30.11.20

Mank / Netflix

Mank

(USA 2020), Regie: David Fincher, mit Gary Oldman, Lily Collins, Charles Dance, Amanda Seyfried, 131 Min., FSK: ab 12

Regisseur David Fincher steht mit großen Erfolgen wie „Gone Girl", „Fight Club", „The Game" sowie mit seiner Serie „Mindhunter" vor allem für Spannung. Dabei übersieht man die Kunstfertigkeit seiner Filme. „Mank" ist nun ein besonderer ästhetischer Genuss, eine stilistisch verspielte Hommage an das alte Hollywood mit gleichzeitiger politischer Abrechnung. Die Filmperle beginnt mit einem reizvollen Trip in die Filmgeschichte, mit vielen bekannten Namen, dem Amüsement über den – im wahrsten Sinne des Wortes - gebrochenen Autoren Herman J. Mankiewicz (1889-1953), der am Oscar-Drehbuch für „Citizen Kane" schreibt. Die Gründe, weshalb das Genie an der Flasche hängt, machen „Mank" später berührend und relevant für heute. 

Zuerst dreht sich alles um den Countdown von 60 Tagen, in denen der abgeschriebene Mankiewicz für das aufsteigende, 24-jährige Genie Orson Welles ein Drehbuch fertigen soll. Mit gebrochenen Beinen liegt „Mank" wegen eines Autounfalls im Bett, von einer deutschen Pflegerin und einer britischen Sekretärin betreut. Alkohol – gibt es nach Fertigstellung des ersten Abschnitts.

„Citizen Kane" erzählt, verkürzt, eine Enthüllungsgeschichte, stellt den einst mächtigen Medienmogul William Randolph Hearst bloß. Der sensationelle erste Film des Wunderkindes Orson Welles (Ko-Autor, Regie und Hauptrolle) aus dem Jahr 1941 wird immer wieder zum „Besten Film aller Zeiten" gewählt. Weshalb Ko-Autor Herman J. Mankiewicz seinen Freund und Mentor Hearst darin ans Messer lieferte, ist Thema von „Mank". Ein Skandal aus dem „Goldenen Zeitalter" des Klassischen Hollywood und das Porträt eines liebenswerten Verlierers, eines linken, intellektuellen Don Quixote.

Das Verhältnis von Herman Mankiewicz – nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Joseph L. – und Hearst wird in Rückblenden zu den 30er Jahren erläutert: Da ist die platonische Freundschaft zu Hearsts jüngerer Gespielin, der Schauspielerin Marion Davies (Amanda Seyfried), die der Verleger förderte und dann beruflich zerstörte. Als im Wahlkampf für den Gouverneur Kaliforniens des Moguls Medienmacht mit im Studio MGM produzierten „Fake News" den demokratischen Kandidaten und Schriftsteller Upton Sinclaire verhindert, engagiert sich der Intellektuelle einmal. Vergeblich. In einer großen besoffenen Tirade bringt sich der zynische Schreiberling dann um den Platz als Hofnarr am Tische Hearsts.

Das Porträt der hochinteressanten Figur Herman J. Mankiewicz mit seiner Karriere, die er sich mit Alkohol und Spielsucht verbaut hat, zeigt einen typischen Ostküsten-Intellektuellen. Er lässt sich vom tief verachteten Hollywood verführen und geht an dessen Banalität zugrunde. In einem berühmten Telegramm an den legendären Autor Ben Hecht schrieb er: „Hier sind Millionen zu machen, und deine einzigen Konkurrenten sind Idioten. Lass dir das nicht entgehen." Auf eine spätere Anfrage von Dorothy Parker, der Gewerkschaft „Screen Writers Guild" beizutreten, antwortete er snobistisch, eine Autoren-Vereinigung sollte wissen, dass da ein Apostroph in den Namen rein muss.

David Fincher würdigt mit seinem in sanftem Schwarz-Weiß gehaltenen „Mank" den Journalisten und Kritiker deutscher Abstammung. Mankiewicz wird die Autorenschaft an „Citizen Kane" zugeschrieben - eine These, die Pauline Kael in ihrem Essay „Raising Kane" befestigte. Zentral in der mit einem lachenden Auge erzählten Tragödie steht die Rolle des Gebildeten in der Traumfabrik. Gary Oldman („The Dark Knight", „Harry Potter", „Das fünfte Element") verkörpert Lebens-Lust und -Frust begeisternd. Sein Mankiewicz genießt es, die Deppen stilvoll, höflich und immer treffend vorzuführen. Dabei stammte die Idee, mit den mächtigen Mitteln der Traumfabrik Politik zu machen, von ihm selbst, aber wendet sich gegen ihn. Naheliegend, da an Fincher zu denken, der nach sechs Jahren Pause seinen neuen Film nicht mit den Studios, sondern mit Netflix produzierte.

Wir können nicht anders / Netflix

Buck ist wieder da – und das mit Wums. Als einer der vielseitigsten und besten Regisseure Deutschlands legt Detlev Buck noch mal mit Schmackes eine klasse Komödie hin: Edda (Alli Neumann) verführt aus verzweifelter Wohnungslosigkeit und trotz seines furchtbaren Mantels den Junior-Professor für Literatur Sam (Kostja Ullmann, herrlich naiv). Da er sich als ganz nett erweist, nimmt sie ihn sogar mit in ihr Dorf. Doch schon auf dem Weg stolpert Sam mitten im Wald über eine Hinrichtung. Ein paar falsche Entscheidungen später werden er und das gerettete Opfer von einer wilden Horde zu freiwilliger Feuerwehr-Männer verfolgt. Und Edda muss sich bei der Suche nach Sam unangenehmer alter Bekanntschaften entledigen. In einem Dorf, in dem man nicht begraben sein will, ist plötzlich die Hölle los. Und 24 Stunden später zählt es einige Gräber mehr.

Ein Gangster (Sascha Geršak) gibt mit E-Zigarette den Dennis Hopper vom Lande. Tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit frustrierter Männer wird zünftig abgestraft. Ihnen bleiben nur Sätze wie: „Ich war doch noch nie woanders. Wo soll ich denn hin? Und was wird aus meiner Mutter?" Das ganze Vergnügen ist toll gespielt, mit feinen Raffinessen sicher inszeniert und setzt inhaltlich Finessen: Hier lassen Flüchtlinge mal deutsche Flüchtende nicht rein.

1993 drehte Buck, die Komödien-Entdeckung aus dem Norden, mit „Wir können auch anders..." seinen dritten Spielfilm (nach „Hopnick" und „Karniggels"). Und wenn er sich mittlerweile als Regisseur und Darsteller von „Knallhart" bis „Bibi & Tina" als Alleskönner erwiesen hat - hier ist er bei seinen Wurzeln: „Auf dem Land haben wir Geduld. Es wird wenig gesprochen." Das mit den sparsamen Worten stimmt noch, dafür gibt es in „Wir können nicht anders" viel sich überstürzende Handlung und Kugeln. Der treffsichere Spaß kann vom Tempo her mit Hollywoods großen Action-Krachern für Weihnachten mithalten.

„Wir können nicht anders" (BRD 2020), Regie: Detlev Buck, mit Alli Neumann, Kostja Ullmann, Sascha Geršak, Sophia Thomalla, 102 Min., FSK ab 16

24.11.20

Aznavour by Charles (Le Regard de Charles)

Der 2018 im Alter von 94 Jahren verstorbenen Charles Aznavour war Frankreichs berühmtester Chansonier, ein gefeierter Schauspieler und engagierter Aktivist für sein armenisches Volk. Zu allem Bekannten über Charles Aznavourian gesellt sich nun diese wunderbare und wundersame Biografie aus eigener Hand. Denn erst 2017 zeigte er dem befreundeten Filmemacher Marc di Domenico Kisten voller Filmaufnahmen aus über fünf Jahrzehnten. Super 8, 16mm und Video-Material, das bisher niemand gesehen hatte.

Der Regisseur di Domenico sichtete 40 Stunden Aufnahmen und montierte sie entlang von 25 Liedern Aznavours, darunter sechs Welthits. Am Anfang des Films gibt es Bilder aus Afrika ohne Ton und Text. Charakteristisch dabei der wache Blick für einfache Menschen und Kinder. Diese Perspektive wird sich bei faszinierenden Aufnahmen aus Peru, Hongkong, Japan, New York oder London wiederholen. Denn der Künstler war ein Mensch mit großem Fernweh, mit einer Neugier auf die ganze Welt. „Emmenez-moi" - Nimm mich mit, erklingt passend dazu einer der vielen Hits des großartigen Sängers. Zu den Bildern von Montmartre, dem Ort seiner Kindheit „La Boheme". 

Da Aznavours Aufnahmen immer privat waren, sieht man bekannte Menschen wie Edith Piaf oder den geistesverwandten Film-Kollegen Lino Ventura unverstellt und offen. Höchstens seine wechselnden Frauen (Song: „She") schauen mal etwas verlegen zurück. Privat ist dieser Film auch in den Erinnerungen. Berührend, wenn Aznavour mit 40 Jahren das erste Mal in die (Sowjetrepublik) Armenien kommt. Das Land, das seine armenischen Eltern nie gesehen haben. Eltern, die Waisen des Genozids durch die Türken waren und die dann im nächsten Weltkrieg Juden versteckt haben. Dass sich der Star mit 180 Millionen verkauften Platten immer als „kleiner Franko-Armenier" sah und eine Nähe zu anderen Immigranten verspürte, zeigt viel Persönlichkeit.

„Aznavour by Charles" ist eine großartige, eine liebevolle Biografie aus ungewöhnlichem, aber doch eigentlich selbstverständlichen Blickwinkel: Dem der porträtierten Person selbst. Als Basis für den Off-Text (Sprecher: Roman Duris) dienten die fünf Biografien Aznavours. (ghj) (Sooner) *****

„Aznavour by Charles" läuft mit anderen aktuellen Filmen im Rahmen der 20. Französischen Filmwoche Berlin vom 26.11. – 2.12. online.

„Aznavour by Charles" (Le Regard de Charles, Fr 2020), Regie: Marc di Domenico, mit Charles Aznavour, Édith Piaf, Lino Ventura, 83 Min., FSK: keine Angabe

The Good Lord Bird / Sky


Ethan Hawke reitet als amerikanischer Michael Kohlhaas gegen die Sklaverei! Die deftige Mini-Serie „The Good Lord Bird" nach dem gleichnamigen Roman von James McBride spielt im Kampf zwischen überzeugten Sklavenhaltern und bibeltreuen Abolitionisten 1858 vor dem Bürgerkrieg.

Der ebenso wahnsinnige wie berüchtigte Prediger John Brown (Ethan Hawke) rettet bei einer Schießerei den schwarzen Jungen Onion (Joshua Caleb Johnson) vor einem grausamen Sklavenhalter. In seinem wirren Zustand meint Brown, Onion sei ein Mädchen, und nimmt es in seine kleine diverse Kampftruppe auf. Trotz bester Beziehungen zu führenden Köpfen der Sklavenbefreiung „Underground Railroad" geht der alttestamentarisch rächende Anführer auf eigene Faust blutig gegen Sklavenhalter vor.

Irgendwer wird sich sicher beschweren, dass hier ein Weißer Schwarze befreit. Aber fast durchgehend kommentiert Begleiter und Erzähler Onion die Solo-Show des wahnsinnigen Priesters selbstbewusst und spöttisch. Er schaut genau auf die Diener bei den Versammlungen der weißen Befreier – sie sind weiterhin schwarz!

Auch wenn Onion in der zweiten Folge als Mädchen in einem Bordell putzt und die im Käfig gehaltenen Sklaven ein erschreckendes Bild weißer Unmenschlichkeit liefern, ist „The Good Lord Bird" weit davon entfernt, „12 Years a Slave" zu sein. Mit dem Wahnsinns-Trip des überspannten Priesters und im poppigen Comic-Stil erinnert die Serie eher an Tarantinos „Django Unchained". Ein manchmal brutaler Spaß mit bitteren Geschichts-Lektionen, immer packend erzählt und inszeniert, mit einem großartigen Ethan Hawke („Before Sunrise", „Juliet, Naked") in der Rolle des allzu gerechten Wüterichs und als Produzent.

„The Good Lord Bird" (USA 2020), Regie: Kevin Hooks, Haifaa Al-Mansour, Albert Hughes u.a., mit Ethan Hawke, Joshua Caleb Johnson, Beau Knapp, Steve Zahn, 7 Episoden, je ca. 60 Min., FSK: ab 16

18.11.20

Du hast das Leben vor dir / Netflix


Aachen. Mit der dritten Adaption des berühmten Romans „Du hast das Leben noch vor dir" von Romain Gary gibt Regisseur Edoardo Ponti seiner 86-jährigen Mutter eine wunderbare Rolle. Die anrührende Figur einer Holocaust-Überlebenden, die sich in Bari um die Kinder von Prostituierten kümmert, macht die Legende Loren zur Kandidatin für einen dritten Oscar.

Madame Rosa (Sophia Loren) verdient ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht damit, dass sie Kinder von Prostituierten betreut und großzieht. Ausgerechnet der 12-jährige senegalesische Waisenjunge Momo (Ibrahima Gueye) soll nun einziehen, dabei hat er ihr doch kurz vorher auf dem Flohmarkt eine Tasche mit Silberleuchtern geklaut.

Sophia Loren („Hochzeit auf Italienisch" 1964, „Prêt-à-Porter" 1994) strahlt mit ihrem echten Gesicht ohne große Manipulationen immer noch eine enorme Präsenz aus. In „Du hast das Leben vor dir" legt sie sogar eine vorsichtige Tanzeinlage mit dem Transvestiten hin. Auch der heftige Dialekt in der Originalfassung ist ein Vergnügen. Die vor allem rührende Geschichte über das ungewöhnliche Zusammentreffen eines kleinen Flüchtlings, einer traumatisierten Dame und eines arabischen Immigranten ist der aktuelle Netflix-Hit in Italien. Kein Wunder, denn auch im Hintergrund gibt es eine Familiengeschichte: Regisseur Edoardo Ponti ist der Sohn von Loren und ihres langjährigen Partners und legendären Produzenten Carlo Ponti. Dazu für Kenner noch die aufregende Literaturgeschichte um den 1975 unter Pseudonym erschienenen Roman und fertig ist ein Medien-Ereignis. Der reizvoll in der Hafenstadt Bari fotografierte Film lohnt sich mit seinen interessanten Charakteren und guter Besetzung aber auch einfach so. 

„Du hast das Leben vor dir" („La vita davanti a sé", Italien 2020), Regie: Edoardo Ponti, mit Sophia Loren, Ibrahima Gueye, Renato Carpentieri, 94 Min., FSK: keine Angabe

17.11.20

Was wir wollten / Netflix


Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M'Barek) bauen bis an die Grenze der seelischen und finanziellen Belastbarkeit an ihrem Familienglück. Die Arbeiten zum Einfamilienhaus sind im vollen Gange, aber auch die vierte künstliche Befruchtung hat nicht funktioniert. Beide wohlsituierte Menschen gehen liebevoll, sogar humorvoll mit der Situation um. Ein neuerlicher Urlaub in Sardinien soll Spannungen lösen. Als allerdings im Ferienhäuschen nebenan zwei laute Kinder und ihre ebenso penetranten Eltern stören, lösen sich auch Frustrationen und Aggressionen. Dass der frühere Urlaub, nicht weit entfernt auf dem Camping-Platz, glücklicher war als dieser im Ferien-Häuschen, führt zur Frage, was zum Glück nötig ist: Ein Haus, ein Kind?

Regisseurin Ulrike Kofler gelingen in ihrem einfühlsamen Drama „Was wir wollten" sehr feine Beobachtungen. Etwa auf die leicht laufenden Schubladen und die automatischen Heckklappen, die perfekt funktionieren ... so wie man es sich für's eigene Leben wünscht. Wie es bei Alice und Niklas nicht reibungslos klappt, machen vor allem der unglaublich vielfältige Ausdruck von Lavinia Wilson („Deutschland 89/86") und das exakt passende Spiel von Elyas M'Barek („Fack ju Göhte") interessant. Der ruhige Stil des Spielfilms erinnert zeitweise an die exakte Reduzierung der „Berliner Schule": Es wird nicht übermäßig gesprochen, die Gefahr eines blöden Spruchs ist dabei groß. Aber Kofler, die bislang Cutterin bei einigen bekannten Filmen („Wilde Maus") war, umschifft diese Fallen. Im Problem-Genre des deutschen Urlaubsfilms erzählt sie eine nicht einfache, aber bemerkenswert sichere Geschichte. Mit einem im Gegensatz zur Berliner Schule sehr bewegenden Finale.

„Was wir wollten" (Österreich 2020), Regie: Ulrike Kofler, mit Lavinia Wilson, Elyas M'Barek, 93 Min., FSK: ab 12

The Crown, 4. Staffel / Netflix


„The Crown", die Krönung der aktuellen royalen Serien-Unterhaltung, meldet sich in der vierten Staffel mit zwei weiteren Hauptfiguren zurück: Während der 80er-Jahre hat Queen Elizabeth II. mächtig mit Lady Diana Spencer und Premierministerin Margaret Thatcher zu tun. Die beste Staffel bislang begeistert erneut in vielerlei Hinsicht.

Die jahrzehntelange Karriere der britischen Königin Elizabeth (Olivia Colman) lieferte seit 2016 beständig Dramen im Hause Windsor und nur am Rande die Schicksale von zig Millionen Untertanen. Mit der vierten Staffel sind wir in den 80er-Jahren angelangt. Ohne sich auf Lorbeeren auszuruhen, trumpft „The Crown" in der ersten Folge direkt mit einer filmischen Glanznummer auf. Die mehrfache Parallel-Montage zeigt packend und erschreckend die hemmungslose Jagdlust der Adeligen. Auf dem Höhepunkt werden aber sie gejagt: Lord „Dickie" Mountbatten (Charles Dance), Onkel von Prinz Philip (Tobias Menzies) und väterlicher Freund für Charles (Josh O'Connor), fällt 1979 einem Anschlag der IRA zum Opfer. Doch der nordirische Religionskrieg, später der mörderische Kampf um die Falklandinseln, die extremen sozialen Einschnitte Maggie Thatchers im Land - das alles ist Weltpolitik, von der nur kurze Blitzlichter in die Geschichte des Königshauses dringen.

Intern genießen wir die Auftritte von Prinzessin Diana (Emma Corrin) und Premierministerin Thatcher (Gillian Anderson). Mit ihnen muss sich die Queen kurz die weibliche Hauptrolle teilen. Das könnte Märchen-Kitsch geben oder trockene Polithistorie. Aber den exzellenten „Crown"-Autoren gelingt es, mit vielschichtigen Figuren eine immer fesselnde Geschichte fort zu erzählen.

Selbstverständlich will eine boulevardisierte Medienlandschaft unbedingt erfahren, wie es der netten Kindergärtnerin Diana Spencer im herzlosen Haus der Windsors erging. Serien-Schöpfer Peter Morgan hält sich bei erstaunlicher Ähnlichkeit in Mimik und Maske von bekannten Bildern fern. Wochenlange Einsamkeit der jungen Frau im Buckingham Palace explodiert bei der ironisch „Märchen" genannte Folge 3 in einer euphorischen Rollschuhfahrt mit Kopfhörern und Pop-Musik durch leere Palast-Gänge.

Ebenso unterhaltsam und interessant ist die Figur der „Eisernen Lady" Maggie Thatcher. Sie scherzt zu Beginn des traditionellen Rapports der Regierungschefin bei der Herrscherin, dass es mit zwei Frauen in Menopause ja lustig werden wird. Auch diese geheimen Treffen evozieren die unweigerliche Frage: War das wirklich so? Doch unabhängig davon, was echt ist - die Geschichte von „The Crown" ist echt gut.

Die sorgfältige Kamera bringt Augenschmaus. Ein hervorragendes Drehbuch, die gute Wahl der Darsteller, eine klasse Maske und tolles Spiel machen „The Crown" selbst für eingefleischte Republikaner zu einem Serien-Ereignis. Denn die Scherze bei „Lisbeth" und den Anderen gehen zwar oft auf Kosten der Nicht-Royals. Doch Maggie Thatcher, die strenge Tochter aus dem einfachen Volk, hält dem eigentlich lächerlichen Haufen unnützer Adeliger auch Verschwendung von wertvoller Arbeitszeit vor. 

Elizabeth bleibt in zwischenmenschlichen Dingen eine tragische Witzfigur, die sich vor persönlichen Treffen mit ihren vier Kindern erst Informationen über deren Leben zustellen lässt. Wie es in den beiden schon geplanten Staffeln weitergeht, bleibt trotz bereits geschehener Historie spannend. Aber vielleicht tut die Queen der Serie den Gefallen, zum Finale abzutreten.

 (Netflix) *****

(GB, USA 2020), Regie: Benjamin Caron, Paul Whittington, Julian Jarrold u.a., mit Olivia Colman, Tobias Menzies, Helena Bonham Carter, 10 Folgen à ca. 60 Min., FSK: k.A.


11.11.20

Utopia (2020) / Amazon Prime Video


Aachen. Während einer Pandemie suchen vier Fans der legendären Comic-Geschichte „Dystopia" verzweifelt die Fortsetzung „Utopia", denn diese soll alles erklären und zum Gegenmittel führen. Derweil hat der ebenso charismatische wie dämonische Führer eines Lebensmittel-Konzerns eigene Pläne. Nicht nur die Parallelen zur aktuellen Corona-Situation machen diese außergewöhnlich mutig erzählte Geschichte zum Hingucker.

Ein Film nach einem Comic - wie lahm, schon tausendfach gesehen. Ein Leben nach einem Comic - das ist mal wirklich spannend! Im Zentrum von „Utopia" steht die sagenhafte Jessica Hyde (Sasha Lane). Ihr brutal rücksichtloses Verhalten bei der Suche ist verständlich, denn es ist ihr Leben, das in dem begehrten Comic mit seinen apokalyptischen und fantastischen Szenarien abläuft. Die Grausamkeiten unmenschlichen Handelns einer mörderischen Organisation namens „Harvest" (Ernte) verstören hingegen: Ein Killer erledigt jeden „Utopia"-Leser und Kinder einer Sekte werden reihenweise geopfert, „um ihren Lebens-Zweck zu erfüllen".

Der Science Fiction-Thriller „Utopia" basiert auf einer gleichnamigen britischen Kult-Serie aus 2013. Dabei bleibt es nicht nur bei den Rätseln, welche die nerdigen Ian (Dan Byrd), Becky (Ashleigh LaThrop), Samantha (Jessica Rothe), Wilson Wilson (Desmin Borges) und Grant (Javon „Wanna" Walton) in den Seiten von „Utopia" entschlüsseln. Auch eine große Verschwörung wird alle begeistern, die sich gerne von vielen unerwarteten Wendungen überraschen lassen. Unter den Figuren fasziniert vor allem der infantil wirkende Killer Rod (Michael B. Woods), der immer mit einer speziellen Packung Rosinen belohnt wird. Nachdem er auftaucht, wird aus der albernen Party der verkleideten Comic-Fans blutiger Ernst.

Während Sets, Kulissen und Produktions-Design bis auf die Comic-Einblendungen unauffällig bleiben, trumpft „Utopia" mit Wendungen auf, die so überraschend und so intensiv kaum eine andere Serie hinbekommt. Da muss auch schon mal eine Hauptfigur für herausragende Episoden-Spannung dran glauben. (ghj) (Amazon Prime Video) ****

„Utopia" (USA 2020), Regie: Toby Haynes, mit Sasha Lane, John Cusack, Michael B. Woods, Dan Byrd, acht Folgen, FSK: ab 16


10.11.20

The Trial of the Chicago 7


Mit einer eindrucksvollen Besetzung rund um Sacha Baron Cohen („Borat") rollt der sensationelle Gerichts- und Historienfilm „The Trial of the Chicago 7" den skandalösen Gerichtsprozess gegen die sogenannten „Chicago Seven" während der Nixon-Ära auf. Autor und Regisseur Aaron Sorkin („Molly's Game: Alles auf eine Karte") unterhält bestens, sorgt für Spaß und bezieht Position gegen politische Justiz.

Das Porträt des alten US-Präsidenten Lyndon B. Johnson wird gerade abgehängt und gegen das von Nixon ausgetauscht, als der neue Justizminister dem frisch zum Chefankläger berufenen Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) seinen ersten Auftrag gibt: An Teilnehmern von Protesten gegen den Vietnamkrieg soll mit Hilfe eines zurechtgebogenen Gesetzes ein Exempel statuiert werden. Schuldig der „Anstiftung zu einem Volksaufstand" sind die Anführer eines gewaltlosen Protestes schon vor Beginn des Prozesses. Der unfassbar voreingenommene Richter Julius Hoffman (Frank Langella) wird in einem der berüchtigtsten Prozesse der US-Geschichte dafür sorgen.

1968 war eine bewegte Zeit auch in den USA: Zehntausende Soldaten mussten in den verbrecherischen Krieg gegen die Menschen in Vietnam ziehen. John F. Kennedy und Martin Luther King wurden in den letzten Jahren ermordet. Eine neue Form des Protests lebt mit „Flower Power" und „Make love not War" auf. Derweil zieht der Hardliner Nixon als rechter Exponent einer polarisierten Gesellschaft ins Weiße Haus ein. In dieser aufgeheizten Situation werden Demonstrationen in Chicago zu Unruhen, bei denen schockierend brutale Polizisten und Militärs ein Massaker unter den Bürgern anrichten. Angeklagt werden allerdings die vermeintlichen Anführer der Proteste.

Aaron Sorkin, Autor von engagierten Polit-Filmen und -Serien wie „The Social Network", „Der Krieg des Charlie Wilson", „The Newsroom" und „The West Wing", begeistert in seiner zweiten Regiearbeit mit einem packenden Aufbau: Nach einem kurzen Medley historischer Aufnahmen springt „The Trial of the Chicago 7" direkt zum Prozess. Die verhandelten Ereignisse in Chicago werden in Rückblenden nachgereicht. Und das durchaus witzig: Wenn Hippie-Anführer Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) – wie alle anderen Gruppen vergeblich - eine Demonstration im Park beantragt, kündigt er lächelnd Rock-Musik, Drogen und öffentlichen Sex an. 

Die „Oscar-Verleihung des Widerstands", wie einer der Angeklagten zum Prozess bemerkt, bietet ein breites Spektrum interessanter Charaktere: Neben den Hippies, die mit Spaß und Liebe die Welt verändern wollen, ist da Tom Hayden (Eddie Redmayne), der junge Politiker der Demokraten. Er will Veränderung durch Instanzen und Parlamente, was dem realen Tom Hayden, zeitweise Ehemann von Jane Fonda, tatsächlich gelang. Hier ist „The Trial of the Chicago 7" im Nachdenken über Wege des nötigen Widerstands weit mehr als die Anklage gegen ein historisches und nach ein paar Jahren aufgehobenes Fehlurteil.

„The Trial of the Chicago 7" brilliert inhaltlich mit kluger Argumentation, mit spritzigen und witzigen Dialogen sowie mit einer exzellenten Besetzung: Der politische Komiker Sacha Baron Cohen verkörpert den komischen Aktivisten Hoffman kongenial. In einer dritten Ebene kommentiert dieser den Prozess als Stand up-Comedy. Ebenso grandios tritt Michael Keaton kurz als ehemaliger Justizminister Ramsey Clark auf, der offenlegt, dass die Unruhen durch die Polizei ausgelöst wurden. Man muss mehr als einmal an die historischen näheren G20-Unruhen von Hamburg oder die G8-Verbrechen von Genua denken.

Dieser in jeder Hinsicht gelungene Film über politische Justiz, über das Recht auf Protest und Widerstand sowie über verschiedene Wege des Engagements packt jeden Moment und lässt in erneut bewegten Zeiten nachdenken. (Netflix) *****

„The Trial of the Chicago 7" (USA, Großbritannien, Indien 2019), Regie: Aaron Sorkin, mit Sacha Baron Cohen, Eddie Redmayne, Mark Rylance, 129 Min. FSK ab 16

9.11.20

Und jetzt: Die Muppets / Disney+


Die Muppets sind wieder da und das ist leider kein Grund, kleine Frosch-Ärmchen jubelnd in die Luft zu schmeißen. Während die die ursprüngliche Muppets-Show das alte Format der Varieté-Theater auf (und hinter) großer Bühne feierte, gibt es jetzt eine „improvisierte Streaming-Show" auf kleinem Schirm. Miss Piggy gibt in ihren Blog-Filmchen „Lifesty" (sic!) als Influencerin jedem eins auf die Nase, der sie nicht als schönstes Schwein der Welt anhimmelt. Als weitere harmlose Parodie auf Medienformate muss der schwedische Koch („smörrebröd röm töm töm") in einem Koch-Duell echte Gäste und Rezepte verdauen. Erstere sind bei uns (bis auf den Taco füllenden Dany Trejo) weitgehend unbekannt, also uninteressant. Kermit verrät in einem weiteren lahmen Gag sein geheimes Hobby als Fotobomber. Dr. Bunsenbrenner und sein Assistent Beaker veranstalten wissenschaftliche Tests im Muppet-Labor. Als erster muss allerdings nicht Beaker leiden, sondern ein digitaler Sprach-Assistent in Form von Amazons Echo.

Eine kleine Auswahl der bekannten Muppet-Figuren und -Spleens soll bei „Und jetzt: Die Muppets" also mit „Witz komm raus"-Zwang die heutige digitale Welt gebeamt werden. Ganz banal sieht das „Show-Format" so aus, dass Scooter kleine Clips auf den Bildschirm schiebt. Darin ist Pepe die Riesengarnele der unkontrollierbare Moderator einer chaotischen Spielshow. Das hat weder Witz noch Charme. Es nervt öfter, als dass es Spaß macht. Ausgerechnet wenn Kermit, der degradierte Showmaster von früher, wieder die Gäste vor seinem wilden Team schützen muss, erinnert das schmerzlich an in jeder Hinsicht bessere Original-Muppets.

5.11.20

Truth Seekers / Amazon Prime Video


Gus (Nick Frost) ist das Genie in Sachen Internet-Anschluss, dass man sich immer bei Problemen erhofft. Dabei beseitigt er nicht nur technische Störungen, immer öfter gilt es auch Geistererscheinungen zu vertreiben. Hinter dem massigen Nerd Gus verbirgt sich ein exzellenter „Ghostbuster". Es befreit einen Weltkriegs-Soldaten, dessen Geist in einer Funkmaschine gefangen ist. Kennt eine Masseuse, die nebenbei Exorzismus betreibt. Entdeckt einen verrückten Professor, der die Seele seines Hundes über Jahrzehnte am Leben erhält. Und da ist ein genialer Wissenschaftler mit einem üblen Plan...

Nick Frost und Simon Pegg, das komischste Briten-Paar der neueren Filmgeschichte („Shaun of the Dead", „Hot Fuzz" und „The World's End"), macht sich in acht knackigen Episoden à 30 Minuten einen Spaß mit dem Horror-Genre. Nach ein paar Schreckmomenten schwebt das Grauen in Form eines nervigen Malcolm McDowell als Gus' Vater den Treppenlifter herunter. „Truth Seekers" wird im Laufe der unterhaltsamen Folgen immer mehr zur netten britischen Komödie mit bekannten, liebenswerten Figuranten.

4.11.20

Kino on Demand unterstützt lokale Kinos

 
Zum erneuten Lockdown unterstützt der Kölner Streaming-Anbieter „Kino on Demand" mit seiner Aktion „Lieblingskino-Paket" die geschlossenen Kinos vor Ort. Für jedes Paket erhält der Nutzer einen Gutschein über fünf Euro für sein Lieblingskino und es gehen direkt fünf weitere Euro als Unterstützung ans Kino.
„Kino on Demand" zeigt aktuelle Arthouse-Filme und Erfolge der vergangenen Jahre für anspruchsvolle Cineasten, aber auch Kinderkino. Aktuelle Highlights sind „Lindenberg! Mach Dein Ding", die Mario Adorf-Biografie „Es hätte schlimmer kommen können" oder die Deneuve-Komödie „La Vérité". 

www.kino-on-demand.de

Hausen / Sky


BRD 2020 Regie: Thomas Stuber, mit Charly Hübner, Alexander Scheer, Tristan Göbel, Lilith Stangenberg, 8 Folgen je 60 Min.

Extremes Grau, alles mit Staub bedeckt wie nach einem atomaren Fallout – so zieht das „Haunted House"-Genre bei „Hausen" in einen verlorenen Plattenbau ein. Die hinzukommende traumatisierte Familie geben im Osten des Landes der neue Hausmeister Jaschek (Charly Hübner) und sein 16-jähriger Sohn Juri (Tristan Göbel). Jaschek ist einer, der anpackt, sich direkt an die seit Wochen defekte Heizungsanlage macht. Schnell geht es in den Heizkeller, der nicht nur bei Stephen King ein klassischer Ort des Bösen ist. Eine dunkle Flüssigkeit läuft aus den Rohren und nähert sich einigen Personen bedrohlich. Auch sonst ist viel unheimlich im Argen im kalten Wohnkomplex: Ein Raum voller Drogenabhängiger wärmt sich am selbstgebauten Ofen. Die Jugendgang und ein religiöser Saubermann versuchen die Kontrolle zu erlangen, zwischen Wänden, die zu atmen scheinen und sich organisch öffnen. Als gemeiner „Cliffhanger" verschwindet am Ende der ersten Folge ein Baby, dessen Schreien fortan über die Lüftungsrohre zu hören ist.

Nach „Dark" haben düstere Serien aus Deutschland sogar international einen guten Namen. Und nach dem riesigen Erfolg der Eigenproduktion „Babylon Berlin" traut sich Sky mehr. Der Achtteiler „Hausen" setzt seine gelungenen Horrorbilder in einem ansprechend abschreckenden Stil effektvoll ein. Schon in der zweiten Folge wird es immer unheimlicher und es sind sogar ein paar grandiose Horror-Bilder dabei. Für die zielstrebige Vorstellung der Bewohner und einiger Abgründe des Hauses lassen sich die Headautoren Anna Stoeva und Till Kleinert jedoch Zeit. Das Fundament der Geschichte in Form von Menschen, die uns angehen, wirkt etwas brüchig. Dabei hat der aus Leipzig stammende Regisseur Thomas Stuber so etwas Einfühlsames wie das Stapellager-Drama „In den Gängen" inszeniert. Aber auch atmosphärisch Starkes wie die Studie des todkranken Boxers „Herbert", verkörpert von Peter Kurth. Der exzellente Schauspieler soll hier keinen „Shining" Jack Nicholson ersetzen - die Hauptrolle gibt das unheimliche Haus nicht so einfach ab. „Hausen" gelungen atmosphärischer Horror - manchmal schön schaurig und fies schleimig, dabei fast immer ohne Schockeffekte.

Seit 29. Oktober täglich ab 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic sowie als komplette Staffel auf Sky Ticket und über Sky Q auf Abruf.

3.11.20

Borat: Anschluss Moviefilm / Amazon Prime Movie


USA 2020 (Borat Subsequent Moviefilm) Regie: Jason Woliner, mit Sacha Baron Cohen, Maria Bakalova, Dani Popescu 92 Min. FSK ab 16

Borat ist wieder da! 14 Jahre nach seiner provokanten Erfolgskomödie „Borat – Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen" zieht der kasachische Reporter Borat (Sacha Baron Cohen) mit Schnauzbart und unmöglichem Anzug erneut in die USA. Der Regierungschef holt ihn extra aus dem Steinbruch des Straflagers, um die nationale Schande seines ersten Films wieder gut zu machen und dem mächtigen Führer Trump ein Geschenk zu bringen.

Die Grund-Idee ist die gleiche, der rückständige Depp aus irgendeinem „Drecksloch", wie Trump einst sagte, lockt das wahre Gesicht rechter, rassistischer und sexistischer US-Amerikaner hervor. Nur gibt es 14 Jahre später das Problem, dass jeder auf der Straße Borat erkennt und sich sogar im Kostüm-Shop seinen Dress und seine Maske findet. Deshalb kommt Borats 15-jährige Tochter Tutar (Maria Bakalova) ins Spiel. Statt eines Schimpansen, den sie auf dem US-Flug in ihrer Transport-Kiste aufgegessen hat, soll nun sie das Geschenk für Trump werden. Allerdings emanzipiert sich Tutar schnell und ihr „Handbuch zur Haltung von Töchtern" fliegt irgendwann in den Dreck. Vorher wollte sie allerdings ihren Tierkäfig gegen den Goldenen Käfig von Melania Trump tauschen.

Auch der neue „Borat" ist heftiger und deftiger Komödien-Stoff. Nun muss man vielleicht in diesen Zeiten betonen, wenn Sascha Baron Cohen Sexismus zeigt, dann nicht, weil ihm das gefällt, sondern weil er auf Sexismus in unseren Gesellschaften hinweisen will. Der Produzent und Schauspieler ist als „Ali G.", „Brüno" und mit seinen persönlichen Stellungnahmen über ziemlich viele Zweifel erhaben. So schaut man zwar öfters mit geöffnetem Mund staunend zu, aber tatsächlich führt Sascha Baron Cohen hier erschreckende Dinge vor, die da draußen existieren.

Der Coup des Films ist die Bloßstellung von Trumps Anwalt Rudy Giuliani, der nach einem Interview mit der vermeintlich 15-jährigen Reporterin Tutar zum „Mikrofon abnehmen" ins Schlafzimmer geht und sich auf dem Bett in die Hose greift. Nachdem dieser Skandal schon vor Monaten öffentlich wurde, erklärte der fiese Schleimer, er hätte sich nur das Hemd in die Hose stopfen wollen. Maria Bakalova, die 24-jährige Darstellerin der Tochter, wird übrigens allgemein für ihr Spiel dieser Rolle bejubelt.

Wirklich erschreckend dagegen zwei Hinterwäldler, bei denen Borat in Corona-Zeiten Unterschlupf findet. Da haut der Kasache mit einer Pfanne den Virus auf den Wänden platt, hüpft nackt durch die Hütte und entlockt den bärtigen Typen reichlich Meinungsäußerungen, die einem den Magen umdrehen. Höhe- oder Tiefpunkt ist hier, wie Borat bei einem Festival die Menschen unter Südstaaten-Fahne mit antisemitischen Liedern begeistert. Wenn der simple Provokateur später in albern klischeehafter „Juden"-Verkleidung in einer Synagoge mit alten Jüdinnen spricht, zeigt sich die ganze, schwer zu fassende Doppelbödigkeit der Borat-Satire: Da freut sich jemand, dass der Holocaust doch stattgefunden hat, weil mit der Holocaust-Lüge der Rechten das ganze Konstrukt des nationalen Antisemitismus' von Kasachstan zusammenbrechen würde. Ganz schön verdreht, doch „Borat 2" unterhält vor allem mit frechem Humor.

Selbstverständlich fragt man sich immer, was wirklich von der Realität abgefilmt ist und was nachträglich inszeniert wurde. Einiges wirkt einfach zu unglaublich. Doch führt die „Mockumentary", die Fake-Dokumentation, üble Erscheinungen vor, die ernstere Medien und ebenso spaßige Satiren auch aufzeigen. Und das nicht nur für den schnellen Lacher. Am Ende heißt es im typischen gebrochenen Borat-Englisch: Geht wählen!

On the Rocks / AppleTV+

USA 2020 Regie: Sofia Coppola 101 Min.

17 Jahre nach „Lost in Translation" dreht Sofia Coppola wieder mit Bill Murray und die stilvolle Vater-Tochter-Geschichte „On the Rocks" lässt als unterhaltsame Spielerei viel Raum für große Murray-Nummern. Erst scheint es, als ob die Autorin und Mutter Laura (Rashida Jones) Probleme mit ihrem Ehemann Dean (Marlon Wayans) hat, der offensichtlich mit seiner Geschäftspartnerin fremdgeht. Gut, dass der exzentrische Papa Felix (Bill Murray) mal wieder – mit Chauffeur – vorbeirauscht. Obwohl er selbst ein extremer, aus der modernen Zeit gefallener Schürzenjäger ist, setzt er sofort alles in Bewegung, um seine Tochter zu schützen. Dazu gehört auch die nächtliche Verfolgung mit einem sehr lauten italienischen Sportwagen. Letztlich zeigt sich, dass der überpräsente Macho-Papa das eigentliche Problem ist.

Die exzellente Regisseurin Sofia Coppola („Marie Antoinette", 2006) legt eine ebenso elegante wie unterhaltsame Familiengeschichte hin. Vorbild für Bill Murrays schillernde Vater-Figur war nicht allein der großartige Francis Ford Coppola („Der Pate") - sagt Sofia selbst.