25.6.19

Das melancholische Mädchen

BRD 2019 Regie: Susanne Heinrich, mit Marie Rathscheck 80 Min. FSK ab 12

Kluge Filme sind selten im deutschen Kino. So bekam letzte Woche der neue Film von Alexander Kluge kaum Beachtung. Und jetzt ein feministischer Essay- und Experimental-Film. Der immerhin mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet wurde.

Schon im ersten Bild kündigt das melancholische Mädchen in dem fortan vorherrschenden ironischen Ton eine Identifikations-Verweigerung an. Die junge Frau schreibt ein Buch, aber kommt „über den ersten Satz des zweiten Kapitels nicht hinaus". Deshalb setzt sie sich in den 15 Episoden angeblich intensiv mit ihrem Nichtschreiben auseinander. Sie könnte aber auch sagen, dass sie ein Motorrad repariert. Die Szenen des Films würden sich kaum verändern.

In starren Kameraeinstellungen folgen Begegnungen und Thesen. Alltägliche Situationen, die Geschlecht bestimmen, bekommen eine rosa, aber vor allem eine satirische Färbung: In der Geburts-Vorbereitungsgruppe sagt das melancholische Mädchen, sie möchte nur ein Kind haben, um es zu einem Terroristen aufzuziehen. Später sieht man die Wohnungslose als Prinz und Prinzessin im Schaumbad. Alle ihre Sätze klingen ziemlich, denn „Zyniker sind enttäuschte Romantiker". Wobei - so emotionslos und ohne Engagement bei der Hauptfigur, das ist höchstens Ironie.

Episode 7 ein animiertes Musikvideo. Lustlosigkeit als Attitüde eines bisexuellen Mannes wird gefolgt vom Nackt-Boxen und nackt Nudelessen mit einem älteren Mann, der Hausmeister oder Philosoph ist.

Der Debütfilm der zwanzigjährigen Susanne Heinrich ist bunter und leicht popiger Essay-Film, in dem Statuen steif Statements absondern. Wobei auch dies wieder ironisch ist, denn ein vollkommen emotionsloses Deklamieren sähe ganz anders aus. So ist „Das melancholische Mädchen" formal und inhaltlich etwas interessant. Neue Erkenntnisse oder Sichtweisen vermittelt das ungewöhnliche Werk nicht.

24.6.19

They Shall Not Grow Old

Großbritannien, Neuseeland 2018 Regie: Peter Jackson 99 Min. FSK ab 16

Peter Jackson, Regisseur von „Der Hobbit" und „Der Herr der Ringe", hat aus über hundert Jahre altem Filmmaterial mittels Kolorierung und Nachvertonung ein erschütterndes Mahnmal gegen den Krieg geschaffen. „They shall not grow old" folgt viel zu jungen Männern in das Schlachten an der Westfront.

Der gleichzeitig alte und noch nie so gesehene Film beginnt chronologisch mit Kriegserinnerungen von Zeitzeugen, die 1914 erst 15, 16 oder 17 Jahre alt waren. Und voller Naivität und Bedenkenlosigkeit. Zu Hause gab es keine anständigen Jobs und man wollte „was erleben". Das alles noch unterlegt mit Schwarzweiß-Bildern, die nur den halben Bildschirm füllen.

Nach einem langen Marsch durch Frankreich und Belgien, vorbei an völlig zerstörten Städten, wird das Bild Leinwand füllend und farbig. Der Effekt ist verblüffend: Plötzlich ist man mitten drin in diesem Schlamm zwischen zersplitterten Bäumen und Stacheldraht, bei den ermüdeten Gesichtern meist sehr junge Männer. Die zum Symbol dieses grausamen Mordens gewordenen Mohnblumen leuchten hier wie das natürlichste der Welt inmitten von Trümmern und Leichen.

Der Effekt liegt nicht nur in der aufwändigen Kolorierung des Schwarzweiß-Materials, auch Nachvertonung macht die echten Bilder wieder lebendig. Im Off erzählen die Soldaten derweil von der miserablen Ausstattung, bei der selbstverständlich nichts passte. Das Rasiermesser taugte nicht, mit der Zahnbürste konnte man nur Knöpfe sauber machen, denn das war wichtig in der Armee, blinkende Knöpfe zu haben. Sehr detailliert und bodenständig wird vom Warten erzählt, von stundenlangen Bombardements und den folgenden Angriffen. Im weiteren Verlauf spart die erschreckende Dokumentation nicht mit Bildern von verwesenden Menschen und Pferden. Da wünscht man sich zeitweise die furchtbarsten Szenen aus „Herr der Ringe" zurück.

Es ist schon ironisch, dass ausgerechnet Peter Jackson, der wegen seiner überbordenden Schlachtszenen in „Der Herr der Ringe" berühmt wurde, nun einen bewegenden Anti-Kriegsfilm macht. Er widmete den Film seinem Großvater, der in diesem Krieg gekämpft hatte. Selbstverständlich manipuliert ein guter Filmemacher wie Peter Jackson: Die lachenden Gesichter, denen im Schnitt blutige und deformierte Leichenköpfen folgen, sind nicht die gleichen Personen. Aber die abschreckende Wirkung ist groß, „They shall not grow old" sollte Pflichtprogramm für alle sein, die politisch mit Krieg spielen, ohne sich drum zu kümmern, was das für alle beteiligten Menschen bedeutet.

Ein Becken voller Männer

Frankreich, Belgien 2018 (Le Grand Bain) Regie: Gilles Lellouche, mit Mathieu Amalric, Guillaume Canet, Benoît Poelvoorde, Jean-Hugues Anglade, Virginie Efira 122 Min. FSK ab 6

Der diesjährige Film über frustrierte Männer, die beim Synchronschwimmen wieder glücklich werden, kommt aus Frankreich. Tatsächlich erscheint es, als ob jedes Jahr ein anderes Land diesen Film realisieren darf: Nach dem Original „Männer im Wasser" aus Schweden und dem britischen „Swimming with Men" von Altmeister Oliver Parker im letzten Jahr, ist jetzt Frankreich dran.

Der freudlose und depressive arbeitslose Familienvater Bertrand (Mathieu Amalric) weiß eigentlich nicht wieso, aber er will am Training der Synchron-Schwimmer teilnehmen. Und man kann das Interesse auch nicht unbedingt nachvollziehen: Da dümpelt ein trauriger Haufen aus lauter gescheiterten Existenzen im trüben Hallenwasser rum, während ihnen die Trainerin Literatur vorliest. Alle diese Männer mit dem immer noch ungewöhnlichen Hobby haben ein schwieriges Verhältnis mit ihren Kindern und Partnern. So ist das „Training" auch eine Selbsthilfegruppe - auf die zögerliche und wortkarge Männer-Art.

Es sind wirklich heftige und rührende Geschichten, die mit und mit vorgestellt werden. Und genau wie die unpopuläre Wasser-Gymnastik unmerklich ihren Reiz entwickelt, packt die Geschichte, die man meinte, zu kennen. Denn ausgerechnet der Film, der uns eine bekannte Formel verkaufen will, löst sich von dieser Formel und macht sein eigenes Ding. Es macht Spaß, im „Becken voller Männer" immer wieder neue Themen, Rhythmen oder Ideen zu entdecken.

Es sind treffende Portraits des Scheiterns und der Vereinsamung, gegen die kitschige Leichtigkeit der klassischen Schwimm-Musicals von Busby Berkeley gesetzt wird. Gespielt von durchgehend exzellenten Darstellern, die auch Rollen mit Ecken und Kanten können. Wie der Belgier Benoit Poelvoorde („Das brandneue Testament") als Gras rauchender Pool-Verkäufer. Das ist schon mal ein guter Wortwitz und wieder ein herrlich griesgrämiger Part. Mathieu Amalric („Grand Budapest Hotel") trägt die schwere Hauptrolle und es dauert tatsächlich eine Weile, bis das Schwimmen mit Männern ein Lächeln in sein Gesicht zaubert. Virginie Efira („Birnenkuchen mit Lavendel") gibt mit ihrem nicht lieblichen Charme die Trainerin, die vor allem mit ihren eigenen Problemen kämpft.

Das alles lässt völlig vergessen, dass man diesen Film schon zweimal gesehen hat. Und es fällt gar nicht auf, dass erst in der letzten halben Stunde richtig Schwung in die Sache kommt, die Beine rasiert werden und die rhythmischen Bewegungen sitzen. Das macht auch das abgegriffene Finale ganz anders: Erst da werden wir von der Wasser-Choreografie überrascht. So gewinnen die Männer im Wasser vor allen Dingen Anerkennung und Liebe ihrer Familien zurück. Und die feucht-depressive Film-Idee kann wieder Zuschauer gewinnen.

Pets 2

Frankreich, Japan, USA 2019 (The Secret Life of Pets 2) Regie: Chris Renaud 86 Min. FSK ab 0

Die erste „Pets"-Animation über das „geheime Leben der Haustiere" war 2016 ein tierischer Erfolg, der mehr als 800 Millionen Dollar einspielte. Die Fortsetzung ist nur ein hyperaktives digitales Wollknäuel im Hamsterrad, das nirgendwo ankommt.

Hündchen Max, der Held von „Pets", ist diesmal voll mit Kindererziehung beschäftigt, denn seine kleine New Yorker Familie hat zweibeinigen Nachwuchs bekommen. Dabei ist der Hund voll im Trend der Helikopter-Eltern: Übervorsichtig und voll nervig. Derweil ist Haus-Häschen Snowball vor einer Etage drunter als Möchtegern-Superheld mit der Rettung eines weißen Tigers aus dem Zirkus überfordert. Und die benachbarte Spitz-Dame wird zur Katze umerzogen, um einen Lieblings-Quietscheball aus dem Horror-Apartment voller Katzen zu retten.

Ja, „Pets 2" wirkt überfüllt und so chaotisch, als hätten die Autoren während der Fertigstellung noch vergebens nach einer Geschichte gesucht. Zwar gibt es oft nette bis witzige Ideen wie der Karatekampf zwischen Kaninchen und Äffchen. Doch insgesamt ist der digitale Streichelzoo so überzogen wie das Wartezimmer beim Tier-Psychologen. Wobei diese Sammlung wahnsinniger Viecher noch einen der spaßigsten Momente des Films bietet.

Immerhin erzeugt der Wechsel auf die vierbeinige Perspektive weiter tierischen Witz, aber der wirkt öfters erzwungen und krampfhaft. Ansonsten ist es mit vielen neurotischen Tierchen und bösen Wölfen ein dauernd hektischer optischer Krach. Das Durcheinander der drei Handlungen macht „Pets 2" zu einem veritablen ADHS-Film.

Der Erwachsene fragt zudem, was der Film hinter dem nervigen Chaos vermitteln will? Wie in Sesamstraßen-Lerneinheiten wird ein Bauernhof entdeckt, wobei auch das gesündere Landleben einen Wahnsinnigen bereithält, diesmal in Form eines Truthahns. Ein Führer-Hund gibt dort das Vorbild für das verweichlichte Stadtwesen Max und wirkt autoritär wie aus dem letzten Jahrhundert. Wie angeklebt letztlich die Moral, dass der kleine überkandidelte Streuner sich Mut zur Veränderung erlauben solle.

19.6.19

Tolkien

USA 2019 Regie: Dome Karukoski, mit Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney, Derek Jacob 112 Min. FSK ab 12

Dieses „Bio-Pic" über die ersten Jahrzehnte im Leben des „Hobbit"-Autoren J.R.R. Tolkien (1892-1973) bedient nur in Grenzen die Fans der Peter Jackson-Filme. Doch „Tolkien" beginnt mit diesem Bedienen: Die erste Szene spielt im 1. Weltkrieg und will verkürzt das Grauen der Schützengräben als Inspiration für das Dunkle in „Der Herr der Ringe" zeigen. Der Sprung in die Kindheit des späteren Sprach-Wissenschaftlers und Autoren beginnt auch noch mit einem Kampf zwischen Kindern auf dem englischen Land, doch dann übernimmt die Armut der Familie die Erzählung. Und die Mutter erzählt den Söhnen tatsächlich Geschichten von Drachen und einem Schatz, der alle rettet! Als Waise landet der sehr intelligente Junge unter reichen, aber auch geistreichen Mitschülern auf einem Elite-Institut. Aus seinem Freundeskreis entsteht die legendäre „Tea Club and Barrovian Society", diese „Gemeinschaft" ist ein weiterer, wenig subtiler literarischer Querverweis.

Während der ganzen, mäßig interessanten und konventionell brav inszenierten Biografie des außergewöhnlichen Autors J.R.R. Tolkien weiß man nie so genau, ob der berühmte Name nicht eigentlich eine Last ist. Was für eine Biografie ein Widerspruch an sich ist. Nicholas Hoult als guter Hauptdarsteller hilft, kann aber nicht den ganzen Film retten.

Richtig spannend wird es erst in der letzten halben Stunde, wenn Tolkien seine Leidenschaft für Sprache in eine akademische Laufbahn bringt. Dass er als Jugendlicher schon seine erste eigene Sprache erfunden hatte, ist das eigentlich Interessante an seinen inhaltlich eher trivialen Werken. Im Finale, wenn „Tolkien" wieder zurück in den Laufgraben der Rahmenerzählung kommt, wird er noch ein starker Antikriegsfilm. Doch irgendwie macht diese filmische Biografie keine Lust aufs Lesen und wird die meisten Fans der Verfilmungen wenig begeistern.

18.6.19

Drei Schritte zu Dir

USA 2019 (Five Feet apart) Regie: Justin Baldoni, mit Haley Lu Richardson, Cole Sprouse, Moises Arias 116 Min. FSK ab 6

Stella (Haley Lu Richardson) ist 17, schwerkrank und medial auf der Höhe der Zeit: Sie erzählt über ihre unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose in einem lustigen Video-Blog. Der Körper erstickt dabei am Schleim, den die Lunge unnötig produziert. Als Stella wegen einer Bronchitis mit einem ganzen Schrank voller Tabletten wieder ins Krankenhaus einzieht, empfangen sie alte Bekannte unter den Patienten und im Pflegeteam. Es gibt viele unterschiedlichen Wege, mit den schweren Krankheit umzugehen, so sullt sich „Drei Schritte" fast zwei Stunden in einem bitter-süßen Grundgefühl, kräftig unterstützt von rührender Musik. Neu ist der schöne Rebell Will (Cole Sprouse). Mit ihm entwickelt sich eine Teenie-Romanze unter extremen Bedingungen.

Denn die „Schritte" des Titels beziehen sich auf den Abstand, den die Kranken zueinander halten müssen, damit sie sich nicht gegenseitig anstecken. Also erleben diese jungen Menschen zusammen intensive Gefühle, ohne sich jemals umarmen zu können. Unter diesen Bedingungen ist es schon total wild, die verordneten „Six Feet" (ein „foot" ist 30 Zentimeter) um einen zu unterschreiten. „Five Feet" oder drei Schritte Abstand ist also ein Zeichen größter Zuneigung.

Doch selbstverständlich lässt sich die Dramatik im Dreieck aus Todkranker, bestem, schwulem Freund und schönem Rebell steigern: So starten die frisch Verliebten zu sehr unvernünftigen und ungesunden Ausflügen. Sie stürzen in eine Winternacht auf dünnem Eis, bei der man sich schon beim Zuschauen eine Erkältung einfängt.

Justin Baldoni hat Erfahrungen als Schauspieler und als Ko-Regisseur von „My Last Days", einer Doku-Serie über unheilbar Kranke. „Drei Schritte zu Dir" bespielt schamlos die Klaviatur kleiner Freuden und großer Verluste. Zum Finale gibt es die volle Dosis gemischter Gefühle direkt nach einer lebensgefährlichen Operation – diese Krankenhaus-Schmonzette mutet Patienten und Zuschauern einiges zu. Erträglich macht es Haley Lu Richardson in der Hauptrolle der Stella - eine herzerwärmend lächelnde Erscheinung auf der Leinwand, die bei guter Laune und bei Niedergeschlagenheit den Film für sich in Anspruch nimmt.

Der Klavierspieler vom Gare du Nord

Frankreich 2018 (Au bout des doigts) Regie: Ludovic Bernard, mit Lambert Wilson, Kristin Scott Thomas, Jules Benchetrit, Karidja Touré 106 Min. FSK ab 0

Ein junger Mann spielt am Bahnhofs-Klavier inmitten eilender Menschen derart intensiv, dass ausgerechnet der Leiter des Pariser Konservatoriums gefesselt stehen bleibt. Bis die Polizei auftaucht und den Pianisten jagt. Schon der erste Moment in „Der Klavierspieler vom Gare du Nord" funktioniert nicht, weil das Spielen zu affektiv inszeniert wird und der sehr vorhersehbare Film nicht auf das angeblich so starke Macht der Musik vertraut.

Der Rest ist Routine, die erschreckend unsorgfältig ausgefüllt wird: Der junge Gelegenheits-Pianist Mathieu Malinski (Jules Benchetrit) aus einem sozial benachteiligten Viertel von Paris landet irgendwann im Knast. Der bestens situierte Konservatoriums-Leiter Pierre Geithner (Lambert Wilson) holt ihn raus und will das große Talent zum Sieger eines Wettbewerbs machen. Auch die große Motivationshilfe in Form eines Liebesobjekts für Mathieu war bei diesem Dramen-Standard zu erwarten.

Talentiert und begabt, aber auch faul und arrogant - dieses Profil von Mathieu sorgt selbstverständlich für Probleme. Die Geschichte von ungeschliffenen Diamanten funktioniert nicht richtig, weil der nette junge Mann trotz mäßiger Gefühlsausbrüche und ein paar Flüchen nicht wirklich wild und ungezähmt erscheint. Jules Benchetrit spielt den Autodidakten, der keine Noten lesen kann, mit sympathischer Ausstrahlung. Selbst der exzellente Schauspieler Lambert Wilson wirkt aber verloren, wenn das Drama seiner Figur kurz vor Filmende noch irgendwie angeklebt wird. Weder die Familie noch die Kumpels von Mathieu bekommen Leben oder Hintergrund zugestanden. Dass die Wettbewerbs-Komposition, Rachmaninows berüchtigtes 2. Klavierkonzert, die Entwicklung des Spielenden spiegeln soll, geschenkt. Das ist Minimal-Anforderung für solch einen Film. Alles Weitere, was den Film vor der elegant fotografierten Langeweile retten könnte, wurde völlig vernachlässigt.

16.6.19

Verachtung

Dänemark, BRD 2019 (Journal 64) Regie: Christoffer Boe, mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Fanny Leander Bornedal 119 Min. FSK ab 12

Es ist etwas faul im Staate Dänemark - hinter dem heilen Hygge-Image erzeugten protestantische Reinheits-Psychosen erschreckende Abgründe, die zum aktuellen Rechtsextremismus leiten. Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) und sein Assistent Assad (Fares Fares) führen Ermittlungen in einem neuen alten Fall zu furchtbaren Gewalttaten an „auffälligen" jungen Frauen.

Dieses Stillleben hinter einer geheimen Kopenhagener Wohnungswand erinnert nicht nur an den Tod, es ist ein dreifacher, mumifizierter Tod, ein grausiges Kaffeekränzchen. Stilisiert um einen Esstisch drapiert und mit Personalausweisen ausgestattet. Carl Mørck, der stark gestörte Fachmann für vergessene „Cold Cases", stürzt sich umso verbissener auf dieses Rätsel, weil sein Partner für die letzten drei Fälle und Filme, Assad (Fares Fares), zum Abschied ein paar anhängliche Worte hören will. Aber ob sie nun Monk oder Mørck heißen, diese menschenfeindlichen Typen sind für Gefühlsregungen nicht zu haben.

Vielleicht kommen die Verfilmungen („Erbarmen", „Schändung", „Erlösung") der gleichnamigen Thriller von Jussi Adler-Olsen deshalb so heftig daher, damit sie auch einen extrem abgekapselten Carl Mørck erreichen könnten. Denn das was angeklagt wird, ist scheinbar schon nach 10 Minuten klar: Alle drei Leichen hatten zu Lebzeiten mit einer staatlichen sozialen Einrichtung auf der Ostsee-Insel namens Sprogø zu tun. Dort wurden in den 50er-Jahren moralisch auffällige oder ungewollt schwangere Frauen in ein unmenschliches System aus Unterdrückung, Vergewaltigung und Verrat gezwungen. Doch ein Stuhl blieb leer in der Leichenkammer und dieser Hinweis führt Mørck, Assad und ihre Assistentin Rose (Johanne Louise Schmidt) zu einem rassistischen Arzt, der statt heimlichen Abtreibungen bei „unwerten" Frauen gegen deren Willen Sterilisationen durchführt. Früher für den Staat und heute prominent für eine Organisation, die den ganzen Staat unterwandert hat. Tatsächlich wurden zwischen 1934 und 1967 mehr als 11.000 dänische Frauen zwangsweise sterilisiert.

„Verachtung" ist grausig, drastisch und brutal. Dabei wieder exzellent inszeniert, fotografiert und gespielt. Flüssig wechseln Erzählebenen und Zeiten. Ob man, oder vor allem „frau", derart drastische Darstellungen sehen will, bleibt fraglich. Doch auch die vierte Verfilmung eines Thrillers von Jussi Adler-Olsen gelang spannend und schockierend. Immerhin geht es im Gegensatz zu ähnlich heftigen Schockern wie „Seven" hier um reale und aktuelle gesellschaftliche Verwerfungen geht, nicht um einzelne Film-Psychopathen. Zu viele, zu laute Rechtsextreme und irrationale Fremdenfeindlichkeit gibt es auch im sehr reichen Dänemark. „Some Thing Rotten", etwas Faules, kommentiert das Plakat einer Ausstellung im Geiste „Hamlets".

Long Shot

USA 2019 Regie: Jonathan Levine, mit Charlize Theron, Seth Rogen 125 Min. FSK ab 12

Romantisch, umwerfend komisch und auch noch subversiv politisch: Die freche Komödie „Long Shot" mit Charlize Theron („Atomic Blonde", „Tully") und Seth Rogen („Bad Neighbors 2", „Sausage Party") ist eine großartige Überraschung im Mainstream-Kino.

Stellen Sie sich vor, sehr intime Bilder eines Herrn Joachim Sauer geraten an die Öffentlichkeit und trotzdem wird seine große Liebe Angela Merkel genannt, Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Das will man sich auf keinen Fall vorstellen, aber genau das erzählt „Long Shot" und den will man unbedingt sehen.

Charlotte Field (Charlize Theron), die attraktive Außenministerin der USA, wird von der Presse immer wieder auf Äußerlichkeiten reduziert. Dabei versucht sie äußerst klug und engagiert, eine weltweite ökologische Krise zu verhindern. Ihr dämlicher Präsident kuckt sich derweil immer wieder die Fernsehserie an, in der er den Präsidenten spielte. Weil er jetzt einen schwierigeren Job machen will, nämlich in Kinofilmen spielen, wittert Charlotte Field ihre Chance. Und stellt gleichzeitig den völlig unangepassten Fred Flarsky (Seth Rogen) als Redenschreiber ein. Seine altmodischen Cargohosen und die farblich unbeschreiblichen Lycra-Jacken fallen genauso aus dem System wie sein Drogenkonsum und das permanente Fluchen.

Aber Fred hat nicht nur genau den jugendlichen Humor, der Charlottes Reden und Leben fehlte, er steht auch auf sie, seit sie einst sein Babysitter war. Dazu ist er der einzige in Ihrer Umgebung, der wirklich etwas bewegen und die Welt retten will. Sie verstehen sich politisch, haben den gleichen Humor. Klar, dass da bei einer Welt-Tournee in Sachen Ökologie die latente Highschool-Liebe heftig aufflammt.

Um das Kopfkino zu „Long Shot" geografisch und politisch richtig zu verorten: Seth Rogen spielt hier die Rolle von Marilyn Monroe und Charlize Theron den John F. Kennedy. Diese Paarung ist schon von ihren üblichen Rollen her höchst unwahrscheinlich, stellt sich aber als größte Überraschung der bisherigen Kinosaison heraus: „Long Shot" nimmt den heutzutage obligaten anzüglichen Humor und macht daraus eine peppige Romantische Komödie, die auch noch eine Utopie von ehrlich engagierter Politik entwirft. So ist es erst mal ein herrlich komischer Knaller, wie Theron als Außenministerin völlig bekifft ein Geiselnahme mit einem feindlichen Regierungs-Chef erfolgreich verhandelt. Wie sie ihre Kandidatur verkündet, gleichzeitig den Präsidenten als Marionette eines Medien-Moguls bloßstellt und verkündet, dass der bald explizite Filmchen ihres masturbierenden Freundes Fred ins Internet stellen wird - das sprengt die Vorstellungskraft und alle Filmgenres.

„Alle lieben Mary" trifft auf „Ein Herz und eine Krone", Romantik von 1953 auf schmuddeligen Humor von heute. Wobei die Geschlechterrollen vertauscht sind. Komödiant Seth Rogen ist der emotionale Chaot im Stile von Doris Day, Theron gibt den kontrollierten Machtmenschen, der sich höchstens einen Flirt mit dem sehr charismatischen und jungen kanadischen Premierminister erlaubt. Freds letztliche Erkenntnis lautet dann auch, die beste Sache sei nicht, für eine bessere Welt zu kämpfen, sondern eine starke Frau zu unterstützen.

Regisseur Jonathan Levine zeigte schon bei „Mädelstrip" mit Amy Shumer und Goldie Hawn sowie bei „50/50: Freunde fürs (Über)Leben" mit Seth Rogen, dass auf der Basis anzüglicher Blödel-Komödien auch Ernstes und Bewegendes erzählt werden kann. „Long Shot" hat er so glaubhaft inszeniert, dass die verrückten Albernheiten, die solche Filme ansonsten retten, diesmal fast stören. Aber sie verhindern auch, dass die Emotionen in Kitsch abkippen. Charlotte und Fred jetten von Kontinent zu Kontinent, doch sie verlieben sich ganz bodenständig ineinander. Dabei gewährt ihnen die Inszenierung keine Weichzeichner - weder ästhetisch noch inhaltlich. Auch wenn Fred irgendwann entdecken muss, dass sein bester Freund Republikaner und auch noch gläubig ist, „Long Shot" begeistert mit dem ganz schön komischen Märchen von Politikern, die ganz ehrlich und offen am erfolgreichsten sind.

15.6.19

Brightburn

USA 2019 Regie: David Yarovesky, mit Elizabeth Banks, David Denman, Jackson A. Dunn 91 Min. FSK ab 16

Was wäre wenn Superman superböse Absichten hätte? Wieder mal fällt bei einer abgelegenen Farm etwas Leuchtendes vom Himmel. Der Kinderwunsch von Tori (Elizabeth Banks) und Kyle Breyer (David Denman) ist gerade so groß, dass sie auch so ein kleines Wesen von außerhalb der Erde „adoptieren". Brendon wächst wie ein normaler Junge auf, bis die Pubertät zuschlägt. Ja, Probleme in der Pubertät scheint es auch bei Aliens zu geben! Brendon entwickelt übermenschliche Kräfte und bricht damit erst mal Mitschülern die Hände, bevor er seine Umgebung umbringt. Was der Film mehr sadistisch als horrend darstellt.

Der Komet, der seltsame kleine Junge, die Superkräfte – wir kennen die Kindheits-Geschichte von Superman. Sie wird hier wieder erzählt, nur diesmal in unheimlich. Bevor das Gemetzel losgeht, sollen Schreckmomente unterhalten. Dass Brendon, der aussieht, wie ein junger Clarke Kent, den störrischen Rasenmäher hunderte Meter weit weg schleudert, ist noch komisch. Wenn er dann scheinbar grundlos seine Hand in das rasend schnell rotierende Messer hält, ist das schon unangenehm spannend. Doch die Entdeckung von Brendon als Weltenzerstörer verläuft sehr simpel und nach dem einfachsten Schema eines Horrorfilms.

So etwas gab es Ende der Siebziger religiös eingefärbt als „Damien - Omen", aber an Religion glaubt kaum ja kaum noch jemand Jüngeres. Die neue Religion ist jetzt das Superheldentum. Deshalb basiert dieses sadistisch operierende Horror-Filmchen auf der Superman-Geschichte, legt aber die gleiche brutale Omen-Drastik bei den Hinrichtungen durch den teuflischen Protagonisten hin. Statt zum Superhelden entwickelt Brendon sich zu einer Art Antichrist, ganz wie in Neil Gaimans „Good Omens", mit dem man bei Amazon die bessere Unterhaltung findet.

11.6.19

Bailey - Ein Hund kehrt zurück

USA 2019 (A dog's journey) Regie: Gail Mancuso, mit Marg Helgenberger, Betty Gilpin, Henry Lau, Dennis Quaid, 109 Min.

„Bailey", der „Ach wie süß"-Film um einen Hund, der für sein Herrchen immer wieder wiedergeboren wird, bekommt in dieser Fortsetzung ein zweites Leben: Hinter der simplen Wirkung tollpatschiger Hundebabys und dauerndem Hundesterben verbirgt sich allerdings ein erschreckend erzkonservatives und sehr negatives Menschenbild.

Noch immer ist der mittlerweile alte Vierbeiner Bailey an der Seite seines mittlerweile alten Herrchens Ethan (Dennis Quaid). Doch diesmal bittet der Mensch, der um die dauernde Wiedergeburt seines Haustieres weiß, dass der sterbende Hund auf die Enkelin CJ aufpassen soll. Denn deren Mutter ist das Klischee der unfähigen alleinerziehenden Frau. Von nun an wird der Hund in wechselnden Körpern das Baby vor einem wütenden Pferd retten, den Teenager vor übergriffigem Jungen und der erwachsenen Frau den krebskranken Freund.

So springt „Bailey 2" mit großen Schritten durch Zeit und Handlung, nur um möglichst viele süße Köter ins Spiel zu bringen. Bei einem Übermaß an Tränendrüsigkeit ist es witzig, die gesprochene Perspektive des Hundes über komische Menschendinge zu erfahren: „Oh, die haben sich gern. Werden sie sich jetzt ablecken?" Allerdings erscheint es auch als ein pädagogisch wenig empfehlenswertes Konzept, dem Kind bei extremer Vernachlässigung ein Haustier zu erlauben.

Der Hund ist die bessere Mutter

Spätestens bei der ersten Party des Teenagers CJ, die bei der Polizei endet, merkt man dass der Geist dieses Hundes extrem konservativ ist. Und so typisch US-amerikanisch, dass es für eine Party gleich sagenhafte 200 Sozialstunden Strafe gibt. In diesem Geiste kann das Bild der alleinerziehenden Mutter nur extrem verzerrt ausfallen. So wie später auf eine eigentlich pathologische Weise ein Hund immer dem männlichen Menschen vorzuziehen ist. Hinzu kommt eine irritierend große Spannweite zwischen dem „Oh, wie süß" für kleine Kinogänger und den schon größeren Themen wie das Erschnüffeln von Krebs-Erkrankungen.

Auch dass die Erinnerung an den verstorbenen Vater am schmerzlichsten ist, als CJ hört, dass Mutter das Erbe für die Erziehung verbraucht hat, führt ein seltsames Menschenbild vor. Der erste interessante Junge erweist sich gleich als ein bedrohlicher Stalker. Aber Menschenkenntnis, auch des Films, ist nicht so wichtig, denn es ist Zeit, dass der Hund stirbt und in einem neuen süßen Körper wieder auftaucht.

Die Sehnsucht nach der heilen Familie auf der kleinen Farm von Großmutter und Großvater rührt im Übermaß, auch dank der anständigen Schauspieler-Leistung von Dennis Quaid. Letztlich bleibt unklar, an wen sich der Film richtet: Für kleine Kinder sind die Themen zu groß, für Erwachsene ist es oft zu lächerlich. Bleiben Hunde als ideales Zielpublikum.

10.6.19

The Dead Don't Die

USA, Schweden 2019 Regie: Jim Jarmusch, mit Bill Murray, Adam Driver, Steve Buscemi, Tilda Swinton, Chloë Sevigny, Tom Waits, Iggy Pop 103 Min.

Sehr entspannt häufen sich düstere Vorhersagen und Anzeichen für eine Katastrophe, während im Radio immer noch Country-Musik läuft. Jim Jarmuschs Neuer, „The Dead Don't Die", ist ein netter Zombie-Film, eher humorig als schrecklich. Stil und Stars machen ihn sehenswert.

Im Radio wird Propaganda für das umweltzerstörende Fracking gemacht, obwohl sich durch Bohrungen am Pol die Erdachse bereits verschoben hat und die Nacht bereits taghell wurde. Klar, dass die Sheriffs Cliff Robertson (Bill Murray) und Ronald Peterson (Adam Driver) bei den frischen Löchern im Friedhof und den ersten tierisch verstümmelten Leichen ahnen: Zombies! Peterson weiß zudem, dass es böse ausgehen wird, denn er hat das Drehbuch gelesen!

Das ist umwerfend trocken-humorig, wenn Peterson mit dem offenen Smart-Cabrio am Tatort eintrifft, neben der üblichen Polizei-Limousine. Wenn dann die Kollegin mit einem Prius Primus-Hybrid ankommt, ist das gleichzeitig ein ökologischer Kommentar zur Automobil-Entwicklung.

Selbst mit immer mehr unappetitlichen Untoten, dies ist die Art Grusel, bei der man sich nicht wirklich zu fürchten braucht. „Wie ein altmodischer Horrorfilm", beschreiben die Beteiligten selber diesen neuen Jarmusch. Die Figuren legen derartig viel Unaufgeregtheit an den Tag, da ist gar nicht viel Unterschied zu den emotionslosen Zombies. Erstere sind nur noch komischer. Aber auch Zombies haben bei Jarmusch richtig viel Stil. Dazu spielt wieder ein erlesener Soundtrack, zu dem der Titelsong „The Dead Don't Die" gehört.

Sehenswert auch haufenweise Prominente, die sämtlich Zombies aus älteren Jarmusch-Flmen sind: Tom Waits („Down by Law") als obdachloser Wilderer im Wald, Steve Buscemi („Mystery Train") als rechter Idiot, Rassist und Trump-Fan, Iggy Pop („Coffee and Cigarettes") als koffein-süchtiger Zombie. Die Krönung selbstverständlich die alte Jarmusch-Bekannte Tilda Swinton („Only Lovers left alive") als anämische Bestatterin Zelda mit seltsamem Verhalten und Samurai-Fähigkeiten. Sie wirkt wie der irritierende Alien, der Jessica Chastain in „X-Men: Dark Phoenix" nicht war. Adam Drivers Peterson klingt selbstverständlich wie „Paterson", der Dichter aus Jarmuschs Literaturfilm. Bill Murray war in „Broken Flowers" die Verkörperung des typischen lakonischen Einzelgängers von Jarmusch.

Diese Figuren haben eine andere Moral und andere Gerechtigkeit, als es das Gesetz vorsieht. Was in diesem Fall sympathisch wirkt, weil es nicht in Richtung Reichsbürger geht. Gute Freundschaft und Menschenverstand zählen viel. Die Kenntnis einschlägiger Filme allerdings auch. Trotzdem erweist es sich für die meisten doch nicht so einfach, eine staubtrockene Leiche zu enthaupten. Nur die Bestatterin Zelda erledigt direkt zwei Köpfe in einer eleganten Bewegung. Aber „sie ist seltsam, sie ist schottisch!" Am Ende ist Splatter doch unausweichlich, besonders die beiden im Handwerkerladen Eingesperrten haben viele Methoden zur Zombie-Beseitigung zu Hand.

Weitere nette Fußnote: Die Zombies suchen immer noch das, was sie lebendig geliebt haben. Sei es Chardonnay, Männer-Werkzeuge oder Spielzeug im Falle der Kinder. Ja, es sind herrlich bescheuerte Wendungen, kommentiert von der rauchigen Stimme des Tom Waits. Allerdings, während der wunderbaren Vampirfilm „Only Lovers left alive" tief und nachhaltig berührte, ist „The Dead Don't Die" vor allem netter Scherz, stil- aber nicht inhaltsvolle Stilübung.

Sunset

Ungarn, Frankreich 2018 (Napszállta) Regie: László Nemes, mit Juli Jakab, Susanne Wuest, Vlad Ivanov 142 Min. FSK ab 12

Oscar-Sieger László Nemes („Son of Saul") fasziniert in seinem neuen stilistischen Meisterwerk „Sunset" mit einer mysteriösen Suche im kaiser- und königlichen Vorkriegs-Budapest. Die privaten Phantome einer jungen Hutmacherin führen zu einem Umsturz der ganzen Gesellschaft.

Ein schöner Dickkopf, verschwiegen und entschlossen, ist die Hauptfigur in diesen zwei Stunden atemloser und fesselnder Suche im Budapest des Jahres 1913. In Großaufnahme sehen wir Írisz Leiter (Juli Jakab) bei der Hut-Anprobe. Im exklusiven und legendären Hutgeschäft Leiter. Ja, das stellt sich nach einiger Verwirrung heraus: Írisz ist keine Kundin, aber eine Anstellung als Modistin ist auch nicht möglich: Sie ist Tochter der Gründer, aber ihre Eltern verbrannten in ihrem Haus, als sie zwei war.

Nun kommt Írisz als Außenseiterin nach Budapest, da sie die letzten Jahre in Triest gelernt und gearbeitet hat. Eine mörderische Hitzewelle herrscht, der Kaiser lässt ein neues Schlachtschiff zu Wasser, in den Straßen wird das Militär gefeiert. Der jungen Frau begegnen feindselige Blicke, nur hier und da gibt es ein hilfsbereites Flüstern. Herr Brill, der neue Besitzer der Leiter-Hutmacherei will so schnell wie möglich aus der Stadt haben. Irgendwie sorgt die Fremde für große Unruhe, gerade während eine Jubiläumsfeier zum 30-jährigen Bestehen der Firma stattfindet. Heißluftballons steigen auf und versiegelte Umkleideräume werden wieder eröffnet. Derweil erfährt Írisz, dass sie einen Bruder hat, vor dem sich alle fürchten.

Im Gegensatz zu anderen Kostümfilmen, die vor allem Dekoration ausstellen, entführt „Sunset" in geheimnisvolle und fremde Räume. Hinter den Fassaden, abseits vom gleißenden Sonnenlicht, scheinen alle Geheimnisse zu haben. Dieser ungemein fesselnde Film ist eher ein fiebriges, detektivisches „Element of Crime" (Lars von Trier), eher blendendes „film noir" als staubiges Geschichts-Stück. Die fiebrige Suche nach etwas, was alle wissen, entwickelt einen fesselnden Sog. Dabei folgt die Hand-Kamera (Mátyás Erdély) der rastlosen Hauptfigur ebenso hautnah wie im erschütternden Vorgänger- und Holocaust-Film „Son of Saul".

Die Hauptdarstellerin Juli Jakab sieht aus wie Emma Watson, wohlgemerkt die von heute, nicht von Harry Potter. Aber wirklich faszinierend ist, wie „Sunset" besondere Zeit- und politische Stimmungen vermittelt. Man fühlt sich mitten in einem historischen Umbruch - ganz ohne Virtual Reality-Brille. Atmosphärisch ähnlich wie in „Scarred Hearts - Vernarbte Herzen" des Rumänen Radu Jude. Und historisch liefert das ungarische Meisterwerk neben „Das weiße Band" einen anderen Einblick in den „Vorabend des Ersten Weltkriegs", ein anderes Puzzleteilchen zu der Frage, was Europa in die Katastrophe geführt hat. Konstant läuft in „Sunset" eine metaphorische Ebene mit, wenn Írisz beispielsweise gesagt wird „Du hast uns erweckt!" Und sollte man den Namen „Leiter" als Führer verstehen? Jedenfalls rufen die aufständischen Mörder und Vergewaltiger immer wieder diesen Namen. Wobei die etablierte Herrschaft, in der Deutsch gesprochen wird, mit einer obskuren Versteigerung von jungen Modistinnen auch nicht besonders positiv weg kommt. „Das Grauen der Welt versteckt sich hinter diesen unendlich schönen Dingen", sagt jemand angesichts der immer wieder ausgestellten Hüte. Das unausweichliche Ende bildet eine lange Fahrt durch einen Schützengraben des 1. Weltkrieges.

Britt-Marie war hier

Schweden 2019 (Britt-Marie var här) Regie: Tuva Novotny, mit Pernilla August, Peter Haber 98 Min. FSK ab 0

Es ist nie zu spät – für noch einen Film über frustrierte Senioren, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen: Britt-Marie (Pernilla August) ist eine Perfektionistin mit Ordnungs- und Putzwahn. Nach 40 Jahren Job als Ehe- und Hausfrau findet sie ihren lieblosen Mann mit Herzinfarkt im Krankenhaus und daneben seine Geliebte. Der klassische Impuls für ein neues Leben. Zum Glück, denn das freudlose alte war ein fürchterliches Aufstellen und Abhaken von Listen.

So nimmt die 63-jährige Britt-Marie den einzigen verfügbaren Job an: Freizeitbetreuerin in der völlig unbekannten Stadt namens Borg. Dort soll sie das Jugend-Fußballteam trainieren. Ausgerechnet Fußball, wo ihr Mann als Fußballfan doch dauernd vor dem Fernseher hing. Und Britt-Marie nicht Fußball als Metapher für das Leben ansieht, für sie ist Backpulver das Allheilmittel! Als Reinigungsmittel! Und Kinder? Nicht, dass die entschlossene alte Frau Kinder nicht mögen würde, aber einige von ihnen seien ja doch ziemlich entsetzlich. Aber Erwachsene kann sie meist auch nicht leiden.

In Borg findet sie Chaos und unbetreute Kinder vor, führt direkt ein strenges Putz-Regime ein. Mit der aufgeweckten jungen Spielführerin bekommt Britt-Marie einen frischen und lebendigen Gegenpart. Die Kleine bringt der reifen Frau bei, wie sie für ihre Rechte eintreten soll und dass man seine Träume nicht aufgeben soll. Das gilt durchgehend für jeden, denn es gibt hier keine grundsätzlich schlechten Menschen - das macht den Film sympathisch.

Regisseurin und Ko-Autorin Tuva Novotny war bislang vor allem als Schauspielerin mit ihren Rollen in „Eat Pray Love" oder „Borg/McEnroe" bekannt. In „Britt-Marie war hier", der Verfilmung vom gleichnamigen Roman des schwedischen Autors Fredrik Backman („Ein Mann namens Ove"), ist alles gemächlich und gemäßigt: Drama, Humor, Emotionen, selbst die üblichen Sonderlinge wie die fast blinde Vermieterin und der sehr interessierte Polizist sind nicht besonders sonderlich. Trotz seiner einfachen Machart rührt der Film spätestens beim schön mitreißenden Sport-Finale. Außerdem kann erwähnt werden, dass Britt-Marie in einer Reihe mit starken älteren Frauenfiguren des aktuellen Kinos („Edie - Für Träume ist es nie zu spät") steht, die es früher so nicht gegeben hat. Das ist wohl das Bemerkenswerteste an diesem Film.

5.6.19

X-Men: Dark Phoenix

USA 2019 Regie: Simon Kinberg, mit Sophie Turner, Jennifer Lawrence, Tye Sheridan, Jessica Chastain, Michael Fassbender, James McAvoy, Nicholas Hoult, Evan Peters 161 Min.

„X-Men: Dark Phoenix" ist ein neuer Tiefpunkt in Hollywoods Einfallslosigkeit: Nicht nur, dass die Filmfabrik absolut keine neuen Ideen hat, der ausgeleierte Kram wird auch noch in zig Geschmacksrichtungen wiederholt. So wie Marvel auch dem letzten Idioten in bunten Strumpfhosen einen eigenen Film gewährt, wird jetzt bei den X-Men diversifiziert: X-Woman Jean Grey darf als Dark Phoenix gegen Aliens kämpfen.

So wie Wolverine als „Logan" nach einigen X-Hauptrollen einen ganzen Film bekam, dreht sich nun alles um die Figur Jean Grey. Eine Mutantin, die während einer Rettungsmission im All von einer kosmischen Kraft getroffen wird und dadurch „in die mächtigste aller Mutanten verwandelt". Einstweilen, denn im nächsten Film wird sicher jemand in den aller-aller mächtigsten aller Mutanten verwandelt. Auf die Steigerung der Einfallslosigkeit ist Verlass.

In nun sieben Filmen wurde Jean Grey von Famke Janssen und Sophie Turner dargestellt. Die Telepathin ist ein wenig schizophren, denn sie ist nie allein. In ihr existiert auch Phoenix, eine galaktische Krafte, die Planeten vernichtet, aber auch Leben schafft. So darf die jeweilige Schauspielerin der Figur immer die Herausforderung meistern, zwei Persönlichkeiten in einem Körper kämpfen zu lassen - Augenverdrehen inklusive.

Wie „Star Trek" und „Star Wars" folgen die Fans ihren Figuren in unterschiedlichen Phasen des Lebens, gespielt von unterschiedlichen Darstellern. Das erfordert einiges Feingefühl und Pflege des jeweiligen Charakters. Bei der Jean Grey-Verkörperung durch „Game Of Thrones"-Star Sophie Turner mit hübschem und harmlosem Gesicht fehlt beides. Die Figur tritt wie altbekannt auf, die entscheidenden psychologischen Fakten werden im Dialog dargebracht, wirklich filmisch oder schauspielerisch vermittelt sich das eher schlecht.

Simon Kinberg schrieb für „X-Men: Der letzte Widerstand" das Drehbuch, dann war er bei „X-Men: Erste Entscheidung" Produzent und kontrollierte den weiteren Verlauf der Serie. „Dark Phoenix" ist nun seine erste Regie, nachdem er sich schon vorher mal inszenatorisch eingemischt haben soll. Ausgerechnet bei einem so erfahrenen Autoren bringen aber ein paar logische Schlampereien alles an den Rand der Lächerlichkeit.

„Dark Phoenix" soll der Abschluss dieser „X-Men"-Epoche mit Michael Fassbender und James McAvoy als Anführer sein. Es ist zumindest der letzte Auftritt für Jennifer Lawrence als Raven. Und diese „Alt-Stars" inmitten der Teenager- und Highschool-Version überragen schauspielerisch. Selbst Jessica Chastain ist als Neuzugang verschenkt: Sie spielt eine hochhakige, aber letztlich flache Alien-Anführerin, die Jeans Energie stehlen und selbstverständlich die Erde vernichten will. Zweite Hauptfigur ist Xavier (James McAvoy), der Leiter der Mutanten-Schule, auf Büßer-Tour nach seiner folgenschweren Selbstüberschätzung.

Selbst im Rahmen des Genres und der Serie wirkt „Dark Phoenix" wie die Billig-Version eines X-Films. Nur das Empowerment einer jungen Frau gegenüber ihrem alten Mentor bleibt da nach einem funkensprühenden Tricktechnik-Finale in Erinnerung.

3.6.19

Burning

Südkorea 2018 (Beoning) Regie: Chang-dong Lee, mit Ah-in Yoo, Steven Yeun, Jong-seo Yun 148 Min.

Aus einer kleinen Murakami-Geschichte macht „Burning" eine großartig gefilmte Psychostudie. Die Lethargie eines jungen Koreaners kulminiert in die vielfach ausgezeichneten Film zu einem schockierenden Ereignis.

Kann es verführerisch sein, eine pantomimische Mandarine zu essen? Ja sehr, wenn Haruki Murakami es beschreibt, und auch wenn Chang-dong Lee seine Vision der seltsamen Beziehung zweier junger Koreaner ins Bild bringt.

Der junge Jongsu trifft zufällig seine Schulkameradin Haemi wieder. Das einzige, was er ihr einst in der Schule sagte, war: Sie sei hässlich. Nun wickelt sie ihn locker um den Finger und verführt ihn mit einer raffinierten Mischung aus Unschuld und Naivität. Während ihres Afrika-Trips versorgt Jongsu Haemis Katze - ohne diese je zu Gesicht zu bekommen! Zur Rückkehr steht er am Flughafen bereit, doch seine vermeintliche Freundin kommt in Begleitung eines anderen an. Im Gegensatz zum sehr zurückhaltenden und langsam agierenden Jongsu beeindruckt dieser koreanische „Great Gatsby" namens Ben mit Charme und Vermögen. Aber plötzlich ist Haemi verschwunden und Ben hat eine neue Freundin. Manisch kontrolliert Jongsu nun die Plastik-Gewächshäuser seines Heimatdorfs im verarmten Grenzgebiet zu Nord-Korea. Ben hat im einst im Rausch erzählt, er würde regelmäßig eines dieser Gewächshäuser anzünden...

Beim großen Erfolg der Bücher von Haruki Murakami überrascht es, wie wenige Romane nur verfilmt wurden, aber die reizvoll verschrobenen Situationen und Figuren des Japaners lassen sich wohl nicht so einfach in Film übertragen. So bleiben circa zehn Kurzgeschichten als Inspiration. Der Roman „Naokos Lächeln" (Norwegian Wood) wurde 2010 mäßig interessant umgesetzt. Auch nach einer Kurzgeschichte schuf Jun Ichikawa 2004 den faszinierenden „Tonî Takitani". Ebenso kongenial geht Chang-dong Lee nun vor: Jongsu ist einer dieser Murakami-Männer, die immer die Gelegenheit verpassen, im richtigen Moment bei der richtigen Frau das Richtige zu tun. Als er doch mit Haemi schläft, starrt er nur fasziniert auf den Hauch einer Sonnenreflektion an der Wand der Mini-Wohnung.

Die virtuelle Katze der Pantomime-Schülerin Haemi gehört zu den gelungen übertragenen Ideen. Dass sie als Kind in einen Brunnen - ein bekanntes Motiv von Murakami - gefallen sein soll, gehört zu den Geschichten des Films, deren zweifelhafter Wahrheitsgehalt den Möchtegern-Autoren Jongsu in den Wahnsinn treiben. Rätselhaft bleibt „Burning" auch am überraschenden Ende. Die große Kunst des mehrfach ausgezeichneten Werks liegt darin, dass diese Rätsel mit einer inneren Stimmigkeit immer interessant bleiben. Dazu machen tolle Bilder und Darsteller „Burning" zum herausragenden Kino-Ereignis.

2.6.19

Zwischen den Zeilen (2018)

Frankreich 2018 (Doubles Vies) Regie: Olivier Assayas, mit Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent Macaigne, Christa Théret 107 Min. FSK ab 6

Der Stand der Kultur; Internet-Piraterie; Gratis-Mentalität; der Verlust der Fähigkeit, zu lesen; Postfaktisches und der Unterschied zwischen Literatur und Leben. Genug Themen hat der neue Film von Olivier Assayas („Die Wolken von Sils Maria"), genug Geist und Stars auch.

Assayas beginnt „Zwischen den Zeilen", als wolle er das unzutreffende Klischee vom dialog-lastigen französischen Film wiederbeleben: Ein Gespräch zwischen Verleger und Autor. Abends jongliert dann ein intellektueller Kreis um den Verleger locker mit gleich einigen Themen rund um die Schriftkultur. Morgens bekommt der Autor von seiner politisch aktiven Freundin nicht besonders viel Unterstützung - im Gespräch selbstverständlich.

Wer all diesen Gesprächen interessiert folgt, oder sie geduldig aussitzt, wird mit dem belohnt, was zwischen vielen dieser Zeilen steckte: Denn Assayas kommt danach mit einer Überraschung nach der anderen aus den Betten. Tatsächlich aus den Betten, denn wer mit wem gerade fremdgeht, ist fast schon unübersichtlich. Dabei schreibt Léonard (Vincent Macaigne) immer nur Romane, in denen er vergangene Liebschaften mehr schlecht als recht verschleiert verarbeitet. Und so hätte Verleger Alain (Guillaume Canet) in dem Manuskript, das er ablehnt, eigentlich lesen können, was seine Frau Selena (Juliette Binoche), eine bekannte Schauspielerin, mit Léonard im Kino (zu „Das blaue Band") angestellt hat. Aber Alain steckt selbst mitten in seiner aktuellen Affäre mit der jungen Digitalisierungs-Spezialistin Laure (Christa Théret).

So kann auch zwischen den Laken das Für und Wider von Digitalisierung des Verlagsgeschäftes diskutiert werden. Mit provokanten Thesen wie „Tweets sind die Haikus von heute". Oder der Frage, ob heute mehr denn je geschrieben wird oder das alles im Internet nur Wort-Durchfall ist. Und angesichts von Léonards sehr einfältiger Schreibmasche immer wieder die Diskussion, ob man das Leben anderer in seinen Kunstwerken mit einbeziehen darf. Das ist sehr bürgerlich, kultur-bürgerlich.

Man könnte auch sagen: Leben ist das, was draußen stattfindet, während die Bürger drüber diskutieren. Trotzdem ist es reizvoll, diesen Figuren zuzuhören, denn Assayas kann nicht nur wichtige Themen mit guten Schauspielern inszenieren. Er macht das auch mit einigem Witz, wie schon die Besetzung der Binoche als „Interventionsspezialistin" einer billigen Polizei-Serie zeigt. Und wie zur Versöhnung enden diese ganzen Gedankenspiele mit etwas sehr Konkretem und Rührendem.

Ramen Shop

Singapur, Japan, Frankreich 2018 (Ramen teh) Regie: Eric Khoo, mit Takumi Saito, Jeanette Aw, Mark Lee 90 Min. FSK ab 0

Guten Appetit! Die reichhaltige Reihe „Kulinarisches Kino" macht diesmal in Japan und Singapur Station, auf dem Menu ein stark menschelnder Mix aus chinesischer und japanischer Küche.

Im Vorspann macht die Zubereitung einer Ramen-Suppe Appetit. Dass neben der irre langen Zubereitung für dieses einzelne Gericht auch Generationen an neuen Geschmacks-Verbindungen arbeiten müssen, erfährt der junge Masato. Noch kocht er in einer traditionellen japanischen Suppenküche unter der Fuchtel des verbitterten und grimmigen Vaters. Als der jedoch plötzliche stirbt, macht sich Masato auf den Weg nach Singapur. Ins Heimatland seiner Mutter, die starb, als er 10 Jahre alt war.

Neunzig Prozent der Filmzeit wird gekocht und gegessen. Mit Schlürfen und Schmatzen, was bei Ramen eine Ehrerbietung für Koch oder Köchin darstellt. Beim Essen trifft Masato die Bloggerin, mit der er seit längerem in Kontakt ist. Im Restaurant findet der Junge seinen Onkel wieder. Vor einer Mahlzeit bei der Oma wird Masato rausgeworfen: Die alte Frau hat horrende Erinnerungen an die Besetzung durch japanische Soldaten und konnte nie verschmerzen, dass ihre Tochter einen Japaner heiratete.

So ist „Ramen Shop", diese kulinarische Geschichte Singapurs, durchwoben vom Kennenlernen von Masatos Eltern - selbstverständlich in Restaurants! Das ist Kriegsgeschichte und Familienzusammenführung als eher nett anzusehender Kitsch und nicht unbedingt ein weiteres Beispiel avancierter asiatischer Filmkunst. Das Essen ist lecker ins Bild gebracht, die Fotografie schön, aber selten köstlich.

Das Leben meiner Tochter

BRD 2018 Regie: Steffen Weinert, mit Christoph Bach, Alwara Höfels, Maggie Valentina Salomon 88 Min.

Wie weit würde man gehen, um für die sterbenskranke, kleine Tochter ein Spender-Herz zu besorgen? Ein spannende moralische Frage, mit der dieser Film rein gar nichts anzufangen weiß.

Das Familienidyll kippt, als die achtjährige Jana plötzlich zusammenbricht. Ein Herzfehler. Und ein Spenderorgan kann in der wenig spendenfreudigen Bundesrepublik Monate auf sich warten lassen. Ein Jahr lang lebt Jana nun schon im Krankenhaus, angeschlossen an ein kühlschrankgroßes Herzunterstützungssystem. Da geht der extrem rücksichtslose Vater Micha (Christoph Bach) auf ein unseriöses und ungesetzliches Angebot aus Rumänien ein. Und will die riskante Operation mit der Tochter im Ausland ohne die Mutter Natalie (Alwara Höfels) durchziehen. Im obskuren Krankenhaus wird ihm vor Augen geführt, was illegaler Organhandel bedeutet.

Das Problem-Filmchen „Das Leben meiner Tochter" hätte im Moment alle Vorteile, genau rechtzeitig zu neuerlichen Diskussion um die deutsche Organspende-Problematik zu starten. Aber der Film von Regisseur und Autor Steffen Weinert taugt nicht mal zur Bebilderung des Problems. Entsetzen und Verzweiflung der Eltern kommen mit der Intensität braver Vorabendunterhaltung bei den Öffentlichrechtlichen rüber. Selbst Christoph Bach („Charité 1", „Dutschke") kann die sehr eindimensionale Figur des Vaters nicht retten. Denn wirklich abgewogen wird hier nichts. Mama Natalie und erstaunlich reife Tochter sind anfangs gegen ein illegales Spender-Herz. Irgendwann schwenkt Natalie um und dann will Jana auf jeden Fall noch die Eltern des angeblich verunglückten Spender-Jungen sehen. Erst zehn Minuten vor dem Ende dämmern auch der einseitigen Hauptfigur Micha die Konsequenzen seines Handelns. Da ist selbst der geneigte Zuschauer schon gefühlt stundenlang aus dem Thema raus. Dazu kann man besser Katell Quillévérés großartigen „Die Lebenden reparieren" sehen!