garten nun einige Geheimnisse und auch die Familie bekommt Zuwachs...
 
Seinen Charme gewinnt die leicht schwarz-humorige Komödie "Mord im Pfarrhaus" aus der originellen aber guten Besetzung. Vor allem Kristin Scott Thomas als anfangs frustrierte und später sehr verwirrte Hausfrau sowie Maggie Smith als äußerst liebenswerte Mörderin halten die Familie zusammen. Ein richtig schön ekliger Patrick Swayze bekommt im String-Tanga die lautesten Lacher ab und Rowan Atkinson hält sich als Priester zwischen Charakter- und Comicfigur überraschend zurück.

Good Night and Good Luck


USA 2005 (Good Night and Good Luck) Regie: George Clooney mit David Strathairn, Robert Downey Jr., George Clooney 93 Min.
 
Nach dem Ölpolitik-Thriller "Syriana" und seinem Regiedebüt "Geständnisse - Confessions of a Dangerous Mind"  (2002) zeigt sich George Clooney in seiner zweiten Regiearbeit  erneut als engagierter Star mit Verstand, der in seiner stringent gestylten Anklage einer Politik der Angst keine Konzessionen an das Mainstream-Kino macht.
 
Hintergrund der faszinierend nüchtern inszenierten Medien-Geschichte ist die Terror-Herrschaft des US-Senators McCarthy. Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts trieb er mit seinem Senatsausschuss ("HUAC") tausende Amerikaner in die Verzweiflung und viele in den Selbstmord. Allein mit der Verdächtigung, "Kommunist" zu sein, brachte der Senator die ganze Gesellschaft in einen Zustand aus Angst, Misstrauen und Verrat. Vor allem Liberale und Kreative aus der Medienwelt waren Zielscheibe des hässlichen Inquisitors, der Begriffe wie "Hexenjagd", Kommunistenhatz und "Hollywood Ten" geprägt hat. Letztere waren zehn prominente Schauspieler und Regisseure, die sich weigerten die übliche Denunziation von Freunden und Kollegen mitzumachen. (Dabei vertrieb McCarthy auch Bertold Brecht aus den USA.)
 
George Clooney setzt mit seinen Film im Jahr 1953, am der Ende der "Karriere" von McCarthy ein. Ein Ensemble aus Fernsehmitarbeitern ist sein Star. Die Redaktion der CBS-Sendung "See it Now" ergreift angesichts der besonders perfiden Verfolgung eines Soldaten die Initiative und legt sich mit McCarthy an. Ein Army-Leutnant wird entlassen, weil sein Vater eine serbische (= kommunistische) Zeitung abonnierte und seine Schwester bei einer Demo dabei war! Dabei arbeitet der Schwarz-Weiß-Film nicht mit dramatischen Verfolgungen oder Ähnlichem. Sein Kunststück ist es die Atmosphäre der Angst zu vermitteln, die unterschiedlichen Grade von Bedrohung, die in der Redaktion befürchtet werden und die fast alberne Farblehre der Kommunistenhatz.
 
Fernsehmoderator Edward R. Murrow (David Strathairn) und sein Produzent Fred Friendly (George Clooney) stellen sich der Situation mit einer wissenden Nonchalance, Ironie, sarkastische Bemerkungen und messerscharfer Witz bestimmt die Dialoge, doch wenn die entscheidende Sendung live ausgestrahlt wird, wenn Friendly die typische Zigarette Murrows anzündet ist die Anspannung greifbar. Nicht ohne Grund, denn ein sympathisierender Nachrichtensprecher wird durch eine Medienkampagne in den Tod gehetzt.
 
Die CBS-Sendung, die Mitarbeiter und der geschilderte Fall sind authentisch. Clooney zeichnet ein historisch exaktes Bild und würdigt damit Medienmacher, die es so heute nicht mehr gibt. "Good Night and Good Luck" - so der vieldeutige Schlusssatz Murrows - ist auch eine Hommage an Clooneys Vater, der als TV-Journalist engagiert für amerikanische Grundrechte kämpfte. Darin ist der durch seine Bildbrillanz und die dichte Inszenierung packende Film so ungemein aktuell. Er erschüttert nicht nur als Anklage gegen den universalen Verfall der Medienkultur, wo von Berlusconis Italien über Deutschland und die USA Unterhaltung herrscht und politische Bildung - wie sie dieser Film darstellt - als Quotengift gilt. Auch der Zustand der Angst, der Verlust der Meinungsfreiheit wiederholt sich heute. Allein lautet Schlüsselwort zur Angst-Herrschaft diesmal nicht "Kommunismus" sondern "Terrorismus".
 

4.4.06

Ice Age 2


USA 2006 (Ice Age: The Meltdown) Regie: Carlos Saldanha mit den Stimmen von Ray Romano/Arne Elsholtz (Manny), John Leguizamo/Otto Waalkes (Sid), Denis Leary/Thomas Fritsch (Diego), Queen Latifah (Ellie) 90 Min. FSK: o.A.
 
So macht die Klimakatastrophe Spaß! Die Trickfilm-Kumpels aus dem Lacherfolg "Ice Age" müssen diesmal der Sintflut entkommen, wobei vor allem der quirlige Nager Scat in seinem ewigen Kampf mit der Eichel so machen Gletscher zum Einsturz bringt. Die Freude auf die Fortsetzung erfährt dagegen keinen Abbruch...
 
Aufregung im Gletscher-Badeparadies: Das nett nervige Faultier Sid hat ein Kinder-Camp aufgemacht und muss nun allen möglichen Terror der Kleinen über sich ergehen lassen. Die Kumpels, Mammut Manny und Säbelzahntiger Diego, können nur mit dem Kopf schütteln, bis sie dem Eiszeit-Nachwuchs eine Geschichte erzählen und die gnadenlosen Kommentare der Kinder-Kritiker erleiden. Alles klar im Eiszeit-Tal, bis man zufällig entdeckt, dass die umgebenden Eiswände nur noch so gerade riesige Mengen von Schmelzwasser fernhalten können. Die Tiere machen sich auf eine Wanderung ans ferne Ende des Tals, wo ein rettendes Schiff warten soll.
 
Manny, Diego und Quasselstrippe Sid bilden mittlerweile eine eingeschworene Gemeinschaft, doch Reibungen gibt es mit neuen Weggefährten. Drei Opossums nerven die Truppe, wobei Ellie mit ein paar Tonnen Gewicht und mehreren Metern Schulternhöhe mächtig aus der Art und bei der ersten Begegnung auch aus dem Baum fällt. Dort hängen die possierlichen Nager eigentlich an ihrem Schwanz, was Ellie schwer fällt, als adoptiertes Mammut mit Identifikationsproblem. Es dauert eine lustige Weile bis die herrlich verwirrte Ellie einsieht, dass sie ein Mammut ist. Sehr zur Freude von Manny, der bisher als letzter seiner Art galt und schwer daran zu tragen hatte.
 
Der Hit bleibt aber Scat, dessen slapstickhafte Zwischenspiele abseits der eigentlichen Handlung immer wieder so sagenhaft komisch sind wie der Trailer, der "Ice Age" vor vier Jahren zum Erfolg machte. Der ewige Verlierer der Eichel verteidigt das Objekt seiner Begierde wie Bruce Lee gegen Piranhas und landet am Ende im Eichhörnchen-Himmel. Das ist völlig abgedreht wie bei Warners "Looney Toons", eine perfekte Mischung aus Schadenfreude und Mitgefühl.
 
Doch auch der nur selten dramatische Exodus ist gut geschrieben und animiert. Im erstaunlich realistischen Wasser glänzen Mannys Fell und die digitale Kunst fast fühlbar detailgenau. Massive Action überschwemmt erst das Finale. Zwischendurch jagen sich die Höhepunkte in witzigen Dialogen und aberwitzigen Bilder. Jede Minute ein Modernismus, zwischendurch ein Geier-Ballett nach Choreografie von Busby Berkeley. Und als König der Herzen darf Mammut Manny herzlich flirten ("Du hast einen Riesen-Hintern!") und auf Happy End sowie Fortsetzung mit Ellie zutrampeln. Die Moral der Geschicht': "Lass uns die Gattung retten" ist keine gute Anmache!