27.3.18

Im Zweifel glücklich

USA 2017 (Brad's Status) Regie: Mike White mit Ben Stiller, Austin Abrams, Michael Sheen, Luke Wilson 102 Min. FSK ab 0

Wenn der Vater mit dem Sohne ... war das mit Heinz Rühmann in den Fünfzigern noch Rührung wegen verstorbener Mutter. Nun, die 10er Jahre in den USA, ist Muttern auch abwesend. Weil sie erfolgreich arbeitet. Doch eigentlich ist für Vater Brad (Ben Stiller) eigentlich alles egal, was außerhalb seiner Midlife-Crisis passiert. Die hervorragend gemachte und gespielte Depri-Komödie trifft ein bestimmtes Gefühl im Kern. Nur betrifft das nicht allzu viele Um-die-50er-Väter...

Brad verbringt seine Nächte mit den alten Freunden. Also, er liegt schlaflos neben seiner Frau im Bett und bewundert auf Facebook, was aus all den Kumpeln geworden ist, die ihn längst nicht mehr zu Geburtstagen und Hochzeiten einladen. Freunde, die ein Luxusleben führen, die regelmäßig im Fernsehen auftreten und immer mindestens Business-Class fliegen, wenn nicht gleich mit dem eigenen Flieger. Brad hingegen, der beruflich Gelder für gute Zwecke sammelt, fragt schon mal verfrüht nach, ob sie denn das Haus der Schwiegereltern erben würden.

So geht es mit dem Sohn Troy (Austin Abrams) per Flieger an die Ostküste, um mögliche Colleges zu besichtigen. Ein spontanes Upgrade zur Feier des Tages wäre zwar unverschämt teuer, doch das Spar-Ticket von Brad lässt sich überhaupt nicht upgraden! Ein neuerlicher Dämpfer für den frustrierten weißen Mittelklasse-Mann mittleren Alters.

Dabei verpasst Brad nicht nur seinen entspannten Sohn direkt neben sich, der Einladungen von Elite-Unis hat. Der Alte projiziert sogar sein Minderwertigkeitsbewusstsein auf den Junior und startet eine peinliche Aktion, um einen Termin-Fehler des Sohnes auszubügeln. Ist das noch Midlife-Crisis oder schon was richtig Ernstes?

Wie sich Brad das Leben seiner ehemaligen Freunde vorstellt, ist pure Karikatur, wenn ein extrem reicher Ruheständler mit seinen zwei Frauen und einer neuen Geschäftsidee auf Hawaii noch reicher wird. Man merkt, dass diese Perspektive mit Vorsicht zu genießen ist, weil es die um sich selbst rotierende Innenperspektive eines Zweiflers mit großem Neid und Eifersucht auf die ganze Welt ist. Was sich als Innenleben logischerweise meist über die Tonspur erklärt.

Ben Stiller, der meist als Schauspieler, aber auch als Regisseur laut und leise kann, ist hier nur ganz am Rande tragischer Clown. Der täuschende Titel „Im Zweifel glücklich" zeigt ganz ernsthaft einen zweifelsohne unglücklichen Mann, der im Wechselbad der Gefühle auch mal stolz auf seinen sehr gut geratenen Sohn ist. Um ihn sich gleich darauf als gescheiterten Straßenmusiker vorzustellen.

Wie in „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" und „Gefühlt Mitte Zwanzig" spielt Ben Stiller ausgezeichnet mit leisen Tönen - diesmal den Familienvater in der Krise. Der so sehr mit den eigenen Zweifeln beschäftigt ist und um sich selbst kreist, dass er verpasst, was mit den Menschen um ihn herum passiert. Das hat kein atemberaubendes Tempo, keine Effekte oder große Überraschungen - was positiv zu bewerten ist. Schlüssig in Handlung und Stimmung haben Stiller und der stille Film etwas zu sagen.

The Death of Stalin

Großbritannien, Frankreich 2017 Regie: Armando Iannucci mit Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Paddy Considine, Rupert Friend 108 Min. FSK ab 12

Ein Philharmonie-Konzert in Moskau endet am Abend des 2. März 1953 mit warmem Applaus in kultureller Glückseligkeit. Da klingelt im Regie-Raum für die Radio-Übertragung das Telefon und schon die Reaktion auf diesen Anruf des sowjetischen Diktators Josef Stalin zeigt, in welcher Panik dieses Land vor den Todeslisten des Massenmörders war. „The Death of Stalin" wird zwar herrlich zeigen, wie die unbeugsame Stimme eines Opfers - in dieser Interpretation - den Diktator umbringt. Aber „nebenbei" sterben in diesem Film auch Tausende. Mit ein paar dummen Scherzen werden Todesurteile reihenweise unterzeichnet, überall fallen Todesschüsse und rollen Leichen herum.

„The Death of Stalin" basiert auf der Graphic Novel „La Mort de Staline" von Fabien Nury und Thierry Robin (Illustration). Und „graphic", also drastisch, sind vor allem die Ereignisse nach Stalins Tod in dieser makabren, blutig schwarzen Geschichts-Farce: Den Kampf um die Macht, um den Posten des Generalsekretärs der UdSSR, treten haufenweise mörderische Witzfiguren an.

Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi) eilt im Pyjama unter dem Anzug herbei, als der Tyrann nach einem Schlaganfall noch im eigenen Urin auf dem Teppich liegt. (Dass der Schuhklopfer Chruschtschow das Rennen machen wird, sollte kein Spoiler sein.) Doch keiner aus dem inneren Kreis der Macht, keiner der Minister und Parteisekretäre traut sich, einen Doktor zu rufen. Denn die fähigen Ärzte sind alle umgebracht worden. Noch bevor Stalin seinen letzten Atem ausgehaucht hat, beginnen die Ränkespiele und die taktischen Schachzüge um die Nachfolge als grausames Kasperletheater. Der brutale Folterer und Vergewaltiger Geheimdienstchef Lawrenti Beria (Simon Russell Beale) holt eilig die misshandelte Frau von Außenminister Wjatscheslaw Molotow (Michael Palin) aus dem Gefängnis, in das er sie kürzlich selbst gesteckt hat. Generalsekretär Georgi Malenkow (Jeffrey Tambor) hatte sich beim Besäufnis am Abend vorher selbst auf die Abschussliste gebracht, nun ist er offiziell Nachfolger und muss die Trauerzeremonie leiten. Der größte Depp, hat das Sagen, auch wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Chruschtschow und Beria zanken sich derweil wie ungezogene Kinder.

Britische und amerikanische Film- und Theaterstars bestücken diese Farce vor schrecklichen historischen Hintergrund herrlich komödiantisch und deftig. „Wie kannst du rennen und gleichzeitig intrigieren?" ist einer der albernen Bemerkungen. In ihren besten Momenten könnten Dialoge und absurde Situationen auch bei Tarantino auftauchen. Bei allen (un-) möglichen Handlungen bleibt ja am Ende immer noch die Möglichkeit, jemanden zu erschießen. Und damit kennen sich diese Leute aus. Kleine Geister, die vor lauter Gewöhnung aus Buckeln und Kriechen zu keiner vernünftigen Handlung mehr in der Lage sind.

„The Death of Stalin" ist zeitweise umwerfend komisch. Nicht im Sinne Lubitschs „witzig" mit großem Herzen für Menschen. Aber wahrscheinlich lacht man besser über diese Monster, als mit ihnen zu fühlen. Es ist eine makabre Geschichtsstunde, die in diesem Makabren durchaus unterhaltsam ist. Ein besonderer Erkenntniswert in Bezug auf aktuelle politische Situationen wurde jedoch nicht entdeckt. Erschreckend dann nur noch mal der Abspann mit lauter ausradierten Gesichtern und Existenzen.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

BRD 2018 Regie: Dennis Gansel mit Solomon Gordon, Henning Baum, Annette Frier, Christoph Maria Herbst, Uwe Ochsenknecht 110 Min. FSK ab 0

Festhalten! Hier rumpelt und knarzt es nicht wie in der Augsburger Puppenkiste, sondern auf Hoher See in den Planken von Piraten der Karibik. Im Meer treibend (wie einer der Tausend Flüchtlinge von heute!) wird Findelkind Jim von der Wilden 13 aufgelesen und landet dank falscher Postzustellung auf der kleinen Insel Lummerland. Hier kehrt in die Verfilmung von Michael Endes Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" die Beschaulichkeit der Vorlage ein: Die Insel mit zwei Bergen ist eine Modelleisenbahn-Welt, bevölkert vom Lokomotivführer Lukas (Henning Baum), der großherzigen Frau Waas (Annette Frier), dem schusseligen König Alfons (Uwe Ochsenknecht) und seinem stocksteifen Bediensteten Herrn Ärmel (Christoph Maria Herbst). Zusammen ziehen sie den dunkelhäutigen Jim (Solomon Gordon) liebevoll auf, bis dieser mit Lukas ins Abenteuer aufbricht.

Bei der Ankunft in der die wundersamen Welt von Mandala wird die Geschichte fantastisch, auf der Suche nach der entführten Prinzessin Li Si sind gefährliche Schluchten, weite Wüsten, dunkle Berge und Vulkan-Welten zu überwinden. Drachen, Bürokraten, Scheinriesen (toll: Milan Peschel) und Zwerge begegnen Jim Knopf und Lukas.

Nach eher nicht fantastischen Film-Umsetzungen von Endes „Momo" und „Die unendliche Geschichte" gibt es bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" die volle Punktzahl für die Ausstattung. Denn vor allem war's teuer: 25 Millionen Euro sollen in dem Projekt stecken, da lachen sich einige Figuren in einer gewissen Puppenkiste ins hölzerne Fäustchen. Die Titelmelodie der bislang prägenden Puppenspiel-Version von „Jim Knopf" klingt noch an, ansonsten ist hier alles anders und größer. Der teuerste deutsche Kinderfilm zeigt immer wieder bombastische Bilder, scheint aber kein Vertrauen in sie zu haben.

Tatsächlich bleibt der Film im Spagat zwischen der einfachen Geschichte Endes und den aufwändigen Produktionsmitteln stecken. Ohne großartige Neuinterpretation oder reizvolles ästhetisches Konzept der Einfachheit bleiben Jim Knopf und Lukas im Wüstensand der Belanglosigkeit hängen. Da wirkt dann auch der im Abstand von 60 Jahren so großartig erinnerte Roman von Michael Ende aus der Nähe betrachtet wie ein unspektakulärer Scheinriese. Die vor allem niedliche Grund-Geschichte mit humanistischem Kern verirrt sich in Richtung atemloses Abenteuer, ohne dass wirklich Dampf auf dem Kessel ist.

Einerseits ist „Jim Knopf" mit fast zwei Stunden spürbarer Laufzeit sowieso nicht kindgerecht, trotzdem versucht die Produktion auch im Tausend-Wunder-Wald gar nicht erst, mit aktuellen Fantasy und Kinder-Filmen mitzuhalten. Am aufregendsten ist da noch etwas Bud Spencer-Action des gutmütigen Lukas. Dass dieser von Henning Baum wenig eindrucksvoll gespielt wurde, dass Solomon Gordon für seinen Jim Knopf nachsynchronisert werden musste, sind nur kleine Unstimmigkeiten.

Hinter den Kulissen zog Michael Bully Herbig die Fäden und besetzte ein paar Aufgaben mit Vertrauten, wie den Maskenbildner Georg Korpás und den Komponisten Ralf Wengenmayr („Der Schuh des Manitu"). Herbig selbst spricht den kleinen, glatt 3D-animierten Drachen Nepomuk. Doch der und das ganze Projekt sehen mal nicht nach dem ansonsten mit guter Nase erfolgreichen Herbig aus. „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ähnelt vielen deutschen Ver-Filmungen literarischer Werke, die Charme und Eigenheiten des Originals auf der Strecke lassen.

21.3.18

Pacific Rim: Uprising

USA, VR China 2018 Regie: Steven S. DeKnight mit John Boyega, Scott Eastwood, Cailee Spaeny 112 Min. FSK ab 12

Außerirdische Wesen und viel Wasser - zwar produziert von Guillermo del Toro ist dies trotzdem nicht die Fortsetzung von seinem Oscar-Film „Shape of Water". Es ist die Fortsetzung einer anderen Seite des mexikanischen Filmemachers: Als Produzent landete er 2012 mit „Pacific Rim", dem Popcorn-Film für kleine Jungs, einen riesigen Erfolg.

Im ersten Teil trafen außerirdischen Monster in Tradition von Godzilla während ihres Vernichtungsfeldzugs auf die von Menschen gelenkten Jaeger-Supermaschinen. Mit langer Verzögerung wegen gigantischer Streitereien hinter den Kulissen folgt nun ein Upgrade nach dem Motto, schneller, stärker und vor allem: größer.

Am Steuerknüppel der Jaeger ist die nächste Generation, jünger und weiblicher: John Boyega („Star Wars: Das Erwachen der Macht") spielt den rebellischen, einst hoffnungsvollen Jaeger-Piloten Jake Pentecost, also den „Sohn" von Idris Elba. Seit zehn Jahren ist der Spalt geschlossen, durch den die Außerirdischen ihre Monster schickten, doch eine schön hinterhältige Verschwörung sorgt für Action-Nachschub.

Der Actionfilm über den Kampf von gigantischen Roboter-Rüstungen gegen Kaiju-Monster, welche die Erde vernichten wollen, ist nicht nur „Transformer" auf asiatisch und nass, es kommt noch eine echte Fantasy-Komponente hinzu. Auch wenn del Toro nicht mehr Regie führt, wenn die 15-jährige Heldin Amara (Cailee Spaeny) blockiert von traumatischen Kindheits-Erinnerungen mit unheimlichen Monstern kämpft, ist das noch del Toro pur.

Nach flottem Auftakt folgen leider einige austauschbare Ausbildungs-Routinen, die Zuschauer höchstens auf einen Bundeswehr-Job vorbereiten. Hier wie dort sollen ja Kinder für den Krieg zurechtgebogen werden. Der Rest ist teilweise auf dem Niveau eines billigen Spin Offs fürs Fernsehen. Mit der Marke „Pacific Rim" und den Schrott-Resten der Handlung will man noch mal groß Kasse machen.

In der Rest-Rampe finden sich auch nette Ideen, etwa dass immer zwei Piloten im Jaeger zusammen arbeiten müssen. Das ist witzig, wenn zerstrittene Konkurrenten um eine Frau sich beim gemeinsamen „Driften" gegenseitig in den Kopf blicken. Auch die beiden Wissenschaftler-Freaks, die damals im Kopf der Kaiju waren, stechen aus dem Rest der aktuellen Schauspiel-Partner mit ihrer Geschichte heraus.

Ansonsten ist das ganze Finale von 45 Minuten Länge ein neuer Aufguss des ersten Films. Tokyo muss wieder dran glauben, weil ein Trio Alien-Echsen zum Berg Fuji und seine Seltene Erden will. Gekonnt flotte Montagen und Aufnahmen überspielen dabei Handlungs-Leere in diesem aufwändigen Kinder-Kram. Wohlgemerkt so aufwändig, dass beim Spiel mit den Action-Figürchen nicht nur das Kinderzimmer, nicht allein das ganze Haus, sondern direkt ein ganzes Viertel platt gemacht wird. Die Fortsetzung ist angekündigt, immer noch im Kino und nicht als mit diesen „Qualitäten" ebenso mögliche TV-Serie.

Peter Hase

USA, Großbritannien, Australien 2018 Regie: Will Gluck mit Domhnall Gleeson, Sam Neill, Rose Byrne 95 Min. FSK ab 0

Der Kleinkrieg der Hasen um die süßen Früchte und das gute Grünzeugs mit dem alten, verbitterten Gärtner Mr. McGregor scheint in die nächste Runde zu gehen, als sich der zweibeinige Gegner terminal verabschiedet. Peter Hase als Anführer, der zu keinem Schabernack Nein sagen kann, feiert mit der versammelten Tierwelt orgiastisch die Rückgewinnung seines Grund und Bodes. Bis ein neuer, junger Mr. McGregor auftaucht, ein frustrierter Schnösel aus der Stadt. Die amüsante Auseinandersetzung könnte wie gehabt weiter gehen, doch die warmherzige und tierliebe Nachbarin gewinnt das Herz des Neuzugangs.

„Peter Hase" wird abseits der Disney-Süßlichkeit rasant und mit modern ironischem Ton erzählt. So wie der raffinierte Wortwitz auch Einiges für Erwachsene bietet, sind Tempo und Schlagzahl der Handlung eher älteren Kindern anzuraten. Dies ist eine Adaption des Kinderbuches von Beatrix Potter aus dem 1902, die nicht allen gefallen, aber viele unterhalten wird. Die fotorealistische Animation der Tiere ist perfekt in den Realfilm integriert, ein sehr moderner, populärer Soundtrack gibt mit lauter singenden Tieren Gas, aber vor allem der anarchische, britische Humor ist eine Empfehlung.

Rückenwind von vorn

BRD 2018 Regie: Philipp Eichholtz mit Victoria Schulz, Aleksandar Radenković, Daniel Zillmann, Angelika Waller 80 Min.

„Von Oma gefördert" steht im Vorspann und das ist gleich auch Konzept für die Filme von Philipp Eichholtz: Sein sympathisches Low-Budget-Kino (Liebe mich!", „Luca tanzt leise") ist ein wunderbares Gegengift zu deutschen Komödien-Schrott und Hollywood-Overkill. In „Rückenwind von vorn" erzählt Eichholtz von der Grundschullehrerin Charlie. Sie will nach Korea reisen, der Freund will ein Kind. Überhaupt scheint die ganze Welt Charlie ohne Kind nicht für voll zu nehmen. Dabei hat sie verständlicherweise nicht mal Lust auf den Stress beim Babysitten für die Schwägerin. Als auch noch die geliebte Oma krank wird, reist Charlie mit einem Kollegen und der Oma los.

Ohne Geld heißt auch ohne Kulissen, was in bester Tradition von Nouvelle Vague schön realistische Umgebungen zur Folge hat. Auch ohne großes Inszenierungs-Brimborium bringt Eichholtz' Film das unentschiedene Gefühl einer Frau um die Dreißig rüber. Das ist vor allem dem überzeugenden Spiel von Victoria Schulz zu verdanken.

Thelma

Norwegen, Frankreich, Dänemark, Schweden 2017 Regie: Joachim Trier mit Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen, Ellen Dorrit Petersen 116 Min. FSK ab 12

Nach seinem atemberaubend großartigen US-Debüt „Louder Than Bombs" (mit Jesse Eisenberg, Gabriel Byrne und Isabelle Huppert) ist Regisseur Joachim Trier („Reprise – Auf Anfang", „Oslo, 31. August") nach Norwegen zurückgekehrt. In Oslo erlebt die zum Studium in die Stadt gezogene, stille Thelma (eindringlich: Eili Harboe) erste Erfahrungen mit Alkohol und Tabak, dazu fühlt sie sich zu einer Kommilitonin hingezogen. Was die Ekstase eines epileptischen Anfalls nach sich führt, während ein Rabe gegen das Fenster fliegt. Beim ersten nächtlichen Treffen der beiden Frauen flackert die Straßenlaterne zum neuerlichen Anfall. Das alles passiert in Angst vor der grausamen Kontrolle mit täglichen Telefonanrufen durch Thelmas rigide protestantische Eltern. Diese Evolutions-Leugner sind auch in ihren anderen Lebensweisen sehr seltsam. So wird Thelmas Liebe zum Vater und die Zugehörigkeit zu diesen christlichen Extremisten auf die Probe gestellt.

„Thelma" erzählt auf unheimlich packende Weise eine ähnlich Geschichte wie „Requiem" von Hans-Christian Schmid, 2005 mit Sandra Hüller in der Hauptrolle. Während es bei Schmid allerdings alles auf einen wahnsinnigen Exorzismus hinauslief, wird in „Thelma" vordergründig das rückständige Leben und Denken der gefährlichen Religion seziert. Dabei werden die Eltern nicht nur als religiöse Fanatiker verteufelt.

Nach dem Verdacht auf Epilepsie und einem Einblick in alte Krankenakten versteht Thelma endlich das seltsame Verhalten ihrer extremistisch christlichen Eltern. Das erweist sich als seelisch grausamer als blutrünstige Horrorfilme. So erschließt sich auch die Anfangsszene von Vater und Tochter im Winterwald, in der er das Gewehr nicht auf das Reh, sondern auf die Tochter anlegt. Die Anfälle erweisen sich anscheinend als Psychose auf Basis seelischer Grausamkeiten seit der Kindheit. Das ist psychologisch sehr exakt, packend und erschreckend. Richtig dramatisch wird es, als die Eltern dem Opium der Religion noch weitere Chemie zur Beruhigung hinzufügen. Mit einer sehr raffinierten Volte stellt Joachim Trier allerdings das rationelle Denken auf den Kopf und realisiert in der nächsten Schicht einen Mystery-Film, der klug auf seine Vorgänger im Horror-Genre aufbaut. Denn endlich noch einmal ist die „Hexe" hier nach entschlossener Emanzipation nicht mehr Opfer. Die ungewöhnliche Dramaturgie wird durch eine ungeheuer starke und zeitweise auch unheimliche Bildsprache, unterstützt vom dröhnendem Score, zu einem weiteren Beleg von Triers kluger Exzellenz.

20.3.18

Zwei Herren im Anzug

BRD 2017 Regie: Josef Bierbichler mit Josef Bierbichler, Simon Donatz, Irm Hermann, Martina Gedeck 139 Min. FSK ab 12

Nach der Totenfeier bleiben Vater und Sohn in der Gaststube der eigenen Familien-Wirtschaft zur nächtlichen Aussprache zurück. Aus dem Jahr 1984 geht die Erinnerung vom bayrischen Seewirt und Bauern Pankraz (Josef Bierbichler) in die Kindheit zum 1. Weltkrieg, als kriegslüsterne junge Männer mit Spottgesängen auf die Nachbarn die „Wacht am Rhein" schmettern. Der große Bruder will „einen toten Franzosen vom Krieg mit zurückbringen", kehrt aber nach Kopfschuss als Geisteskranker, als Kommunisten-Hasser und Antisemit zurück. So zerstört der Krieg des jungen Pankraz' Traum, Opernsänger zu werden. Nach dem Russland-Feldzug, an den er keinerlei Erinnerung mehr hat, muss er den Hof übernehmen.

Dass es ein schwieriges Verhältnis zum Sohn Semi werden wird, liegt nicht nur daran, dass der überforderte Vater in der Nähe des Kleinkindes immer Atemnot bekam und sich übergeben musste. Später wird Semi im kirchlichen Internat als „Nach-Turner" der sexuellen Gewalt eines Priesters ausgesetzt. Unter Begleitung genau der klassischen Musik, die der Vater nur noch selten singt und unter Mitwisserschaft der Mutter (Martina Gedeck).

Josef Bierbichler („Winterreise", „Das weiße Band") setzt mit „Zwei Herren im Anzug" ein gewaltiges Kaleidoskop deutscher und bayrischer Geschichte, einen einzigartigen Monolith in die deutsche Filmlandschaft. Wie eine alte Herzog'sche Ungeheuerlichkeit, mit einem Hauch von Fellinis surrealen Momenten, wenn die Nachkriegsgesellschaft Bauerntheater und schon wieder mit Nazi-Uniformen zu Fasching feiert. Auch wenn Pankraz ausgerechnet in einer typischen Heimatfilm-Nacht über den sternenbeleuchteten See brüllt: „Ich will diesen Heimatskram nicht mehr!" Bierbichler serviert Deftiges, wie die Hausschlachtung, bei der sich der Metzger in die Hose scheißt. Schockierendes wie ein letzter tödlicher Akt von Sami mit der eigenen, gelähmten Mutter. Und Furchtbares, wie die Vergasung einer ganzen jüdischen Schule im Laster als SS-Sondereinsatz.

Die Nacherzählung einer Entfremdung und Selbstentfremdung, die historische Erinnerung im Zwiegespräch ist, auch mit exzellenten Einzelteile, sehr fragmentarisch und episodisch. Man erkennt an den Auslassungen die Überfülle des eigenen Romans von Bierbichler, der den Stoff auch schon als Theaterstück umgesetzt hatte. Sätze wie „In meinem Kopf drin hängt ein Verwesungsgeruch seit 40 Jahren" wirken manchmal schlüssiger und stimmiger als die Szenenfolge. Und doch, oder vielleicht weil das Wuchtige und das Raue in dieser Familiengeschichte mit den wunderbare Bildern und dem gewaltigen Schauspieler Bierbichler so nachdrücklich wirkt, ist „Zwei Herren im Anzug" ein unbedingt sehenswerter Film geworden.

I, Tonya

USA 2017 Regie: Craig Gillespie mit Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney 120 Min. FSK ab 12

Das Kunststück dieses Films ist nicht nur der Dreifach-Axel, mit dem Eiskunstläuferin Tonya Harding 1991 als erste viel Eindruck machte. Wie die skandalöse Geschichte von Harding und dem Eisenstangen-Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan in der sagenhaften Biografie mal grell satirisch, mal heftig asozial und dann sehr menschlich erzählt wird, ist der filmische Dreifach-Axel von „I, Tonya". Ein toller Spaß, ein Stück Sport- und Zeitgeschichte, das sich immer wieder um die eigene Achse dreht, dass immer wieder ein neues Gesicht zeigt. Die Wandlungsfähigkeit von Margot Robbie („The Wolf of Wall Street") als Harding krönt diesen Ausnahmefilm.

Auf der Tonspur schmettert „Devil Woman" von Cliff Richard, als die teuflische Mutter LaVona Fay Golden (Allison Janney) die vierjährige Tonya gegen den Widerstand der Trainerin auf das Eis schickt. Dass LaVona ungeniert ihre Zigarillos weiterraucht, ist da schon Nebensache. Genauso wie Tonyas Toiletten-Bedürfnis während des Trainings, ein paar Jahre später. Die eiskalte Mutter lässt es nicht zu, der Urin läuft die Beine runter, soll sie halt nass trainieren. Geschlagen und getreten wird Tonya sowieso von dieser Hexe, der sie es nie recht machen kann. Konsequent wird Tonya auch von ihrem Freund verprügelt und meint, das gehört zur Liebe dazu.

Ja, diese Tonya Harding ist „White Trash" und der Film amüsiert sich an den Exzessen der armen, ungebildeten und extrem ruppigen Figuren - während er gleichzeitig mit dieser schockenden Lebensgeschichte berührt. Klar, dass diese Eis-Prinzessin, die für ihren neuen Freund auch schon mal den Motor repariert, mit ihren billigen, selbst geschneiderten Kostümen von den snobistischen Punktrichtern ein Leben lang Abzüge bekommt. Da kann Tonya noch so einzigartig hoch springen und überlegen laufen. Was die Kamera großartig kreiselnd unter den lauten Hits der Zeit einfängt. Doch die Euphorie, die wir mit Tonya erleben, landet immer wieder brutal auf eisigem Boden: Auch diesen Richtern wird Tonya nicht genügen. Es bleibt ein Kampf an allen Fronten: Mit den Fäusten gegen den brutalen Mann, verbissen gegen die Mutter mit ihrem emotionalen Missbrauch und gegen die Funktionäre, die gerne eine andere Eis-Prinzessin für die USA auf der Olympiade sehen wollen.

„I, Tonya" ist die absurde, bissige und gleichzeitig einfühlsame Geschichte von Tonya Harding - mit (Fake-) Interviews, erzählt von Harding, der verrückten Mutter mit einem Papagei auf der Schulter, dem blöden Ehemann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) und einem noch bescheuerteren Bodyguard. Hier wird sichtlich gelogen, rumgedruckst und am medialen Selbstbild gebogen. Tonya spricht aber auch in die Kamera, während sie verprügelt wird. Das ist witzig inszeniert, genau da, wo es überhaupt nicht mehr witzig ist.

Diese Brüche, etwa wenn sich die Mutter beschwert, dass ihre Figur mittlerweile ja nicht mehr vorkommt, gehören zu den genialen Stilmitteln eines unglaublichen Films. Der nicht langweilig wird, auch wenn es etwas dauert, bis endlich das „Ereignis" zur Sprache kommt, auf „das ihr ja alle wartet" (Harding). Der Schlag mit einer Eisenstange auf das Knie der Konkurrentin ist Sportgeschichte und hier eine grandiose Räuberpistole mit „Fargo"-mässig dämlichen Typen.

Am Ende kann die Tragikomödie mit den unheimlich starken Aufnahmen in der bunten Farbpalette der 90er nicht gut ausgehen. Wie Tonya noch halbwegs clever ihren schmutzigen Ruhm trotz Eiskunstlauf-Verbot ummünzt, ist im wahrsten Sinne niederschmetternd und sehr bitter. Wir wissen immer noch nicht, was wahr ist, aber diese Tonya Harding ist ein Biest, dass man liebhaben kann. Und ein Film, den man sehen muss!

19.3.18

Die Sch'tis in Paris

Frankreich 2018 (Une jolie ch'tite famille) Regie: Dany Boon mit Dany Boon, Laurence Arné, Line Renaud, Pierre Richard 107 Min. FSK ab 0

Lachen Sie gerne über Menschen, die anders sind? Lachen sie gerne über Menschen, die deutlich Dialekt sprechen? Dann sind Sie hier richtig! Zehn Jahre nach der Klamotte „Willkommen bei den Sch'tis" kehren die Proleten aus dem Norden Frankreichs als Sprachwitz der übelsten Sorte zurück. Dany Boon blamiert sich sowohl als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller.

Der arrogante Möbeldesigner Valentin D. (Dany Boon) und seine Frau Constance Brandt (Laurence Arné) sind Pariser Stars im Kreieren vom „Sinn der Leere", vom „Luxus' des Nichts". Ganz konkret sind das dreibeinige Stühle zum Genickbrechen, absurde Möbel und Innenausstattungen zum Davonlaufen. Das zitiert Jacques Tatis „Mon Oncle" und schafft in dieser Humor-Ödnis die einzigen raffinierten Scherze. Denn ansonsten dreht sich alles darum, dass Valentin selbstverständlich kein Waise ist, sondern ein „Sch'ti" aus dem proletarischen Nord-Frankreich, also schon fast Flandern, der seine Herkunft aus dem Arbeitermilieu verleugnet. Zum 80. Geburtstag der Mutter (Line Renaud) fällt die Sippe in Paris und genau in die schicke Werkschau Valentins ein. Sein Bruder Gustave (Guy Lecluyse) und die Schwägerin Louloute (Valérie Bonneton) wollen Geld schnorren, die Mutter nach Jahrzehnten den Sohn wiedersehen.

Schon in den ersten Minuten ist klar, dass der verlorene Sohn sich letztendlich zu seinen Wurzeln bekennen wird. Aber erst nach einer Stunde bricht das erwartete Chaos aus, das sich für so eine Komödie der Gegensätze gehört. Denn die angeblich unmögliche Familie wirkt relativ normal - bis auf diese (in der Synchronisation) völlig bescheuerte Idioten-Kunstsprache mit Hang zum Ostdeutschen. Auch Valentin verhält sich eigentlich nett und bemüht. Aber das Klavier auf der Tonspur macht auf Enttäuschung und Gefühl. Alles nur behauptet wie im Rest des Films. Ein auf auf dem dramaturgischen Tiefpunkt eingeschobener Unfall mit Hirntrauma für Danny Boon erklärt vieles an diesem furchtbaren Film und bringt eine kurze Klamauk-Auszeit, die mit sentimentalen Versatzstücken aufgefüllt wird. Valentin wandelt sich vom Schnösel zum infantilen Vollidioten, der die letzten „fünfunzwanschiss" Jahre vergessen hat. Die Schwägerin heißt jetzt wieder „Muschi" und „Gott verdaulicher" will man da nicht mit den Sch'tis fluchen, etwas Ohropax wäre jetzt nicht schlecht.

Proleten, die asozial am Rand der Gesellschaft leben, waren schon immer ein großer Kino-Spaß. Die Niederländer hatten in dieser Reihe die Familie „Flodder". Aber dagegen sind diese Sch'tis brav und langweilig wie die umhäkelte Klopapierrolle auf der Hutablage von Oldtimern. Ganz nebenbei, trägt dieser dämliche Klamauk, dieses Herablachen auf die ganz Blöden nicht in seinem Kern Rassismus in die anscheinend harmlose Kino-Komödie?

Auf jeden Fall ist der Klamauk, wie das unfähige Einparken, so miserabel inszeniert, dass der Gag schon im Ansatz abgewürgt wird. Ein Scherz über moderne Pariser Männer-Mode mit ihren „eingelaufenen" Hosen passt in die ach so sympathische Erscheinung, dass sich der beschränkte Geist mit flachem Witz gegen Moderne, Kultur und Entwicklung wehrt. Denn die ohne Bildung und Erfolg erweisen sich als die besseren Menschen - was draußen vor dem Kino nicht unbedingt zutrifft. Boon inszeniert sich wieder selbst, und das ist nicht „bonne", „gare nichete gutte".

Man merkt direkt, dass viele Wortspiele in der Synchronisation unübersetzbar bleiben. Der Rest ist selten dämlicher Humor, und selbst wenn man so etwas mit solchen bescheuerten Zutaten dreht, macht man es doch gefälligst mit gutem Timing. Hier kann man nur solidarisch einfältig ver- und vorurteilen: Die spinnen, die Franzosen.

14.3.18

Tomb Raider (2018)

Tomb Raider (2018)

USA, Großbritannien 2018 Regie: Roar Uthaug mit Alicia Vikander, Dominic West, Walton Goggins, Daniel Wu, Kristin Scott Thomas 118 Min. FSK ab 12

Lara Croft ist zurück - dieser feuchte Digital-Traum aller Computer-Spieler in den 90er Jahren. Angelina Jolie, die Croft-Figur der ersten beiden Filme, ist als Seniorin nicht mehr dabei. Der neue Film vollzieht die Verjüngung und die gesellschaftsfähigere Bekleidung der Lara Croft-Figur in einer neuen Serie von Computer-Spielen nach. Als junge Lara Croft darf sich nun die bisherige Charakter-Darstellerin Alicia Vikander („Ex Machina", „The Danish Girl") durchschlagen.

Die neue, junge Lara ist Tochter eines exzentrischen Abenteurers, der spurlos verschwand, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie lebt als Fahrradkurierin in den Straßen der Trendviertel von East London, das Geld reicht kaum. Aber sie will den globalen Konzern und das Erbe ihres Vaters nicht übernehmen, weil sie sich weigert, an seinen Tod zu glauben. Sieben Jahre nach seinem Verschwinden bricht Lara auf, um ihn zu suchen. Es geht zu einem legendären Grabmal auf einer mythischen Insel vor der japanischen Küste und selbstverständlich wird das Abenteuer schnell lebensgefährlich für die kluge und starrsinnige Frau.

So wie ihr frischer Ehemann Michael Fassbender mit seiner Schauspielkunst auch in Schund wie „300" und „Assassin's Creed" bestehen kann, enttäuscht Alicia Vikander als Besetzung für Lara Croft. Während andere Charakterschauspieler schon mal Probleme haben, glaubhaft zu rennen, schlägt sich die Schwedin dabei erstaunlich gut und sieht auch im Vergleich zu anderen Rollen noch wie jung wie eine Studentin aus. Vor allem am Anfang ist Lara als Fahrrad-Kurierin angenehm drin im richtigen Leben. Das verspricht etwas Entwicklung, wo die „alte" Lara schon perfekte Kämpferin war. Das Rennen unter Radkurieren macht noch Spaß, dann beginnt die Schnitzeljagd in ihrem Elternhaus und führt sie auf die typische einsame Insel mit Grabmal, die das ganze Jahr über für solche Filme ausgebucht ist.

Im Vergleich zu heutigen Action-Filmen verläuft das alles recht lahm. Die Produktion schmeißt die ersten 30 Minuten nicht mit Schauwerten um sich, eine erste Verfolgungsjagd mit kleinen Gangstern sieht man so auch im Nachmittags-Programm der Öffentlich-Rechtlichen. Richtige Action gibt es erst am Ende, wenn die Indiana Jane des Computerspiels ein Indiana Jones Gedächtnis-Rennen und -Raufen veranstaltet. Eine Truhe, die Welten zerstören kann, ist dabei als „ MacGuffin " nicht wahnsinnig originell.

Bald ist nicht mehr viel vom Realismus des Anfangs übrig, auch nicht von Physik oder Wahrscheinlichkeitsrechnung. „Tomb Raider" ist zwar nicht außergewöhnlich dämlich, nicht nervig, aber auch sehr bescheiden. Der Gegner ist alles andere als ein charismatischer Schurke, eher ein auch moralisch ungepflegter Sonderling. Die Dialoge gerieten nicht tiefer gehend als es für ein Action-Spiel nötig ist. Dazu viele handwerkliche Schlampereien: Die obligatorische ganz große Wasserrutsche hat diesmal ein altes Flugzeug als letzten Rettungsanker für Lara. Doch das wird jedoch viel zu früh gezeigt, der Effekt verpufft. Das Übersinnliche bleibt vergraben, die für das Spiel so typischen Rätsel halten sich zurück. So gönnt uns „Tomb Raider" auch nicht das sehr seltene Vergnügen, Menschen beim erfolgreichen Denken zuzusehen. Die ganze Familiengeschichte funktioniert so schlecht, dass es hier fast lächerlich wird. Ein Scherz pro Stunde hält das Ironie-Niveau tief unter Null, aber cool ist diese neue Lara auch überhaupt nicht. Das hätten - bis auf die ersten zehn Minuten - auch viele andere Schauspielerinnen hinbekommen. Aber egal, ob sich das rumspricht, es wird eine Fortsetzung geben.

13.3.18

Auslöschung / Annihilation (Netflix)

Auslöschung (Annihilation)

Regie: Alex Garland

Netflix

Der spannende Regisseur Alex Garland verfilmte nach „Ex Machina" nun die Southern Reach Triologie von Jeff VanderMeer über die Biologin und Soldatin Lena (Natalie Portman), die ihrem Ehemann in die „Area X" folgt, einem unheimlichen und mysteriösen Phänomen, das sich über die gesamte amerikanische Küste ausbreitet. „The Shimmer" wächst und bleibt unerklärlich, weil niemand von dort zurückkehrt. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen geht das Geheimnis an und trifft auf seltsame Wesen und Erscheinungen, überall Mutationen. Das ist anfangs vor allem spannend, wird aber zunehmend spektakulär abgehoben.

„Annihilation" hatte einen Kinostart in den USA, aber in Europa lassen sich die eindrucksvollen Bildwelten von Kameramann Rob Hardy und die sphärischen Klänge von Geoff Barrow und Ben Salisburg nur auf den kleinen Schirmen erleben. Ein Erlebnis bleibt es trotzdem: Egal, ob man den neuen Film von Garland als gelungen oder gescheitert ansieht, er ist bei guten Schauspiel von Portman („Black Swan", „Jackie: Die First Lady"), Jennifer Jason Leigh („Twin Peaks", „The Hateful 8") und den anderen, eine einzigartige und oft wunderbare Kinovision.

Loveless

Russland, Frankreich, Belgien, BRD 2017 (Nelyubov) Regie: Andrey Zvyagintsev mit Maryana Spyvak, Alexey Rozin, Matvey Novikov 127 Min. FSK ab 16

Die Ehe von Zhenya und Boris, einem Paar aus der gehobenen russischen Mittelschicht, ist zerrüttet. Hasserfüllt schreien sie sich an und beleidigen sich nur noch. Ein stummer Schrei entfährt dabei ihrem 12jährigen Sohn Aljoscha. Wie die Eltern vergisst auch der Film lange den Jungen. Zhenya fotografiert sich selbstverliebt beim Essen und Flirten mit einem neuen, reichen Mann. Boris lebt vor allem sexuell eine neue Affäre aus und hat Angst, auf der Arbeit über Scheidung zu reden. Das getrennte Heute geht gewollt verwirrend über in teilweise deckungsgleiche Erinnerungen an den leidenschaftlichen Anfang des Paares. Dann verschwindet Aljoscha und die lieblosen Eltern müssen bei der Suche zusammenwirken.

Andrey Zvyagintsev ist einer der interessantesten russischen Regisseure der Gegenwart. Er beeindruckte zuletzt mit „Leviathan", der poetischen und schonungslosen Entblößung der brutalen Korruption von Macht und orthodoxer Kirche in Russland. Nun erzählt „Loveless" konzentriert und ruhig von einer gefühlslosen, egoistischen Welt, in der schon mal ein Kind mit seiner Verzweiflung verloren gehen kann. Das Versagen der Polizei wird direkt im Desinteresse der Beamtin klar, mit der sie das Zimmer des Jungen fotografiert. Ohne simple Anklagen vermitteln Inszenierung und das packende Schauspiel einen beklemmenden Egoismus der Gesellschaft.

Winchester - Das Haus der Verdammten

Australien, USA 2018 Regie: Michael Spierig, Peter Spierig mit Helen Mirren, Sarah Snook, Jason Clarke 100 Min. FSK ab 16

Sarah Winchester (Helen Mirren), Witwe und Erbin des Waffen-Imperiums von William Winchester, lässt in jahrzehntelanger, ununterbrochener Bautätigkeit ein gigantisches und unübersichtliches Anwesen mit über 500 Zimmern errichten – voller Irrwege, falscher Türen und im Nirgendwo endender Treppen. Der Psychologe Dr. Eric Price (Jason Clarke) wird damit beauftragt, den Geisteszustand der Millionenerbin zu untersuchen. Denn Sarah Winchester ist davon überzeugt, ein Gefängnis für Hunderte rachsüchtige Geister und gequälte Seelen zu errichten, die durch Winchester-Waffen zu Tode kamen und nun Vergeltung suchen. Klingt nach zeitgemäßem Thema, doch der Horrorfilm der deutschstämmigen Spierig-Brüder („Jigsaw") verlässt sich trotz fähiger Besetzung auf Schockmomente an der Grenze zum Trash.

Unsere Erde 2

Großbritannien 2017 (Earth: One amzing day) Regie: Peter Webber, Fan Lixin, Richard Dale 94 Min. FSK ab 0

Der nächste Natur-Dokumentarfilm vom BBC kommt so unweigerlich wie Geburt und Tod, wie Fressen und Gefressenwerden ins Kino. Garantiert dabei sind „Oh wie süß"-Momente mit orchestralem Pathos, das sich nie zurückhält. Genau wie der penetrante Erzähler, der je nach Kino-Land von austauschbaren Dampf-Plauderern (Robert Redford / Günther Jauch) ausgefüllt wird. Der Text bleibt überall voller Plattitüden, für die man Autoren und Sprecher den Löwen vorwerfen möchte.

Doch selbst bei dieser Flut an Natur-Filmen in TV und Kino finden sich immer noch ein paar einzigartige Momente wie Mantas, die weit aus dem Wasser springen. Und die Galapagos, auf denen Darwin ja praktisch den ersten Naturfilm überhaupt drehte, mit ihren archaischen Waranen sind immer sehenswert. Dort erleben wir die Jagd vieler fieser Schlangen auf frisch geschlüpfte Baby-Echsen als sehr spannend bis schrecklich überdramatisiert. Mit dabei ist auch der Klassiker in Sachen sadistischer Tierfilm, die Flussüberquerung in afrikanischer Steppe, diesmal leider ohne Krokodile. Thema dieses Tages auf der Erde ist Sonnenenergie. Und Energie generell, wenn erklärt wird, dass ein Panda bis zu 14 Stunden täglich essen muss, weil Bambus nicht besonders nährreich ist. Andere bedrohte Arten wie Narwale mit ihrem Einhorn tauchen in der Arktis auf, wobei das Ganze wieder mit exzellenter Kameratechnik für superlangsame Zeitlupen und grandiose Panoramen aufgenommen wurde. Der natürliche Kreislauf dieser Filme wird noch eine Weile fortdauern.

Der Hauptmann

BRD, Polen, Portugal, Frankreich 2017 Regie: Robert Schwentke mit Max Hubacher, Frederick Lau, Milan Peschel, Alexander Fehling 119 Min. FSK ab 16

Nach ein paar Hollywood-Knallern wie dem Alte-Agenten-Spaß „R.E.D.", der tödlichen Action-Comedy „R.I.P.D." oder den Teilen zwei und drei von „Die Bestimmung" realisierte der international sehr erfolgreiche Regisseur Robert Schwentke wieder in Deutschland: „Der Hauptmann" ist eine erschütternde Abrechnung mit deutscher Obrigkeitshörigkeit. Dabei beweist die grausame, universal gültige Köpenickiade nebenbei, dass „Stolz auf Wehrmacht" in die Psychiatrie oder vor ein Gericht gehört.

Im April 1945 weiß eigentlich jeder, dass dieser wahnsinnige Krieg für Deutschland verloren ist. Doch auch auf dem Land halten Nazis und Mitläufer das Terror-System noch aufrecht. Dort landen wir direkt bei einer sadistischen Hatz der Wehrmacht, die einen anderen deutschen Soldaten vom Lastwagen her mit Schüssen vor sich hertreiben. Obwohl ohne Chance, kann der junge Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) entkommen und findet, in Lumpen auf Bauernhöfen Essen klauend, eine Hauptmannsuniform. Direkt erlebt Herold beim Soldaten Freytag (Milan Peschel) die Macht dieser Verkleidung. Bald sammelt er mehr und mehr verstreute Kämpfer um sich und behauptet, auf direktem Befehl „vom Führer" hinter der Front nach dem Rechten sehen zu sollen.

Immer ist da die Spannung, ob Herold nicht entdeckt wird. Von den brutalen Feldjägern auf Suche nach Deserteuren zum Beispiel. Aber bald spielt der Verkleidete sogar mit seiner möglicherweise falschen Identität. Als sein Trupp in einem Gefangenenlager ankommt, eskaliert das Versteck-Spiel mit der Uniform. In einer schwer erträglichen Folge von Unmenschlichkeiten und bestialischen Grausamkeiten initiiert und exekutiert Herold Massenerschießungen. Mordete er anfangs vielleicht noch aus Angst, entdeckt zu werden, reißt er sich bald darum, der brutalste Schlächter einer an sich schon entsetzlichen Truppe zu sein. Seine Untergebenen morden meist unter Zwang, er aus Lust, als Party-Spaß für Männer wie Frauen. Ein cleverer Soldat (Frederick Lau), der ihn direkt durchschaut, wird sein brutalster Handlanger, der sich nur mit Mühen davon abhalten lässt, Menschen zu Brei zu schlagen. Dabei echot die Hatz, bei der Herold selbst fast umgebracht wurde, immer wieder durch die Handlung.

Bei Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick", berühmt geworden durch die Verfilmung mit Heinz Rühmann, steuerte die Köpenickiade aus dem Spaß unweigerlich auf ein gnadenloses Finale zu. Mit „Der Hauptmann" begeben wir uns ins Herz der deutschen Wehrmachts-Finsternis. Wie schnell sich ein Gejagter und Gequälter selber zum Unmenschen wandelt, hat dabei gar nicht so viel mit Faschismus zu tun. Wie „Das Experiment" von Oliver Hirschbiegel zeigt sich eine leider sehr allgemeingültige Studie über das mörderischste Potential der Menschen, vor allem der Männer.

Bevor er mit seinem „Flight Plan" und Jodie Foster 2005 in den USA abhob, machte Robert Schwentke in Deutschland mit der herrlich schwarzen Komödie „Eierdiebe" und dem Thriller „Tattoo" auf sich aufmerksam. Sein neuer, sehr vortrefflich beklemmender Film kann irgendwann das Maß der Gewalt nicht mehr steigern. Bei immer weniger Entwicklung lässt sich die Steigerung des Wahnsinns nur noch in einer von Electro-Sounds begleiteten Farce fassen, in einer oh so bitteren Farce.

Herold schickt in Unterhosen den Volkssturm auf Menschen-Jagd, sein hemmungsloses Plündern erinnert an marodierende Horden beim Dreißigjährigen Krieg. Ein „Schnellgericht Herold" spielt sich zum „Rächer der deutschen Ehre" auf. Dabei ist ein Maßstab für Anständigkeit gar nicht mehr vorhanden, nur das Ausmaß von Brutalität und Skrupellosigkeit unterscheidet sich noch.

Die wahre Geschichte von Willi Herold endete im Alter von 21 Jahren mit seiner Hinrichtung durch ein britisches Gericht. Schwentke erzählt die wirklichere deutsche Geschichte, wenn Herolds Verteidiger, ein alter Freikorps-Kämpfer, vor einem Nazi-Gericht betont, Herold hätte sich doch für die Wehrmacht gar nicht so ungewöhnlich verhalten. Das wirkt surreal, wenn der freie Mörder durch einen Wald voller Skelette geht, und selbst im Abspann wieder schaurig, wenn Herolds Truppe in einer Fußgängerzone von heute Menschen drangsaliert und beraubt.

11.3.18

The Florida Project

USA 2017 Regie: Sean Baker mit Brooklynn Kimberly Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, 111 Min. FSK ab 12

Micky Maus auf Hartz IV? Klingt komisch, ist als Sozialdrama vor den Toren von Disneyworld in Florida ein erstaunlich buntes und sehr bewegendes Meisterwerk:

Das „Magic Castle" ist echt grell lila und ein heruntergekommenes Motel außerhalb von Disneyworld in Orlando, Florida. Die wohl einst hoffnungsvolle Anlage mit Pool wurde zur Sozialsiedlung mittel- und vaterloser Familien mit ein paar verirrten Disney-Gästen. „Die Tafel" kommt regelmäßig mit Lebensmittelspenden vorbei. Draußen fliegen Hubschrauber von der Wiese die Menschen zu Disney, die sich ein Familien-Ticket für 1700 Dollar leisten können. Vom Picknick-Platz zeigt man denen den Stinkefinger.

Im diesem eher manischen als magischen „Magic Castle Motel" wohnt Halley (Bria Vinaite) mit ihrer sechsjährigen Tochter Moonee (Brooklynn Prince). Mit ihrer Freundin macht Moonee die Gegend unsicher, zwei unglaublich unverschämte, naseweise und ordinäre Herzchen. Sie rotzen vom Balkon, schnorren sich ein Eis zusammen, schnauzen andere an und fackeln auch mal ein Haus ab. „Die kleinen Strolche" der 2000er.

Ebenso unbedarft schafft Mutter Halley mit Betteln und Straßen-Verkauf von Parfüm-Fälschungen das Geld für die Miete ran. Trotzdem verlangt das Gesetz, dass sie zwischendurch für einen Tag auszieht. Halley ist atemberaubend dreist und unverschämt in ihren Diebstählen und Betrügereien. Die fröhliche junge Frau kann auch fluchen und beleidigen, selbst Leute, die es gut mit ihr meinen. Das ist eigentlich nur noch Bobby (Willem Dafoe), der herzensgute Hausmeister der Motel-Anlage.

Aber Haleys sehr legere Erziehungsmethoden erlauben Moonee unbekümmert von der prekären Situation diesen Abenteuerspielplatz des sozialen Niedergangs zu erleben. Ihr frecher Spaß, die tolle Natürlichkeit der kleinen Schauspieler sind ein sehr gewinnendes Element von „The Florida Project". Bei der Begeisterung über die schöne Geschichte, bei den echten Menschen übersieht man leicht, wie unglaublich gut der Film gemacht ist, was für ein exzellenter Regisseur und Autor Sean Baker ist. Nach seinem grandiosen „Starlet" mit der Hemingway-Urenkelin Dree als Porno-Darstellerin und „Tangerine L.A." über eine transsexuelle Prostituierte (komplett mit einem iPhone gedreht) konfrontiert Baker nun in einem so ebenso krassen wie geniale Setting Traumwelt und Armut im reichen Amerika. Diese surreale Umgebung neben der „Sieben Zwerge-Straße", schreiend bunt eingefangen von Kameramann Alexis Zabe, bildet die Folie für eine clever erzählte Geschichte, die sich den klebrigen Klischees des Sozialdramas frisch und frech entzieht.

In dieser realistischen Märchenwelt beeindrucken die Laiendarstellern Brooklynn Prince als Moonee und Bria Vinaite als Halley. Ganz erstaunlich, wie ihre Figur in jeder Hinsicht unverschämt und hyperaggressiv durch die Szenen hüpft und man trotzdem auf ihrer Seite bleibt. Willem Dafoe („Spider-Man", „Antichrist") ist mit großer Lässigkeit in einer ganz ungewöhnlichen Rolle als Manager und Hausmeister zwischen Herz und Strenge zu erleben.

Dass irgendwann doch das Jugendamt auftaucht, nachdem Halleys wirkliche Tätigkeit verraten wird, macht die ungewöhnliche Dramaturgie nur noch treffender - bis zum bitter-süßen Märchen-Schlussbild für Moonee.

7.3.18

Mute (Netflix)

Regie: Duncan Jones

Nach seinem bejubelten „Moon" mit Sam Rockwell hat der äußerst talentierte Regisseur Duncan Jones einen „Blade Runner" in Berlin inszeniert und diesen „Mute" seinem Vater David Bowie gewidmet. Leo (Alexander Skarsgård) ist stumm, weil seine religiösen Eltern nach einem Unfall in der Kindheit die Operation verhindert haben, die seine Stimme hätte retten können. Leos kleines Glück in der Unterwelt Berlins mit seiner geheimnisvollen Freundin, endet als diese verschwindet. Seine Suche nach ihr kreuzt sich mit den Wegen des desertierten US-Soldaten Cactus (Paul Rudd). Ein Psychopath, der illegal operiert und foltert, um einen neuen Pass zu bekommen. In Ausstattung und Styling ist dies futuristische Berlin ein ganz großer Augenschmaus. Ein alter, voll elektrisierter Mercedes verfolgt Schwebetaxis, im Restaurant kommt das Essen per Drohne. Leo, der stumme Amish, hat aber noch kein Mobiltelefon. Dafür ein Notizbuch, in dem er zeichnet und mit dem er sich auch verständigt. Die Geschichte vom naiven Sonderling und der verschwundenen Schönen wird getragen von Skarsgård Junior, der diese sensible Persönlichkeit großartig spielt. „Mute" wirkt zeitweise verwirrend, ist aber immer noch so gut inszeniert, gestaltet und gespielt, dass man unbedingt dabei bleibt.

6.3.18

Molly’s Game

USA 2017 Regie: Aaron Sorkin mit Jessica Chastain, Idris Elba, Kevin Costner, Michael Cera 140 Min. FSK ab 12

Einen Oscar für diese Rolle gab es nicht, aber die „Poker-Prinzessin" Molly Bloom und ihre Darstellerin Jessica Chastain sind genau die starken Frauen, die gerade im Hollywood-Trend liegen. Dass „Molly's Game" allerdings den Bechdel-Test nicht bestehen würde, weil keine zweite Frau für einen intelligenten Dialog, der nicht von Männern handelt, da ist, fällt bei aller Spannung, dem super Schauspiel und der flotten Inszenierung des Biopics und Krimis nicht auf.

Molly Bloom (Jessica Chastain) hat schon einiges erlebt, als sie verzweifelt beim Anwalt Charlie Jaffey (Idris Elba) aufläuft: Als Ski-Fahrerin konnte erst der zweite Bruch des Rückgrates ihre Olympia-Hoffnungen stoppen. Danach hat sie über zehn Jahre hinweg den exklusivsten geheimen Poker-Ring der Welt betrieben und ein Buch darüber veröffentlicht. Jetzt wurde Molly, obwohl sie seit zwei Jahren kein illegales Spiel mehr geleitet hat, erneut verhaftet. Der besonders ehrenwerte Anwalt Jaffey lehnt die mittellose und vermeintlich kriminelle Klientin ab. Durch ihr Buch ist er aber gefesselt von dieser Frau, die seiner Tochter im Wartezimmer die besseren Ratschläge gibt.

Für den ersten Umschwung sorgt die Tatsache, dass Molly Bloom in ihrem Buch nur Namen nannte, die schon bekannt waren. Mit Jaffey lernen wir nun in der Rückblende Molly kennen. Wie aus ihrem Bürojob die Assistenz in einer sehr prominenten Poker-Runde wurde, die dann gleichzeitig Abend-Kurse in Sachen Börse, Politik, Kunst und Hightech-Entwicklungen war. Als ihr Boss, der keine Ahnung hat, was eine Excel-Tabelle ist, verärgert das lächerliche Gehalt kürzen will, macht Molly eine eigene, exklusive und luxuriöse Poker-Runde auf. Mit ein paar Klicks auf ihrer SMS-Liste und mit den Spielern ihres Ex-Chefs.

Die sehr kluge Frau war zwar erstaunt über das Ausmaß des Spiels mit schon mal fünf der reichsten Menschen der Welt, darunter berühmte Schauspieler und Finanzjongleure, aber sie lernt extrem schnell. Dabei wird sie nicht gierig, lässt keine Drogen und keine Prostituierten zu, bis auf einen privaten Joint auf dem Balkon. Auch hält sie sich lange an die Regeln, nichts von den Einlagen der Spieler abzuzwacken. Doch ihre Gutmütigkeit wird ausgenutzt und als irgendwann über 30 Leute von 600 Polizisten gleichzeitig verhaftet wurden, konnte man ihr doch etwas vorwerfen. Sie hatte am Ende mit der russischen Mafia zu tun, blieb aber trotzdem loyal zu allen Kunden und verriet keinen einzigen Namen. Denn nur um diese zu erfahren, hat die Staatsanwaltschaft sie nun erneut angeklagt.

„Molly's Game" ist inhaltlich die wahre Geschichte einer erstaunlichen Stehauf-Frau, die von Kindesbeine mit enormem Druck zurecht kommen konnte. Diese Molly Bloom war eine rebellische Tochter eines perfektionistischen, knallharten Vaters und Trainers (sehr präsent: Kevin Costner). Der Reiz dieses sehenswerten Films liegt aber vor allem an der Inszenierung von Aaron Sorkin, die mit flottem Dialog und Schnitt der Schlagfertigkeit Mollys entspricht. Sorkin, der auch das Drehbuch nach Molly Blooms Buch „Molly's Game: Der Insiderbericht über die Pokerrunde der Stars" schrieb, ist bekannt für seine Bücher zu „The Social Network", „Steve Jobs", „West Wing" und „The Newsroom". So beeindruckt hier Frauen-Power auf der Leinwand, auch wenn die knappe Erklärung von Mollys Persönlichkeit durch den Vater eine dicke Portion psychologisches „mansplaining" darstellt.

Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?

BRD, Niederlande 2017 Regie: Lola Randl mit Lina Beckmann, Charly Hübner, Benno Fürmann 94 Min. FSK ab 12

Luisa ist Paartherapeutin - nein, schon falsch: Luisa ist eine Comic- und Witzfigur, die wohl irgendwie als Paartherapeutin arbeitet. Vornehmlich ist Luisa (Lina Beckmann) besorgt, dass der Ischias ihres Mannes Richard (Charly Hübner) das Wochenende mit ihrem Liebhaber Leopold (Benno Fürmann) verhindert. Es ist schon eine komische Grundsituation, wie das untreue Paar den Gehörnten wortwörtlich beknetet, damit der Rücken vielleicht doch das Klassentreffen mitmacht. Dann wird es ein wenig zu viel: Für Luisa das Hin und Her zwischen den Musterhäusern der beiden Fertighausverkäufer-Arbeitskollegen Richard und Leopold. Und für die Zuschauer, wenn mit Ann plötzlich eine infantile Kopie Luisas auftaucht. Die soll dann beim Ehemann die Vertretung machen, während das Original mit dem schmierigen Verführer rummacht.

Das neue Glück mit der unerkannt bleibenden Zweitfrau erinnert sehr an Sandkastenspiele von Kleinkindern. Auch das andere Paar legt eine Klamotte mit kindlicher Naivität hin, bei der man sexuell mal ein bisschen was ausprobiert. Das ist alles nicht von dieser Welt, es gar wird kein Versuch gemacht, das irgendwie realistisch zu verankern. Das ist wie „Der andere Liebhaber" von Ozon nur in dämlich. Ein paar nette Ideen verlieren sich bei einer Handlung, die man bei Doris Day in den 60ern verortet. Die Ausstattung mit den absurd kantigen Musterhäusern will vielleicht Tatis „Mon oncle" zitieren. Wenn man sich in diesen Klamauk von Lola Randl („Die Besucherin", „Die Libelle und das Nashorn") eingesehen hat, kann man zwischen dem Kopfschütteln auch mal lachen. Aber vieles ist in den Dialogen und im Spiel bis zum Fremdschämen peinlich. Lina Beckmann empfiehlt sich als Ulk-Nudel mit erstaunlicher Vielfalt im Ausdruck - nur ein Ernster kommt hier nicht vor.

5.3.18

Arthur & Claire

BRD, Österreich, Niederlande 2017 Regie: Miguel Alexandre mit Josef Hader, Hannah Hoekstra, Rainer Bock 99 Min. FSK ab 12

Amsterdam sehen und sterben

Dieser Hader! Allein wie dieser Hader in seinen Figuren diese nur scheinbar grobe, aber eigentlich aus dem Übersensiblen entstehende Menschenfeindlichkeit an den Tag legt, ist immer wieder ein Fest. Grandios, wie er mit seinen Rollen - vor allem in den Haas-Krimis - immer wieder an der Fassade der belanglos freundlichen Zwischenmenschlichkeit kratzt. (Seine eigene Regiearbeit „wilde Maus" lassen wir hier gnädigerweise unerwähnt, weil wir da einen schwächeren Hader sehen.)

Nun fliegt Josef Haders Figur Arthur nach Amsterdam ein, um sein Leben beenden zu lassen, und trifft auf eine ebenso bissige junge Frau, dies sich auch umbringen will. Es wird kaum ein Happy End geben können, aber wie die beiden sehr unterschiedlichen Selbstmörder miteinander um ein Glas voller Tabletten kämpfen, ist echt komisch. Er ist alters- und lebensmüde, sie jung. Sie lebendig, er deprimiert.

Arthur und Claire verstehen sich auf Anhieb in ihrer Abneigung: „Haben Sie an Ihrem letzten Abend wirklich nichts Besseres zu tun, als anderen Leuten auf die Nerven zu gehen?" „Österreicher, das ist ja noch schlimmer als Deutscher", bemerkt Claire beim seinem Einmarschieren in ihr Hotelzimmer. Sie stehen sich in ihren bissigen Bemerkungen um nichts nach. Dabei ist sie eine Holländerin, die keinen Käse isst, und er ein Österreicher, der nicht Ski fährt. Arthur kann wegen seines Tumors nicht mehr richtig atmen, sodass es ihm nicht wirklich gelingt, ihr hinterher zu rennen, als sie eine neue Überdosis Tabletten besorgen will. Doch dann gehen sie zusammen essen, kiffen und werden dabei wunderschön ehrlich.

Der erfahrene Regisseur Miguel Alexandre wechselt seit Jahren zwischen seinen Fernseh-Krimis, Fernsehfilmen wie „Starfighter" und Kino-Projekten wie „Störtebeker". Für „Arthur & Claire" schrieb er das Drehbuch zusammen mit dem Kabarettisten Schauspieler und Regisseur Josef Hader. Das einfühlsame Werk ist nur oberflächlich ein dunkler Film, weil die traurigen Gesichter hell strahlen, wenn es mit kitschig bunt beleuchteter Rikscha durch die Nacht an den Grachten geht. Neben Josef Hader ist Hannah Hoekstra („Hemel", „App") für Menschen jenseits der Käsegrenze eine Entdeckung. Es ist eine Freude und ein Schmerz, den beiden zuzusehen.

Lucky

USA 2017 Regie: John Carroll Lynch mit Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston, Tom Skerritt 88 Min. FSK ab 0

Dieser wunderbare Abschiedsfilm für Harry Dean Stanton („Paris, Texas"), der am 15. September 2017 mit 91 Jahren starb, ist ein feines, leises Porträt eines alten Mannes, der viele biographische Parallelen zu Stanton aufzeigt. Yoga am Morgen, der Gang vom Häuschen, das irgendwo in der Wüste zu liegen scheint, zum Café im Kaff, um dort das Kreuzworträtsel zu lösen. Der Alltag von Lucky, der gerne Cowboy-Hut und -Stiefel zu Schießer-Feinripp trägt, hat sich eingeschliffen wie die Furchen in seinem Gesicht. Der klapprige Alte kommentiert mit gesundem Zynismus und scharfer Zunge den Alltag. Sein Arzt meint, wenn der kerngesunde Kettenraucher aufhören würde zu rauchen, würde er sterben. Doch irgendwann kippt Lucky beim Blick auf die rote LED-Uhr an der Kaffeemaschine um und danach macht er sich tatsächlich Gedanken über das Alter.

Das Rot leuchtet später symbolisch und surreal in Richtung eines Ausgangs-Schildes, als wäre dies ein Film von David Lynch. Doch der „Twin Peaks"-Regisseur taucht hier nur als einer der anderen Dauergäste der Cafés und Bars von Lucky auf. Seine noch ältere Schildkröte namens Theodore Roosevelt ist entlaufen. Anlass, sich Gedanken über die Relativität von Zeit zu machen, in diesem Film, der sich viel Zeit nimmt. Wie „The Straight Story", dieser ganz andere Film von David Lynch, wie „Paris, Texas" von Wim Wenders, die bislang einzige Hauptrolle von Harry Dean Stanton. „Ein Dokumentarfilm über Harry Dean Stanton wäre genau so", meinte Wim Wenders zu „Lucky". Stanton war, wie Lucky, Koch in der Navy während des Zweiten Weltkriegs. Auch Harry war Atheist, der ständig die Welt erklärte und uns alle für „Nichts" hielt. Kreuzworträtsel spielten nicht nur fiktiv, sondern auch im echten Leben von Harry eine große Rolle. Weitere Leidenschaften von beiden sind Game Shows, Zigaretten, Bloody Mary und Cowboy-Hüte. Harry Dean sang für sein Leben gern, so darf er hier auf einer mexikanischen Geburtstags-Feier mit Marriachi-Band „Volver, Volver" singen. Die Autoren Logan Sparks und Drago Sumonja meinten denn auch, sie hätten ihre Dialoge von Stanton geklaut.

Dazu sind alle Nebenrollen mit Freunden und Weggefährten von Stanton besetzt. Mit Tom Skerritt war er in „Alien" zu sehen. David Lynch besetzte ihn vortrefflich in „Wild at heart", „The Straight Story" und „Twin Peaks". Aber ganz unabhängig von diesen schönen Referenzen gelang Regisseur John Carroll Lynch (nicht verwandt mit ...) eine Filmperle mit viel Humor und Gefühl, die so sympathisch eigenbrötlerisch daherkommt wie die Hauptfigur. Eine faszinierend ruhige Geschichte mit Verweisen zum Leben und Sterben an sich.

Operation: 12 Strong

USA 2017 (12 Strong) Regie: Nicolai Fuglsig mit Chris Hemsworth, Michael Shannon, Michael Peña 131 Min. FSK ab 16

Es müsste eigentlich Satire sein: Da reiten im Jahr 2001 US-Soldaten in den Krieg gegen die afghanischen Taliban, die sie vorher mit Luftabwehr-Raketen ausgestattet haben. Deswegen geht nix mit Hubschraubern und die Fortbewegung wird etwas umständlicher. Außerdem wollen sie die Verantwortlichen für die Anschläge von 9/11 bestrafen, die sitzen aber in Saudi-Arabien - Erdkunde und Politik ungenügend.

Der typisch widerwärtige Kriegsfilm „Operation: 12 Strong" macht allerdings ein Heldenstück daraus, dass 12 Soldaten unter Führung eines rachsüchtigen „Warlords" nach Afghanistan einreiten und sich von ihm instrumentalisieren lassen. Sie funken Koordinaten nach Hause, mit denen Bomber aus sicherer Höhe ihren Massenmord betreiben können. Das nächste Machwerk vom brachialen Rumpel-Produzenten Jerry Bruckheimer („The Pirates of the Caribbean", „Black Hawk Down") setzt auf Pferde und die unterforderten Stars Chris Hemsworth, Michael Shannon und Michael Peña. Tatsächlich soll im Fach Personen-Entwicklung der Anführer Mitch Nelson (Hemsworth) mit Hilfe der Lebens- oder Tötungsphilosophie des Warlords seinen „Killerblick" finden und westliche Feigheit ablegen. Das klingt dann ähnlich ekelhaft wie die Ideologie der Taliban.

Der dänische Regisseur Nicolai Fuglsig führt ein brutales Beispiel für den Terror der Taliban gegenüber Bildung und Frauen vor. Das reicht als Begründung, um aus sicherer Entfernung haufenweise Menschen und Dörfer zu bombardieren. Vor allem im letzten Drittel gibt es nur noch Ballern und Morden. Selbstverständlich muss „Operation: 12 Strong" heutzutage äußerlich ein „dreckiger" Kriegsfilm sein. Tatsächlich erzählt er vor allem von Übermacht der US-Weltpolizei, ohne jegliche Zweifel zuzulassen. Wo er aufhört, beginnen interessante Filme wie der dänische „Brothers" von Susanne Bier von den Grauen des Krieges für Täter und Opfer zu erzählen.