27.6.12

Simon

BRD, Schweden 2011 (Simon och ekarna) Regie: Lisa Ohlin mit Bill Skarsgård, Jonatan S. Wächter, Helen Sjöholm, Stefan Gödicke, Jan Josef Liefers, Katharina Schüttler, Hermann Beyer 121 Min.

Simon Larsson, der Junge vom schwedischen Land, dessen Vater Erik (Stefan Gödicke) ihm Holzhacken und Boxen beibringen will, begeistert sich über die Bücher, das Piano und all die Kultur im Hause des jüdischen Freundes Isak. Es ist 1939, eine deutsche Invasion droht, doch der Antisemitismus in der Bevölkerung sorgt jetzt schon für Verletzungen und Traumata. Unter den Schrecken des Zweiten Weltkrieges ergibt sich die verrückte Situation, dass zwei Söhne sich jeweils beim anderen Vater besser aufgehoben fühlen. Der von Gestapo-Männern vergewaltigte Isak beginnt beim Schreiner Erik wieder aufzuleben. Simon findet durch die Begleitung des Buchhändlers Ruben (Jan Josef Liefers) in der Musik die Geräusche der Eiche wieder, die ihm seit der Kindheit Heimat und Freund war. Der Film findet erstaunlich einfache und geniale Bilder dazu.

Simons Orientierungslosigkeit ist kein Zufall, zu spät kommt heraus, dass er eigentlich das Kind von Eriks schrulliger Schwester und eines unbekannten Deutschen ist. Ein jüdischer Violinist. Gleichzeit ist er ein Naturkind, gezeugt im Wald, verbunden mit einer Eiche. Der geheim gehaltene Liebesbrief des Vaters schwelgt dazu in Natur-Mystik.

Für Simon ist es ein Schock, als er erfährt, wer seine leiblichen Eltern sind. Die Kluft zu seinem wenig einfühlsamen Adoptivvater Erik reißt auseinander. Doch auch Ruben erweist sich als nicht besonders sensibel, wie er immer Geld anbietet und der Adoptivmutter Karin formvollendet den Hof macht, während Erik beim Militär ist. Auch nach 1945 wirkt der Krieg mit dem Auftritt der provokanten und verstörten KZ-Überlebenden Isa (Katharina Schüttler) weiter. Simon studiert Geschichte, zum Ärgernis seines Adoptivvaters, der inzwischen mit Ruben eine Werft betreibt. Zusammen mit diesem macht der mittlerweile junge Mann eine Reise nach Deutschland zu seiner Blutsverwandtschaft.

„Simon" erzählt eine große Geschichte, einen prallen Lebens-Roman in einnehmenden Bildern, unterlegt von einem mitreißenden Score (Musik: Annette Focks), mit vor allem von den älteren Jungs und Vätern sehr intensiv gespielten Figuren. Zu prall, wäre der einzige Vorwurf, den man diesem großen Film machen könnte, der vor lauter Ereignissen kaum Alltag zeigt. Man könnte auch die Roman-Autorin Marianne Fredriksson fragen, wie sie die Ironie gemeint hat, ausgerechnet bei dieser, sehr erschütternden jüdischen Familien-Geschichte, so viel wert auf Blutslinien, Talent, das in den Genen steckt und Natur-Mystik zu legen. Doch der tausendjährige Missbrauch dieser Begriffe durch nationalsozialistische Ideologie beschädigt nicht den äußerst sehenswerten deutsch-schwedischen Film, er gibt ihm nur noch eine zusätzliche Ebene zum Weiterwirkenlassen.

Luks Glück

BRD 2010 Regie: Ayse Polat mit René Vaziri, Aylin Tezel, Kida Khodr Ramadan 91 Min.

Eine türkische Familie hat als Tippgemeinschaft im Lotto gewonnen, doch auch hier gibt es nach wenigen Minuten Streit: Selbst Mama will ihren Anteil auf eigenes Konto überwiesen und keiner will mit Papa ein Hotel in der Türkei kaufen. Der Herr im Anzug von der Lottogesellschaft erfreut sich derweil am Baklava. Diese kleine Wohnzimmer-Szene könnte der Auftakt für eine flotte Komödie sein. Doch das deutsch-türkische Kleine Fernsehspiel vom ZDF bleibt ein lahmer Wohnzimmer-Film. Stellenweise pittoresk geht es auf den Spuren des ebenso flachen „Almanya" in die Türkei, eigentlich um den tollpatschigen Sohn Haluk (René Vaziri), genannt Luk, zu verheiraten und ein Familien-Hotel zu finden. Doch Luk will mit seiner Freundin, der Krankenschwester und Sängerin Gül (Aylin Tezel), einen Video-Clip aufnehmen. Dabei wird er kräftig ausgenommen, Vater schnappt sich eine Jüngere und reichlich Chaos begleitet die Reise. Dabei sind nur schöne Landschaftsaufnahmen und durchgehend tolle Lieder Rettungsinseln in der großen Langeweile. Man sollte sie auskoppeln und ein Video draus machen.

26.6.12

Marieke und die Männer

Belgien, BRD 2010 (Marieke, Marieke) Regie: Sophie Schoukens mit Hande Kodja, Jan Decleir, Barbara Sarafian, Caroline Berliner 85 Min.

Direkt ganz oben auf der Liste der verfilmten großen Lieder landet Sophie Schoukens „Marieke" - das die rührende Vatersuche einer jungen Frau und gleichzeitig ein kurzes wie grandioses Chanson von Jacques Brel. Die zwanzigjährige Titelheldin Marieke Berghoff (Hande Kodja) lebt zusammen mit ihrer verwitweten und deshalb verbitterten Mutter in Brussel. Beide haben sie ein Problem mit Männern, die nicht bleiben: Mariekes ältere Liebhaber gehen immer „danach", Mutters Gatte starb vor 12 Jahren. Sie ist eifersüchtig auf die Lust der Tochter, verkleidet das aber in moralische Vorwürfe, nachdem sie Aktfotos der reifen Männer entdeckt. Marieke will damit die nahen Momente der kurzen Rendezvous bewahren, puzzelt sich aus Detailaufnahmen Hockney-Porträts ihres Liebhabers Harry zusammen, wahrscheinlich soll aus den Hautstücken eher der Vater wieder entstehen. Doch das Wesen zwischen Mädchen und junger Frau wirkt glücklich danach bei ihren lustvollen (Aus-) Flügen und (Kamera-) Fahrten mit dem Fahrrad. Ganz im Gegensatz zur verbitterten Mutter, die nicht nur die überlangen Rosen für ihren Geburtstag abschneidet, sondern auch jede andere Freude. Sie lebt, als wäre sie „mit ihm gestorben".

Das Auftauchen von Jacoby Stern (der großartige Jan Decleir), Herausgeber und Freund des Vaters, bringt Marieke mit den Erinnerungen zusammen, die ihre Mutter immer verschwieg. Jacoby könnte Vaterersatz sein, aber nicht Liebhaber. Ein ganz spannender Moment, als Marieke ihm die Aktfotos zeigt, einem anderen Menschen mit Lebenslust und Mut. Dann pure Gänsehaut, wenn Decleir Brels „Marieke" singt. Mit dem einen Satz, der alles zusammenfasst: „... ohne Liebe, warme Liebe, weint die See..." Marieke ist haltlos ohne ihre Vergangenheit, aber erst recht aus der Spur als die Erinnerung auftaucht.

„Marieke" baut auf ganz einfacher Psychologie auf, spielt die Situation der nach der Liebe eines Vaters suchenden Tochter aber glaubhaft lebendig aus. Die oberflächlich kühle Inszenierung von Sophie Schoukens ist ebenso hervorragend wie die Darsteller Hande Kodja und Jan Decleir. Die Aufnahmen von Kameramann Alain Marcoen zeigen eine vergilbte Retro-Ästhetik im hässlichen Brüssel der Hochhäuser. Denn auch die Architektur spielt mit: Das alte Haus der Familie Berghoff, in dem sich der Vater im Bad die Adern aufschnitt, soll abrissen werden. Auch hier ist es ein Verbrechen, die Vergangenheit zu vergessen.

Ice Age 4 - Voll verschoben

USA 2012 (Ice Age: Continental Drift) Regie: Steve Martino, Michael Thurmeier 88 Min.

Der Schuldige ist gefunden: Scrat ist mit seiner ewigen Eichel verantwortlich für die Kontinentalverschiebung, als er den Urkontinent Pangäa aufspaltet und auf dem Erdkern Nachlaufen spielt. Das Säbelzahn-Eichhörnchen sorgt demzufolge auch für eine turbulente, aber wieder schwächere Fortsetzung der eiszeitlichen Tiervölkerwanderung von Mammut Manny und seiner animierten Patchwork-Familie.

Familie ist „das Thema, das in allen vier Filmen im Vordergrund steht. Sie liefert das starke emotionale Fundament, auf dem die Komik und die Abenteuer aufbauen." Da spricht der Pressetext ausnahmsweise die Wahrheit und man fragt sich, wie oft die Produzenten noch das Gleiche wiederholen wollen.

Diesmal dürfen / müssen wir miterleben, wie Mannys Tochter Peaches flügge wird und mit anderen Teenagern abhängt. (Nicht wie üblich mit dem Schwänzchen am Ast, sondern am Wasserfall.) Faultier Sid bekommt Besuch von seiner Familie, allerdings nur um die müffelige Oma abzuliefern, mit der alle ab jetzt viel Spaß haben werden. Man stellt fest, „Ice Age 4" ist tierisch menschlich und je menschlicher, desto langweiliger.

Damit das nicht auffällt, gibt es dauernd Bewegung, konstante Achterbahn. Erdbeben, Meeressturm und Tornado gleich in nur einer Szene. Ein weiteres Merkmal von „Ice Age" sind filmische Achterbahnfahrten und diesmal gehen gleich ganze Kontinentalschollen ab, Küstenstriche stürzen ins Meer und Eisberge werden zu Piraten-Schiffen. Danach treiben Manny, Sid mit Oma sowie Säbelzahntiger Diego auf einer Eisscholle ins Meer hinaus. Bald treffen sie auch das Piraten-Schiff vom üblen Käpt'n Utang. Trotz eines veritablen Dschungelbuch-Liedchen, das ihn einführt, ein erbitterter Feind für den Rest des Films, wobei Diego auf der gegnerischen Seite vor allem an einer fauchenden Artgenossin interessiert ist. Die bunt zusammengewürfelte Piratencrew ist reichlich originell, doch Affe, Osterhase und Seelöwe bekommen nicht so viel Charaktertiefe wie die Freunde von der guten Seite. Und darin liegt auch das Geheimnis aller guten Animationen bei Pixar und anderen Konkurrenten: Die komisch gezeichnete Figur allein reicht nicht, man muss ihr auch Leben und reichlich Charakter einhauchen. „Ice Age 4" geht da eher den Weg von Action-Filmen: Hauptsache, es kracht kräftig, wenn Kontinente und Familien auseinanderbrechen. Die Kollateral-Schäden werden vernachlässigt.

Parallel zur Kreuzfahrt führt Mammut-Mutter Ellie wieder einen vielköpfigen Exodus an. Was wirklich passiert, während die Küste sich unter großem Getöse einen abbricht, ist dass Peaches lernt, was wahre Freundschaft ist. Scrat erlebt quer durch die Handlung rennend, rudernd und schwimmend wieder sein eigenes Abenteuer. Hängen bleiben vor allem ein Hamstervolk auf Braveheart-Trip, ein Dachs als Piratenfahne im Gedächtnis, Narwale dienen als Außenbord-Motor und Omas Haustierchen Precious sorgt für eine Überraschung. Das ist genauso leicht zu vernachlässigen, wie das wieder völlig unnötige 3D, das keinen Eindruck macht, höchstens Kopfschmerzen.

The Amazing Spider-Man

USA 2012 (The Amazing Spider-Man) Regie: Marc Webb mit Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans 136 Min. FSK ab 12

Um die wichtigsten Fragen zu klären: Ja, den Marvel-Superhelden „Spider-Man" hatten wir doch gerade erst 2002-2007 als Trilogie vom Sam Raimi, und auch noch mit Tobey Maguire und Kirsten Dunst ziemlich gut. Nein, der nur im Titel eindrucksvolle „Amazing Spider-Man" von 2012 ist keine Fortsetzung, kein „Prequel", kein Spin-Off. Es ist einfach das ganze noch mal und in jeder Hinsicht schlechter.

„Ready or not - here I come" mit einem von zahllosen verzichtbaren Sprüchen beginnt erneut die Geschichte vom verwaisten Peter Parker, der bei Onkel Ben (Martin Sheen) und Tante May (Sally Field) aufwächst. In der Schule schwächlicher Außenseiter, zu Hause liebes Kerlchen. Bis bei einem Besuch im Laboratorium von Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), eines Kollegen seines Vaters, der Biss einer Spinne alles verändert. Peter mutiert in Minuten zum Superman, was der Film zum Slapstick nutzt. Auch weiterhin vergeht keine Flugeinlage, kein Sprung oder Schlag, ohne dass Peter irgendeinen albernen Kommentar dazu abgeben muss. Selbst wenn hier Leute was Eindrucksvolles gemacht hätten, derartige Deppen-Synchro hätte es nicht überlebt. Das packt nicht, das nervt nur. Kindisch auch die ersten Anwendungen der neuen Fähigkeiten für Rache am Schul-Bully Flash und ein paar tatsächlich coole Skate-Einlagen.

Doch weiter zum unabdingbaren Bösewicht, in dessen Rolle Rhys Ifans kurz Hoffnung weckt. Bis sich sein einarmiger Wissenschaftler - wegen der Selbstheilungs-Gene - in eine Rieseneidechse verwandelt, die fortan New York unsicher macht. Etwas hinderlich bei Peters Aktionen, die ohne viel Aufhebens von Rache zu Rettung wechseln, ist dass der Vater seiner Freundin Gwen (Emma Stone) Polizeichef der Stadt ist. Dabei dauert es bei extrem überlangen Film eine ganze Stunde, bis die lahme Action beginnt. Die dann eher Parcours mit lauter Musikkrücke als großes Kino ist.

Wir waren zwar überhaupt nicht bereit für einen weiteren Spider-Man, aber schauen mal, weswegen man sich für die Kopie von Marc Webb ("(500) Days of Summer") entscheiden könnte: Die Liste der Minus-Punkte im direkten Vergleich ist jedoch lang wie ein Spinnenfaden. Die schwächere Besetzung reicht schon, um das ganze Projekt scheitern zu lassen. Andrew Garfield („The Social Network") sollte Teenie-Komödien machen, hier ist er bereits mit einer flachen Comic-Figur überfordert. Schuld oder Verantwortung, solche Konzepte kann er nicht tragen. Emma Stone steht weder der unsicher verliebte Teenager noch die hochintelligente Wissenschaftlerin.

Irgendwo hängt ein Einstein-Spruch an der Wand, „Imagination is more than knowledge". Doch Fantasie hat der Film überhaupt nicht, selbst das gegnerische Monster ist eine Witznummer aus der Junior-Tüte vom Fast-Food-Versorger und das Finale gerät zu „Godzilla gegen den Latex-Lacher". Die bekannte Geschichte wurde ohne Sorgfalt runtererzählt, fast alles wirkt gewollt, behauptet, erzwungen. Das ebenso überflüssige 3D beeindruckt genau einmal - im Vorspann mit einem Netz echter Spinnen um einen rum. Wieder wurden zig Millionen verschleudert und der einzige Grund kann sein, Raimis „Spider-Man" war einfach viel zu gut. Deshalb machte man das Ganze auf dem üblichen Popcorn-Niveau noch mal.

24.6.12

Small Town Murder Songs

Kanada 2010 (Small Town Murder Songs) Regie: Ed Gass-Donnelly mit Peter Stormare, Jill Hennessy, Amy Rutherford, Vladimir Bondarenko, Stephen Eric McIntyre, Martha Plimpton 75 Min.

„Der einzige Zeuge" war 1985 ein extrem spannender Thriller von Peter Weir mit Harrison Ford als Polizist im Amish-Milieu. „Small Town Murder Songs" ist eine ebenso sensationelle Suche nach einem Mörder, diesmal unter Mennoniten und mit Fokus auf die zwischen Gewalt und Gerechtigkeit zerrissene Psyche des lokalen Sheriffs Walter. Zur einzigartigen Atmosphäre dieses eindrucksvollen Indie-Films tragen der kuriose Dialekt Plattdietsch und die umwerfenden, vom Gospel beeinflussten Songs von „Bruce Peninsula" bei.

Sie reiten noch mit ihren Kutschen über Straßen, die auch mal den Umzug eines kompletten Hauses auf riesigen Lastern sehen - begleitet von einem enthusiastisches Halleluja auf der Tonspur. „Small town murder songs" ist reich an eindrucksvollen Bildern und Widersprüchen. Wie den lokalen Polizei-Chef Walter (Peter Stormare), der von seinem Mennoniten-Vater wegen eines Gewaltausbruchs geächtet wird. Als man an einem See der kanadischen Gemeinde Greyfork County die Leiche einer Frau findet, dient Walter dem leitenden Kommissar aus der „britischen" Stadt als Übersetzer zu den religiösen Eigenbrödlern mit dem alt-niederländischen Dialekt. Aber er lenkt auch den Verdacht auf den extrem unsympathischen Freund seiner Ex Rita (Jill Hennessy). Begründet oder aus Rache an dem Ekel Stephen Eric McIntyre (Steve), der ihn zu jeder Gelegenheit verhöhnt? Während sich die Hinweise auf Eric verdichten, dem Rita ein Alibi gibt, wächst die Wut in Walter. Die Menschen im Dorf verlachen ihn, Rita hält ihn auf Distanz und dem Kommissar wird klar, dass sein Fall mitten in einem Komplex persönlicher Verstrickungen steckt. Und dann steht als Menetekel dieser Bibelsatz auf der Leinwand: Wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt...

„Bereue und glaube" - streng wie die in riesigen Lettern eingeblendeten Glaubens-Sprüche sind die Bilder gestaltet und doch voll mit abseitiger Faszination, wie man sie etwa von Jim Jarmusch kennt. Oder von Atom Egoyan, der den sagenhaften Film mit produziert hat. Diese religiösen Sektierer in Kanada waren vor der Flucht aus Europa verwandt mit ihren nun mexikanischen Glaubensbrüdern und -schwestern, unter denen das Ehebruchs-Drama „Stellet Licht" von Carlos Reygadas spielt. Die auch auf innere Kämpfe fokussierte Art des Films setzt ähnliche Akzente, wenngleich Ed Gass-Donnelly mit nur 75 Minuten Laufzeit ein völlig anderes Tempo vorlegt. Dementsprechend spielen Gesichter eine große und starke Rolle. Walter, der ebenfalls nicht als Sympathieträger von der Leinwand blickt, kämpft mit der Wut und kann als Einziger den fletschenden Schäferhund besänftigen. Die Lösung ist ebenso raffiniert wie eindrucksvoll und hält geschickt die Balance des Films zwischen Thriller und Psychodrama bis zum letzten Moment durch. Ein Erlebnis, dass man auch mit dem Soundtrack direkt wieder aufleben lassen will.

Maastricht investiert in eindrucksvollen Kino-Komplex

Euregionales Filmzentrum in neuem Kunstviertel

Das über die Region hinaus erfolgreiche Programmkino Lumière erhält 2014 ein neues Zuhause. Nach fünf Jahren Planung hat die Stadt Maastricht das OK für ein spektakuläres neues Kino in dem am Anfang seiner Entwicklung stehenden Stadtteil Bassin gegeben. Beim ehemaligen Industriekomplex von Sphinx-Keramik, der "Timmerfabriek", sollen später auch Theater, Ausstellungen und Konzerte angesiedelt werden. Nur 700 Meter vom Markt entsteht, ergänzt um eine professionelle Kunstausbildung, dann ein „Quartier des Arts".

Dass sich das Lumière zu einem Umzug bewegen ließ, wo doch schon der vor wenigen Jahren restaurierte Komplex in einem alten Kapuziner-Kloster eine beneidenswerte Heimat für den Arthouse-Film war und die Anwohner sogar für den Verbleib des Nachbarn protestierten, kann man angesichts der neuen Lage verstehen: An einem kleinen Binnenhafen am Ende der Zuid-Willemsvaart, den jetzt schon Restaurants säumen, wird es neben den sechs Sälen noch Café und Terrasse am Wasser geben. Openair im Sommer ist fest eingeplant.

„Das Lumière zieht ins schönste Industriegebäude der Stadt." (David Deprez)

Bei der Entscheidung war hilfreich, dass auch dieses Projekt als Baustein für „Via 2018", Maastrichts Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2018, gesehen wird. Visionär dabei nicht nur die reizvolle Architektur, die Kinosäle und Begegnungsstätten in den riesigen Raumkörper einer ehemaligen Kesselhalle hängt. Auch soll nach Vorstellung der Lumière-Leiter David Deprez und Nico Haenen dort mehr als Kino stattfinden. Das neue Lumière bietet demnächst mehr Platz - für mehr Zuschauer und neue Themen. Von der Vergrößerung auf 500 Plätze profitiert vor allem der große Premierensaal mit 160 Sitzen, denn das Lumière sieht sich als das einzige Premierenkino Limburgs. Mit einem über puren Abspielbetrieb hinausreichenden Gesamtkonzept soll die ganze Region filmisch wachsen, denn das neue Lumière wird auch eine Plattform für Filmproduktionen sein. Also insgesamt ein euregionales Filmzentrum.

Die erste Investition für das neue Kulturprojekt liegt bei 20 Mio. Euro, die zu großen Teilen von der Stadt Maastricht, der Provinz und der Entwicklungsgesellschaft des neuen Viertels getragen werden. Im Vergleich dazu bemühen sich die Kino-Initiativen Aachens um die öffentliche Finanzierung einer Website, die sich „Kommunales Kino" nennt. Der Bau-Entwurf von „JHK architecten" und dem Architekturbüro Verlaan & Bouwstra setzte sich in einer europaweiten Ausschreibung durch. Bis zum Ende des Jahres sollen die Pläne fertig sein und Anfang 2013 werden die Bauarbeiten beginnen. Mitte 2014 wird neben dem neuen Kino der alte Präsentations-Saal von Sphinx ein Konzertsaal sein, ein Raum für Ausstellungen bereitstehen und der Proberaum von einer Theatergruppe bespielt werden.

*****
Das Kraftwerk von Sphinx
1905 baute Sphinx hier sein eigenes Kraftwerk, um die gesamte Produktion von Dampfkraft auf Strom umzustellen. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, deshalb wird die gesamte Konstruktion mit ihrem Stahlskelett sowie den Steinmetz- und Stuckarbeiten restauriert.

19.6.12

Noch tausend Worte

USA, 2011 (A thousand words) Regie: Brian Robbins mit Eddie Murphy (Jack McCall), Kerry Washington, Emanuel Ragsdale, Allison Janney 92 Min.

Es ist schon eine Weile her, seit Eddie Murphy einen guten Film gemacht hat und die Serie - Murphys Law! - hält auch bei „Noch tausend Worte", obwohl die Grundidee viele begeistern wird: Murphy muss den Mund halten!

Ein Literaturagent, der nie Manuskripte liest, das reicht, um Jack McCall (Eddie Murphy) als lauten Unsympath zu charakterisieren. Der Versuch, einem berühmten - aber ebenso lächerlichen - Guru einen Buchvertrag aufzuschwatzen, endet mit einem Baum, der plötzlich in Jacks Garten steht und stirbt. Umständlich macht der Film dem Schwätzer klar, dass bei jedem Wort ein Blatt zu Boden geht. Dabei erkennen wir, dass Murphy ohne Worte auch nicht besser ist. Die Situation erzeugt nur groben und nicht immer logischen Klamauk. Als die Minimal-Idee noch eher als der Baum ausgedörrt ist, muss umgekehrt Jack die Erfahrungen des Gewächses durchleben, vom schweißtreibenden Regenschauer bis zum bedröhnenden Gifteinsatz. Irgendwie führt das alles dazu, dass Jack seine Worte sorgfältig auswählt und seiner Frau - recht bezugsfrei - ein Haus kauft.

Nun kennt man solch brachiale Besserungs-Filme leider zu genüge, Jim Carrey konnte beispielsweise als lügender Anwalt in „Liar, Liar" plötzlich nur noch die Wahrheit sagen. Daraus einen „abendfüllenden" Film zu machen, zeugt von extremer Vermessenheit. Welche Brachial-Strafe könnte man den betreffenden Produzenten angedeihen lassen, damit alles statt ein paar Minuten Anderthalblangestunden dauert? Oder umgekehrt: Das Geldzählen geht nach Totalverweigerung von so einem Schrott unerwartet ganz schnell...

Wanderlust

USA 2011 (Wanderlust) Regie: David Wain mit Jennifer Aniston, Justin Theroux, Paul Rudd, Malin Akerman, Alan Alda 98. Min.

Wenn sich jemand in ferner Zukunft oder einer anderen Galaxie das seltsame Paarungsverhalten der Apatow-Menschheit anschaut, wird er erst irgendeinen Ausschlag bekommen und dann direkt die Milchstraße für eine Schnellverbindung zum Orion planieren lassen. Man kann nur mit viel Humor ertragen, wie wenig originell oder komisch die Geschichten um unreife Erwachsene aus der Apatow-Produktion („Nie wieder Sex mit der Ex", „Ein Mann für alle Unfälle", „Superbad") ausfallen. Diesmal überrascht kurz Jennifer Aniston, wie sie mit ihrem Film- und Schauspielpartner Justin Theroux echten Screwball hinbekommt. Ihre beiden gescheiterten New Yorker Linda und Seth streiten, versöhnen, unterhalten und langweilen sich bei der langen Fahrt zu seinem Bruder in immer der gleichen Einstellung - und der Witz zündet. Dann strandet das Paar in einer alten Hippie-Kommune, erlebt eine rauschende und verzauberte Nacht. Der Versuch jedoch, länger mit den gewaltfreien Vegetariern, mit einem nackten Winzer und vor allem mit freier Liebe zu leben, scheitert. Auch als Film. War die erste Konfrontation noch originell und gut gespielt, verzettelt sich der zähe Rest des Komödien-Versuches auf geradezu unfassbare Weise. Klischees wie der charismatische Anführer, der sich als ekliger Verführer erweist, häufen sich umgekehrt proportional zu den ausbleibenden Ideen. So was lässt sich nur unter Drogen aushalten und eigentlich war der völlig bekiffte „Ananas Express" ja auch einer der besseren Apatow-Filme.

18.6.12

W.E.

Großbritannien 2011 (W.E.) Regie: Madonna mit Abbie Cornish, Andrea Riseborough, James d'Arcy, Oscar Isaac, Richard Coyle 119 Min.

Die Sängerin Madonna versucht sich zum zweiten Male als Regisseurin und wie bei ihren Bühnenshows ist das meiste in ihrem Film „W.E." flirrender Glimmer, schillernde Dekoration. Der Versuch, die „Romanze des Jahrhunderts" zwischen dem 1936 aus Liebe abtretenden König Edward VIII. und der bürgerlichen Amerikanerin Wallis Simpson irgendwie „magisch" mit den Beziehungsproblemen einer reichen New Yorkerin von heute zu verbinden, misslingt unter großem Material-Aufwand. Viele Künstlerfreunde Madonnas hinter der Kamera sorgten dafür, dass die zeitweise abstruse Geschichte immer sehr schick aussieht. Madonna bleibt das „Material Girl" ihres Songs, wenn sie im Film Marken, Luxus und Juwelen ausstellt, aber nicht für die Figuren interessieren kann. Viele Monate nach einer gescheiterten Festivalpremiere in Venedig versucht man nun neuerlich, den mäßigen Film im Kino zu verkaufen.

Es ist ein romantischer Traum, dass der Mann alles aufgibt für Frau und Liebe. Auch den Job, selbst wenn die Berufsbezeichnung „König von England usw." lautet. Ein Königreich für die Liebe. Dieses historisch nicht so weit zurückliegende Märchen ist in diesem Sinne Grundlage auch dieses Films, wobei Frau Ciccone, auch „Queen of Pop" genannt, sich auf die Rolle der legendären Wallis Simpson konzentriert. Die lebenslustige, berüchtigte Amerikanerin (Andrea Riseborough) wird angefeindet, weil sie sich den reichen Adeligen unter den Nagel gerissen hat. Rückblenden zu einem schlagenden, früheren Ehemann und das trübe Leben nach Abdankung und Abstrafung seltsamer Nazi-Sympathien Edwards lassen Wallis' Leben sehr einsam erscheinen. Das erkennt irgendwann auch die von ihrem erfolgreichen Arzt-Gatten betrogene New Yorkerin Wally Winthrop (Abbie Cornish). Anlässlich einer Versteigerung der Kostbarkeiten von Wallis und Edward kommt es zu magischen Verbindungen mit der Vergangenheit. Und der Empfehlung von Frau zu Frau: Nimm dein Leben endlich in die Hand!

Selbst die arg klischeehafte Handlung vor allem in den New Yorker-Episoden kann der darstellerischen Leistung von Abbie Cornish („Sucker Punch", „Bright Star - Meine Liebe. Ewig.") und Andrea Riseborough („Shadow Dancer", „We Want Sex", „Alles, was wir geben mussten") nichts anhaben. Dass der Film bei allem Talent und einer an sich interessanten Geschichte so unbeteiligt lässt, liegt an der aufpolierten Oberfläche, hinter der alles andere vernachlässigt wurde. Ausgerechnet in der strahlenden (Auktions-) Ausstellung von vergangenem Reichtum als Schnittstelle beider Ebenen hat „W.E." seine beste Szene - also ein schicker Katalog des Überflusses mit zwei angeheftetem Geschichtchen.

11.6.12

West is West

Großbritannien 2010 (West is West) Regie: Andy De Emmony mit Om Puri, Aqib Khan, Linda Bassett, Robert Pugh 103 Min. FSK ab 6

Der zwölfjährige Brite Sajid Khan (Aqib Khan) hat zwar einen Vater aus Pakistan, findet das Land aber nicht auf der Karte. Trotzdem wird er von Mitschülern schikaniert, schwänzt die Schule und hat auf alles eine bissige und freche Antwort. 1976 sind im nordenglischen Salford noch Reste vom Flower-Power zu sehen, doch das Trotzen der Jugend bleibt ein zeitlos anstrengender Kampf. Dem altmodisch autoritären Vater Jahangir Khan (Om Puri) fällt nichts anderes ein, als mit Sajid in die alte Heimat Pakistan zu reisen. Dort sucht schon der ältere Sohn Maneer seit Monaten eine Braut. Jahangir besitzt hier ein kleines Stück Land und großflächig komplizierte Familienverhältnisse, denn vor 30 Jahren ließ er eine erste Frau und Töchter zurück. Nun wagt er es nicht, den Schmerzen ins Auge zu blicken, die seine Abwesenheit bei der verbitterten Mrs. Khan Nr.1 erzeugt haben.

Sajid spricht kein Urdu und kann sich auch nicht mit der Toilette unter Büschen anfreunden. Wohl jedoch mit einem Gleichaltrigen und schließlich auch mit dem weise lächelnden Alten, der ihm gegen alle Widerstände einiges beibringen kann. Der große Wandel geschieht dem Dickkopf (oder im Original: dickhead) Jahangir, einem groben Klotz ohne Einfühlungsvermögen, bei dem man sich fragt, wie der gleich zwei Frauen unglücklich machen konnte. Als nach einer Verlängerung des Urlaubs seine englische Frau Ella (Linda Bassett) hinkommt, muss er Position beziehen.

Mehr als zehn Jahre nach dem britischen Indie-Erfolg „East is East" folgt wieder eine autobiographische Geschichte von Ayub Khan Din, der selbst als Zwölfjähriger ein Jahr nach Pakistan verschickt wurde. Seinem Alter Ego Sajid werden bissige Kommentare beigegeben, aber letztlich auch eine Sehnsucht nach Kiplings „Kim". Die Zerrissenheit zwischen den Kulturen deutet sich an, das Drama zwischen Vater und Sohn steht an, aber die anrührenden Momente gehören den beiden Ehefrauen. Wenn sie fassungslos vor dem indifferenten, phlegmatischen Macho stehen, wie sie sich verstehen, ohne die gleiche Sprache zu sprechen.

Letztendlich wird alles irgendwie gut, sogar der stille große Bruder findet nach einem Jahr endlich eine Frau, die aussieht wie sein Idol Nana Mouskouri, redet wie ein Wasserfall und auch aus England stammt. Drumherum unterhält „West is west" mit einem Pubertierenden, der im Anzug durch die Hitze Pakistans läuft, mit den Weisheiten eines komischen Kauzes, mit gemäßigter Folklore und - vor allem über die Musik - mit lokalen Schwingungen. Die Culture-Clash-Komödie (die sicherheitshalber in Indien aufgenommen wurde) geriet manchmal etwas holperig in der Montage, überzeugt aber mit einem tollen Jung-Darsteller, der das erste Mal vor der Kamera stand, und mit dem Kino-Urgestein Om Puri („Mein Sohn, der Fanatiker", 1997) als Vater.

East is East

GB 1999 (East is East) Regie Damien O'Donnell, 96 Min.

Zwischen Moschee und Marien-Prozession treiben sich die Kinder des pakistanischen Moslem George Khan (Om Puri) herum. Es sind die Siebziger, sie leben in Manchester. Die Kids sind perfekt assimiliert, wenn der Vater aus dem Haus ist, essen sie sogar Schweinefleisch. Sie tun alles, um der verhassten Islamschule zu entkommen. Die wilde Tochter Meenah spielt lieber in Jeans Fußball, als den standesgemäßen Sari zu tragen. Sajid, der Jüngste, hat sogar noch seine Vorhaut und trägt Tag und Nacht seinen stinkenden Parka.

Der Imbissbuden-Besitzer Kahn hat aus der ersten gescheiterten Hochzeit eines Sohnes nichts gelernt und versucht, den nächsten an die äußerst hässlichen Töchter eines reichen Landsmannes zu vermitteln. Der Tradition gemäß verteilt er arabische Uhren, merkt nicht, dass er der Zeit hinterher ist. Seine erste Frau lebt noch an der konfliktreichen Grenze zu Indien. Seine britische Frau Ella (Linda Bassett) steht zwischen dem dickköpfigen Patriarchen und ihren lebenshungrigen Kindern.

Mit viel Spaß und skurrilen Übertreibungen zeigt die Ethnokomödie ein Kaleidoskop von Verhalten zwischen Anpassung und Achtung der Traditionen. Im britischen Hintergrund droht alltäglicher bis radikaler Rassismus. Die Nachrichten vom Krieg in Pakistan verhärten die Fronten. Doch das breite Spektrum schillernder Figuren und die ausgleichende Kraft der resoluten Ella besänftigen die Dramatik.

Während andere Filme, etwa der kurdisch-französische "Vive le Marie ....", die Dramatik solcher Zwangsheiraten im lebendigen nachempfindbar machen, wird in "East is East" die herrlich peinliche, missratene Vorstellung der Verlobten zum Schenkelklopfer. Es ist ganz klar, dass der alte Depp Khan der Verlierer ist, seine Zeit ist vorbei. Ohne zu vermitteln, steht der Film ganz auf der Seite des Westens. Abgesehen davon ist er ein toller, manchmal auch grober Spaß.

Ein Jahr vogelfrei

USA 2011 (The Big Year) Regie: David Frankel mit Steve Martin, Jack Black, Owen Wilson, Brian Dennehy 101 Min.

Der Comedian-Senior Steve Martin, der Blödel-Barde Jack Black und der bewährte Nonsens-Komiker Owen Wilson sind an sich schon ein reizvolles diverses Trio für eine Komödie, die mehr als einen Vogel hat. Dazu noch schön skurriles Thema und endlich gelingt mal eine großer Spaß trotz großen Geldes.

Nicht Birdwatching betreiben sie, sondern Birding, weist der silbergraue Konzern-Chef Stu Preissler (Steve Martin) einen Verhandlungspartner streng zurecht. Eigentlich egal, es sind auf jeden Fall schräge Vögel, die jede freie Minute damit verbringen, möglichst viele gefiederte Wesen in freier Wildbahn zu sehen. Richtig kurios gerät auch diese Angelegenheit, wenn sie zum Wettbewerb wird: „The Big Year" nennt sich die Konkurrenz, in einem Jahr möglichst viele nord-amerikanische Arten in Augenschein zu nehmen. Kenny Bostick (Owen Wilson) ist mit 732 Sichtungen Titelverteidiger und auch in diesem Jahr wieder verbissen ehrgeizig. Doch angeblich ist es nur die Liebe zur Natur, die ihn wie zig andere dazu bringt, an die Golfküste zu eilen, weil ein Sturm als „Fallout" hunderte Arten vor sich hertreibt, oder mit einer klapperigen Propellermaschine zur allerletzten Insel Alaskas zu fliegen. Auch Brad Harris (Jack Black) ist mit dabei. Der kleine IT-Angestellte lebt nach der Scheidung bei den Eltern und kratzt sich Geld und Zeit für sein „großes Jahr" mühsam zusammen. Im Gegensatz zum reichen Preissler, der sich im dritten Anlauf endlich mal eine Auszeit von der Firma gönnen will und einen Helikopter mietet, um einem Bergadler halsbrecherisch zu folgen.

Was ein verrücktes Wettrennen hätte werden können, begeistert von Anfang an mit richtigen Figuren und Geschichten: Der äußerst spektakuläre Balzflug des Weißkopfseeadlers erinnert die Herren an ihre zurückgelassene Liebe. Während Preissler endlich Zeit mit seiner großmütigen Frau verbringen will und einen Enkel erwartet, will Bosticks Frau zuhause ein Kind bekommen. Erst als er seine Frau bei der künstlichen Befruchtung für eine Schneeeule sitzen lässt, wird der nur scheinbar lässige Vogel-Jäger richtig unsympathisch. Harris sieht sich als grauer Vogel, den jeder unterschätzt, der aber zu enormen Leistungen fähig ist. Außerdem findet der Unglücksvogel eine Kollegin in der Zugvogel-Gesellschaft echt putzig. Doch was dieses Hobby aus Romantik macht, zeigt eine Birding-Hochzeitsreise nach Alaska: Als die Frischvermählte ihren von rücksichtslosen Kollegen in Fischabfall getauchten Designerschal draußen auswaschen will, führt das zu einer veritablen Hitchcock-Szene - Die Vögel.

Diese schrägen Vögel zu beobachten, die sich selbst in grandiose Landschaften nur für das eine interessieren, macht nicht nur immer wieder großen Spaß. Es rührt auch, zu erleben, wie hoch der Preis für den Erfolg ist. Jeder der drei muss eine Entscheidung für das Leben treffen, aus den entspannteren Verrückten werden Freunde. Dass treffend einfache Lebens-Weisheiten wie „Folge deinem Herzen" (oder der Flugroute der Graugans) angenommen werden, liegt am guten Darsteller-Trio - großartig unterstützt auch von Anjelica Huston, Brian Dennehy und Dianne Wiest. Steve Martin meistert ohne Klamauk die Charakterrolle, Jack Black ist gebremst hervorragend und Owen Wilson kann auch leise. Dieser Film - laufende Nr. 273 - sollte in der Sammlung des Kinojahres nicht fehlen.

Alpen

Griechenland 2011 (Alpis) Regie: Yorgos Lanthimos mit Aggeliki Papoulia, Aris Servetalis, Johnny Vekris, Ariane Labed 93 Min.

Ein rätselhafter und ungemein starker Auftakt: Die Turnerin absolviert zu Orffs Carmina Burana eindrucksvoll ihre Kür mit dem Band. Das Gespräch mit dem lange außerhalb des Bildes bleibendem Trainer dreht sich um den Wunsch der jungen Sportlerin, „mal Pop zu machen". Bis der ältere Mann den Dialog mit einer erschreckend brutalen Drohung beendet.

Jetzt erwartet man klassisch eine Vertiefung dieser ungleichen Beziehung, etwas Lebensgeschichte von beiden Beteiligten. Doch ein harter Cut in einen Krankenwagen führt zu einer neuen, nicht auf Anhieb verständlichen Szene: Eine Krankenschwester bespricht mit einem Rettungssanitäter den kritischen Zustand der Patienten. Kritisch, oder besser noch tot, scheint gut zu sein. Dann spricht die Krankenschwester den Eltern einer verstorbenen Tennisspielerin Trost zu, um sanft ein unglaubliches Angebot zu machen: Sie würde gerne stundenweise den Platz der Toten einnehmen und so den Schmerz der Angehörigen zu lindern.

Das also wäre verkürzt der Plot von „Alpen", Yorgos Lanthimos' Nachfolger seines artverwandten „Dogtooth": Eine Krankenschwester, ein Rettungssanitäter, eine Turnerin und ihr Trainer nehmen gegen Bezahlung die Rollen von Verstorbenen ein. Im Seitenraum einer Turnhalle befindet sich diese Agentur für persönliche Ersatzmenschen und in einer der vielen skurillen Szenen breitet der Rettungssanitäter, der den Anführer gibt, seine großartige Idee aus, sich als Decknamen Alpengipfel auszuwählen. So weit, so faszinierend absurd. Doch richtig schräg sind erst die Einsätze der Truppe. Nach strengen Übungen und Anweisungen, die von Freunden, Kollegen oder Angehörigen der Toten geliefert werden, vollziehen sich bei einer blinden Frau, bei den trauernden Eltern und dem verlassenen Lampenverkäufer Szenen schlimmsten Laientheaters. Die Peinlichkeit dieser Momente schwankt zwischen Fremdschämen und Mitleiden an der Einsamkeit, die schreckliche Formen annimmt.

Die strengen Regeln der „Alpen" verlangen dabei, dass es keine emotionalen Bindungen oder intime Kontakte mit den Hinterbliebenen gibt. Die Krankenschwester hält sich jedoch nicht daran. Will sie etwas hinzuverdienen? Überhaupt entwickelt die Monte Rosa genannte in all diesen, eigentlich tieftraurigen Handlungen eine eigene Tragik. Zu alt für die Teenager-Rolle, die Klamotten, das Jugendzimmer und den hinzu geladenen Freund, kann sie die Eltern doch zu Tränen rühren. Und da ist noch diese andere Rolle mit einem Vater, oder ist es wirklich ihrer? Um sie zur Zufriedenheit zu spielen, engagiert sie wiederum einen Freund, mit dem sie eine erste Liebe inszeniert.

Als ihre Nebenjobs herauskommen, reagiert Boss Mont Blanc extrem brutal, wie er auch schon vorher Fehler abstrafte. „Alpen" zeigt sich hier formal als Gangstergeschichte mit ganz ungewöhnlichen Verbrecher-Typen und verquerer „Kriminalität". Mittels dieses sehr seltsamen aber auch äußerst reizvollen Ansatzes lotet der Grieche Yorgos Lanthimos zwischenmenschliche Beziehungen aus. Er beschäftigt sich mit vereinsamten Individuen, die eher statische Kameraarbeit konzentriert sich auf das Zwischenmenschliche, das nur in Form von Surrogaten vorhanden ist. Viele bizarre Situationen des zwischen Gangster-Geschichte und schwarzer Komödie angesiedelten Films zwingen zum Nachdenken über das Abwesende. Ein außergewöhnliches und sehr sehenswertes Werk des neuen europäischen Kinos, das in Venedig mehr als den Drehbuch-Trostpreis verdient hätte.

Die Trauzeugen

Australien 2011 (A few best men) Regie: Stephen Elliott mit Xavier Samuel, Kris Marshall, Kevin Bishop, Tim Draxl, Laura Brent 97 Min.

Der riesige Pflanzenball, der wie eine Bowlingkugel in die elitäre Hochzeitsgesellschaft an der malerischen Steilküste fährt, ist symptomatisch: Grob und zu dick aufgetragen. Ob der Urlaubsflirt vom Briten Waisen David (Xavier Samuel) und der australischen Senatoren-Tochter Mia (Laura Brent) eine Zukunft haben wird, bezweifeln nicht nur Davids Freunde, die in einer versifften Londoner Studentenbude zusammenhausen. Aber Hauptsache, die vom verrückt ehrgeizigen Politikervater Mias ausgerichtete Hochzeit wird von Davids englischen Freunden kräftig aufgemischt. Die Erwähnung, Australier seien ja alle Nachfahren von Kriminellen und Sträflingen, darf da ebenso wenig fehlen, wie eine Tasche voller Drogen und Waffen. Samt psychotischem Kriminellen, der sich ausgerechnet in Graham, den ängstlichsten von Davids Kumpels verliebt. Der soll mit seiner Hitler-Frisur ein paar Lacher einfahren, während der liebes-melancholische Luke (noch so ein lebloses Klischee), später auch noch mit einer Pistole die Handlung anfeuern darf.

Diese australischen „Trauzeugen" sind so originell wie ein Anzug vom Kostümverleih. Bei dem was Hollywood in Sachen Hangover und Schwiegerväter raushaut, nur lahmer Kinderkram. Wie erwartet - und nicht richtig spritzig inszeniert - endet der gewollt wilde Junggesellen-Abschied mit einem geschminkten Schaf in Unterwäsche und einer Tasche voll mit Drogendealer-Accessoires. Die mäßig geschauspielerte, brave Komödien-Langeweile wird nur von zwei schrecklichen Entdeckungen unterbrochen: Olivia Newton-John zerstört als verkokst ausflippende Schwiegermutter Barbara endgültig ihr „Grease"-Image. Regisseur Stephen Elliott kann nach guten Filmen wie „Priscilla - Königin der Wüste" (1994), „Das Auge" (1999) und „Easy Virtue" (2008) diese überflüssige Feierstunde nicht wirklich persönlich versaut haben...

5.6.12

Knistern der Zeit - Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso

BRD, Österreich 2012 Regie: Sibylle Dahrendorf mit Christoph Schlingensief, Diébédo Francis Kéré, Aino Laberenz 111 Min.

Die Idee war wahnsinnig und so typisch Schlingensief: Ein Operndorf im (materiell) armen afrikanischen Staat Burkina Faso, „ein Raum an dem Leben und Kunst zusammen gehören." Denn wenn der Regisseur, Multivisions-Künstler und Provokateur nach langer Location-Suche überglücklich auf seinem auserwählten Hügel steht, erklärt der sich so oft naiv Gebende, dass es explizit kein Grüner Hügel sein soll. „Knistern der Zeit" ist einerseits eine Langzeit-Dokumentation über Schlingensiefs Projekt Operdorf zwischen Mai 2009 und Oktober 2011, andererseits ein letzter Blick auf diesen ungemein kreativen Menschen, der am 21. August 2010 in Berlin an seiner Krebserkrankung verstarb. Während er inmitten seiner Entourage durch das Steppen-Gras stapft, sinniert der Todkranke, dass es doch mehr als diesen Körper geben muss, dass da irgendwas weiterleben muss. Sein Operndorf beispielsweise, obwohl man (wie so oft bei ihm) nie genau weiß, ob das mit der Hinterlassenschaft für die Nachwelt ernst gemeint ist.

Nach ersten Visionen, die Schlingensief mit dem in Burkina Faso und Berlin lebenden, weltweit ausgezeichneten Star-Architekten und Entwicklungsaktivisten Diébédo Francis Kéré erarbeitet, zeigt sich der Deutsche bei den Mühen der Ebene immer ungeduldiger. Der Bau der Schule, die als Erstes entstehen soll, stockt. Es gibt Gespräche mit den Offiziellen, Streit mit dem Architekten. Aber auch es entsteht auch „Via Intolleranza II", im April 2010 in Ouagadougou gedreht, in der Hamburger Kampnagel Fabrik im Mai 2010 aufgeführt.

Dann schlägt die natürliche Dramaturgie auch im Film zu: Schlingensief ist tot. Die Baustelle steht für mehrere Monate still, doch schließlich wird im Oktober 2011 die Schule eröffnet. Ein Krankenhaus soll folgen, denn bei dieser auf Jahrzehnte angelegten Vision stellte sich der Schöpfer den Schrei eines Neugeborenen mitten in einer Arie als Höchstes aus Kunst und Leben vor.

Gelungen ist „Knistern der Zeit" von Sibylle Dahrendorf, die seit 1998 Christoph Schlingensief in vielen Projekten filmisch begleitete, als Mischung aus lebendigem Gedenken und Protokoll eines sehr speziellen deutsch-afrikanischen Kulturprojektes. Kluge Seitenblicke erzählen auch vom afrikanischen Leben, eine kritische Analyse der Operndorfes, die Schlingensief selbst in Textzeilen vom „perversen Europäer mit der eingebildeten Nächstenliebe" einbringt, muss vielleicht einer späteren oder mehr außenstehenden Beobachtung vorbehalten bleiben.

Amador und Marcelas Rosen

Spanien 2010 (Amador) Regie: Fernando León de Aranoa mit Magaly Solier, Pietro Sibille, Celso Bugallo, Sonia Almarcha 113 Min. FSK ab 6

Eine ganze Menge Perlen enthält die wunderbar stille Geschichte „Amador" von Fernando León de Aranoa. Der Spanier begeisterte schon 2005 mit der harten und poetischen Prostituierten-Geschichte „Prinzessinnen der Straße - Princesas".

Marcela (Magaly Solier) hat den Abschiedsbrief schon geschrieben, den Koffer gepackt und bricht an der Bushaltestelle zusammen. Die im Krankenhaus erkannte Schwangerschaft führt sie zurück zu Nelson (Pietro Sibille). Der Einwanderer klaut nicht mehr frische Blumen beim Großhändler und verkauft sie mit seinen Straßenhändlern in Barcelona aufgehübscht und deodoriert. Als der dazu dringend notwendige Kühlschrank den Geist aufgibt, übernimmt Marcela die Pflege eines alten Mannes. Amador (Celso Bugallo) ist jedoch nicht der übliche Griesgram, den man im Film oft sieht. Der Bettlägerige sagt schöne und weise Dinge. Während Nelson nur vom Geld redet und Blumen parfümiert, erzählt Amador von Seejungfrauen und erkennt auch Marcelas Schwangerschaft, von der ihr Lebenspartner nichts ahnt.

Jeder Satz von Amador ist eine Perle. Vor allem einen merkt sich Marcela: Das Leben sei wie ein Puzzle, man habe alle Stücke, die man brauche, müsse sie nur an die richtige Stelle setzen. Mit einem Puzzlestück Himmel in der Hand schließt Amador zufrieden die Augen und stirbt leise. Weil Nelson ihren Lohn jedoch schon für einen neuen Kühlschrank ausgegeben hat, muss Marcela den Tod Amadors geheim halten. Die Tochter des Mannes baut an der Küste und ruft sowieso höchstens mal an. Während einer Hitzewelle tut Marcela mit einem erbarmungswürdig ängstlichen Blick ihren Dienst bei der Leiche im Zimmer. Es ist furchtbar anzusehen wie schwer es der einfachen Frau fällt, diese Lüge zu leben. Dass Amador noch nach seinem Ableben Geld bringt, passt zur Metapher der Blumen, die uns ihren Geruch schenken, auch wenn sie tot sind. Doch Amador riecht nicht mehr gut, da helfen auch mehrere Dosen Raumspray nicht. Einem Nachbar fiel es schon auf. Die Prostituierte, die jeden Dienstag kam, tauscht sich mit Marcela auf witzige Weise über die schwierige Situation aus. Und ein ahnungsloser Priester antwortet auf ein verzweifeltes Gebet: Wenn jemand von uns gegangen ist, bleibt immer etwas von ihm zurück.

Ist die Geschichte im Sozialen eigentlich erschreckend hart, erblüht sie doch in aller Stille mit einem leisen Humor und mit einer feinen Meisterschaft im Erzählen. Zwei großartige Schauspieler stehen im Zentrum einer Inszenierung, die unspektakulär wirkt, aber viele kleine Schätze anbietet. Magaly Solier beeindruckte schon 2009 im Berlinale-Sieger „Eine Perle Ewigkeit". Immer wieder erinnern Blicke zum Himmel an das Puzzle Amadors und ganz unspektakulär wächst Marcela in der absurden Situation. Die Lösung ist aberwitzig, aber stimmig im Sinne der Puzzle-Metapher: Alles findet am Ende seinen Platz. Ihrem Freund hinterlässt Marcela nur das Puzzle des Abschiedsbriefes. Wir wissen jedoch mittlerweile, dass diese Tätigkeit das Wesen durchaus erweitern kann.

Sushi - The Global Catch

USA 2011 (Sushi - The Global Catch) Regie: Mark S. Hall 78 Min.

Der Dokumentarfilm über den weltweiten Siegeszug des Sushis und seine Folgen macht anfangs ganz, ganz viel Appetit. Vom Samurai-Film geht es zur Kunst, Sushi zu bereiten. Erst nach siebenjähriger Ausbildung darf der Lehrling vor dem Kunden ins Restaurant. Vom Fischmarkt geht es zurück in die Weltmeere, wo japanische Flotten die Fischer an vielen Küsten arm machen. Denn die Jagd auf den nicht nur geschmacklich faszinierenden Blauflossenthunfisch - bis zu 680 Kilo mächtige Viecher, für die weit über 100.000 Euro gezahlt werden - droht den einzigartigen Meeresräuber auszurotten. Seit die japanische Fluggesellschaft Anfang der 70er Lücken in ihren Frachtfliegern mit gefrorenem Thunfisch auffüllten und gleichzeitig überall auf der Welt Sushi in Mode kommt, wird die japanische Art zu speisen, ein Problem.

Die packende Dokumentation erzählt vom Wasabi und seiner antibakteriellen Wirkung, zeigt etwas seltsame polnische Kreationen mit süßer Soße in Lodz und einen Sushi-Popper aus der Rolle. Die Bewunderung für den König der rohen Fische steht der Perversion einer Thunfisch-Mast gegenüber, bei der 15 kg Sardinen gefüttert werden müssen, um dem gefangenen Fisch einen Kilo anzufetten. Das nennt man dann „nachhaltig". Ein Aktivist und Autor preist hingegen ökologisch verantwortlichen Sushi ohne verseuchten Zuchtlachs, bedrohten Blauflossenthunfisch oder andere ungesunde Sorten an. Der deutschstämmige, ehemalige Fischer Hagen Stehr versucht seinerseits, Thunfisch in Zuchtanlagen aufzuziehen.

„Sushi - The Global Catch" ist ein Genuss auch in seinen Bildern und der Montage. Doch Fans des kalten Fischs brauchen keine Angst zu haben - Sushi wird nicht verdammt. Nur ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen wäre vonnöten. Dabei hilft der Fischratgeber von Greenpeace oder die Seafood Watch-App für den guten Appetit.

4.6.12

Street Dance 2 3D

Großbritannien, BRD, Italien 2012 (StreetDance 2) Regie: Max Giwa, Dania Pasquini mit Falk Hentschel, Sofia Boutella, George Sampson, Akai Osei-Mansfield, Tom Conti 89 Min. FSK o.A.

Tanz in 3D zeigte sich in der atemberaubenden Dokumentation „Pina" als Offenbarung. Doch Wim Wenders ist in weiter Ferne bei diesen viel zu nah und zerstückelt aufgenommenen Häppchen aus Breakdance-Battles. Nun darf das junge, hippende und hoppende Zielpublikum einwerfen, dass die aktuelle (auch schon Jahrzehnte alte) Tanzform mit Altertümern wie Pina Bausch nichts zu tun hat. Wie jedoch Bewegung im Film repräsentiert wird, unterliegt erstaunlich gleichen Regeln. So scheitert auch dieser Jugendfilm unter anderem daran, dass er eindrucksvolle Bewegungs-Artistik nicht authentisch abbildet, obwohl doch gerade ausgewiesen Könner die „Move" tanzen. Dass auch schauspielerisch nicht viel läuft, bricht dem Film endgültig das Genick.

Die Story in diesem zweiten „Streetdance"-Versuch ist so abgenutzt, dass man sich sogar schämt, es zusammenzufassen: Der Streetdancer Ash (Falk Hentschel) will bei so was wie der Weltmeisterschaft dieser Disziplin den scheinbar unbesiegbaren Invincible mit dessen Truppe zu schlagen. Das eigene Team wird in einer lahmen Montage quer durch Europa zusammengesucht, man kann sich auch vorstellen, wie die Produzenten auf der gleichen, gemalten Route die Gelder für diesen Europudding einsammelten. In einer Art Jugendherberge in Paris hat die Ansammlung eigenwilliger Tänzer nun sechs Wochen Vorbereitungszeit bis zum entscheidenden Battle. Nicht das Zusammenraufen wird dabei zum Thema, denn außer Ash hat wirklich niemand einen Hauch von Persönlichkeit in diesem Haufen. Es geht um das Verschmelzen von angeblichen „freien" Streetdance-Moves mit einem Korsett festgelegter Schritte bei einem Street-Latin-Crossover mit der Tänzerin Eva (Sofia Boutella). Und - hier wird wirklich jedes Klischee angespielt - um die Mühen für Ash, sein Ego für die Gemeinschaft aufzugeben. Dann fehlt nur noch das Trauma für das Finale (mit oder ohne Rückblende?), dazu nehmen wir doch die Anfangsszene, in der sich Ash als Popcorn-Verkäufer vor Invincible lächerlich machte. Fertig ist ein Film, den man in jeder Faser kennt, der aber von einem meist dümmlich aus der Wäsche schauenden Falk Hentschel selten so schlecht in der Hauptrolle umgesetzt wurde.

Es bleiben die Tanznummern, tatsächlich die eigentliche Attraktion des Films. Und in zwei, drei Montage-Szenen gelingt es „Streetdance 2" einfach und gut zu erzählen. Die lästige Verdoppelung der Handlung durch die Nacherzählung auf der Tonspur fällt weg, der Schnitt ist wirklich gut und die Songs funktionieren.
Doch im Besten des Teenie-Films liegt auch sein Scheitern: Der Schnitt zerstört konsequent die sicher eindrucksvollen Leistungen der Tänzer. Statt toller Bewegungen gibt es nur Fragmente. Das Bildflackern des Musikvideos unterlegt dann nur noch abstrakt den Song. Hier wäre eine Erinnerung an den genialen Schauspieler, Regisseur, Sänger, Tänzer und Choreograph Gene Kelly (1912 - 1996, „Singin' in the Rain") oder auch Fred Astaire (1899 - 1987) hilfreich. Die Herren legten größten Wert darauf, dass möglichst kein einziger Schnitt ihre Tanzleistung beschädigte und dass immer ihr ganzer Körper zu sehen war. Kein Raum für filmische Tricks, alle Aufmerksamkeit für den Tanz. Das gilt auch noch in Zeiten von 3D, das hier übrigens auch ganz furchtbar platt und nervig eingesetzt wurde. Also bei Youtube mal Gene Kelly eingeben oder moderner: „jubafilms", die tänzerisch und filmisch fast alles besser machen.