30.1.15

The Interview

USA 2014 Regie: Evan Goldberg, Seth Rogen mit James Franco, Seth Rogen, Lizzy Caplan, Randall Park 112 Min.

Nein, lieber Kim Jong-un, dieser Film läuft nicht auf der Berlinale. „Cinema for Peace" jedoch, wo er dann doch ab Donnerstag wie in hunderten deutschen Kinos auftaucht, ist ebenso eine falsche Fassade wie deine Paraden und Jubelkundgebungen. Es ist vor allem erstaunlich, was für eine filmische Nichtigkeit angeblich den Multimedia-Konzern Sony in die Knie zwang und für zwischenstaatliche Verstimmungen sorgte. Sicher wird dies alles das Einspielergebnis von „The Interview" vervielfachen, was grübeln lässt, ob es nicht doch alles ein komplexes Marketing-Manöver war...

Herrlich, wie James Franco als lächerlicher Talkshow-Host Dave Skylark alberne Gesten, wie man sie auch von Markus Lanz kennt, ins Absurde übertreibt! Genial, wie Skylark das Coming Out vom angeblichen Schwulen-Hasser Eminem live fast verpasst, wenn nicht sein etwas mehr mit Hirnzellen gesegneter Produzent Aaron Rapaport (Seth Rogen) die Sensation über Kopfhörer zur nationalen Erfolgssendung steuerte. Denn das sei, „wie Spike Lee, der gesteht, dass er weiß ist" (Originalton Skylark)! Vom Niveau der trashigen Show, die bei einem Prominenten, der Sex mit einer Ziege hatte, die Ziege interviewen will, ist Rapaport allerdings selbst nicht überzeugt. Er will endlich mal „was richtiges Bewegendes und Ernstes" machen. Wie gut, dass Kim Jong-un ein großer, na ja ... ein Fan von Skylark ist. So bekommen beide die einmalige Chance, den nord-koreanischen Diktator (Randall Park) live zu interviewen. Was den US-Geheimdienst auf die reichlich abgenutzte Idee bringt, die zwei albernen Journalisten zu Kommunisten-Killern zu machen. Doch so, wie sie ihr tödliches Attentats-Pflaster an einen Wachmann verschwenden, hat der Film hier sein Pulver schon weitestgehend verschossen.

James Franco als Vollidiot mit ebenso ordinären wie dämlichen Sprüchen zu sehen, ist eine ganze Weile ein Vergnügen. Hinzu kommt ein Haufen Insider-Scherze und dauernde „Herr der Ringe"-Referenzen, in denen Nord-Korea Mordor vertritt. Finger werden in einer ziemlich durchgeknallten Splatter-Einlage auch abgebissen. Aber sobald die Mission beginnt, wird „The Interview" langweilig blöd und ernsthaft unglaubwürdig, da haben andere Agenten-Parodien sich mehr Mühe gegeben. Letztlich besteht „The Interview" aus einer Menge Ausschnitte für viele Trailer: Kim und Dave, zwei zumindest metrosexuelle Idioten, die sich ganz doll lieb haben und auf Katy Perry stehen, dürfen zu ihrem „Firework" und Margaritas Panzer fahren. Den Panzer, den Stalin Kims Opa geschenkt hat. „Stallone spricht man ihn amerikanisch aus", ist noch ein letztes Aufzucken der blöden Sprüche Skylards. Dass dauernd schwule Freundschaften angedeutet werden, zündet ebenso wenig wie die Borat-Imitate in den offiziellen koreanischen Liedern.

Erstaunlich nur, mit welcher Penetranz wenige Scherze immer zu lang ausgewalzt werden. Das Ergebnis ist ein Film, der sich mehr und mehr zieht. Auch mal ganz originell. Es bleibt nach der Hype die Erkenntnis: Viel Lärm um nicht viel.

300 Worte Deutsch

BRD 2013 Regie: Züli Aladag mit Pegah Ferydoni, Christoph Maria Herbst, Vedat Erincin, Christoph Letkowski, Nadja Uhl 96 Min. FSK: ab 12

„300 Worte Deutsch" zeigt zuerst in einer Collage ziemlich viele Worte Sprach-Lerntext und Politiker-Phrasen zur Integration. Reichlich platt das alles, doch der folgende Film unterbietet dies (schlecht) spielend. Lale (Pegah Ferydoni) ist eine emanzipierte Türkin in Deutschland, die trotzdem der von Papa Cengiz Demirkan (Vedat Erincin) arrangierten Ehe nicht ausweichen will, weil Papa hat sich ja so rührend um sie gekümmert und könnte als Hodscha einer Gemeinde in Köln-Ehrenfeld sein Gesicht verlieren. Der Hodscha, der in seiner Moschee einen lebendigen Frauenhandel betreibt! Trotzdem zeigt sich der Vorteil vieler Karate-Stunden, weil Lala den Bewerber nach peinlichem Antrittsbesuch in eine dunkle Gasse zieht und ihm noch peinlicher ein Leben als Hölle androht, falls er wirklich um ihre Hand anhalten sollte.

Dass Lala vergleichende Kulturgeschichte studiert, macht ihren konstruierten Konflikt nicht nachvollziehbarer. Selbstverständlich taucht ein charmanter Deutscher mit Türkischkenntnissen auf und verdreht Lala den Kopf, der mal unter Kopftuch, mal unter Motorradhelm steckt. Marc Rehmann (Christoph Letkowski) ist der Neue beim Ausländeramt und Neffe vom Chef Stromberg (Christoph Maria Herbst), der diesmal Dr. Ludwig Sarheimer heißt und weder lustig noch provokant ist. Dieser Schlesierfreund und Ausländerhasse ist tatsächlich das Schlimmste an dieser dummen Klamotte voller Abziehbilder.

Die Gegner im Streit um ein paar mit Anatolierinnen arrangierte Ehen treffen sich selbstverständlich im Puff und die Lieblings-Prostituierte vom Chef ist total originell auch eine Türkin. Wenigstens die Chemie zwischen den Hauptfiguren funktioniert zwischen all den anderen Blödsinn, leider rennen sie auch gegen das typische Problem vor dem Happy End an. Weitere bekannte Gesichter aus deutsch-türkischen Multi-Kulti-Filmen werden verschwendet. Selbst geringste Erwartungen an TV-Unterhaltung kann „300 Worte Deutsch" noch schwer enttäuschen - um es mit 300 deutlichen Worten klar zu sagen.

28.1.15

Guten Tag, Ramón

BRD, Mexiko 2014 Regie: Jorge Ramírez-Suárez mit Kristyan Ferrer, Ingeborg Schöner, Rüdiger Evers, Franziska Kruse 121 Min. FSK: ab 6

Ausländer rein, sagt dieser Film! Zumindest für kurze Zeit. Wenn sie nett, hilfsbereit und niedlich sind! Die deutsch-mexikanische Produktion „Guten Tag, Ramón" ärgert mit einem naiven Immigranten-Märchen.

Als der mexikanische Junge Ramon (Kristyan Ferrer) zum fünften Mal von der Grenzkontrolle erwischt wird und den Menschenschmuggel kaum überlebt, schlägt ein Bekannter vor, wieso nicht nach Deutschland gehen? Dahin wäre eine Tante von ihm gezogen. Da der lokale Gangster-Boss auch das Land von Ramon unter seiner Kontrolle hat, es also keine Möglichkeit gibt, ehrlich zu überleben, tritt das sympathische Kerlchen die lange Reise an. Der ganze Weg mit den lustigen deutschen Städtenamen wird ausführlichst geschildert - so streckt man ein Filmchen auf zwei Stunden! Selbstverständlich liegt überall Schnee, damit wir wissen, wie kalt es für den Mexikaner Ramon hier ist. Zudem wird Ramons Verwirrung bei der Ankunft von einem Dauer-Gedudel begleitet, wie wenn er noch immer im Aufzug am Flughafen stecken würde.

Zwar lebt Tante Gloria nicht mehr unter der alten Adresse, doch der seltsam indifferent zwischen Junge und Mann stehende Ramon trifft als Obdachloser lauter hilfsbereite Leute, nur der russische Obdachlose klaut ihm das erbettelte Geld. Noch mehr glückliche Fügungen bringen ihn mit der alten Dame Ruth (Ingeborg Schöner) zusammen. Ramon darf nun im Keller leben und wird zum Hausmeister. Doch seltsamerweise findet sich niemand, der Spanisch kann! Trotzdem bringt der optimistische Junge per Zeichnung den einzelgängerischen Senioren das Zusammenleben bei.

Will das naive Film-Märchen vielleicht etwas vom Überfluss in Deutschlands luxuriösen Bioläden erzählen? „Guten Tag, Ramón" bleibt oberflächlich, Sinn lässt sich nirgendwo entdecken. Dafür erzählen sich die alte Dame und der junge Mexikaner gegenseitig beim Essen von ihrem Leben ohne sich zu verstehen. Samt obligatorischer Nazi-Vergangenheit. Dementsprechend verweist denn auch die böse Polizei den Jungen schnurstracks des Landes. Damit alles gut endet, gibt es noch Entwicklungshilfe dank freundlicher Überweisung der Rentengroschen.

So mögen wir unsere niedlichen Immigranten gerne: Freundliche Meringue-Tänzer, die für witzige alte Leutchen einkaufen gehen. Der sympathische und langweilige Held wird von Kristyan Ferrer mit viel Lächeln überdeutlich gespielt. So wie der Film mit viel Übertreibungen nichts erzählt.

27.1.15

Die letzten Gigolos

BRD 2014 Regie: Stephan Bergmann 91 Min. FSK: ab 0

Sie waren Animateure, bevor es diesen Begriff in der Urlaubs-Industrie gab: Die Eintänzer auf den Kreuzfahrtschiffen erfreuen einsame, ältere Damen mit gekonntem Gesellschaftstanz. In diesem Sinne sind „Die letzten Gigolos" betont nicht wirklich Gigolos, sondern hier zwei verwitwete Herren um die Siebzig, die ironischerweise ausgerechnet auf dem Fernseh- und Pleiteschiff MS Deutschland als Angestellte des Reeders den Tanzpartner geben. Peter und Heinz bitten formvollendet zum Tanz und erzählen zurückhaltend von ihrem Leben. Auch die Gäste kommen in dieser netten Dokumentation zu Wort: Mit ihren Lebensperspektiven, späten Lieben, Trennungen und Verlusten, gut montiert mit passenden Songs wie „Schöner Gigolo". Regisseur Stephan Bergmann gelingen einige schöne Momentaufnahmen von der Tristesse solcher Reisen, auch Blicke in den Bauch des Schiffes zu den anderen Angestellten. Diese kurzen Bild-Porträts sind oft reizvoller als die ausführlichen seiner Hauptfiguren, bei denen der Film freundlich zurückhaltend bleibt. Ganz wie Peter und Heinz, die immer die Grenze des Flirtens betonen. Oder gab es da doch noch mehr? Das muss man zwischen den respektvollen Bildern einer Kamera lesen, deren Anwesenheit den Protagonisten sichtlich immer bewusst war.

26.1.15

Die Böhms - Architektur eine Familie

BRD, Schweiz 2014 Regie: Maurizius Staerkle-Drux 87 Min. FSK: ab 0

Im Gegensatz zu anderen Dokumentationen zeigt „Die Böhms - Architektur eine Familie" keine Star-Architekten sondern eine bürgerliche Familie aus Köln, deren „Boss" genannter Patriarch Gottfried Böhm 1986 als bisher einziger deutscher Architekt mit dem Pritzker-Preis, dem „Nobel-Preis der Architektur" ausgezeichnet wurde. Der 94-jährige Boss, der immer noch zeichnet, mischt sich auch immer noch in die Architektur-Arbeiten seiner erwachsenen drei Söhne ein. Was überraschend, aber dann sehr rührend wirkt, wenn sie zusammen am Grabstein der Mutter arbeiten. Denn viel stärker als das Feiern der Architektur wirkt in der gelungenen Dokumentation zum Beispiel die Beziehung Böhms zu seiner mittlerweile dementen Frau, die während der Dreharbeiten stirbt. „Die Böhms - Architektur eine Familie" ist sehr persönlich, sehr nahe an den Menschen.

Der junge Regisseur Maurizius Staerkle-Drux war bereits mit der Familie bekannt, bevor er sich über zwei Jahre in sehr privaten Aufnahmen der außergewöhnlichen Familie näherte. Mit wundervollen Szenen, etwa wie der 94-Jährige Gottfried Böhm mit seinem älteren (!) Bruder im Garten Tischtennis spielt. Denn der Film hat auch einen eigenen, leichten Humor: So bemerkt „der Boss" nach der Besteigung seines eigenen, eindrucksvollen Treppenhauses, dass er nun eine Möglichkeit zum Hinsetzen braucht - „is' aber nichts", stellt er fest. Trotzdem ist auch ein halbes Jahrhundert nach der Fertigstellung dieses Rathaus in Bensberg noch ein modernes Gebäude. Einer seiner Söhne, Peter, befindet sich gerade im Streit um den Kölner Moscheen-Neubau, ein anderer baut ein Krankenhaus in China. Luftaufnahmen erfassen die Strukturen der markanten Betonbauten, doch so eindrucksvoll diese tatsächlich sind, diese Familie Böhm ist noch spannender.

Anderswo

BRD 2014 Regie: Ester Amrami mit Neta Riskin, Golo Euler, Hana Laslo, Hana Rieber 82 Min. FSK: ab 0

Ein „Wörterbuch für unübersetzbare Wörter" sammelt die Noa mit ihrer Kamera in Berlin. Ein Portugiese erklärt Saudage, die Sehnsucht. Für Noa ist es eher Unzufriedenheit, welche die Israelin zurück nach Tel Aviv bringt. Es gibt kein Stipendium mehr, der Freund Jörg, ein Trompeter, spielt in Stuttgart für einen neuen Job vor. Die Sinnlosigkeit des kalten Lebens in Berlin wird angesichts des lebendigen Familien-Gewimmels in Tel Aviv mit seiner salzigen Seeluft nachvollziehbar. Ebenso die Bedrohung durch die Raketen. Als Noas Oma ins Krankenhaus kommt, wird der kurze Besuch verlängert. Jörg reist überraschend hinterher.

Der Deutsche sieht groß und blond aus „wie Hitlerjugend", doch bis auf eine paar Herausforderungen an den deutschen Humor durch Noas Bruder ist deutsch-jüdische Geschichte zwar überall präsent, aber kein erdrückendes Thema. Zwar gilt es, eine Beziehung zu retten, doch die üblichen Dramen laufen eher nebenher mit in diesem Bilderbogen der Befindlichkeiten. Dass Noa und auch ihr Bruder Antidepressiva schlucken, wirkt symptomatisch, bleibt aber wie vieles andere nur ein angedeutetes Puzzlestück. Was nicht gegen den Film spricht, eher für eine offene, gut gespielte Erzählung von Gefühlen, für die es bei aller Suche in vielen Sprachen doch scheinbar keine Worte gibt. Dafür sympathische Stimmungen, Bilder und Momente.

25.1.15

Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit

USA 2014 Regie: Alejandro González Iñárritu mit Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Emma Stone, Naomi Watts 120 Min. FSK: ab 12


Being Michael Keaton

It's a bird. It's a plane. It's a Super-Film! Alejandro González Iñárritu („Biutiful", „Babel", „21 Gramm") führt Ruhm, Eitel- und Einsamkeit in einem filmtechnischen Kabinettstückchen vor, und gewährt „Batman" Michael Keaton damit ein postmodernes Comeback. Der großartige „Birdman" sprengt die Grenzen von Kino und Theater.

Der Absturz einen brennenden Teils aus dem All, ein im Lotus-Sitz schwebender Mann in einer heruntergekommenen Künstler-Garderobe. Schräg, aber erst der Auftakt einer wahnsinnigen Inszenierung: Riggan Thomson (Michael Keaton) war vor zwanzig Jahren in der Superhelden-Rolle des Birdman ein Hollywood-Star. Nun ist er auf den Broadway abgestürzt, wo er „echte Kunst", also Theater macht. Riggan adaptiert eine Raymond Carver-Kurzgeschichte für die Bühne, führt Regie und spielt auch noch die Hauptrolle. Wobei manchmal noch seine alten Super-Kräfte durchkommen, wenn beispielsweise dem unfähigen Mitspieler ein Scheinwerfer auf den Kopf fällt.

Noch mächtiger ist allerdings der „Birdman"-Regisseur Alejandro González Iñárritu mit seinen endlosen Kamerafahrten im und ums Theater samt Free Jazz Drum-Begleitung. Die Kamera führte Emmanuel Lubezki , der einen Oscar für „Gravity" erhielt. Dabei geht es nicht nur durch die langen Gänge hinter den Bühnen, es gelingen auch geniale Zeitsprünge wie einst bei Theo Angelopoulos. Riggan, der gerade noch allein in seiner Garderobe saß, sieht sich nach einer Kopfdrehung inmitten von Interviewern, die vor allem wissen, ob er noch einen Birdman drehen wird. Und während gerade noch die Neubesetzung Mike (Edward Norton) beeindruckte, ist nach einem dieser Gänge durch die Gänge des Broadway-Theaters der Saal plötzlich voller Zuschauer für die öffentliche Generalprobe.

So weit die faszinierende Form des Films. Inhaltlich macht Iñárritu den gleichen Gegensatz zwischen Hoch- und Pop-Kultur auf wie Ozons „Sils Maria". Nur ganz anders. „Birdman" geht in die Richtung von Charlie Kaufmans "Synecdoche, New York", dem intellektuell wahnsinnigsten Film aller Zeiten. Denn das Dauergrinsen angesichts all der kleinen, verrückten Einfälle und des großartigen Schauspiels in diesem Schauspiel steigert sich zu einem hellen Lachen, wenn klar wird, dass gleich drei der Hauptdarsteller Superhelden-Vergangenheiten haben: Ex-Batman Michael Keaton verließ die Batman-Geldmaschine exakt 1992, in dem Jahr, als auch Riggan Thomson mit Birdman aufhörte. Edward Norton war „The Incredible Hulk" und Emma Stone die Geliebte von „The Amazing Spider-Man". Sie spielt, auf ein weniger rekursives Handlungsniveau runtergebrochen, Riggans Assistentin und Tochter Sam, die gerade aus dem Drogenentzug kommt.

Da proben sie also in einem Kamera-Fluss ohne Unterbrechung das Stück nach Carver (dem Autor von Robert Altmans „Short Cuts") über die Liebe, streiten und befummeln sich auf der Bühne, prügeln sich hinter der Kulissen und immer ruft die Stimme in Riggans Kopf „Mach mir wieder den Birdman". Tatsächlich fliegt der gealterte Held in einer großen Action-Sequenz durch die Straßen New Yorks, muss aber auch in Unterhose hochnotpeinlich über den Time Square rennen. Ja, so tragisch all diese Schicksale der Schauspieler sind, die ernst genommen und geliebt sein wollen, der Film ist durchgehend komisch, in Handlung oder Inszenierung. Gleichzeitig gibt es haufenweise Special Effects und Action, die den Film ins Surreale abheben lassen.

Für die wunderbare Sekunden, in denen Keaton gebeten wird, das beängstigende Lächeln aufzugeben und seine Irritation für einen Moment die Gesichtszüge Achterbahn fahren lässt, für einen wunderschönen Streit mit einer gnadenlosen Kritikerin, die schon vorher weiß, dass sie sein Stück vernichten wird, für die nahtlos integrierten Traumszenen, für den Wahnsinn von „Shining" im Teppich, ja überhaupt muss man „Birdman" mehrmals sehen. Auch um mitzubekommen, wo die Schnitte in dieser endlosen Plansequenz versteckt sind. Da sie jedoch digital versteckt sind, ist das ein chancenloses Unterfangen und ein neuerlicher Grund, für noch eine Schleife in dieses außergewöhnliche Filmvergnügen einzutauchen.

Los Ángeles

BRD 2014 Regie: Damian John Harper mit Mateo Bautista Matías, Marcos Rodríguez Ruíz, Lidia García, Daniel Bautista 100 Min. FSK: ab 12

13 Schläge bei schwarzem Bildschirm - das ist das brutale Aufnahmeritual für Mateo (Mateo Bautista Matías) bei einer lokalen Gang in einem mexikanischen Dorf. Mateo will nach Los Angeles, sich aber dort auf die Hilfe der Gang verlassen. Um sich zu bewähren, soll der 17-jährige zuerst Geld aus der Kirche stehlen. Dann ein Mitglied der konkurrierenden Gang erschießen. Weil Mateo dies nicht kann, wird er selbst vom mörderisch halbstarken Anführer Marcos (Marcos Rodríguez Ruíz) verfolgt. Als ein anderer Junge des Dorfes, der bereits nach Los Angeles ist, sich dort gegen die Gang stellt und ins Gefängnis flieht, weil er um sein Leben fürchtet, soll das Mateo für die Familie eine Kaution über die Grenze bringen, doch bricht sich beim Rodeo ein Bein. Nun muss der kleine Bruder ran. Doch Marcos eröffnet Mateo, dass der Bruder mit der Reise auch die Schuld erben würde und an seiner Stelle sterben soll.

„Los Ángeles" spielt im kleinen, zapotekischen Dorf Santa Ana der Region Oaxaca im Süden Mexikos. Regisseur Damian John Harper lebte selbst dort und kennt die Menschen seit 13 Jahren. Auch der Cast stammt komplett aus Santa Ana del Valle, was hervorragend funktioniert. Ohne überzogene Dramatik, ohne einen pushenden Score glaubt man den Zwiespalt Mateos, die Konfrontation der alten Familienoberhäupter, der Mütter, die all diese Jungs großgezogen haben, mit diesen neuen „Kings", die sich jetzt mit Pistolen und Ami-Schlitten ganz anders groß fühlen. Ein kleines Dorf mit traditionellen Strukturen erlebt die Ausläufer der schockierenden Gang-Gewalt, von der man bei besonders großen Massakern noch etwas in den Nachrichten liest und die in eindrucksvollen Filmen wie „Heli" oder „Sin Nombre" widergespiegelt wird. „Los Ángeles" geht einen anderen Weg, wählt eine bescheidenere, aber authentischere Inszenierung, die nicht weniger packt und gleichzeitig in den echten Details, in den wahren Kulissen einiges mehr erzählt.

John Wick

USA, Kanada, VR Chin, 2014 Regie: Chad Stahelski, David Leitch mit Keanu Reeves, Michael Nyqvist, Toby Leonard Moore, John Leguizamo, William Dafoe 101 Min.

Noch ein Beweis notwendig, dass Hunde als Notnagel für Einsamkeit nicht taugen? John Wick (Keanu Reeves) ist ein gesetzter Ex-Killer, der schon Speck ansetzt. Dann stirbt seine Frau an einer Krankheit, ein ungezogener Gangstersohn klaut sein Auto, bringt als Höhepunkt der Bestialität auch noch Wicks Schoß- und Trosthund um. Das ist selbst für den coolsten Killer im Ruhestand zu viel und so bringt John Wick aus Rache den Rest des Films alles um, was sonst darin rumläuft.

Baba Jaga, nennt der russische Mobster-Boss Viggo Tarasov (Michael Nyqvist) nach einer mythischen slawischen Figur den Killer John Wick. Die flott eingeblendeten Übersetzungen machen den Boogeyman daraus, der unwiderruflich den Tod bringt. Das sieht in diesem Hochglanz-Schrott mit höchst langweiliger Ballerei überhaupt nicht mythisch und ziemlich banal aus, weil John Wick aus irgendwelchen Gründen allen anderen immer überlegen ist. Wobei nie klar wird, wieso er besser sein soll als die anderen. Außer dass Keanu Reeves ihn spielt. Doch Wick - noch ein Riesenfehler des Konstrukts - hat auch nichts mehr zu verlieren. Er geht die Rache sehr kalt an, sonst würde der Blödsinn ja nicht für fast zwei Stunden Film reichen.

Meistens interessiert sich die Kamera mehr für Autos und anderen materiellen Schrott als für die Figuren. Die Wohnung Wicks ist durchdesignt, der Anzug schick, das Haar immer gut gestylt. Alle Autos schleudern dauernd mit quietschenden Reifen durch die Kurven. Dazu als Dekoration eine unglaubliche Anzahl an mit rauer Rockmusik hochstilisierten Morden. Zur Erweiterung der Kampfzone zieht er in ein schickes Hotel nur für Killer. Auch aus dieser Idee holt der Film nichts raus, die Action-Choreografie ist mäßig. Dabei huldigte Reeves in seiner eigenen Regie-Arbeit „Man of Tai Chi" doch gerade den Martial Arts-Star Tiger Hu Chen.

„John Wick" ist einen Moment mal lustig, wenn ein Polizist nach einer großen Schießerei freundlich bei Wick anklopft, die Leichen sieht und sich dann ebenso freundlich mir verabschiedet. John Wick scheint nicht nur recht bekannt zu sein, er ist auch ein anständiger, ein ordentlicher Mann. So zelebriert der Film nicht nur sein Morden, sondern auch das Aufräumen hinterher. Die alten Bekannten wissen genau, welche Reinigungsdienste verlangt werden, wenn John „für eine Reservierung" anruft.

Noch einschläfernder als Wicks Medi Nait wirkt dieser tödliche Langeweiler in Hochglanzfotografie mit knalligen Farben - Gewalt in Blau, Trauer in Rot. Dabei ist „John Wick" verschwenderisch mit Charakterköpfen besetzt, unter anderem John Leguizamo und William Dafoe hätten ihre Zeit besser nutzen sollen. Schon lange gab es keinen derart simplen Film mehr. Ein Säulengang erinnert ganz fern an „Matrix" und macht ganz schön traurig angesichts dieses Niedergangs von Keanu Reeves.

20.1.15

Fräulein Julie (2014)

Norwegens, Großbritannien, Kanada, USA, Frankreich, Irland 2014 (Miss Julie) Regie: Liv Ullmann mit Jessica Chastain, Colin Farrell, Samantha Morton 129 Min. FSK: ab 12

Es wäre ganz böse zu sagen, Liv Ullmann war mal eine Drama-Queen: Tatsächlich steht die Norwegerin seit den Sechzigern und ihren Filmen mit Ingmar Bergman („Schande", „Persona") für intensivstes Drama und bestes Schauspiel. Nun, nach ihrem letzten Auftritt im Oscar-Kandidat „Zwei Leben" von Georg Maas, wechselte sie wieder hinter die Kamera und nahm auf, wie Jessica Chastain eine ähnliche Bravourleistung hinlegt. Ihre neue Verfilmung von „Fräulein Julie" zeigt die Tragödie von August Strindberg aus dem Jahr 1888 als großes Ausstattungs-Kino mit erlesener Besetzung.

Es ist das Machtspiel zwischen Herrin (Jessica Chastain) und Diener John (Colin Farrell), zwischen Mann und Frau. Doch das Spiel zur Mittsommernacht, das Über die Stränge-Schlagen wird nach dem Beischlaf zur gegenseitigen Zerfleischung. Das ungleiche Gespann treibt sich in den Wahnsinn. Fräulein Julie, die noch eine Schoßhündin umbringen wollte, weil diese mit einem Bastard trächtig war, reizte den Angestellten zu sehr und zergeht danach in Verzweiflung wegen möglicher Folgen. Dazu die zurückhaltenden Leiden von Johns Verlobter Kathleen (Samantha Morton), einer braven Köchin.

Das Kammerspiel vom Theater wird durch Kamera und Montage aus der schwedischen Küche auf die Dienstboten-Etage eines irischen Herrensitzes samt Außenaufnahmen ausgeweitet. (Den Dreh in NRW-Studios zu holen, gelang letztlich doch nicht.) Doch die Konfrontation bleibt intensiv und konzentriert. Leider hat Ullmann alles sehr konventionell inszeniert. Die dramatischen Figuren werden von Colin Farrell pflichtschuldig gut und von Jessica Chastain gewohnt eindrucksvoll gespielt. Samantha Morton gibt die selbstverleugnende Köchin mit starker Präsenz. Ein einziges eindrucksvolles Kino-Bild ist erst das letzte. Zwischendurch schreckt nur mal eine gewagte Untersicht auf, sonst ist „Fräulein Julie" sehr zurückgehaltenes Kino.

3 Türken und ein Baby

BRD 2014 Regie: Sinan Akkuş mit mit Kostja Üllmann, Kida Khodr Ramadan, Eko Fresh, Jytte-Merle Böhrnsen 98 Min.

Kommt ein Türke zum Apotheker. Fragt der Apotheker: „Haben Sie ein Rezept für dieses Iman?" Das ist zugegeben der allerblödeste Witz aus der wiederverwerteten Windel-Komödie „3 Türken und ein Baby". Doch viel besser wird es selten. Das klingt nicht nur, das ist auch wie die französische Erfolgskomödie „Drei Männer und ein Baby", die immerhin schon aus dem Jahr 1986 stammt und us-amerikanische Remakes erfuhr. Regisseur Sinan Akkuş mischt dem nicht wirklich bekömmlichen Fertigbrei etwas abgestandenes Multikulti unter. Doch raus kommt Cultur Clash mit dem Holzhammer. Die drei Titel-Türken, sehr unterschiedliche Brüder, die den Hochzeitskleiderladen der Eltern weiterführen, stehen vor der Zwangsräumung. Während Celal (Kostja Üllmann) gerade den Erlös des Familienschatzes verzockt, läuft ihm eine Ex übern Weg, die kurz darauf unterm Auto liegt. Der Rettungswagen vergisst den Buggy samt kleinem Kind und so wie es Komödien-Logik will, kommen die Türken an ihr Baby. Celal ist derart nicht auf Kleinkind eingestellt, dass er es schon mal auf dem Dach seines Mustang-Protzautos vergisst - beim Losfahren! Wenige Scherze gelingen wie dieser, die sowieso vorhersehbare Handlung entwickelt sich zäh und träge. Obwohl, träge ist viel zu nett: Dieser Film ist extrem lahm und das ist nicht witzig.

Empfehlung: Türke und Baby, das gab es tatsächlich witzig in Anno Sauls „Kebab Connection" mit Denis Moschitto und Nora Tschirner.

Ouija

USA 2014 Regie: Stiles White mit Olivia Cooke, Daren Kagasoff, Douglas Smith, Bianca Santos 89 Min.

Ein dreister und überlanger Werbeclip für ein hölzernes Brettspiel - mehr ist „Ouija" unglaublicherweise tatsächlich nicht: Ouija ist ein Brettspiel für Kinderzimmer-Séancen des Transformers-Herstellers Hasbro. Der Film dazu geht nicht mal als mäßiger, völlig schematischer Horror durch. Zwei beste Freundinnen spielten schon immer Quija, bis die eine in ihrem alten Haus mal alleine spielt und sich dann direkt erhängt. Klar, sie hat ja das Drehbuch gelesen und da ist es eine gute Idee, sich so schnell wie möglich aus dem Film zu verabschieden. Die übrigen vier Freunde müssen sich mit dem Horror abgegriffenster Phrasen und Situationen aus anderen billigen Schreckfilmchen herumschlagen. Sehr lieblos wurde etwas Handlung um die Schreckmomente herum gefilmt. Die Hochglanz-Fotografie schafft bei dauernden Wechseln von voll ausgeleuchtet zu dunkel keine Atmosphäre. Dazu austauschbare Schauspieler, die man gerne ganz schnell wieder vergisst. Wer so was ernsthaft im Kino gegen Bezahlung anbietet, muss tatsächlich ein dickes Spielebrett vor dem Kopf haben. Und nach der einschläfernden Auflösung - nicht „Mutter", sondern die böse Schwester war es - gibt es besonders dreist die Ankündigung einer Fortsetzung. Vielleicht diesmal mit Mensch-Ärger-Nicht-Karton. Nur eine gute Idee birgt diese Unverschämtheit: Man soll zur Lösung vom Fluch das Spielbrett verbrennen - möglichst vor dem Kauf.

19.1.15

Missverstanden

Italien, Frankreich 2014 (Incompresa) Regie: Asia Argento mit Giulia Salerno, Charlotte Gainsbourg, Gabriel Garko, Carolina Poccioni, Anna Lou Castoldi, Alice Pea 107 Min. FSK: ab 12

Asia Argento wird als Schauspielerin, Tochter und neuerdings auch als Regisseurin verehrt oder gehasst. Das erbte sie direkt von Papa Dario Argento, ein berüchtigter Horror- und Slasher-Regisseur aus Italien. So überrascht es nicht, das Asia Argento in ihrer dritten Regie „Missverstanden" eine Neunjährige zeigt, die hat einen berühmten Vater (Gabriel Garko) im Filmgeschäft hat und ein erfolgreiche, extrem exzentrische Pianistin als Mutter (Charlotte Gainsbourg). Die vernachlässigte Tochter heißt nicht Asia, sondern Aria (Giulia Salerno). Ihr Familienleben ist eine chaotische Hölle mit Streits und Trennungen. Die Momente ekstatischer Freude und Feiern sind mitten in den 80ern zeitweise so absurd, wie die Filme, in denen der eitle Papa spielt. Kein Wunder, wenn dann die Mädchen mit Barbie eine Vergewaltigung aus dem Film des Vaters nachspielen. Nach der Trennung der Eltern fliegt Aria immer wieder beim Vater raus und wird bei der Mutter und deren neuem Liebhaber nicht mehr reingelassen. Aria streunt als verstoßenes Kind nachts durch die Straßen, hat typischen Mädels-Spaß, macht sich die gleich Kurzfrisur wie die Freundin und raucht mit ihr auf der Schultoilette.

„Missverstanden" ist nach Asia Argentos düsterem, heftigem „The Heart is Deceitful Above All Things" aus 2004 eher ein Kinderversion der Geschichte vom verlorenen Mädchen oder verlorener Frau, wenn auch keineswegs kindgerecht. Der Film wirkt in der bunten, lebendigen Inszenierung meist leicht und reizvoll wie die Fantasie des Mädchens Aria, die dafür Preise gewinnt und immer wieder zur Erzählerin wird. Ein toller Soundtrack bringt zusammen mit den Kostümen die Zeitstimmung sicher rüber. Wild, leidenschaftlich, verrückt, chaotisch, so wie Asia Argento selbst immer spielt, ist ihre, sorry: Arias Mutter in „Missverstanden". Charlotte Gainsbourg überzeugt als haltlose Künstlerin mit schnell wechselnden Männern, die als Mutter völlig ungeeignet ist. Noch eindrucksvoller ist nur die junge Giulia Salerno als Aria. Großartig gespielt und exzellent geführt. Asia Argento, weist jeden autobiographischen Bezug zurück. Doch die grausam schöne Tragödie einer Kindheit endet mit dem Satz: „Ich habe euch das nicht erzählt, um mich als Opfer dazustellen, sondern damit ihr mich besser versteht. Und vielleicht seid ihr dann etwas netter zu mir."

Wir sind jung. Wir sind stark.

BRD 2013 Regie: Burhan Qurbani mit Jonas Nay, Trang Le Hong, Devid Striesow, Joel Basman, Saskia Rosendahl, Paul Gäbler 128 Min. FSK: ab 12

Wie aktuell doch dieser sagenhaft gute deutsche Film ist: Der hässliche Deutsche, dessen Foto bei der Menschenjagd von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 mit Fußball-Nationaltrikot, Hitler-Gruß und vollgepisster Jogging-Hose zur Ikone wurde, läuft jetzt unter dem Pegida-Deckmantel wieder durch die Straßen. „Wir sind jung. Wir sind stark.", der packende und schockende Spielfilm von Burhan Qurbani rekonstruiert in einer großartigen Inszenierung einen unglaublichen und dramatischen Tag in Rostock-Lichtenhagen.

Schon der „Morgen danach" zeigt die jungen Ausländerfeinde sehr stark: Kaum traut sich eine Polizeistreife um die Ecke, wird sie mit Steinen beworfen. Seit Tagen wird ein Ausländerheim mit hauptsächlich vietnamesischen Gastarbeitern der ehemaligen DDR von Neo-Nazis belagert, von Linken beschützt und von der Polizei bewacht. Die braven Bürger schauen mit einem Bier in der Hand interessiert zu. Stefan (Jonas Nay) ist einer der Rechten, folgt treu seinem Freund Robbie, einem geschickten, frechen und charismatischen Manipulator, der aus Spaß Stefans Vater Martin (Devid Striesow) bis zur Ratlosigkeit provoziert. Dass der ein erfolgreicher SPD-Politiker ist, macht die Situation noch tragischer. Zentral im Verlauf dieses Tages bis zum Anzünden der Ausländer-Wohnungen ist der Versuch von Martin, seinen Sohn Stefan da rauszuziehen. Viel zu spät. Striesow zeigt den rundlichen, schlaffen Politiker mit großer Verzweiflung ungeheuer eindringlich.

Auf der anderen Seite versucht die vietnamesische Arbeiterin Lien (Trang Le Hong) trotz der manifesten Drohungen, ein Leben in Deutschland aufzubauen, während ihr Bruder alles packt, um zurück zu ziehen. Sie findet es normal, dass ein kleines Mädchen der Kollegin sie „Schlitzi" nennt, „sie hat es ja nicht so gemeint". Aber es gibt auch den Moment, in dem die hilfsbereite, nette, gedemütigte Lien aus Angst um den Job ihre deutsche Kollegin nicht mehr deckt.

„Wir sind jung. Wir sind stark." zeigt mit großer Sicherheit die verschiedenen Milieus, wobei sich immer wieder Überraschungen ergeben. Sehr nuanciert, komplex in den Zusammenhängen, genau in Umfeldern und den Psychologien der Personen. Von intensiven privaten Diskussionen bis zu großen Massenszenen in historischer Kulisse gelingt dabei alles. Mehr als einmal erinnert in der Kamera-Führung von Yoshi Heimrath an die Virtuosität von Ballhaus bei Scorsese. Das Schwarz-Grau der Bilder wandelt sich am schlimmsten der fünf Belagerungs-Abende - der ist in Farbe und breitem Cinemascope, „weil hier Action ist".

Immer spielt das Verhältnis zu den Eltern oder älteren Brüdern der Jung-Nazis eine Rolle. Und auch noch eine nächste Generation stellt sich auf: Die Kinder, die in den Trümmern das Leergut suchen und Steine zum Schmeißen finden. Wobei die Schläger sind auch immer Geschlagene sind - eine Täter-Analyse, die sicher für Diskussionen sorgen wird. Doch unabhängig wie das Psychogramm einer Gesellschaft zwischen DDR und „Freiheit", zwischen Internationale und Nazi-Schlager, wie die Abfolge „Urgroßvater Faschist, Großvater Kommunist, Vater Demokrat, Sohn ..." bewertet wird, dieser ruhige Countdown zur Katastrophe ist filmisch exzellent. Und wirkt entsetzlich aktuell: Mit den Zuschauern, die den fliehenden Ausländern applaudieren und singen „Muss i denn zum Städle hinaus"

Boyhood (Wiederaufführung)

USA 2014 Regie: Richard Linklater mit Ellar Coltrane, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Lorelei Linklater 164 Min.

Mit drei Hauptpreisen bei den 72. Golden Globe Awards (Patricia Arquette als Beste Nebendarstellerin, Richard Linklater für Beste Regie sowie den Film als Bestes Filmdrama) und sechs Nominierungen für die Academy Awards wird der Langzeit-Spielfilm „Boyhood" weiter gefeiert. Der deutsche Verleih bringt ihn diese Woche noch einmal in die Kinos.

Regisseur Richard Linklater („Before Midnight") begleitete von 2002 bis 2013 den anfangs sechsjährigen Mason (Ellar Coltrane) über zwölf Jahre bis zum Eintritt ins College. Linklater will das echte Leben einfangen, indem er seinen Hauptdarsteller eine zwar fiktive, aber im wahrsten Wortsinn ungeschminkte Biografie zeigt. Mason, der Sohn eines getrennten Paares (Patricia Arquette, Ethan Hawke) erlebt darin die verschiedenen Männer der alleinerziehende Mutter Olivia, eine konstant egozentrische Schwester, die erste Liebe und schließlich die große Sinnfrage. Verbunden mit dem Reiz, bekannten Gesichtern beim Altern zuzusehen, ist das Experiment, dass Truffaut ähnlich mit seinen Antoine Doinel-Filmen gelang, hier etwas zu lang geraten.

Es gibt viele Arten, „Boyhood" zu sehen, der auch voller Insider-Scherze steckt: Der zeitgemäße Song „Oops!...I Did It Again" trifft auch auf Linklater zu, der es schon wieder tat, nämlich eine Langzeitbeobachtung in Film verpacken. Wobei die andere langjähre Film-Ehe von Ethan Hawke unter Regisseur Linklater, die „Before ..."-Reihe, als pure Fiktion dichter und näher am Leben bleibt. Hier floss eine Menge echtes Leben über die Drehbuch-Mitarbeit der Hauptdarsteller Hawke und Julie Delpy ein.

The Imitation Game

Großbritannien, USA 2014 Regie: Morten Tyldum mit Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Rory Kinnear , Charles Dance, Mark Strong 114 Min.

Es ist kein Rätsel mehr, wer die Computer erfand: Alan Turing hat sich bei der Entschlüsselung der deutschen Dechiffrier-Maschine Enigma diesen Ruhm verdient. Obwohl seine entscheidende Entwicklung eher eine sehr große, sehr teure Rechenmaschine war. Aber halt auch genial. Die tragische Lebensgeschichte des heimlich homosexuellen Turings und die spannende Entschlüsselung der Enigma als kriegsentscheidendes Rätsel erzählt diese Biographie nach Andrew Hodges' Buch „Alan Turing: The Enigma" mit dem großartigen Benedict Cumberbatch („Sherlock") in der Hauptrolle.

Wir nähern uns dem verrückten Wissenschaftler Alan Turing (Benedict Cumberbatch) im Jahr 1951 von außen mit einem Polizisten, der alles sehr verdächtig findet. Vor allem, dass es keine Unterlagen darüber gibt, was Turing während des Krieges getan hat. Das ist tatsächlich ein Rätsel - in jeder Hinsicht. Als mathematisches Genie wird der 27-jährige Turing 1939 für eine geheime Militär-Aktion in Bletchley Park verpflichtet. Zehntausende versuchen dort den Code der legendären Enigma-„Schreibmaschine" zu knacken, mit dem jeder deutsche Funkspruch verschlüsselt wird. Zwar haben die Briten ein Exemplar der Enigma klauen können, doch es gibt 150 Trilliarden Möglichkeiten, den Code einzustellen. Zudem wird dieser immer um Mitternacht gewechselt. Ein mit traditionellen Methoden der Code-Knacker unmögliches Unterfangen.

Turing hingegen will eine Maschine gegen die Maschine einsetzen. Eine Idee, die sowohl Vorgesetzte wie Mitarbeiter ablehnen. Nicht hilfreich ist zudem das Verhalten des autistischen Einzelgängers Turing, der weder Witz noch Ironie versteht. Erst die Freundschaft mit der ebenfalls hochintelligenten Mitarbeiterin Joan Clarke (Keira Knightley) ändert vieles. Mit etwas weiblichem Einfühlungsvermögen gewinnt er die Freundschaft seiner Kollegen, die ihn vorher gehasst haben. Joan wird Turing schließlich auch nach einem herrlich nerdigen Antrag heiraten, ohne ihr zu sagen, dass er schwul ist.

Der Erfolg der Christoph genannten Maschine ist schließlich kein Triumph. Ein Passagierschiff, auf dem sich der Bruder eines der Code-Knacker befindet, darf nicht vor den U-Booten gerettet werden, weil sonst die Wehrmacht wüsste, dass Enigma entschlüsselt wurde. Trotzdem soll die Entwicklung Turings den Zweiten Weltkrieg entschieden und 14 Millionen Menschenleben gerettet haben. Das Schicksal des Genies verläuft in der Parallel-Erzählung dagegen tragisch: Der schwule Sonderling wird von einem Liebhaber verraten und verurteilt. Die zwangsweise Hormonbehandlung gegen die „Krankheit Homosexualität" zerstört die Persönlichkeit Turings, er kann nicht mal mehr ein einfaches Kreuzworträtsel lösen. Ein Jahr später beißt er in einen Apfel mit Zyankali.

Man braucht ein paar Minuten, um Benedict Cumberbatchs Sherlock Holmes aus dem Kopf zu bekommen, aber dann glaubt man seinem Turing alles - die Unsicherheiten, die Arroganz, die Konzentration. Er geht völlig in dieser Person auf. Und die ist denn auch spannender als die Code-Knackerei. Turing wird als einer gezeigt, für den das normale Reden schon ein Code war, „weil die Menschen nie sagen, was sie meinen". Immer wieder trifft ihn der menschliche Mechanismus, dass jemand der anders ist, ausgegrenzt, verspottet, schikaniert und körperlich misshandelt wird. So verdächtig man selbstverständlich Turing als ersten, als es wohl einen russischen Spion in der Abteilung gibt. Dabei ist Turing selbst oft ein gefühlloses Monster. Das vor allem Angst davor hat, dass man ihm seinen Freund Christopher, die Maschine, wegnimmt.

Baymax

USA 2014 (Big Hero 6) Regie: Don Hall, Chris Williams 102 Min. FSK: ab 6

San Fransokoyo heißt die Zukunfts-Stadt im neuen Zeichentrick von Disney und dementsprechend findet sich eine Menge japanischer Einfluss in dem Abenteuer eines nerdigen Waisen, der durch einen mysteriösen Unfall auch noch seinen älteren Bruder verliert.

Der 13-jährige Hiro treibt sich in dunklen Kneipen rum, wo er mit einem kleinen, aber raffinierten Kampfroboter die Bot Fighting-Szene abzockt. Zum Missfallen der großen und wütenden Wettkönige. Wieder einmal muss Hiros älterer Bruder Tadashi den ziellosen Teenager retten. Als Tadashi als Alternative dem kleinen Genie seine Freunde am Forschungslabor vorstellt, ist klar: Hier gehört Hiro hin. Doch während der Wissenschafts-Show, auf der Hiro mit einem sich immer wieder verändernden Schwarm-Roboter erfolgreich seine Bewerbung abgibt, stirbt Tadashi in einer riesigen Explosion. Nun will der trauernde Hiro gar nichts mehr. Erst Baymax, ein von Tadashi entworfener Krankenpfleger-Roboter, der aussieht, wie ein riesiges Marshmellow, kann ihn wiederbeleben. Und mit einer genial von Hiro designten Ausrüstung verstärkt Baymax auch ein neues Team von jugendlichen Möchtegern-Superhelden, die sich gegen einen Super-Schurken wehren.

Nach dem Motto „Von nun an wird zurückgezeichnet" beantwortet Disney die jahrzehntelange Beeinflussung durch japanische Animations-Stile. Das gelingt überraschend gut, auch weil die Geschichte vor ein paar Superhelden-Albernheiten erst einmal die Gefühlslage des kleinen Helden Hiro auslotet. Trauer und Einsamkeit werden vom Film ebenso ernst genommen, wie vom Erste-Hilfe-Roboter Baymax. Dessen Penetranz im Versorgen und Beschützen sorgt für eine gute Dosis Humor. Und viel Gefühl, denn die freundliche Aufblasfigur hat nicht nur eine immense Datenbank an Heilmethoden, sondern auch riesige Arme zum Umarmen und ein Öfchen zum Wärmen. Dabei können wir auch warmwerden mit der Vision eines Pflegeroboters, denn vor allem in Japan testet man schon Maschinen, die Freund und Helfer alter Menschen werden sollen.

Ästhetisch ähnelt Baymax mit der gesichtslosen, weißen Körperhülle der futuristischen EVE aus „Wall-e". Die Disney-Zeichner zauberten auch hier wieder viel Charakter auf die glatte Fläche. Die Menschen in „Baymax" verweisen zwar mit großen Augen und dicken Haarsträhnen auf japanische Anime-Vorbilder, doch auch dieses Element wurde harmonisch gelungen integriert.

Am Ende muss Hiro auch mit seinen Rache-Gelüsten kämpfen. Und der Film mit einem aufwändigen, lauten aber auch ziemlich gewöhnlichen Action-Finale. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Programmierung von Baymax ihn hindert, Menschen zu verletzen. Das ist doch mal eine reizvolle Alternative für alle Action-Filme und auch die Auseinandersetzungen der realen Welt! Die Lehre dabei: Verlust und Trauer können einen zum Oberschurken machen. Aber man kann sie auch kreativ anders bewältigen.

13.1.15

Patong Girl

BRD, Thailand 2014 Regie: Susanna Salonen mit Aisawanya Areyawattana, Max Mauff, Victoria Trauttmansdorff, Uwe Preuss 89 Min. FSK: ab 6

Der Weihnachtsurlaub einer braven deutschen Familie mit zwei erwachsenen Söhnen landet wegen überbuchter Hotels im Rotlicht-Viertel Bangkoks, wo sich der sehr jung aussehende Sohn Felix in die Einheimische Fai verliebt. Erst als er den Rückflug sausen lässt und mit Fai im Bus in ihre Heimat im Norden sitzt, erfährt Felix, dass Fai vor ihrer Geschlechtsoperation ein Mann war. Die große Verwirrung des heftig verliebten Jüngelchens läuft parallel zum Ausbruch der furchtbar dominanten Mutter, die vor ihrer etwas vertrockneten Ehe abhaut.

Dieses „Kleine Fernsehspiel" vom ZDF, das Spielfilmdebüt der Dokumentaristin Susanna Salonen, transportiert die wichtigen Dinge ganz deutlich über den Dialog. Doch diese anfängliche Unterforderung der Zuschauer wandelt sich mit der chaotischer werdenden Handlung in ein leichtes Vergnügen am Auseinanderbrechen der Touristen-Klischees. Es ist nett, dass Felix selbst zumindest in seinen thailändischen Sprach-Fetzen eine Geschlechter-Verwirrung an den Tag legt und penetrant die weibliche Form des Danke-Sagens benutzt. Und auch die alte Thai-Frau ganz im Norden des Landes, Fais Oma, macht auf Thai klar, dass sie bereits fünf Sprachen spricht und nicht noch Englisch lernen will. Wir verstehen das über Untertitel, sind also nicht nur auf der Seite der Touristen. Diese reizvolle Perspektivverschiebung macht den kleinen Gender-Road- und Reise-Film sehenswert.

12.1.15

Unbroken

USA 2014 Regie: Angelina Jolie mit Jack O'Connell, Domhnall Gleeson, Garrett Hedlund, Finn Wittrock 137 Min. FSK: ab 12

Niemand, aber wirklich niemand, würde nach uninformiertem Durchleiden des knackigen, altmodischen Kriegs- und Heldenfilms „Unbroken" auf die Idee kommen, dass dieser von Angelina Jolie inszeniert wurde. Ganz ohne den paternalistischen Blödsinn von den friedliebenderen Frauen (siehe Gegenbeispiel Kathryn Bigelow) - Jolie ist Sondergesandte des UN-Flüchtlingshochkommissars und ihr erster Spielfilm „In the Land of Blood and Honey" war eine schwer erträgliche, aber engagierte und gelungene Anklage der serbischen Greuel gegen Frauen während des Bosnien-Krieges. Doch nun: Kriegsfilm, Luftschlacht, ein Lobgesang des Durchhaltens und Zähnezusammenbeißens. Denn wir US-Amerikaner sind ja doch die wahren Übermenschen und lassen uns von den japanischen Unmenschen nicht kleinkriegen!

Louis Zamperini ist der italienische Einwanderer, der schon als Kind schikaniert und gequält wurde. Doch er stand immer wieder auf und lief schnell und immer schneller, bis er - schon begleitet von den Durchhalteparolen des älteren Bruders - als sensationeller Läufer reüssiert. Bis zu den Olympischen Spielen von Berlin 1936 schafft es der Sunnyboy Zamperini (Jack O'Connell). Nur nach Tokyo zu den nächsten kommt er nicht, dafür reist Louis mit B 52-Bombern nach Japan. Der 2. Weltkrieg, von dem der Film nur in einer Szene japanische Opfer zeigt, verlangt den amerikanischen Jungs viel ab. Nach einer Bruchlandung im Pazifik treiben sie 47 Tage im Schlauchboot zwischen Wind und Wellen und Haien, bevor japanische Soldaten die letzten beiden Überlebenden festnehmen. Nun wird das Gefangenenlager unter einem sadistischen Aufseher (Miyavi) zur wahren Hölle. Der verhinderte Samurai mit dem weichen Gesicht hat es aus unerfindlichen Gründen besonders auf den ehemaligen Laufstar Zamperini abgesehen.

So weit, so oft schon gesehen. „Furyo - Merry Christmas, Mr. Lawrence" mit David Bowie sowie David Leans „Die Brücke am Kwai" zeigten die berüchtigte Härte japanischer Gefangenenlager. Ganz aktuell erinnert wieder (nur noch nicht in Deutschland) „The Railway Man" mit Colin Firth an den traumatischen Bau der Eisenbahnlinie. Bei Angelina Jolie, die tatsächlich gut inszenieren kann, sieht das alles sehr gut aus (Kamera: Roger Deakins), selbst die 36er-Olympiade in Hitlers Berlin.

Doch beim martialischen Durchhalten, das im Gegensatz zu anderen Flucht- und Ausbruchs-Filmen keine Nachrichten über den Kriegsverlauf und keine Hoffnung kennt, regiert ein völlig einseitiges Monster ohne Persönlichkeit hinter der Maske. Nun wird dieser wahrscheinlich dämonisch geplante Aufseher durch den japanischen Popstar Miyavi nicht besonders talentiert gespielt. Ganz anders 1983 bei „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence" von Nagisa Ōshima: Ryūichi Sakamoto verkörperte neben David Bowie den aus schwuler Selbstverleugnung sadistischen Hauptmann Yonoi und komponierte auch die Musik. Beides gelang damals besser und vor allem vielschichtiger. Während „Unbroken" sadistische Quälereien ausführlich zeigt, scheint für Blicke ins Innere der Figuren kein Interesse vorhanden zu sein. Es reicht, dass der echte Louis Zamperini, der 2014 hoch betagt starb, staatlich anerkannter Volksheld ist. Diesen Fehler einer schön aussehenden, aber uninteressanten Nichtigkeit von Film (nach Laura Hillenbrands Roman „Unbroken" / „Unbeugsam") konnten selbst die Coen-Brüder als Drehbuch-Doktoren nicht verhindern.

Amour Fou

Österreich, Luxemburg, BRD 2014 Regie: Jessica Hausner mit Birte Schnöink, Christian Friedel, Stephan Grossman, Sandra Hüller, Katharina Schüttler 96 Min. FSK: ab 6

Verrückt, diese Tat und verrückt, dieser Film. Der Doppel-Selbstmord des Dichters Heinrich von Kleist (1777-1811) mit Henriette Vogel (1780-1811) am Wannsee ist (Literatur-) Geschichte. Verschroben und leicht verschoben aus dem normalen Blickwinkel sind in der Nacherzählung der Österreicherin Jessica Hausner nicht nur die stark durch ihre Dialoge definierten Figuren. Wie bei David Lynch, beengt und bedrückend, stehen und sitzen sie in kleinen Kammern. Die Kostüme passen nicht richtig, in den Räumen beißen sich die viele Dekors. Die Regisseurin nennt ihre komplett nachgebauten Sets denn auch „Seelenräume". Oder ganz banal „seltsame Settings".

Der erst posthum „groß" gewordene Kleist (Christian Friedel) kommt dabei nicht gut weg. Das Verhältnis zu Goethe bereits gespannt, hausiert er kindlich trotzig mit seinem Todes-Wunsch. Allerdings so die Auserwählte mit ihm aus Liebe sterben wollen. So erhält er auch von der braven Gattin und Mutter Henriette (Birte Schnöink) erst eine Abfuhr. Doch als diese an einer mysteriösen Krankheit leidet, möchte sie auch ihr Leben beenden. Das ist dann zwar nicht aus Liebe, was zu kuriosen Verstimmungen führt...

Nach „Lourdes" (2009), „Hotel" (2004) und „Lovely Rita" (2001) ist „Amour Fou" der vierte Film, der bemerkenswerten Regisseurin Jessica Hausner. Und wieder deutlich ein Kunstwerk, in dem es nicht um reale Personen geht. Hausner bezeichnet das tragische Treffen als Versuchsanordnung einer unmöglichen Liebe bis in den Tod. Kurios, auf seltsame Weise unterhaltsam und einzigartig ist das Ergebnis.

The Gambler

USA 2014 Regie: Rupert Wyatt mit Mark Wahlberg, John Goodman, Brie Larson 111 Min.

Alles auf Schwarz! Das ist nicht nur eine der Wahnsinns-Aktionen des notorischen Spielers Jim Bennett (Mark Wahlberg), wenn er schnell beim Black Jack zusammen gezockte Zigtausend mit einem Schlag wieder verliert. „Alles auf Schwarz" ist auch Lebenseinstellung des mit Wohlstand, Intelligenz, literarischem Talent und gutem Aussehen gesegneten Literaturdozenten Jim Bennett. Das Musterbeispiel einer Person, die alles hat und es schafft, sich alle Probleme der Welt an den Hals zu holen. Dies gepaart mit selbstmörderischem Draufgängertum.

Damit erntet der Mann im Anzug mitleidige Blicke beim koreanischen Boss des illegalen Kasinos, belustigt interessierte beim afroamerikanische Kredithai und faszinierte von der eleganten, junge Kellnerin Amy Philips (Brie Larson). Faszinierend auch seine Literatur-Vorlesung, die den Fragen nach Talent, Ruhm oder Erfolg
mit einer rücksichtslosen Offenheit nachgeht. Mit der nun verhuscht wirkenden Frau Philips als einzigem Talent der Klasse. Doch bevor jetzt Romantik ausbricht, schafft es Bennett, sich bei gleich drei Kredithaien mit 260.000 Dollar zu verschulden. Eine Summe, die seine schwerreiche Mutter Roberta (kurz und eindrucksvoll: Jessica Lange) noch ein letztes Mal für ihn bar von der Bank abhebt. Worauf der Spieler die Tasche voller Geld sofort wieder verzockt.

Sieben Tage bleiben Bennett und dem Film, die Schuld zu begleichen, wobei Regisseur Rupert Wyatt seine Schuld aus „Planet der Affen: Prevolution" mit einem ein Film von derartig dichter Figurenzeichnung begleicht, dass die üblichen Wendungen, dass dies Befürchtungen um die verfolgte Hauptfigur unwichtig werden. Selbst das Gespräch des nihilistischen Dozenten mit dem Basketball-Star der Schule, der nur pro forma in Literatur nicht durchfallen darf, geht in die Tiefe zweier Lebensentwürfe.

Doch keiner bringt die Situation des lebensmüden Zockers so auf den Punkt wie John Goodman, nackt, glatzköpfig und fett in großartiger Sauna-Szene als Geldverleiher und Analytiker Frank. Mit nur einer weiteren großen Szene ist Goodman allein den Filmbesuch wert. Mark Wahlberg überrascht angenehm unmuskulös als gleichzeitig geschliffener Intellektueller mit schmierigem und respektlosem Gehabe. Doch vor allem die Figur, die nicht aufhört, bis sie verliert und dabei lächelt, ist stark. Starker Toback, James Toback schrieb das Original-Drehbuch „Spieler ohne Skrupel" zum gleichnamigen Film von Karel Reisz aus dem Jahr 1974. Nur schade, dass dies Remake bis zum Finale in der Höhle des Löwen immer konventioneller wird.

Annie (2014)

USA 2014 Regie: Will Gluck mit Quvenzhané Wallis, Cameron Diaz, Jamie Foxx, Rose Byrne 118 Min.

Zu vermelden ist neben einem anständigen Remake des „Annie"-Filmmusicals aus dem Jahre 1982 vor allem ein zweiter sensationeller Auftritt von Quvenzhané Wallis. Das zwölfjährige Mädchen hat schon in der Indie-Urgewalt „Beasts of the Southern Wild" als Hushpuppy begeistert und beeindruckt nun jenseits des Grabens im Hollywood-Hochglanz mit sympathischer Erscheinung und super Gesangsnummern.

Wer die Lieder der 80er-Annie noch im Ohr hat, ist sofort begeistert. Denn wenn auch Handlung und Umgebung eines New Yorks mit städtischem Leihrädern voll modernisiert sind, Nummern wie „It's The Hard-Knock Life" reißen immer noch mit. Etwas ernster in der rührseligen Geschichte des Waisenkindes Annie ist der Wandel nicht nur ihrer Hautfarbe. Auch der nur anfangs menschenfeindliche Millionär Will Stacks (Jamie Foxx), der Annie hier aus Publicity-Gründen aufnimmt, ist Afroamerikaner und will Bürgermeister von New York werden. Er verteilt gratis Mobiltelefone seines Medienkonzerns, gibt sich volksnah, hat aber genauso viel Angst vor Bazillen wie vor seinen Mitmenschen. Da kann nur die Annie helfen mit ihrer immer positiven Lebenseinstellung und ihrem (fast) nie versiegenden Optimismus. Jeden Freitag wartet sie geduldig vor dem italienischen Restaurant, in dem sie als Baby gefunden wurde, doch die Chance, dank Starks aus der Betreuung der biestigen Miss Hannigan (Cameron Diaz) zu entkommen, ergreift das gewitzte Mädchen sofort.

Angetrieben von der bekannten Musik unterhält das Musical-Märchen in Schwarz und Weiß ausgezeichnet. Wenn die Handlung zu vorhersehbar wird, sind immer noch reichlich kleine Details zu entdecken oder im Vergleich zu bemerken: „Hard-Knock Life" läuft nun beispielsweise mit modernen Wischmobs und selbstverständlich mit Mülltrennung ab. Gesellschaftskritischer wirken deutliche Hinweise, dass diese Gratis-Handys nur private Informationen klauen wollen. Wobei die Totalüberwachung sich bei der finalen Verfolgungsjagd als Glücksfall erweist. Im Gegensatz zur Inszenierung, die hier dann doch billig wird.

Es bleiben die netten kleinen Lebensweisheiten Annies: „Ich glaube, wenn Menschen Nein sagen, haben sie nur Angst, Ja zu sagen." Dass man so etwas ohne Schreikrampf akzeptiert, liegt auch an der Überzeugungskraft von Quvenzhané Wallis. Sie wird im Medienrummel - des Films - ein schon zu großer Star, einige der Sanges-Nummern wirken vielleicht zu professionell. Aber vor allem sind sie sehr, sehr gut gemacht. Selbstverständlich gibt es - wie immer bei heutigen Remakes - viele bunte, schnelle Schnitte, viele Effekte und Multimedia, dafür weniger Raum für den Charme der Hauptdarstellerin. Am Rande überzeugen auch Cameron Dias komödiantisch als heruntergekommene und versoffene Ex-Sängerin, Jamie Lee Foxx als Medien-Mogul mit dem Herz am rechten Fleck und als seine herzliche Assistentin sehr bemerkenswert, Rose Byrne, der junge Star aus „Damages". Allerdings wird man sich an all diese Menschen einmal erinnern, als „die in einem Film von Quvenzhané Wallis mitgespielt haben."

Schändung

Dänemark, BRD, Schweden 2014 (Fasandræberne) Regie: Mikkel Nørgaard mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Pilou Asbæk, David Dencik, Danica Curcic 120 Min. FSK: ab 16

Auch die zweite Jussi Adler-Olsen-Verfilmung nach dem hoch spannenden Krimi „Erbarmen" legt mit einer schockenden Gewalttat den Ton gleich zu Beginn fest: Dies ist kein Wohlfühlfilm. Obwohl - weshalb gehen eigentlich so Filme Menschen in solche Filme voller widerlicher Ereignisse und Figuren? Zum Unwohlfühlen? Womit wir bei den „dunklen Seiten" der Menschheit wären, die auch dieser dänische Thriller in Tradition seiner skandinavischen Genre-Verwandten genüsslich angewidert ausleuchtet.

Die „Idiotenkiste", die wirre Sammlung von Notizen und Spuren eines ehemaligen Ermittlers, dessen zwei Kinder ermordet wurden und der sich umbrachte, kurz nachdem er den eigenbrötlerischen Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) kontaktierte, führt das Kopenhagener Sonderdezernat Q nach Griffenholm, in ein Elite-Internat der dänischen Industriellen. „Der Säufer und der Araber" werden Carl und sein Assistent Assad (Fares Fares) genannt. Oder auch Kellerasseln, weil sie in ihrer Abstellkammer für ungelöste Fälle hocken und bisher nur einmal spektakulär Erfolg hatten. Diesmal enttarnen sie Reiche und Mächtige, die hinter schicken Lebensfassaden ihren Sadismus an wehrlosen Menschen ausleben und diese dann höhnischerweise mit sechsstelligen Summen zum Schweigen bringen. Da auch der Polizeipräsident zu diesen Zirkeln gehört, sorgen die Nachforschungen für Unruhe. Für Unruhe und Spannung, denn packender als die Frage, wer damals der Täter war, ist die aktuelle Sorge um noch lebende Beteiligte und Zeugen.

Auch diese Verfilmung eines dänischen Romans von Jussi Adler-Olsen („Fasandræberne" / „Schändung") erzählt auf zwei Zeitebenen: Die der Tat und die der Ermittlungen - mit gekonnten Wechseln zwischen den jungen und alten Figuren, die auch mal, wie im ersten Teil, anachronistisch in nur einer Szene auftauchen. Es ist Kimmie (Danica Curcic), die solche Visionen hat, und diese Figur gibt dem nicht mehr überraschenden Krimi einen besonderen Reiz. Ihre Perspektive ist die einer ehemaligen Anhängerin der perversen Internats-Spielchen, der die Gewalt zu viel wurde und die jetzt vor ihrem damaligen Geliebten fliehen muss. Die herumstreunende Kimmie erscheint seelenverwandt mit Carl, der auch keinem Menschen mehr traut. Sie legt zudem eine zupackende Aggressivität an den Tag, die an Lisbeth Salander aus den Millennium-Filmen erinnert.

Da treffen „Die purpurnen Flüsse" in mörderischem Sadismus auf Schlöndorffs Verfilmung von Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß". Das ist bedrückend und düster. Aber genau das ist ja gesuchtes Markenzeichen vieler skandinavischer Krimis. Doch über das schauerliche Ergötzen an üblen Hobbies mächtiger Menschen hinaus erzählt „Schändung" nicht viel mehr. An Entwicklungen ist höchstens zu vermelden, dass der einsame, sozial scheue Workaholic Carl nach neuen traumatischen Erlebnissen wohl noch verstörter sein wird, wobei bei seiner verschrobenen Ermittlerfigur bereits der Lack des Neuen abgeblättert ist. Trotzdem liegt die Stärke auch dieses dänischen Films bei der Figurenzeichnung und den Schauspielern. Also ein überdurchschnittlicher Thriller, auch wenn das wieder außergewöhnlich angelegte End-Szenario nicht an die Hochdruck-Hochspannung des ersten Teils heran reicht.

10.1.15

Farm der Tiere als Hörspiel live im Mörgens Theater

Zum Schreien

Entsetzter Spaß an virtuoser Klang-Erzeugung

Aachen. Das Mörgens-Theater präsentierte Donnerstagsabend George Orwells immer noch hochaktuellen Roman „Farm der Tiere"als ambulantes Hörspielstudio in einer Theaterfassung von Peter Hall. Die Bretter, die Welt bedeuten, schrumpften bei der Premiere zum langen Tapeziertisch voll akustischer Requisiten. Torsten Borm, Björn Jacobsen und Felix Strüven - in sozialistischem Kostüm-Gleichschritt - evozierten in einer wahren Multitasking-Tour de Force mit jeweils über zehn verschiedenen Rollen tierischen Schrecken und vergnügten mit artistischer Klangerzeugung.

Wie man mit Moulinex-Zwiebelhacker, Tennisschläger, Xylophon, mehreren Bierflaschen mit Plöpp-Verschluss, Kokosnuss-Schalen, vielen Zewa-Papiertüchern und an die hundert anderen Gegenständen eine britische Farm aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Lebens rufen, gackern, wiehern und schreien kann, ist schier unfassbar. Ebenso wie die Revolution der Tiere in George Orwells im Jahr 1945 erschienenen Roman „Farm der Tiere" (Originaltitel: Animal Farm).

Man hätte bei der Inszenierung von Eike Hannemann (Dramaturgie: Gesa Lolling) die Augen schließen können und sich wie beim guten Hörspiel leicht in den Stall und das Herrenhaus der Farm oder in den Pub „Roter Löwe" eines britischen Ortes hineinversetzen. Dann wäre einem aber die großartige Mimik der drei Akteure und ihrer multiplen Rollen entgangen. Denn außer den oft umwerfend komischen Stimmlagen boten sie herrlich komisches Schauspiel. Zum Beispiel Felix Strüven, der dieses unechte Hörspielformat-Format schon früher mit Krimiinszenierungen lustvoll bot, als sehr eitle und sehr dumme Stute Mollie. Oder Torsten Borm, der in sekundenschnellen Wechseln sowohl das Diktatoren-Schwein Napoleon als auch seinen Widersacher aufleben ließ. Doch auch Entsetzen erklang im ausverkauften Mörgens und fuhr in Mark und Gebein, als die Tiere ihren zum Schinken gewordenen, revolutionären Vordenker Old Major (= Marx und Lenin) entdeckten. Trotz vordergründig lustiger Ton-Produktionsmittel erzählt die „Farm der Tiere" auch in dieser Form sehr wirkungsmächtig die bittere Parabel vom politischen Niedergang guter Ideen.

Es hätte gar nicht der manchmal an Pferde-Haaren herbeigezogenen Aktualisierungen, welche die Farm der Tiere etwa zu einem Bio-Bauernhof machen, bedurft, um die immer noch eindrucksvolle Aktualität des Stoffes vom „1984"-Autoren George Orwell mitzubekommen. „Farm der Tiere" ist nicht nur die alte Geschichte von Sozialismus, Kapitalismus und Kommunismus, in der deutlich Stalin mit seinen Vernichtungsfeldzügen gegen das eigene Volk zu erkennen ist. Es ist auch das immer wiederkehrendes Prinzip von Revolutionären, welche später die Sahnetorte von innen auffressen. Bis man Schweine auf zwei Beinen und im Frack Zigarren rauchen sieht. Was trug eigentlich der zigarren-paffende „Sozialist" Schröder für einen Anzug?


Aufführungsdauer ca. 1 Stunde, 45 Minuten.
Folgende Termine für weitere Aufführungen im Mörgens stehen bereits fest: 17., 24. Januar, 14. Februar

7.1.15

96 Hours - Taken 3

Frankreich 2014 (Taken 3) Regie: Olivier Megaton mit Liam Neeson, Forest Whitaker, Maggie Grace 109 Min. FSK: ab 16

Keine Kinowoche ohne Liam Neeson! So scheint es. Die Präsenz des körperlich so präsenten Schauspielers in 2014 ist eindrucksvoll: „Ruhet in Frieden - A Walk among the Tombstones", „Dritte Person", „Non-Stop" und am Rande in „A Million Ways to Die in the West". Leider versaut ausgerechnet der Abschluss der Action-Trilogie „Taken", die er ebenso geprägt hat, wie sie sein Image, mit viel zu hektischen Schnitten das Vergnügen Liam Neeson zu sehen.

Selbstverständlich muss nach den Entführungen in den beiden ersten Teilen aus den Jahren 2008 und 2012 wieder brutale Gewalt in die ungeschützten Familienkreise eindringen. Doch nach einem ersten harten, schnellen Teaser gibt es vor allem lange nur Familien-Geplänkel rundum Papa, Ex-Mann und Geheimdienstler Bryan Mills (Liam Neeson). Endlich - ist man versucht zu sagen - verabschiedet sich Famke Janssen als Ex Leonore und als Leiche aus dem Film und man darf mit dem vor der Polizei flüchtenden Mills rätseln, wer ihm die Ermordete ins Bett gelegt hat.

Auf der Flucht löst Mills den geschickt eingefädelten Hinterhalt auf, was lange wesentlich weniger brutal als bisher verläuft. Ein wenig Folter für den neuen Mann der Ex muss dabei erlaubt sein. Was jetzt kein ironischer Kommentar zu Geheimdienst-Praktiken ist - dieser Film nimmt alles sehr ernst. Und hat ernsthafte Probleme beim Schnitt: Schon das Aufblitzen bis zur Unkenntlichkeit verrissener Bildstücke im Vorspann nervte. Wenn Bryan nun selbstverständlich bei einer Verfolgungsjagd auf die Gegenfahrbahn gerät, ist der größte Geisterfahrer wieder die Montage. Der Schnitt verläuft für den puren Hektik-Effekt so chaotisch, dass es egal ist, in welcher Richtung die Autos unterwegs sind. Gerade die Action-Szenen werden dadurch unspannend und der Film verspielt den großen, auch finanziellen Aufwand der Luc Besson-Produktion sowie durchaus vorhandene witzige Momente. Ganz abgesehen von der eindrucksvollen Präsenz von Neeson, die total zerschnibbelt wird. Dabei sind einige Momente sehr spektakulär wie der Flicflac eines Containers quer zur Fahrtrichtung.

Oder Bryans Flucht durch einen Aufzugschacht ... mit dem Auto! Wobei sich nicht nur der halbwegs interessant gezeichnete Kommissar Franck Dotzler (Forest Whitaker) fragt, wie der „alte Mann" Bryan das gemacht hat. Außer bei Szenen des schönes Spiels zwischen den in ihren obsessiven Routinen sehr ähnlichen Vater und Tochter enttäuscht „96 Hours - Taken 3" so sehr. Bryan Mills lässt seine Verfolger mal raffiniert wie begossene Pudel zurück, aber vor allem sorgt er für viel Materialschaden, wenn KFZ wie Bomben explodieren oder ein Flugzeug von einem Auto gerammt wird. Mills legt im eifrigen Killen von Killern ein begrenztes Multitasking an den Tag, links würgen, rechts schießen, aber der Action-Film, der nicht auf dem Stand des Genres ist, leistet in seiner vorhersehbaren Einförmigkeit solche Doppeldeutigkeiten niemals. Er ist enttäuschend, nicht nur weil man von einem Trilogie-Abschluss etwas Besonderes erwartet.

6.1.15

The Best of me - Mein Weg zu Dir

USA 2014 Regie: Michael Hoffman mit Michelle Monaghan, James Marsden, Liana Liberato, Luke Bracey, Gerald McRaney mit 118 Min. FSK: ab 12

Nach einem schweren Unfall mit wundersamer Rettung fragt Dawson Cole (James Marsden) sich, wo er im Leben steht, welcher Mensch ihm nah ist. Auch seine Jugendliebe Amanda Collier (Michelle Monaghan) ist in ihrer Ehe unglücklich. Dann bringt auch noch das Ableben und eine Erbschaft eines gemeinsamen väterlichen Freundes die beiden zusammen. Nach ein paar Szenen ist es quälend vorhersehbar, war Sache ist und was passieren wird. Die Rückblenden über zwanzig Jahre hinweg in die Jugendzeit zeigen den geprügelten Jungen aus einfachen Verhältnissen und mieser Familie, der sich in die Schul-Schönheit aus reichem, konservativen Hause verliebt.

Nicholas Sparks ist nach „Safe Haven - Wie ein Licht in der Nacht", „Mit dir an meiner Seite", „Wie ein einziger Tag" oder „Message in a Bottle" ein Markenzeichen für weichgezeichneten, heftigen Gefühls-Ausfluss. „The Best of me - Mein Weg zu Dir" hat wieder alle Anzeichen eines Sparks-Anfalles ohne Hoffnung auf Besserung. Dabei fallen die jungen Darsteller des Paares extrem ab, sie haben weder Charme noch Charisma, zudem ähneln sie ihren alter egos überhaupt nicht.

„The Best of me - Mein Weg zu Dir" erweist sich also als typische Nicholas Sparks-Schmonzette, deren Ablauf schon nach wenigen Minuten klar ist. Das lässt ihr Zeit, wie in einer Telenovela, jede, aber auch jede dramatische Wendung, die sich einer großen Liebe in den Weg stellen kann, anzukarren (Buch: J. Mills Goodloe, Will Fetters). Genau so, wie es ausgerechnet dieser Regisseur Michael Hoffman in seiner herrlich gemeinen Satire „Lieblingsfeinde – Eine Seifenoper" vorgeführt hat. Doch das war vor 23 Jahren, und ebenso wie man das alte Liebes-Paar nicht in dem jungen von vor 21 Jahren erkennt, ist von Michael Hoffman satirischem Ansatz nichts mehr übrig geblieben.

Let's be Cops - Die Party Bullen

USA 2014 Regie: Luke Greenfield mit Jake Johnson, Damon Wayans jr., Rob Riggle, Nina Dobrev, Andy Garcia 105 Min. FSK: ab 12

Frustrierte, Arbeitslose und Gescheiterte, die nur durch eine Uniform Selbstwertgefühl und Lebensfreude bekommen. Das klingt eher nach Blockwart als nach Komödie. Dazu setzt sich der Film von Luke Greenfield, bekannt vom schrägen „Animal - Das Tier im Manne" (2001), genretechnisch gleich zwischen einige Stühle.

Ryan (Jake Johnson) und Justin (Damon Wayans jr.), zwei Freund und Verlierer in Los Angeles. Der erfolglose Game-Programmierer Justin und der verhinderte Football-Profi Ryan sind mittlerweile dreißig, noch Single und wohnen zusammen. Als sie einen Maskenball mit einem Kostümfest verwechseln und frustriert in ihren Polizei-Verkleidungen heimgehen, erfahren sie plötzlich geballtes Interesse aller Frauen und nicht gekannte Achtung der Männer. Ein schöner Traum, der zumindest in Ferguson zurzeit nicht funktionieren würde. Aber die beiden Verlierer sind begeistert, kaufen sich auch noch einen Polizeiwagen auf Ebay und sind nun für einige alberne Situationen im Einsatz. Sowohl im Zickenkrieg als auch beim Einbruch im Heimwerker-Laden unterliegen sie, aber haben viel Spaß. Bis sie sich ernsthaft mit echten Gangstern anlegen, die ihnen schon vorher die Schrottkiste zerbeulten. Und dann tritt auch noch Andy Garcia als korrupter Polizei-Chef auf...

Schon die Grundidee von „Let's be Cops - Die Party Bullen" wirkt extrem dämlich und albern, in den besten Momenten ist die mäßige Komödie einfach bescheuert. Dazu soll auch noch eine richtige Gangster-Geschichte für Spannung sorgen und einige sehr überzogene Scherze ließen sich - zum Glück - nicht glattbügeln. Aber statt echt anarchischem Humor, statt nur Andeutungen einer schwulen Partnerschaft, gibt es nicht mehr als ein Spin-Off, einen späten Ableger der „Police Academy"-Klamotten. Allerdings sind ausgerechnet die echten, extrem glorifizierten Polizisten seltsam tabu. So wird jede mögliche Zielgruppe bedient und irritiert.

5.1.15

Die süße Gier - Il capitale umano

Italien, Frankreich 2013 (Il capitale umano) Regie: Paolo Virzì mit Valeria Bruni Tedeschi, Serena Ossola, Fabrizio Bentivoglio, Valeria Golino, Fabrizio Gifuni, Giovanni Anzaldo 110 Min. FSK: ab 12

Der Tod eines Radfahrers war schon in dem gleichnamigen spanischen Film von Juan Antonio Bardem aus dem Jahre 1955 Katalysator für eine gesellschaftskritische Demontage mächtiger und „besserer" Kreise. Nun ist das fast beiläufige in den Graben und ins Grab Fahren eines Kellners durch einen jungen Autofahrer Anlass für einen Reigen über menschliche Begierden und den Wert eines Lebens. Regisseur Paolo Virzì überträgt den us-amerikanischen Roman „Human Capital" („Der Sündenfall") von Stephen Amidon auf italienische Verhältnisse.

Der kleine Mailänder Immobilienhändler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio) ist ein Clown, ein alberner Bückling, der das Verhältnis seiner Tochter Serena (Matilde Gioli) zu dem reichen Söhnchen Massimiliano Bernaschi (Guglielmo Pinelli) ausnutzen will, um an den vielversprechenden Spekulationen von dessen Familie teilzuhaben. Der gierige Dino lässt sich nur zu leicht reinlegen und 700.000 Euro abknöpfen, die er eigentlich gar nicht hat. Doch der aalglatte Giovanni Bernaschi (Fabrizio Gifuni) verspekuliert sich. Gleichzeitig wird ein Kellner nach einer Schulfeier von Serena und Massimiliano mit dessen lächerlich protzigem Jeep totgefahren.

Wir erleben diesen groben Ablauf der Ereignisse aus drei verschiedenen Perspektiven, die vom kleinen, gierigen Dino, von der reichen, frustrierten Gattin Carla Bernaschi (Valeria Bruni-Tedeschi) und schließlich die von Serena. Was „Die süße Gier" nicht nur lange mit der Frage nach dem Täter spannend hält, sondern auch inszenatorisch sehr reizvoll, wenn an den Knotenpunkten, die Handlung, die man bereits einmal gesehen hat, im Hintergrund verläuft.

Letztendlich geht es beim Bewerten und Staunen über die moralischen Entscheidungen Einzelner auch um die Frage, was ein Mensch wert ist, was ein Leben. In den Berechnungen von Versicherungs-Mathematikern lässt sich das tatsächlich auf Zahlen und Beträge runterbrechen und die abschließende Gleichung des Films ist schockierend bis obszön.

Doch dieser Film, mehr Gesellschafts-Analyse als Krimi, gibt nicht allen Figuren genügend Tiefe. Oder vielleicht können nicht alle Schauspieler mit dem Material ihre Figuren beleben. Am deutlichsten ist dies sichtbar bei Valeria Bruni Tedeschi in der Rolle einer devoten, dummen aber braven Ehefrau, die eher aus Langeweile ihre alte Theater-Leidenschaft mit kulturellem Mäzenatentum und einer Affäre verbindet. Doch Bruni Tedeschi - nebenbei auch eine ausgezeichnete Regisseurin - gibt diese reiche Betrüger-Gattin mit soviel Leiden, Verzweiflung und gleichzeitig auch Würde, dass hier niemand von einem Abziehbild oder Klischee redet. Dem jungen, sensiblen, in schwierigen und kriminellen Verhältnissen aufgewachsenen Luca Ambrosini, der wahren Liebe von Serena, kann der Schauspieler Giovanni Anzaldo dagegen nicht diese Glaubhaftigkeit geben. Also auch hier das Unrecht von arm und reich ... Begnadeten.

St. Vincent

USA 2014 Regie: Theodore Melfi mit Bill Murray, Melissa McCarthy, Naomi Watts, Chris O'Dowd, Jaeden Lieberher 103 Min. FSK: ab 6

Bill Murray wird heilig gesprochen - und darf endlich noch einmal in einer echten Hauptrolle richtig die Sau rauslassen! Bis zum Abspann ein sehenswerter Einsatz als „Bad Sitter", auch wenn die Handlung am Ende viel zu nett wird.

Ein Baby-Sitter, der seinen zwölfjährigen Schutzbefohlenen mit in Strip-Bars und zur Pferderennbahn nimmt, ihm dazu auch noch erklärt, wie er seinem fiesen Mitschüler die Nase brechen soll... Der heruntergekommene Vincent (Bill Murray) ist ein Grauen für Eltern und ein grandioses Vergnügen auf der Leinwand. Ein alter Griesgram aus Brooklyn und ein herrlich asozialer, saufender und herumhurender Außenseiter. Sowie ein Meister des Aneckens, sei es beim Bankpersonal, das ihm seine Pleite erklärt, oder bei der neuen Nachbarin Maggie (Melissa McCarthy). Die landet nach einer Trennung mit ihrem Adoptivsohn Oliver (Jaeden Lieberher) vor allem verzweifelt in der Nachbarschaft. Ihr Ex ist Anwalt, deshalb muss Maggie viel zu viel arbeiten und Oliver vernachlässigen. Der gewitzte, aber kleine Junge muss wiederum ganz auf sich gestellt mit der neuen Schule, Mobbing und Quälgeistern zurecht kommen.

In all das passt Vincent so herrlich gar nicht hinein: Als Oliver im Sportunterricht Klamotten, Geld, Schlüssel und Handy geklaut wurden, strandet er beim Nachbarn - trotz dessen Widerstands. Bis Maggie spätabends nach Hause kommt, kann der mürrische Alte nur angebliches Sushi zum Essen anbieten. Es sind die Sardinen seiner geliebten Katze. Dies immerhin ein erstes Zeichen eines großen Herzens hinter der rauen Schale. Es kommen noch einige, teils sehr rührende hinzu, sodass Oliver seinen großen Freund am Ende in einem Schulvortrag als Heiligen des Alltags vorstellt, als St. Vincent...

Diese Entwicklung hört sich nun schlimmer an, als sie tatsächlich im Kino erlebt wird. Das liegt zum einen an einer lebendigen Handlung, die noch eine schwangere russische Prostituierte (Naomi Watts), einen nur begrenzt geduldigen Geldeintreiber und einen atemberaubend komischen wie unorthodoxen Priester (Chris O'Dowd) untermischt. Vor allem aber sind all diese Rollen exzellent besetzt und ausgespielt im Debütfilm des ehemaligen Werbemannes Theodore Melfi. Melissa McCarthy („Tammy - Voll abgefahren", „The Nines") hält ihr Ulknudel-Potential mächtig zurück, Naomi Watts („Diana", „Tödliche Versprechen - Eastern Promises", „King Kong") glänzt erneut mit russischem Dialekt und kaum wiedererkennbar mit glaubwürdiger Verkörperung der schwangeren Prostituierten Daka. Chris O'Dowd macht aus seinem Kirchenmann Brother Geraghty lustvoll einen klugen, offenherzigen Unterstützer Olivers, dem Religion erfrischend egal ist. Die Krönung ist selbstverständlich Bill Murray, der eine sagenhafte Szene nach der anderen unvergleichlich hinlegt. Nur für ihn lohnt sich der Film und man muss ihn eigentlich mehrmals sehen, um zu entscheiden, welcher Moment besonders toll ist. Ein Favorit ist der Abspann (auch auf YouTube), in dem Murray Bob Dylans „Shelter From the Storm" singt ... na ja: mitspricht.

Das entschädigt für ein sehr harmonie-süchtiges Ende mit eigentlich schön ungewöhnlicher Patchwork-Familie, bei der die Außenseiter zu sehr gerade gebogen wurden. Das geriet zwar rührend, aber auch zu brav.