28.2.22

Cyrano


Großbritannien, USA, Kanada 2021, Regie: Joe Wright, mit Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr., Ben Mendelsohn, 124 Min., FSK: ab 12

Wer Cyrano hört, sieht dabei Depardieus befiederten Hut und seine lange Nase. Manche Väter der Klamotte erinnern sich vielleicht an Steve Martins „Roxanne" (1987) mit einem Gesichts-Erker, der auch für schwächlichen Spott leicht zu entern war. Nun gibt es einen kongenialen Paradigmenwechsel, wenn Peter Dinklage als Cyrano seine Kleinwüchsigkeit zum Objekt des Gespötts macht. Und wer da gleich wieder Aufreger sucht, möge sich entspannen und genießen: Peter Dinklage ist seit 2005 mit Erica Schmidt, der Autorin der neuen Cyrano-Version, verheiratet. Die Geschichte von Edmond Rostands Versdrama ist ihm für das grandiose Musical „Cyrano" quasi auf den Leib geschrieben. Dinklage gibt dem „Freak" Cyrano eine moderne Form.

Wobei „Freak" im ersten Wort- und Fechtduell von Cyrano als wenig originelle Beleidigung verlacht wird. Zum Ende des 17. Jahrhunderts ist der Offizier Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) mit der Schreibfeder ebenso begabt wie mit dem Degen. Das berühmte Wortgefecht - hier im Theater - zeigt ihn als gnadenlosen Kritiker und allem Spott überlegen. Aber „Yet it all goes in and god how it hurts" - „Trotzdem trifft es tief und, mein Gott, wie schmerzt es!" So Cyranos geflüsterter, doppeldeutiger Kommentar zu den Beleidigungen und seinem tödlichen Degenstich.

Der Streit eskalierte auch, weil Cyranos Jugendfreundin, die schöne Roxanne (Haley Bennett) im Publikum saß. Heimlich ist er in sie verliebt, aber überzeugt, dass sie ihn aufgrund seiner äußeren Erscheinung niemals lieben kann. Doch dann bittet sie ihn zu einem privaten Treffen – in einer Bäckerei ein Augenschmaus – wegen eines wichtigen Geständnisses. Das Aufflammen von Hoffnung bei Cyrano und die bittere Enttäuschung, als sie nicht ihm, sondern dem gutaussehenden Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr.) ihre Liebe gestehen will, das ist die pure Herz-Schmerz-Essenz dieses Dramas. Er bringt es nicht übers Herz, seine Gefühle zu gestehen. Stattdessen hilft Cyrano dem simplen Christian, umwerfende Liebes-Briefe zu schreiben.

Beim ersten privaten Treffen von Roxanne und Christian geht der Wortwitz auf Kosten des Einfältigen: „Leidest Du an Vertigo (Höhenangst)?" „Nein, ich mag nur keine Höhen." Sie lacht, er hat keine Ahnung weshalb. Er bleibt verliebter Ignorant und ein Stümper mit Worten. Was die Angebetete anfangs entsetzt: „Da kommt nur ‚I love you' und eine Wiederholung raus. Nicht die 1000 Varianten aus dem Brief." Sie staunt und verzweifelt an seinem Gestammel. 

So weit, so Edmond Rostand, dessen Leben (1868-1918) wir mittlerweile auch von Alexis Michaliks Spielfilm „Vorhang auf für Cyrano" (2018) kennen. Aber anders als in den zahlreichen Verfilmungen seines beliebten romantisch-komödiantischen Versdramas wird diesmal gesungen - und wie!

Joe Wright, der Regisseur bildgewaltiger Verfilmungen wie „Stolz & Vorurteil", „Abbitte" oder „Anna Karenina", ist genau der Richtige für ein fulminantes Kostümdrama. Diesmal ist die Vorlage nicht pur Rostand, sondern das Bühnenmusical von Erica Schmidt, in dem schon Peter Dinklage („Game of Thrones", „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri", „Taxi" der Aachener Produktion Zinnober) und Haley Bennett („The Devil All The Time") die Hauptrollen spielten. Es wurde 2018 im Norma Terris Theatre in Chester, Connecticut (USA) uraufgeführt.

Ungemein passend sorgt die Musik der Indie-Band „The National" für eine melancholische Grundstimmung. Aaron und Bryce Dessner komponierten, Frontmann Matt Berninger schrieb Texte, die teilweise Rostand ersetzen. So wird die Balkonszene zu einem soufflierten Liebes-Duett. Dazu die Decke über Roxanne wie ein Himmel von Tiepolo, die rosaroten Wolken passen zu rostroten Haaren. Dann Kriegsszenen in verschneiter Berglandschaft als pures Gemälde – und vielleicht sogar ein bisschen zu viel „Game of Thrones". Dazu traumhaft schöne Choreografien mit Bäckerinnen und Soldaten in exquisiten Kostümen vor wunderbar ausgeleuchtet Kulissen, die man sofort besuchen will. Gedreht wurde übrigens auf Sizilien.

Die musikalische Neuinterpretation funktioniert erstaunlicherweise so perfekt, es lässt glatt Depardieu vergessen. Und der war doch in dieser Rolle eine der großen Kino-Ikonen. „Cyrano" anno 2022 wirkt so stimmig, man fragt sich, ob die Original-Verse von Rostand nicht auch mit dahinschmelzenden Streichern unterlegt waren. Ein in jeder Hinsicht großartiges Musical, wie es seit langem nicht mehr zu sehen war. Vielleicht seit Buz Luhrmanns „Moulin Rouge".

Poster image for Cyrano

The Card Counter


USA, Großbritannien, China 2021, Regie: Paul Schrader, mit Oscar Isaac, Willem Dafoe, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, 109 Min., FSK: ab 16

Ein Film von Paul Schrader müsste eigentlich Sensation sein. Als Drehbuchautor war er verantwortlich für Martin Scorseses „Taxi Driver" und Brian De Palmas „Schwarzer Engel" (1976). Auch Scorseses „Wie ein wilder Stier" (1980) und „Die letzte Versuchung Christi" (1988) stammen aus seiner Feder. Doch er ruiniert seine Reputation mit schwächeren Filmen als Regisseur, bei „Exorzist: Der Anfang" wurde ihm 2005 sogar die Regie entzogen. So sind seine zwölf „fremd verfilmten" Bücher fast alle Höhepunkte der Filmgeschichte, die „eigenen Filme" weitgehend unbekannt. Auch „The Card Counter" ist ein interessanter Paul Schrader, der leider von Paul Schrader verfilmt wurde.

William Tell (Oscar Isaac) ist ein mysteriöser Spieler. In kleinen Casinos einer gar nicht glamourösen professionellen Poker-Welt hält er die Einsätze niedrig. Den Verführungen der Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish) widersteht er lange. Er will nicht um Millionen spielen - „Ich bin bescheiden." Das Genre das Poker-Films und die Sammlung spannender Poker-Szenen der Filmgeschichte (siehe James Bond) wird völlig unterlaufen – es gibt gar keine Spannung bei den Poker-Duellen. Interessanter als Black Jack oder Poker ist eine Sonderbarkeit des Spielers Tell: Immer, wenn er in ein billiges Motel zieht, umwickelt er im Stile Christos jedes Möbelstück im Raum mit grauen Stofftüchern.

Dies Gleichgewicht in düsterer Stimmung kippt, als der junge, wirre Cirk (Tye Sheridan) auftaucht und Tells Vergangenheit aufwühlt. Einst „diente" Tell als Soldat in einem Folter-Gefängnis der US-Armee. Die „Verhöre" verfolgen ihn in seinen Albträumen. Während der Soldat wegen Menschenrechtsverletzungen achteinhalb Jahre im Militärgefängnis saß, wurde sein Vorgesetzter Major John Gordo (Willem Dafoe) nie bestraft. Was Cirk ändern will, weil sich sein gewalttätiger Vater nach den Erfahrungen mit Gordo umgebracht hatte.

„The Card Counter" will eindeutig Stellung gegen Kriegsverbrechen beziehen und tut es teilweise eindringlich. Die Albträume im schmutzigen gelb-grau von „Taxi Driver" mit extremer Fischaugen-Perspektive sind ein nachhaltiger Horror-Trip. Den Gegensatz zu diesen traumatischen Erfahrungen bilden ein paar Vollidioten beim Poker, die mit „Stars and stripes"-Shirts rumlaufen und dauernd „USA" grölen. Wie allerdings die eher lakonisch als spannend vollzogene Rache verläuft, bleibt im Detail unklar – wie einiges andere im interessanten, aber nur fragmentarisch gelungenen Drama. Oscar Isaac spielt eindringlich, Willem Dafoe hat wenige, irre Szenen.

 

Was tun


Deutschland 2020, Regie: Michael Kranz, 72 Min. FSK: ohne Angabe

Schon die Initialzündung zeugt von einer Naivität, die der Film „Was tun" nie mehr loswird: In der Dokumentation „Whore's Glory" von Michael Glawogger aus dem Jahr 2011 sieht der Filmstudent Michael Kranz eine 15-jährige Zwangsprostituierte aus Bangladesch. Sieben Jahre nach diesen Aufnahmen beginnt Kranz mit einer Kamera seine filmische Reise zu Kinderprostitution, Gewalt und Armut. Mit dem Impuls „Was tun".

Michael Kranz möchte nicht untätig bleiben, nachdem er das Leid gesehen hat: „Aus guten Gründen nichts getan, habe ich schon oft genug. Ist es möglich das Mädchen zu finden? Ich will es wenigstens probieren." So fliegt er in die Hauptstadt Dhaka, zeigt auf Straßen und Märkten suchend den Filmausschnitt mit dem jungen Mädchen. Ein kleiner Junge, der eigentlich Freier einsammelt, hilft ihm. Er dient als Führer durch die Welt der Bordelle, seine Schwester arbeitet auch als Prostituierte. Unerwartet wird aus der naiven Suche nach einer Zwangsprostituierten ein erschreckendes Bild der gesamten Situation. Wir sehen die Spuren von Misshandlungen durch Zuhälterinnen. Diese sind oft ehemalige Prostituierte, die zu alt für den Job sind und aufgrund der scheinheiligen Standesregeln nichts anderes tun können. Schwer erträglich sind die Schilderungen von Vergewaltigungen eines maskierten Zuhälters. Auf die Frage, was er mit jemanden tun würde, der dies seiner Tochter antut, sagt er „Ich würde ihn umbringen!"

Doch selbst als der Film auf dem Weg ist, einige furchtbaren Schicksale anständig zu dokumentieren und mit Helfern zusammenarbeitet, beharrt der Filmemacher auf seine Suche nach einer speziellen Frau. Nebenbei startet er über Facebook einen Spendenaufruf und begleitet die Befreiung einiger Mädchen durch Hilfsorganisationen. Wobei das Regierungsheim, in dem sie geschützt werden sollen, auch eine Art Gefängnis ist.

„Die Reise zur anderen Seite des Bildschirms" in „Was tun" arbeitet mit einer aufdringlichen persönlichen Perspektive. Befremdlich und als Nabelschau bei diesem Thema extrem unpassend. Generell kommentiert Kranz nervtötend das, was gute Dokumentarfilme einfach zeigen. Vermeintlich tiefschürfende Gedanken zum Bild eines drehenden Ventilators bleiben ärgerlich prätentiös. Michael Kranz erfüllt tatsächlich die Einschätzung seines Professors, er reitet „als weißer Ritter ins Bordell".

 

22.2.22

King Richard


USA 2021, Regie: Reinaldo Marcus Green, mit Will Smith, Aunjanue Ellis, Saniyya Sidney, 145 Min. FSK: ab 12

Der Titel sagt es schon: Die Erfolgsgeschichte der Williams-Schwestern im Tennis wird nicht mit Fokus auf die beiden Spielerinnen Venus und Serena erzählt. Im Zentrum steht Vater Richard Williams, eindrucksvoll und Oscar-würdig gespielt von Will Smith. Mit sechs Nominierungen ist „King Richard", der auf Richard Williams' Autobiografie „Black and White" beruht, ein großer Favorit der Oscars.

Richard Williams (Will Smith) wirkt wie ein Wahnsinniger, wenn er mit seinem 78-seitigen Erfolgsplan in weißen Tennisclubs Finanziers umwirbt: Nach drei Töchtern hätte er mit seiner Frau zwei weitere gezeugt, die in Zukunft die besten Tennisspielerinnen der Welt sein werden. Nun arbeitet er auch wie wahnsinnig an der Karriere seiner „Champions". Bei seinem Job als Nachtwächter und mit den Mädchen auf einem heruntergekommenen öffentlichen Tennisplatz.

Wir sind in Compton, dem sozial benachteiligten Vorort von Los Angeles. Drumherum im Park lungern gewalttätige Typen, die Richard zusammenschlagen, weil er sie bittet, seine Mädchen nicht zu belästigen. Scheinbar nicht das erste Mal, dass er Prügel bekommt. Und deutlich die eigentliche Motivation hinter seinem „Geschäftsplan": Seine Kinder sollen einmal sicher und frei von Unterdrückung leben können. Es geht in „King Richard" um sportlichen Erfolg, aber vor allem um den Respekt, den Richard selbst nie erhalten hat.

„King Richard" klingt nach Shakespeare, aber die Sportgeschichte wirkt wie ein Narren-Stück, das seine berührenden Wahrheiten ganz unauffällig mitbringt. Richard ist und bleibt ein nerviger Besserwisser, „der dickköpfigste Typ, den ich jemals im Leben getroffen hab, und ich hab' McEnroe trainiert" (Rick Macci). Selbstbewusst tritt er auf der Suche nach einem professionellen Trainer in den weißen Elite-Clubs auf. Allerdings weniger überzeugend als beharrlich. So dürfen Venus (Saniyya Sidney) und Serena Williams (Demi Singleton) endlich einmal vorspielen und überzeugen schließlich Paul Cohen, den Trainer von Pete Sampras. Geld ist allerdings nur für das Training von Venus da. Serena wird von Richard und Mama Oracene „Brandy" Williams (Aunjanue Ellis) privat fit gemacht - mit den Videos, die Papa von Venus' Training aufnimmt. Diese sehr schmerzliche Erfahrung bleibt ein kleines Drama am Rande. Dank großartiger Schwesternschaft leidet Serena still und meldet sich heimlich bei einem Turnier an. Richard und wir wissen, dass sich der Plan des Vaters erfüllen wird: Venus wird einst als erste afroamerikanische Spielerin zur Nummer Eins der Tennisrangliste, Serena die beste Spielerin ihrer Zeit.

Später, als der legendäre Rick Macci (Jon Bernthal) in Florida das Training übernimmt, bringt der viel Spaß in den Film. Es kristallisiert sich aber auch neben extremer Dickköpfigkeit und schwierigem Charakter eine weitere Eigenschaft Richards heraus: Angesichts der Drogenkarriere von Maccis einstigem Jung-Star Jennifer Capriati verteidigt Papa die Familien-Werte und Privatleben. Er hält seine Töchter lange von Tennisturnieren fern.

Nicht nur hier ist „King Richard" der Film von Richard Williams und Will Smith, der ganz in seinem Charakter aufgeht. Während 1992 im Fernsehen die Rodney King-Aufstände zu sehen sind, muss sich der Vater vor einer Sozialarbeiterin verteidigen. „Weil er seine Kinder von der Straße fernhält", wie er wütend schreit. Im elitären Tennis-Club begrüßt er interessierte Förderer seiner Töchter mit dem bitter-frechen Spruch „Nett, dass ihr die (Ku-Klux-Klan-) Kappen abgenommen habt!" Selbst ein heftiger Ehekrach ist getränkt vom Gift des Rassismus. So ist „King Richard" weniger eine Sport-, denn eine Befreiungs- und Emanzipationsgeschichte. Der großartig gespielte Film macht vielfach klar, was der Williams-Erfolg in diesem weißen Sport bedeutet.

Für Fans der Williams-Schwestern ist „King Richard" ein Muss. Für Kino-Fans allerdings auch, was nicht nur die gleich sechs Nominierungen belegen: Bester Hauptdarsteller (Will Smith), Beste Nebendarstellerin (Aunjanue Ellis als Brandi Williams), Bestes Originaldrehbuch (Zach Baylin), Bester Song („Be Alive"), Bester Schnitt (Zach Baylin) und Bester Film. Als Bester Tennisfilm wird er bei Sport-Publikationen jetzt schon reißerisch angekündigt. („Battle of the Sexes – Gegen jede Regel" mit Emma Stone Billie Jean King wäre da noch zu erwähnen.) Letztere Nominierung könnte die Trophäen-Sammlung der Serien-Siegerinnen Williams um einen Oscar bereichern. Denn produziert wurde die Biografie von Will Smith; Serena Williams und Venus Williams sind Koproduzentinnen.

21.2.22

Belfast

Belfast

Großbritannien 2021, Regie: Kenneth Branagh, mit Caitríona Balfe, Judi Dench, Jamie Dornan, Ciarán Hinds, Jude Hill, 99 Min., FSK: ab 12

Von einem schwungvollen, farbigen Prolog des heutigen Belfasts geht es in eine quicklebendige schwarzweiße Straße des Jahres 1969. Bevor unvermittelt die Gewalt mit Molotowcocktails in die Fenster einschlägt. Weil noch ein paar Katholiken im protestantischen Viertel leben, fällt ein Mob in die familienfreundliche Nachbarschaft ein. Ein Mülltonnendeckel, der für den neunjährigen Buddy (Jude Hill) gerade noch Schild beim Ritter-Spiel war, wird seiner rettenden Mutter zum Schutz gegen fliegende Pflastersteine. Am nächsten Tag verbarrikadiert eine hohe Mauer die Straße. Das Militär rückt zum Schutz mit Panzer an.

Plötzlich schlagen sich Erwachsene in der jahrzehntealt vertrauten Nachbarschaft wegen Kinderstreitereien mit Fäusten. Kleine Gangster spielen sich zu politischen Führern auf und nutzen die Gelegenheit aus, um Macht zu spüren. Was in Kurzfassung den Charakter vieler „Kämpfer" im Bürgerkrieg bis heute beschreibt – sie waren einfach nur Gangster.

Der geniale Regisseur Kenneth Branagh wurde 1960 in Belfast geboren. Als er neun Jahre alt war, zog die Familie nach England. Im Anschluss an eine erste Karriere als Bühnenstar in Shakespeare-Stücken begeisterte er direkt mit seinen Filmversionen („Hamlet" 1996, „Verlorene Liebesmüh" 2000, „Wie es euch gefällt" 2006). Populär wurde er vor der Kamera als „Kommissar Wallander" und im Regiestuhl mit Knallern wie „Thor" (2011) oder „Tod auf dem Nil" (2022). Nun drehte er über die eigene Jugend im nordirischen Belfast seinen persönlichsten Film – vor allem im Vergleich zur Auftragsarbeit von Agatha Christie-Verfilmungen. Die Eskalation der Gewalt im von England besetzten Teil Irlands ab 1969 – der „Nordirlandkonflikt" – zeigt „Belfast" aus dem Blick des kleinen Jungen Buddy. Dadurch wird die Gewalt abgeschwächt dargestellt. In den wunderbaren Schwarzweiß-Lichtspielen steckt in jedem Bild spürbar viel Herz und Sehnsucht nach dieser Zeit.

Vorbilder für Kenneth Branagh waren John Boormans „Hope and Glory", Spielbergs „Empire of the Sun" oder „Auf Wiedersehen, Kinder" von Louis Malle. Auch an Pedro Almodóvars „Leid und Herrlichkeit" kann man in der Reihe großer Meisterwerke denken. Zu den magischen Erinnerungen gehören ein Koffer voller Matchbox-Autos und vor allem die Besuche in Theater und Kino mit Raquel Welch („Eine Million Jahre vor unserer Zeit") und „Tschitti Tschitti Bäng Bäng". Eine ganz andere Welt in Farbe! Im Fernsehen läuft „Raumschiff Enterprise" abwechselnd mit den Nachrichten über Unruhen vor der Haustüre!

Das „High Noon" („Zwölf Uhr mittags") des Vaters mit einem grandiosen Gary Cooper-Moment ist ein Hohn für die selbsternannten Sheriffs. Und fortan muss die Familie um ihre Sicherheit fürchten. Die Bedrohung kommt von den „eigenen Leuten", typisch für diesen Bürgerkrieg, der gnadenlos Unbeteiligte massakrierte. 

Buddys oft abwesender Vater (Jamie Dornan) arbeitet als Tischler in England, wo es mehr Jobs gibt und die Bezahlung besser ist. Trotzdem hat er dauernd Geldprobleme, welche die Mutter (Caitriona Balfe) zur Weißglut bringen. Sie glänzt in der Erinnerung als lebenslustige, junge Frau. Judi Dench spielt mit wunderbar faltigem Gesicht die im Viertel verwurzelte Oma. Mit Opa (Ciarán Hinds) streitet sie sich immer liebevoll, legt aber auch ein herzerwärmendes Tänzchen aufs Parkett der Küche. Die Hassreden der Priester zeigen derweil erschreckende Monster auf der Kuppel. Überhaupt beglückt „Belfast" auch in stilvollen Bildern mit tollen Physiognomien vor Ziegelmauern. Der lebendige Wechsel von sorgenvollen Momenten und Familienglück zu Van Morrison-Songs ist unbedingt sehenswert!

SAF


Türkei, Rumänien, Deutschland 2018, Regie: Ali Vatansever, mit Erol Afsin, Saadet Aksoy, Kida Khodr Ramadan, 102 Min., FSK: ohne Angabe

Die Gentrifizierung raubt dir das Dach überm Kopf und du musst selber den Bagger fahren, der das Haus abreißt. In diese äußerst prekäre Lage gerät der einfältige türkische Arbeiter Kamil (Erol Afsin), dessen altes Viertel in Istanbul teuren Hochhäusern weicht. Der Arbeitslose kauft vom wenigen Geld ein Radio für das Gemüse im Garten. Er hätte gehört, mit Koran-Suren würden es besser wachsen.

Mit der Schwangerschaft, prekären Arbeitsverhältnissen und der Sorge, das Dach überm Kopf zu verlieren, ist „SAF" ein klassisches Sozialdrama. Mit bösem moralischem Dilemma: Die Zwangslage bringt den armen Kamil dazu, ohne Führerschein und Erfahrung einen Job als Baggerfahrer anzunehmen. Jetzt reißt er nicht nur ganz persönlich die Häuser im eigenen Viertel ab. Es hassen ihn türkischen Kollegen, weil er für niedrigen Lohn arbeitet, den die syrischen Flüchtlinge bekommen. Diese wollen ihn verprügeln, weil er einem der ihren (Kida Khodr Ramadan) den Job abgenommen hat. Und die Nachbarn sehen in Karim einen Verräter.

Zu den anstrengenden Nachtschichten kommt das Problem, dass er kein Geld hat, den jetzt dringend gebrauchten Bagger-Führerschein zu machen. Kamil erlebt einen Gegenschlag nach dem anderen, selbst das geschenkte Silberbesteck ist nur versilbert und nichts wert. Er bettelt Freunde um Geld an, aber die haben selber nichts. Der beste Freund Fatih ist ein Simpeldenker, der „die Schwuchtel verprügeln" will, die „ihm den Job wegnimmt". Dabei will der Syrer Ammar (Ramadan) nur seinen eigenen Job zurück. Der allgegenwärtigen Fremdenfeindlichkeit stellt der Film eine rührende Szene entgegen, wenn der Baggerfahrer Karim wortlos zu sich nach Hause und zu seinen Kindern mitnimmt, ihm seine ärmliche Lage zeigt. Karim bringt ihm zuerst etwas von seinem Gemüse, wird dann durch die Zwänge des Raubtierkapitalismus' zu einer extremen Tat getrieben.

Die zentrale Frage des nüchternen Films ist laut Regisseur Ali Vatansever: „Wie bewahrt man seine Menschlichkeit an einem so schwierigen Ort, wenn man von Monstern umgeben ist?" Auch wenn „SAF" nach der Hälfte des Films die Perspektive zu Remziye wechselt, die verzweifelt ihren verschwundenen Mann sucht, bleiben wir auf der Seite derer, die versuchen, Anstand und Mitmenschlichkeit aufrecht zu erhalten. Das sind nicht unbedingt die Bürgerrechts-Gruppen, wie der aufmerksame und intensive Film pointiert zeigt. Kida Khodr Ramadan („4 Blocks"), der Schauspieler ohne Führerschein, hat einige sehr starke Szenen.

Trübe Wolken


Deutschland 2021, Regie: Christian Schäfer, mit Jonas Holdenrieder, Devid Striesow, Valerie Stoll, 103 Min., FSK: ab 12

Der 17-jährige Paul (Jonas Holdenrieder) sucht etwas, weiß aber nicht was, vielleicht nur Orientierung. Er ist der stille, der unscheinbare Schüler, noch deutlicher in den Schatten gestellt durch den grellen und übergriffigen Max (Max Schimmelpfennig). Trotzdem interessieren sich Leute für Paul: Im Theaterkurs die interessante Dala (Valerie Stoll), ein pädophiler Sportlehrer macht ihn an, der reizvolle neue Mitschüler scherzt unter der Dusche und der kunstsinnige Lehrer Bulwer (Devid Striesow) lädt Paul zu sich ein. Die übliche unbestimmte Schwebe solcher Coming of Age-Filme gewinnt an Spannung durch einen lebensgefährlichen Steinwurf auf Bulwers Auto und durch das Verschwinden des Jungen aus der Dusche.

Teenager sind im Film gerne mal Monster, egal ob „Der junge Törless" von Volker Schlöndorff (nach Musil), ob „Donnie Darko" oder der kleine Killer aus Wolfgang Beckers „Schmetterlinge".

Auch Paul soll als unheimlicher Typ inszeniert werden, der staunend auf seltsame Menschen in seiner Umgebung schaut. Das gelingt dem deutschen Fernsehfilm übers Erwachsenwerden mit ein paar guten Schauspielleistungen, vor allem durch Striesow.

Studio 666


USA 2022, Regie: BJ McDonnell. mit Dave Grohl, Nate Mendel, Pat SmearDave Grohl, Nate Mendel, Pat Smear, 110 Min., FSK: ohne Angabe

Wenn eine alternde Rockband sich in ein Geisterhaus einschließt, um endlich das zu lang erwartete zehnte Album aufzunehmen, kann das zu einem horrenden Ergebnis führen. Im wahrsten Sinn des Wortes! „Studio 666" ist der höllisch schlechte Versuch der „Foo Fighters" unter Führung des ehemaligen Nirvana-Schlagzeugers Dave Grohl, selbst in einem Horror-Film die Hauptrollen zu übernehmen. Also Michael Jacksons „Thriller" (Regie: John Landis) in lang und richtig schlecht.

Fans von Grohl wird es sicher Spaß machen, mähnenschüttelnden Altrockern beim Produzieren von Schenkelklopfern zuzusehen. Die „Foo Fighters" hatten immer einen Hang zu besonderen Musikvideos, Michel Gondry inszenierte beispielsweise „Everlong". Diesmal schockiert laienhaftes Schauspiel mehr als die Geschichte eines bösen Haus-Geistes, der in Grohl fährt, um endlich seinen teuflisch (langen) Song zu vollenden. BJ McDonnell erwies sich in „Hatchet III" als Regisseur der härtesten Sorte. Auch im „Studio 666" gibt es mehr Splatter als Qualität.

17.2.22

Noch einmal, June


Australien 2020 (June again) Regie: JJ Winlove, mit mit Noni Hazlehurst, Claudia Karvan, Stephen Curry, 99 Min., FSK: ab 6

Mal sitzt sie im Bett und jemand befragt sie, dann steht sie draußen allein. Direkt danach arbeitet ein älterer Mann an den Fußleisten. Irritierend sind diese Sprünge in Zeit und Raum nicht nur für die Zuschauer, sondern vor allem für die Seniorin June Wilton (Noni Hazlehurst). Seit fünf Jahren lebt sie nach einem Schlaganfall mit folgender Demenz in einem Pflegeheim. Das Wort für Kugelschreiber fehlt ebenso im Kopf wie die Erinnerung an Kinder und Enkel. Bis urplötzlich alles wieder da ist. Dem Arzt, der sie allen Ernstes fragt, was das für ein Ding sei, das er in der Hand hält, antwortet sie entrüstet: Ein Kugelschreiber natürlich, blöde Frage. Und kann sie jetzt bitte sofort nach Hause gehen?

Noch bevor sich die helle Aufregung um Junes Genesung im Pflegeheim gelegt hat, macht sie sich schon selbst auf den Weg zu ihrem Haus. Das allerdings mittlerweile verkauft wurde. Doch June kann auch diese bittere Überraschung nicht aufhalten. Dem Mädchen, dessen Eltern das Haus gekauft haben, schwatzt sie einen Schluck Wasser und ein Kleid ab. Dann geht es mit der Tochter Ginny (Claudia Karvan), die sie endlich gefunden hat, im Eiltempo zum Sohn Devon (Stephen Curry). Der ist nicht mehr der Klassenbeste im Architektur-Studium, sondern geschieden und arbeitet in einem Copyshop. Was June überhaupt nicht gefällt, weshalb sie umgehend dafür sorgt, dass er gefeuert wird.

Es bleibt in dieser wunderbaren Tragikomödie nicht viel Zeit, sich über die Wiedergeburt von Mutters Bewusstseins zu freuen. Bald fragt sich vor allem die frustrierte Tochter Ginny, ob sie sich überhaupt freuen soll. Wie früher kommandiert und kritisiert Mama gnadenlos mit frecher Schnauze. Dass ohne sie scheinbar alles den Bach runter ging, kann die herrische Diktatorin gar nicht vertragen. Die Familien-Firma für hochwertige, handgemachte Tapeten arbeitet jetzt schäbig mit billigem Papier. Aber die eigenen Designs auch für Geschirr zu verwenden, diese Idee der Tochter landet ganz wortwörtlich im Mülleimer.

Ein kaum anzuschauendes Filmprojekt des Enkels über seine demente Oma zeigt, wie übergriffig solche Zurschaustellungen sein können. Konkret geschehen im deutschen Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht – Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und meine Eltern die Liebe neu entdeckten" von David Sieveking. „Noch einmal, June" geht nicht den Weg des langsamen Verfalls geistiger und körperlicher Fähigkeiten vieler anderer Demenzfilme. Der plötzliche Zustand vollständiger geistiger Klarheit führt zu rührend komischen Situationen, wie wir sie aus „Zeit des Erwachens" („Awakenings", 1990) vom Mediziner und Autor Oliver Sacks kennen. Robert De Niro spielte damals den „Erwachenden", Robin Williams seinen Arzt, der vorsichtig vor einem Rückfall warnte. Der droht nun auch June, allerdings rasen sie und der Film eine ganze Weile durch Überraschungen, Entdeckungen und Veränderung in der Familie. Sehr rührend bringt der Aktionismus der alten Dame die zerstrittenen Geschwister zusammen. Und belebt eine ganz alte Liebesgeschichte, der ein unglaublich herzzerreißendes Finale gewidmet ist.

15.2.22

Das Mädchen mit den goldenen Händen


Deutschland 2021, Regie: Katharina Marie Schubert, mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, 103 Min., FSK: ab 12

Zur Ankunft der Tochter Lara (Birte Schnöink) gibt es Krise: Mama Gudrun (Corinna Harfouch) hat hier das Kommando, zwingt die Tochter zum Bügeln ihres Kleides und schreibt sich selbst eine Rede zum 60. Geburtstag – die der Tochter ist nicht gut genug. Mitten in der Feier im wiederhergerichteten Kinderheim platzt eine Bombe. Als Gudrun erfährt, dass „ihr" Kinderheim verkauft und zum Luxus-Hotel umgewandelt werden soll, verlässt sie die Party.
Zehn Jahre nach Wiedervereinigung zeigt dies Drama im kleinen Ost-Kaff beidseitig Vorurteile und Geringschätzung. Der renitente Kampf der Mutter und die Suche der Tochter nach dem unbekannten Vater werden getragen von hochkarätiger Darstellerriege, größtenteils selbst aus dem Osten. „Das Mädchen mit den goldenen Händen" ist das Debüt der Theater- und Kinoschauspielerin Katharina Marie Schubert.

 

14.2.22

End of Season


Aserbaidschan, Deutschland, Georgien 2019, Regie: Elmar Imanov, mit Rasim Jafarov, Mir-Mövsüm Mirzazade, Zulfiyye Qurbanova 92 Min., FSK: keine Angabe

Mama ist weg

Das Drama folgt den bedrückenden Befindlichkeiten einer Familie in Baku, deren Gründe für die Unzufriedenheit sich nicht direkt erschließen. Der arbeitslose Schauspieler Samir verharrt lächelnd in Lethargie. Seine Frau Fidan will in Berlin eine Stelle annehmen. Sohn Mahmud will vor allem weg. Nach dem rätselhaften Verschwinden der Frau beim Strand-Ausflug kulminieren die Stimmungen. Ruhig und eigenwillig beobachtendes Arthouse-Kino aus Aserbaidschan.


Der Alpinist


USA 2021 (The Alpinist) Regie: Peter Mortimer, 92 Min., FSK: ab 12

Beim populär gewordenen Freestyle-Klettern war Marc-Andreì Leclerc (1992 - 2018) eine Ausnahmeerscheinung. Einerseits mit seinen Solo-Touren und Rekorden, für deren Außenwirkung er sich andererseits so gut wie nicht interessierte. So ging den Filmemachern ihr Protagonist während des Drehs auch schon mal verloren, weil er wie üblich ganz allein irgendwo auf der Welt schwindelerregende Bergflanken bezwang.

Der Extreme unter den Kletter-Extremisten wird in dieser Produktion eines Brauseherstellers als sympathischer Außenseiter, als wirklicher Einzelgänger dargestellt. Seiner Motivation kann sich die Doku nur annähern. Reinhold Messner meint als einer der vielen schwärmerischen Stimmen, dass ungefähr die Hälfte dieser Extremisten im Berg gestorben ist, gehöre dazu. Sonst sei es keine Kunst, sondern Kindergarten.

Den anderen Reiz des Films stellen die Drohnenaufnahmen vom Klettern vor atemberaubenden Höhen und Abgründen dar. Wie sich Marc-Andreì Leclerc ohne jede Absicherung zentimeterweise mit zwei Haken und Steigeisen an den Schuhen in Gestein oder sogar Eis forttastet, ist ungemein faszinierend.

Der Pfad


Deutschland, Spanien 2021, Regie: Tobias Wiemann, mit Julius Weckauf, Nonna Cardoner, Volker Bruch, 100 Min., FSK: ab 6

Flucht in die andere Richtung: Von Nord nach Süd trieben die unmenschlichen Verbrechen der Nazis viele Europäer. Zuerst gab das Vichy-Regime jüdischen Vertriebenen etwas Sicherheit. Dann mussten sie von Frankreich nach Spanien, um in Portugal ein Schiff in die freie Welt zu erreichen. Dies erlebt 1940 der zwölfjährige Rolf (Julius Weckauf) mit seinem Vater, dem kritischen Journalisten Ludwig Kirsch (Volker Bruch). Aus dem von den Nazis kontrollierten Europa führt ein Gebirgs-Pfad von Südfrankreich nach Spanien über die Pyrenäen in die Freiheit. Dann möglichst nach New York, wo bereits Rolfs Mutter Katja (Anna Maria Mühe) wartet. 

Die kluge Einführung des gelungenen Kinderfilms „Der Pfad" holt die Kleinen kindgerecht am Mittelmeer-Strand ab. Der entspannte Spaziergang vom Vater und dem Sohne wird begleitet von einem Spiel: Wer von den leicht bekleideten Badegästen sei wohl gut, welcher böse? Der junge Mann in Badehose liegt auf seiner SS-Uniform – besser schnell abhauen. Doch das Thema wird im Film verfolgt und führt zu einer Antwort, die viele Hollywood-Filme nicht leisten: Die Welt ist nicht nur schwarz-weiß.

Von Paris geht es nach Marseille, von dort mit gefälschten Pässen zum französischen Grenzort Banyuls-sur-Mer am Fuß der Pyrenäen. Immer dabei Rolfs Terrier Adi und der Roman „Der 35. Mai" von Erich Kästner – handsigniert! Aber hier gibt es Einspruch vom ansonsten der wortkargen und elternlosen Zwölfjährigen Núria (Nonna Cardoner), die Rolf und Ludwig über die gefährliche Trasse führen soll. Der Hund darf nicht mit! Doch Rolf glaubt, klüger zu sein, und packt den von Papas Cognac betäubten Hund in seinen Rucksack. Was erst für spaßigen Ärger sorgt, als ein beschwipstes Winseln den blinden Passagier preisgibt. Dann verrät das unkontrollierbare Tier jedoch die Flüchtlinge. Der Vater gibt sich in die Hände der Häscher, um den Kindern die weitere Flucht zu ermöglichen. Die Zwölfjährigen, die sich nicht gerade grün sind, müssen nun auf sich gestellt weiterkommen.

Diese Flucht und der alte Schmuggler-Pfad über die Pyrenäen sind wahre, schmerzgetränkte Geschichte. Der Kölner Autor Rüdiger Bertram schrieb den Roman „Der Pfad – Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit" und das Drehbuch zusammen mit Jytte-Merle Böhrnsen auf der Basis von Erinnerungen der österreichischen Widerstandskämpferin und Fluchthelferin Lisa Fittko („Mein Weg über die Pyrenäen"). Bertram erwanderte selbst den Weg, den auch Walter Benjamin nahm, bevor er sich im katalanischen Portbou ohne Ausreisestempel der Franzosen und ohne Hoffnung umbrachte. Seit 2009 ist diese historische Passage als Wanderroute „Chemin Walter Benjamin" auf französischer beziehungsweise „Ruta Walter Benjamin" auf spanischer Seite markiert.

Rüdiger Bertram, der vor allem Kinder- und Jugendbücher wie „Coolman und ich" veröffentlicht, vermittelt die Fluchtsituation der Nazi-Zeit heutigen Kindern ohne Schock- oder Schreckmomente und weckt Verständnis für andere Flüchtlinge. Anfangs ist der von Volker Bruch („Babylon Berlin") gespielte Vater Ludwig eine Bastion der Sicherheit in bewegter Zeit. Er gibt mit seinem leisen Humor und einem optimistischen Lächeln Rolf und den kleinen Zuschauern Zuversicht. Dann fungiert Erich Kästners Buch dem mutigen Handeln der Kinder als moralischer Leitfaden. Die Frage, weshalb der Kinderroman „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" Rolfs Lieblingsbuch ist, beantwortet dieser damit, dass darin alles möglich sei.

Der junge Julius Weckauf war der Star in der letzten Hape Kerkeling-Verfilmung, „Caroline Links „Der Junge muss an die frische Luft". Nun geht er wieder den Weg seines Alter Egos - er muss wandern! Und Weckauf erweist sich als tolle Besetzung, kann in traurigen wie spaßigen Momenten überzeugen. Für kindgerechte Auflockerung sorgt Hund Adi, der sich immer mal wieder „mitfreut". Die Scherze um seinen Namen, der wegen der Nähe zu Adolf (Hitler) irritiert, sind dann für die Älteren. Regisseur Tobias Wiemann („Amelie rennt" 2017, „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" 2014) inszeniert auch dramatische Momente angemessen: Als das Lager der Widerstandskämpfer, in dem sich Rolf und Núria verstecken, nachts mit Granaten beschossen wird, fragt der Junge ganz naiv: „Was ist das?" Kulisse wie Kostüm erfüllen ihre Aufgabe glaubwürdig. Der Abspann verweist noch einmal deutlich auf die 82 Millionen Menschen, die heute weltweit auf der Flucht sind. 34 Millionen davon sind Kinder.

Kimi


USA 2022, Regie: Steven Soderbergh, mit Zoë Kravitz, Rita Wilson, Byron Bowers, 149 Min., FSK: ab 16

Ein neuer Soderbergh ist immer ein Fest. Diesmal hat der Meister-Regisseur von zahllosem Herausragendem wie „Ocean's Eleven", „Erin Brockovich" oder „Magic Mike" nicht nur einen großen kinematographischen Spaß inszeniert, wie in seiner „Oceans"-Reihe. „Kimi" ist ein zeitgemäßer Pandemie-Thriller. Allerdings nicht als kurz gedachte Action-Fortsetzung seines prophetischen „Contagion" aus 2011, sondern als kluger Film über Menschen im Lockdown. Mit der enormen Spannung von Hitchcocks „Das Fenster zum Hof".

Angela Childs (Zoë Kravitz) kümmert sich um die Momente, in denen die digitale Assistentin Kimi -- eine fiktionale Schwester von Alexa und Siri - mal wieder alles falsch versteht: Sie ist „Dolmetscherin für Audio-Streams" und korrigiert tausende anonymer Anfragen von Smart-Speaker-Besitzern. Ein einsamer Job, aber perfekt für Angela mit ihrer Platzangst. Aus ihrem Loft in Seattle beobachtet sie Menschen in ihren Wohnungen auf der anderen Seite der Straße. Mit Terry textet sie sogar und verabredet sich zum Kaffee vor der Tür. Doch zum Treffen draußen kommt es wieder nicht. Trotz vieler Pillen und noch mehr Desinfektionstüchern kann Angela die Wohnungstür und ihre Ängste vor dem draußen nicht überwinden. Ab und zu kommt Terry zum Sex vorbei. Danach steckt sie aber unromantisch sofort die Bettwäsche in die Waschmaschine.

Dieses Einsiedlerleben wird nicht nur über die digitale Assistentin Kimi finanziert, Angela nutzt selber die praktische Helferin eifrig. Ein ruhiges Leben bis sie eine Sounddatei mit musikalischem Lärm und übertönten Schreien hört. Als begabte Akustik-Technikerin, die noch einen analogen Verstärker im Schrank hat, kann Angela die Gewalttat gegen eine Frau isolieren. Als sie sich dann live in die Kimi des Opfers einhackt, hört sie einen Mord mit. Nun muss die Agoraphobikerin die Sicherheit der eigenen Wohnung zum ersten Mal seit Jahren verlassen, um den Mord verfolgen zu lassen.
 
„Kimi" ist eine höchst spannende, zeitgemäße Variante von Antonionis „Blow up" und Hitchcocks „Das Fenster zum Hof". Der beobachtete Mord ist hier ein abgehörter. Der Beinbruch von James Stewart wandelt sich in von Ängsten unterwanderten Zeiten in Agoraphobie. Und wann ließe sich die Situation der Eingesperrten besser verstehen als in Zeiten des Lockdowns? Die Angst Angelas draußen in der Stadt verbildlicht Steven Soderbergh - wie immer selbst an der Kamera - sehr schön mit schräger und ganz enger Handkamera. Schon bevor mysteriöse Killer hinter ihr her sind und verhindern wollen, dass sie das FBI-Büro erreicht. Dabei ist diese junge Angela Childs keine kämpferische Sandra Bullock aus „Das Netz". Man sieht ihrem Wegrennen mit kleinen Schrittchen an, dass sie sich nicht viel draußen bewegt.

„Die" James Stewart für unsere Zeit ist Zoë Kravitz, Tochter von Lenny Kravitz und Schauspielerin Lisa Bonet. Nach Rollen in „Mad Max" und "Phantastische Tierwesen" sowie der Serie „Little Big Lies" beeindruckt sie hier mit großer Solo-Nummer.

Für Soderbergh wäre eine Fortsetzung seines Viren-Thrillers „Contagion" aus dem Jahre 2011 (mit Matt Damon, Marion Cotillard, Bryan Cranston) einfach gewesen. Aber geschickt, und wahrscheinlich auch wegen der Corona-Bedingungen für Dreharbeiten, komprimiert Soderbergh die Handlung größtenteils nach innen. In das Loft einer hippen Digital-Arbeiterinnen und in deren Innen-Leben. Das neben Agoraphobie-Porträt und Hitchcock-Hommage auch Überwachung in der digitalen Welt eine Rolle spielt, zeigt die Meisterschaft vom Drehbuchautor David Koepp („Jurassic Park", „Mission Impossible", „Panic Room"). „Kimi" wird jedenfalls nicht so schnell bei Apple TV+ oder Amazon laufen.

Noch einmal, June


Australien 2020 (June again) Regie: JJ Winlove, mit mit Noni Hazlehurst, Claudia Karvan, Stephen Curry, 99 Min., FSK: ab 6

Mal sitzt sie im Bett und jemand befragt sie, dann steht sie draußen allein. Direkt danach arbeitet ein älterer Mann an den Fußleisten. Irritierend sind diese Sprünge in Zeit und Raum nicht nur für die Zuschauer, sondern vor allem für die Seniorin June Wilton (Noni Hazlehurst). Seit fünf Jahren lebt sie nach einem Schlaganfall mit folgender Demenz in einem Pflegeheim. Das Wort für Kugelschreiber fehlt ebenso im Kopf wie die Erinnerung an Kinder und Enkel. Bis urplötzlich alles wieder da ist. Dem Arzt, der sie allen Ernstes fragt, was das für ein Ding sei, das er in der Hand hält, antwortet sie entrüstet: Ein Kugelschreiber natürlich, blöde Frage. Und kann sie jetzt bitte sofort nach Hause gehen?

Noch bevor sich die helle Aufregung um Junes Genesung im Pflegeheim gelegt hat, macht sie sich schon selbst auf den Weg zu ihrem Haus. Das allerdings mittlerweile verkauft wurde. Doch June kann auch diese bittere Überraschung nicht aufhalten. Dem Mädchen, dessen Eltern das Haus gekauft haben, schwatzt sie einen Schluck Wasser und ein Kleid ab. Dann geht es mit der Tochter Ginny (Claudia Karvan), die sie endlich gefunden hat, im Eiltempo zum Sohn Devon (Stephen Curry). Der ist nicht mehr der Klassenbeste im Architektur-Studium, sondern geschieden und arbeitet in einem Copyshop. Was June überhaupt nicht gefällt, weshalb sie umgehend dafür sorgt, dass er gefeuert wird.

Es bleibt in dieser wunderbaren Tragikomödie nicht viel Zeit, sich über die Wiedergeburt von Mutters Bewusstseins zu freuen. Bald fragt sich vor allem die frustrierte Tochter Ginny, ob sie sich überhaupt freuen soll. Wie früher kommandiert und kritisiert Mama gnadenlos mit frecher Schnauze. Dass ohne sie scheinbar alles den Bach runter ging, kann die herrische Diktatorin gar nicht vertragen. Die Familien-Firma für hochwertige, handgemachte Tapeten arbeitet jetzt schäbig mit billigem Papier. Aber die eigenen Designs auch für Geschirr zu verwenden, diese Idee der Tochter landet ganz wortwörtlich im Mülleimer.

Ein kaum anzuschauendes Filmprojekt des Enkels über seine demente Oma zeigt, wie übergriffig solche Zurschaustellungen sein können. Konkret geschehen im deutschen Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht – Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und meine Eltern die Liebe neu entdeckten" von David Sieveking. „Noch einmal, June" geht nicht den Weg des langsamen Verfalls geistiger und körperlicher Fähigkeiten vieler anderer Demenzfilme. Der plötzliche Zustand vollständiger geistiger Klarheit führt zu rührend komischen Situationen, wie wir sie aus „Zeit des Erwachens" („Awakenings", 1990) vom Mediziner und Autor Oliver Sacks kennen. Robert De Niro spielte damals den „Erwachenden", Robin Williams seinen Arzt, der vorsichtig vor einem Rückfall warnte. Der droht nun auch June, allerdings rasen sie und der Film eine ganze Weile durch Überraschungen, Entdeckungen und Veränderung in der Familie. Sehr rührend bringt der Aktionismus der alten Dame die zerstrittenen Geschwister zusammen. Und belebt eine ganz alte Liebesgeschichte, der ein unglaublich herzzerreißendes Finale gewidmet ist.

Uncharted


USA 2021, Regie: Ruben Fleischer, mit Tom Holland, Mark Wahlberg, Sophia Ali, Antonio Banderas, 116 Min., FSK: ab 12

Der „junge Indiana Jones" – einst Sean Patrick Flanery - hat einiges an Muskelmasse aufgebaut für diese neue Episode einer archäologischen Schnitzeljagd. Tatsächlich könnte man das Abenteuer-Filmchen „Uncharted" problemlos umtiteln. Tom Holland („Spider-Man: No Way Home") sucht als junger Barkeeper und Betrüger Nathan Drake einen sagenhaften Goldschatz und seinen verschollenen Bruder. Um die uralte Story, deren Drehbuch wahrscheinlich einst von Columbus entdeckt wurde, aufzufrischen, bekommt Nathan einen älteren „Buddy" zugeschanzt. Der erfahrene Schatzsucher Victor „Sully" Sullivan (Mark Wahlberg) engagiert den Junior zuerst für einen dreisten Raub, dann für die Weltreise auf den Spuren des milliardenschweren Goldes von Weltumsegler Ferdinand Magellan. Selbstverständlich ziert sich der Junge erst ein wenig, aber die Sehnsucht nach dem Bruder gewinnt die Oberhand. Dessen Postkarten von überall auf der Welt sind mehr als Lebenszeichen. Fortan kebbeln, scherzen und schlagen sich Drake und „Sully" durch sehr vorhersehbare Handlung. Ein Barcelona-Sightseeing nimmt die meiste Spielzeit ein.

Wie die Kunstgeschichte(n) von Tom Hanks' Prof. Robert Langdon („The Da Vinci Code – Sakrileg", „Illuminati", „Inferno") baut auch „Uncharted" auf eine - hier archäologisch – wissensreiche Schnitzeljagd mit zwei antiken Kreuzen als Universalschlüssel. Gerade mal zweieinhalb spektakuläre Szenen vom enttäuschenden Regisseur Ruben Fleischer („Venom" 2018, „Zombieland" 2009) müssen dabei ausreichen, um das Abenteuer-Einerlei vom Niveau einer Fernsehserie abzuheben. Ein atemberaubender „Hindernislauf" Drakes um aus einem Flugzeug fallende Transportkisten samt „Abflug" eines Mercedes-Benz SL 300. Und auch das Finale hebt ab: Es ist das übliche Hauen und Stechen, aber diesmal auf fliegenden, 500 Jahre alten Fregatten.

Man sieht „Uncharted" zumindest nicht an, dass es die Verfilmung eines PlayStation-Spiels ist und die Vorgeschichte der Spielereihe erzählt. Was man ihm ansieht, ist das müde Bemühen, nur die minimalen Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Sowie mit einem aufgepumpten Publikumsliebling Tom Holland aufzuhübschen.

9.2.22

Marry me

USA 2021 (Marry me) Regie: Kat Cairo, mit Jennifer Lopez, Owen Wilson, Sarah Silverman, Maluma, John Bradley, Michelle Buteau, 112 Min., FSK: ab 0

Die simple Romantische Komödie zeigt Popdiva Jennifer Lopez als Popdiva Kat Valdez. Kat ist zusammen mit Newcomer Bastian (Maluma) ein angesagtes Promi-Paar. Als er sie vor der Traumhochzeit mit ihrer Assistentin betrügt, heiratet sie spontan den geschiedenen Mathelehrer Charlie Gilbert (Owen Wilson). Und tatsächlich kommen sich der Superstar und der liebenswerte Durchschnittstyp emotional näher. „Marry me - Verheiratet auf den ersten Blick" ist wie „Notting Hill" mit Julia Roberts und Hugh Grant, allerdings hat J-Lo viel mehr Gesangs- und Tanznummern – sowie wesentlich weniger an. Ihren schauspielerischen Höhepunkt hatte Lopez vor langer Zeit, 1998 in „Out of Sight" unter der Regie von Steven Soderbergh. Beim Menscheln ohne Show hat „Marry Me" die besten Momente, andere sind furchtbar unglücklich angelegt und pures Fremdschämen. Während J-Lo wieder beweisen will, dass sie eigentlich die einfache „Jenny from the Block" ist, hat der alternde Komödiant Wilson ein paar herrliche verrückten Momente.

Tod auf dem Nil (2020)


USA 2020 (Death on the Nile) Regie: Kenneth Branagh, mit Kenneth Branagh, Gal Gadot, Armie Hammer, 127 Min., FSK: ab 12

Nach seinem „Mord im Orient Express" im Jahr 2017 klebt sich Kenneth Branagh erneut einen überdimensionierten Schnauzbart für seinen Hercule Poirot an für die Neuverfilmung eines weiteren Agatha-Christie-Romans. Die Geschichte samt Auflösung sind spätestens nach der Ustinov-Version von 1977 und der gleichnamigen Serie von 2004 bekannt: Während einer glamourösen Kreuzfahrt auf dem Nil an Bord der luxuriösen S.S. Karnak muss der exzentrische belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) bei seinem zweiten Fall eine Reihe von Morden aufklären.

Zwei Rückblenden zum ersten Weltkrieg und zu einem lustvollen Londoner Club versprechen, dass „Tod auf dem Nil" weniger gediegen als die Vorgänger ausfallen könnte. Doch einmal in der Kulisse Ägyptens angekommen, verlässt er sich auf biedere Schauwerte und die eindimensional spannende Vorlage. Eine filmische Kreuzfahrt mit Unterhaltungsprogramm, aber ohne viel wirkliche Aufregung. Das ist fast Kunstgewerbe, für das Branagh kaum seine sechste Oscar-Nominierung erhalten wird.

Die Verfilmung basiert auf Agatha Christies Roman „Tod auf dem Nil" aus dem Jahr 1937, der von Michael Green für die Leinwand adaptiert wurde. Wobei die Besetzung ist nicht so altbacken glamourös wie bei seiner ersten Agatha Christie-Verfilmung. Gal Gadot und die anderen machen auf dem Plakat nicht so viel her wie Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Willem Dafoe, Penélope Cruz, Judi Dench und Derek Jacobi. Ganz zu schweigen von Ustinov, Jane Birkin, Bette Davis, David Niven und Mia Farrow beim ersten Film. Eine Schrulligkeit von Branagh ist die Verwendung von 65mm Panavision-Kameras (Kameramann Haris Zambarloukos). So will er dem Film das Gefühl von etwas Altem geben. Ansonsten blitzt nur ganz kurz das enorme Können des Regisseurs auf. 

Denn nach den Verfilmungen mit Peter Ustinov als Poirot, gibt der ehemalige Shakespeare-Spezialist Kenneth Branagh („Hamlet" 1996, „Verlorene Liebesmüh" 2000, „Wie es euch gefällt" 2006) den Geschichten wenig Neues oder Zeitgemäßes, aber dem belgischen Detektiv mehr persönliche Tiefe und Tragik. Auf den ersten Weltkrieg sind die entstellenden Narben im Gesicht - der Grund für den überbordenden Schnauzbart – ebenso zurückzuführen, wie der Verlust seiner großen Liebe Katherine. Die Erkenntnis „Liebe ist nicht sicher" wird beim fünffachen Mord auf der Kreuzfahrt bestätigt. Dabei sind bewegender als die Luftaufnahmen von Pyramiden und Nil die Innenansichten eines einsamen Mannes, der gnädig auf die niederen Taten und Gründe seiner Mitmenschen schaut.

8.2.22

First Cow / MUBI, Amazon Prime

USA 2019, Regie: Kelly Reichardt, mit John Magaro, Orion Lee, Toby Jones, 122 Min., FSK: ab 6, MUBI, Amazon Prime

Der Neo-Western „First Cow" von der unter Cineasten hoch geschätzten Regisseurin Kelly Reichardt ist bei der Kinoauswertung untergegangen, obwohl er auf einigen Listen als bester Film des Jahres auftauchte: Um 1820 trifft ein wortkarger Einzelgänger im Westen Oregons auf einen chinesischen Einwanderer, der ebenfalls sein Glück sucht. „Cookie" träumt von einem Restaurant für seine Kochkünste. Zufällig werden seine Kekse zum Hit im lausigen Western-Kaff. Das Problem dabei, Cookie holt sich die Milch dafür heimlich nachts bei der einzigen Kuh der Gegend. Und die gehört einem wohlhabenden und gefährlichen Landbesitzer.

„First Cow" ist eine kleine Geschichte mit viel Hintergrund. Wenn dreckige und zerlumpte Pioniere durch dichte Urwälder streifen, hat das nichts Heldenhaftes oder Glorreiches. Reichardt („Night Moves", „Meek's Cutoff", „Wendy and Lucy") zeigt wieder ruhig Naturverbundenheit und deutlich eine frühe Multikulti-Gesellschaft.

7.2.22

Moonfall


USA, Kanada, China, Großbritannien 2021, Regie: Roland Emmerich, mit Halle Berry, Patrick Wilson, John Bradley, Michael Peña, Donald Sutherland, 132 Min., FSK: ab 12

Wenn die Not am größten ist, der Himmel in Form des Mondes uns schon auf den Kopf fällt, bringt ein Space Shuttle aus dem Museum Rettung für tapfere Held*innen. Man kann nach dem „Genuss" von „Moonfall" des 66-jährigen Roland Emmerichs Sympathien für altmodischen Kram verstehen: Sein Konzept des gigantomanischen, weltumspannenden Katastrophenfilms („Independence Day", „The Day After Tomorrow") ist längst in die Jahre gekommen, wurde von der Realität eingeholt. Trotz gewaltigen Technikeinsatzes für kosmische Zerstörungsbilder, auf deren Höhepunkt der Mond tatsächlich die Erde streift, wirkt „Moonfall" wie ein verzweifelter „Boomer"-Film. Wie ein kauziger Typ, der sich mit seinen Hochleistungsrechnern irgendwo vergraben hat und ignoriert, was draußen passiert.
 
Es ist ein knalliger Auftakt, wenn die schwarzen Teilchen schon in den ersten Minuten heftig in eine Raumstation knallen. Man muss sich kurz sortieren und überlegen: Clooney und Bullock in „Gravity"? Nein, Halle Berry und Patrick Wilson sind die Schauspieler, die es diesmal als Astronauten Jo Fowler und Brian Harper im Shuttle zurück zur Erde schaffen. Wo niemand ihnen glaubt, was sie da oben gesehen haben.

Dem gehetzten Auftakt folgen mit viel Kleinklein allzu bekannte, abgestandene Familien-Dramen. Gibt es eigentlich einen einzigen Weltenretter ohne Job-Probleme, kaputte Ehe und entfremdete Kinder? Zum klassischen Bastelsatz für Katastrophen-Filme gehört noch der verrückte Wissenschaftler, dem keiner glaubt. K.C. Houseman (John Bradley) ist ein angstgesteuerter Astro-Nerd, der bei einer Putzkolonne arbeitet. Aber als Erster erkennt, dass der Mond hohl ist, eine von außerordentlicher Intelligenz erbaute Megastruktur. Vor allem dient Houseman als Witzfigur für dosiert eingestreuten Humor.

Wie erwartet, gibt es nach weniger als 30 Minuten große Panik, Überschwemmungen, Weltuntergang. Im Inneren des Mondes warten auf Fowler und Harper derweil gute und böse Aliens sowie ein hohles Zitat des weißen Raums von Kubricks „2001". Merke: Auch Außerirdische haben was gegen Lebewesen in elektromagnetischer Umgebung. Dass ausgerechnet Emmerich mit dieser Idee aufwartet, der doch dauernd ganze Welten am Rechner kaputt macht, ist der beste Witz des Films von gestern.

6.2.22

Was geschah mit Bus 670?


Mexiko, Spanien 2020 (Sin Senas Particulares) Regie: Fernanda Valadez, mit  Mercedes Hernández, David Illescas, Juan Jesús Varela, 99 Min., FSK: ab 16

In Mexiko ereigneten sich im Jahr 2021 über 34.000 Morde. Und das ist eine Verbesserung im Vergleich zu den Vorjahren! Der mehrfach preisgekrönte Film „Was geschah mit Bus 670?" taucht künstlerisch in diesen unvorstellbaren Zustand der Gewalt ein. Üblicherweise folgen Filme den Flüchtlingen, für die ein rechtloses Nord-Mexiko zur Todeszone wird, siehe „Sin nombre". Diesmal erleben wir die Mutter Magdalena (Mercedes Hernández), deren Sohn Jesús (Juan Jesús Varela) vor zwei Monaten mit einem Freund in Richtung USA aufbrach. Nun wird die Mutter des Freundes gebeten, dessen Leichnam zu identifizieren, und Magdalena macht sich auf, das eigene Kind zu suchen.

Schon die blutigen Kleidungsstücke von vergrabenen oder verstümmelten Leichen, die ihr bei der Polizei gezeigt werden, sind schockierend. Dann die Container voller Leichen. Was mit dem Bus des Sohnes geschehen sein könnte, erfährt sie bei der Transport-Gesellschaft nur geflüstert auf der Frauen-Toilette – die Angst vor den Kriminellen ist in diesem rechtsfreien Raum zu groß. Die Suche nach einem Überlebenden eines der vielen Überfälle führt Magdalena in einer ruhigen Odyssee in menschenleere Landstriche. Dort trifft sich auf einen anderen Flüchtling, der nach fünf Jahren in den USA sein Heimatdorf verlassen wiederfindet. Die Auflösung ist ein Schock ganz anderer Art.

Das eindrucksvolle Debüt der mexikanischen Regisseurin Fernanda Valadez bringt die mörderische Situation ihrer Heimat persönlich nahe. „Was geschah mit Bus 670?" ist auf ruhige Art mitnehmend und bewegend. Die Kamera (Claudia Becerril Bulos) zeigt immer wieder kunstvolle Bilder. Traumsequenzen lassen die Sehnsucht nach dem eigenen Kind spüren. Die Erinnerung an das Massaker ist in dämonisch leuchteten Nachtaufnahmen gestaltet.

 

4.2.22

Suspicion / AppleTV+


USA 2022 Regie: Chris Long, Stefan Schwartz, mit Uma Thurman, Kunal Nayyar, Noah Emmerich, Georgina Campbell, 8 Folge von ca. 43 Min.

Bei der achtteiligen Thriller-Serie „Suspicion" war auch nach drei Folgen noch nicht wirklich klar, was eigentlich passiert. Besonders spannend oder einfach schlecht konzipiert? Der Anfang ist klar und eher witzig als packend: Der Sohn der mächtigen US-amerikanischen Spindoctorin Katherine Newman (Uma Thurman) wird aus einem New Yorker Hotel entführt. Dass die Polizei in London zwei Tage später vier Verdächtige festnimmt, liegt nicht daran, dass die Entführer Masken der Royal Family trugen.

Über die Verbindung zwischen dem Teppichhändler, der Dozentin, des Studenten und der Bankerin, die vor dem Traualtar verhaftet wird, rätseln die britische Untersucherin und der aufdringliche FBI-Agent. Wenn sie sich nicht gerade klassisch über Kompetenzen streiten. Die Festgenommenen waren zwar alle im Tatort-Hotel, ansonsten kennen sie sich nicht. Klar brutal und bösartig scheint nur der Auftragskriminelle Sean Tilson (Elyes Gabel), der auf seiner Flucht nach London über Leichen geht. Wie er kurz nach der Landung schon Polizei-Wagen auf der Rollbahn sieht und trotzdem noch aus dem Flieger entwischt, sorgt zwischendurch für Spannung. Er initiiert auch in Folge 4 eine altbackene Verfolgungsjagd, die den Bildschirm aus dem Schlafmodus weckt.

Dass alle Verdächtigen nach einer Folge voller Verhöre bald freigelassen werden, aber im kameraüberwachten London nicht wirklich frei sind, sondern unter erschreckender Dauerbeobachtung, ist politische Note und lahmes Stilmittel. Das einzig bekannte Aushängeschild der Serie, Uma Thurman („Kill Bill", „Pulp Fiction"), bekommt ebenso wie ihr entführter Filmsohn lang so gut wie keine Bildschirmzeit. Also auch hier keine Hilfestellung bei der Suche nach Fixpunkten für das persönliche Interesse.

Tatsächlich erlaubt sich „Suspicion" viel Laufzeit, bis der ungewöhnliche Thriller mögliche Zusammenhänge aufdeckt. Und trotzdem blieb der Rezensent bis dorthin dran. Ist das die unzerstörbare Stärke des ewigen „Wer war es?", selbst wenn Showrunner Rob Williams („The Man in the High Castle") den Gesamtbogen anscheinend mit großem Ungeschick erzählt? Oder entsteht hier ein großer Wurf mit erzählerischer Chuzpe, die nur in seltenen Fällen wie bei „Lost" aufblitzt. Das bleibt lange die spannendste Frage. Das Finale erklärt dann viele der dramaturgischen Sonderbarkeiten. Erfreut allerdings auch Greta und mit einem Plädoyer für Wahrheit und Wissenschaft den aufgeklärten Verstand.

„Suspicion" startet am Freitag, 4. Februar, mit den ersten beiden Episoden auf Apple TV+, gefolgt von einer neuen Episode jeden Freitag.

1.2.22

Wunderschön


Deutschland 2020, Regie: Karoline Herfurth, mit Nora Tschirner, Martina Gedeck, Emilia Schüle, 132 Min., FSK: ab 6

„Wunderschön" – was bedeutet das? Die sicherlich oft auch wegen Äußerlichkeiten besetzte Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth spielt Schönheits-Wahn und -Druck an den bewegten Geschichten von sechs Frauen durch. Die Spanne reicht von jung bis alt, von Bulimie bis Fat-Shaming. Der Film erzählt von seicht komödiantisch bis bissig analytisch. Das sicher beherrschte Regiehandwerk von Herfurth und ein deutscher Filmball-Cast mit unter anderem Joachim Król, Maximilian Brückner, Nora Tschirner, Martina Gedeck und Emilia Schüle sorgen für leichte Unterhaltung mit einigen Widerhaken in zu glatter Weltsicht.

Selten knallen glänzende Werbung und verzweifelte Realität so direkt aufeinander wie im Foto-Shooting der Eingangsszene: Grelle Fröhlichkeit vor der Kamera funktioniert nur noch mit Drogen, passenderweise ist das Zeugs auch Schlankheitsmittel. Essen gibt es aber trotzdem nur mit Übergeben direkt danach. Mittendrin Julie (Emilia Schüle). Sie will als Model endlich die großen Aufträge erhalten, und versucht verbissen, ihren Körper in das Schönheitsideal der Branche zu pressen. Auf Diät und Koks.

Zum Drogendrama bei der Jüngsten, die als Model am Schönheitsdruck zugrunde geht, gesellt sich das Trauerspiel bei der älteren Frauke (Martina Gedeck), die sich „kurz vor der 60" nicht mehr begehrenswert findet. Gerade jetzt, wo ihr pensionierter Mann Wolfi (Joachim Król) unerfüllt durch die Wohnung turnt. Den gemeinsamen Tango-Kurs lehnt er erst einmal entrüstet ab. Frauke ist meist vor dem Spiegel zu sehen, doch die allgemeine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper spürt jede der sechs Frauen.

Mittendrin in den Lebensphasen steckt Sonja (Karoline Herfurth), die mit ihrem Körper nach zwei Schwangerschaften unglücklich ist. Zum Alltags-Stress mit Kleinkindern kommt der Karriere-Frust. Während ihr Mann Milan (Friedrich Mücke) befördert werden soll, sieht sie sich auf ewig in der Mutterrolle gefangen. Deshalb macht sie einen radikalen Richtungswechsel zur nächsten Bewerbung. Mit den Kotzflecken vom Kleinsten auf dem Office-Kostümchen.

Während sich Herfurth selbst sehr schön tragikomische Momente zuschreibt, macht ihre beste Freundin Vicky (Nora Tschirner) volle Kanne auf Romantische Komödie. Die Lehrerin hat den Durchblick, was Geschlechterzwänge und Schönheits-Druck angeht. Sie bringt ihren Teenager geistreich und provokant etwas über innere Schönheit bei. Männer gibt es bei ihr nur für eine Nacht, bis der neue Sportlehrer Franz (Maximilian Brückner) ihre Sicherheiten durcheinanderwirbelt.

Geschickt verwebt Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin Karoline Herfurth in ihrem neuen Film nach „SMS für dich" und „Sweethearts" mehrere Frauen-Generationen und -Lebensphasen. Sie hat erkennbar ein Anliegen und trägt es persönlich wütend vor. Dabei packt sie eine ganze Menge Geschichten in ihren Film. Auch die großen, gefühlsübervollen Montagesequenzen wirken überfrachtet.

Dass drei Frauen um einen Familientisch sitzen, ist nett anzusehen. Mehrwert durch die Familiendynamik ergibt sich dadurch nicht. Da hätte das Buch noch nacharbeiten müssen. Eigentlich Erschreckendes wird zeitweilig sehr witzig erzählt, vor allem Nora Tschirner ist dabei klasse besetzt als wilde Lehrerin mit Bindungsängsten. Magersucht, Schönheitswahn, junge und alte Eheprobleme sind im Einzelnen zwar nicht besonders originell, die Gesamtstimmung von „Wunderschön" ist schlüssig. Man könnte auch sagen, ausgewogene Unterhaltung.

Ballade von der weißen Kuh


Iran, Frankreich 2020 (Ghasideyeh gave sefid) Regie: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam, mit Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam, 105 Min., FSK: ab 12

„Sicher ist, dass es Gottes Wille war" – so einfach lässt sich auch ein Fehlurteil mit Hinrichtung vom bürokratischen Tisch wischen. Dieser Spruch eines hochgestellten Richters im Iran genügt eigentlich als unwiderlegbares Argument gegen die Todesstrafe. Die Szene, in der die Witwe des unschuldig zum Tode Verurteilten vom Fehlurteil erfährt, ist herzzerreißend und erschütternd. Schwer zu ertragen, wie Maryam Moghaddam diese leise schreiende Mina spielt. Moghaddam ist Ko-Regisseurin und übernahm die Hauptrollen in diesem sehr sehenswerten Film über grausame Spiele des Schicksals.

Mina bewältigt als alleinerziehende Mutter einer gehörlosen Tochter weiter den Alltag. Schwager und Schwiegervater helfen nicht, sondern versuchen wenig subtil, die Kontrolle über die alleinstehende Frau zu erringen. Eine Klage gegen das Sorgerecht gehört dazu. Ämter sind trotz des Justiz-Irrtums nicht hilfreich, selbst Kindergeld wird verzögert. Zudem droht ein Rauswurf aus der Wohnung, weil es im Iran nicht schicklich ist, dass eine Frau alleine wohnt.

In all dieser Verzweiflung taucht ein Fremder namens Reza (Alireza Sanifar) auf. Er sei ein Freund des hingerichteten Mannes und wolle eine finanzielle Schuld begleichen. Dass er eigentlich anders heißt und ihn eine ganz andere Schuld quält, ist schnell zu erahnen. Es handelt sich um einen der Richter, der das Fehlurteil fällte. Als einziger lässt ihn das Gewissen nicht mehr weiterarbeiten, was ihm viel Druck von dem Vorgesetzten einbringt. Freigestellt kümmert sich „Reza" um eine neue Wohnung für Mina und hilft ihr auch im Sorgerechtsstreit. Es könnte sich trotz der Lüge eine Beziehung entwickeln, da meldet sich das Schicksal ein zweites Mal.

Das konkret im iranischen Leben verankerte Drama ist gleichzeitig eine universale moralische Lehrstunde. Mit gnadenloser Bitterkeit entwickeln sich unweigerlich die Folgen falschen Handelns.

 

Träume sind wie wilde Tiger


Deutschland 2020, Regie: Lars Montag, mit Shan Robitzky, Annlis Krischke, Anne Ratte-Polle, Simon Schwarz, 96 Min., FSK: ab 6

Der Häuptling Listiger Lurch aus „Der Schuh des Manitu" Irshad Panjatan als indischer Großpapa und hyperintegrierte Eltern für Spaß an schlechtem Deutsch – der Junge Ranji (Shan Robitzky) hat es nicht leicht. Papa will für einen Job nach Deutschland, wo alles besser sein soll. Und der Film überdreht Klischees auf beiden Seiten kolossal. Doch alles geht gut und so glänzt Ranji in einem quicklebendigen Kinderfilm mit schmissigen Bollywood-Einflüssen.

Der zwölfjährige Ranji aus Mumbai will unbedingt für einen Bollywood-Film mit seinem Superstar Amir Roshan vorspielen. Vom Casting erfährt er aber erst, als die Familie schon im Flieger nach Deutschland sitzt. Doch unerschrocken von Fremdenfeindlichkeit in der neuen Klasse behält Ranji seinen Optimismus und verfolgt sein Ziel. Gegen die Eltern, die in blitzblank blendend weißer Wohnung die allerbesten Deutschen werden wollen. Aber mit Toni (Annlis Krischke), der Tochter der verrückten Nachbarn, gelingt erst ein super Tanz-Video im Bollywood-Stil und dann die Verwirklichung seines großen Traumes.

Der tolle Kinderfilm „Träume sind wie wilde Tiger" riskiert große Peinlichkeiten, um sich fröhlich beschwingt über haufenweise Klischees hinwegzusetzen. (Roberto Blanco tritt als personifizierter Integrations-Witz auf und referiert, was „wir Deutsche" gerne haben.) Simon Schwarz gibt als Nachbar eine herrliche Mischung aus Daniel Düsentrieb und Catweazle. Die jungen Hauptdarsteller Shan Robitzky und Annlis Krischke beeindrucken als Neuentdeckungen.

 

In 80 Tagen um die Welt


Frankreich, Belgien 2020 (Le tour du monde en 80 jours) Regie: Samuel Tourneux, 83 Min., FSK: ab 0

Keine Chance auf Abenteuer hat das Seidenäffchen Passepartout in der miesen Hafenstadt bei Dover. Die Helikopter-Mama passt zu sehr auf und keiner glaubt an die Weltreise in 80 Tagen. Auch nicht der diebische Frosch Phileas Frogg, der nimmt das Äffchen erstmal nur aus. Doch nach einigem Durcheinander finden sich beide auf einem Schiff und auf Weltreise. Holterdiepolter geht es ohne Ahnung von Distanzen oder Kontinenten von einem Abenteuerchen zum nächsten. Immer verfolgt von einer gerissenen Polizei-Rättin. Und bei jeder Station müssen „Shelfies" gemacht werden: Polaroid-Selfies mit einer Muschel.

Die Animation „In 80 Tagen um die Welt" lässt es an Slapstick nicht fehlen, bringt aber bei den Scherzen eine ganze Menge Meta-Ebene rein, die für Kinder zu hoch liegt. Auch hässliche und eklige Garnelen oder Skorpione sind höchstens kindgerecht für Albträume. Das wirkt mehr, als ob Erwachsene ihre Kunstfertigkeit in fantastischen und manchmal beängstigenden Kreaturen verwirklichen wollten. Diese Umsetzung des Jules Verne-Klassikers ist zwar originell, aber keineswegs gelungen.