30.5.18

Tully

USA 2018 Regie: Jason Reitman, mit Charlize Theron, Mackenzie Davis, Mark Duplass, Ron Livingston, 96 Min., FSK ab 12

Nach der jungen Schwangerschafts-Komödie „Juno" erzählen Regisseur Jason Reitman und Drehbuchautorin Diablo Cody nun von der nicht so schönen Seite der Mutterschaft. Hauptdarstellerin Charlize Theron verkörpert mit viel Mut zur Normalität Marlo, die gerade ihr drittes Kind bekommen hat. Nicht geplant, denn schon nach dem zweiten bekam sie psychische Probleme. Doch auch wenn der Film genüsslich vorführt, dass Muttersein kein Zuckerschlecken ist, macht man sich um Marlo mit ihrem frechen Humor lange keine Sorgen.

Und so ist es ein großer Spaß, dem zuzusehen, was kein Spaß ist: Schon die Geburt erweist sich wieder nicht als der propagierte, große Glücksmoment. Der tagsüber schwer beschäftigte Ehemann ist keine große Hilfe, gelinde gesagt. Abends liegt er nur mit Computerspielen im Bett. Während das dauerschreiende Baby an den Nerven sägt, muss Marlo noch ihren autistischen Sohn besonders pflegen. Eine tägliche Streicheleinheit mit sanfter Bürste verhindert allerdings nicht, dass der Kleine jeden anderen als den gewohnten Parkplatz mit Gebrüll verweigert, auch wenn alles schon viel zu spät und mega stressig ist.

Schließlich willigt die völlig übernächtigte Marlo doch in den Vorschlag des reichen Bruders und seiner in allen Erziehungsphilosophien gewaschenen Muster-Frau ein, eine Night-Nanny zu engagieren. Also einen Babysitter nur für die Nacht, die das Kind sogar zum Stillen ans Bett der Mutter bringt, die danach sofort weiterschlafen kann.

Die junge fröhliche Nanny namens Tully (Mackenzie Davis) übernimmt in Minuten den chaotischen Haushalt bei Marlo, schickt die völlig ausgelaugte Mutter ins Bett und am nächsten Morgen gibt es noch eine aufgeräumte Wohnung sowie Cupcakes für die Kindergartenklasse des Sohns. Tully ist ein Wunder und traumhaft wie Julie Andrews als „Mary Poppins". Dabei aber mit mehreren Beziehungen ziemlich lebenslustig. In den nächsten Abenden und Nächten kommen sich Marlo und Tully immer näher, reden, lachen und erzählen von ihren Leben. Der Sonnenschein für die Nacht wird Therapeutin und Freundin.

Jason Reitman und seine Drehbuchautorin Diablo Cody schaffen es erneut, sehr realistische und glaubhafte Menschen in schwierigen Lebensphasen zu zeigen, und das mit lachendem und weinendem Auge zu präsentieren. Ausgerechnet der größte Stress für Marlo ist eine großartig komödiantische, genial flott geschnittene Szene. Das ehemalige Model Charlize Theron geht mit (künstlich) ausuferndem Körper ganz in dieser Rolle auf. Schon 2003 hat die Schauspielerin, die sich auch gerne in Action-Rollen wie bei „Fast & Furious" oder als „Atomic Blonde" zeigt, für „Monster" mal so eine extreme Transformation mitgemacht und dafür den Oscar erhalten.

Nun spielt Theron hervorragend, vor allem der wache Witz der ansonsten völlig erledigten Marlo gelingt ihr gut. Doch „Tully" ist so wunderbar und großartig wegen der Geschichte von Marlo, der Art des Erzählens von Reitman und der äußerst raffinierten Konstruktion des Films, der noch mit einer dicken Überraschung aufwartet. Einer echten Überraschung, ausnahmsweise! Selbst kleine, scherzhafte Verweise zu Horrorfilmen, wo die Mama als einzige überlebt und am Stock geht, werden später mit einem Augenzwinkern aufgegriffen. Ein ganz erstaunliches Kunststück über die noch größere Kunst, den ganz normalen Familienalltag als Frau zu meistern.

28.5.18

Augenblicke: Gesichter einer Reise

Frankreich 2017 (Visages Villages) Regie: Agnès Varda, JR 93 Min. FSK: ab 0

Die kleine, aber großartige Regisseurin Agnes Varda feiert am 30. Mai 2018 ihren 90. Geburtstag und findet ihre Geschichten noch immer am Wegesrand. Diesmal zog sie für die Dokumentation „Visages Villages" („Augenblicke: Gesichter einer Reise") mit dem Street-Art-Künstler JR (Juste Ridicule) durch Frankreich. Er hat eine fahrende Kabine wie für Passfotos, die aber direkt riesige Schwarzweiß-Abzüge ausdruckt. Die kleistert er an die Wände von Dörfern und Fabriken, überhöht so spielerisch die „einfachen" Menschen, die man leicht übersieht, mit ihren Geschichten.

So ist der junge JR ein Geistesverwandter von Agnes Varda. Zusammen nehmen sie im Norden Frankreichs die Erzählungen der Bergarbeiter auf und kleben riesige Paste Ups auf verlassene Bergarbeiter-Häuser. Sowie ein Porträt von Jeannine, die von ihrem Vater erzählte und in Tränen ausbricht, als sie das Kunstwerk sieht. Tränen verdrücken kann man auch als Zuschauer öfter, weil es Varda wieder gelingt, einfach auf Menschen zu treffen, die sich völlig unverstellt öffnen. Das ist das Prinzip der Zufallsfunde von „Die Sammler und die Sammlerin" (2000), in dem sich Varda selbst als Sammlerin porträtiert.

Der Zufall sei ihr bester Assistent, sagt sie auch nun. Dabei zeigt sie sich als unglaublich genaue Beobachterin. Aus jeder Begegnung entsteht eine kleine Doku-Perle, ein filmisches Porträt
und dazu das von JR geklebte Riesenposter. Dann folgt immer eine Nachbesprechung der beiden Künstler, auf Bänken mit dem Rücken zur Kamera. Hier klingt bei netten Neckereien auch ein Abschied an. Die Beine und auch die Augen wollen nicht mehr richtig bei der Frau, die seit 1961 Filme macht. Die eigene Augenbehandlung fließt kunstvoll mit ein.

Und so steckt in der liebenswert offenen und unkomplizierten Art auch große Kunst, die ganz einfach glücklich macht. Jedes Gesicht hat eine Geschichte und auch die Kamera findet wunderbare Bilder. „Visages Villages" ist nun nicht so unwiderstehlich rührend und Jahrhundertwerk-sensationell wie Vardas wundervolle Liebes-Doku „Jacquot de Nantes" (1991) über ihren Mann, den ebenfalls einzigartigen Regisseur Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg"). Doch für das wahre Glück im Kino ist Agnes Varda immer noch die beste Empfehlung.

Feinde - Hostiles

USA 2017 (Hostiles) Regie: Scott Cooper, mit Christian Bale, Rosamund Pike, Wes Studi 134 Min. FSK ab 16

Ist „Hostiles" ein äußerst dummer „Cowboy und Indianer"-Film? Da werden in einem Film von 2018 doch tatsächlich noch „arme weiße Landräuber" dreist von den Ureinwohnern überfallen! Aber Regisseur Scott Cooper („Crazy Heart", „Black Mass") setzt dem direkt die Schreie einer gefesselten und gefolterten Apachen-Familie entgegen, die von US-Soldaten wie Vieh in Käfige eingesperrt wird.

Es ist das Jahr 1892 in New Mexico, die Besetzung des Landes scheint abgeschlossen. Die ursprünglichen Bewohner sind weitgehend „befriedet", also tot oder in Reservaten vegetierend. Die Soldaten haben bereits die Entlassung erhalten, doch der berüchtigte Indianerhasser und Offizier Joseph Blocker (Christian Bale) erhält den Auftrag, den totkranken Cheyenne-Häuptling Yellow Hawk (Wes Studi), der die vergangenen sieben Jahre im Gefängnis verbrachte, zum Sterben in dessen Stammesland nach Montana zu begleiten. Blocker würde sich fast lieber erschießen, als auf Befehl des US-Präsidenten den verhassten Gegner zu eskortieren, aber schafft es nicht. So muss er antreten, sonst wird ihm die Pension gestrichen.

So zieht ein kleiner Trupp los. Den Häuptling begleiten seine Kinder und Enkel. Blocker hat seinen alten Kumpel, einen unerfahrenen jungen Franzose und einen Neuling von der Elite-Akedamie West Point dabei. Doch sobald man aus der Sichtweite der liberalen Presse ist, werden die Cheyenne in Ketten gelegt. Und bald trifft man auf die junge Witwe Rosalie Quaid (Rosamund Pike), die als einzige den grausamen Komantschen-Überfall aus der ersten Szene überlebte. Mit der völlig traumatisierten Frau geht der harte Offizier Blocker äußerst einfühlsam um, gewährt ihr so ausführlich Zeit für einen Trauerprozess, als hätte er genau die richtigen Ratgeber dazu gelesen. Das gibt dem Film und Rosamund Pike Raum für eine Reihe ergreifender Schauspielmomente. Selbst um den „Kameraden", der zum ersten Mal einen Menschen umgebracht hat, kümmert man sich im Gespräch. Ist das hier Wilder Westen oder eine Selbsthilfe-Gruppe von Afghanistan-Veteranen?

Derweil haben die üblen Komantschen längst wieder zugeschlagen, den Trupp dezimiert und Blocker letztlich doch dazu gebracht, seinen anvertrauten Cheyenne die Ketten abzunehmen, damit man gemeinsam gegen die blutlüsternen Bösen kämpfen kann.

Anfangs wirkt es, als verteidige „Hostiles" in übler Genre-Tradition die Mörder und Sadisten in Uniform, weil „man ja so wird", da an der einen oder anderen Front. Dabei ist das Hinterhältige des Films, dass er gewaltig gut argumentiert und Eindruck schindet. Vor allem Christian Bale („Batman") gibt dem hasserfüllten Soldaten ein fesselnd eindringliches Gesicht. Während er noch in seinem Grimm und seinem Krieg steckt, findet um ihn herum bereits langsam Völkerverständigung statt. Dabei bewegen sich der kleine Trupp und der Film faszinierend ruhig fort, still begleitet von der exzellent eingesetzten Musik Max Richters („Waltz with Bashir", „Arrival", „Lore"). Auch die zwangsläufigen Überfälle der tatsächlich wild gewordenen Komantschen werden bodenständig unspektakulär inszeniert. Trotzdem steigt die Spannung enorm.

Nach einer Stunde scheint ein neuer Film anzufangen, als Blocker noch einen weißen Gefangenen transportieren soll - der ein alter Kampfgefährte von ihm ist. Beide haben bei der Ausrottung der Indianer grausame Dinge getan. Nun liegt der eine in Ketten, der andere bekommt eine Pension. Jetzt ist das Bild komplett für spannende Gedankengänge ums Morden, Hassen und Vergeben. Um eine gewisse Regelgebung beim Kriegs-Morden und den Umgang mit den psychologischen Folgen. Überall wird über Lager diskutiert. Nur dass es damals keine Flüchtlingslager, sondern Reservate waren. Wobei dieses ungewöhnliche Thema mehr ist als Gedankenspiel, da es in hervorragend gespielten und glaubhaften Figuren lebt.

Ein Treck der Geschundenen zieht mal nicht gen Westen, sondern von Süd nach Nord, durch gewaltiges Western-Dekor. Diese eindrucksvolle Umgebung steht im krassen Gegensatz zu einer Landschaft völlig verwüsteter Menschen. Wobei die letztendliche Mehrschichtigkeit der Figur von Blocker sich etwas einfach ergibt und das doch relativ weit verbreitete Schuldbewusstsein unter den Soldaten ein wenig realitätsfern erscheint. Trotzdem lässt sich ein atemberaubender Wandel im Laufe dieses Films mitmachen.

Aus etwas Güte und Hoffnung, die mitreiten, ergibt sich statt endloser Blutsfehden eine Verbrüderung im Leid. Der gegenseitige Respekt ist groß, auch der Respekt des Films, der die „native americans" ihre Sprache sprechen lässt. Wobei Regisseur und Autor Scott Cooper für seinen Anti-Helden Blocker und für die Zuschauer noch so etwas wie eine Abschlussprüfung im Stile des großartigen Eastwood-Western „Unforgiven" einfügt. Ein letztes, furchtbares Aufbäumen von rechtloser Gewalt der Ewiggestrigen fordert den müden Kämpfer noch einmal ...

Letztendlich sind wir dem Universum egal

USA 2018 (Every day) Regie: Michael Sucsy, mit Angourie Rice, Colin Ford, Maria Bello 98 Min., FSK ab 6

Eine Teenie-Romanze mit geradezu weltbewegender Weisheit ist fast so ein Wunder, wie ein Wesen, dass jeden Morgen in einem anderen Körper wach wird. Der Film mit dem längsten, sinnfreien Titel der Filmgeschichte „Letztendlich sind wir dem Universum egal" ist viel mehr als er scheint, quasi ein Rumi-Murmeltier.

„Every day" heißt „Letztendlich sind wir dem Universum egal" im Original, und „jeden Tag" erwacht ein Teenager mit besonders staunendem und neugierigen Blick auf die Umgebung. Denn da ist eine .... Seele, so nennen es Buchautor David Levithan und Film, die aus unerklärlichen Gründen jeden Tag im Körper eines anderen jungen Menschen wach wird. Mal Junge, mal Mädchen, mal schwarz, mal asiatisch oder weiß. Dann blind oder im Rollstuhl und sogar auf einem Operationstisch! An sich schon eine äußerst faszinierende Vorstellung, jeden Tag einen anderen jungen Menschen mit seinem Alltag, seinen Sichtweisen und innersten Träumen kennenzulernen!

Als sich die Seele A, wie sie sich selbst nennt, in die 16-jährige Schülerin Rhiannon (Angourie Rice) verliebt, fordert der tägliche Hüllen- und Tapetenwechsel allen Beteiligten einiges ab. Zum Glück erfolgt die morgendliche Wiedergeburt immer relativ nah beim alten Wirt, der von den letzten 24 Stunden in Fremdbesetzung keine Ahnung mehr hat. Vor allem aber dauert es eine Weile, bis Rhiannon diese unglaubliche Geschichte glaubt, die ihr völlig unterschiedliche Menschen aufbinden wollen. Am ersten gemeinsamen war „A" noch ihr richtiger Freund, der sich sonst jedoch noch nie so liebvoll, aufmerksam und intensiv um sie gekümmert hatte. Dieser wunderschöne Tag veranlasst die gute Seele von ihrem Prinzip abzuweichen, das Leben seiner Gastwirte möglichst nicht zu stören.

Das ist „Und täglich grüßt das Murmeltier", das erinnert mit dem täglichen Körperwechsel an die wunderbare japanische Animation „Your Name", ist aber auch etwas ganz anderes. Selbstverständlich echot hier das Gefühl Pubertierender herum, dass Körper und Seele nicht immer im Einklang stehen: „Wer bin ich und wie viele?" Aber wie wäre es eigentlich, jeden Tag jemand anders lieben zu können? Also lieben mit allem drum und dran. Eine große Frage für die Seele A und für Rhiannon. Und überhaupt: So überzeugend wurden im Teenie-Film noch nie Äußerlichkeiten negiert. Hier wird tatsächlich mal auf innere Werte Wert gelegt.

Wird hier das Prinzip Wiedergeburt ein Teeniefilm-Quickie runtergebrochen? Suchen sich hier zwei Hälften von Platons Kugelmenschen? Muss das LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) um eine alles umfassende Seele A erweitert werden? Je länger „Every day" läuft, umso mehr begeistert man sich auch beim Zusehen für die Ideen des gleichnamigen Jugendromans von David Levithan. Die Hauptfigur mit den vielen Gesichtern kennt die Farbe Blau in fünfzig verschiedenen Varianten, sieht die Welt immer aus anderen Augen. Welche unglaubliche Weisheit, wie viel Mitgefühl muss so eine breite Einsicht erzeugen? So eine „Exkursion" wäre das ideale Umerziehungsprogramm für alle Faschisten, Rassisten, Sexisten und uns alle anderen sicher auch.

Das Filmische hält sich dabei ähnlich zurück, wie die Hauptdarstellerin Attraktivität vermeidet. Nur zwei, drei Mal eröffnet das Bild ähnlich große Visionen wie die Geschichte. Die führt derweil spannende Lebens-Varianten vor, die leider immer nur ein paar Minuten andauern. So muss sich auch die Seele A nach jedem Wechsel fühlen. Dass sie einmal ausgerechnet im Körper von Rhiannon wach wird, ist auch eine vor allem erzählerisch geniale Volte.

Trotzdem kann der Teenie-Film für jedes Alter auch große Romantik, viel Gefühl und ein paar Scherze des immer entspannteren Paares. Aber bis zum bittersüßen Ende ist „Every day" vor allem ein unglaublich lebenskluger, weiser Film nach einem wahrscheinlich ähnlich guten Roman.

27.5.18

Meine Tochter - Figlia Mia

Italien, BRD, Schweiz 2018 Regie: Laura Bispuri mit Valeria Golino, Alba Rohrwacher, Sara Casu, Udo Kier 100 Min.

Dass Kinder sich mal andere Eltern wünschen, ist wohl gängige Lebensphase. Dass eine ganz andere Frau mit großer Anziehungskraft sich tatsächlich als leibliche Mutter herausstellt, hingegen bemerkenswerte Geschichte: Die neunjährige Vittoria (Sara Casu) trifft in ihrem kargen, sardinischen Dorf immer wieder auf die wilde und schrille Angelica (Alba Rohrwacher). Nur wir sehen, dass sich Vittorias Mutter Tina (Valeria Golino) zwischen Arbeit und Haushalt auch noch um die chaotische Angelica kümmert, deren abgelegener Hof mit den vielen Tieren gepfändet werden soll. Es wird nicht viel erklärt, klar ist aber bald, wer eigentlich Vittorias Mutter ist. Vittoria stiehlt sich immer öfter fort zur leiblichen Mutter, ist aber völlig überfordert vom Zwiespalt. Die Hintergründe sorgen nicht als Rätsel für Spannung, es sind die Beziehungen und Gefühle der Beteiligten, mit denen die Regisseurin Laura Bispuri packt.

„Figlia mia" arbeitet ähnlich existenziell mit einem Kratzen und Zerren an uralt hergebrachten Rollen wie Bispuris sensationeller Vorgänger „Sworn Virgin" über eine albanische Frau (auch Rohrwacher), die nach traditionellem Ritus als Jungfrau eine Art Transgender werden darf. Und wieder spürt man in „Figlia mia" den Staub, riecht den Schweiß der körperlich und hart arbeitenden Menschen. Alte Verletzungen und die Suche nach einer neuen Rolle stehen auf dem emotionalen Arbeitsplan der drei weiblichen Figuren. Wobei Angelica nicht nur in ihrer Unfähigkeit zu überleben einfältig ist, die durchgeknallte Figur mit zu vielem billigen Sex wurde auch zu einfach konstruiert. Was diese ungewöhnlich intensive Schauspielerin Rohrwacher jedoch auffängt - sie könnte wahrscheinlich auch ein rosa Einhorn glaubhaft darstellen.

23.5.18

Solo: A Star Wars Story

Solo: A Star Wars Story

USA 2018 Regie: Ron Howard, mit Alden Ehrenreich, Woody Harrelson, Emilia Clarke, Donald Glover, Thandie Newton 135 Min. FSK ab 12

Ja, das war schon ein genialer „move" vom Piloten Han Solo: Einfach mal das Raumschiff um neunzig Grad drehen, um aus einer Sackgasse bei der klassischen Verfolgungsjagd zu entkommen. Dass dies im Weltall eigentlich ziemlich albern ist und nur bei Gravitation und mit Alphalt unter den Rädern ein Kunststück wäre, muss hier unterschlagen werden. Wir treten ein ins „Star Wars"-Universum, klassische zwei-dimensionale Unterhaltung für die Fans. Und wir erleben in „Solo: A Star Wars Story", wie Han Solo, der Erfinder dieses Solo-Saltos zu dem wurde, den wir als Harrison Ford aus den klassischen „Star Wars"-Filmen kennen.

Mit der bisherigen Zusatz-Episode zur klassischen, dreifachen „Star Wars"-Trilogie hat der neue „Star Wars"-Eigner Disney Glück gehabt. „Rogue One" war ganz gut gelungen. Nun darf Altmeister Ron Howard („Apollo 13", „Ransom", „The Da Vinci Code") das Vorleben von Harrison Ford, sprich: Han Solo, auf die Leinwand bringen. Der Einzelfilm „Solo: A Star Wars Story" ist ein Prequel, eine Vorgeschichte zum ersten „Star Wars"-Film von 1977.

„Solo" zeigt Han (Alden Ehrenreich) als Dieb und Schmuggler auf dem üblen Planeten Correlia, ein Job der neuerlich von Star Lord in „Guardians of the Galaxy" übernommen wurde. Dieser Auftakt besteht praktisch nur aus Verfolgungsjagd mit ganz kurzen Atempausen. Darin romantisches Drama, weil Han seine große Liebe Qi'ra (Emilia Clarke) bei der Flucht zurücklassen muss. Dann rasant weiter aus dieser Welt mit Unterdrückung im Nazi-Design direkt in die Laufgräben von irgendeinem furchtbaren Krieg. Der ideale Ort, um wieder abzuhauen, diesmal mit einem ganzen Trupp von Schmugglern unter der Leitung von Tobias Beckett (Woody Harrelson). Und die haben direkt einen ganz großen Raubzug vor...

Bevor man auch nur beim kleinsten Popcorn-Eimer den Boden sehen kann, sind hier schon drei Geschichten erzählt, zig Personen eingeführt und vier Action-Höhepunkte erledigt. Bei Routinier Howard - der als Erzsatz-Regisseur einsprang - läuft der Film wie geschmiert. Obwohl man die Versatzstücke für Spannung und Figuren alle schon mal gesehen hat , auch in ganz anderen Genres. Han könnte ein kleiner Gauner mit Anlage zum Rebell in New York oder im Western sein. „Solo" ist vor allem eine Gangster-Geschichte, austauschbar mit Bank-, Zug- oder Casino-Raub. Aber aufgepimpt mit den „Star Wars"-Elementen passt das und unterhält problemlos.

Denn schon rast ein doppelter Zug über frei schwebende Gleise heran, der überfallen werden muss. Die persönlichen Geschichten am Lagerfeuer sind abgehandelt, später erfahren wir noch, dass der Vater von Han tatsächlich an dessen Lieblings-Raumfahrzeug Millenium Falcon rumgeschraubt hat. Vor allem die Vorstellung vom späteren Co-Piloten Chewbacca (Joonas Suotamo) im schlammigen Kerker ist ein netter Spaß. Neue Fahrzeuge und Kreaturen gibt es zuhauf, besonders in der unerlässlichen Weltraum-Bar.

Für die Fan-Gemeinde wurde schön viel Wiedererkennungs-Spaß in den Film gehangen, etwa mit dem Würfel-Anhänger, den Han Solo noch einige Filme am Rückspiegel baumeln hat. Aber das Ganze funktioniert auch für Nicht-Anhänger der Kirche von der heiligen Macht. Selbstverständlich wird die große Geschichte um das Erstarken des Imperiums wie schon in dem Solo-Film „Rogue One" weitererzählt. Im natürlichen, jährlichen Geldvermehrungs-Rhythmus einer Episoden- (2019 gibt es die nächste) und einer Solo-Folge aus dem Disney-Imperium.

Han Solo ist mit Alden Ehrenreich richtig gut besetzt. Er ähnelt ihm zwar nicht besonders, verfällt aber immer wieder sehr nett gelungen in die Mimik von Harrison Ford. Die Frauenrollen erscheinen diesmal eher dekorativ als Liebesobjekt im klassischen Dilemma zwischen Hure und Heilige. Also hier Qi'ra als Verräterin für Dryden und einfaches Mädchen aus dem Slum mit viel Liebe für Han. Doch „mann" sollte sich davon nicht täuschen lassen. Die losen Fäden für die Fortsetzung versprechen bei Qi'ra und auch bei den bunt zusammen gewürfelten ersten Rebellen viel Vielfalt.

Ohne Höhepunkte unspektakulär gut erweist sich „Solo: A Star Wars Story" als einfaches, unterhaltendes Abenteuer. Das nebenbei klarmacht, wie sehr dieses einträgliche Genre durch die neuen Superhelden-Filme von Marvel runter gekommen ist. Bei den Erben und Aufkäufern des Lucas-Imperiums wird (noch) anständig erzählt, hier sind die Figuren wichtiger als Effekte, von denen es auch nicht wenige gibt. So wirkt „Solo", diese alte Geschichte aus der „Star Wars"-Saga, tatsächlich altmodisch. Und bis auf eine Szene am Ende ohne die Jedi-Esoterik richtig bodenständig. Hier wird das Popcorn vergangener Jahrzehnte im Niedergang der Massenunterhaltung plötzlich zum Qualitätsartikel.

22.5.18

In den Gängen

BRD 2018 Regie: Thomas Stuber mit Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, 120 Min. FSK ab 12

Ein Strauß-Walzer erklingt in den nächtlich verlassenen Gängen eines nüchternen Regallagers. Passt eigentlich nicht, aber verleiht dem Arbeiter auf seiner Reinigungsmaschine und den Stapler-Fahrern eine leichte Beschwingtheit, die wiederum mit dem echten Arbeitsleben nichts zu tun hat. Blass in diesem Hallen ohne Tageslicht ist der Neue, Christian (Franz Rogowski), der zur Erstausstattung für den neuen Job im Großmarkt einen Blaumann und ein paar Stifte in die Brusttasche bekommt. Christian wird empfangen von genialen Sprüche des alten Kollegen Bruno (Peter Kurth) mit herrlichen Kurz-Sätzen, die auch Philosophie sein könnten. Mit kindlichem Staunen tritt der „Frischling" all die Gerätschaften wie den Menschen hier entgegen. Und stellt sich ansonsten nicht besonders geschickt an. Aber alle seine Fehler werden von den Kollegen freundlich aufgefangen. Selbst als sich Christian in die verheiratete Süßwaren-Marion (Sandra Hüller) verliebt und „stapelt wie ein Irrer, weil es ihn erwischt hat".

Sie ist grandios, diese langsame Annäherung erst am Kaffeeautomat, dann durch die dicken Regale beim Einsortieren. Und er ist ein erstaunliches Wunderland, dieser ungewöhnliche Mikrokosmos, in dem öfter mal „Fuffzehn", also Pause zum Rauchen gemacht wird. Hier drinnen verboten, aber „der Alte macht es ja auch". Schachpartien müssen beendet werden und nach Geschäftsschluss erfüllt der Chef die Hallen mit auserwählter Klassik. Er verabschiedet übrigens auch jeden Abend jeden Angestellten mit Handschlag. Hier wird das Märchenhafte dieses Films ganz deutlich.

Die Gabelstapler bekommen ein Eigenleben, und zwar ein bockiges. Die ersten Fahrversuche Christians ernten ein nüchternes „Ach du Scheiße" von Bruno. Zum Wegwerfen komisch! Doch im Gegensatz zum weit verbreiteten Runtermachen der Neuen, geschieht hier alles fast traumhaft vertraut. Und so rücksichtsvoll wie in einer großen, harmonischen Familie. Zu Weihnachten wird von den Angestellten selbst in den abgelaufenen Waren „containert", beim Feiern kommen sich Christian und Marion näher.

„In den Gängen" erzählt eine langsame Liebesgeschichte in eigentlich unromantischer Umgebung, eine Erinnerung an menschlichen Umgang und menschliche Arbeit, von denen Kapitalismus und Neo-Liberalismus nichts mehr übrig gelassen haben. Das Buch schrieben Regisseur Thomas Stuber und Schriftsteller Clemens Meyer („Als wir träumten"). Und so ist der besondere Film, die Geschichte von einem „guten Mann" in einer „guten Truppe", der Rest einer vergangenen Utopie einer besseren Welt. Bruno erzählt, wie er nach der Wende vom Fernverkehr auf den Stapler wechseln musste. Und jetzt bieten nur die Kollegen noch ein Zuhause.

Franz Rogowski, dieser absolute Alleskönner von Schauspieler (auf den Bond-Bösewicht werden Wetten angenommen), begeistert auch in dieser nüchternen Alltagslyrik von „In den Gängen" wieder. Unglaublich, wie dieser Mensch, der neben Isabelle Huppert in Hanekes „Happy End" zu sehen war, der mit dem wilden „Tiger Girl" mithielt, der als „Lux – Krieger des Lichts" auftrat und Anna Seghers „Transit" belebte, nun diesen extrem schweigsamen, fast linkischen Lagerist gibt. Neben ihm gefällt Peter Kurth, noch so ein stiller Gigant des deutschen Films, besonders. Hüller lässt nur mit müdem, geschafftem Gesicht eine schwierige Ehe erspüren - von der wir nie etwas sehen. Und trotzdem gibt ihre Marion mit frischer, herzlicher Art dem Laden gute Laune. Ganz nebenbei kann man sich auch an diesen tollen Gesichtern weiden. Dazu ein sanfter, wunderbarer Musikeinsatz. Das Happy End ist, wenn Marion dem Frischling das Rauschen des Meeres hören lässt ... selbstverständlich in den Gängen!

The Happy Prince

BRD, Belgien, Großbritannien, Italien 2018 Regie: Rupert Everett, mit Rupert Everett, Colin Morgan, Colin Firth, Emily Watson, 106 Min., FSK ab 12

Ein bewegender Rückblick aus der Gosse: Die letzten Lebensjahre des so lebensfrohen, großartigen Dichters (1854-1900) waren kein Fest mehr. Rupert Everett hat es sich als Autor, Regisseur und Wilde-Darsteller des Films „The Happy Prince" zur persönlichen Aufgabe gemacht, diese eher unbekannte Lebensphase Wildes zu zeigen.

Wilde ist nicht mehr der strahlende Hedonist aus Brian Gilberts filmischer Biografie „Oscar Wilde" von 1997 mit Stephen Fry in der Hauptrolle. Dieser darbende, kranke Alte in Paris haut fünf Pfund, die ihm eine alte Verehrerin aus London gibt, direkt auf den Kopf. Für Koks und Absinth, zusammen mit zwei verlorenen Jungs. Ihnen erzählt seine rührende Geschichte „The Happy Prince" („Der glückliche Prinz"), ein bitteres modernes Märchen (aus der Prosasammlung „Der glückliche Prinz und andere Märchen" von 1888). Zuvor vergnügt er sich mit dem älteren Obdachlosen. Die Jungs von der Straße erinnern ihn an seine beiden eigenen Söhne, die er nie mehr sieht.

Diese Bilder in schmutzigem Gelb sind tief berührend, wenn die Erinnerung an glanzvolle Abende auf großen Bühnen aufkommt, während Wilde in einer Spelunke singt, um seine Schulden abzugelten. Das Vorleben taucht mit kurzen Momenten der Verurteilung und der Haft wegen Homosexualität auf. Der Beginn seines Exils 1897 in Dieppe leuchtet noch hoffnungs- und stilvoll. Die Flucht mit seiner großen Liebe Alfred „Bosie" Douglas (Colin Morgan) nach Neapel bringt ein letztes großes Glück. Aber die finanziellen Sorgen, auch weil Wildes Frau Constance Holland (Emily Watson) wegen des neuerlichen Treffens mit Bosie ihre Geldzahlungen einstellt, setzten dem ein Ende.

Es ist erschütternd, wie ein großer Mensch und großartiger Künstler zugrunde geht, nein: bis in den Tod erniedrigt wird. Erschreckend die Jagd auf Schwule, auch weil sie immer noch aktuell ist. Rupert Everett gelingt mit der opulenten Inszenierung und klasse Darstellern wie Colin Firth ein bewegender Abgesang auf einen der schillerndsten Erben des Orpheus. Everett übernimmt dabei Elemente des Märchens „The Happy Prince", im Off erklingen stimmungsvoll passende Originaltexte-Texte von Wilde. Das ist so nicht unbedingt für die Schullektüre geeignet, weil logischerweise die großen Erfolge, die Theaterstücke und die Bücher ausgeblendet werden.

Sich selbst inszeniert der Regisseur etwas selbstverliebt. Aber wie soll man einen vor Stolz und Lebenslust bebenden Wilde sonst darstellen? Ja, vielleicht noch mal von Stephen Fry, der auch im realen Leben eine ähnliche Brillanz im Denken und Formulieren beherrscht.

Luis und die Aliens

BRD, Luxemburg, Dänemark 2017 Regie: Wolfgang Lauenstein, Christoph Lauenstein, Sean McCormack 85 Min. FSK ab 0

Vor mehr als einem Viertel Jahrhundert, Anno 1990, erhielten die Brüder Wolfgang und Christoph Lauenstein einen Oscar für den Besten kurzen Animationsfilm des Jahres. Ihr „Balance" war eine wunderbare, kunstvolle Parabel um den eigennützig beschränkten Menschen, mit fein gestalteten Figuren, die sich gegenseitig von einer im Nichts kippelnden Plattform schmissen. Nun ist erfreulich, dass die Lauensteins „schon" bei einer großen Kinderfilm-Animation Regie führen dürfen. Geradezu schrecklich ist, dass bei „Luis und die Aliens" nichts mehr von ihrer Fantasie oder den feinen Zeichnung übrig geblieben ist.

Der 12-jährige Luis lebt zusammen mit seinem allein erziehenden Vater, einen Sternenkucker, bei dessen Alien-Spleen sich der Sohn tatsächlich sehr allein fühlt. Zudem will der Schuldirektor in ziemlich überspannter Manier dem chaotischen Vater das Sorgerecht entziehen. Luis, der schon den Haushalt schmeißt, muss sich nun auch darum kümmern. Und um drei Aliens von einem intergalaktischen Kreuzfahrt-Schiff, die ausgerechnet von Teleshopping angelockt, auf der Erde Station machen. Auch hier ist Luis' Vater, der von einem früheren Alien-Besuch traumatisiert ist, keine Hilfe. Der Junge muss die harmlosen Außerirdischen sogar vor seinem Vater schützen.

Die bekannte Situation von Kindern, die nur bei einem Elternteil aufwachsen, soll hier nach einem komisch abenteuerlichen Chaos zu einem Alles-ist-gut-Ende geführt werden. Gut ist der Zeichentrick für Kinder aber in keinster Weise. Ein paar Figuren wurden psychologisch und handwerklich halbwegs gut gezeichnet, der Rest sieht aus wie die drei Aliens, die sich für die attraktivsten Lebewesen des Universums halten: Bunt und blubberig. Wie ein Pudding geriet auch die europäische Misch-Produktion - ein zu glattes Produkt für den internationalen Markt, das sich nirgendwo im richtigen Leben verorten lässt. Das macht zwischendurch Spaß, wenn endlich die Kornkreise erklärt werden oder die Aliens mehr schlecht als recht Körperformen von Erdlingen übernehmen, ist aber verglichen mit der Ästhetik von Lauensteins „Balance" nur noch ein Trauerspiel.

16.5.18

Deadpool 2

USA 2018 Regie: David Leitch, mit Ryan Reynolds, Zazie Beetz, Josh Brolin, 120 Min. FSK ab 16

Der hässlich vernarbte, zynische und sadistische Deadpool ist wieder da. Bei aller Skepsis gegenüber erfahrungsgemäß schwachen zweiten Teilen trotzdem ein Grund zur Vorfreude: Der mutierte Auftrags-Quäler Wade Wilson (Ryan Reynolds) war mal ein Comic-Charakter mit echten Schattenseiten, mal kein unglaublich Guter. Wobei die Darstellung der tödlichen Action nicht kindgerecht verharmlost wurde. In „Deadpool" zeigte 2016 Superzeitlupe, was tatsächlich passiert, wenn Kugeln Körper durchschlagen oder Gliedmaßen abgetrennt werden. Geschmacksache, aber das wollten sicher nicht wirklich viele Kids nachmachen!

„Deadpool 2" ist nun ein Familienfilm - nicht wirklich. Aber so erzählt es Wade Wilson, der nach getaner Arbeit brav nach Hause kommt. Nun täuscht das liebliche Lied „9 to 5" von Dolly Parton nicht drüber hinweg, dass die Arbeit das Ermorden von Schurken auf der ganzen Welt ist. Aber danach und nach der Familienplanung mit der geliebten Vanessa auf der Couch das Streisand-Musical „Yentl" sehen, das ist echt. Bis ein Gangster Vanessa umbringt.

Nun ist „Ein Mann im roten Stretchanzug zieht rot" recht schnell erledigt. Nur wie will Wade sich umbringen? Er will ohne Vanessa nicht mehr leben, aber seine super Selbstheilungskräfte lassen ihn nicht sterben. Selbst nicht mit echt viel Explosivem unterm Hintern. Das ist der große Knaller noch vor dem völlig durchgeknallten Vorspann.

Danach dann wie erwartet völlig bescheuerte und gleichzeitig knallharte Action, teilweise schwer übersetzbare Gags im Minutentakt und die gekonnte Demontage des Superhelden-Genres. Denn hier verläuft einiges anders, als es die anderen ermüdend als Erfolgsrezept dauernd wiederholen. Doch der großartige Parodie-Spaß für Hartgesottene will noch mehr: Eine Liebesgeschichte erzählen, die größer ist als das Leben. Und eine Zeitreise-Schiene quer durch das Ganze ziehen. Auch wenn Josh Brolin als zeit-reisender Actionheld, als Terminator-Figur aus der Zukunft, völlig ohne Humor eine Bereicherung ist, sobald sich „Deadpool 2" der Handlung hingibt, wird der Film gewöhnlich.

Denn es gilt einen jungen, leicht entflammbaren Mutanten vor seiner Zukunft als Massenmörder zu retten. Dabei hält die Frequenz frecher Witze ihr Tempo nicht aufrecht. Neben der Romantik funkt doch recht übliche Action dazwischen. Das Lachen vergeht aus dramaturgischen und inszenatorischen Gründen, wenn Regisseur David Leitch, der zuletzt mit „Atomic Blonde" und „John Wick 2" eher mechanische Aktion hingelegt hat, den Stil wechselt. Das Casting von eher ungeeigneten Team-Mitgliedern ist schon schlapper als jeder der Sprüche von Deadpool selbst. Selbstverständlich gibt es auch unzählige Knaller, wie die Empfehlung zur Trauerverarbeitung nach Kübler-Ross ausgerechnet vom bulligsten Typ der Kneipe.

Ryan Reynolds beweist neben Meisterschaft für Rollen wie den toten Polizisten in „R.I.P.D." oder den „Killer's Bodyguard", die dauernd mit einem Augenzwinkern herumlaufen, wieder mal Vielseitigkeit in einer Figur. Sein Deadpool kommt fast an den schizophrenen Arbeiter aus dem schrillen „The Voices" ran. So ist es die eigentliche Superhelden-Leistung von Hauptdarsteller und Ko-Autor Reynolds, der weiterhin selbst seine Aktionen direkt in die Kamera kommentiert, diese Kramkiste mit genialen Scherzen und routiniertem Einerlei mit seinem ganz speziellen Charme zu übergießen und zusammenzuhalten.

14.5.18

Zwei Freunde und ihr Dachs

Norwegen 2015 (Knutsen & Ludvigsen og den fæle Rasputin) Regie: Rasmus A. Sivertsen, Rune Spaans 75 Min. FSK ab 0

Knuddelig und bunt sind die, die Freunde Knutsen und Ludwigson. Sie leben mit ihrem Dachs in einem Eisenbahntunnel. Auch wenn der schon mal rülpsend den Kühlschrank ausräumt. Eines Tages fällt junge Amanda bei ihrer Flucht in ihre fantasiereich ausgestattete Höhle. Ihr Vater, ein genialer Wissenschaftler, wird vom Bösewicht Rasputin entführt. Damit dieser ein Gedankenkontrollserum erfinden soll. Nun verlassen die beiden Freunde zusammen mit ihrem cleveren Dachs den Eisenbahntunnel und ziehen in die düstere, kontaminierte Stadt Bergen. Immer mit dabei sind viele flotte Musikeinlagen.

Die norwegische Kinder-Animation ist richtig nett spannend, laut, albern und schön schräg witzig. Sie wurde durch die Musik und ein Hörspiel der Musikgruppe Knutsen und Ludvigsen inspiriert.

Maria by Callas

Frankreich 2017 Regie: Tom Volf 114 Min. FSK ab 0

„Da sind zwei Leute in mir, Maria und Die Callas ...". Tatsächlich zeigt diese Sammlung von Bild- und Tondokumenten zur legendären Opernsängerin Maria Callas (1923-1977) einen Mix aus bewegtem Leben und ihrer Kunst. In Interviews erzählt sie von der Jugend in New York, Kriegsjahren in Griechenland, Erfolgen und Skandalen. Dazwischen Andeutungen eines eher unglücklichen Lebens und immer wieder die Betonung einer unglaublichen Disziplin.

Über diese Interviews, darunter ein unveröffentlichtes von David Frost aus dem Jahre 1970, und vorgelesenen handschriftliche Notizen erschließt sich die Andeutung einer Persönlichkeit, wobei der Film mit passender musikalischer Untermalung lieber große Oper aus den persönlichen Dramen macht. Zum Schwelgen sind vor allem die vielen Originalaufnahmen in Farbe, auch von Inszenierungen aus dem Beginn ihrer Karriere. Zehn Arien zeigt der Film in kompletter Länge, eine Besonderheit auch wegen der wenigen Filmaufnahmen aus der Karriere der Callas.

The Cleaners

BRD, Brasilien, Niederlande, Italien, USA 2018 Regie: Hans Block 88 Min.

„Löschen, ignorieren, ignorieren, löschen ..." Sie sitzen vor ihren Monitoren und sollen jeden Tag 25.000 Bilder bewerten. „The Cleaners" sind die Menschen, die das Internet für Facebook, YouTube und Google „von kontroversen Inhalten säubern". Die packende Dokumentation gewährt erstaunliche bis schockierende Einblicke in eine Tätigkeit im Dunklen. Anonyme Informanten erzählen von ihrer Arbeit. Sie sind vielfältig schockiert von dem, was sie sehen müssen. Bekommen einen heftigen Kurzlehrgang in Sachen Pornografie und deren „Fachbegriffe". Erleben aber auch universell unerträgliche Aufnahmen etwa von Kinderpornografie. Hinzu kommt das Thema IS-Terrorismus. Eine Cleanerin hat „hunderte Enthauptungen" gesehen und kennt den Unterschied, den scharfe oder stumpfe Klingen ausmachen.

„The Cleaners" geht dabei einigen Beispielen auf den Grund, spricht mit der Künstlerin, die Trump mit kleinem Penis gemalt hat, und zeigt so die Auswirkungen dieser im Bruchteilen von Sekunden gefällten Entscheidungen zur Löschung. Dazu referiert der Film bekannte alberne oder absurde Beispiele der Zensur: Wie Erdogan, der einen Twitter-Vogel vögelt, und das berühmte Vietnamkriegs-Foto vor einem Napalm-Angriff fliehender, nackter Kinder, das auch kurzzeitig gelöscht wurde. Da mehr Menschen zu Facebook gehören als zu irgendeinem Staat auf dieser Erde, geht es auch um Zensur.

Die Gespräche mit den Verantwortlichen der großen Konzerne zeigen dabei vor allem Rat- und Orientierungslosigkeit. Die Bewertung der Bilder und Filme unterliegt zahllosen regionalen und sozialen Kriterien. Die verstörende Wirkung auf die einzelnen Cleaner ist ebenso im Bild wie die gesellschaftliche Gefahr derartiger Einflussnahmen.

Die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck erzählen mit atmosphärischen Aufnahmen aus Manila, zeigen die Müllhalden, die das dortige System als elende Verdienstmöglichkeit vorhält. Und auch die christlichen Abbilder dieser extrem gläubigen Gesellschaft als ein wichtiges Detail für die Cleaners. Eine gelungen mit vielen Ebenen und unterschiedlichen Stilen arbeitende, vor allem aber höchst aktuelle und wichtige Dokumentation.

Wohne lieber ungewöhnlich

Frankreich, Belgien 2016 (C'est quoi cette famille?!) Regie: Gabriel Julien-Laferrière, mit Julie Gayet, Thierry Neuvic, Julie Depardieu 95 Min. FSK ab 0

Spitzen-Patchwork! Nein, kein neuer Trend in der Deckenmode, dies ist Patchwork-Familie auf die Spitze getrieben: Sieben Kinder im komplizierten und undurchsichtigen Wechsel bei acht Erziehungsberechtigten untergebracht. Da wissen die Kleinen und Nicht-Mehr-Ganz-Kleinen oft selber nicht so recht, ob sie jetzt zum Vater, zur inzwischen schon wieder getrennten Stief-Mutter oder vielleicht auch mal zu ganz anderen Erwachsenen müssen. Als Zuschauer sollte man trotz ethnischer Einfärbungen gar nicht erst probieren, diese unübersichtlichen Familienbande zu durchschauen.

Da nicht nur Kinderverschickungen, sondern auch die Elternpaarungen durch Beziehungsstreit in Bewegung sind, wird die Patchwork-Situation unerträglich. Die Kinder ziehen einen Schlussstrich und aus. Erst finden sich heimlich alle sieben in einer leerstehenden Pariser Wohnung ein, dann wird der Alltag neu organisiert, während Schul- und Kindergarten-Besuche weiter gehen. Die Eltern brauchen ein paar Tage, um die Veränderung zu bemerken - „wie, er ist nicht bei dir?". Und werden dann in einen mit erstaunlicher Leichtigkeit funktionierenden Plan integriert: Nun dürfen sie für ihre Besuchstage ins Gästezimmer der Kinder-WG einziehen!

Der Gag von „Wohne lieber ungewöhnlich", mit dem sinnvolleren Originaltitel „Was ist das für eine Familie?!", soll sein, dass die Kinder alles viel besser machen. Die Kids im Alter von vier bis siebzehn haben so gut wie keine Organisationsprobleme, können plötzlich perfekt den Haushalt schmeißen. Während die Eltern staunen, dass sie freiwillig den Müll runtertragen.

Das verläuft recht banal, kein Vergleich mit dem wunderbar dramatischen und gleichzeitig spielerischen japanischen Meisterwerk „Nobody knows", in dem die Kinder aus Not eigenständig überleben mussten. Hier, im neuesten französischen Import, herrscht Tendenz zum Klamauk, Yoga mit groß und klein sieht ja auch sehr witzig aus. Eine Liebesgeschichte dazu und zur Witz-Dichte eine sehr wilde und verrückte Oma. Dies sind alles im besten Fall nette Episoden. Entwicklung gibt es kaum, allein die Tatsache, dass die Wohnung eigentlich verkauft werden soll, sorgt für etwas Spannung. Die jeweiligen Beziehungsprobleme der Elternteile kommen sehr kurz.

Das Ganze wurde zudem etwas ungelenk und umständlich inszeniert. In der Summe glaubt man das alles nicht. Was dem Mitlachen und -bangen ziemlich im Wege steht. Die unglaubliche Harmonie kommt mit einem vielfachen Happy End-Konzert wenigstens schnell zum Ende.

Nach einer wahren Geschichte (2017)

Frankreich, Polen, Belgien 2017 (Based on a true Story - D'après une histoire vraie) Regie: Roman Polanski mit Emmanuelle Seigner, Eva Green, Vincent Perez 101 Min. FSK ab 12

Die leere, weiße Seite auf dem Bildschirm des Rechners. Immer wieder sitzt sie davor, die erfolgreiche Pariser Schriftstellerin Delphine (Emmanuelle Seigner), aber das Blatt bleibt leer. Seit ihr Roman über die Mutter zu einem Bestseller wurde. Und seitdem kommen auch die anonymen Drohbriefe angeblich im Namen ihrer Mutter, die Delphine beleidigen und ihr vorwerfen, eine wahre Familiengeschichte ausgebeutet zu haben. Bei einer Signierstunde trifft die unsichere Autorin auf Elle (Eva Green). Cool gestylt und kalt selbst im Lächeln schleicht sich diese Ghostwriterin für Berühmtheiten in Delphines Leben. Denn die Kinder sind aus dem Haus und ihr Mann, ein berühmter Literatur-Kritiker, muss gerade wieder T.C. Boyle und Ian McEwan in den USA und Großbritannien interviewen.

Dankbar lässt die erschöpfte Literatin die neue Freundin in die Wohnung einziehen und gibt auch ihr Computer-Passwort preis, damit Elle lästige Termine erledigen kann. Dafür wird die mysteriöse Frau, die vorher im Hochhaus gegenüber lebte, Delphine immer ähnlicher. So weit, dass sie sogar Lesungen an Schulen als Double übernehmen will. Die Pillen, die ihr gefüttert werden, machen die müde Autorin nicht wirklich fitter. Dann bricht die Handlung noch einiges übers Knie und Delphine aus heiterem Himmel ein Bein. Zum Glück ist die gefährliche Freundin, die gerade doch schon rausgeworfen wurde, wieder nicht weit und darf sich weiter kümmern. Und damit beide ihre Schreibaufträge endlich in Ruhe angehen können, fahren sie zu einem schön abgelegenen Ferienhaus, in dem Elle leckeren Tee kocht und es Delphine immer schlechter geht...

Der neue Film von Roman Polanski nach einem Roman von Delphine de Vigan drängt sich überdeutlich als Psychothriller auf. Elles Gesicht wird in den Reflexionen eines Glases in mehrere Facetten gebrochen - für den, der da noch nicht begriffen hat, dass diese Frau gefährlich wirken soll. Da wäre auch der exzessive Gewaltausbruch gegenüber einem Mixer, der nicht funktionieren will, nicht mehr nötig gewesen. Höchstens als Weckruf für Delphine, dass bei ihrem Gast auch etwas nicht richtig funktioniert. Dass dann Elles Erzählungen aus der Vergangenheit mit dramatischen Ereignissen, einer virtuellen Freundin und sogar Leichen gepflastert sind, wirkt geradezu albern. Komisch, auch weil Polanski das Drehbuch sogar mit Olivier Assayas („Personal Shopper", „Die Wolken von Sils Maria", „Carlos - Der Schakal") zusammen schrieb, der Psychologie noch im Schlaf richtig buchstabieren kann.

Doch Polanski, der Regisseur von „Der Ghostwriter", „Die neun Pforten" oder „Rosemaries Baby", inszeniert „Nach einer wahren Geschichte" etwas ungelenk und verweigert konsequent die Auflösung in Richtung Thriller. Wie einer, der das nicht kann. Dabei kann Polanski einiges, wenn nicht sogar alles. Also auch einen recht anspruchsvollen Subtext in dieses unerfüllte Genreversprechen hineinweben: Dass die Ghostwriterin Elle, was auf französisch sehr unspezifisch nur „sie" heißt, wie ein Geist nie von einem der Bekannten Delphines gesehen wird, ist unübersehbar. Wer könnte sie also sein, beziehungsweise, wenn soll sie symbolisieren? Eine schizophrene Abspaltung der Autorin wäre viel zu billig. Dazu drängt Elle Delphine dauernd, endlich mal etwas von sich selbst zu schreiben. Wogegen Delphine sich vehement wehrt. So ist ein vermeintlicher Gegensatz von Wahrheit und Fiktion dauernd präsent. Und die Auflösung erfolgt nicht in einem Thriller-Finale, sondern im Zusammenfallen von Wahrheit und Fiktion. Wie er begann, endet „Nach einer wahren Geschichte" mit einer Signierstunde. Mit Delphines neuem Roman, vom dem nicht klar ist, ob sich seine Geschichte wahrhaftig ereignet hat. Von dem nicht mal klar ist, wer ihn geschrieben hat. Delphine? Eine Ghostwriterin? Oder ein Geist, den Delphine erfunden hat...

8.5.18

Der Buchladen der Florence Green

Spanien, Großbritannien, BRD 2017 (The Bookshop) Regie: Isabel Coixet, mit Emily Mortimer, Bill Nighy, Patricia Clarkson, 113 Min. FSK ab 0

Es ist ein altvertrautes und immer wieder auch gespanntes Verhältnis, das des Films mit dem Buch. „Der Buchladen der Florence Green" ist die neueste Ausgabe in dieser Reihe. Ein schöner Film von der Frauenfilm-Regisseurin Isabel Coixet über Bücher, der exakt ein Buch, nämlich seine Vorlage, etwas aus dem Blick verliert.

Florence Green (Emily Mortimer) brauchte einige Jahre, um über den Tod ihres Mannes im Zweiten Weltkrieg hinweg zu kommen. Jetzt, Ende der 50er Jahre, traut sie sich, den Traum eines eigenen Buchladens umzusetzen. Doch das verfallene Häuschen, in das sie ihr gesamtes Vermögen steckt, liegt im englischen Küstenort Hardborough, und der wird von der eiskalten Aristokratin Violet Gamart (Patricia Clarkson) regiert. Violet hat die Vorherrschaft über die Kultur im Ort und will sich da von niemandem reinreden lassen. So hat die Witwe Florence den zurückgezogen lebenden Sonderling Mr. Brundish (Bill Nighy) erst einmal als einzigen Leser. Dafür aber eine engagierte und mutige kleine Assistentin.

Die großartige Emily Mortimer trägt den Film als stille aber entschlossene Florence Green. Ein Charakter, ja eine Persönlichkeit, die sich nicht von den üblichen Machtverhältnissen und Rangordnungen im Dorf beeindrucken lässt. Im Gegenteil: Das fordert sie nur noch mehr heraus. Sie ist ein auf Anhieb sympathischer Mensch, mit dem man gerne umgeht, den man gerne begleitet, auch durch diesem Film. Ebenso hervorragend spielt Bill Nighy. Und sehr schön sind die kleinen Anekdoten, wie seine Schrulle, alle Rückseiten seiner Bücher abzureißen und zu verbrennen, weil er die Portraits der Autoren hasst. Seine Begeisterung für Ray Bradbury und alle anderen seiner anfänglichen Briefe an Florence werden für uns in die Kamera gesprochen. Denn „Der Buchladen der Florence Green" ist nicht nur nett fotografiert und ausgestattet, behandelt die Bücher durch die Protagonisten und die Kamera besonders sorgfältig, der leise Witz der Hauptfigur hat sich auch in die Inszenierung der erfahrenen spanischen Regisseurin Isabel Coixet („Learning To Drive", „Elegy oder die Kunst zu lieben", „Das geheime Leben der Worte", „Mein Leben ohne mich") geschlichen.

Zwar kommen sich Florence und Mr. Brundish im Gespräch über damals progressive Werke wie Nabokovs „Lolita" oder Bradburys „Fahrenheit 451" näher, doch seltsamerweise könnten die Bücher eigentlich eine größere Rolle spielen, was sie anscheinend im Roman der britischen Schriftstellerin Penelope Fitzgerald auch tun.

Rampage

USA 2018 Regie: Brad Peyton mit Dwayne Johnson (David Okoye) · Naomie Harris 107 Min. FSK ab 12

Der Ex-Wrestler Dwayne „The Rock" Johnson als sanfter Gorilla-Flüsterer! Das kann nicht gut gehen, mit einem Charakter-Typen, der vom Aussehen her selbst in die Gorilla-Gruppe einziehen
könnte. Doch dann schlägt die Action los und das geht ganz gut. Der Primatenforscher Davis Okoye (Johnson) hat es nicht so mit Menschen, seit er Jagd auf Wilderer gemacht hat. Sein bester Kumpel ist der große, weiße Gorilla George. Mit dem kann er nicht nur per Zeichensprache reden, der nimmt ihn auch gerne auf den Arm. Der kuscheligen Bromance, der auffälligen Romantik zwischen Hetero-Männern, kommt der Niederschlag eines Science Fictions in die Quere. Denn die Trümmer eines illegalen Forschungslabors im Weltall (sic!) machen aus George und anderen Wesen riesige und extrem aggressive Monster. Dank des Drehbuch-Einfalls einer Gruppe von Schimpansen, angeleitet von Jan Böhmermann, jagen diese Kreaturen auf Chicago zu und Dwayne Johnson hat wieder einiges zu retten.

Die Mischung aus King Kong, Jurassic Park und Godzilla, dieses Genexperiment mit alten Filmstoffen, lässt schnell die verstörenden Bilder einer Familientherapie mit Johnson und Affen vergessen. Die klassische Besetzung mit attraktiver und kämpferischer Wissenschaftlerin, ruppigem FBI-Befehlshaber, dummem Militär und die zynischer Konzern-Chefin sorgt für eine deftige Schneise der Zerstörung. Auch wenn „Rampage" zeitweise nur mäßig inszenierten Actionfilm ohne Witz abliefert, knallt es kräftig, wenn die unkaputtbaren Monster mit Panzern wie mit Spielzeug und mit Hochhäusern wie mit Lego umgehen.

Dass dabei viele Bilder an 9/11 erinnern, wirkt seltsam, aber ist auch viel zu weit gedacht. Dass ein riesiger Wolf wie die Kreatur eines billigen Trash-Films aussieht und eine Echse gut Godzilla ins Bein beißen könnte, hat die Macher sicher mehr interessiert. Falls das Action-Filmchen uns irgendwas mit Natur und Verantwortung der Wissenschaft sagen möchte, deutlich machen will, dass doch der Affe der bessere Mensch sei, hört man es nicht, weil es mit viel Geschepper andauernd schreit: Hau drauf!

I feel pretty

USA, VR China 2018 Regie: Abby Kohn, Marc Silverstein 110 Min. FSK ab 0

Schumer bleib' bei deinen Leisten. Ähnlich verunglückt wie dieses Wortspiel ist auch der neuerliche Ausflug des TV-Stars Amy Schumer auf die Kinoleinwand. Das Märchen einer Frau, die wohl knapp über BMI-Empfehlung liegt, und sich nach Kopfverletzung „komischerweise" als sehr schön empfindet, ist schwächer und weniger feministisch kämpferisch als jede Folge der Fernsehshow „Inside Amy Shumer".

Komisch - da ist die angeblich „pummelige" Renee (Amy Schumer) doch tatsächlich bemitleidenswert unsicher und unattraktiv unter lauter Supermodels im Fitnessstudio. Seltsam, dass da auch haufenweise Ratgeber nicht helfen können. Bevor das erste Lied verklingt in „I feel pretty", ist das traurige Leben von Renee skizziert, die nie dumm angemacht und dauernd übersehen wird. Skizziert rein über Äußerlichkeiten und deren Folgen. Ziemlich sexistisch, dass der Film keine andere Charaktereigenschaft für Renee vorzuweisen hat. So wirkt nach zehn Minuten selbst der seltsame Mitarbeiter im IT-Keller eines elitären Kosmetik-Unternehmens interessanter als die Hauptfigur.

Aber jetzt kommt ja der Clou, denn Amy Shumer ist als Produzentin und Hauptdarstellerin wohl nicht auf den Kopf gefallen wie diese Renee während des Spinning-Kurses. Plötzlich fühlt sich die graue Maus schön, wahrgenommen, erfolgreich und muss sogar den beiden Freundinnen erklären, dass sie wirklich die alte Renee sei, auch wenn diese sie jetzt gar nicht wiedererkennen könnten. Dass Renee dabei keinen Deut anders aussieht (abgesehen von Filmtricks wie besserer Schminke, toller Frisur und passenden Klamotten), soll dabei der Gag und die Lerneinheit des Films sein.

Fotomodels wie Naomi Campbell, die sich immer unsicher fühlen. Eine Industrie, die Frauen vermittelt, dass sie nie schön genug sein können. Schon vom Trailer weiß man, was Amy Schumer sagen will und was passieren wird. Aber im Film passiert das sehr langsam und seltsamerweise überhaupt nicht witzig. Während bei „Inside Amy Schumer" schon mal auf großartig schockierende Weise in ein paar Minuten gegen Gruppen-Vergewaltigung von dämlichen Sportskanonen und anderen „Vorbildern" ausgetreten wird, bleibt dieses Filmchen über die ganze Länge erschreckend harmlos. Die Quintessenz wurde in der Dove-Kampagne mit „vollschlanken" Frauen jeder Form und Hautfarbe schon vor Jahren an die Frau gebracht. Hier ist nur die sehr entschlossene und eloquente Verkennung der Realität durch Renee kurz komisch. Ein Bikini-Wettbewerb in einer schmuddeligen Bar zeigt beim heißen Tanz mit Bauch und kräftigen Schenkeln, was Schumer an körperlicher Komik drauf hat. Doch auch diese Szene bleibt ohne doppelten Boden, die richtige Schumer hätte gleichzeitig die albernen Gesten lächerlich gemacht. Ein Schumer-Film ausgerechnet für Nicht-Schumer-Fans.

Isle of Dogs - Ataris Reise

USA, BRD 2018 Regie: Wes Anderson 100 Min.

Wow! Was für ein wunderbarer, ungewöhnlicher, liebevoller und begeisternder ... Hundefilm. Das neue Meisterwerk von Wes Anderson („Moonrise Kingdom", „Grand Budapest Hotel") ist, wie schon „Der fantastische Mr. Fox", ein Stop-Motion-Animationsfilm. Anderson ist wieder auf den Hund gekommen, auf so geniale Weise, dass man nur eines sagen kann: Wow!

Dabei wird man erst einmal still angesichts der traurigen Geschichte, wie in naher Zukunft alle Hunde aus der Stadt Megasaki City auf eine Müllinsel verbannt werden sollen. Zugegeben, was die Vierbeiner an Maul- und Klauen-Seuchen, Läusen und Zecken mit sich tragen, ist wirklich nicht schön. Ihr Niesen zwar witzig, die mysteriöse Hundepest allerdings nicht. Die hasserfüllten Reden des Bürgermeisters Kobayashi, der für seine Wiederwahl eine Randgruppe erzeugen und deportieren muss, erinnern dabei überdeutlich an all die rechten und populistischen Politiker, die sonst nichts zu sagen hätten.

Ausgerechnet Spots, der Bodyguard-Hund von Atari Kobayashi, dem Pflegesohn des korrupten Bürgermeisters, wird als erster zur Müllinsel deportiert. Erst Jahre später gelingt es dem mittlerweile 12-jährigen Atari, sich nach abenteuerlicher Bruchlandung mit einem Metallteil im Kopf auf die Suche nach Spots zu machen. Adoptiert wird er von fünf Hunden, mit deren hartem Überleben auf der Insel wir schon vertraut gemacht wurden. Beziehungsweise: Es sind erst nur vier Flohträger, die in tierisch komischen demokratischen Prozessen entscheiden, dem ramponierten, aber typisch japanisch entschlossenen Kerlchen Atari zu helfen. Chief, der einzige originäre Streuner des Quintetts, wehrt sich dagegen, einem der Menschenrasse, die ihnen so viel Grausames angetan hat, zu helfen. Umso verständlicher, je weiter sich die kuriose Reise der seltsamen Truppe einer ehemaligen Tierversuchs-Anlage nähert...

„Isle of Dogs" ist ein großer, schräger Spaß. Dauernd überrascht Wes Anderson mit netten, absurden oder schönen Einfällen. Bekanntes wird auf den Kopf gestellt, die obligatorische Sushi-Zubereitung bekommt einen Touch Monsterfilm in die Bento-Box gelegt. Bei den Narben und Verwundungen, die Hund und Mensch zeigen, kommt Anderson dem anderen großen Animateur für Erwachsene, Tim Burton, sehr nahe. Diese Figuren haben durchweg Heftiges erlebt, auch wenn sie nicht in einer Tierversuchs-Anstalt leiden mussten. Was auf den ersten Blick zu kurioser Physiognomie und aberwitzigen Prothesen führt, aber auch zu einer allgegenwärtigen Melancholie. Denn das Leben ist kein Hundeschleckerli.

„Isle of Dogs" ist pur Wes Anderson, dem man eigenartiges Sozialverhalten nachsagt: Symmetrisch flach aufgebauten Szenerien, in denen Animations-Puppen doch besser auf Regieanweisungen wie „Bei Fuß" reagieren, als schwierige Schauspieler, also Menschen. Selbst wenn diese so kongenial zu Andersons Stil passen wie Bill Murray oder Tilda Swinton. Eine Schatzkarte wie aus Kinderzeiten dient als Leitfaden der Handlung. Und alles wird getragen von netten Leitmelodien, einem traumhaften Rhythmusgefühl auch in der Montage sowie super Songs für die eigene Playlist.

Diese Filmperle erweist der japanischen Kultur viel Respekt. Das mit dem „Wow" und dem Japanischen ist auch so eine herrlich schräge und spaßige tolle Sache in diesem Film: Denn wir verstehen die Hunde völlig problemlos. Nur die Hunde! Alles andere bleibt unübersetzt, wie eine der vielen netten Texteinblendungen erklärt. Eigentlich. Denn Anderson lässt sich selbstverständlich wieder haufenweise nette Details einfallen, mit denen wir doch alle verstehen und mit denen gerade diese Sache mit dem Übersetzen mitunter herrlich auf den Arm genommen wird.

„Isle of Dogs" ist auf jeden Fall ein großes Vergnügen, dass nachhaltig fröhlich macht. Wobei es erstmals auch eine sehr deutliche Botschaft gibt: Die politischen Hassprediger, die traurigen Gestalten, die auf Müllhalden nach Resten einer Überflussgesellschaft suchen und vor allem die furchtbaren Experimente mit Tieren. Das ist zu lange schon Gegenwart und keine Fiktion. Doch diese vielen großen Augen der Hunde mit ihrem herzzerreißenden und umwerfend komischen Blick in die Kamera machen, dass man nachher, draußen in der anderen Welt, nicht nur Hunde mit anderen Augen ansieht. Und das ist schon fast ein weltbewegender Effekt für eine scheinbar nichtige Spielerei mit niedlichen und schrägen Animationsfiguren.

1.5.18

Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?

BRD, Schweiz 2018 Regie: Kerstin Polte 93 Min. FSK ab 6

Oma Charlotte (Corinna Harfouch) hat einen bösen Brief vom Krankenhaus bekommen und möchte endlich mal ans Meer. Doch weder Tochter Alex (Meret Becker) noch Ehemann Paul (Karl Kranzkowski) haben Zeit für so was. Und so sitzt Charlotte bald mit Enkelin Jo (Annalee Ranft) im Auto Richtung Küste. Zuvor hat sie Paul an der Raststätte stehen gelassen. Nun trampen Mann und Tochter mit der coolen LKW-Fahrerin hinterher, weil Fahrlehrerin Alex sich auch noch besoffen den Führerschein weglaufen lässt. Doch alle kommen irgendwann auf der Insel mit dem depressiven und gemütlich runden Gott an, der neben der Titelfrage auch noch beantworten muss, wer eigentlich den Tod erfunden hat... Klingt dramatisch, ist aber wunderbar verspielt, exzellent gespielt und in seinen schönen Lieben tief berührend, dieses unbedingt sehenswerte Debüt von Kerstin Polte.