26.12.06

Nachts im Museum


USA 2006 (Night at the Museum) Regie: Shawn Levy mit Ben Stiller, Carla Gugino, Robin Williams 108 Min. FSK: ab 6
 
Schöne Idee: Nachts werden all die Exponate, die Wachsfiguren und die ausgestopften Tiere eines Naturkunde-Museums lebendig. Und mitten drin der Komödiant Ben Stiller. Der garantiert, dass der Familienfilm nicht extrem dramatisch gerät. Und da man sich im Museum der Filme mit ganz vielen Spezialeffekten neben "Jumanji" einreihen will, können sogar die Kinder mit ins Kino. Ist doch besser, als wenn sie sich in Museen rumtreiben...
 
Papa Larry (Ben Stiller) hat Probleme mit seinem Sohnemann. Der droht abzudriften, weil der neue Freund der Mutter so ein Börsenheini mit reichlich Elektronik am Ohr und am Gürtel ist. Also braucht Larry auch einen "vernünftigen" Job und bewirbt sich beim Naturkundemuseum. Direkt bekommt er einen Posten als Nachtwächter und direkt die erste Schicht. Als alle Türen verschlossen sind, eröffnet der Dinosaurier die Jagd auf den völlig verblüfften Neueinsteiger. Das riesige Skelett will allerdings nur Stöckchen holen, während die Mongolen rauere Spielchen drauf haben. Dann nehmen eine römische Armee und ein Western-Dorf Larry in die Zange, schießen Kugeln und Pfeile ab - zum Glück sind es nur Miniaturfiguren. Langsam dämmert es dem gehetzten Aufseher, dass er besser das Handbuch gelesen hätte, wo ausführlich drin steht, wer wie besänftigt werden kann. Auch der in Wachs verewigte US-Präsident Teddy Roosevelt (Robin Williams) erweist sich als väterlich strenger Helfer. Die hinterhältigen Gemeinheiten des gemeinen Kapuzineräffchens kann allerdings auch er nicht stoppen.
 
Im Museum ist eine Menge los - zumindest wenn die wenigen Besucher weg sind! Inmitten der reichhaltigen Abenteuerchen, der viel Ein- und Überfälle von allen Seiten, muss sich Larry bewähren, muss er "endlich mal was zu Ende bringen", wie überdeutlich wiederholt. Drei Nächte hat er, um die Anerkennung seines Sohnes zu gewinnen, eine Kollegin zu interessieren und ein paar Ganoven zu stoppen. Ben Stiller gibt mit gebremsten Klamauk den Sympathieträger, sein Kumpel Owen Wilson ist als Mini-Cowboy auch wieder dabei. Doch eine Hauptrolle spielen die Spezialeffekte, die alles was nicht niet- und nagelfest ist, wild animieren. Das erstaunt schon nicht mehr so wie noch bei "Jumanji", Unterhaltung ohne Nachwirkungen ist allerdings gesichert.

25.12.06

Farce of the Pinguins


USA 2007 (Farce of the Penguins) Regie und Buch: Bob Saget, mit Samuel L. Jackson, Christina "Dumpfbacke" Applegate, James Belushi, Whoopi Goldberg, Mo'Nique 77 Min.
 
Hängen euch die Pinguin-Filme auch so zum Hals raus wie vorgekaute Fische? Dann noch dieser als geniales Gegengift. Die Wahrheit über das Leben der Pinguine ist komischer als alle Trickfilme zu dem Thema zusammen. Man stelle sich vor, Oliver Kalkofe und Otto stolpern über einige Rollen Pinguin-Dokumentarfilm. Da sie schon gut betrunken sind, machen sie, was man mit diesen Tierfilmen immer machen möchte. Sie synchronisieren den ganze Kram neu und das nicht zimperlich. Zum Umwerfen komisch!
 
Alljährlich machen sich die Pinguin-Männer auf den Weg zum Futter und marschieren dann hundert Kilometer zurück zu ihren Frauen. Wenn man gerade eine Religion vorm Aussterben retten will, dann lässt man sie esoterischen Quatsch reden wie in "Reise der Pinguine". Wenn man hören will, was Pinguine wirklich denken, darf man nicht "Happy Feet", man muss "Farce of the Penguins" sehen.
 
Carl (Bob Saget) and Jimmy (Lewis Black) wandern zusammen und quasseln ununterbrochen. Carl leidet unter Midlife Crisis während die Lady ihre eigenen Probleme haben. Melissa (Christina Applegate) und Vicky (Mo'Nique) finden, die Männer sind Schweine. Außer Sydney, der ist schwul. Carls letzte hat ihn verlassen, weil sie ein größeres Haus wollte. Die Vorgängerin ging wegen einer anderen Frau und die vorher, weil er nicht koscher gegessen hat.
 
"Ich sehe was, was du nicht siehst und es ist .... schwarz-weiß!"
In den ersten Minuten erzählt Samuel L. Jackson von Schamhaaren, die man sich um die Beine wachsen lassen sollte, weil es dort an der Antarktis sooooo kalt ist. Dann scheißt eine Möwe direkt auf die Kamera und man weiß so ungefähr, ab man im richtigen Film ist. Wenn man vermenschlicht, dann richtig. Mit Rülpsen, flötenden Marschliedern, Beschwerden über die Hintergrundmusik und einer Schneeeule (James Woods) als Psychoanalytiker. Pinguine unterhalten sich nicht nur über den Fisch, den sie gerade rauf oder runter würgen. Sie streiten sich auch mal mit dem Erzähler, dem herrlich angeödeten Samuel L. Jackson - nicht Morgan Freeman wie bei der "Reise". Der Regisseur Bob Saget spricht selbst den Woody Allen-Charakter Carl (und war auch schon bei "Madagaskar" als Stimme dabei). Und - es geht nicht ohne - dann sind da auch die Lieder, mindestens ein völlig überzogenes Liebesduett muss in solchen Filmen drin sein.
 
Kurz tauchen auch zwei französische Pinguine auf, die sich den Film auf einem Flachbildschirm mitten im Eis ankucken und sicher sind, dass ihnen niemand den Oscar nachmachen wird. Aber weitaus mehr Spaß haben, als mit dem völlig überschätzten Geflügel-Salat.

Der weiße Planet


Kanada/Frankreich 2006 (La Planète Blanche) Regie: Thierry Ragobert, Thierry Piantanida 81 Min. FSK: o.A.
 
Liegt es vielleicht an unserer Klimakatastrophe, an den schmelzenden Polkappen, dass Pinguine und Eisbären mit ihren "Happy Feet" die Kinos überschwemmen? Nachdem "Die Reise der Pinguine" als Sensations-Erfolg auch einen Oscar bekam, werden Pingu & Co. wohl bei der nächsten Verleihung alle Darstellerpreise abräumen. Eine Parodie ist mittlerweile auch schon gedreht, "Farce of the Pinguins". Die eher "klassische" Tier-Doku "Der weiße Planet" schwimmt mit auf dieser Welle, ist aber in Bild und Schnitt eher ein kleiner Fisch.
 
Die brave Dokumentation zeigt die Jahreszeiten am Nordpol und wie die Tiere dort damit zurechtkommen. Eindrucksvolle Aufnahmen einer Eisbären-Mutter mit ihren Säuglingen in der Winterhöhle machen klar, dass hier der ewige Wechsel der Tier-Filmer mit ausgefallenen Perspektiven auffallen will. Immer mal wieder versteckt sich die Kamera unter dem Schnee, es geht unter Wasser zu den Narwalen mit ihrem mythisch wirkenden Horn, und zu weißen Belugas, die blicken, als seien sie nicht von dieser Welt. Die ersten Schritte eines Rentieres bis zum eindrucksvollen Zug zehntausender dieser Tiere in der Tundra gehören noch zu den beeindruckenden Momenten des Tierfilmchens.
 
Ansonsten wird in etwas mehr als einer Stunde am Nordpol und um ihn herum Tierleben bunt durcheinander gemixt, wieder begleitet von pseudo-poetischem Gesülze auf der Tonspur, wenn auch nicht ganz so schlimm wie in der "Reise der Pinguine". Reizvoll dabei die Musik von Bruno Coulais mit den Originalstimmen einiger Inuit. Was den Fan von Sielmann, Grzimek und Co. allerdings tief trifft, ist eine seltsame Selbstzensur der Macher: Tierkinder sind immer einfach da und Essen holen sich die Viecher wohl im Supermarkt. Bei dieser blutarmen, prüden Sicht der Dinge wird man demnächst die Kinder noch eigenhändig aufklären müssen. Wer die atemberaubende BBC-Produktion "Deep Blue" kennt, wird diese Doku auch als Resteverwertung ansehen.

Déjà Vu - Wettlauf gegen die Zeit


USA 2006 (Déjà Vu) Regie: Tony Scott mit Denzel Washington, Paula Patton, Val Kilmer 127 Min. FSK: ab 12
 
Denzel Murmeltier
 
Das hab ich doch schon mal gesehen? Das Kino von heute ist mit seinen Remakes und dem Übergewicht von Effekten bei Missachtung von Ideen eine Zeitmaschine ins Gestern. Doch Produzent Bruckheimers Science Fiction funktioniert über lange Zeit auch anders rum: Man vergisst die Zeit und findet sich gut unterhalten plötzlich zwei Stunden in der Zukunft wieder.
 
Ganz wie Tom Cruise in "Minority Report" jongliert diesmal Denzel Washington mit den Bildern einer totalen Überwachung. Als ATF-Agent Carlin versucht er den Bomben-Anschlag auf eine vollbesetzte Fähre aufzuklären. Wissenschaftler des FBI gewähren dem erstaunten Kriminologen Einblick in die Vergangenheit. Mit ein wenig Raumzeit-Krümmung (und einigen Stromausfällen) können sie genau vier Tage und sechs Stunden zurückblenden. Und in diesem vergänglichen Zeitfenster frei umherblicken. Doch wie soll man einen unbekannten Täter finden, wenn einem die Zeit schon wieder durch die Finger rinnt. Carlin verfolgt hautnah jeden Schritt von Claire Kuchever (Paula Patton), die kurz vor dem Unglück vom Täter ermordet wurde. Dabei entdeckt er nicht nur den (amerikanischen und patriotischen) Bombenleger sondern auch Gefühle für Claire. Klar, dass irgendwann die Grenze überschritten wird - Carlin lässt sich in die Vergangenheit teleportieren.
 
Auch Regisseur Tony Scott stößt mit seiner Ästhetik bei diesem Sci Fi-, Action- und Liebesfilm eine neue Tür auf: Die Bilder der Schiffskatastrophe sind derart hyperrealistisch, dass 3D schon greifbar scheint. Im trauernden Regen, der sich über das Wrack und die Opfer legt, wirkt jeder Tropfen inszeniert. Die Gischt in Zeitlupe gleicht einer Komposition. Nach beeindruckender Werbe-Ästhetik zum Einstieg übernimmt Denzel Washington als effektiver und sympathischer Ermittler Carlin die Aufmerksamkeit. Neben verblüffendem Science Fiction sorgen Action-Einlagen für anhaltende Spannung. Sehr originell eine rasante Verfolgungsjagd, bei der Carlin dem Täter zwar an der Stoßstange klebt, sie aber zeitlich doch über vier Tage voneinander entfernt sind. Während er mit einem Auge den Verkehr (nicht richtig) im Auge behält, blickt das andere über ein Helm-Set in die Vergangenheit!
 
Ein paar mal erreicht der Film eine reizvolle Verknotung von Gehirnwindungen, wenn man versucht den Krümmungen des Raums und der Logik zu folgen. Ganz wie bei "12 Monkeys" schickt der Held Nachrichten per Anrufbeantworter an sein zukünftiges (vergangenes?) Ich. Doch danach wurde Terry Gilliams noch besser, während Tony Scott hier die Action-Maschinerie einschaltet. Jetzt erkennt man "Deja Vu" als schon oft gesehenes Bruckheimer-Produkt wieder. Doch das Wiedersehen mit einem zu allen Zeiten genialen Denzel Washington bringt einen gut über das letzte Drittel des Films.

21.12.06

The Wind That Shakes The Barley


Großbritannien, Frankreich, Irland 2006 (The Wind That Shakes The Barley) Regie: Ken Loach mit Cillian Murphy, Liam Cunningham 124 Min.
 
Der siebzigjährige Ken Loach analysiert in dem diesjährigen Cannes-Sieger "The Wind That Shakes The Barley" den irischen Befreiungskampf auf erschütternde wie packende Weise und zeigt, dass es bei all diesen blutigen Auseinandersetzungen keine "Guten" geben kann. Mit "The Wind That Shakes The Barley" schaut der Brite Ken Loach nach nebenan, analysiert und dramatisiert drastisch den Kampf der Iren gegen brutale britische Kolonialisten. Aber auch den Niedergang der Utopie einer sozialistischen irischen Republik lässt der alte Kämpfer an der filmischen Rotfront nicht aus.
 
Im Irland des Jahres 1920 beginnt es harmlos mit einem Hockey-Spiel der Männer auf dem Feld. Weil dabei mehr als eine Handvoll Männer versammelt sind, eine verbotene Veranstaltung unter dem britischen Regime. Und so endet das Spiel mit dem brutalen Todknüppeln des jungen Ire, der sich die Schikane und die Erniedrigungen der englischen Soldaten nicht mehr gefallen ließ, der sich weigerte, seinen irischen Namen englisch auszusprechen. Nach nur zehn Minuten will man nie wieder einen britischen Pfund in London oder sonst wo im British Empire ausgeben. Nach einer halben Stunde ist man bereit, alle Queen Mum- und Princess Diana-Tassen dieser Welt zu zerschmettern, so wirkungsvoll lässt Loach sein Publikum, die Unterdruckung, die Folter und die Exekutionen erleben!
 
Doch "The Wind That Shakes The Barley" (der Titel entstammt einem Gedicht von Robert Dywer Jones) ist kein verlogenes Hollywood-Märchen von Unterdrückung und Befreiungskampf. Mit dem jungen, engelsgesichtigen Mediziner Damien (Cillian Murphy) fühlt man auch, was es heißt, Menschen für die eine oder andere politische Direktive umzubringen, wie sehr die Seele daran verkrüppelt, wenn das große Ziel den Mitmenschen zu eliminierbaren Spielfiguren macht. Nicht nur die frühe IRA und die Briten bringen sich und die Menschen dazwischen um. Später - als die Briten Irland (nicht Nord-Irland!) schon verlassen haben - geht das Morden zwischen den Fraktionen der Befreiungskämpfer weiter, klassisch angelegt im Kampf zwischen Damien und seinem älteren Bruder Teddy (Pádraic Delaney).    
 
So wie man Ken Loach aus vielen anderen Filmen wie "Land and Freedom", "My Name is Joe" oder "Carla's Song" kennt, nehmen auch diesmal das Engagement für die Unterdrückten, der liebvolle und auch genaue Blick mit. (Erneut förderte die Filmstiftung NRW einen Ken Loach-Film.) Historische Genauigkeit zeichnet "The Wind That Shakes The Barley", diesen zeitweise konstruiert wirkenden Loach aus, etwa darin, nicht die jungen britischen Soldaten als Bösewichte zu zeichnen, sondern die herrschende Schicht der Ausbeuter verantwortlich zu machen. So wäre es fast putzig, wenn es nicht so grausam wäre, zu sehen, wie Amateure des Guerilla-Kampfes es mit einer Armee aufnehmen, die seit Jahrhunderten in Ausbeutung und Unterdrückung von Völkern weltweit spezialisiert ist.
 
Ein großer, packender historischer Film mit Herz und Leidenschaft, der als Cannes-Sieger ein großes Publikum erreichen sollte.

Die Rotkäppchen-Verschwörung


USA 2005 (Hoodwinked) Regie: Cory Edwards, Todd Edwards, Tony Leech 80 Min.
 
Hänsel und Gretel als Kriminalroman gab es schon mal juristisch dröge auf Papier. Doch diese Rotkäppchen-Recherche ist aus einem anderen Stoff. Aus bunten Bits und Bytes nämlich. Allerdings ist in diesem alten Märchen nichts wie es war und wie scheint...
 
Zuerst die Fakten: Rotkäppchen kommt mit dem Körbchen voller Leckereien ins Haus der Großmama, wo sie der Wolf in Verkleidung erwartet. Als der Schwindel auffliegt, kommt es zum Kampf, in den nicht nur die gefesselte Oma, sondern auch ein Axt schwingender Waldmann eingreift. Dann trifft die Polizei ein.
 
Die Polizisten-Schweine machen sich erst mal über den Picknick-Korb her, bevor Detektiv Nick Flippers, ein verschlagener Disco-Frosch, Licht in die düstere Geschichte bringt. Nacheinander verhört er alle Beteiligten. Dabei erweist sich Rotkäppchen als selbstsichere, junge Frau. Der Wolf entpuppt sich als haariger Vertreter des investigativen Journalismus, um ihn herum immer das fotografierende Eichhörnchen mit Reporter-Hut und auf Koffein-Trip. Der Wolf war im Schafspelz auf der Suche nach Informationen, denn in einer Diebesserie entwendete ein Unbekannter die Rezepte aus allen Läden des Waldes. Der Holzfäller, der so wild herumfuchtelnd mitten in die Geschichte platzte, kann hingegen von der Liste der unüblichen Verdächtigen gestrichen werden. Er ist nur ein untalentierter Schauspieler, der sein Geld mit einem mobilen Schnitzel-Imbiss verdient, Schnitzel am Stil wohlgemerkt. Für eine Werberolle, wollte er den wilden Waldmann in sich finden.
 
Allerdings muss man hier alle fragen: Großmutter, wieso sieht deine Frisur aus wie Plastik? Rotkäppchen, warum hast du so grobe Gesichtszüge? Förster, weshalb gehst du wie ein Automat? Ästhetisch reibt sich das Auge an kantige Bewegungen und arg simpel animierte Figuren. Hier wurde bewusst nicht die eleganteste Form der digitalen Animation für die Holzschnitt-Figuren gewählt. Aber die sind erst mal ziemlich komisch und vor allem völlig überraschend angelegt. Hier überlebt kein Rollenklischee, selbst die kranke Großmutter war am Handy (!) nur kurzatmig, weil sie gerade mitten Ski-Rennen steckte. Heimlich räumt die alte Dame regelmäßig die Pokale bei Extreme-Sport-Wettbewerben ab, mit heißer Band und Stinktier am Schlagzeug. Vor allem die Stimmen bringen den Charakter zum Leben, im Original werden die Figuren von Schauspielern wie Anne Hathaway, Glenn Close, James Belushi (Förster) oder Chazz Palminteri gesprochen. Die deutsche Syncro ersetzt durch Sarah Kuttner, Hans Werner Olm, Axel Prahl, Max Raabe und Smudo.
 
Im Kreuz-Verhör überschneiden sich die Varianten und Perspektiven der Geschichte - Akira Kurosawas Klassiker "Rashomon" wurde hier einmal zügig durch den Malkasten gejagt. Das ergibt ziemlich viele schräge Ideen und einige Action-Einlagen in einem technisch simplen Film. Mit diesem Rotkäppchen können die Kinoleute schon mal die Korken knallen lassen.
 

19.12.06

Flutsch und weg


USA 2006 (Flushed Away) Regie: David Bowers, Sam Fell 84 Min. FSK: o.A.
 
Was wäre, wenn sich eine der knudddelig-skurrilen Knetfiguren aus der Werkstatt von Wallace & Gromit in die digitalisierten Trickwelten von Pixar & Co. verirren würde? Wird es die liebvoll geformten Charaktere im Rausch der Geschwindigkeit und der Effekte zerreißen? Mitnichten! Die Zusammenarbeit von DreamWorks Animation ("Shrek") und den Londoner Aardman-Studios vereint das Beste aus beiden Welten. "Flutsch und weg" und hinein in den sympathischen Trick-Spaß.
 
Die reiche, verwöhnte aber einsame Streichelratte Roddy lebt im Londoner Nobelviertel Kensington und im Goldenen Käfig. Allein zu Hause macht sich der sehr menschlich wirkende Nager einen schönen Tag mit Barbie-Figuren, einer James Bond-Filmpremiere (im Anzug und auf DVD) und sportlichen Turnieren. Bis die Kanalratte Sid mit Lederjacke und Slang bei ihm einfällt. Das schmuddelige Chaos schlüpft mit durch den Ausguss und als Robby den ruppigen Mitbewohner über die Klospülung entsorgen will ("Toller Whirlpool, versuch's mal!"), flutscht er selbst über die Sickergrube, die er einem anderen graben wollte, in Abgründe der Kanalisation.
 
Roddy entdeckt ein unterirdisches Mini-London - inklusive kleinem Big Ben - aus Haushaltsgegenständen nachgebaut. Alles überwältigend kunterbunt und quirlig, so stolpert das verwöhnte Schoßtierchen durch das richtige Leben, ins Boot von Rita und mit ihr direkt hinein in eine stinkige Gaunerei. Da will ein dicker, durch Prinz Charles traumatisierter Frosch Rache an den Ratten nehmen, will sie mit der berüchtigten Halbzeitpausen-Flut hinwegspülen. Und der tollpatschige Roddy - im immer mehr ramponierten Smoking - ist plötzlich tatsächlich in der Bond-Rolle, in der er sich immer reingeträumt hat...
 
Nicht nur Film wird reichlich und komisch zitiert, "Flutsch und weg" gewinnt einen Teil seiner zahllosen Scherze aus der Klein-Groß-Perspektivverschiebung. Da ist die auch im kleineren Maßstab ähnlich funktionierende, widererkennbare große Welt. Aber da sind auch die umgenutzten Gegenstände der Menschen, wunderbar komisch durch die Mini-Perspektive, wenn Roddy und Rita zum Beispiel mit einer British Air-Plastiktüte im Stile von Montgolfiere abheben.
 
Vordergründig dreht sich alles um einen Rubin, doch Rita mit den rubinroten Haaren und ihrer großen, liebenswert chaotischen Familie ist der eigentliche Schatz, den es für Roddy zu entdecken gilt. So rauft er sich zusammen mit der ingeniösen Lara Croft im Miniformat.
 
Der tolle Zeichentrick wimmelt nur so von genialen Einfällen und witzigen Details, wie Werbebotschaften für den Sänger "40 Pence". Unter den gegnerischen, französischen Ninja-Fröschen ist ein Pantomime im Stile Marcel Marceaus mit aberwitziger Videobotschaft. Oder der Muskelmann, der im Labor eines Shampoo-Herstellers arbeitete, was ihn von Schuppen befreite. Und von den Haaren.
 
Aardman brachte dem herrlichen Spaß nett vermenschlichte Figuren bei. Den Humor von "Wallace & Gromit" und auch einige bekannte Gesichtszüge erkennt man wieder. Dazu gibt es Verfolgungsjagd durch die Kanalisation wie in Costners "Waterworld". Die Jet-Skis werden dabei durch Handmixer ersetzt und passend von Schlagsahne im Wasser gebremst. Allerdings hört auch da, wo sich amerikanische Animationshits irgendwann von der Handlung mitreißen lassen, der Strom umwerfender Ideen nie auf: Roddy findet Nemo in der Kanalisation, aber auch ziemlich viele Blutegel. Diese erweisen sich als geniale und umwerfend komische Sidekicks, begleiten die Handlung kommentierend und musikalisch.
 

Apocalypto


USA 2006 (Apocalypto) Regie: Mel Gibson mit Rudy Youngblood, Dalia Hernandez, Jonathan Brewer 140 Min. FSK: ab 12
 
Eigentlich gehören Filme wie dieser in die schmutzige Splatter-Ecke. Aber Mel Gibson hat's gemacht, da will man doch wissen, welche Fettnäpfchen der antisemitische Superstar im südamerikanischen Dschungel um Jahr 1500 herum findet. Gibson lässt sie alle mit Blut vollaufen und erfüllt die schlimmsten Erwartungen.
 
Den ersten Adrenalin-Stoß gibt es bei einer Tapir-Jagd. Das erlegte Tier wird waid- und Mel-gerecht ausgenommen, die Eingeweide in die Kamera gehalten. Das werden wir noch öfter sehen, dann allerdings mit Menschenherzen! Das freundliche Urwaldvolk lebt und scherzt viel, bis ein technisch überlegenes Volk (mit haufenweise Riesen-Piercings im Gesicht) über sie herfällt, mordet, vergewaltigt. Der junge Held Jaguarpfote kann gerade noch Frau und Kind in einem tiefen Erdloch verstecken, bevor er selbst gefangen genommen wird. In einem brutalen Marsch führt man die Überlebenden ab. Die Frauen als Sklavinnen, die Männer als Opfer in religiösen Riten.
 
Im Kern ist "Apocalypto" ein simples Abenteuerfilmchen, wie man es von Hollywood erwartet: Gut und Böse sind deutlich erkennbar. Menschen und Fratzen, aber dabei unsäglich brutaler und blutrünstiger als der Mainstream. In der Film-Welt von Gibson wimmelt es von Sadisten, vor allem ein besonders grimmiger Fähnlein-Führer quält diesmal die Jaguarpfote und experimentiert mit den Gefangenen. Der verängstigte Zug erlebt zwischen Maya-Pyramiden das Grauen einer hoch stehenden Zivilisation: Hässliche Massenszenen, religiöser Fanatismus, Tausende, die ihrem höchsten Priester zujubeln.
 
Die kulturellen Errungenschaften der Maya gründen auf den blutigen Boden einer Sklaven-Gesellschaft. Die Pyramiden entstanden, damit abgeschlagene Köpfe lustig von oben runter purzeln können. Leichen gibt es in schrecklichen Mengen. Kein Wunder, dass da Altertumsforscher und Vertreter indigener Völker wütend aufschreien.
 
Das Anfangs-Zitat warnt vor dem Zerfall der Kulturen. Damit das Gemetzel überhaupt einen Sinn haben soll, redet man vom Ende der Maya-Kultur. Dabei ist das einzige Zeichen von Verfall hier die exzessive Gewalt, von der Mel Gibson besessen ist. Eine toll gefilmte, exzellent ausgestattete Psychopathen-Schmiererei vor spannenden Landschaften und eindrucksvollen Kulissen.
 
Der "Kinosadist", wie der "The Hollywood Reporter" Gibson bezeichnet, setzt die Blutspur seiner unerträglichen "Passion Christi" fort. "Apocalypto" ist auch überwältigend - im negativen Sinne. Der trinkfreudige Antisemit verbreitet ein düsteres, bluttriefendes Weltbild. Im Gegensatz zum Jesus-Film allerdings mit Happy End! Doch dann kommen die Spanier, man freut sich, dass der Film zu Ende ist, auch wenn jetzt das eigentliche Schlachten, Morden, Vergewaltigen erst beginnen muss. Aber das dann im Namen des Kreuzes, des Folterinstruments, das Gibson eben so sehr fasziniert wie die Gewalt.

Babel


USA 2006. Regie: Alejandro González Iñárritu. Buch: Guillermo Arriaga Jordan. Mit: Brad Pitt, Cate Blanchett, Said Tarchani, Gael García Bernal 142 Min.
 
Wer schon Jahresbestenlisten geschrieben hat, muss unbedingt noch einmal ins Kino. "Babel", der Nachfolger vom sensationell rauen "Amores Perros" und dem nach Erlösung suchenden "21 Grams", verbindet in drei packenden und anrührenden Geschichten das Leiden um die Welt. Internationale Stars wie Brad Pitt, Cate Blanchett oder Gael García Bernal ("Die Reise des jungen Che") überraschen mit ungewohnten Rollen.
 
Zwei Kinder, marokkanische Ziegenhirten, probieren das neue Gewehr des Vaters mit folgenreicher Zielgenauigkeit aus. Die amerikanische Touristin Susan (Cate Blanchett) sitzt reglos im Bus bevor der Schmerz sie trifft. Susan ist schwer verletzt, ihr Mann Richard (Bratt Pitt) versucht in einem abgelegenen Dorf, die Blutung zu stillen. Krankenwagen und Helikopter werden durch eine sofort aufflammende diplomatische Krise gestoppt. Das Paar steckt in der selbst gegrabenen Grube westlicher Politik, die ideologisch jeden Verkehrsunfall als Terrorakt verkaufen muss.
 
Der "terroristische Anschlag" zeigt Auswirkungen in den USA und auch in Japan, er trifft mühsam aufrecht erhaltenen Fassaden von Menschen in Trauer. Eine mexikanische Kinderfrau soll die zwei süßen Gringo-Kids noch einen Tag länger betreuen - so macht es der weiße Boss am Telefon mit unmissverständlicher Freundlichkeit klar. Damit sie aber nicht die Hochzeit ihres Sohnes verpasst, nimmt sie ihre Schützlinge mit nach Mexiko - mit dramatischen Folgen. Derweil provoziert eine taubstumme junge Japanerin ihre Umgebung sexuell, stellt sich den polizeilichen Untersuchungen gegen ihren verwitweten Vater gegenüber. Und findet den jungen Polizisten sehr reizvoll...
 
Globalisierung einmal anders: Von hinten durch die Brust geht es mächtig ins Auge. Ein Schuss in Marokko findet seinen Weg durch drei komplex verwebte Handlungsstränge über die Globalisierung des Schmerzes: 3 Episoden, 3 Kontinente, 6 Welten. Raffiniert zeitversetzt gezeigt, tragisch miteinander verbunden und ebenso prominent wie brillant besetzt.
 
Alejandro González Iñárritu inszeniert nach dem sensationell rauen "Amores Perros" und dem nach Erlösung suchenden "21 Grams" in "Babel", diesen Abschluss seiner Trilogie, wieder packend, die Musik von Gustavo Santaolalla ("Die Reise des jungen Che") reißt mit wie im Moment kaum eine andere. Der Reiz des globalen Zusammenhangs liegt gerade in den fernen Beziehungen. Nur ist es diesmal nicht der Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Sturm am anderen Ende der Welt auslöst, sondern die kleine Bewegung des Fingers am Abzug des Gewehres.
 
In Cannes gab verdientermaßen den Regiepreis für Alejandro González Iñárritu und seinem ebenso mit dem Privaten wie mit dem Politischen ergreifenden Meisterwerk. Grandiose Momente, intensive Einblicke in diese Winkel der Welt. Das blutige Huhn-Ritual bevor Susan ohne Betäubung operiert wird. Der still laute Rausch in einer japanischen Disco. Der Himmel über der mexikanischen Wüste. Babel ist überall und wurde selten so faszinierend buchstabiert.

Wild X-Mas


USA 2005 (Just Friends) Regie: Roger Kumble mit Ryan Reynolds, Amy Smart, Anna Faris 94 Min. FSK: ab 6
 
Süßer die Worte nie klingen, als wenn eine freche Weihnachtskomödie angekündigt wird. Billy Bob Thornton als "Bad Santa" auf Diebes- und Sauftour - so bekam Weihnachten einen neuen Sinn. Doch dieser Niko-Klau setzte sich nicht durch und deshalb wäre als Übersetzung für "Wild X-Mas" (im amerikanischen Original "Just Friends") korrekt: "Milde Weihnacht".
 
Der fette Chris und die flotte Jamie sind dicke Freunde. Obwohl er Punchingball und sie Liebling der Highschool ist. Aber Chris will mehr, er liebt Jamie und bekommt eine Abfuhr. Jahre später legt Chris als Schönling im Showgeschäft reihenweise Frauen flach. Gerade soll er das blondes Doofchen Samantha für einen Plattendeal rumkriegen, als ihr Flieger bei ihm zuhause in New Jersey notlandet. Die Begegnung mit Jamie gerät katastrophal. Weder als Aufreißer mit Porsche auf verschneiten Straßen noch als Softie kann Chris seine alte Liebe erobern. So geht er zwischen Neuem und fettem Image, zwischen Aufreißer und unsicherem Jüngelchen langsam und mäßig komisch unter.
 
Schon die anfänglich Rückblende mit arg auffälligem, um's Gesicht geschminktem Kunstfett macht Angst bei dieser romantischen Komödie zur Weihnachtszeit. Obwohl die Protagonisten die Zwanzig überschritten haben, aussehen wie Erwachsene, sind sie dem Personal der Teenie-Komödie längst noch nicht entwachsen. Hier ist zu Weihnachten noch alles nett, selbst der Zynismus. Wenn die aufwendigste Weihnachtsdeko des Staates grandios vernichtet wird, wenn der dämliche Star mit Schaum vor Mund zugrunde geht, sind das seltene Highlights in einem schnell vergessenen Serienprodukt.

Der Pakt - The Covenant


USA 2005 (The Covenant) Regie: Renny Harlin mit Steven Strait, Sebastian Stan, Laura Ramsey 97 Min. FSK: ab 12
 
Wenn man sieht - sehen muss - wie viele Jugendliche Woche für Woche beim Teenie-Horror umgebracht werden, wundert man sich nicht mehr, weshalb unsere Gesellschaft so vergreist. Aber es gibt Hoffnung auf Besserung - wenn auch nicht ästhetisch gesehen...
 
Renny Harlin unterhielt uns mit "Stirb langsam 2", "Tödliche Weihnachten" oder "Cliffhanger" rasant routiniert und action-reich. Als Meister des Action-Genres gibt der Hollywood-Finne diesem Teenie-Film Dimensionen, die weit über dem Durchschnitt sind.
 
Vier Jungs machen eine Elite-Uni in Neu-England nicht nur mit ihrem guten Aussehen unsicher. Manchmal blitzen ihre Augen auf und Zauberei kommt ins Spiel. Sie entstammen alten Hexen-Familien der Gegend. Doch leider altern sie hässlich schnell, wenn sie ihre Macht benutzen. Auch aus anderen Gründen halten sie sich bedeckt - bis auf einen. Schüler werden ermordet und zwei Freundinnen der knackigen Jung-Zauberer sind mit einem Spinnen-Fluch belegt...
 
Harlin schenkt uns direkt eine richtig erwachsene Verfolgungsjagd (wenn man es irgendwie als erwachsen bezeichnen kann, mit Autos durch die Gegend zu rasen). Durch die Luft wirbelnde Schönlinge, Wolken splitternden Glases, ein Ford Mustang zerlegt sich im heftigen Crash und fügt sich wie von Geisterhand hinter dem dicken Laster wieder zusammen. Selten wurden die unerlässlichen Schreckmomente so eindrucksvoll eingesetzt. Und selten sahen die zu schönen Model-Schüler mit den Luxuskörpern so gut aus. Dazu fängt die Kamera auch die Herbstlandschaft von Neu-England sehr reizvoll ein. Ein passender Ort, denn dort verbrannte man in Realität und Literatur besonders gerne Hexen.
 
Albern wird die Übertragung der alten Geschichten nur wenn im runen-übersäten Versammlungskeller das Handy klingelt. Und Dialoge, Erklärungen oder Auflösungen kann man getrost zum Popcorn-Holen nutzen.

18.12.06

Lichter der Vorstadt


Finnland, BRD, Frankreich 2006 (Laitakaupungin Valot) Regie: Aki Kaurismäki mit Tommi Korpela, Maria Järvenhelmi, Ilkka Koivula, Aarre Karén, Maria Heiskanen, 78 Min.
 
Seit mehr als zwanzig Jahren dreht der Finne Aki Kaurismäki seine lakonischen Filme. 16 abendfüllende sind es mittlerweile: "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", "I hired a contract killer", "Leningrad Cowboys" ... Auf den ersten Blick immer die gleiche Tristesse der Arbeiterklasse, über deren trockener, aber meist stark alkoholisierter Hinnahme des Schicksals man sich herrlich amüsieren kann. Aufrechte Verlierer, stille Kämpfer, die nie verzagen, auch wenn der Selbstmord wieder ein Versuch bleibt.
 
Der schweigsame Koistinen (Janne Hyytiäinen) ist einer von ihnen: Der Wachmann erlebt Einsamkeit nicht nur bei seinen nächtlichen Kontrollgängen und in der kargen Mini-Wohnung. Selbst die Kollegen Wachmänner schneiden ihn. Plötzlich taucht eine Frau in seinem Leben auf. Und was für eine! Die attraktive Mirja (Maria Järvenhelmi) ist eine Erscheinung aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben, aus einem anderen Film.
 
Eigentlich könnte auch irgendwo in Neonlettern "Femme fatale" oder "Blonde Versuchung" aufleuchten. Mirja ist in jeder Faser Falle und Versuchung. Mehr als Hoffnung hat Koistinen allerdings nicht von der kurzen Liaison. Bald füllt sie ihn ab, entwendet ihm die Dienst-Schlüssel. Die Gang des Gangsterbosses Lindström (Ilkka Koivula) raubt ihn Seelenruhe den Juwelier aus und versteckt ein paar Klunker, eine Spur des Verbrechens bei Koistinen. Der könnte fliehen, er könnte Mirja anzeigen. Aber so was macht man bei Kaurismäki nicht. Dort sitzt man die Strafe aus, wie man vorher das Leben auf der anderen Seite des Gitters ausgesessen hat.
 
Kaurismäki ist ein Meister der Ökonomie. Meist nimmt er seine Schauspieler schon während der Probe auf. "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" war 69 Minuten kurz, für das deutsche Fernsehen schummelte er ein paar Minuten hinzu. Im Reigen der Meisterregisseure ist der Autor, Regisseur und Produzent ein relativ Junger und gleichzeitig ein Relikt. Der Verächter von Fernsehen und amerikanischer Unkultur dreht nur auf 35mm-Film, niemals auf Video. Seine Filme stecken voller Zitate alter Meister und kaum ein Mensch hat noch das filmhistorische Wissen, diese Ebene zu verstehen. Aber trotz der tristen Sujets seiner jetzt abgeschlossenen Verlierer-Trilogie aus "Wolken ziehen vorüber" (Arbeitslosigkeit), "Der Mann ohne Vergangenheit" (Obdachlosigkeit) und "Lichter der Vorstadt" (Einsamkeit) ziehen die Filme des Finnen nicht runter. Es ist nicht das furchtbare Lamento nur gut gemeinter sozialer Anklagen. Es sind Meisterwerke mit aufrechten Helden der Arbeiterklasse. Mit einer faszinierenden Farbdramaturgie, deren Grundfarben aus dem originellen Retro-Deko herausleuchten. Und mit einer einzigartigen Mischung aus finnischem Tango und dem Blues, der sicher auch seine Wurzeln dort im dunklen Norden hat.

13.12.06

Liebe braucht keine Ferien


USA 2006 (Holiday) Regie: Nancy Meyers mit Jude Law, Kate Winslet, Jack Black, Cameron Diaz 135 Min. FSK: o.A.
 
"Was Frauen wollen" - Nancy Meyers weiß es. Und macht aus dieser Erkenntnis so gute Herzens-Komödien, dass auch die Männer gerne mit ins Kino gehen können. Eine liebliche Liebeskomödie mit exzellenter Besetzung - genau so gut, wie sie sein darf, damit möglichst viele ins Kino rennen.
 
Eine doppelte Geschichte von Liebes-Leid und -Glück, erzählt von der unglücklich verliebten Engländerin Iris (Kate Winslet), die immer noch ihrem Ex hinterher jammert. Derweil in Hollywood die überarbeitete Amanda (Cameron Diaz) wieder einmal einen Freund rauswirft. Sie ist Workaholic und so erfolgreich in ihrem Filmjob, dass sie sogar ihr verpfuschtes Leben als Trailer sieht. Dazwischen startet sie verzweifelte Versuche, endlich mal zu weinen. Während Iris in einem fort heult, James Taylor hört und schon deshalb zwangsläufig am Gas schnüffelt.
 
Da kommt die große Flucht ganz recht. Oder ist es gar fast buddhistisch, das Leben, das man gerade so hasst, einfach auszutauschen. Komplett. Haus, Auto, Freunde ... Mit einem flotten Internet-Chat ist schnell der Wohnungstausch arrangiert, schon am nächsten Tag geht es über den Teich ins neue Leben für zwei Wochen.
 
Vom sonnigen Kalifornien ins verschneite England und umgekehrt. Iris flippt angesichts ausufernden Luxus aus, Amanda zwängt sich albern in das gemütliche Landhäuschen und hat erwartungsgemäß Probleme mit dem Linksverkehr im - deutlich sichtbaren - Studiodorf. Es folgen noch ein paar abgestandene Scherze dieser Art und während viele Überraschungen auf die beiden Frauen warten, bekommt das Kinopublikum genau, was es erwartet. Die Romantische-Komödien-Expertin Nancy Meyers spielt ganz exzellent auf der Gefühlsklaviatur, das große Sentiment dabei immer leicht und luftig gerührt mit einer Prise Humor.
 
"Liebe braucht keine Ferien" kommt als nahezu perfekter Vertreter seines Genres daher: Auf einem Nebenstrang wird die Hymne auf das altes Hollywood gesungen und Nancy Meyer kommt dem streckenweise richtig nahe. Elegant und flott montiert, sprudelnde Dialoge, gute Besetzung: Cameron Diaz bleibt ziemlich nervig, aber Mitleid hat man doch mit ihr. Nur die unerträglich aufdringliche Musik von Hans Zimmer stört. Winslet lässt die Herzen schmelzen. Sie ist der menschlichste Charakter, da bräuchte es gar nicht unbedingt die Episode mit dem alten, hilfsbedürftigen Nachbarn Arthur (Eli Wallach), um den sie sich kümmert. Der alte Hollywood-Autor fasst es treffend zusammen: You are a Leading Lady, but you are behaving like a best friend. (Du verdienst eine Hauptrolle, aber du versteckst dich in einer Nebenrolle.) Nancy Meyers jedenfalls kann mit solchen Filmen schon mal auf eine Hauptrolle am Hollywood-Himmel schielen.

5.12.06

Flutsch und weg


USA 2006 (Flushed Away) Regie: David Bowers, Sam Fell 84 Min. FSK: o.A.
 
Was wäre, wenn sich eine der knudddelig-skurrilen Knetfiguren aus der Werkstatt von Wallace & Gromit in die digitalisierten Trickwelten von Pixar & Co. verirren würde? Wird es die liebvoll geformten Charaktere im Rausch der Geschwindigkeit und der Effekte zerreißen? Mitnichten! Die Zusammenarbeit von DreamWorks Animation ("Shrek") und den Londoner Aardman-Studios vereint das Beste aus beiden Welten. "Flutsch und weg" und hinein in den sympathischen Trick-Spaß.
 
Die reiche, verwöhnte aber einsame Streichelratte Roddy lebt im Londoner Nobelviertel Kensington und im Goldenen Käfig. Allein zu Hause macht sich der sehr menschlich wirkende Nager einen schönen Tag mit Barbie-Figuren, einer James Bond-Filmpremiere (im Anzug und auf DVD) und sportlichen Turnieren. Bis die Kanalratte Sid mit Lederjacke und Slang bei ihm einfällt. Das schmuddelige Chaos schlüpft mit durch den Ausguss und als Robby den ruppigen Mitbewohner über die Klospülung entsorgen will ("Toller Whirlpool, versuch's mal!"), flutscht er selbst über die Sickergrube, die er einem anderen graben wollte, in Abgründe der Kanalisation.
 
Roddy entdeckt ein unterirdisches Mini-London - inklusive kleinem Big Ben - aus Haushaltsgegenständen nachgebaut. Alles überwältigend kunterbunt und quirlig, so stolpert das verwöhnte Schoßtierchen durch das richtige Leben, ins Boot von Rita und mit ihr direkt hinein in eine stinkige Gaunerei. Da will ein dicker, durch Prinz Charles traumatisierter Frosch Rache an den Ratten nehmen, will sie mit der berüchtigten Halbzeitpausen-Flut hinwegspülen. Und der tollpatschige Roddy - im immer mehr ramponierten Smoking - ist plötzlich tatsächlich in der Bond-Rolle, in der er sich immer reingeträumt hat...
 
Nicht nur Film wird reichlich und komisch zitiert, "Flutsch und weg" gewinnt einen Teil seiner zahllosen Scherze aus der Klein-Groß-Perspektivverschiebung. Da ist die auch im kleineren Maßstab ähnlich funktionierende, widererkennbare große Welt. Aber da sind auch die umgenutzten Gegenstände der Menschen, wunderbar komisch durch die Mini-Perspektive, wenn Roddy und Rita zum Beispiel mit einer British Air-Plastiktüte im Stile von Montgolfiere abheben.
 
Vordergründig dreht sich alles um einen Rubin, doch Rita mit den rubinroten Haaren und ihrer großen, liebenswert chaotischen Familie ist der eigentliche Schatz, den es für Roddy zu entdecken gilt. So rauft er sich zusammen mit der ingeniösen Lara Croft im Miniformat.
 
Der tolle Zeichentrick wimmelt nur so von genialen Einfällen und witzigen Details, wie Werbebotschaften für den Sänger "40 Pence". Unter den gegnerischen, französischen Ninja-Fröschen ist ein Pantomime im Stile Marcel Marceaus mit aberwitziger Videobotschaft. Oder der Muskelmann, der im Labor eines Shampoo-Herstellers arbeitete, was ihn von Schuppen befreite. Und von den Haaren.
 
Aardman brachte dem herrlichen Spaß nett vermenschlichte Figuren bei. Den Humor von "Wallace & Gromit" und auch einige bekannte Gesichtszüge erkennt man wieder. Dazu gibt es Verfolgungsjagd durch die Kanalisation wie in Costners "Waterworld". Die Jet-Skis werden dabei durch Handmixer ersetzt und passend von Schlagsahne im Wasser gebremst. Allerdings hört auch da, wo sich amerikanische Animationshits irgendwann von der Handlung mitreißen lassen, der Strom umwerfender Ideen nie auf: Roddy findet Nemo in der Kanalisation, aber auch ziemlich viele Blutegel. Diese erweisen sich als geniale und umwerfend komische Sidekicks, begleiten die Handlung kommentierend und musikalisch.
 

Departed. Unter Feinden


USA 2006 (The Departed) Regie: Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson 151 Min.
 
Scorseses Neuer strotzt nur so vor Schauwerten. Der erste Nicholson-Film nach drei Jahren. Der dritte Scorsese mit DiCaprio. Und sowieso: Scorsese! Das Regie-Genie schafft es, wieder voll in sein Lieblingsmilieu einzutauchen, in den mafiösen Untergrund von Little Italy. Dabei kommt nie das Gefühl auf, man hätte das schon mal gesehen. Was an der hochkomplexen Vorlage aus Hongkong liegen mag...
 
Maulwürfe sind hochspannend! Nicht die sich fast blind unter der Erde buddeln, sondern die sich mit fremder Identität getarnt in eine gegnerische Organisation wühlen. Wenn nun gleich zwei dieser "Unterwühler" auf verfeindeten Seiten gegenüber stehen, wird es richtig schön komplex.
 
Colin Sullivan (Matt Damon) wurde schon als kleiner Junge von Bostons Mafiaboss Costello (Jack Nicholson) unterstützt und protegiert. (Man achte auf die Einkaufstüte, sie kehrt am Ende zurück!) Nach Aufstieg und Erfolg strebend, absolviert er die Polizeischule und hat auch als Offizier den Ruf eines Überfliegers. So kommt er in eine Spezialeinheit, die ausgerechnet Costello jagen soll.
 
Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) stammt aus dem gleichen Viertel wie Colin, will aber von seiner kriminellen Umgebung nichts mehr wissen. Deshalb geht er auf die Polizeischule, erntet jedoch nach dem Abschluss nur Misstrauen. Die einzige Perspektive: Als Undercover-Agent zurück ins Milieu, um Costello zu bespitzeln.
 
Martin Scorseses Remake des inzwischen dreiteiligen Hongkong-Hits "Infernal Affairs" bleibt durchgehend extrem spannend und nutzt alle Finessen dieses raffinierten Plots. Colin setzt sein eigenes Team auf sich an. Beide Spitzel gehen zur gleichen Analytikerin. Dank Terror-Gesetze wird alles überwacht, doch mit heimlichen Handy-Duelle ist die Warnung immer schneller als der Zugriff. Man darf niemandem trauen, aber vielleicht gibt es ja auch noch andere Undercover-Kollegen?
 
Scorsese trumpft direkt mit einem starken Start von Nicholson auf: Dessen Gesicht bleibt lange im Dunkeln, bevor er uns einige der unnachahmlichen Grimassen schenkt. Sein Costello ist auch ein Schlüssel zur zeitweise sehr unübersichtlichen Geschichte: Es geht immer auch um Väter und Söhne. Wenn die Episoden um Costellos Gelüste und seine augenscheinliche Unfruchtbarkeit erst nebensächlich erscheinen, deuten sie doch auf die eigentliche Triebfeder, wenn Ziehsohn Colin im finalen Lamento fragt: "All das nur, weil du keine Kinder kriegen kannst?"
 
Die beiden Maulwürfe haben einiges gemeinsam. Und eigentlich macht es auch keinen Unterschied, wer auf welcher Seite steht. "Gute" oder "Böse" gibt es längst nicht mehr. Sie sind sich zum Verwechseln ähnlich und doch so gegensätzlich: DiCaprios einsamer Billy, mit dem bitter dunklen Blick, muss seine Familienbande aktivieren, die er loswerden wollte. Er sucht Gerechtigkeit und ein Heim. Doch die Beziehung zum väterlichen Vorgesetzten (Martin Sheen!) muss geheim bleiben. Colin will immer nur den Erfolg. Sein Blick in der Luxuswohnung geht hin zur allgegenwärtigen goldenen Kuppel des Capitols, zur Macht. Dass von dort auch Recht und Gerechtigkeit ausgehen könnte, lässt ein pessimistischer Blick der Kamera zum Ende hin spüren. Wenn dann die totale Verstrickung nur den Ausweg lässt, gleich alle zu erschießen, sollte sich die dramaturgische Enttäuschung mit der deutlichen und deprimierend moralischen Stellungnahme Scorseses trösten.

The saddest music in the world


Kanada 2003 (The saddest music in the world) Regie: Guy Maddin mit Maria de Medeiros, Isabella Rossellini, Mark McKinney, Ross McMillan, David Fox 99 Min.
 
Oh Kanada! Cronenberg, Egoyan, Maddin .... Die (Welt-) Meister der skurrilen Filme finden hier seit Jahrzehnten Nährboden und (Film-) Förderung. Nur hier kann Guy Maddin überwintern in einer Zeit der Drehbuchautomaten und der endlosen Fortsetzung von Remakes von Fortsetzungen...
 
Guy Maddin macht Filme, die wirken als hätte man sie gerade auf einem verstaubten Speicher aus einem Jahrzehnte langen Schlaf in alten Filmdosen erweckt. Schwarzweiße Stummfilme, mit wunderbaren Farbakzenten wie das Blut in dem verfilmten Tanztheater "Dracula: Pages From a Virgin's Diary" (2002). Mit sparsamen, aber umso effektvolleren Toneinsätzen wie in "Carefull" (1992), der rekonstruierten Alpensaga des wegen Lawinengefahr sehr, sehr stillen und emotionslosen Dorfes Tolzbad. Doch Maddin lebt und dreht seine surrealen Geschichten in der Epoche von "Star Wars" und "American Pie". Seinen sorgfältig konstruierten Retrostil erzeugt er mit Super8-Film und Video, die er für die große Leinwand aufbläst.
 
Nun der eindeutig eingängigste Guy Maddin. Ein Film mit Isabella Rossellini. Aber was für eine Rolle! Sie ist Lady Port-Huntly, die unterschenkel-amputierte Besitzerin einer Bierbrauerei im kanadischen Winniepeg mitten in der Depression des Jahres 1933. Lady Port-Huntly ruft einen Wettbewerb um die traurigste Musik der Welt aus - The saddest music in the world. Der Hauptpreis von 25.000 Dollar ruft Musiker aus aller Welt in die grau vereiste Stadt, die zum vierten Mal in Folge zur Hauptstadt der Trauer gewählt wurde, und führt auch eine äußerst melodramatische Familie zusammen, damit sich die Wahrsagung eines Eisblocks erfüllt.
 
Da tritt der Vater Fyodor (David Fox) mit "Red Maple Leaves" für Kanada an, sein Sohn Chester (Mark McKinney), ein seelenloser Broadway-Producer für die USA. Und der andere Sohn Roderick, ein übersensibler Hypochonder, geht unter einem schwarzen Schleier für Serbien an den Start. Weil sein Land ja den Weltkrieg verursachte! Aber auch eine tragische Liebesgeschichte macht ihn zum Favoriten für die "Saddest music of the world"...
 
Die Welten Maddins sind faszinierend: Da gibt es in Winniepeg (Geburts- und Heimatort des Regisseurs) bei minus 40 Grad eine Straßenbahn unter Eis. Der Anblick von Isabella Rossellini mit schäumenden Biergläsern als Ersatz für ihre Unterschenkel ist schauerlich unvergesslich. Die Vorstellung der Konkurrenten aus Siam oder Mexiko erfolgt mit einem naiven Exotismus der Zeiten vor Political Correctness. Die Faszination einer reizvoll ungewöhnlichen Ästhetik und haarsträubender Ideen voll hochdramatischen Kitsches, die jede Soap verblassen lassen, machen das unnachahmliche Maddin-Feeling aus. Da will man gar nicht glauben, dass vom Autor des Originalstoffes Kazuo Ishiguro auch die Vorlage zum so ganz anderen "Was vom Tage übrig blieb" stammt.
 
Erstmals drehte Maddin mit einer bekannten Schauspielerin, aber auch "The saddest music" bleibt ein einzigartiger, eigenwilliger Guy Maddin-Film. Da wundert es nicht, dass es etwas länger dauerte, bis er in deutsche Kinos kommt. Doch für ein offenes Publikum, welche das Immergleiche des Mainstreams satt ist, ist es ein guter Zeitpunkt Guy Maddin zu entdecken!

28.11.06

Pulse


USA 2006 (Pulse) Regie: Jim Sonzero mit Kristen Bell, Ian Somerhalder, Christina Milian, Rick Gonzalez, Jonathan Tucker 88 Min. FSK: ab 16
 
Wie ein Virus verbreiten sich Stoffe und Stile des J-Horrors, des japanischen Horror-Films, auf der ganzen Welt. Entsprechend dem Import-Rezept von Ring & Co wurde das Original von Kiyoshi Kurosawa ("Kairo", 2001) auch hier simplifiziert und amerikanisiert. Am neuen Drehbuch wirkte der Altmeister des Horrors Wes Craven mit, doch er stieg irgendwann aus, was dem Film sicherlich nicht gut getan hat.
 
Aus dem Internet schleichen sich schauerliche Figuren (von Interferenzen gestört!) in die Studentenwelt eines amerikanischen Campus und treiben die jungen Leute in den Selbstmord. Nur rotes Klebeband hilft - eine Weile. Dass die unfassbare Wirkung des World Wide Web etwas Bedrohliches, Geheimnisvolles hat, ist verständlich. Dass daraus gleich Monster erwachsen müssen, wohl eher dem florierenden Geschäft des Horror-Films geschuldet. So wiederholt sich wenig originell die Dramaturgie der Hauptfiguren, das Rätsel entschlüsseln zu müssen, um überleben zu können.
 
Für Nachschub ist übrigens gesorgt und man kann nur schaudern, wenn man an die Möglichkeiten von Triple-Play denkt: Internet, Telefonie und Fernsehen über eine Leitung. Das wird eine Party für das Übersinnliche im Kabel!

Little Miss Sunshine


USA 2005 (Little Miss Sunshine) Regie: Jonathan Dayton, Valerie Faris mit Greg Kinnear, Toni Collette, Steve Carell 103 Min. FSK: ab 6
 
Familie kann so herrlich sein: Wenn man den Onkel beim Essen fragen kann, weshalb er sich umbringen wollte und in der Psychiatrie gelandet ist. Wenn der Bruder ein Gelübde abgelegt hat und kein Wort spricht, bis er bei den Marines aufgenommen wird. Dann kommt auch noch Opa hinzu, weil das Altersheim was gegen seinen Drogenkonsum hatte - Koks nicht Klosterfrau! Papa ist am Rande des Nervenzusammenbruchs, weil er keine Antwort vom Verleger und damit kein Geld bekommt. Mutti hält den ganzen Laden zusammen - wie auch immer.
 
Das ganze Chaos dieser umwerfenden Komödie wird in einen alten VW-Bus gepackt und auf den Highway gesetzt, als die siebenjährige Olive unbedingt "Little Miss Sunshine" werden will. Die pummelige, dick bebrillte Siegerin einer Kinder-Miss-Wahl ist eigentlich ziemlich intelligent, doch möchte sie soooo gerne ihre Performance auf der Bühne zeigen.
 
Vater Richard Hoover (Greg Kinnear) treibt alle mit verzweifeltem Grinsen an: Jeder ist ein Gewinner! Irgendwie ein besonders schöner Hohn in dieser Umgebung. So ahnt man auch direkt, dass Richards Neun-Punkte-Programm zum Erfolg recht erfolglos beim Verleger bleiben wird. Vor allem die Konfrontation mit dem philosophisch bis nihilistischen Schwager, der vor seinem Selbstmord mit allem abgeschlossen hatte, bringt Spannungen. Aber eigentlich nervt der Erfolgs-Guru jeden.
 
Opa nervt auch, aber irgendwie cool und äußerst schamlos. Und so garantieren die fünf ganz speziellen Charaktere einen herrlichen Spaß ohne jemals den warmen Blick der Sympathie von einem zu nehmen. Kollegen verglichen die Hoovers glatt mit der "Addams Family", doch bei ganz seltenen Ausrutschern in den Klamauk, sind die Hoovers nie Abziehfiguren. Der Film verschießt - im Gegensatz zur Disney-Familie - nie die Augen vor den Realitäten und Monstrositäten unserer Zeit. Diese Familie gewinnt die Herzen mit ehrlich herzlichem Lachen.

26.11.06

Happy Feet


Australien 2006 (Happy Feet) Regie: George Miller mit den Originalstimmen von Elijah Wood, Robin Williams, Brittany Murphy, Hugh Jackman, Nicole Kidman 87 Min. FSK: o.A.
 
Steppender Öko-Vogel
 
Happy? Wieso soll so ein Pinguin glücklich sein, wenn ihm die Füße einfrieren und der Fisch ausgeht. Das flotte Frackvogel-Musical bekommt durch Klima- und Katastrophe Mensch ganz schön viel Tiefgang. Wer die größten Hits der letzten Jahrzehnte auf Pinguinesisch erleben will, muss auch durch eine ernste Depression. Was aus dem Spaß einen richtig runden Film mit Schnabel und Fuß macht...
 
"Du brauchst nicht reich zu sein, um mein Mädchen zu werden. Du brauchst nicht cool zu sein, um meine Welt zu regieren. Dein Sternzeichen ist mir egal, ich will nur deine Zeit und deinen ... KUSS!" Es wird nicht der Text gewesen sein, mit dem Memphis seine Norma Jean rumgekriegt hat. Es war sicher der Gesang, mit dem er ihr Prinz wurde. Denn Kaiserpinguine balzen, indem sie reichlich Hitmaterial durchkauen und es dann in flotten Coverversionen aufs Eis bringen.
 
Mal gospelig, mal kitschig. Doch selbst beim dicksten Pathos zum Glück nie so schlimm wie beim Propaganda-Film "Die Reise der Pinguine". Denn das hier ist Trickfilm, das ist das wahre Leben. Alles ist Gesang, alles Musical. Nur mit Mumble, dem Nachwuchs von Memphis, stimmt was nicht. Der Racker kommt mit den Füssen zuerst aus dem Ei und dann macht er so komisch rhythmische Schritte... Das ist definitiv nicht Pingu-Stil, erkennt Alt-Rocker Memphis direkt. In der Schule wird es dramatisch: Jeder Pinguin kann singen, nur der kleine steppende Federknubbel lässt mit seinem Krächzen das Eis gefrieren. Dafür legt er aber zu "Sir Duke" eine genial flotte Sohle hin.
 
Ganz wie bei "Billy Elliot" - der allerdings aus einer anderen Gattung stammte - erlebt Mumble die Geschichte eines Außenseiters. Vom eigenen, ziemlich rassistischen Volk verstoßen, lernt er witzige Latinos kennen, Zwerg-Pingus mit viel Rhythmus im Blut. Hier ist der Kaiser-Pinguin direkt King. Aber Mumble ist neugierig, er will Antworten. Vor allem auf die Frage, wohin der Fisch verschwunden ist. Die Suche führt ihn zu den Menschen, doch dort versteht keiner die Frage "Wieso raubt ihr unseren Fisch?" Und schließlich endet der einst so lebendige Stepper stumpfsinnig hinter einer Aquariumswand, bis ... Bis das Feel Good-Movie doch noch die Kurve bekommt und ein seltsames Happy End herbei getanzt wird.
 
Diese "Happy Feet" lassen überraschend in der zweiten Hälfte noch etwas andere anklingen: Dem umwerfenden Spaß, diese albernen Vögel singend und tanzend zu sehen, den rasanten Rutschereien und den atemberaubenden Taucheinlagen folgt eine schwer betrübliche Öko-Katastrophe. Wenn Mumble mit Peilsender zu seinem Volk heimkehrt und der ganze Haufen steppt, nur damit die Menschen ihnen zusehen, geht das "Happy End" nicht glatt auf. Trotzdem hat dieser computer-animierte Spaß soviel Schwung und Frische, dass er "James Bond" auf dem Weg an die amerikanische Chart-Spitze ausrutschen ließ. Deshalb schnell auf ins weiße "Boogie Wonderland".

Jackass Nummer 2


USA 2006 (Jackass: Number Two) Regie: Jeff Tremaine mit Johnny Knoxville, Bam Margera, Steve-O 91 Min. FSK: k.J.
 
Die Kleinen spielen wieder Ego-Shooter? Gut so! Oder: Immer noch besser, als wenn sie diese Sachen hier nachmachen würden ... Man glaubt es nur vier Jahre nach dem Ende der "Jackass"-Serie und dem ersten Film schon wieder vergessen, oder verdrängt, welche idiotischen Selbstverstümmelungs-Aktionen Johnny Knoxville und seine Truppe da veranstaltet haben. Jetzt wird es noch bescheuerter, gemeingefährlicher und unglaublicher.
 
Sich mit verbundenen Augen und rotem Hemd in eine Stierarena stellen. Harmlos! Im Treppenhaus Skifahren? Kinderkram!!! Völkerball mit großen Medizinbällen - im Dunkeln? Besserer Schulsport! Raketenangetriebene Fahrräder oder Rollstühle auf Sprungschanzen sind nur Pausenfüller für die richtig harten Sachen, die der amerikanische Haufen von Idioten sich selbst und seinen "Freunden" antut. Es ist tatsächlich ein Wunder, dass die noch alle leben. (Leichte Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen kommen deshalb auch immer wieder auf.) Da lässt sich einer mit 'nem Fischhaken in der Wange hinter einem Boot herziehen - als Riesenköder für Haie, die tatsächlich zuschnappen!
 
Es gibt auch noch besonders deftige Satire-Einlagen, die selbst Borat die Ausweisung aus Kasachstan beschert hätten. Völlig gleichberechtigt lassen Senioren ihre schlaffen Sexualorgane den prüden Amerikanern vorm Gesicht rumhängen. Genital oder anal, aus welcher Gegend die Ekelszenen stammen ist egal, Hauptsache es wird jemandem schlecht und viele werden sauer. Schön dabei, wenn sich selbst der Kameramann übergeben muss! Da macht auch Skandalnudel John Waters gerne bei einer ganz speziellen Einlage mit.
 
Eigentlich ist Knoxville ja mittlerweile Schauspieler. Und so meinte er es wohl ernst, als er nur das Gesicht kontrolliert, nachdem hunderte Gummigeschoße auf ihn abgeballert wurden und zentimetertiefe Wunden hinterließen. Aber nur an Armen, Beinen und am Bauch! Unfassbar. Und irgendwie paradox, wenn die Infantilität bei Akteuren und Publikum so weit getrieben wird, dass der Film keine Jugendfreigabe erhielt. Wie gesagt, ein Ballerspieler muss nicht das Schlimmste sein...

22.11.06

Thessaloniki ehrt Wim Wenders

Der Prophet in Griechenland
 
Thessaloniki. Eine Woche lang dreht sich in Thessaloniki alles um Wim Wenders und der deutsche Regisseur genießt es sichtlich. Es ist die alte Geschichte vom Propheten, der im eigenen Land nicht wirklich geschätzt wird. Man muss erst ins Ausland gehen, zu den großen internationalen Festivals, um zu erleben, welche Begeisterung Wenders hervorruft. Das 47. Internationale Filmfestival von Thessaloniki (17.-27.11.2006) verlieh Wim Wenders einen Goldenen Alexander für sein Werk. Dazu gibt es alles seine Filme, eine Fotoausstellung und viele spannende Begegnungen.
 
Es war ein bewegter Abend, auch wenn die Nachricht vom Tode Robert Altman die Stimmung trübte: Theo Angelopoulos, der bedeutendste Regisseur der Griechen überreichte Wenders die Goldfigur, die an den großen Mazedonier Alexander erinnert, der aus dieser Region stammte. Wenders war glaubhaft gerührt. Man vermutet es nicht, wenn der kleine, fast kahle Grieche im konservativen Anzug neben der langen, jugend-imitierenden Mähne des großen Deutschen im bemüht modischen Jackett steht: "Der amerikanische Freund" von Wenders und "The Hunters" des späten Quereinsteigers Angelopoulos reüssierten Ende der Siebziger Jahre zur gleichen Zeit international.
 
Neben einer kompletten Retrospektive, die auch die extrem selten gezeigte, fünfstündige Version von "Bis ans Ende der Welt" beinhaltete, konnte man auch Wenders-Fotos bewundern. Im doppelten Sinn: Die Ausstellung stellte Aufnahmen des Regisseurs und die seiner Frau Donata Wenders gegenüber. Während er von den Drehs zu "Buena Vista Social Club" oder "Don't come knocking" perfekt stilisierte "Stills" festhielt, lebt bei Donata der eingefangene Moment. Eine sichtbar gute Kombination. Der Meisterregisseur und die anerkannte Fotografin unterlassen in Thessaloniki keine Gelegenheit, sich ihre Zuneigung und Bewunderung auszudrücken.
 
In einer mit mehreren Hundert Fans völlig überlaufenen Masterclass zusammen mit dem brasilianischen Regisseur Walter Salles, der von den Filmen des Deutschen nachhaltig geprägt wurde, schwärmte Wenders über sein liebstes Genre, die Road-Movies. Zwei Straßen-Künstler durften Asphalt-Cowboys spielen, unterhielten mit Philosophischem und mit Anekdoten. Der Ort war dazu nicht ungeeignet: In Griechenland wurde Odysseus der erste Held eines Road-Movie. Der Urahn aller, die eigentlich nicht ankommen wollen.
 
Auch in Zukunft bleibt Wenders der Straße treu, die Kamera beweglich auf den Horizont ausgerichtet. Er will nach 10 Jahren USA wieder "ein paar deutsche Straßen sehen, um wieder mit Deutschland Kontakt aufzunehmen". Scheinbar wie sein Antiheld Phillip Winter, der 1973 in "Alice in den Städten" mit vielen Bildern im Gepäck aus den USA zurückkam. Der hier aufhörte, Polaroids zu schießen und wieder sehen lernte. Vielleicht lernt man dann auch in Deutschland, Wenders wieder zu sehen.

"On the Road" mit Wim Wenders und Walter Salles

Straßen-Künstler
 
Was bringt Wim Wenders und den brasilianischen Regisseur Walter Salles zusammen auf die Straße nach Thessaloniki? Das Road-Movie selbstverständlich! Es ist so offensichtlich, man sieht die Straßen vor lauter Fahrten nicht: Wie Wenders fast immer und am liebsten, drehte auch Salles mit "Central Station" und "Die Reise des jungen Che" Road-Movies. Das 47. Internationale Filmfestival von Thessaloniki (17.-26.11.2006) ehrte Wenders und das brasilianische Kino, ließ aber vor allem die beiden Straßen-Künstler in einer "Masterclass" zusammen Asphalt-Cowboys spielen.
 
Ein Festival in Griechenland ist dazu gar nicht ungeeignet: Hier fing alles an, hier wurde Odysseus der erste Held eines Road-Movie. Der Urahn all der, die eigentlich nicht ankommen wollen. Homer sang diese Geschichte - "blind wie Ray Charles", wirft Salles ergänzend ein. Leider seien keine Plattenaufnahmen mehr erhalten. Und stieg nicht Travis - was nicht zufällig nach "travel", Reisen, klingt - in "Paris, Texas" im Marathon-Motel ab? Die alten Griechen hatten es schon früh drauf. Bis zu den alten Griechen von heute, weshalb Wenders auch glaubhaft gerührt war, als ihm Theo der Große, mit bürgerlichem Namen Angelopoulos, einen Alexander fürs Lebenswerk überreichte. Man vermutet es nicht, wenn der kleine, fast kahle Grieche im konservativen Anzug neben der langen, jugend-imitierenden Mähne des großen Deutschen im bemüht modischen Jackett steht: "Der amerikanische Freund" und "The Hunters" des späten Quereinsteigers Angelopoulos reüssierten zur gleichen Zeit.
 
Doch zurück zum brasilianischen Freund Salles. Sie verstehen sich gut. Sie schätzen einander sehr. Wenders hat "Die Reise des jungen Che" einige Male gesehen. Salles beschloss Filmemacher zu werden, als er "Im Laufe der Zeit" entdeckte. Und so kramte Wenders aus diesem Frühwerk (schwarz-weiß und Benzinpreise mit Null vor dem Komma) das Seitenwagen-Gespann Vogler/Zischler hervor, ließ sie noch mal von der Elbe an den Rhein knattern, um Salles' zweirädrigen Che-Trip durch Lateinamerika Referenz zu erweisen.
 
Wim und Walter teilen eine Begeisterung für den Asphalt, die Arbeit mit kleinem Team und die Handkamera. Ohne zu wissen, wo der Film hin will, denn "the road is the script"! Kein Script, nur eine Richtung. Und sie schwärmen von den ungeplanten Begegnungen, von den "Hindernissen, die man als Geschenk an den Film annehmen muss" (Wenders). So sah das vielfach abgelehnte Script für "Che" eigentlich "Patagonien, Sommer" vor. Bei der Ankunft schneite es. Worauf das Team eine geniale Rutschpartie aufnahm.
 
 
Salles macht "On the road", Wenders rüber nach Deutschland
 
Bei Salles spiegelt die Reise des Protagonisten auch immer den Zustand des bereisten Landes wieder. Die Krise des Che ist die Krise seines Kontinents. Wenders fuhr "Im Laufe der Zeit" die deutsch-deutsche Narbe Elbe ab, dann setzte er nach Amerika über.
Beide bleiben auch in Zukunft auf der Straße, die ihre Welt bedeutet, die Kamera beweglich auf den Horizont ausgerichtet. Salles wird nach langer Überlegung nun tatsächlich das ultimative Buch zum Road-Movie verfilmen: "On the road" von Beatnic Jack Kerouac. Zur Entscheidungshilfe und als Vorbereitung drehte er eine Doku, in der auch Wenders zu Wort kommt. Schon zehn Minuten daraus machen klar, Kerouacs Zeit mit Eisenhower und McCarthy ist dem aktuellen Terror-Staat USA erstaunlich ähnlich. Und Wenders will nach 10 Jahren USA wieder "ein paar deutsche Straßen sehen", um wieder mit Deutschland Kontakt aufzunehmen. Gab es da nicht mal einen Phillip Winter, der mit vielen Bildern im Gepäck aus den USA zurückkam? Der hier aufhörte, Polaroids zu schießen und wieder sehen lernte? Das hieß 1973 "Alice in den Städten", ist aber wieder der Anfang einer anderen Reise.

21.11.06

Vadim Glowna - Der Geschichtenerzähler

Vadim Glowna gehört zu den wenigen Schauspielern, die persönlich einnehmen - ohne extrovertierte Show. Bei der Vorstellung seiner Autobiographie "Der Geschichtenerzähler" und seines neuen Kinofilms "Das Haus der schlafenden Schönen" durfte das Publikum einen offenen Menschen, einen engagierten Künstler und einen fesselnden Erzähler erleben.

Glowna beschreibt sich selbst als "Bauchmensch", "gebeutelt von Gelüsten und Instinkten". Und so las er nicht einfach, er unterbrach sich beim Lesen immer selbst mit frei erzählten Erinnerungen. "Der Geschichtenerzähler" ist ein erstaunliches Buch. Entstanden mit einer Ghost-Writerin, bietet es keine begnadete Literatur. Dafür hat Glowna unglaublich viel erlebt. Wilde Geschichten vom Krieg, vom Kiez in der Jugend, Ausbrüchen, Fluchten, Abenteuer, atemberaubende teilweise. Vor allem bei dieser Häufung fragt man sich immer wieder, ob dies nicht doch Fiktion ist. Dazu bietet der Band Theater- und Filmgeschichte anfangen bei Gustav Gründgens in Hamburg über eine tiefe Freundschaft mit Sam Peckinpah ("Steiner") bis hin zu Glownas eigenen Regiearbeiten. Allein als Theaterschauspieler mit Vera Tschechowa, einer Großnichte von Anton Tschechow, verheiratet zu sein, ist schon zu schön, um Biographie zu sein. Doch bei Glowna ist es echt, erlebt: Eine Liebe, deren Scheitern er ohne Verstellung zutiefst bedauert.
 
So offen, intelligent und faszinierend erlebte man Glowna bis früh in den Morgen. Eine unvergessliche Begegnung, mit einem stillen Star, der zurzeit wieder vor der Kamera steht und auch einen neuen eigenen Film vorbereitet, der im nächsten Jahr in Nordrhein-Westfalen gedreht werden soll.
 
Vadim Glowna
"Der Geschichtenerzähler"
Gebunden, 288 Seiten
19,95 Euro
Ullstein Verlag

Goyas Geister


Spanien, USA, Frankreich 2006 (Goya's Ghosts) Regie: Milos Forman mit Javier Bardem, Natalie Portman, Stellan Skarsgård 114 Min. FSK: ab 12
 
Der Regisseur von "Amadeus" und "Valmont" (emp)fand bereits vor fünfzig Jahren in einem Bericht über die Inquisition Parallelen zu der kommunistischen Herrschaft. Jetzt zeichnet er ein Historienbild, bei dem der Maler Goya fast zu Nebenfigur wird und die Schrecken der Inquisition Rachel Portmans Figur der schönen Ines brechen. Die Monstrositäten der katholischen Kirche erweisen sich mit den Bildern von Guantanamo als erschreckend zeitgemäß.
 
Im Spanien des Jahres 1792 arbeitet Goya (Stellan Skarsgård) als Hofmaler, der gleichzeitig seine kunstvollen und bloßstellenden Karikaturen überall in Spanien verkauft. Da erhält Ines (Rachel Portman), Muse und Modell für Goya, eine Vorladung der "Heiligen Inquisition", einer eher schweinischen, als heiligen Veranstaltung, die im Land des auserwählten spanischen Volkes besonders aufblühte. Ines geht noch unsicher lächelnd hinter die Mauern der Inquisition, doch bald zerreißen markerschütternde Schreie das opulente Bildervergnügen. Die verschrobenen Sadisten der Kirche foltern wieder für ihre Lust, ihre Ideologie und um weiter mit Angst zu herrschen.
 
Als Goya von der schrecklichen Lage seiner Muse und Modell hört, inspiriert ihn das zu einem Kupferstich. Der Vater von Ines zwingt jedoch den einflussreichen Pater Lorenzo (Javier Bardem) zur Hilfe. Erst bietet man Geld, dann folgen die gleichen Foltern wie bei Ines. (Wobei Bardem die Kleider anlassen darf!) So gesteht Lorenzo absurde Dinge und der Vater versucht zu beweisen, dass unter Folter alles gestanden wird. Doch die Hoffnung auf gesunden Menschenverstand erfüllte sich auch damals nicht, die Kirche entlässt Ines nicht aus ihren Fängen. Lorenzo wird selbst verfolgt, sein Porträt verbrannt.
 
Nach Konrad Wolfs exzellentem "Goya", der selbst von Dämonen gequält wurde und den kunstvollen, melancholischen Erinnerungen "Goya in Bordeaux" von Carlos Saura, enthält der Forman-Film am wenigsten Goya. Das Verhältnis von Kunst und Macht behandelt Forman in einzelnen Episoden am Rande, wenn etwa Napoleon durch den Prado geführt wird. Oder wenn die Königin unschön porträtiert wird. Dabei kommt die Nachricht von der Hinrichtung des französischen Königs an. Ein bedeutungsvoller Einschnitt, aber das Handlungsgerüst orientiert sich weiter an Ines. Fünfzehn Jahre später überziehen die Soldaten Napoleons das Land mit Schrecken, die Goya in seinen berühmten und immer wieder zitierten "Schrecken des Krieges" festhält. So wird dem Land kurzzeitig die Kirche ausgetrieben, menschlicher wird es dadurch kaum. Die neue Freiheit entlässt eine geschundene, wahnsinnige Ines aus den Kerkern der Inquisition, während die Täter hinter Gitter kommen. Der taube Goya nimmt sich ihrer an, um ihre Tochter zu suchen. Und sieht sie tatsächlich im Retiro - unter unerwarteten Umständen...
 
Die eigentliche Hauptrolle spielt Javier Bardem ("Das Meer in mir", "Live Flesh") als ambivalenter Pater Lorenzo. Wenn er die Inquisition thematisiert, ist der Film ungemein aktuell, dann zeigt er all die Übel der Vorverurteilung, der Rechtlosigkeit bei heiligen Kriegen, die Übel der Religion und der Dogmen. Ansonsten eine freie Biographie mit dramatischen Ereignissen in unruhigen Zeiten.

19.11.06

Idlewild


USA 2006 (Idlewild) Regie: Bryan Barber mit André Benjamin, Big Boi, Paula Patton 121 Min. FSK: ab 12
 
Hiermit nehmen wir alles zurück, was wir jemals über Videoclip-Regisseure gelästert haben: Outkast-Filmer Bryan Barber drehte das sagenhafte Video für "Hey Yaa" - und der Spielfilm "Idlewild" erfüllt dieses Versprechen über aufregende zwei Stunden. Die "Outkasts" André Benjamin alias "André 3000" und Antwan A. Patton alias "Big Boi" stürzen sich als Musiker und Schauspieler in die wilde Prohibitionszeit der Dreißiger.
 
Der große Outkast-Film erweist sich als genauso quick-lebendig, originell, einfallsreich wie ihre Musik. Und eigentlich waren Alben wie "Speakerboxx/The Love Below" und "Aquemini" ja auch schon Hörspiele. Aber man braucht kein Fan zu sein, um vom opulenten Historien-Gangster-Musik-Film "Idlewild" begeistert zu sein. Der satte Augen- und Ohrschmaus taucht voll ins Leben der Freunde Percival (André Benjamin) und Rooster (Big Boi). Percival, ist Sohn eines Bestattungsunternehmers in der Prohibitionszeit. Schnaps-Schmuggel ist an der Tagesordnung, Kriminalität ein gutes Geschäft. Die Toten landen bei Percival im Präparationszimmer und die Lebendigen gehen abends in die "Kirche". Diese "Church" ist ein wilder Musikschuppen und als ein Emporkömmling ohne Moral den Club-Boss ermordet, setzt er den Kleingangster mit Kleinfamilie Rooster als neuen Chef ein. Doch nur, um noch mehr Geld aus ihm herauszupressen. Der Freizeit-Klavierspieler Percival träumt davon, seine eigenen Stücke zu spielen und das Nest Idlewild zu verlassen. Mit der Liebe zur neuen Sängerin Angel (Paula Patton, "Deja vue") lebt diese Idee auf.
 
Musikerfilme gibt es reihenweise, doch "Idlewild" ist eine anachronistische Sensation, spielt in einer Liga mit Baz Luhrmanns "Moulin Rouge" oder "Under the Cherry Moon" von Prince. Selbstverständlich liefern Big Boi und André Benjamin grandiose Showeinlagen, ebenso elegant coole wie akrobatische Tanzszenen im Club. Schon zum Aufstehen gibt es einen genialen Song mit Chor und Band aus zahllosen Kuckucksuhren, die gleich eine ganze Wand pflastern. Zu den exzellent choreografierten Szenen kommen originelle und witzige Animationen. Da verselbständigen sich die Noten von Percival und hüpfen wild auf dem Blatt herum. Aber vor allem der eingeprägte Hahn auf Roosters Flachmann, der wie ein griechischer Chor die Handlungen seines Herrn kommentiert, spielt eine Hauptrolle. (Rooster heißt im Englischen übrigens Hahn.) Solche Animationen vermengen sich mit Teilen des Realfilms, während ein Liedchen bei einer wilden Verfolgungsjagd mit Schießerei geträllert wird.
 
Mit André Benjamin hat man einen Erzähler (im Original), der mit Melodie spricht, der Rappen kann. Doch die "Outkasts" können auch spielen, André sah schon gut aus in "Revolver", "Be Cool" und besonders in "Four Brothers". So machen sie sich auf dem ersten Tracks des neuen Albums "Idlewild" zu recht über einen eingebildeten Laurence Oliver lustig, der das Schauspielen den Profis vorbehalten will. Die CD ist übrigens nicht der Soundtrack des Films "Idlewild", denn einige der Songs stammen aus dem sensationellen OutKast-Doppelalbum "Speakerboxx/The Love Below" aus dem Jahre 2003. Dabei legen sie nicht die originale Musik der Clubs aufs Parkett - obwohl Leute wie Cab Calloway ebenso rasant waren - sondern ein "Blend" eine Mischung aus heutigem Hiphop, alten Club- und Bigband-Sounds.

17.11.06

Casino Royale


USA 2006 (Casino Royale) Regie: Martin Campbell mit Daniel Craig, Dame Judi Dench, Mads Mikkelsen 144 Min.
 
Sein statt Schein: Bonds Körperwelten
 
Von Günter H. Jekubzik
 
Der neue Bond fängt gleich exzellent an: Mit einem Vorspann-Kunstwerk ohne Frauen! Faszinierend trickreich setzen sich flächige Action-Szenen aus den Karten-Symbolen Kreuz, Pik, Karo und Herz zusammen, dazwischen immer wieder die Körpersilhouette des neuen Bond-Darstellers Daniel Craig. Viel Herz und viel Körper bestimmen einen überraschend guten Bond-Film.
 
"Casino Royale" macht auf "Prequel" und erzählt in der "Fortsetzung nach hinten", wie alles begann: Wie Bond zu seiner Doppelnull kam (ohne jemals undercover als Klofrau gearbeitet zu haben - obwohl, da war was mit dem Klo ...). Und vor allem, wie er zu einem Frauenverbraucher wurde. Denn "Casino Royal" ist auch ein richtiger Liebesfilm. Wie er überhaupt ein richtiger Film ist und nicht so eine Nummern-Revue der Action-Einlagen und gequirlten Kalauer.
 
Die Bond-Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson hatten noch ein As im Ärmel. Oder gleich ein gutes Blatt auf der Hand. Den ersten James Bond-Roman nämlich! Während die letzten Bonds rund um den exzellenten Schauspieler Pierce Brosnan zu Parodie ihrer selbst wurden, erfindet "Casino Royale" die Figur neu. Als "Körperwelten" um einen ebenso maskulin-muskulösen wie zweifelnd und gefährlich sadistisch spielenden Daniel Craig.
 
Der neue Bond geht brutaler zu Werke und wird auch brutaler gefoltert. Gewalt ist hier noch unedles Handwerk. 007 ist keineswegs zimperlich bei der Verhaftung eines Attentäters in Madagaskar oder bei der Exekution eines Kollegen. Der frisch mit staatlicher Lizenz zum Morden ausgestattete Geheimagent räumt gar nicht "secret" ganze Gebäude aus dem Weg und sprengt eine Botschaft in die Luft. Aber das ist ja auch der Stil aktueller britischer Außenpolitik. Während sich Bonds Chefin M (Judi Dench) laut fluchend aufregt, sitzt er längst bei ihr zuhause und knackt dort die Computer-Passwörter.
 
Ein schwer zu kontrollierender, arroganter Rebell. Ungewohnt, fesselnd. So sehr, dass man problemlos die erste Stunde übersteht, ohne zu wissen, warum es eigentlich geht. Nämlich darum, den schmutzigen Börsen-Spekulant Le Chiffre (Mads Mikkelsen) zu erlegen. Diesen Millionen-Zocker will man nicht einfach verhaften, sondern ihm im Poker-Spiel seine Millionen abnehmen. Damit ihn daraufhin seine Geldgeber jagen und er den guten Geheimdiensten mit Geheimnissen dienstbar sein wird. So weit der Plan und so sitzt man im Casino Royale von Montenegro mit jeweils 15 Mio. Spielgeld. Die Amerikaner zocken auch mit. Wahrlich ungewöhnliche Methoden, aber ideal für den risikofreudigen Bond und hochspannend.
 
Dazu trägt ein schön schauerlich wirkender Gegner bei: Le Chiffre ist gefährlich blass, mit blutendem Auge fein kalt lächelnd eine Art Marilyn Manson des Risiko-Kapitals. Überhaupt sind ausgewählt viele gute Gesichter in diesem Bond zu sehen. (Darunter auch deutsche Nasen wie Jürgen Tarrach und Ludger Pistor.) Da wo es bislang aufs Äußere ankam, bei dem "Bond-Girl", erlaubte man sich eine richtige Figur. Vesper Lynd (Eva Green, "The Dreamers"), Beamtin des britischen Schatzamtes, soll eigentlich nur das Spielgeld beisammen halten, wandelt sich aber von kalter Analytikerin Bonds zu dessen heißer Liebe. Ja, genau: Liebe! Nicht schnelles Vernaschen und dann weiter zur Nächsten. Auch hier ist der Bond ein richtiger Film, auch wenn er etwas lang braucht, um seinen Enden zusammen zu bekommen. So eine gelungene Frischzellenkur kann man nur feiern und hoffen, dass die Produzenten nicht zu schnell in die alte Routine zurückfallen.
 

15.11.06

Casino Royale


USA 2006 (Casino Royale) Regie: Martin Campbell mit Daniel Craig, Dame Judi Dench, Mads Mikkelsen 144 Min.
 
Sein statt Schein: Bonds Körperwelten
 
Von Günter H. Jekubzik
 
Der neue Bond fängt gleich exzellent an: Mit einem Vorspann-Kunstwerk ohne Frauen! Faszinierend trickreich setzen sich flächige Action-Szenen aus den Karten-Symbolen Kreuz, Pik, Karo und Herz zusammen, dazwischen immer wieder die Körpersilhouette des neuen Bond-Darstellers Daniel Craig. Viel Herz und viel Körper bestimmen einen überraschend guten Bond-Film.
 
"Casino Royale" macht auf "Prequel" und erzählt in der "Fortsetzung nach hinten", wie alles begann: Wie Bond zu seiner Doppelnull kam (ohne jemals undercover als Klofrau gearbeitet zu haben - obwohl, da war was mit dem Klo ...). Und vor allem, wie er zu einem Frauenverbraucher wurde. Denn "Casino Royal" ist auch ein richtiger Liebesfilm. Wie er überhaupt ein richtiger Film ist und nicht so eine Nummern-Revue der Action-Einlagen und gequirlten Kalauer.
 
Die Bond-Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson hatten noch ein As im Ärmel. Oder gleich ein gutes Blatt auf der Hand. Den ersten James Bond-Roman nämlich! Während die letzten Bonds rund um den exzellenten Schauspieler Pierce Brosnan zu Parodie ihrer selbst wurden, erfindet "Casino Royale" die Figur neu. Als "Körperwelten" um einen ebenso maskulin-muskulösen wie zweifelnd und gefährlich sadistisch spielenden Daniel Craig.
 
Der neue Bond geht brutaler zu Werke und wird auch brutaler gefoltert. Gewalt ist hier noch unedles Handwerk. 007 ist keineswegs zimperlich bei der Verhaftung eines Attentäters in Madagaskar oder bei der Exekution eines Kollegen. Der frisch mit staatlicher Lizenz zum Morden ausgestattete Geheimagent räumt gar nicht "secret" ganze Gebäude aus dem Weg und sprengt eine Botschaft in die Luft. Aber das ist ja auch der Stil aktueller britischer Außenpolitik. Während sich Bonds Chefin M (Judi Dench) laut fluchend aufregt, sitzt er längst bei ihr zuhause und knackt dort die Computer-Passwörter.
 
Ein schwer zu kontrollierender, arroganter Rebell. Ungewohnt, fesselnd. So sehr, dass man problemlos die erste Stunde übersteht, ohne zu wissen, warum es eigentlich geht. Nämlich darum, den schmutzigen Börsen-Spekulant Le Chiffre (Mads Mikkelsen) zu erlegen. Diesen Millionen-Zocker will man nicht einfach verhaften, sondern ihm im Poker-Spiel seine Millionen abnehmen. Damit ihn daraufhin seine Geldgeber jagen und er den guten Geheimdiensten mit Geheimnissen dienstbar sein wird. So weit der Plan und so sitzt man im Casino Royale von Montenegro mit jeweils 15 Mio. Spielgeld. Die Amerikaner zocken auch mit. Wahrlich ungewöhnliche Methoden, aber ideal für den risikofreudigen Bond und hochspannend.
 
Dazu trägt ein schön schauerlich wirkender Gegner bei: Le Chiffre ist gefährlich blass, mit blutendem Auge fein kalt lächelnd eine Art Marilyn Manson des Risiko-Kapitals. Überhaupt sind ausgewählt viele gute Gesichter in diesem Bond zu sehen. (Darunter auch deutsche Nasen wie Jürgen Tarrach und Ludger Pistor.) Da wo es bislang aufs Äußere ankam, bei dem "Bond-Girl", erlaubte man sich eine richtige Figur. Vesper Lynd (Eva Green, "The Dreamers"), Beamtin des britischen Schatzamtes, soll eigentlich nur das Spielgeld beisammen halten, wandelt sich aber von kalter Analytikerin Bonds zu dessen heißer Liebe. Ja, genau: Liebe! Nicht schnelles Vernaschen und dann weiter zur Nächsten. Auch hier ist der Bond ein richtiger Film, auch wenn er etwas lang braucht, um seinen Enden zusammen zu bekommen. So eine gelungene Frischzellenkur kann man nur feiern und hoffen, dass die Produzenten nicht zu schnell in die alte Routine zurückfallen.
 

12.11.06

Alien Autopsy


Großbritannien 2006 (Alien Autopsy) Regie: Jonny Campbell mit Declan Donnelly, Ant McPartlin, Bill Pullman 95 Min. FSK: ab 12
 
Vielleicht hilft der Hintergrund dem Film auf die Sprünge: Die verrückte Geschichte um die Originalaufnahmen einer Autopsie am Außerirdischen hat sich so tatsächlich 1995 ereignet. Angeblich. Ob der Spielfilm über eine gefälschte Dokumentation jetzt auch einer gefälschten Geschichte aufsitzt oder nicht, ändert nichts an dem mäßigen Unterhaltungswert dieses Film-im-Film-im-Film-im...
 
Wer kennt sie nicht, die Bilder eines Außerirdischen auf dem Seziertisch amerikanischer Militärs in Roswell? Dieser Riesenkopf mit den großen Augen und den langen Fingern. Jetzt wird endlich erklärt, wo das legendäre Filmfragment herkommt. Der kreativ chaotische Engländer Ray schleppt seinen widerwilligen Freund Gary mit in die USA, wo sie eigentlich mit altem Elvis-Kram das große Geld machen wollen. Doch ein mysteriöser Typ (Harry Dean Stanton) zeigt ihnen den Militärfilm von Experimenten an einem Außerirdischen. Mit einer gefährlichen Anleihe bei einem wahnsinnigen Dealer (Götz Otto) kaufen sie den Streifen, um zuhause festzustellen, dass nichts mehr auf ihm zu sehen ist. In heller Panik drehen sie mit Freunden und viel Kreativität die Autopsie im Wohnzimmer nach. Ein ziemlich komischer Wahnsinn, der gegen alle Erwartungen und Vernunft funktioniert. Die TV-Sender aller Länder reißen sich um die Rechte und auch das Militär interessiert sich...
 
Eine absurde Geschichte nett verfilmt. Doch wenn man diese "Alien Autopsy" genauer unter die Lupe nimmt, ist da nicht genug Substanz für einen Kinofilm. Es lassen sich Spuren von deftigen britischen Komödien entdecken, im Hirn etwas Verwirrspiel um Original und Fälschung. Das Persönliche um den verantwortungslosen Draufgänger Ray und seinen übervorsichtigen Kumpel Gary hätte irgendwann die Hauptrolle übernehmen sollen, doch so überzeugt nichts richtig. Man nimmt es freundlich hin und bringt das Video wieder zurück.

Die Super-Ex


USA 2006 (My Super Ex-Girlfriend) mit Uma Thurman, Luke Wilson, Anna Faris, Rainn Wilson 96 Min. FSK: ab 6
 
Superhelden-Film trifft auf Romantische Komödie! Kann das gut gehen? Wer erinnert sich noch an Daryl Hannah im "Angriff der 20-Meter-Frau"? Auch damals war eine ziemlich starke Frau ziemlich sauer auf ihren Ex. Doch das war nicht nur B-Picture, sondern sogar TV-Remake eines B-Pictures! Jetzt meint es Hollywood ernst und lässt Uma Thurman als neurotische Superfrau auf das Kino los...
 
Der ziemlich langweilige Ingenieur Matt Saunders (Luke Wilson) lernt die attraktive Jenny (Uma Thurman) kennen. Ganz Mann wundert er sich über nichts, auch nicht als nach dem ersten gemeinsamen Sex Möbelstücke und Körperteile arg ramponiert sind. Bald sind Matt und Jenny ein Paar. Noch ein paar Szenen weiter macht ihm Sorgen, wie einnehmend und eifersüchtig sie ist. Dann erst kapiert Matt, was wir gelangweilt schon lange sahen: Hinter Jenny versteckt sich das Wonder-Woman G-Girl, das regelmäßig die Stadt, die Umgebung oder gleich die ganze Welt rettet. Auf reichlich übertriebene Weise - genau wie ihre Gefühlsausbrüche überzogen sind: Als Matt mit ihr Schluss macht, wirft sie ihm einen Weißen Hai ins Bett. Einen lebenden! (Pferdeköpfe sind ja soooo altmodisch.) Bei so viel Eifersucht ist alles egal, auch eine verirrte Atom-Rakete. Aber zum Glück gibt es ja dem Genre gemäß noch als Gegner - oder Freund? - das böse Superhirn, den beleidigten Highschool-Freund. Nach einer langen Stunde geht der Film jetzt erst richtig los, steuert endlich auf das lieblos rasche Finale zu.
 
Ein Zickenkampf mit Superkräften. Das eigene Auto nicht nur zerkratzt wieder finden, sondern es gleich im Orbit kreisen sehen. "Die Super-Ex" sorgt für ein paar völlig irre Momente. Der Rest ist dünn - sowohl in Frequenz als auch in der Wirkung. Lahme Entwicklung und gemäßigte Effekte verwässern die gute Idee der rasend eifersüchtigen Super-Ex. Uma kann das spielen - keine Frage! Sie kann so ziemlich alles spielen von "Kill Bill" bis zur Patientin auf der Couch von Meryl Streep. Nun ahnt man direkt, dass an Jennys "Liebe" etwas nicht stimmt. Thurman spielt die freundliche Fassade, hinter der die gefährlich neurotische Ziege lauert, exzellent. Und fragt sich den halben Film wohl, was sie sonst noch machen soll. Wieder einmal wurde eine gute Idee schwachen Autoren überlassen, die trotz Komödienroutinier Ivan Reitman ("Ghostbusters") eine schlaffe Ausführungsicherstellten.

Scoop


Großbritannien, USA 2006 (Scoop) Regie: Woody Allen mit Scarlett Johansson, Woody Allen, Hugh Jackman, Ian McShane, 95 Min. FSK: ab 6
 
Joe Strombel (Ian McShane) hat sich in seinem Reporterleben überall rausgewunden. Nun startet er selbst auf dem Totenfluss Styx noch eine letzt Recherche, als er vom letzten Opfer eines Serienmörders mörderisch gute Information aus erster - oder letzter - Hand erhält. So springt Joe dem Sensenmann noch mal kurz vom Schiff und erscheint einer Berufskollegin, die Strombels journalistische Sensation, seinen letzten "Scoop" realisieren soll. Sondra Pransky (Scarlett Johansson) erweist sich aber als dummes Reporterhuhn, das dauernd zuviel quatscht und beim Interviewten direkt im Bett landet. Die amerikanische Studentin schreibt für eine Uni-Zeitung und besucht in London gerade Freunde der Upper Class.
 
Da ihr Joe Strombel erstmals in der Show des mediokren Zauberers Splendini (Woody Allen) erschien, sucht Sandra bei dem Landsmann Unterstützung. Der warnt und winkt ab, um kurz drauf selbst mit in der Sache zu hängen. Sowohl Recherche wie Film verlaufen allerdings etwas schwerfällig, wenn sich zwei Amateur-Journalisten als Detektive versuchen. Sie wissen um ihre Unzulänglichkeiten: "Wenn wir unsere Köpfe zusammenstecken, gibt es ein hohles Geräusch", erkennt Sandra einsichtig. Doch dank einiger Zufälle schleicht sie sich beim Verdächtigen ein. Durch einen vorgespielten Badeunfall lernt sie den Aristokraten Peter Lyman kennen. Die Klassengesellschaft hat in Pool und Bikini keine Erkennungsmerkmale mehr. Allerdings erscheint Lord Lyman viel zu charmant, als dass er der Tarot-Killer sein könnte, der bereits zehn Prostituierte umbrachte. Sandra verfällt ihm undercover und landet bald unter Peters Bettdecke. Nur Splendini, der sich als Sandras Vater ausgeben musste, sucht weiter nach den Spuren eines neuen Jack the Ripper (Sandra: Wie schreibt man das?) ...
 
Nach "Match Point" schleicht sich Woody Allen erneut in die Upper Class ein. Die Frage, was Allen an London findet, ist falsch gestellt. "In" London findet er Geldgeber für seine Filme. Nebenbei machte er sich in "Match Point" über die High Society lustig und moralisierte gleichzeitig. Jetzt ist die moralische Komponente nur noch ein Witz und ein abgegriffener Mordplot auf Kosten der Lords.
 
So wie Splendini die Adeligen mit billigen Kartentricks belustigt, unterhält auch Allen mit den immer gleichen Tricks. Wie wunderbar verzauberte und hypnotisierte Allen noch 2001 "Im Bann des Jade Skorpions". Damals sprühte nicht nur Wort-, sondern auch Situations- und romantischer Witz. Nun darf die gehypte Scarlett Johansson nach ihrem tragisch-dramatischen Auftritt in "Match Point" ihr komödiantisches Talent zeigen, macht das auch ganz gut. Dem Vergleich zu anderen "Allen-Girls" wie Diane Keaton oder Mia Farrow hält sie jedoch (noch?) nicht stand.
 
Der "Scoop" gelingt Allen vor allem durch seine Dialoge. Als Thriller ist der Film eher selten mal spannend, weil vor allem unbeholfen herum geschnüffelt wird. Der neue Allen ist wieder der alte Allen, der konstant zwischen gut und nicht so gut schwankt.

Wo ist Fred?


BRD 2006 (Wo ist Fred?) Regie: Anno Saul Fred mit Til Schweiger, Jürgen Vogel, Alexandra Maria Lara, Christoph Maria Herbst, Anja Kling 111 Min. FSK: ab 12
 
Der unbewegte Mann
 
Wer so "Manta, Manta" führt, muss irgendwann im Rollstuhl landen. Oder in einer noch blöderen Komödie namens "Wo ist Fred?"! Til Schweiger produziert sich immer mal wieder in ambitionierten Projekten - er kann aber auch ganz anders. So geriet der Nachfolger von Anno Sauls frecher wie origineller "Kebab Connection" zur dummen Klamotte.
 
Fred (Til Schweiger), ein rücksichtsloser Polier, macht der Tochter vom Chef den Hof. Beide passen in ihrer Plattheit gut zusammen, doch Maras (Anja Kling) dickes, verwöhntes Söhnchen Linus erpresst den Stiefvater in Spe: Nur wenn der einen signierten Ball von irgend so einem Sportstar besorgt, kommt es zur Hochzeit. Diese Bälle landen aber immer auf der Behinderten-Tribüne, weil "Behinderte sowieso immer bevorteilt werden" (O-Ton Fred). Fred, gar nicht helle, setzt sich flugs in einen Rollstuhl, kickt den Nebenmann weg und hat den Ball in seinen Händen. Doch wegen der PR-Aktion eines Werbefuzzis muss er jetzt eine Woche lang den Geh-Behinderten weiterspielen. Und Alex (Jürgen Vogel), sein Kumpel vom Bau, schiebt ihn als vorgeblicher Pfleger nur immer tiefer ins Schlamassel rein.
 
Genauso dumm-dreist wie die Leute, die immer auf Behindertenplätzen parken, kommt auch dieser Film daher. Ein paar falsche Annahmen, reihenweise schlampig gezeichnete Figuren und ein unoriginelles Drehbuch mit Gags von Vorvorgestern. Man kann dabei vor allem über Til Schweiger lachen, der in einer selten dämlichen Rolle wieder Unterhemd und Oberarme zeigt. Auch einige andere deutsche "Stars" zeigen sich von ihrer schlechtesten Seite: Alexandra Maria Lara blinkt ihre Rehaugen so nett, so lieblich, so dämlich, wie man sie besonders hasst. Jürgen Vogel spielt das größte Arschloch dieser Geschichte, wird aber als komödiantische Nebenfigur mit der profillosen Nebenfrau belohnt. Ohne eine Lektion, wie sie diese Figur etwa bei Shakespeare erleben müsste. Der gleiche Film auf amerikanisch und auf besser hieß mit Johnny Knoxville übrigens "Dabei sein ist alles". Bleibt zu hoffen, dass die Unbelehrbaren nach möglichst wenigen Wochen an der Kinokasse vergebens fragen: "Wo ist Fred?"

10.11.06

Der Fluch - The Grudge 2


USA 2006 (The Grudge 2) Regie: Takashi Shimizu mit Amber Tamblyn, Arielle Kebbel, Jennifer Beals 101 Min. FSK: ab 16
 
Auch dieser Horror beginnt mit Teenies, aber er ist von einer anderen Kategorie als amerikanische Serienware: In der sechsten - nationalen wie internationalen - Variante dieses Klassikers des J-Horrors von Takashi Shimizu schleicht sich der Schrecken wieder in den, aus einer anderen Kultur stammenden und deshalb wirkungsvolleren Fratzen unter die Haut.
 
"The Grudge 2" baut sich ruhig und satt in drei Strängen auf, die jeweils auf einen schrecklichen Höhepunkt hinauslaufen. Sarah Michelle Gellar hält es nicht mehr aus, sie springt ganz schnell aus dem Fenster. So muss jemand anderes sich gründlich erschrecken lassen und dem Rätsel des verwunschenen Hauses nachgehen. Von dort breitet sich der Horror rasant aus und gebiert sehr schöne Realisierungen der Schreckensfiguren, wenn sich das schwarze Etwas etwa in einem sich gerade entwickelnden Foto bewegt, wächst und die gesamte Entwicklerflüssigkeit färbt, bevor aus dieser Brühe der haarige Kopf auftaucht. Solche Momente gibt es reichlich und so kann man ganz ohne Grimm diesen zweiten, dritten oder sechsten Teil als herausragend für sein Genre genießen.
 
Mit Witz werden die Ikonen dieses eigenen Sub-Genres eingesetzt. Das kleine Kind, das hinkende Wesen im Kittel und mit vor lauter schwarzen Haaren schiefem Kopf. Vielleicht tauchen diese Bekannten schon zu oft auf, dem Inflationären folgt ganz nah die Parodie. Doch die Teenager, die bei Sex-Versuchen vom Grauen verschlungen werden, sind eher augenzwinkerndes Zitat als zu platte Aufgabe an den internationalen US-Geschmack.