26.11.13

Tage am Strand

Australien, Frankreich 2013 (Adore / Two Mothers) Regie: Anne Fontaine mit Naomi Watts, Robin Wright, Xavier Samuel, James Frecheville 107 Min. FSK: ab 12

Trauernd perfekt getimt erscheint die australische Verfilmung der Erzählung „The Grandmothers" („Die Großmütter") von Doris Lessing in Deutschland wenige Tage nach ihrem Tod. Dazu beginnt der reizvolle Film gleich mit einem Begräbnis, um sich danach immer wieder türkisen Wellen an weißen Stränden hinzugeben. Schöne Menschen in traumhafter Umgebung, das ist verführerisch, auch wenn frau nicht besonders libertär lebt. Lil (Naomi Watts) und Roz (Robin Wright) bewundern die Adonis-Körper ihrer erwachsenen aber noch extrem knackigen Söhne beim Surfen. Nicht mehr lange und die beiden Frauen schlafen jeweils mit dem Sohn der Freundin. Zuerst wird Roz von Ian (Xavier Samuel) verführt, dann geht Tom (James Frecheville) aus Rache mit Lil ins Bett.

Das ergibt nach einigen Zweifeln und Widerständen der Normalität in besten Momenten ein sehr glückliches Quartett in paradiesischer Umgebung. Der Ehemann Lil ist schon vor Beginn des Films umgekommen, der von Roz verabschiedet sich selbst für die Karriere in eine ferne Stadt. Nicht nur beim Abweisen eines älteren Bewerbers, der die beiden Frauen für Lesben hält, sind die „Tage am Strand" nicht nur heiter, sondern auch sehr komisch. So macht auch die schwierige Umstellung vom Mutter-Ton auf ein Weibchen-Verhalten gegenüber fordernden Jung-Machos beim Zusehen viel Spaß.

Doch Tom folgt seinem Vater zwei Jahre später für eine Regie-Assistenz und verliebt sich prompt in die Hauptdarstellerin. Das Geheimnis bleibt nicht lange bewahrt und solidarisch beschließt auch Roz, ihre Beziehung zu beenden, damit beide Jungs eine „normale" Beziehung beginnen können. Trotz der größeren und kleineren Verletzungen entsteht ein undramatischer, stiller und familiärer Film. Etwas Schmerz bleibt zurück, wenn irgendwann drei Generationen den Strand genießen und sich die jungen Frauen doch etwas über eine unergründliche Stimmung wundern. Allerdings, so einfach geht das nicht mit der gesellschaftlichen Akzeptanz solcher verdrehter Ödipusse.

Es ist eine bemerkenswerte Geschichte von Doris Lessing, die man sicher auf unterschiedliche Weisen umsetzen kann. Anne Fontaine konzentriert sich auf die hervorragenden Darsteller, bei denen die „Jungs" durchaus mit den Stars Naomi Watts und Robin Wright mitspielen können. Es fühlt sich letztendlich gut an, wenn Tabu-Brüche so schmeichelnd dargeboten werden, das es fast märchenhaft wirkt: Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage...

Tore tanzt

BRD 2013 Regie: Katrin Gebbe mit Julius Feldmeier, Sascha Alexander Gersak, Annika Kuhl, Swantje Kohlhof 106 Min. FSK: ab 16

Er ist ein „Jesus-Freak", dieser naive, blonde Jüngling und Hänfling Tore. Er und seine Freunde können scheinbar sogar störrische Autos zum Starten bringen. Aber als es sein Kumpel mit der Keuschheit überhaupt nicht ernst nimmt, landet Tore in einer Gartenkolonie bei Benno. Das ruppige Oberhaupt einer ungewöhnlichen Patchwork-Familie zeigt sich zuerst offen und jovial, dann entpuppt er sich Tyrann, Schläger und Vergewaltiger. Als Tore bei den ersten Anzeichen helfen oder aufbegehren will, bekommt er wieder seine epileptischen Anfälle. Trotzdem kehrt die männliche Jungfrau mit ihrem Glauben an Gottes Hilfe immer wieder zu den sadistischen Folterern zurück. Auch wegen der zwei Kinder, vor allem wegen dem Mädchen, das er liebt. Aber die könnte auch ein Anruf bei der Polizei retten. So wird Tore dann noch in einem Schwulen-Puff vergewaltigt, was der Familie einen neuen Flatscreen einbringt. Mit dem ihm Benno wiederum brutalst zusammenschlägt, bevor sich auch die Frauen gewaltsam und sexuell an ihm vergehen.

Das Debüt der jungen Hamburgerin Katrin Gebbe bekam als einziger „reindeutscher" Starter überhaupt in Cannes viel zu viel Aufmerksamkeit, denn „Tore tanzt" gehört als Hardcore-Low-Budget mit seiner unausgegorenen Konfrontation eines naiven jungen „Jesus Freaks" und der Gewalt eines Familien-Tyrannen nicht auf ein großes Festival. Im Kinoalltag kann man ein paar interessante Ansätze erkennen und den kompromisslosen Ansatz der Regisseurin würdigen.

„Tore tanzt" erzählt eine heftige, harte Geschichte mit der Einschlagskraft belgischer oder österreichischer Gewalt-Filme. Als dramaturgischer Berater war Matthias Glasner dabei! Dessen „Der freie Wille" wirkt denn auch verwandt im Ausloten extremen menschlichen Verhaltens. Wie Tore vor der Hütte im Zelt campt, zur Familie gehören will, aber von Benno Vater nur ausgenutzt und manipuliert wird, soll auch dann eine Konfrontation altmodischen Glaubens und friedfertigen Leben mit der Gewalt werden. Denn Benno ist ein gewalttätiger und cholerischer Familienvater, der seine Tochter vergewaltigt. Zwar provoziert die schwer erträgliche Opferhaltung des Jungen mit dem Engelhaar, doch weiter kommt der Film nicht. Viel Gewalt um nicht viel.

Blancanieves - Ein Märchen von Schwarz und Weiss

Spanien, Frankreich 2012 (Blancanieves) Regie: Pablo Berger mit Macarena García, Maribel Verdú, Angela Molina, Daniel Giménez Cacho, Inma Cuesta 104 Min.

Deutsche Zusatztitel sind generell eine Pest, ein oft namens-rechtlich bedingter Hirnkrampf, der nur bei den schlechtesten Machwerken peinlich sinnvoll erscheint. Doch „Blancanieves" ist tatsächlich „Ein Märchen von Schwarz und Weiss", eine wunderschöne Stummfilm-Imitation aus Spanien in Folge des Oscar-Siegers „The Artist".

Wie schon Alex Warmerdam in seinem „Grimm" verlegt Regisseur und Autor Pablo Berger die Handlung von Grimms „Schneewittchen" sehr schön frei nach Spanien: Nachdem in wenigen, hochdramatischen Minuten der gefeierte Torero Antonio Villalta (Daniel Giménez Cacho) auf die Hörner genommen wird und dessen Frau bei einer durch den Schock zu frühen Geburt stirbt, wächst die gerettete Tochter Carmen fern vom an den Rollstuhl gefesselten Vater bei der Oma (Angela Molina) auf. Als das Schicksal auch diese liebe Person dahinrafft, kommt das Mädchen auf die Hazienda des dahin vegetierenden Mannes und der bösen Stiefmutter Encarna (Maribel Verdú). Die vergnügt sich nicht nur mit einem Offizier und sexy Reiterspielchen, sie wirkt auch der Genesung von Antonio entgegen - mit einem Stoß die Treppe runter. Carmen muss im Kohlenkeller hausen, darf dabei den Vater nie sehen. Als das Mädchen aus Versehen das Verbot übertritt, muss ihr einziger Freund, der Hahn Pepe, dran glauben.

Doch im Laufe der Jahre kann Carmen geschickt immer wieder Zeit mit dem Vater finden, der erzählt ihr vom Stierkampf bis der Major die junge Frau vergewaltigen will. Ja, hier herrscht Melodram und kein ruhiger Glücksmoment ist erlaubt. Anscheinend tot bleibt sie im Wald zurück, wo sieben Zwerge sie finden. Sie sind in dieser Bearbeitung des Grimmschen Märchens ein reisender Trupp von Klamauk-Toreros. Bei ihnen erlebt Carmen ihr Coming Out als weiblicher Torero, man nennt sie bei der Tour durchs ganze Land Blancanieves, Schneewittchen. Doch auch Encarna erfährt vom Erfolg der Totgeglaubten - den sprechenden Spiegel ersetzt in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine bunte Gesellschafts-Postille. Und genau in der Arena, die auch dem Vater zum Verhängnis wurde, reicht eine alte Frau dem Star des Runds einen Apfel... Eine letzte Freiheit erlaubt sich das herrliche Melodram dann noch: Als billige Jahrmarkts-Attraktion zahlen am bitter-süßen Ende die Zuschauer dafür, Blancanieves küssen zu dürfen. Aber keiner kann sie erwecken.

Noch ein Märchen und noch einmal die Rückbesinnung auf eine Kunst, die nach Meinung vieler niemals eine Tonspur gebraucht hätte. Obwohl „Blancanieves" trotz der stilechten Zwischentitel nicht wirklich ein Stummfilm ist, denn die stilvolle spanische Musik trägt viel zur großen Wirkung des Films bei. Es ist ein Film ohne gesprochene Sprache und diese Konzentration führt wie schon bei „The Artist" zu wunderbarer Kamera- und Bild-Kunst. Jedes Standbild ist eine edle Komposition aus Hell und Dunkel, Formen und Linien. Da vergehen schon mal die Jahre in einem Augenschlag beim Schattenspiel hinter den Wäscheleinen. Und die enorme Bildqualität geht weiter bis zum Casting der Statisten in der Stierkampf-Arena - auch diese Physiognomien sind es wert, als Foto gewürdigt zu werden. Das pure Kino erlaubt sich ein paar Doppelbelichtungen und begeistert auf dem Höhepunkt mit einer im Flamenco-Rhythmus geschnittenen Montage-Sequenz.

Die Schneewittchen-Geschichte mit Stierkampf und Flamenco trumpft ebenso mit Maribel Verdú als Hexe Encarna auf. Eine erstaunliche Kopie, fast eine Zwillingsschwester der Peppy Miller von Bérénice Bejo aus „The Artitst". Aber noch so ungefähr tausendmal schöner beziehungsweise eindrucksvoller ist hier die junge Hauptdarstellerin Macarena García. Das muss auch erwähnt werden, wenngleich für die wahren Reize von „Blancanieves" diesmal hauptsächlich Kamera und Licht verantwortlich sind.

Die Eiskönigin - Völlig unverfroren

USA 2013 (Frozen) Regie: Chris Buck, Jennifer Lee 103 Min. FSK: ab 0

Wie gut, dass es diesen Vorfilm gibt, auch wenn er die Kinozeit auf für Kinder grenzwertige zwei Stunden ausdehnt: In einem kleinen, sehr witzigen Clip kämpfen Micky, Minni und Pluto nicht nur gegen Kater Karlo sondern auch mit den Tücken von 3D, Schwarz-Weiß und Farbe sowie vielen anderen kleinen Details aus Kino-Technik und Geschichte. Danach weiß man wieder, wo Disney herkommt und weshalb der 3D-Film „Die Eiskönigin" technisch und ästhetisch so ein Fortschritt ist. Dabei sitzt er zwischen den Stühlen, ist nicht so toll wie die Filme von Pixar und auch nicht mehr so kinder-freundlich wie die alten Disneys.

Die neueste Disney-Animation „Die Eiskönigin" beginnt eindrucksvoll mit dem Lied nordischer Eis-Gesellen in prallem 3D. Auch weiterhin bezaubern die Bilder: Zwei kleine Prinzessinnen schleichen sich aus ihren Betten in einen riesigen Saal des Schlosses. Die ältere Elsa zaubert für Anna eine Eisfläche mit richtigen Schneehügeln. Doch das Spiel mit Elsas magischen Kräften wird gefährlich, als Anna aus Versehen von einem Eisstrahl getroffen zu Boden fällt. Nur die Trolle können das Kind retten. Danach verschließt der König Elsa und ihre Mächte für Jahre in einem eigenen Zimmer, was die kleine Anna nicht versteht. Erst zu Krönung Elsas sehen sie sich wieder. Wobei die Ankündigung der kecken und lebenslustigen Anna, Prinz Hans von den südlichen Inseln heiraten zu wollen, zur Katastrophe führt. Elsa kann weder ihre Emotionen noch ihre Eisblitze kontrollieren, das Schloss, der Fjord und das ganze Land gefrieren mitten im Sommer. Die neue Königin flieht in die Berge, wo sie sich einen eindrucksvollen Eispalast erschafft. Aber Anna gibt die Schwester nicht auf und macht sich mit Hilfe des rustikalen Sven auf einen eisigen Weg...

„Die Eiskönigin" wärmt die Herzen mit üppiger Landschaftsmalerei und zauberhafter Ausstattung der Räume im Schloss. Auch die Erzählung eilt rasant durch die Jahre und, dass zwei junge Frauen die Heldinnen sind, erscheint auf den ersten Blick ebenfalls positiv. Doch je älter Elsa und Anna werden, umso mehr ähneln ihre Figuren der von Barbie, variiert mit Mandelaugen im stupsnasigen Gesicht. Sie bewegen sich wie Sängerinnen in einer Casting Show, aber das ist wohl dem Zielpublikum dieses Mädchenfilms geschuldet. Dazu kommt, doch das ist Geschmackssache, ein furchtbares, unterkomplexes Musical-Geträller mit Stimmen, die schmerzliche Höhen aufsuchen. Denn auch das ist Disney-Tradition, hier wird alle fünf Minuten irgendwas gesungen. Es gibt sogar unter den vielen Duetten eines mit einem Rentier, das auch für schizophrene Zwiegespräche herhalten muss. Die übliche Sidekick-Rolle sprechender Tiere übernimmt diesmal Schneemann Olaf, gesprochen von HP Kerkeling.

Lange Zeit war Disney wie durch eine Gletscherspalte vom Fortschritt des Zeichentrickfilms getrennt. John Lasseter produzierte derweil mit seiner Pixar-Schmiede mit erstaunlicher Regelmäßigkeit eine Animation-Sensation nach der anderen. Nun ist Lasseter jedoch auch Chef bei Disney und sein Wirken manifestiert sich deutlich auf der Leinwand. So zeigt sich unter der Regie von Chris Buck („Tarzan", „Könige der Wellen") und Jennifer Lee (Drehbuchautorin „Ralph Reichts") der übliche Disney-Mix in neuer, glänzender Aufmachung, aber auch mit einigen Misstönen. Dazu gehören nicht kindgerechte Überlänge oder das für Kleinkinder zu dramatische Finale.

Battle Of The Year (3D)

USA 2013 (Battle of the year: The Dream Team) Regie: Benson Lee mit Josh Holloway, Laz Alonso, Josh Peck, Caity Lotz, Chris Brown 110 Min. FSK: ab 0

„Battle of the Year" nennt man so etwas wie die Weltmeisterschaft des Breakdance, die jedes Jahr als Turnier ausgetragen wird. Dante Graham (Laz Alonso), einst selbst B-Boy und jetzt Boss eines Medienkonzerns in Los Angeles, will eine US-Mannschaft zum Sieger machen. Er engagiert dazu ausgerechnet Jason Blake (Josh Holloway) als Trainer, einen ehemaligen Basketball-Coach mit Trauma und Alkoholproblemen. Dessen „Dream Team" schließt er erst mal in eine Kaserne ein und bis dahin sollte man selbst rechtzeitig aus dem Kino geflohen sein. Denn die Handlung ist genauso abgedroschen wie die Phrasen der Werbung: „Blake bleiben nur drei Monate Zeit bis zum Battle of the Year, um aus zwölf talentierten Individuen ein starkes Team zu formen."

Die Antwort darauf gibt einer der Sätze von der Resterampe der Drehbuchschreiber eigentlich selbst: Breakdance ist eine Kunstform! Doch dieser 08/15-Film verpackt sie in einen militärischen Ausbildungs-Apparat und eine filmische Fließband-Formel, die extrem abgenutzt ist. Wie man die uninteressanten Tänzer-Figuren in eiserne Disziplin und undemokratischen Trainer-Terror presst, werden auch die Moves und Shows in eine sehr öde Rahmenhandlung gequetscht, bei der symptomatisch keiner der Tänzer die Hauptfigur ist. Das führt zu relativ wenig Showteilen und einem mehr als vorhersehbaren Ablauf bis zum üblichen Finale. Dass Regisseur Benson Lee mal eine Dokumentation in dieser Szene drehte, ist keine Sekunde zu merken. Josh Holloway ist völlig „Lost" in dieser kalt kalkulierten Produktion für unechte Breakdance-Fans.

The Counselor

USA, Großbritannien, Spanien 2013 (The Counselor) Regie: Ridley Scott mit Michael Fassbender, Penélope Cruz, Cameron Diaz, Javier Bardem, Brad Pitt, Bruno Ganz 113 Min. FSK: ab 16

Michael Fassbender und Penélope Cruz als schön verliebtes Paar sehr erotisch unter weißer Bettwäsche zu erleben, reicht völlig als Appetit-Happen. Dazu dann direkt in der nächsten Szene weiterer Schauspiel-Genuss wenn Cameron Diaz und Javier Bardem als reiche Gangster-Gecken mit zu viel Gold, Luxus und teuren Geschmacklosigkeiten begeistert verfolgen, wie ihre Geparden mit hilflosen Kaninchen spielen. Klar, das ist schon Symbolik und ein Vorverweis auf ungleiche Kräfteverhältnisse bei grausamen Aktionen. Doch auch dies gehört noch zum groben Handlungsgerüst, zur einfachen Erzählung, über die sich der Text von Cormac McCarthy auch in dieser Verfilmung erhebt.

„Alien"-Regisseur Ridley Scott verfilmt mit „The Counselor" ein Drehbuch von Cormac McCarthy. Nach den Romanen des Pulitzer-Preisträgers entstanden bereits die faszinierenden „The Road" und „No Country for Old Men". Wie sehr McCarthy einen Film veredeln kann, macht dann schnell Bruno Ganz in einen seiner besseren Kurzauftritte, diesmal als Amsterdamer Diamanten-Händler deutlich. Der edle und nur fast perfekte Verlobungs-Klunker, den der Counselor (Fassbender) für seine Liebe Laura (Cruz) ersteht, bekommt eine Warnung mit auf den Weg und etwas Diamanten-Philosophie: Mit den ewigen Steinen wollen wir dem Tod zeigen, dass wir uns nicht von der Kürze des Lebens kleinkriegen lassen

Bei solchen, im Original richtig guten Dialog-Sätzen, merkt man schnell, dass es auch im „Counselor" um mehr geht. Wieder ist das düstere Welt- und Menschenbild hinter der Handlung extrem spannend. Um es abzukürzen: „Ein Gepard ist der Mensch dem Menschen, nicht ein Mensch, wenn man sich kennt."

Für diejenigen, die dabei den Krückstock einer überdeutlichen Handlung vermissen, hier die Zusammenfassung: Der schicke, gebildete und charmante Counselor (Fassbender) braucht wohl doch mehr Geld als seine Anwaltstätigkeiten und Beratungen im Süden der USA einbringen. So lässt er sich trotz drastischer Warnungen des schmierig reichen Gangsters Reiner (Javier Bardem) auf ein schmutziges Drogen-Geschäft mit diesem ein. Wie der kolumbianische Koks für 20 Mio. Dollar, versteckt in einem Tanklaster voll übelstem Kloaken-Dreck, seinen Weg von Mexiko nach Chicago macht, wie er mit viel Leichen und Blut drumherum entführt und dann vom Kartell wieder zurückgeklaut wird, läuft als Nebenschiene mit, während der Counselor auf die Ergebnisse wartet.

Die sind allerdings anders als erwartet, denn durch einen dummen, fast unglaublichen Zufall fällt der Verdacht auf den Counselor, dessen Schicksal nun in der Hand höherer Mächte liegt. Das wäre im Action-Film, mit dem einige der großen und brutalen Szenen durchaus konkurrieren können, das Drogen-Kartell, das immer unsichtbar bleibt. Die Antworten auf flehentliche Gnadengesuche bringen allerdings einen speziell mexikanischen Buddhismus hervor: Dem nun nicht mehr so gelackten Counselor bliebe nur, sein Schicksal zu akzeptieren. Entscheidungen seien schon viel früher gefallen und nicht mehr beeinflussbar.

Und Michael Fassbender nimmt das Schicksal in einer mexikanischen Absteige an, wie nur er es kann. Es gibt keine Helden in diesem Stück Leben, nur Narren, die deutlichste Warnungen überhören, und irgendwelche gottgleiche Stimmen außerhalb des Bildes, die Schicksal spielen. Das spielen die Stars wiederum großartig aus und machen die Sätze von Cormac McCarthy zum mehrschichtigen Genuss. Cameron Diaz beklagt als Geparden-Frau Malkina eiskalt die Weichheit des Herzens als Problem der Menschen. Brat Pitt spielt irgendwo zwischen „The Mexican" und „Killing Them Softly" den warnenden Cowboy, der selbst schon die Schlinge um den Hals spürt. Bardem gibt seiner affigen Rolle herrlich viel Nasen-Zucker und auch viele Nebenparts wären eine Huldigung wert. Pro bono gibt es dann noch einen letzten Ratschlag: Unbedingt ansehen!

19.11.13

Lunchbox

Indien, Frankreich, USA, BRD 2013 (Dabba / The Lunchbox) Regie: Ritesh Batra mit Irrfan Khan, Nimrat Kaur, Nawazuddin Siddiqui, Denzil Smith 101 Min. FSK: o.A.

Liebe geht durch den Magen, aber wegen einer Verwechslung hier durch den Falschen... Dieser sehr genüssliche Essensfilm beginnt seine Romantik mit dem fast dokumentarischen Ablauf einer speziell indischen Art der Nahrungsversorgung, welche die Regisseurin auch schon als Dokumentation beobachtete. Eine indische Hausfrau aus Mumbai kocht für einen Henkelmann mit mehreren Etagen lauter Leckereien, die ein Mann auf dem Fahrrad abholt. Auf einer Umladestation geht es über viele fleißige Hände in den Zug und dann zur Stadt in die Büros, wo das Essen sicher seinen Empfänger findet. Oder auch nicht. Denn Ila (Nimrat Kaur) will eigentlich ihren desinteressierten Mann mit Kochkünsten becircen, doch der Henkelmann mit der grünen Thermo-Umhüllung kommt am Schreibtisch von Saajan (Irrfan Khan) an. Der Versicherungs-Fachmann soll nach 35 Jahren von einem Jüngeren abgelöst werden, schaut aber auch sonst nicht sehr freundlich drein. Doch diese Speisen sind eine Offenbarung für den mürrischen Mann. Und auch die Köchin ist begeistert, als sie die Blechdosen endlich mal komplett entleert zurück erhält. Doch ihr Mann redet abends nur vom üblichen Blumenkohl.

Es beginnt ein Briefwechsel zwischen der frustrierten Ehefrau und dem freudlosen Witwer. Ein Hin und Her von anfangs kleinen Notizen, das sich trotz der nüchternen Inszenierung wie eine humorvolle Screwball-Komödie verhält: Als Saajan sich nicht bedankt und auch noch über zu viel Salz beschwert, bekommt er am nächsten Tag eine sehr scharfe Antwort - mit besonders vielen Chili im Curry. Mit Hilfe der Rezepte und Ratschläge der unsichtbar bleibenden Nachbarin, mit der sich Eli über den Hof schreiend unterhält, entwickelt sich jedoch ein sehr offener und persönlicher Austausch. Ila erzählt von ihren Schwierigkeiten in der Ehe, Saajan von seinem Leben nach dem Tod seiner Frau. Seine weisen Ratschläge bleiben freundschaftlich bis der Vorschlag kommt, gemeinsam wegzuziehen. Dabei hat Ila eine kleine Tochter und kennt noch nicht mal den Namen ihres Brieffreundes. Der junge Kollege, den Saajan nur widerwillig einarbeitet, stört scheinbar die einsamen Momente der Mittagspause, in denen er einsam die Briefe genießen will. Doch gerade im Umgang mit dem ungelittenen Nachfolger zeigt sich die wunderbare Öffnung des zurückgezogen lebenden Mannes.

„Lunchbox" ist indisch aber kein zuckersüßer oder zartbitterer Bollywood-Film. Es gibt auch keine Tanz- oder Musical-Einlagen. Regisseurin und Autorin Ritesh Batra hat ihren sehr gelungenen Liebesfilm anfangs sehr zurückhaltend und doch raffiniert inszeniert. Es entfaltet sich im langsamen Näherkommen eher eine stimmungsvolle indische Variante von Wong Kar-Wais „In the Mood for Love" als ein lautes Bollywood-Spektakel. Auch da spielte ja der Henkelmann eine entscheidende Rolle bei der Begegnung der Liebenden, die so schwer zueinander kamen.

Dieser filmische Briefroman entwickelt eine ungeahnte Intensität über die gefühlvolle Geschichte und großartige Schauspieler, die hervorragend die leisen und feinen Emotionen beherrschen. Ein Liebes-Melodram über die großen Gefühle im einfachen Leben, über Traurigkeit auf dem falschen Weg und den Mut, eingefahrenes Verhalten zu verändern.

Der Mohnblumenberg

Japan 2011 (Kokuriko-Zaka Kara) Regie: Goro Miyazaki 88 Min. FSK: o.A.

Gewachsene Strukturen und Architekturen, die für Großevents wie Olympiaden oder Weltmeisterschaften weichen müssen, sind ein ganz aktuelles Thema. Davon erzählt die reizvolle Romanze „Der Mohnblumenberg" ausgerechnet in sehr schön nostalgischen Bildern: Im Jahr 1963 hisst die 17-jährige Umi jeden Morgen die gleichen Signalfahnen als Gruß an die Schiffe in der Bucht von Yokohama. Die Schülerin lebt mit Großmutter, Schwestern und Gästen in einem alten Herrenhaus. Eines Tages erhält sie in der Schülerzeitung eine poetische Antwort auf ihren Gruß und kommt dadurch mit dem jungen Aktivisten Shun zusammen, der für den Erhalt eines studentischen Clubhauses kämpft. Eine zarte Liebesgeschichte beginnt, die jedoch bald von familiären Verstrickungen getrübt wird. Wichtiger ist jedoch das gemeinsame Handeln für die Wahrung der traditionellen Kultur-Institution.

Regisseur Goro Miyazaki („Die Chroniken von Erdsee") ist Sohn des legendären Hayao Miyazaki („Ponyo", „Prinzessin Mononoke", „Chihiros Reise ins Zauberland", „Das wandelnde Schloss") und beide arbeiten für das berühmte Studio Ghibli. „Der Mohnblumenberg", nach einem Manga für Mädchen entstanden, ist jedoch ganz anders als beim Vater, der das Drehbuch schrieb, sehr „realistisch" gezeichnet. Der Zauber liegt hier in der Qualität liebevoller Zeichnungen und Details, nicht in Handlung und märchenhaften Figuren. Was nicht weniger reizvoll ist. Nur manchmal scheinen die ganz enthusiastischen Gesichter der Menschen sich in Tierwesen zu wandeln, wie sie es immer beim Klassiker „Pom Poko" (auch nach einer Idee des Seniors) taten.

„Der Mohnblumenberg" legt seine Figuren mit klarem Strich und trotzdem mit erstaunlich viel Charakter an. Wieder einmal muss der westliche Zuschauer erkennen, dies ist kein Zeichentrickfilm „für die Kleinen", sondern ein richtig großer Film, der einer „richtigen" Romanze in nichts nachsteht. Und in Nostalgie schwelgt. Eine im Hintergrund festgehaltene, ungemein sehenswerte Vergangenheit, die auch von der bevorstehenden Olympiade und modernen Zeiten bedroht ist. Passend dazu der Film-Score mit kurzen, jazzigen Melodien und vor allem Kyū Sakamotos Hit „Sukiyaki" aus genau dieser Zeit, der es als einziges japanisches Lied zum Nr. 1 in den USA schaffte. Zwar passt zum Zeit-Kolorit auch die traditionelle, fast ganz auf Kochen und Putzen reduzierte Frauenrolle Umis. Aber letztlich ist sie es, die das Clubhaus rettet: Der im positiven konservative Geist dahinter lautet, das Alte zu pflegen, um es mit der Erinnerung zu erhalten.

18.11.13

Malavita - The Family

USA, Frankreich 2013 (The Family) Regie: Luc Besson mit Robert De Niro, Michelle Pfeiffer, Tommy Lee Jones, Dianna Agron, John D'Leo 107 Min. FSK: ab 16

„Malavita" ist die alte Fisch-aus-dem-Wasser-Geschichte mit einer Mafia-Familie, die dank Zeugenschutzprogramm in einem Dorf der Normandie landet. Eine zwar nicht ganz neue, aber tolle Idee, mit Robert DeNiro und Michelle Pfeiffer klasse besetzt. Aber leider bis auf einige Super-Szenen auch furchtbar holperig in den Stimmungen und zwischen den guten Momenten. Bei einer so verhunzten Montage dieser Komödie mit Spannungseinlage, kann man einfach nicht glauben, dass Luc Besson („Das fünfte Element", „Léon - Der Profi", „Nikita", „Im Rausch der Tiefe - The Big Blue", „Subway") Regisseur und Produzent ist.

Sie hat sichtlich Erfahrung mit dem Umziehen, die Familie Blake. Routiniert findet sie sich selbst nachts in der neuen Wohnung im Dorf bei Le Havre zurecht. Fred (Robert De Niro), der eigentlich Giovanni Manzoni heißt und einst Brooklyn für den Mob kontrollierte, verbuddelt am ersten Abend direkt mal eine Leiche. Nicht nur die Musik klingt dabei nach Mafia. Maggie Blake (Michelle Pfeiffer) jagt beim ersten Einkauf, der wieder keine Erdnuss-Butter auftreiben konnte, den Lebensmittelladen mit gehässigen Franzosen in die Luft - wieder einmal! Die lieben Kinder Belle (Dianna Agron) und Warren (John D'Leo) analysieren am ersten Vormittag das komplette Sozialgefüge der Schule, um unter anderem direkt den Zigarettenmarkt zu übernehmen.

Fred hält sich an keine Regel, sein Wunsch nach klarem Leitungswasser führt zu einer Blutspur in dem sonnigen Dorf. Im Gewächshaus findet er eine Brother-Schreibmaschine und zum Entsetzen seines FBI-Kontaktbeamten Robert Stansfield (Tommy Lee Jones) entsteht langsam eine Biografie, die bis nach Washington für Unruhe sorgt. Denn bislang sind nur 20 Mio. Dollar auf Giovannis Kopf angesetzt. Und die Finger, die bei seinem ehemaligen Paten im Knast ankommen, sind immer von anderen.

Klingt gut, ist es aber höchstens vereinzelt: Schon die Einführung von „Malavita" geriet nicht so schwungvoll, wie man es mittlerweile von fast jedem Film gewohnt ist. Auch später reichen die Ansätze für große Szenen nicht weit. Das üppige Grillfest zur Integration in die Gemeinschaft startet mit „Pop Muzik" von M auf der Tonspur und hätte eine schrille Szene wie in Paolo Sorrentinos „Il Divo" werden können. Letztlich ist sie aber trotz bester Besetzung und Kamera (Thierry Arbogast) nicht unterhaltsamer als Ähnliches aus einer TV-Serie.

In der letzten halben Stunde scheint es dann ganz spannend zu werden, doch die gekonnte Action verpufft, zu leicht wird die Killer-Familie mit eigentlich überlegenen Gegnern fertig. Doch auch in diesem Misslingen sieht es beispielsweise richtig gut aus, wie das Töchterchen mit weißem Kleid und Perlenkette heulend in dunkler Gasse niedersinkt.

„Malavita" wirkt immer wieder wie das frühe Werk von einem, der Filmkunst machen will, aber noch viel lernen muss. In Ansätzen talentiert, aber zu viel vergeigt und unverzeihlich viel vergeben. Wahrscheinlich haben alle nur mitgemacht und Geld gegeben, weil da diese eine Szene ist, in der dieser Mafioso sich inkognito beim lokalen Filmclub als Ehrengast Scorseses „Goodfellas" anschaut und anschließend äußerst fachkundig kommentiert. DeNiro schaut sich einen DeNiro-Film an, in dem er die Mafiosi-Rolle spielt, die er gerade als Giovanni verheimlichen muss und sowieso eigentlich meistens spielt oder parodiert. Diese Szene wird man im Gedächtnis behalten, den Rest kann man vergessen.

Wer hier zu oft Misslingen liest, dem sei mit Mafiosi-Nachdruck gesagt, dass der große Giovanni Glück, Wut, Verachtung und Respekt mit nur einem Wort ausdrücken kann: Fuck!

The Getaway (2013)

USA, Bulgarien 2013 (Getaway) Regie: Courtney Solomon mit Ethan Hawke, Selena Gomez, Jon Voight, Rebecca Budig 90 Min. FSK: ab 12

Symptomatisch: Erst sieht man das Gesicht des Autos, dann den Schauspieler Ethan Hawke. Äußerliches und Blechschäden, daran hält sich dieser Actionfilm in seinen öden Schleifen durch Bulgariens Hauptstadt Sofia. Langeweile auf vier Rädern und zu vielen Drehbuchseiten bringt die Idee, dass dem ehemaligen Rennfahrer Brent Magna die Frau entführt wird, damit er am Steuer einen Proll-Autos für Unfälle und Chaos sorgt. Die Anweisungen eines Unbekannten (Jon Voight) erreichen ihn über Handy, kontrolliert wird er von vielen Kameras am Auto, die eine hektische Schnittfrequenz noch erhöhen. Diese extrem simplifizierte „Driver"- oder „Transporter"-Idee lässt die Marionette am Steuer während einer Nacht mehrere Aufgaben erfüllen. Dass der Unbekannte möglichst viele Straßen Sofias blockieren will, wird dem Zuschauer viel früher als dem Fahrer klar, der derweil noch ein paar Runden Pac-Man im Stadtplan spielt. Irgendwann kommt eine ziemlich unglaubliche Beifahrerin (Selena Gomez) hinzu, aber auch etwas mehr Gehirn auf Beifahrer-Sitz ändert nichts an den Wiederholungen von Vollgas-Leerlauf im Wettrennen mit unzähligen Polizei-Autos, die zum Verschrotten freigegeben sind. Dieser ganz normale Autofahrer-Alltag in der Stadt ist im Vergleich zu etwa „72 Stunden" so kraftvoll wie ein 2-Takt-Mofamotor. Inflationäre Billig-Crashs machen höchstens „Alarm für Cobra 11" Konkurrenz, die Scherze sind ähnlich lahm bei dieser filmischen Umweltverschmutzung.

Aschenbrödel und der gestiefelte Kater

BRD 2013 Regie: Torsten Künstler mit Ezra Finzi, Carsta Zimmermann, Ina Gercke, Torsten Schnier, Claudia Graue, Roger Jahnke 60 Min. FSK: o.A.

Mitmachkino für Kinder ist die große Entdeckung des im wahrsten Sinne des Wortes bewegenden Films „Aschenbrödel und der gestiefelte Kater". Aber auch der Spaß, Märchen der Brüder Grimm sehr flott, modern und toll umgesetzt zu sehen, macht diesen kurzen Film zu einem Kino-Muss für junge Familien.

Als der kleine Paul nach einem Umzug im winterlichen Berlin landet, wo es nach Meinung des unheimlichen Vermieters keine Märchen gibt, fühlt er sich sehr verloren. Doch seinen geliebten Märchen folgend, landet er mit seinem größeren Bruder in einer verträumt weichgezeichneten Märchenhütte, wo der eigentliche Film, der ursprünglich Theater ist, beginnt: In der urigen Hütte sprechen und spielen jeweils zwei Schauspieler vor kleinem Publikum auf tollste Weise Märchen der Brüder Grimm kongenial nach. Das klingt öfter mal wie Rene Marik oder Kurt Krömer, nicht nur weil Aschenbrödel berlinert. Auch der Humor kommt in ähnlicher Tonlage daher. Auf einer zweiten Ebene spielen die großartigen Komödianten - genial: Roger Jahnke als Prinz/Stiefmutter/Stiefschwester - auch mit der alten Sprache der Grimms. Da wird das Rebhuhn als Rap-Huhn toll durchgerapt und kurz stolpert der Text beim Wörtchen „toll", das heute etwas anderes meint als vor 200 Jahren. Genial außerdem, wie die fliegenden Rollenwechsel manchmal in einem Satz gelingen. Nur die über alles gegossenen Filmmusik legt sich zu sehr und überflüssig ins Zeug,

Weiterhin agiert Pauls Märchen-Teddy als Simultan-Dolmetscher: Er taucht auf der Leinwand auf und klatscht, singt oder streckt an ausgewählten Stellen gar die Zunge raus, auf dass es die Kinder im Publikum mitmachen. Und sie machen direkt mit. Als zusätzliche Identifikations-Figur souffliert Paul aus den Zuschauerrängen des bei den Märchenhütten-Aufführungen abgefilmten Publikums. Die Märchenhütte Berlin wird vom Theater Hexenkessel auf einem Bunkerdach im Berliner Monbijoupark seit 2007 bespielt. Auch wenn das tolle Theater mit dem Mitmach-Teddy geschickt ins Kino übertragen wurde - letztlich macht der Film auch sehr viel Lust auf das eigentliche Theater-Erlebnis.

Ich und Du

Italien 2012 (Io e te) Regie: Bernardo Bertolucci mit Jacopo Olmo Antinori und Tea Falco 97 Min.

Bernardo Bertolucci ist längst Legende. Wie er die kleine, rührende Jugend-Geschichte von „Ich und Du" inszeniert, zeigt jedoch, dass er mit all seinem Können voll im Leben steht. Ein pubertierender Junge will sich vor der Schulfahrt drücken und versteckt sich im Keller des eigenen Mietkomplexes, zufällig kommt seine ältere Stiefschwester vorbei und will ausgerechnet hier mit einem Kalten Entzug von den Drogen loskommen. David Bowies „Space Oddity", jeweils einmal in der italienischen und der englischen Version, charakterisieren die Drogenproblematik der Schwester und die Isolation des Sohnes. Das Keller-Kammerspiel entdeckt zwei junge Schauspieler, erzählt berührend feinfühlig und schenkt ein bitter-süßes Ende.

Lorenzo, ein 14-jähriger, pubertierender Junge, will sich vor der Skifreizeit drücken und versteckt sich deshalb im großen Kellerraum des eigenen Mietkomplexes. Die Mutter denkt, er ist mit der Schule weg, die Lehrer glauben, er ist krank zuhause. Zwischen alten Schränken und Kisten lässt sich leicht eine kleine Höhle bauen, ein Sofa wird zum Bett. Nur ein kleines Fensterchen lässt den Blick auf die Beine der Passanten zu. Zusätzlich baut der schüchterne Junge einen Kopfhörer-Schutzwall mit seiner Musik. So wie er sich den Menschen abschirmt, so distanziert beobachtet er auch einen Ameisenbau, den er hinter den Glasscheiben seinen Terrariums hält. Lorenzo geht es also gut in seinem Keller-Versteck, nur manchmal stört ein Hausmeister. Doch eines Nachts erschreckt ihn ein anderer Eindringling.

Seine ältere Halbschwester Olivia, die schon vor Jahren ausgezogen ist, sucht nach alten Sachen und nach einem ersten, sehr ruppigen, gegenseitigen Anfauchen beginnen die beiden, einige Familiengeschichten klären. Lorenzo und Olivia wissen kaum etwas von einander, geben sich aber gegenseitig die Schuld am Scheitern der Familie. Was bei ihr zu einer traurigen und erschreckenden Situation führte: Drogen- und vergnügungssüchtig lässt sich Olivia von einem älteren Freund aushalten und mit Koks versorgen, der gleichzeitig Vaterfigur und Zuhälter in sich trägt. Energie für ihre eigenen, eindrucksvollen Fotos bleibt ihr keine. Lorenzo muss sich plötzlich um die Schwester kümmern, steht ihr bei einem Kalten Entzug bei. Es entwickelt sich eine zärtliche Nähe in diesem intensiven Kellerkammer-Spiel. Und irgendwann zerbricht die Glaswand, Lorenzo tritt ins Freie...

„Ich und Du" ist nach 30 Jahren erstmals wieder ein italienischer Film von Bernardo Bertolucci. Der Regisseur von filmischen Meilensteinen wie „Der letzte Tango in Paris" (1972) „1900" (1976), „Der Letzte Kaiser" (1987) oder „Little Bhudda" (1993) ist längst Legende, ein alter Mann, könnte man denken. Doch „Ich und Du" ist nach dem 68er-Drama „Träumer" (2003) und „Stealing Beauty" (1996) wieder ein Film über das Erwachsenwerden junger Menschen. Wie Bertolucci die kleine, rührende Jugend-Geschichte inszeniert, zeigt dass er mit all seinem Können voll im Leben steht.

Ein Lied in zwei Sprachversionen war neben dem Roman „Io e te" von Niccolò Ammaniti Inspirationsquelle: David Bowies „Space Oddity", jeweils einmal in der englischen und der italienischen Version charakterisieren die Drogenproblematik der Schwester („Ground control to major Tom, your circuits dead, there's something wrong. Can you hear me, major Tom?") und die Isolation des Sohnes („Ragazzo Solo, Ragazza Sola").

„Ich und Du" entdeckt in seiner berührend feinfühligen Erzählung und in seinem bitter-süßen Ende auch zwei junge Schauspieler: Jacopo Olmo Antinori beeindruckt enorm als erst schüchterner und dann entschlossener Lorenzo. Dabei ist dies erstaunlicherweise erst die erste Filmrolle des 1997 geborenen und bereits theater-erfahrenen Römers. Die als Olivia so zerbrechlich wirkende Tea Falco ist ein wahres Multitalent: Als Fotografin erhielt sie den wichtigsten Preis für Gegenwartskunst in Italien, den Premio Basilio Cascella im Jahre 2011. Ihre Bilder werden weltweit ausgestellt. Dazu hat sie einen Abschluss in Kommunikations-Wissenschaften, spielte auf der Bühne und vor der Kamera. Olivia ist ihre erste Hauptrolle. So wie diese Talente eine Offenbarung auf der Leinwand darstellen, bietet der Film über eine Öffnung mehr als einen Grund, sich mal wieder in einen dunklen, geschlossenen Raum zu begeben.

12.11.13

Jackpot - Vier Nieten landen einen Treffer

Norwegen 2011 (Arme Riddere) Regie: Magnus Martens mit Kyrre Hellum, Mads Ousdal, Arthur Berning 83 Min. FSK: ab 16

Das am Anfang stehende Ergebnis sieht aus, wie auf dem Set von Quentin Tarantino zusammengekehrt: Sieben Leichen in Striplokal, ein völlig blutverschmierter Vorraum und noch ein paar Leichen vor der Tür. Oscar Svendson, der mit dem Gewehr in den Händen unter einer der Leichen hervor kriecht, scheint eindeutig der Täter zu sein. Allerdings macht die Geschichte schnell klar, dass er auf seiner Arbeitsstätte unter lauter schweren Verbrechern der einzige Harmlose war. Kontakt mit der Polizei hatte er bisher allein wegen Geschwindigkeitsübertretungen und nur sein Job als Vorarbeiter brachte ihn in Kontakt mit dem Verbrechen.

Der liebe und harmlose Oscar gibt widerwillig für seine schweren Jungs ein Toto-Zettel ab. Allerdings lässt er sich von der süßen Frau an der Annahmestelle überreden, ein Spielergebnis zu verändern. Sie hatte Recht und er nun den Jackpot in der Tasche. Worauf seine Kumpels direkt anfangen, sich gegenseitig zu dezimieren. Das führt zu netten Momenten, wenn mitten im Zerlegen des ersten verschiedenen Gewinners die Toto-Gesellschaft anruft und fragt, ob sie Hilfe beim Anlegen des Geldes brauchen.

In seiner Erzählung springt der alberne Mords-Spaß wild zwischen dem Verhör, dem Verbrechen und der Vorgeschichte hin und her. Es gibt den üblichen Spaß mit einer Leiche, die irgendwie verschwinden muss, und die kriminellen Deppen, die wir seit „Fargo" zu gut kennen. Neben dem Spaß, Gangster zu Plastikweihnachtsbäumen recycelt zu sehen, hält vor allem die Montage für Spannung. Und die Frage, was eigentlich passiert ist. Immerhin hat Ko-Autor Jo Nesbø den Roman für den richtig spannenden „Headhunters" geschrieben.

Last Vegas

USA 2013 (Last Vegas) Regie: Jon Turteltaub mit Robert De Niro, Morgan Freeman, Kevin Kline, Michael Douglas, Mary Steenburgen, Jerry Ferrara 101 Min. FSK: o.A.

Vier Freunde und ein Hochzeitsausfall

In einer Super-Extra-Sonder-Besetzung spielen Robert De Niro, Morgan Freeman, Kevin Kline und Michael Douglas „Hang over 70". Oder auch „Das Beste kommt zum Schluss 2", worauf nicht nur die erneute Anwesenheit von Morgan Freeman hinweist. Aber bis „Last Vegas" zu seinem Besten am Schluss kommt, muss man etwas oberflächlichen Vegas-Glimmer und ein paar Belanglosigkeiten durchstehen.

Der reiche End-Sechziger Billy (Michael Douglas), ein Immobilien-Händler mit schmutzigen Witzen, stellt seiner wesentlich jüngeren Frau ausgerechnet auf einem Begräbnis unter lauter Scheintoten einen Heiratsantrag. Da sie Ja sagt, will Billy auch den Junggesellen-Abschied mit seinen alten Gesellen feiern.

Archie (Morgan Freeman) flüchtet nur zu gerne vor seinem nicht wirklich pflegebereiten Sohn. Sam (Kevin Kline) flieht den Trott seiner Ehe, bekommt aber von seiner Frau Viagra und ein Kondom mit auf die Reise. Nur der griesgrämige Paddy (Robert De Niro) muss wirklich überredet werden, weil er Billy nicht verzeihen will, dass dieser dem Begräbnis seiner Frau fernbliebt.

So streiten sich die Herren erst mal eifrig und mit sehr witzigen Worten, dann gibt es „die erste Party, die von der Krankenkasse übernommen wird" und zum Schluss wirkliche Weisheiten und so viel Sentimentalität, dass sich das Wohl- und Glücksgefühl über die ganze Filmerinnerung ergießt. Das Loblied auf die Freundschaft und die wahre Liebe überzeugt aber auch mit einer Unzahl komischer Einfälle, die äußerst gekonnt umgesetzt werden: Wer wollte nicht mal DeNiro als grimmigen Witwer sehen, der nur so tut, als ob er ein Mafia-Boss sei. Oder einen skeptischen Blick von Michael Douglas auf sich selbst im Spiegel. Dazu ein paar obercoole Tanzschritte und Flirt-Tipps von Morgan Freeman und Kevin Kline, der sich - ohne Brille besser aussehend aber halbblind - direkt an ein Rudel Transvestiten ranbaggert.

Jon Turteltaub, der bisher eher nur flachere Komödien („Cool Runnings") und meist mäßige Dramen („Das Vermächtnis der Tempelritter", „Duell der Magier") inszenierte, vielleicht mit Ausnahme von „Während du schliefst" (1995), gelingt nach langer Zeit mal wieder ein richtig sehenswerter Kinospaß.

Um jeden Preis - At any price **

USA 2012 (At any price) Regie: Ramin Bahrani mit Dennis Quaid, Zac Efron, Kim Dickens, Heather Graham, Clancy Brown 105 Min.

Kleine Giganten kopieren Gen-Mais und amerikanische Filmgeschichte.

Und sie wissen sehr wohl, was sie tun! Junge Filmemacher, die einen Dean gegen den Baum und gegen die Prinzipien des Vaters rasen lassen, haben ihren Stevenson gut studiert. Und hängen angesichts solcher "Giganten" die Vaterfigur sehr hoch. So bleibt das Ur-Amerikanische in dieser Geschichte einer kleinen Maisfarmer-Dynastie kraftlos. Zac Efron und Dennis Quaid sind als Farmer-Vater und -Sohn Abziehbilder größerer Idole. Die Frauen und Affären an ihrer Seite (Heather Graham) könnten mehr überzeugen in diesem Film, der den Schwebezustand nie verlässt. Dabei bricht alles zusammen: Das Unternehmen, weil es die Copyright-Fesseln eines Konzerns gebrochen hat, der "Leben patentiert". Die Rennfahrer-Karriere vom Sohn wegen Raserei. Die Hoffnungen auf den anderen Erben, der lieber in Südamerika Berge besteigt. Neu ist nur der Wandel im Treibstoff auf der wirtschaftskritischen Ebene des Films: Vom Öl in Stevensons "Giganten" zum Gen-Mais, der Biosprit sein wird und im Hintergrund drehen sich schon die Windräder. Dann werden auch die größten Haie, die mit ihrer Landrafferei andere Familien ins Verderben gestürzt haben, am Haken der Lebensmittel-Konzerne verenden. "Grow or die", das Wachsen „um jeden Preis" führt in die Tragödie, oder: zu "Schuld und Ernte".

Jung & schön

Frankreich 2013 (Jeune & jolie) Regie: François Ozon mit Marine Vacth, Géraldine Pailhas, Frédéric Pierrot, Charlotte Rampling, 94 Min. FSK: ab 16

Welch ein Beitrag zur notwendigen Diskussion um ein Prostitutions-Verbot: François Ozon macht in seinem Cannes-Film „Jung & schön" nachfühlbar, dass eine 17-Jährige - großartig gespielt vom bekannten Model Marine Vacth - aus guter Familie es genießt, auf den Strich zu gehen: „Geld macht die Beziehungen einfacher!" Dieser radikale Schritt in Unabhängigkeit, sexuelle Selbstbestimmung und Erwachsensein provoziert komische bis dramatische Reaktionen der Umwelt. Das spannende Experiment gestaltet der französische Meisterregisseur mit großer Sicherheit und unterschiedlichen Stimmungen über vier Jahreszeiten hinweg.

Es beginnt mit einem der voyeuristischen Blicke, denen der Film auch reich ist: Mit dem Fernglas wird eine junge Frau oder ein fast erwachsenes Mädchen am Strand beobachtet. Aber, es ist nur der kleine Bruder von Isabelle, die bald 17 wird. (Auch wenn man, bei allem, was der Bruder miterleben wird, ihm einen eigenen Film widmen sollte.) Zeit also für Isabelle, das erste Mal mit einem Jungen zu schlafen. Eine grausam großartige, nächtliche Strand-Szene mit grober, liebloser Gymnastik, die den Regisseur François Ozon wieder als sensiblen Frauenversteher ausweist. Isabelle steigt einfach aus, während sie in einer Doppelbelichtung wirklich neben sich steht und das Geschehen eher erstaunt als verletzt beobachtet.

Ein paar Monate später ist Isabelle im Pariser Herbst auf dem Weg in ein edles Hotel, die lässigen Klamotten wechselt sie mit einem edlen Kleid und auf dem Zimmer schläft sie mit einem Kunden für Geld. Es ist irritierend, wie die Frau hierhin gekommen ist. Psychologische Verbindungen zur ersten Episode kann man ziehen, der Film tut es nicht. Geld haben sie und ihre Familie genug. Man kann es sich auch nicht mit einer zerrütteten Familie leicht machen, dazu ist der Stiefvater viel zu sympathisch und richtig an seiner Stelle.

Isabelle selbst wirkt melancholisch und seltsam verschlossen, auch wenn sie sich freizügig gibt. In der Schule versucht man mit Rimbaud zu ergründen, wie es ist, 17 zu sein. Die Lust am Sex lässt sie schnell den nächsten Kunden kontaktieren, wenn der erste nicht befriedigend war. „Geld macht die Beziehungen einfacher!" lautet ihr Schlüsselsatz. Nüchtern ausgedrückt sind es 300 Euro pro Freier.

Der Winter rafft ausgerechnet mitten im Akt den älteren Dauerkunden Georges hin, bei dem alleine sich Isabelle etwas öffnete. Die Polizei kommt ins Spiel und die Familie ist in heller Aufregung. Nun ist die junge Schöne Zentrum einer Komödie um spießbürgerliche Moral. Isabelle als „Belle de Jour" von Heute, in der Rolle, die für Catherine Deneuve einst bei Bunuel etwas brutaler ausfiel. Dass die Sünderin nun herrlich mit dem irritierten Stiefvater und dem Psychologen, der im Gegensatz zu ihr lächerliche 70 Euro die Stunde macht, spielt, gibt dem Film wieder einen anderen Ton, macht es erneut schwierig, ihn einfach einzuordnen oder moralisch zu verdammen.

Und auch die vierte Episode, die Isabelle mit einem Freund, und die Familie zufrieden zeigt, hat eine besondere Note samt finaler Überraschung. Denn dies ist schließlich ein Film von François Ozon, der nicht nur wegen „Swimming Pool" oder „8 Frauen" als formvollendeter Meister gilt, aber auch immer wieder überraschen kann. Zur Einstimmung in die vier Jahreszeiten wählte er schöne Chansons der französischen Musik-Ikone Françoise Hardy. In einer der wunderbarsten unter den vielen wunderbaren Szenen trifft Isabelle auf die Witwe Georges, gespielt von Charlotte Rampling. Hier kann selbst der härteste Kritiker eines vermeintlich kühlen Spiels um eine vermeintlich gefühlskalte Frau sich der garantierten Gänsehaut nicht erwehren.

Zaytoun

Israel, Großbritannien, Frankreich 2012 Regie: Eran Riklis mit Stephen Dorff, Abdallah El Akal, Alice Taglioni 110 Min. FSK: ab 12

Beirut mitten im Bürgerkrieg der 80er-Jahre. Fahed (Abdallah El Akal), ein Junge aus einem der palästinensischen Flüchtlings-Lager rennt mit seinen Freunden durch die zerbombte Stadt und machen die sichtbaren und die inneren Grenzen deutlich. Die Flüchtlinge sind bei den Bewohnern unerwünscht, die christlichen Phalangisten schießen auf sie, als wären die Menschen Schießbuden-Figuren. Außerhalb des Lagers sind auch die Kinder Freiwild.

Erst als ein Granateneinschlag seinen Vater tötet, jetzt folgt Fahed grimmig der Ausbildung zum Kindersoldaten. Kurz darauf stürzt der israelischer Pilot Yoni (Stephen Dorff) ab und wird der Brigade des Jungen eingesperrt. Fahed beteiligt sich anfangs an der gehässigen Folter des Feindes, vielleicht war ja genau dieser Pilot am Angriff beteiligt, der ihm Vater nahm? Doch dann flieht der Junge mit der Geisel, damit dieser ihm zu seinem von Israel besetzten Heimatdorf bringt. Rechtzeitig zur Olivenernte.

Es beginnt eine ereignisreiche Reise durch ein Minenfeld - wortwörtlich und sinnbildlich. Der preisgekrönte israelische Regisseur Eran Riklis („Lemon Tree", „Die syrische Braut") beleuchtet den Konflikt zwischen Israel und Palästina mit einem Buddy- und Road-Movie, das sich viel um die Bewegung kümmert. Yoni ist verletzt durch eine Kugel Faheds, der junge „getroffen" von einer israelischen Bombe. Trotzdem raufen sie sich zusammen und entdecken Gemeinsamkeiten. „Zaytoun" ist das arabische Wort für Olive, der Ölzweig ein Zeichen des Friedens. Die Symbolik ist unübersehbar, wenn Fahed ein Olivenbäumchen liebevoll pflegt und es bei der ganzen Odyssee mitschleppt.

Regisseur Eran Riklis kehrt nach seinem deutsch-israelischen Basketball- und Geschichts-Drama „Playoff" (2011) mit viel Lust an der Re-Inszenierung der historischen Gassen und Lebensumstände zurück in seine Herkunfts-Region. Dort spielten auch seine erfolgreichen Filme „Cup Final" (1991), „Die syrische Braut" (2004) und „Lemon Tree" (2007), dort startete „Die Reise des Personalmanagers" (2010). Der Einsatz von Stephen Dorff („Somewhere", „Public Enemies", „Krieg der Götter") als Israeli macht den Film international attraktiver, funktioniert aber ganz gut, weil man sich sowieso Englisch miteinander spricht. „Zaytoun" ist spannend, etwas einfach gestrickt, aber immer wieder auch bewegend. Wie in einer kurze Illusion eines Miteinanders, während schon der nächste „Vergeltungs"-Angriff gegen den Libanon geflogen wird. Letztlich muss Fateh, obwohl er den weiten Weg zu seinem Dorf geschafft hat, wieder zurück zum Großvater ins Beiruter Lager, zu dem auch schon die Bomber unterwegs sind. Eine dieser UN-Unsinnigkeiten, die auch „Die syrische Braut" so ergreifend machten.

10.11.13

Hemel

NL 2012 Regie: Sacha Polak mit Hannah Hoekstra, Hans Dagelet, Rifka Lodeizen 83 Min.

Hemel (Hannah Hoekstra) ist eine junge, zierliche, rot-blonde Niederländerin. Wir lernen sie provokant und spöttisch im Bett kennen, wo sie seinem Geschlechtsteil niedliche Kosenamen gibt, was die Stimmung prompt knickt. Die Frau, deren Namen auf deutsch Himmel bedeutet, ist teuflisch gut darin, hart und gemein zu sein. Zur enthaltsamen, religiösen Freundin des Stiefbruders, zur neuen Frau des Vaters und zu fast allen Männern, die sie Nacht für Nacht aufreißt. Aber wenn Hemel nackt, rasiert und ungeschützt auf dem Rücken liegt, wirkt sie auch sehr verletzlich.

Hemel sucht sich immer wieder neue Männer und schmeißt sie danach schnell aus dem Bett. Treu bleibt sie nur ihrem Vater Gijs (Hans Dagelet) in einem sehr innigen Verhältnis von Freundschaft, von Komplizenschaft bei schnell wechselnden Beziehungen. Dazu verbinden beide viele Berührungen, einmal trägt er sie auch nachts auf die Toilette. Hemels Mutter starb früh.

„Hemel" zeigt sich direkt und un-verschämt wie seine Hauptfigur, ist zwar im Ausdruck vergleichbar, aber doch nicht „Feuchtgebiete" auf Niederländisch. Außerdem kam der Arthouse-Erfolg schon mehr als ein Jahr früher heraus. „Hemel" könnte man eher als weibliche Version von „Shame" mit einer intensiven Vater-Tochter-Geschichte sehen.

Das Debüt von Sacha Polak erzählt bruchstückhaft in durch Zwischentitel getrennte Episoden, aber das sehr, sehr intensiv. Das in kaltes Licht getauchte Drama eines Himmels ohne Mutterliebe bleibt fragmentarisch und offen für Verbindungen, die der Zuschauer selbst ziehen kann. Etwa zwischen dem Selbstmord der Mutter und einer einsamen, wortlosen Szene auf einem Dach in Sevilla, nachdem Hemel von einer neuen Freundin des Vaters gehört hat und von einem Jungen erzählte, der sich (wirklich?) ein paar Stunden vorher vom Dach gestürzt hatte.

Die starke Wirkung des Films basiert vor allem auf dem Spiel der 1987 geborenen Hannah Hoekstra, die für ihre erste Rolle in einem Spielfilm direkt mit dem „Golden Calf", dem niederländischen Filmpreis als „Beste Darstellerin" 2012 gefeiert wurde. Hoekstra haut regelrecht um, sei es in einer kleinen Playback-Show zu einem niederländischen Schlager, die in eine brutale SM-Szene übergeht. Oder bei einem Flamenco-Moment in Sevilla und vielen anderen Facetten von Unsicherheit und Verletzung. Hemels Verhalten wurde interpretiert als das von Heranwachsenden, „die ihre Sexualität als Betäubung gegen Wachstums-Schmerzen gebrauchen, als Waffe und Panzer gegen all des Komplizierte und Bedrohende des Erwachsenen-Lebens". Selbstverständlich kann Hemel im Gespräch mit der frischen Ex des Vaters nicht bestätigen, dass Sex nicht das Wichtigste ist. Nur dass die älteren Männer wissen, was gut für Hemel ist und was die echten Gefühle sind, ist ein etwas einfaches Element in diesem faszinierenden, ästhetisch wie psychologisch gelungenen Erstlingswerk mit einer besonderen Schauspielentdeckung.

Don Jon

USA 2012 (Don Jon's Addiction) Regie: Joseph Gordon-Levitt mit Joseph Gordon-Levitt, Scarlett Johansson, Julianne Moore 90 Min.

Super- und Jungstar Joseph Gordon-Levitt zeigt sich in seiner ersten großen Regie als pornosüchtiger Schönling, der zuerst von einer neuen Freundin Druck und dann von einer älteren Frau Einblicke ins echte Leben bekommt. Scarlett Johansson und Julianne Moore glänzen neben dem Wunderkind in dieser umwerfend guten und klugen Komödie mit Tiefgang.

Was macht eigentlich ... Joseph Gordon-Levitt? Der junge und sensationelle Premium-Hauptdarsteller von „Looper", „50/50" und „Premium Rush" (alles in 2012) hat nebenbei noch ein Drehbuch geschrieben, dass immer größer wurde, durfte es selbst inszenieren und bringt mit „Don Jon" einen unglaublich guten Film ins Kino. Dass er auch als Regisseur kein kleiner Junge ist - obwohl er noch so aussehen kann - beweisen schon seine Mitspielerinnen Scarlett Johansson und Julianne Moore. Ach ja: selbstverständlich spielt der Überflieger Joseph Gordon-Levitt selbst auch mit: Er inszeniert sich in der sehr spritzigen Komödie als selbstverliebter, porno-süchtiger Geck.

Don Jon (Joseph Gordon-Levitt) ist süchtig Internet-Pornos! Nicht dass der junge Mann Mangel an echten Abenteuern hätte: Mit Charme, viel Selbstbewusstsein und tatsächlich gutem Aussehen kommt er unverschämt gut an und auch nie ohne neue Frau nach Hause. Wenn sie denn gekommen sind, tauscht der pedantische Schönling die Bettwäsche im schicken Appartement aus und ... zieht sich zur richtigen Befriedigung vor den Computer zurück. Selbst wenn noch eine Frau in seinem Bett liegt!

Das ändert sich, als Barbara (Scarlett Johansson) in sein Leben tritt, mit Kaugummi und Leoparden-Kleid in den einschlägigen Clubs ebenso scharf, ebenso von sich selbst überzeugt. Aber nicht so schnell im Bett, weil sie es ernster meint. Nun dreht der Schönling am Rad, wirbt um Barbara, was das Zeug hält und geht sogar wegen ihr zur Abendschule. Wo ausgerechnet eine andere Frau seine perfekt geregelte Treibabfuhr noch mehr durcheinanderbringt: Esther (Julianne Moore) ist eine - für Don Jon - ältere Hippiefrau, die ihn sofort schockiert, weil sie öffentlich heult. Das ist total pervers, ekelhaft, unfassbar für das Jüngelchen. Dass beide trotzdem zusammenkommen, liegt an Jons Frust - Barbara hat mittlerweile seine Pornos entdeckt - und an Esthers Joints. Sie findet im anspruchslosen Sex mit dem Jungen etwas Trost nach einem tragischen Verlust, und so schockierend diese Gefühle dem sexsüchtigen Clown vorkommen, sie sind echt und lösen heftige Reaktionen aus.

Ganz anders als Michael Fassbender in „Shame" aus 2011 geht Gordon-Levitt die Porno-Sucht an: Umwerfende Komik, herrliche alberne Figuren und rasanter Schnitt sind seine unwiderstehliche Verlockung. Einmal drin im Film „Don Jon", kommt man nicht mehr los von ihm. Jetzt kann der Regisseur und Autor auch die volle Tragik solcher Abhängigkeit rauslassen. Und der Darsteller kann diese Tragik enorm gut ausdrücken. Denn die Figuren sind doch nicht so albern oder klischeehaft. Sie können sich vorsichtig öffnen und zeigen.

Joseph Gordon-Levitt inszeniert sich in der sehr spritzigen Komödie als selbstverliebter, porno-süchtiger Geck. Scarlett Johansson spielt Barbara sehr schön billig und ist gut wie lange nicht mehr. Julianne Moore als sensible und sinnliche Frau toppt das noch einmal. Und dies alles funktioniert bestens im Dienste der raffinierte Dramaturgie, sich lachend schmerzlichen Wahrheiten anzunähern. Schauspielstar Joseph Gordon-Levitt erweist sich auch als Regisseur und Autor als enormes Talent: Sein erster großer Film „Don Jon" ist ein kurzer und knackiger Knaller ins Sachen Humor, Schauspiel und Tiefgang - ein seltener Glücksfall!

Captain Phillips

USA 2013 (Captain Phillips) Regie: Paul Greengrass mit Tom Hanks, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman 128 Min. FSK: ab 12

Nach seinem nicht immer glücklichen Chargieren zwischen Action und Politthriller bei der „Bourne Verschwörung", bei dem britisch-irischen Massaker „Bloody Sunday", dem 9/11 „Flug 93" und der Irak-Depression „Green Zone" zeigt Paul Greengrass in dem neuen, untypischen Thriller „Captain Phillips" mehr oder weniger zwei Wege zur Arbeit in den USA und in Somalia. Tom Hanks glänzt dabei als edler Mensch in rauen Zeiten.

Der Arbeitsweg von Captain Philips (Tom Hanks) wird sehr unspektakulär gezeigt. Fast dokumentarischen nüchtern verabschiedet er sich von seiner Frau, fliegt in den Oman und begutachtet sein neues Schiff. Das ergibt eine gewisse Fallhöhe, oder genauer gesagt eine Aufstiegstiefe für den späteren Helden. In Somalia hingegen ist direkt eine Spannung spürbar. Die Spannung von Armut und gewaltsamen gesellschaftlichen Verhältnissen. Zu sehen sind Schnellfeuerwaffen und ängstliche Blicke. Denn hier sorgt man sich, den Job als Pirat auch wirklich zu bekommen. Sehr geschickt bleiben die Bewertungen zurückhaltend. Der Kapitän wirkt eher langweilig, der kalte Abschied von seiner Frau nicht besonders sympathisch. Um den Somalier Muse (Barkhad Abdi) sorgen wir uns wesentlich mehr.

Da „Captain Phillips" auf die Erinnerungen ebendieses Kapitäns an seine Entführung vor der Küste Somalias („A Captain's Duty: Somali Pirates, Navy SEALS, and Dangerous Days at Sea")
basiert, werden sich die Arbeitswege kreuzen. Wie ein Beamter kontrolliert Richard Phillips sorgfältig das Schiff und ordnet verstärkte Sicherheitsmaßnahmen an. Sein Frachter „Maersk Alabama" schippert kurz durch ruhige Gewässer, dann wird es schnell sehr spannend, als ihm zwei Punkte auf dem Radar folgen.

Mit raffinierten Tricks versucht Phillips sie abzuhängen, er erzeugt höhere Wellen, reizt die Motoren bis zum Äußersten. Weiterhin werden die beiden Männer parallel beobachtet. Ihre Blicke begegnen sich über Ferngläser, ein klassisches Duell beginnt. Schließlich muss sich die Besatzung aber mit Wasserkanonen gegen Maschinengewehre wehren. Man kann wohl erstaunlich einfach mit einem gut motorisierten Kahn ein Riesenschiff entern. Es beginnt ein lebensgefährliches Versteckspiel zwischen den Seeleuten, die ihr Schiff viel besser kennen und den ehemaligen Fischern, denen die Meere leergeschleppt wurden und denen jetzt anscheinend nur die Piraterie bleibt.

Falls Tom Hanks nun einen einfachen Gut-Menschen spielte, der über sein eigenes Martyrium per Buch berichtete, könnte es langweilig werden. Doch er zeigt Phillips glaubwürdig als einen, der verzweifelt um Verständnis und Ausgleich ringt. Verzweifelt und vergeblich angesichts einer irgendwann anrückenden Kavallerie zu Wasser und aus der Luft. Ein eindrucksvoller Hightech-Einsatz beginnt gegen vier wirre, verletzte Khat-Junkies, die in einem Rettungsboot treiben. Mit Captain Phillips als letzter Geisel...

Nicht die Action sondern gerade die Nicht-Action macht diesen intensiven, in jeder Minute perfekt inszenierten Film sehenswert. Es geht um die beteiligten Menschen und die Suche nach Verständigung. Erfreulicherweise sprechen die Somalier ihre eigene, in Untertiteln übersetzte Sprache und kein verbogenes Englisch. Muse wird der Gegenpart von Phillips, wird von diesem auch Captain genannt. Den Ausgleich verhindert immer wieder ein aggressiverer Pirat, angestachelt von interner Rivalität. Doch in Erinnerung bleibt vor allem ein verzweifelter Mensch, der an Ordnung glaubte, der Gutes wollte und seinen kleinen Teil dafür tat, sein Aufschrei angesichts der Scheiterns, angesichts der Gewalt.

Die Legende vom Weihnachtsstern

Norwegen 2012 (Reisen til julestjernen) Regie: Nils Gaup mit Vilde Marie Zeiner, Anders Baasmo Christiansen, Agnes Kittelsen, Stig-Werner Moe 77 Min. FSK: o.A.

Die ersten Weihnachtsfilme werden ebenso missgünstig angesehen wie Spekulatius und Zimtsterne, die mitten im Herbst bei den Supermärkten aufschlagen. Aber mit der schönen norwegischen Märchengeschichte "Die Legende vom Weihnachtsstern" kann man sich tatsächlich vorfreuen.

Die gezeichnete und erzählte Märchen-Einführung erzählt von einer bald abgelaufenen Zehnjahres-Frist für den traurigen König, den Weihnachtsstern wieder zu finden. Einst verfluchte er ihn, nachdem seine Tochter Goldhaar unauffindbar verschwand. Zur gleichen Zeit lebt das Mädchen Sonja bei einer Räuberfamilie das Schicksal von Aschenputtel. Als das gutherzige, hilfsbereite Mädchen bei ihrer Flucht auf den König trifft und das Wiedererkennen vorerst ausbleibt, verspricht sie ihm, den Weihnachtsstern zu finden. Sie kenne schon den Weg, immer nach links, denn da schlägt das Herz.

Während bislang bekannte Motive in einfachen Burg-Kulissen nicht besonders überzeugen konnten, entwickelt sich nun ein fantastisches Märchen mit vielen fantastischen Elementen. Verfolgt von einer bösen Hexe trifft Sonja auf den Wichtel Mose, der ihr zum Dank für seine Befreiung hilft. Sie solle den Bären Petz aus dem Winterschlaf wecken, was überhaupt keine gute Idee sein, aber auch die einzige Möglichkeit, zum Nordwind zu kommen. Mit diesem fliegt das Mädchen über eine norwegische Winterlandschaft zum Weihnachtsmann. Den bittet die uneigennützige Sonja um Hilfe für den König, dass er Goldhaar und den Weihnachtsstern wieder finden möge.

Immer weitere Figuren und fantastische Gestalten gestalten die Reise unterhaltsam bis zum spannenden Finale. Bescheidene Tricks wie der Wald aus schwebenden und kreisenden Weihnachtsbäumen sowie eine reizende Hauptdarstellerin machen dieses verfrühte Weihnachtsrieseln sympathisch und liebenswert.

Der von Disney koproduzierte, norwegische Kinder- und Realfilm irritiert allerdings auch, denn in ihm sind die Guten blond, die Hexen und die Hinterhältigen dunkelhaarig. Ist das "kindgerechte" Dramaturgie oder schon Rassismus?

5.11.13

You're Next

USA 2011 (You're Next) Regie: Adam Wingard mit Sharni Vinson, Nicholas Tucci, Wendy Glenn, AJ Bowen 95 Min. FSK: ab 18

Der Vorspann ist ein erster Hinweis, dass aus dem Familientreff ein Gemetzel wird: Der Waffenproduzent im Ruhestand und seine Frau laden die erwachsenen Kinder samt Anhang ein und nur im Anlauf gibt es minimale Charakterisierungen, um etwas zwischen nettem und blöden Bruder zu unterscheiden, sowie unübersehbare Hinweise, dass irgendwer im Haus ist. Obligatorische Schockmomente sollen den Zuschauer bei Laune halten, bevor bei Abendessen die Fetzen und Armbrust-Pfeile fliegen. Aber hier ist es dann das übliche Rennen und Kreischen. Der nicht jugendfreie Countdown der Anwesenden beginnt, während die Fremden mit den Tiermasken überall auftauchen. Das alles wurde mit minimaler Personen-Zeichnung und -Entwicklung in Szene gesetzt.. Auch von Humor keine Spur in dem unnötigen Horrorfilmchen, wenn man es nicht als lustig empfindet, wie Menschen der Reihe nach möglichst sadistisch umgebracht werden. Die Auflösung gibt es schon hier: Der Bruder wollte ans Erbe.

Blackfish

USA 2013 Regie: Gabriela Cowperthwaite 83 Min.

Das nette Kinderfilmchen „Free Willy" vergaß immer zu erwähnen, dass Orcas nicht zufällig Killerwale genannt werden. Es sind nicht nur eindrucksvoll große, sondern auch gefährliche Viecher. Gleichzeitig ist es barbarisch, dass auch diese Tiere wie Delphine eingesperrt und für Shows dressiert werden. „Blackfish" blickt hinter die Oberfläche eines mörderischen Geschäftes.

Wer den grandiosen Spielfilm „Der Geschmack von Rost und Knochen" gesehen hat, kann sich einen Orca-Angriff vorstellen. Wie in der Realität im Jahre 2010 beim tödlichen Unfall der sehr beliebten Chef-Trainerin bei „SeaWorld", Dawn Brancheau, der in dieser Dokumentation nur indirekt beschrieben wird. Um diesen und mehrere gleichartige Todesfälle in us-amerikanischen Vergnügungsparks erzählt Gabriela Cowperthwaite eine spannende und erschütternde Geschichte. Angefangen bei der grausamen „Sea World"-Jagd auf die jungen Schwertwale, die aus ihren Familien gerissen werden. Es ist auch die Lebensgeschichte von Tilikum, einem besonders großen und gelehrigen Wal, der jahrzehntelang isoliert gehalten wurde. Und schon vorher Trainer umbrachte.

Fischer, Meeresbiologen und Aktivisten erzählen mit Tränen in den Augen. Augenzeugen-Berichte von den Unfällen, alte Filmaufnahmen, Gerichtsverfahren werden kommentiert von ehemaligen Trainern, die mittlerweile vieles kritisch sehen. Aber auch das Verhalten des Wals bekommt eine psychologische Analyse. Erfahrende Mitarbeiter decken die Lügen und Vertuschungen auf. Etwa von einem „verstörten Mann", der nachts in den Pool von Tilikum springt und angeblich an Unterkühlung stirbt, was jedoch keine der allgegenwärtigen Kameras aufgenommen hat.

„Blackfish" berichtet von horrenden Ereignissen auf spannende, packende Weise. Wobei „packend"arg belastet ist, wenn man atemlos mit ansieht, wie ein Wal sein Trainer immer wieder auf den Boden des Pools zieht. Dies ist kein Kinderfilm. Neben der Tatsache, dass SeaWorld weiter Geschäfte mit seinen Delfinarien macht, deutet eine bittere Fußnote auf „Fortsetzungen" hin: Tilikum wird auch als exzellenter Zuchtbulle verwendet. Fast die Hälfte der Sea World-Killerwale stammt mittlerweile von diesem besonderen Killer-Gen ab.

Sharknado (DVD)

Regie: Anthony Ferrante

Der weiße Hai vom Winde verweht - das kann nur die filmische Rache für jede je vergossene Schale Haifischflossensuppe sein. Gleich eine ganze Reihe von Tornado macht aus den Beißern der Meere fliegende Fische, die einen Luftangriff auf Los Angeles starten. Zuerst erleiden Strandbesucher Verwundungen aus heiterem Himmel, dann werden überall im Vorbeiflug Gliedmaßen abgeknabbert.

Nach dem noch halbwegs anständig umgesetzten Fischabfall „Bait - Haifische im Supermarkt" ist „Sharknado" wirklich Trash von historischer Dimension. Zwar wird anfangs gleich zweimal in einer Minute Spielberg mit „Der weiße Hai" und „1941 - Wo bitte geht's nach Hollywood" zitiert, doch dann bekommt man den Kiefer vor Staunen nicht mehr hochgeklappt: Die Anschlüsse passen nicht, die Kulissen sind noch billiger als die Fischattrappen. Erbärmliche Tricks, so schlecht wie das heutzutage kein Computer mehr machen kann, extrem unmotivierte Statisten.

Aber mal ganz ernst: Bei diesem Sushi mit der Kettensäge, dem gegrillten Fisch auf Hochspannungsleitungen geht es doch nur um solchen Blödsinn und irrwitzige Splatter-Einlagen. Bis zum letzten auserwählten Einschnitt in die Haifilm-Geschichte. Obwohl, die französische Variante von „End", nämlich „fin" (Flosse), zu Beginn des Abspanns ist der erste und einzige sublime Scherz dieses monströs üblen Vergnügens.

4.11.13

Das große Heft

BRD, Ungarn, Frankreich, Österreich 2013 (A Nagy Füzet) Regie: János Szász mit András Gyémánt, László Gyémánt, Piroska Molnár , Ulrich Thomsen, Ulrich Matthes 108 Min. FSK: ab 12

Ein Messer spitzt den Bleistift in Großaufnahme. Schon diese Einstellung, als Vorbereitung für die Notizen zweier Zwillingsbrüder in ihrem „großen Heft", verstrahlt elementare Kraft, atmet die Farben eines historischen Epos. „Das große Heft", basierend auf dem Roman „Le grand cahier" der ungarisch-schweizerischen Autorin Ágota Kristóf, erzählt von Kindern und der Erziehung des Bösen. In einem großen, fein geschnitztem und gezeichneten Werk.

Mitten im Zweiten Weltkrieg trennt sich eine ungarische Familie: Der Vater (Ulrich Matthes) muss an die Front, die Mutter bringt die beiden dreizehnjährigen Zwillingsbrüder zu der Großmutter auf einem abgelegenen Hof am Rande eines Dorfes. Dort werden die Jungen aus bürgerlicher Familie nur noch als Hundesöhne bezeichnet und müssen für ihr karges Essen arbeiten. Zur Kartoffelsuppe gibt es Schläge. Auch Briefträger, Dörfler in der Kneipe und andere prügeln grundlos. Deshalb beginnen die Zwillinge, sich abzuhärten. Mit gegenseitigen Hieben und Schlägen mit einem Gürtel, bis sie in Ohnmacht fallen. Selbst der ebenfalls bei der Oma einquartierte deutsche Lagerkommandant (Ulrich Thomsen) staunt da nur.

Die Großmutter darf zuerst ihre Wandlung zu kleinen Monstern miterleben. Legten sie anfangs noch Anstand an den Tag, wehren sie sich nur über alle Maße und Vorstellung hinaus. Immer mehr imitieren die Zwilling Ereignisse und Verhalten rund um sie herum. Ein desertierter Soldat, dem sie noch Essen bringen wollen, erfriert vorher im Wald. So hungern sie auch. Vier Tage, länger als der Soldat. Zur Abhärtung der Seele verbrennen sie den Brief der Mutter, der nach viel zu langer Zeit kommt. Weitere Übungen in Grausamkeit beginnen mit der Tötung von Käfern, dann Fischen. Irgendwann schlagen sie ein Schwein mit dem Kopf an die Wand, was der Film nicht zeigt. Wie andere Grausamkeiten auch.

Die Brüder töten nun ohne Notwendigkeit. Die schöne, blasse und rothaarige Frau, die beide zu einem Bad verführt, verhöhnt später die Juden, die in einem schauerlich stillen Wintermarsch durch die Straßen getrieben werden. Und gibt den Häschern noch einen Hinweis auf den Schuster, einen Freund der Jungen. Wieder gerät, was anderswo Schelmenstreich wäre, zur blutigen Rache. Letztendlich sind sie schlimmer als die Erwachsenen.

Eine große Geschichte, ein großer Film. „Das große Heft" kann man vielleicht als eine Art „Das weiße Band" für Ungarn sehen. Schnell denkt man über aktuelle totalitäre Tendenzen und Antisemitismus nach. Im Kino gab es selten ein eindringlicheres Bild für den verheerenden Einfluss von Krieg und Faschismus. Der meisterlich inszenierte und fotografierte Film zeigt eine horrende Lausbuben-Geschichte unter dem furchtbaren Einfluss des Krieges. Diese Verpanzerung der Jungen erlebt man als einen faszinierenden und erschreckenden Prozess.

Der Einmarsch der Russen ändert nicht viel. Hasenscharte, eine Freundin der Jungen, wird direkt von den Soldaten vergewaltigt und stirbt. Nun ist die Rache gänzlich sinnlos und allein Verzweiflung. Am Ende steht noch so eine unglaubliche Tat, die wieder an Schlöndorffs „Die Blechtrommel" erinnert, genauer an den nicht ganz unbeabsichtigten Todesfall des Vaters. Einer der letzten Einträge lautet: Der Krieg ist aus. Es ist Frieden, aber nicht für uns.

„Das große Heft" enthält wunderschöne Kamerazeichnungen, bei den ineinander verschmolzenen Gesichtern der schlafenden Kinder, neben animierten Collagen und Zeichnungen aus dem Heft. Dabei immer wieder im Daumenkino die Erschießungen, die sie im Lager hinter dem Bach gesehen haben. Außer den eindrucksvollen Darstellern der Jungen (András Gyémánt, László Gyémánt) und vielen starken ungarischen Auftritten sind auch ein paar gute deutsche Schauspieler zu sehen: Ulrich Thomsen als der Wehrmachts-Offizier und Ulrich Matthes als Vater, der mit einer Eindringlichkeit, die an seinen Priester aus „Der neunte Tag" erinnert.

Blue Jasmine

USA 2013 (Blue Jasmine) Regie: Woody Allen mit Cate Blanchett, Alec Baldwin, Sally Hawkins, Peter Sarsgaard 98 Min. FSK ab 6

Ja, zum Song „Blue Moon" haben sie sich damals kennengelernt, sie und ihr Hal. Hal sei ein besonderer Mann, das habe sie direkt gemerkt. Und auch ihre Ehe war besonders. Sie, Jasmine, hätte ja viel zu tun gehabt mit der Wohltätigkeit. Bis, ja bis dann ... Aber nein, davon lasse sie sich nicht unterkriegen ... Ohne Punkt und Komma kann Jasmine (Cate Blanchett) ihr Leben erzählen, in der Ersten Klasse des Fliegers von New York nach San Francisco, am Gepäckband, im Taxi und auch noch alleine auf der Straße vor der Wohnung der Schwester Ginger (Sally Hawkins).

Sie ist schon eine besondere Person, diese Jasmine. Wie das Luxus-Weibchen im teuren Kostümchen, mit den Louis Vuitton-Koffern bei der lange vernachlässigten Schwester aufschlägt, hat komischen Stil. Jasmine ist nach der Verhaftung und dem Selbstmord ihres betrügerischen Mannes Hal (Alec Baldwin) im Knast völlig pleite, aber fliegt immer noch erste Klasse.

Ihre Panikzustände versucht sie mit Pillen und Alkohol zu unterdrücken. Pläne für ein neues Leben gibt es auch: Dekorateurin möchte sie werden, die eigene Luxus-Wohnung hat sie schließlich sehr geschmackvoll eingerichtet. Einen Online-Kursus gäbe es auch, nur dafür muss Jasmine erst mal die Bedienung eines Computers erlernen. Und als Sprechstunden-Hilfe bei einem Zahnarzt das Geld dafür verdienen. Vor allem die Begegnungen mit gewöhnlichen Menschen schafft die zerrüttete Frau zusätzlich. Zu denen gehört auch die gänzlich verschiedene Schwester Ginger. Eigentlich sie sind nicht mal Halbschwestern, beide wurden adoptiert. Wie eine Elfen-Fee im Ork-Land muss die Edel-Frau nun in der kleinen Wohnung den Krach von Gingers Kindern und den Kumpels ihres neuen, simplen Freundes Chili (Bobby Cannavale) ertragen. Zwischendurch schaut auch noch Gingers bodenständiger Ex-Mann Augie (Andrew Dice Clay) vorbei und beschwert sich, dass Hal und Ginger damals die armen Verwandten mit einem betrügerischen Schneeball-System um einen großen Lotto-Gewinn brachten.

Ganz selten ist die Tragikomödie „Blue Jasmine" einfach nur komisch. Das Vergnügen, dieser seltsamen Frau bei den Selbstgesprächen zuzusehen und -hören, wird schleichend traurig und dann sehr traurig. Stimmt, das konnte Woody Allen auch, und das kann er immer noch ganz exzellent. Selbstverständlich ist da wieder die erlesene Besetzung, wobei die Rollen selten so gut passten wie diesmal bei der feinen, edlen Cate Blanchett, bekannt als Galadriel aus „Herr der Ringe", als Elisabeth I. aus Shekhar Kapurs Historien-Epos, und der lauten, ungehobelten Sally Hawkins, vor allem bekannt aus „We Want Sex" und als neurotisch fröhliche Poppy in „Happy-Go-Lucky". Die Suche nach dem Glück und die Erwartung einer (un-) moralischen Pointe laufen immer mit, beim Beobachten der grundverschiedenen Schwestern: Gibt sich Ginger wirklich mit zu wenig und mit zu beschränkten Männern zufrieden? Als sie und auch Jasmine einen neuen Partner finden, werden die Karten neu gemischt. Doch die große Überraschung und das niederschmetternde, ungeschminkte Ende eines Selbstbetruges kommen aus einer anderen Richtung. Aus den Erinnerungen an die Zeit mit dem Ex Hal, in die sich Jasmine immer wieder verliert.

Nachdem Woody Allen in den letzten Jahren mit flotten Komödien und doppelbödigen Dramen begeisterte, kehrt er mit „Blue Jasmine" zu einem stillen, genauen und berührenden Porträt zurück. Die Finanzspekulationen von Hal als Reflex auf die rücksichtlosen Zockereien der Banker und das Wegschauen Jasmines dabei zeigen, dass dieser Allen von Heute ist. Der Ehebruch mit einem sehr jungen Au pair, der dem Regisseur selbst mal passierte, zeigt, dass ihm der bissige Humor nicht ausgegangen ist.

Djeca - Kinder von Sarajevo

Bosnien und Herzegowina, BRD, Frankreich, Türkei 2012
Djeca - Children of Sarajevo
Regie: Aida Begić
Darsteller: Marija Pikić, Ismir Gagula, Bojan Novojec, Sanela Pepeljak, Vedran Đekić, Mario Knezović
Länge: 90 Min.

Wie die 23-jährige Rahima und ihr zehn Jahre jüngerer Bruder Nedim als Waisen im Sarajevo nach dem Bosnienkrieg leben, erzählt viel von einer Gesellschaft im Übergang, die vor allem moralischen erschüttert ist. Dabei beeindruckt die stolze Hauptfigur mit ihrem unnachgiebigen Kampf für eine bessere Zukunft in den zweiten großartigen Film von Aida Begić („Snow").

Rahima (Marija Pikić) ist eine stolze, eigenständige und vor allem eigenwillige Frau: Die 23-jährige Waise will keine Hilfe annehmen, obwohl sie unter ihren Belastungen in einem nicht besonders sozialen Staat und der brutalen Nachkriegs-Gesellschaft Bosniens fast zusammenbricht. Eine ganz nahe Handkamera, die wir von den Filmen der Dardenne-Brüder kennen, zieht uns in das ruhelose Leben der jungen Bosnierin hinein: Ihre Wege zur Arbeit, der Stress beim Job in Restaurant und Küche, die Besorgungen für den verwöhnten 13-jährigen Bruder (Ismir Gagula). Mit dem hektischen Eilen und Machen bis zur völligen Erschöpfung läuft die Frau unverkennbar Erinnerungen davon. Erinnerungen an den jugoslawischen Bürgerkrieg, die nur gestreift werden, aber selbst diese kurzen Momente verstärken die Unruhe, ein unentrinnbar unwohles Gefühl. Nur für die Zicke vom Jugendamt verbiegt sich Rahima etwas, denn noch stärker als der Stolz ist die Sorge um den Bruder.

Doch Nedim ist nur mit Videospielen beschäftigt und sucht sich in einem tief gründenden Frust die falschen Freunde. Er spielt mit einer Waffe rum und legt sich, als er sich gegen brutale Mitschüler wehrt, ausgerechnet mit dem Sohn eines noch immer mächtigen Mannes an. Dessen rechtloser Einfluss bedroht den Job Rahimas...

Die Kunst dieses Films liegt darin, dass Leben im Sarajevo von Heute nicht nur über Fakten vermittelt wird. Wir bekommen noch stärker ein Gefühl dafür, an dieser Bruchkante zwischen den ethnischen Gruppen, zwischen Krieg und ungewisser Zukunft, zwischen Hass und Hoffnung zu stehen. Die Granaten-Einschläge im Stadtbild sind offensichtlich, aber nicht so heftig wie die Traumata, die von den Menschen mitgeschleppt werden. Kinderspiele führen den Bosnien-Krieg weiter, Silvester-Böller erschrecken als Nachhall der echten Bombenexplosionen. Gelacht wird wenig, zynische Scherze aus harten Gesichtern reihen sich in die anderen Drohungen ein. Die Fratzen von Krieg und Gewalt begegnen einem an jeder Ecke. Dass Rahima Halt in der Religion sucht, dass sie ihr Kopftuch nicht ablegen will, verstärkt die Aggression der anderen. Das alles kann dann fast nur in einer surrealen, sehr offenen Szene im Nebel aufgelöst werden, die noch einmal alles enthält: Bedrohung, Angst, Mut und Schritte in die Zukunft.

„Djeca - Kinder von Sarajevo" ist nach „Snow", der 2008 in Cannes die „Kritikerwoche" gewann, der zweite beeindruckende Film der bosnischen Regisseurin Aida Begić. Er lief 2012 erneut in Cannes, diesmal direkt in den „Certain Regard". Sie selbst kommentierte treffend: „Gerade wenn du denkst, dass Krieg das Schlimmste ist, was dir passieren kann, kommt der Frieden. Frieden in meinem Land – einem Land im Übergang – hat einen totalen Zusammenbruch des Systems, ein Aussetzen von Logik, Moral und oftmals auch der Vernunft zur Folge gehabt. Resignation ist heute das vorherrschende Gefühl in Bosnien Herzegowina." Eine Stimmung die „Djeca" zwar einfängt, aber genau wie ihre starke Protagonistin nicht drin verharrt. So schafft es der sehr eindrucksvolle Film, zu berühren und gar zu erschrecken, doch er hinterlässt tatsächlich ein gutes Gefühl. Wegen der intensiven (Mit-) Erlebnisse, die er bei einer ganz enormen Beherrschung des filmischen Handwerks beschert, wegen der eindrucksvollen Hauptdarstellerin Marija Pikić, die fast den ganzen Film trägt, und wegen der besonderen Schlussszene, die auf sehr poetische Weise Hoffnung gibt.

Günter H. Jekubzik

Escape Plan

USA 2013 (Escape Plan) Regie: Mikael Håfström mit Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Jim Caviezel, Faran Tahir, Amy Ryan, Sam Neill, Vincent D'Onofrio, Vinnie Jones 115 Min.

Er ist gefangen und kommt nie mehr raus - aus seinem alten Rollen-Schema: Sylvester Stallone gibt bis zur Selbstparodie weiterhin den Muskel-Macho, auch wenn seine Bewegungen nur noch steif und dem Alter von 67 entsprechend rüberkommen. Diesmal gibt er den ehemaligen Staatsanwalt Ray Breslin, der sich für viel Geld einsperren lässt, um die Schwachstellen der Gefängnisse herauszufinden und immer wieder zu entkommen. Selbstverständlich fordert dies Jim Caviezel (Hobbes), den besonders üblen Leiter einer illegalen Haftanstalt heraus, der im Bauch eines Hochseefrachters nach dem Handbuch Breslins eine ausbruchssichere Anlage glaubt geschaffen zu haben. Dass es Breslin - mit lächerlicher Leichtigkeit - doch gelingt, ist ebenso sicher wie dessen Zusammenarbeit mit Emil Rottmayer (Arnold Schwarzenegger), der auch auf Ewig im Schiffsbauch verschwinden sollte.

Weshalb sich Breslin und Rottmayer vertrauen, warum der Schiffarzt (Sam Neill maximal unterfordert) seinen Job macht und was Breslins Mitarbeiter (Vincent D'Onofrio) zum Verräter macht - all das bleibt offen. Elemente des Knastfilms werden zusammenhangslos in den alten Kahn gekehrt, ein illegaler Knast auch im Auftrag der CIA ist niemals ein Aufreger. Die Action ist so lahm wie die alten Herren, zu leicht und unspannend klappt die Flucht. Da braucht man gar nicht erst Genre-Meisterwerke wie „Die Verurteilten" („The Shawshank Redemption") heranzuziehen. Weitere Peinlichkeiten gibt es reichhaltig, Vinnie Jones muss etwa die ganze Zeit im Latex-Anzug rumlaufen. Schwarzenegger macht sich in der deutschen Synchronisierung mit Österreicher Akzent lächerlich. Ungelenk wie Stallones Bewegungen ist auch die Montage, bis hin zum angeklebten Epilog, mit dessen Verschnitt nicht mal ein schulisches Filmprojekt durchkommen würde. Lebenslänglich in Ketten auf einer Galeere ist hier das einzig mögliche Urteil.

Das kleine Gespenst (2013)

BRD, Schweiz 2013 Regie: Alain Gsponer mit Jonas Holdenrieder, Nico Hartung, Emily Kusche, Herbert Knaup, Bettina Stucky, Aykut Kayacik 88 Min.

Es hat schon reichlich Staub in den Falten seines Bettlakens, „Das kleine Gespenst" aus dem Kinderbuch von Otfried Preußler und dem Jahre 1966. Die neue Realverfilmung, die mit digitalen Mitteln das Gespenst in die altertümliche deutsche Stadt Eulenberg und deren kleiner Gesellschaft kopiert, scheut jede Modernisierung. Dadurch ist der Film für Kinder ab 6 bei aller Behäbigkeit, die gerne als „kindgerecht" missverstanden wird, eher bedenklich konservativ.

Das kleine Nachtgespenst haust auf Burg Eulenstein und würde so gerne mal tagsüber wach bleiben. Doch pünktlich um ein Uhr Nachts fallen ihm die Augen zu. Erst als Uhrmachermeister Zifferle (Herbert Knaup) die Kirchturm-Uhr verstellt, erschreckt es nun von zwölf Uhr Mittags bis Eins die Bürger des Städtchens. Der junge Schüler Karl (Jonas Holdenrieder) glaubte als einziger und entdeckte zuerst das Gespenst. Schon dadurch wird er für die Erwachsenen unglaubwürdig, zudem fällt auch der Verdacht direkt auf ihn, als eine antike Taschenuhr verschwindet.

Der holzschnittartige Polizist, die beschränkte Lehrerin, der eitle Bürgermeister und der verständnislose Vater sind Autoritäten, wie sie im alten Kinderbuche stehen, oder auf dem Kasperle-Theater rumalbern. Karl steckt in einer Schuluniform und der Haut eines braven Jungen. Da bedarf es freundlicher Hilfe der weisen Eule, um die ganze Sache aufzuklären. Bei all der alten Ordnung hat Rebellion oder Widerstand gegen Vorverurteilung und Unrecht keinen Platz. Auch andere Elemente wirken bedenklich: Die Suche nach dem „schwarzen Unbekannten" hat nur einen kleinen Scherz mit dem dunkelhäutigen Postboten übrig, um diese heikle Profilierung zu entschärfen. Das Volksfest feiert tatsächlich den 30-jährigen Krieg, den grausamsten bis dahin. Im Finale entgleitet auf hohem, schmalem Turmsims selbst die altersgerechte Vorsicht, die bisher bei kleinen Abenteuern, dem Feuerwehr-Slapstick und den sprechenden Tieren herrschte.

Bei allen unglaublichen digitalen Möglichkeiten schafft es diese Produktion tatsächlich, das kleine Gespenst nicht sympathisch aussehen zu lassen: Irgendwo zwischen Alien und Embryo ist das erstaunlich grob animierte Gesicht mit den großen Augen angesiedelt. Dazu sieht das „Bettlaken" des Geistes völlig verfilzt aus. Aber auch bei den Menschen erstaunt eine - außer bei Karl - nicht besonders ausgeprägte Figurenzeichnung. Nun muss „Das kleine Gespenst" auf keinen Index, aber die Produzenten sollten ihre Kindheitserinnerungen schnell mal updaten.

2.11.13

Das Himbeerreich (Bühne)

Aachen. Am Anfang war das Wort. Eine ganze Menge Wort, nämlich mehr als 1500 Seiten Protokoll, die der Bühnen-Autor und Dokumentarfilmer Andres Veiel („Black Box BRD", „Der Kick") bei Gesprächen mit 25 deutschen Spitzenbankern protokollierte und dann vernichtete, nachdem er daraus sein Bühnenstück „Das Himbeerreich" destillierte. Der in vieler Hinsicht erstaunlichen Aachener Aufführung, die am Donnerstag in der Kammer Premiere feierte und langen Applaus erhielt, gelingt es, dem sperrigen Thema Bankenkrise und den mehr als öffentlichkeitsscheuen Psychen dieser Entscheider Leben einzuhauchen.

Aus den Interviewten wurden nach der Komprimierung, die Unkenntlichkeit garantieren sollte und jegliche Haftung für das (aus-) gesprochene Wort ausschloss, auf der Bühne fünf Figuren plus Chauffeur: Der als Aussteiger besonders kritische Gottfried W. Kastein (Tim Knapper). Niki Modersohn (Benedikt Voellmy) glaubt auch als Verlierer und Blitzableiter der anderen weiter an das System. Bertram Ansberger (Karsten Meyer), der vergebens Einspruch einlegte, als sich die Deutsche Bank mit Rückendeckung der Regierung in einer offensichtlich unsinnigen Aktion in eine milliardenschwere Katastrophe manövrierte. Dr. Dr. hc Walter K. von Hirschstein (Torsten Borm) steht scheinbar souverän über allem, muss aber alle paar Minuten sein Glas (und sein Gewissen?) mit einem Weinchen zukippen. Wirklich unberührt von allem zieht Dr. Brigitte Manzinger (Katja Zinsmeister) die eiskalte Königin im Spiel um die Milliarden europäischer Bürger ihr Ding durch und genießt das „Torpedo-Gefühl", wenn der 250 Mio.-Deal klappt. Der seit Jahrzehnten diensteifrige Chauffeur Hans Helmut Hinz (Rainer Krause) kommentiert, erklärt die finanztechnischen Fachbegriffe, mit denen die Banker ihre verantwortungslosen Zockereien verschleiern, und spult auch schon mal in einem der Slapstick-Momente die ganze Gesellschaft per Fernbedienung zurück, wenn der Bank-Sprech sich in Hintergrund-Rauschen zu verselbständigen droht.

Ja, es ist durchaus süßlich und komisch, das Aachener „Himbeerreich". Aber es riecht auch angekokelt, genau wie die Konsumgüter, die sich RAF-Terroristin Gudrun Ensslin aus dem vorher selbst angeschmorten KaDeWe wünschte. Sie schuf den Begriff „Himbeerreich" für die satte Konsumwelt BRD. Veiel selbst leuchtete mit seiner außerordentlichen Dokumentation „Black Box BRD" das Aufeinandertreffen von RAF und Bankern aus. Ein paar Umdrehungen der Weltgeschichte weiter schreiben wir das postdemokratische Zeitalter, Demokratien und Regierungen werden von Banken gesteuert. Dass man die faulen Kredite der Bad Banks, auf der Bühne des Theater Aachen in eine bedenklich qualmende Kiste mit Beilage einer toten Ratte gepackt, förmlich riechen kann, ist auch so eine gelungene Sinnlichmachung von äußerst schwer Fassbarem. Durch derartige Inszenierungs-Ideen gewinnt und gelingt das Stück im Gegensatz zu Veiels eigenen Inszenierungen zu Anfang des Jahres beim Stuttgarter Staatsschauspiel und dem Deutschen Theater in Berlin.

Das „Himbeerreich" von Regisseurin Bernadette Sonnenbichler (zuletzt in Aachen mit „Woyzeck", „Der gute Mensch von Sezuan") und Dramaturgin Caroline Schlockwerder bereitet auch angesichts der Aussagen, dass selbst der Intendant den Stoff für unspielbar hielt, einen erstaunlichen Abend. So wünschte man sich in den eindrucksvollsten Momenten, in denen Bilder, Körper, Sprache, Rhythmen, Texte und Gedanken ein faszinierendes Eigenes formten, das Ganze auf größerer Bühne mit mehr Vorbereitungszeit und breiterem Etat. Doch - auch das zeigt „Himbeerreich" sehr plastisch: Die ganz kleine Handvoll Reis, die dem Theater-Etat von 19 Mio. Euro entspricht, wirkt lächerlich oder empörend verschwindend gegenüber dem Berg von Reis, den die 60.000.000.000 Euro (60 Millarden) darstellen, die Bankern hinterher geschmissen wurden. Und weiter werden.

Das gerade auf deutschen Bühnen angesagte Stück wurde zwar mit Einverständnis Veiels, aber ganz klar gegen den Autor inszeniert. Zum Glück! Denn während Veiels „Der Kick" über mordende Neonazis einst gefeiert wurde, bekam „Das Himbeerreich" meist schlechte Kritiken, beklagt wurde etwa eine leblose Hölzernheit der ganzen Angelegenheit. „Das Himbeerreich" von Sonnenbichler/Schlockwerder hat von Anfang an Schwung, macht aus dem Chor rhythmische und manchmal geisterhafte Echos der verklausulierenden Finanzwelt-Fachbegriffe.

Die exzellenten Darsteller meistern den Spagat, gleichzeitig Figuren und ironisierende Begleitmusik zu sein. Und dann kommt es doch zu einem zweiten Bruch der Intentionen: Während vielleicht bereits bekannte Vorgänge um Hochrisiko-Spekulationen verständlich durchgespielt werden, erstarrt man in der Erkenntnis: Das haben reale Menschen, sehr einflussreiche Entscheider wirklich gesagt! Das ist es dann doch, nach einer kunstvollen, verspielten Umgehung der ursprünglichen Deklamation, Veiels „gesprochenes Wort, das gilt". Und das wirkt: In Griechenland, Spanien, in eingesparten Kindergarten-Plätzen und Renten bei uns.

Wie der dramatische Verlauf bis zum apokalyptischen Ausblick politisch wirksam ist, wird immanent Teil der dem Stück unweigerlich folgenden Diskussionen sein. Die Inszenierung ruft sicher kein spontanes „Empört euch!" im Geiste des Occupy-Bewegung hervor, die Filiale der Dresdener Bank gegenüber dem Theater ist ja mit dem Unternehmen auch schon lange verschwunden und nicht mehr besetzbar. „Das Himbeerreich" folgt in dieser erlebenswerten Umsetzung Veiels (An-) Satz, „Zorn im Gegensatz zur Wut setzt Reflektion voraus". Dabei hilft ein sehr lohnenswerter Theaterbesuch.


„Das Himbeerreich"

Theater Aachen - Kammer

Inszenierung Bernadette Sonnenbichler
Bühne und Kostüme Tanja Kramberger
Dramaturgie Caroline Schlockwerder

Nächste Aufführungen
08. | 16. | 20. | 27. November 2013
03. | 14. | 17. | 21. Dezember 2013
12. | 19. | 31. Januar 2014