29.11.17

Coco

USA 2017 Regie: Lee Unkrich, Adrian Molina (Co-Regie) 105 Min. FSK: ab 0

Der „Día de los Muertos", der mexikanische Tag der Toten parallel zu Allerheiligen, ist zwar schon vorbei, aber man kann sich nun auf diesen Totentanz der Trickfilmzauberer von Pixar freuen. Wie immer ist der Stil verspielt zwischen schnellem Scherz und richtigen Verweisen zur Filmgeschichte. Bei „Coco" wird die Vorgeschichte der Familie als Papierschnitt präsentiert: Wie einst der Urahn seine Familie für die Musik verließ und die Dynastie von Schuhmachern seitdem jeden Ton verbietet. Was für den Jungen Miguel ein wahrer Fluch ist, will er doch unbedingt wie sein großes Idol Ernesto de la Cruz ein berühmter Mariachi werden. Um beim Talentwettbewerb auf dem Dorfplatz mitzumachen, klaut Miguel dessen legendäre Gitarre aus dem Mausoleum. Doch schon der erste Akkord befördert Miguel direkt in die Welt der Toten, die sich gehörig über den Jungen aus Fleisch und Blut erschrecken. Nun hat Miguel nur noch die Nacht des Día de los Muertos Zeit, seinen Ur-Ur-Großvater zu finden.

Disney, zu denen die Toy Story-Macher Pixar nun gehören, belebte sich schon immer neu mit Motiven aus Kulturkreisen außerhalb der USA, nahm in „Vaiana" Geschichten und Stile aus der Südsee mit, kupferte bei Indianern und bei Iren ab. Nun also Mexiko und der dort sehr lebendige Totenkult. Schon 2014 wurde von der Fox-Filmproduktion das Thema im Zeichentrickfilm „Manolo und das Buch des Lebens" großartig umgesetzt. Was auch einen Bruch mit der Heilewelt–Philosophie der meisten Kinder- und Trickfilme bedeutete.

Bei „Coco" ist die Animations-Qualität jetzt fast schon hyperreal, teilweise sieht man richtige Gesichter, keine Zeichentrick-Kreationen. Dazu gibt es überwältigende Bildfantasien vor allem von der Totenwelt mit Fabelwesen wie ein allen Farben schillernder fliegender Löwe. Dazu viele nette Scherze in Wort und Bild, Liedchen und pures Gitarrenspiel. Dass etwa die Verwaltung der Totenwelt mit einem unvergessenen Mac II arbeitet, Frida Kahlo schräge Choreografien plant und der herrlich dämliche Hund Dante mit in die Unterwelt rennt, liefert auch genügend Scherz-Futter für Erwachsene.

Doch was Pixar mit Regisseur Lee Unkrich („Toy Story 3", „Findet Nemo", „Die Monster AG") vor allem wieder gelingt, ist das große Menscheln: „Coco" ist ein Loblied der Erinnerungen und Geschichten, das alle Übersetzungen und Synchronsprecher überlebt. Denn das emotionale perfekte gelandete Finale rettet die vergessliche Ur-Großmutter Coco und gleichzeitig ihren Vater im Totenreich mit Musik als stärkstem Vergiss mein nicht. Diesem märchenhaften und sehr rührenden Happy End verzeiht man glatt, dass die Handlung des kurzen Films unnötig verkompliziert eine zusätzliche Schleife dreht und dass der weihnachtliche Vorfilm mit der „Frozen"-Besatzung die Geduld strapaziert. Aber auch von den schmutzigen Seiten des Showgeschäfts erfährt der kleine Miguel ja etwas in diesem sehenswerten „Coco".

ghj: 120 BPM

120 BPM

Frankreich 2017 (120 Battements par minute) Regie: Robin Campillo mit Nahuel Pérez Biscayart, Arnaud Valois, Adèle Haenel 143 Min. FSK: ab 16

Anfang der 90er-Jahre kümmert sich die Aktivistengruppe Act Up in Paris um sexuelle Aufklärung, klärt auf über Aids-Verhütung, schmeißt in aufsehenerregenden Aktionen mit Kunstblut um sich und kämpft ganz einfach um das Überleben infizierter Aktivisten. Der großartige, packende Spielfilm über diese Act Up-Gruppe wirkt anfangs wie eine Dokumentation über die Arbeit der Gruppe, wäre da nicht der Star Adèle Haenel („Das unbekannte Mädchen"). Aber im Verlauf kommen uns die Menschen mit ihren Schicksalen immer näher, das starke Drama packt mit enormer Dynamik, viel Energie, herzergreifenden Liebesszenen und auch mit einer schön tuntige Cheerleader-Gruppe.

Über die interessante Form, die von den Diskussionsabenden mit eigener Debatten-Kultur immer wieder zu den Protestaktionen zurückblendet, vermittelt „120 BPM" Informationen, auch über die Blockaden der Pharma-Industrie, sowie eine Menge Leben mit und Sterben an Aids. Was sich didaktisch anhört, ist durch große Filmkunst mitreißend und berührend. In Cannes erhielt der aus Marokko stammende französische Regisseur und Autor Robin Campillo („Eastern Boys") den Großen Preis der Jury und den FIPRESCI-Preis, beim Europäischen Filmpreis 2017 wurde der Schnitt ausgezeichnet. Campillo engagierte sich in den 90ern jahrelang selbst bei Act up (Aids Coalition to Unleash Power).

120 BPM

Frankreich 2017 (120 Battements par minute) Regie: Robin Campillo mit Nahuel Pérez Biscayart, Arnaud Valois, Adèle Haenel 143 Min. FSK: ab 16

Anfang der 90er-Jahre kümmert sich die Aktivistengruppe Act Up in Paris um sexuelle Aufklärung, klärt auf über Aids-Verhütung, schmeißt in aufsehenerregenden Aktionen mit Kunstblut um sich und kämpft ganz einfach um das Überleben infizierter Aktivisten. Der großartige, packende Spielfilm über diese Act Up-Gruppe wirkt anfangs wie eine Dokumentation über die Arbeit der Gruppe, wäre da nicht der Star Adèle Haenel („Das unbekannte Mädchen"). Aber im Verlauf kommen uns die Menschen mit ihren Schicksalen immer näher, das starke Drama packt mit enormer Dynamik, viel Energie, herzergreifenden Liebesszenen und auch mit einer schön tuntige Cheerleader-Gruppe.

Über die interessante Form, die von den Diskussionsabenden mit eigener Debatten-Kultur immer wieder zu den Protestaktionen zurückblendet, vermittelt „120 BPM" Informationen, auch über die Blockaden der Pharma-Industrie, sowie eine Menge Leben mit und Sterben an Aids. Was sich didaktisch anhört, ist durch große Filmkunst mitreißend und berührend. In Cannes erhielt der aus Marokko stammende französische Regisseur und Autor Robin Campillo („Eastern Boys") den Großen Preis der Jury und den FIPRESCI-Preis, beim Europäischen Filmpreis 2017 wurde der Schnitt ausgezeichnet. Campillo engagierte sich in den 90ern jahrelang selbst bei Act up (Aids Coalition to Unleash Power).

Facebook gesperrt

Mein Account ist gestern gesperrt worden.
Vielleicht kann ich das über diesen Umweg kommunizieren.

28.11.17

Madame

Frankreich 2017 Regie: Amanda Sthers mit Toni Collette, Rossy de Palma, Harvey Keitel 91 Min. FSK: ab 0

Ein gewöhnliches Dinner in Paris: Harvey Keitel (Bob Fredericks) lästert über die Pariser Leihräder, der Bürgermeister von London und sein Ehemann sind dabei, man verkauft nebenbei das letzte Abendmahl von Da Vinci, das am Kaminsims hängt. Madame Anne (Toni Collette) arrangiert den Abend und musste entsetzt feststellen, dass es durch den unangekündigten Besuchs ihres Stiefsohns (Tom Hughes) 13 Tischgedecke gibt. Nun muss eines der Hausmädchen einspringen. Maria (Rossy de Palma) soll dank ein paar gestreuter Bemerkungen als spanische Prinzessin inkognito durchgehen. Nun fesselt Maria nicht nur die Männer mit riesigem Dekolleté, sie erzählt zunehmend alkoholisiert auch vulgäre Witze. Ihr Tischnachbar, der wohlhabender Kunsthändler David (Michael Smiley) verliebt sich umgehend in Maria. Nun wird die Hausherrin und Societylady Anne eifersüchtig und richtig intrigant.

Der zweite Film der französischen Erfolgsautorin und Filmemacherin Amanda Sthers erzählt eine kleine Aschenputtel-Geschichte unglaublich groß und prominent besetzt. Harvey Keitel, Toni Collette und Rossy de Palma treten vor allem als die Stars auf, die sie sind, passend gerieten die Bilder eher schick als schön. Das hat zwar Potential, aber letztlich keine „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs". Nur eine reiche Aufsteigerin, die beim nächtlichen Video-Chat mit ihrem Psychiater - der untreue Ehemann liegt daneben - weder richtig komisch noch tragisch ist. Als wirklich tragische Figur erweicht nur Rossy de Palma die Herzen.

27.11.17

Whatever Happens

BRD 2017 Regie: Niels Laupert mit Fahri Yardim, Sylvia Hoeks 101 Min. FSK: ab 6

Der Film beginnt da, wo andere Liebesbeziehungen enden und mit einem schnellen Ende wäre es auch besser gewesen: Der englische Titel kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die ganze Romantik typisch deutsch ist. Eher gewollt als gekonnt und verkrampft, wo es spielerisch sein sollte.

Julian (Fahri Yardim) und Hannah (Sylvia Hoeks) verstehen sich schon bei der Wohnungsbesichtigung so gar nicht. Doch der flapsige Fotograf schnappt sich die begehrte Hütte, indem er sich mit der gänzlich unbekannten Hannah als Paar ausgibt. Sieben Jahre später räumen sie in einer Silvesternacht die Reste ihrer Beziehung auf und müssen auch noch vor der Übergabe streichen. Reichlich Zeit, um in Rückblenden Resümee zu ziehen.

Das Hin und Her zwischen dem Endzustand eines zerstrittenen, alten Pärchens und dem Werden der Beziehung ist in den Anfangszeiten typisch deutsche Beziehungskomödie und damit einfallslos wie gehabt. Die Niederländerin Hannah muss für ihren erstrebten Abschluss lernen und Julian macht laut Party. Doch der schon länger Verliebte hilft der begehrten Mitbewohnerin, hört sich auch die Probleme mit ihrem Freund an und nach bestandenem Examen bricht die Liebe endgültig aus.

Allerdings bleibt es den ganzen Film über fraglich, was Julian an dieser nur karriere-geilen Zicke findet. Während er sich nach der Geburt des ersten Kindes zum tollen, fast allein erziehenden Vater entwickelt, jettet Hannah durch die Welt und veranstaltet surreale Manager-Motivations-Kurse. „Leadership is about seeing the Gorilla" ist der Kernsatz von diesem Business-Schmonzes. Während zu eigentlich übersichtlichen Problemen keine Gespräche stattfinden, dehnt sich der Film gefühlt auf Star Wars Trilogie-Länge. „Whatever Happens" erlaubt sich einen großen Erzählbogen, ohne viel zu erzählen zu haben.

Es folgen wenig überraschend Einsamkeit, Seitensprung, Trennung, Streit ums Kind und rührselige Szenen, dem Kind die Trennung beizubringen. Überhaupt ist rührselig angesagt, auch in rumgenuschelten Pop-Songs. Wieso letztlich ausgerechnet die sehr entfremdete Hannah die Tochter mit nach New York nehmen soll, bleibt hingegen sehr rätselhaft.

Die Inszenierung von Niels Laupert in seinem Kino-Debüt ist eine Bewerbung für den Seniorenabend bei den Öffentlich-Rechtlichen: Kein Witz, nix Schräges, nix Flottes, auf keinen Fall was Originelles. Die Schmonzette dümpelt weit weg von fühlbarer Romantik vor sich hin. Das überlange TV-Filmchen könnte mit den halbwegs unverbrauchten Darstellern gefallen, aber nur Fahri Yardim („Der Medicus", „Jerks") füllt die dünne Drehbuch-Hülle mit etwas Ausdruck, die Niederländerin Sylvia Hoeks („Blade Runner 2049", „Renegades") fällt vor allem Dank süßem Dialekt auf. Ein Film zum Abgewöhnen, der mit den üblichen Kinomechanismen und den mäßigen Erwartungen an Deutsches sicher ein guter Publikumserfolg wird.

Der Mann aus dem Eis

BRD, Italien, Österreich 2017 (Iceman) Regie: Felix Randau mit Jürgen Vogel, André M. Hennicke, Susanne Wuest, Violetta Schurawlow 96 Min. FSK: ab 12

Nein, Ötzi ist echt kein Glückspilz: Da musste er fast 5300 Jahre warten, bis es einem Spielfilm über sein Leben gibt, weil das Projekt lange auf Eis gelegt wurde. Und dann ist „Der Mann aus dem Eis" zwar von den Bildern her umwerfend, aber der gesamte Film um eine erfundene Lebensend-Action mit Jürgen Vogel und André M. Hennicke so krude, dass man sich gleich zum Vergessen ins die Tiefkühltruhe legen will.

Es herrscht ein großes Grunzen und Schreien im Leben der 1991 im Südtiroler Schnalstal entdeckten Gletschermumie Ötzi: „Der Mann aus dem Eis" denkt sich eine Rache- und Action-Handlung zur geheimnisvollen Leiche aus, die mit einer Sperrspitze in der Schulter gefunden wurde. Jürgen Vogel spielt dabei Ötzi als Schamanen und Jäger Kelab, dem seine ganze Klein-Sippe brutalst und keineswegs jugendfrei vergewaltigt und umgebracht wurde. Nur ein Baby überlebte. Mit ihm verfolgt Kelab die drei Mörder unter Anführung von Krant (André M. Hennicke). Im Gepäck hat er nicht nur den Säugling, sondern auch eine Ziege als vierbeinigen Milchvorrat, denn die Alpen hatten da noch nicht Nestles Babypulver hervorgebracht. Auch das Schweizer Messer war noch unbekannt, aber Religion, Patchwork-Familie und Neue Männer kommen in dieser Handlung aus dem Jahr 3300 vor unserer Zeitrechnung durchaus vor. Da liegt der spöttelnde Gedanke nicht fern, dass Ötzi mit der Erfindung des Eispickels auch Filmgeschichte geschrieben hat und Tantiemen von „Basic Instinct" erhalten müsste.

Nein, die lange Entstehungszeit dieser historischen Geschichte hat ihr nicht gut getan. „Der Mann aus dem Eis" ist tatsächlich ein Rachefilmchen im Ziegenfell vor aufwendig rekonstruierten Kulissen. Dass das „Heiligtum", das der rachsüchtig Zottel jagt, ein Spiegel zur Selbsterkenntnis ist, bleibt als intelligente Idee solitär unter all den Dickschädeln. Jürgen Vogel fällt einem tatsächlich als erste Wahl für diese archaische Grunz-Rolle ein - sorry! Aber Ötzi ist keineswegs der beste Jürgen Vogel. Weil sich Regisseur Felix Radau entschied, die Figuren einen möglichen rätoromanischen Ur-Dialekt (ohne Übersetzung in Untertiteln) sprechen zu lassen, wirkt die ganze Sache mit den alten Pelzträgern genau so verschroben wie diese lustigen Leutchen, die Mittelalter-Musik machen. Selbstverständlich hält sich „Der Mann aus dem Eis" nicht exakt an das, was Archäologen erforscht haben. Ötzis Durchfall auf Grund von Darmparasiten wird wahrscheinlich erst in einem Hollywood-Remake (mit Mark Wahlberg?) eine große Rolle spielen. „Der Mann aus dem Eis" wird eine Kuriosität der Filmgeschichte bleiben, die Vorfreude auf den SchleFaz-Kommentar (Die schlechtesten Filme alle Zeiten) von Oliver Kalkofe auf Tele5 ist groß

Flatliners (2017)

USA 2017 Regie: Niels Arden Oplev mit Ellen Page, Diego Luna, Nina Dobrev, James Norton, Kiersey Clemons 110 Min.

„Flatliners" ist ein sehr spannender, effektiv inszenierter Film über Medizinstudenten, die mit der Grenze zum Tod rumspielen und dabei horrende Erfahrungen machen. Der „Flatliners" aus dem Jahr 1990 wohlgemerkt, inszeniert vom Spannungs-Profi Joel Schumacher und mit Kiefer Sutherland, Julia Roberts, Kevin Bacon, William Baldwin sowie Oliver Platt erstaunlich gut besetzt. 27 Jahre mit horrend steigenden Gesundheitskosten, die seitdem vergangen sind, wären ein guter Grund, den Film für ein paar Euro noch einmal zu sehen - oder neu zu inszenieren, für ein paar Millionen Euro. Allerdings ist „Flatliners 2017" wirklich genau der gleiche Kram, nur mit schlechteren Schauspielern und ein ganzes Stück billiger produziert - so flach, dass es ein Horror ist! Man hätte „Flatliners" wirklich nicht wiederbeleben sollen.

Fünf Medizinstudenten experimentieren mit dem Vorzimmer zum Jenseits. Courtney (Ellen Page) überrumpelt zuerst zwei Kommilitonen mit dem Versuch, nach einem künstlich erzeugten Herzstillstand die Nahtod-Erfahrung im MRT-Scanner zu dokumentieren. Erst der im letzten Moment herbei gerufene Ray (Diego Luna) kann Courtney wiederbeleben. Danach braucht sie nicht mehr zu lernen, weil sie sich an alles Mögliche erinnert, und kann nach 12 Jahren Pause plötzlich wieder richtig gut Piano spielen. Nun wollen auch die Kommilitonen die Flatline - die flache Linie des Herzmonitors - ausprobieren. Nach der als Routine-Veranstaltung ablaufenden Todeserfahrung tauchen allerdings - ebenso geistlos inszenierte - Schrecken aus der Vergangenheit im Leben der Studenten auf. Und wie in Stephen Kings „It", nur viel schlechter, muss jeder mit seinen Fehlern fertig werden.

Bei minimaler persönlicher Ausstattung der überarbeiteten jungen Mediziner voller Zweifel bekommen moralische Einwände im nicht besonders rasanten Ablauf gerade mal drei Halbsätze Zeit. Selbstverständlich ist der Horror wichtiger - ohne würde keiner dieses Filmchen nachdrehen. Aber weder die digital erzeugten Tunnelvisionen noch die Schrecken können Zuschauer aus der Langeweile-Flatline erwecken.

Dass die 25-jährige Sophia (Kiersey Clemons) den Mut fasst, bei ihrer Mutter auszuziehen, zeigt ungefähr, wie erwachsen die Themen ausgearbeitet wurden. In der Auflösung ist es geradezu peinlich, wie sich die fünf aus ihrer selbstverschuldeten Geisterstunde mit einer schnell hingeworfenen Entschuldigung retten können. Kiefer Sutherland, ein Überlebender des Originals, gibt jetzt einen Professor, der Medizinstudenten ausbildet und ihnen Druck macht. Ellen Page, das bekannteste Gesicht des Nachbaus, schaut lange Strecken wie tot in die Kamera und dann ist der Star tatsächlich bald hinüber. Auch schauspielerisch wurde gespart: Die weitgehend unbekannten James Norton als ein notorischer Anmacher Jamie und Kiersey Clemons als gestresste Studentin Sophia sind weitere Argumente, sich „Flatliners" aus 1990 anzusehen und nicht dieses missglückte Labor-Experiment von Regisseur Niels Arden Oplev („Verblendung").

22.11.17

Aus dem Nichts

BRD, Frankreich 2017 Regie: Fatih Akin mit Diane Kruger, Denis Moschitto, Johannes Krisch, Ulrich Tukur 106 Min. FSK: ab 12

Nach einer langen Durststrecke sorgte Fatih Akin mit „Aus dem Nichts" und dem Cannes-Preis für seine Hauptdarstellerin Diane Kruger fast wie selbstverständlich für einen deutschen Festivalerfolg. Entstanden aus persönlicher Wut über die falschen und sehr voreiligen Schuldzuweisungen an die türkischen NSU-Opfer in der Kölner Keupstraße.

Das glückliche Familienleben von Katja (Diane Kruger) wird aus heiterem Himmel - oder: Aus dem Nichts - zerstört, als ihr Mann und ihr Sohn bei einem Bombenanschlag sterben. Seltsamerweise ermittelt die Polizei beim Opfer und dringt ins Privatleben von Katjas Familie ein. Die Dealer-Vergangenheit ihres Mannes wird herausgekramt, seine türkisch-kurdische Abstammung gilt als verdächtig. Dann fasst die Polizei doch die Täter, ein junges Neo-Nazi-Paar. Aber auch das Gerichtsverfahren verläuft gegen die Erwartungen, die hämischen Mörder werden freigesprochen.

Bislang zeigte Fatih Akin das Zusammenleben verschiedener Ethnien als schwierig aber auch funkenschlagend reizvoll. So war es bereits 1998 bei seinem Debüt „Kurz und schmerzlos" und besonders schön 2009 in „Soul Kitchen". Politische Probleme gerieten allerdings auch filmisch problematisch: „The Cut" (2014) über das türkische Massaker an der armenischen Bevölkerung fiel trotz einiger Qualitäten bei der Kritik durch und die ökologische Doku „Müll im Garten Eden" (2012) über das Dorf seiner Eltern ist sein schwächster Film. Wenn einer der besten deutschen Regisseure nun einen mehrfach aufgeladenen NSU-Film dreht, ist also eine gewisse Skepsis vorhanden.

Und tatsächlich hängt ein ungeheuer packendes Melodram auf dem Weg zum fein spannenden Rachethriller im Mittelteil Gerichtsfilm durch. Fatih Akin taucht, was er unglaublich gut kann, voll ins dichte Leben toller Menschen mit Ecken und Kanten und schön vielen Tattoos. Was passieren wird mit der Familie Sekerci, weiß man schnell, wenn eine blonde Frau ihr Fahrrad vor dem Laden des Mannes im Hamburger Türkenviertel abstellt. Der Schock angesichts des Verlustes von Mann und Kind ist ungeheuer - und von Diane Kruger ungeheuer gut gespielt. Das immer noch unglaubliche Verhalten der auf dem rechten Auge blinden und tauben Polizei bekommt eine Breitseite ab. Sie tappt im Dunkeln, legt falsche Fährten aus, macht eine Hausdurchsuchung beim Opfer und schnüffelt in dessen Steuerunterlagen.

Doch wie und weshalb die Justiz scheitert, bleibt völlig beliebig. Man hätte den ganzen Gerichtsteil in einer Szene abhandeln können, dann aber Ulrich Tukurs Auftritt verpasst, der als Vater des Täters mit einer Entschuldigung ein selten anständiges Gegenbild gibt. Erst als Katja eigenhändig die Mörder verfolgt, blitzten wieder Momente von Akin freiem Inszenierungsstil auf, fällt die Eindeutigkeit an vielen emotionalen und moralischen Bruchstellen auf packende Weise auseinander.

Diane Kruger, die für diese Rolle in Cannes als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, erweist sich hier wieder als sehr, sehr gute Schauspielerin, die einen Großteil der Films trägt. Sie entwickelte sich vom Modell und von „schönen" Rollen wie der Helena in Petersens „Troja" mit „Mr. Nobody" (2009) und „Barfuß auf Nacktschnecken" (2010) zur exzellenten Arthouse-Schauspielerin. Auftritte in „lauten" Filmen wie „Inglourious Basterds" komplettierten ihre Bekanntheit. Dass Kruger nach Leben und vielen Rollen wieder mal in Deutschland drehte, sorgte für Aufsehen. Wahrscheinlich letztlich für mehr Aufsehen, als „Alles aus dem Nichts" als nur streckenweise gelungener NSU-Film erzeugen wird.

21.11.17

Manifesto

BRD, Australien 2015 Regie: Julian Rosefeldt mit Cate Blanchett 98 Min. FSK: ab 0

Im bemerkenswertesten Film seit langem verkörpert die zweifache Oscar-Gewinnerin Cate Blanchett in 13 Rollen unterschiedliche Manifeste, die sie selber (meist im Off) spricht - vom Futurismus über Blauer Reiter und Fluxus bis zur Pop Art und Dada bei einer Trauerrede. Der deutsche Experimental-Filmer Julian Rosefeldt konnte den australischen Star zuerst für eine Installation gewinnen, die im Berliner Museum Hamburger Bahnhof zu sehen war. Die Kinoversion verschränkt die parallelen Projektionen in einer packenden, immer wieder überraschenden Abfolge. Divenhaft als russische Choreografin einer Tanztruppe in Alien-Kostümen (Fluxus), magisch als Puppenspielerin mit Blanchett-Puppe (Surrealismus).

Selbstverständlich bietet das Manifest zur Architektur, das Blanchett als einfache Arbeiterin auf den Weg zu einer Müllverbrennungsanlage begleitet, faszinierende und im Kontrapunkt spöttische Blicke auf Architektur. Exzellente Bildkunst, die der ganze Film bietet, und die bei den starken, dichten Texten und dem atemberaubend intensiven Spiel der Miniaturen nicht übersehen werden darf. Denn „Manifesto" ist pure Filmkunst auf höchstem Niveau ohne die üblichen Kinkerlitzchen wie Action oder billigen Emotionen.

Detroit

USA 2017 Regie: Kathryn Bigelow mit John Boyega (Dismukes), Will Poulter (Krauss), Algee Smith (Larry), Jacob Latimore 144 Min. FSK: ab 12

Das schockierende historische Drama „Detroit" beginnt mit einer pointierten Animation, die Jahrzehnte Geschichte afroamerikanischer Bevölkerung der USA zusammenfasst, bis im Sommer 1967 die Razzia in einem Club für Afroamerikaner Unruhen auslöst. Feuer werden gelegt, Läden geplündert, willkürliche, weiße Polizei-Gewalt eskaliert, das Militär marschiert in das Ghetto ein, ein Kind, das auf die Straße schaut, wird beschossen.

Die Situation wird noch dramatischer durch den blöden Scherz eines frustrierten Besoffenen, der mit seiner Schreckschuss-Pistole aus dem Algiers Motel auf Soldaten schießt. Das Motel wird brutal gestürmt, ein junger Lynch-Polizist erschießt direkt den nächsten Schwarzen, um darauf alle Bewohner „wegen der Ermittlungen" festzuhalten. Er reiht all an einer Wand auf, prügelt und foltert, führ Schwein-Exekutionen durch. Im Rahmen der historischen Unruhen bildet diese schockierende Gewalt innerhalb einer schon extremen Kriegssituation von Belagerung der eignen Bevölkerung, einen Tiefpunkt an rassistischer Menschenrechtsverletzung. Drei farbige Hotelgäste wurden ermordet, die Sicherheitskräfte angeklagt, aber freigesprochen.

Aus den in Protokollen und Gerichtsverfahren festgehaltenen Ereignissen gestalten Regisseurin Kathryn Bigelow und ihr Autor Mark Boal, der mit Zeitzeugen sprach, einen ungemein spannenden, intensiven, hautnah gefilmten und nahezu unerträglich beklemmenden Thriller. Als Katherine Bigelow 1989 mit dem Polizeifilm „Blue Steel" und Jamie Lee Curtis das Action-Kino unter weibliche Regie brachte, sprach man von Emanzipation und Fortschritt. Dass Bigelow neben ihrem großen Können auch noch etwas zu sagen hatte, wurde auch dem letzten mit ihren Filmen „Tödliches Kommando – The Hurt Locker" (sechs Oscars) und „Zero Dark Thirty" (fünf Oscar- Nominierungen) deutlich. „Change is coming" hieß es damals schon für die afroamerikanische Gemeinschaft, doch noch heute werden Polizisten, die unschuldige Schwarze erschießen, freigesprochen.

Paddington 2

Großbritannien, Frankreich 2017 Regie: Paul King mit Sally Hawkins, Hugh Grant, Brendan Gleeson, Julie Walters, Jim Broadbent 104 Min. FSK: ab 0

56 Jahre dauerte es, bis der liebenswerte Bär Paddington aus Michael Bonds Kinderbuchreihe „Paddington Bear" 2014 im Realfilm ankam. Nun folgt schon ein zweites Bündel mit Abenteuern des peruanischen Teddy-Bären mit seiner Adoptiv-Familie in London. Und während der erste Film mit einem nervig altklugen Hauptdarsteller zwiespältig ankam, gewinnt „Paddington 2" die Herzen im Stolpern und Kochen.

Es ist ein sehr liebevoll komischer Blick auf das menschliche Treiben, den der gänzlich angenommene Bär Paddington auf seine Londoner Umgebung wirft. Er schreibt einen Brief an seine Tante Lucy, für deren 100. Geburtstag er ein kunstvolles Pop Up-Buch der Stadt auserkoren hat. Um es zu kaufen, probiert der tapsige Meister Petz mit umwerfendem altmodischen Slapstick einige Jobs aus. Doch der eitle, hinterhältiger und vor allem herrlich wahnsinnige Ex-Schauspieler Phoenix Buchanan (Hugh Grant) klaut vor Paddingtons Augen das Buch, entkommt und erkannt und den Bär schickt ein Richter ins Gefängnis. Nun ist ein ganzer Knast voller knallharter Kerle, die beste Bewährungsprobe für Paddingtons positive Lebenshaltung, immer nur das Beste im Menschen zu sehen. Zuerst färbt er die Anstaltkleidung aus Versehen rosa, dann macht er aus haferschleimverseuchter Kantine mit Hilfe von Orangenmarmeladen-Stullen eine bunte Konditorei mit Mädcheninternats-Stimmung.

Brendan Gleeson als gefürchteter Knast-Koch Knuckles McGinty ist ein toller Neuzugang unter den erstaunlich guten realen Schauspielern, die perfekt mit dem animierten Bären agieren. Eine Sensation ist neben der wunderbaren Sally Hawkins jedoch der furchtlos selbstspöttelnde Hugh Grant, dessen hinterlistiger Schurke in haufenweise klasse Kostümen eine spannende Schnitzeljagd hinlegt. Geocaching und Verbrecherjagd mit zwölf Londoner Sehenswürdigkeiten gehen etwas auf Kosten des bärigen Spaßes. Doch die sehr sorgfältige und liebevolle Inszenierung achtet bei vielen schönen Einfällen immer auf kindergerechte Action und letztlich verzeiht man diesem Bären unter seinem Schlapphut fast alles.

Battle of the Sexes

USA, Großbritannien 2017 Regie: Valerie Faris, Jonathan Dayton mit Emma Stone, Steve Carell, Andrea Riseborough, Sarah Silverman, Alan Cumming, Elisabeth Shue 124 Min. FSK: ab 0

Es war ein Medienereignis, ein Event, eine Zirkusnummer, als 1973 ein abgehalfterter Tennis-Champion die aktuelle Nr. 1 des Frauen-Tennis Billie Jean King zu einem Duell herausforderte. Der außergewöhnlich gute Spielfilm über dieses „Battle of the Sexes" wirbt zwar im Trailer grell und bunt mit dem Showkampf, ist aber tatsächlich eine packende, bewegende Geschichte über Billie Jean Kings Kampf um Gleichberechtigung und ihr Recht auf freie Liebe.

In wenigen Minuten kommen sie zur Sache, der Film sowie die damals „erfolgreichste Tennisspielerin aller Zeiten" Billie Jean King (Emma Stone) und ihre Managerin Gladys Heldman (Sarah Silverman): Für nur 1500 Dollar Preisgeld wird die Seriensiegerin nicht mehr in der Tennis-Serie mitspielen - vor allem, weil die Männer das Achtfache erhalten! King gründet den immer noch bestimmenden Frauen-Tennisverband WTA, Heldman besorgt einen Sponsor und die Frauen machen erst einmal alles selbst. Die Siegerinnen von Wimbledon und den US-Open verkaufen eigenhändig Eintrittskarten auf den Straßen, rollen den Boden auf den Plätzen aus und teilen sich zu zweit die Hotelzimmer auf der Tour. Für den riskanten Schritt heraus aus einer eklig arroganten, patriarchalen Organisation bekommen sie ihre Freiheit, erstmals farbige Tennisklamotten sowie einen Friseurtermin vor der Pressekonferenz. Dass sich dabei die verheiratete Billie Jean King auf dem ersten Blick in die Friseurin Marilyn (Andrea Riseborough) verliebt, passt in eine große, starke Geschichte von neuen Freiheiten nach der 68er-Revolution.

Damit die sympathische und gewitzte, aber keineswegs extrovertierte Leistungssportlerin Billie Jean King so richtig aus sich herauskam, bedurfte es ausgerechnet eines ganz besonders peinlichen Chauvis: Der ehemalige Wimbledon-Sieger Bobby Riggs (Steve Carell) ist mittlerweile 55, ein netter Vater, aber unheilbar spielsüchtig. Als ein Rolls Royce als Wettgewinn ungeplant vor der Tür steht, schmeißt ihn seine reiche Frau Priscilla (Elisabeth Shue) raus. Mittel- und ziellos fordert der selbstverliebte Showman die beste Tennisspielerin heraus - weil Frauen nichts auf dem Tennis-Platz zu suchen haben, sie gehören in Küche und Bett. Zuerst schlägt Briggs tatsächlich klar Margaret Court im „Muttertags-Massaker". Dann bereitet er sich mit albernen Einlagen auf King vor, spielt mit Schafen und Hunden als Handicaps. Die kluge Billie Jean King durchschaut auch diesen Clown sehr klar, trotzdem will sie eine Sache deutlich machen: Frauen sind nicht weniger wert!

Auch die heutige Weltranglistenerste Serena Williams muss immer noch für gleiches Preisgeld und gegen Sexismus kämpfen. Den aktuellen Clown gab Novak Djokovic noch im letzten Jahr. Doch „Battle of the Sexes" ist so ein großartiger Film, weil nicht nur Sexismus und Machismo in finanziellen, albernen, ekligen und erschreckenden Formen vorgeführt werden. Auf außergewöhnlich gekonnte Weise greift alles ineinander, die Liebesgeschichte, der Kampf gegen den Macho-Verband und die ganz persönliche Entwicklung von Billie Jean King. Valerie Faris und Jonathan Dayton sind die Regisseure von „Little Miss Sunshine" (2006) und „Ruby Sparks" (2012), das garantiert auch bei schauerlich übergriffigen Momenten eine sehr humorvolle und leichte Präsentation. Zum allgemeinen Happy End - King heiratete später ihre Partnerin, sie hatten Kinder - gibt es die großen Worte vom schwulen Kostümdesigner (Alan Cumming): Eines Tages werden wir die Freiheit haben, zu sein, wer wir sind und zu lieben, wen wir wollen.

Liebe zu Besuch

USA 2017 (Home again) Regie: Hallie Meyers-Shyer mit Reese Witherspoon, Michael Sheen, Candice Bergen 98 Min. FSK: ab 0

Eine wohlhabende und wohlbehütete Tochter aus Hollywoods Künstlerkreisen sitzt an ihrem 40. Geburtstag mit groß empfundener Lebenskrise heulend im Bad. Die unterschätzte und meist unterbesetzte Reese Witherspoon („Devil's Knot", „Der große Trip – Wild") spielt diese Alice Kinney glaubhaft und gewinnt ihr im Alleingang viele Sympathien. Um zu verstehen, weshalb diese kleine Komödie aus dem Ausstattungskatalog der Reichen und Schönen so holperig daherkommt, muss man auf die Familienverhältnisse der Regisseurin schauen: Hallie Meyers-Shyer ist Tochter der Komödien-Königin Nancy Meyers. „Liebe braucht keine Ferien", „Was das Herz begehrt", „Was Frauen wollen", das Remake von „Vater der Braut" - wenn zuhause solche Filme geschrieben werden und man als Kind selbst oft mitspielt, muss frau einfach die eigenen Probleme als kleine Drama-Queen auf die Leinwand bringen. Mama produziert ja behütend mit.

So sehen wir die Tochter aus der Filmbranche als Hauptfigur. Und eine Lebenskrise, die aus Entfremdung vom Ehemann besteht, worauf Alice zurück nach Los Angeles zieht, in eine Villa, die problemlos drei Untermieter aufnimmt. Bei Rundum-Betreuung der beiden Töchter und genügend Langeweile, um sich mal als Raum-Dekorateurin auszuprobieren. Dass die drei Mieter ihren ersten eigenen Film realisieren wollen und alle mehr oder weniger in die viel ältere Alice verliebt sind, gibt der romantischen Komödie etwas Futter. Allerdings verlaufen die Gefühlswirrungen zu selten mit diesen leichten, eleganten Montagen, die an das Erzählen von Mutter Meyers erinnern. Dafür gibt es im luftigen Mini-Drama „Liebe zu Besuch" einen Hauch vom Independent-Film, zeitweise wirkt es gar französisch. Mit Michael Sheen als plötzlich zurückkehrendem Ehemann und Candice Bergen als Mutter ganz fantastisch besetzt, ergibt sich eine sympathische Geschichte. Ein ganz interessantes Debüt, nur nicht unbedingt Stoff fürs große Kino.

15.11.17

The Justice League

USA 2017 Regie: Zack Snyder mit Ben Affleck, Gal Gadot, Jason Momoa 115 Min,

Kurz: Supermann macht den Jesus und erlebt seine Auferstehung, der nie wirklich erklärte Streit mit Batman aus dem letzten Film-Debakel wird beigelegt und ein Team aus Action-Figürchen verhindert die völlige Zerstörung der Erde. Das war es denn auch schon mit diesem großen, stinkenden Haufen Schund namens „The Justice League".

Das Wichtigste ist das Team. Nicht für die primitive Handlung um rudimentäre Figuren, sondern für die Verkaufsstrategie des Konzerns hinter den DC-Comicverfilmungen. Nach dem Vorbild Marvels wird ein Kosmos aus Figuren und möglichen Einzel-Filmen aufgeblasen. Dabei ist dieser aktuell „heiße Scheiß" das Gleiche der Diesel-Boom vor einigen Jahren - ein großer Beschiss. Die Folgen dieser Monokultur für Kinobetrieb und Filmangebot sind trotzdem enorm.

Ganz in diesem Geiste bleibt auch bei der „Justice League", der Konkurrenzveranstaltung zu den „Avengers", nicht viel von einem richtigen Film übrig. Nach Supermans Tod fühlen sich finstere Zombie-Wespen aus dem All gemüßigt, unter ihrem Führer Steppenwolf die Erde zu zerstören. Batman (Ben Affleck) sucht per Stellenanzeige die Team-Mitglieder Wonder Woman (Gal Gadot), Aquaman (Jason Momoa), Cyborg (Ray Fisher) und The Flash (Ezra Miller) zusammen, die Erfahrung im Weltenretten haben. Letztendlich klappt dies aber nur, nachdem Superman (Henry Cavill) mit Hilfe eines Zauberwürfels wiederbelebt wurde. Der Rest ist eine halbe Stunde hirnloses Raufen mit exakt drei lahmen Scherzen.

Nach zehn Minuten starker Eröffnung legt die Super-Langeweile mit mühsamem Team-Buildung los. Nichts funktioniert, vor allem nicht das krampfhafte Zusammenwürfeln von Plastik-Figuren aus Mythologie, Science Fiction und Comic. Aquaman aus Atlantis, Batman aus Gotham City, die Amazone Wonder Woman, ein Cyborg mit außerirdischen Ersatzteilen und der alberne Flash - so was lässt man üblicherweise für ganz billige Trash-Filme zusammenkommen, wo Kopfschütteln eingeplant ist. Bei dem ganz teuren Trash „Justice League" scheint das niemanden zu stören. Allerdings gilt auch hier der Satz: Der hat ja gar nichts an. Dieser Film ist erbärmlich schlecht.

So schafft es „The Justice League" - trotz Musik von Danny Elfman - nicht einmal, die existenzielle Bedrohung der Menschheit klar zu machen. Ein fünfminütiger Vortrag muss das richten. Und im Finale behilft sich die millionenschwere Einfallslosigkeit mit der Rettung einer kleinen russischen Familie als Nebenhandlung. Genau wie beim Trash bleiben die Effektbilder erschreckend entleert von Menschen und Menschlichem. Das Trauerspiel wurde dabei quälend lang- und mühsam inszeniert. Schematisch haut alle dreißig Minuten mal Action rein, um das Publikum aufzuwecken. Bis dieser große Schwindel um die einträglichen Teams aus Action-Figürchen jedoch auffliegt, werden noch einige Filme das Kino verstopfen.

14.11.17

Teheran Tabu

BRD, Österreich 2017 Regie: Ali Soozandeh 96 Min. FSK: ab 16

Immer wieder mal werden im Film Gesichter übermalt, um den Diktatoren und Zensoren zu entgehen: Die Aussagen israelischer Soldaten über ihr Massaker in libanesischen Flüchtlingslagern verfremdete Ari Folman zum eindrucksvollen „Waltz with Bashir". Der nachträglich im Rotoskopie-Verfahren übermalte „Teheran Tabu" erzählt die Geschichte von einer Handvoll Menschen in Teheran, einer Stadt voller Verbote und doktrinärer Prinzipien.

Voller Doppelmoral regt sich ein Taxifahrer über seine Tochter auf, die händchenhaltend durch die Straßen geht, während ihm selbst eine Prostituierte gerade im Auto einen bläst. Ein muslimischer Richter besteht für eine Scheidung auf die Zustimmung des Mannes, der als Drogendealer im Knast sitzt. Er würde sich aber mit sexuellen Dienstleistungen umstimmen lassen. So reihen sich im Figurenreigen schematisch die Unmenschlichkeiten des Lebens und Klischees wie eine böse Schwiegermutter. In dieser Anklage ist niemand ambivalent gezeichnet, die Schicksale bleiben oberflächlich, schockieren nicht so sehr wie beispielsweise Bahman Ghobadis „Persian Cats". Erst als sich über die Verbindung der Menschen und Geschichten neue Abgründe auftun und die Brutalität der Gesellschaft zunimmt, können poetische Momente berühren.

13.11.17

Happy Death Day

USA 2017 Regie: Christopher Landon mit Jessica Rothe, Israel Broussard, Ruby Modine 96 Min. FSK ab 12

Und ewig grüßt das Murmeltier aus der Filmgeschichte: Wenn dem totgerittenen Horror-Genre nichts einfällt, klaut es einfach einen sehr guten Einfall von früher: Das ein eingebildete blonde Ekel Tree Gelbman (Jessica Rothe) wird von einem unbekannten mit Babymaske ermordet und wacht aber wieder am Morgen ihres Todestages im Bett eines unbekannten Studenten auf. Tree braucht recht lange, um zu verstehen und im nächsten Durchgang überall Zeichen zu erkennen. Sie gewinnt wie alle Protagonisten der gleichen Film-Idee selbstverständlich an der Selbsterkenntnis, dass die kein guter Mensch ist. Die Suche nach der Identität ihres Mörders verläuft nicht wahnsinnig spannend. Dafür wird unheimlich viel geschrien, aber nicht mal das kann Hauptdarstellerin Jessica Rothe gut. Ganz zu schweigen von dem Durchdrehen angesichts der ewigen Wiederholungen. Es dauert Dreiviertelstunden bis sich der Film mit dieser anderen, nicht interessanten, höchstens erstaunlich fremden Studentenwelt selbst langweilig wird und er kurz mit ein paar schnellen Montagen für Unterhaltung sorgt. Das entschädigt nicht für einen hauptsächlich einfallslosen, unterdurchschnittlichen Fließband-Film.

12.11.17

The Big Sick

USA 2017 Regie: Michael Showalter mit Kumail Nanjiani, Holly Hunter, Ray Romano, Zoe Kazan 120 Min.

Als sich der in Pakistan geborene Komiker Kumail und die Studentin Emily verlieben, prallen zwei Kulturen aufeinander. Kumail befindet sich im Zwiespalt zwischen seiner Familie und seinen Gefühlen. Dann fällt Emily wegen einer mysteriösen Krankheit ins Koma und Kumail muss die Krise ganz besonderen Schwiegereltern bewältigen. Der große Sieger beim Publikumspreis von Locarno beruht auf der wahren Liebes- und Ehe-Geschichte der Drehbuchautoren Emily V. Gordon und Kumail Nanjiani.

„The Big Sick" von Michael Showalter zeigt das Aufeinandertreffen der Kulturen in westlichen Gesellschaften auf einfühlsame und sehr humorvolle Weise: Der aus Pakistan stammende Komiker Kumail Nanjiani spielt sich selbst beim wahren Kennenlernen seiner Frau Emily (Zoe Kazan, die Enkelin von Elia). Während seine traditionelle Mutter ihm in Chicago wöchentlich neue pakistanische Kandidatinnen für eine arrangierte Ehe „zufällig" beim Familienessen vorstellt, fällt die Frau, in die sich Kumail tatsächlich verliebt hat, in ein Koma.

Da klingt ein Song von The Smith im Kopf an: „Girlfriend in a coma". Mit dem Problem, dass Emily nicht mehr seine Freundin ist, seitdem sie die Schachtel mit all den von der pakistanischen Mama vorgeschlagenen Heiratskandidatinnen samt Bewerbungsfoto gefunden hat. Trotzdem lernt der zwischen den Kulturen zerrissenen Komiker die „Schwiegereltern" auf beinahe tragische und umwerfend komische Weise kennen. Eine geniale Holly Hunter und Ray Romano legen dieses alt-eingespielte Paar mit so viel Charakter, Ecken und Kanten hin, dass sie auf die Hauptrollen Anspruch machen. Während der stille Ex-Schwiegervater ungeschickt Sympathien zeigt, lehnt die energische Mutter von Emily den Herzensbrecher herrlich brüsk ab, um ihn darauf mit schlagkräftigem Mund und harten Fäusten gegen einen dumpfen Rassisten zu verteidigen.

Während man bei Holly Hunter Erstklassiges erwartet, überrascht Hauptdarsteller und Autor Kumail Nanjiani: Wenn in Deutschland Bühnenkomiker Filme machen, muss man so schnell wie möglich weglaufen. Beim Komiker Kumail muss man lachen, weinen, mitleiden und -bangen, wenn er sich selbst als erfolgloser „Stand up comedian" spielt. Er überfällt einen mit enorm geistreichen Witzen, provoziert mit Kontern auf Anti-Islamismus („Wir haben bei 9/11 unsere besten Leute verloren"), macht aber auch herzzerreißend einfühlsam das Problem erfahrbar, mit traditioneller Familie in einer modernen Gesellschaft zu leben. Eine dicke Dosis Romantik der sehr witzigen Sorte gibt es gratis dazu. Das ist aus der Aptow-Fabrik („Jungfrau (40), männlich, sucht …", „Superbad", „Ananas Express", „Brautalarm") sehr gelungene Unterhaltung mit zeitgemäßem Mehrwert.

Flitzer

Schweiz 2017 Regie: Peter Luisi mit Beat Schlatter, Bendrit Bajra, Doro Müggler 98 Min. FSK: ab 0

Kleider machen Leute. Kleiderlos macht Quote bei illegalen Wetten. So könnte man das bekannteste Werk des bekannten Dichters Gottfried Keller und die bescheuerte Idee dieses sicherlich unbekannt bleibenden Films zusammengefassen. In ganz langsamer, einfacher Sprache - so wie alle Schweizer im Film und auch dieser selber redet: Der langweilige Lehrer und Keller-Fan Baltasar Näf verwettet 700.000 aus dem Sparschwein seiner Schule (glückliche Schweiz) und muss fortan im Nebenberuf Flitzer auf die Fußballfelder der Deutschschweizer Ligen schicken. Denn auf Nackedeis wetten, bringt Gewinn, wenn man die Flitzer selber ausbildet und im Spielplan einsetzt.

Das alles ist - Stichwort Keller - unterirdisch schlecht inszeniert und gespielt. Witwer und unfähiger Alleinerzieher Näf ist peinlich und macht peinliche Sachen. Alle Vorurteile über Anti-Geschwindigkeit der Schweizer treffen auf dieses negative Erzähltempo zu. Der in einem gutturalen Nichtkomisch-Sein verendende Komödien-Versuch will „Ganz oder gar nicht" kopieren, scheitert aber erbärmlich. Sehr mäßige Schauspieler geben eindimensionale Figuren. Das ist nicht nur schlechtes TV Niveau, das ist furchtbares Laien-Boulevard, dazu altbacken in Inhalt und Form. Dass mit irgendeinem gutturalen Deutschschweizer Dialekt („dä chellar") gesprochen wird, soll es wohl doch noch irgendwie witzig machen, sorgt aber nur für Untertitel, als wenn es Filmkunst wäre! Nicht „Kleider machen Leute", sondern „Des Kaisers neue Kleider" sollte mehrfach erwähnt werden: Dieser elende Unspaß über Flitzer hat ja handwerklich und künstlerisch „gar nichts an"!

7.11.17

Suburbicon

USA, Großbritannien 2017 Regie: George Clooney mit Matt Damon, Julianne Moore, Noah Jupe, Oscar Isaac 106 Min. FSK: ab 16

Wie wäre es, wenn George Clooney mal nicht für die Coen–Brüder als Star vor der Kamera steht, sondern mit ihnen zusammen einen Film dreht? „Sububicon" ist dieser sagenhaft spannende, politisch hochaktuelle Film. Zudem kann man sich begeistert anschauen, wie es gewesen wäre, wenn Hitchcock „Fargo" gedreht hätte.

Dem Postboten entgleist das festgeklebte Grinsen, die Nachbarn starren unverhohlen und fahren gegen die nächste Laterne. Eine schwarze Familie zieht in den weißen, protestantischen Vorort ein. Wir befinden uns nicht im interkulturell zurückgebliebenen Sachsen, sondern in den USA des Jahres 1959. Nicht mal eine Viertelstunde braucht der Erfolgs-Regisseur George Clooney, um unglaublich dicht zwei Verbrechen und ein innerfamiliäres Drama um eine gelähmte Frau aufzuziehen. Denn direkt neben der ersten und einzigen schwarzen Familie der Siedlung, die wie in Hoyerswerda zunehmend bedrohlicher vom weißen Mob belagert wird, muss der Junge Nicky (Noah Jupe) miterleben, wie Einbrecher seine Mutter umgebringen. Ein Verbrechen, dass mächtig stinkt. Nicht nur nach dem Chloroform, von dem Rose zu viel einatmen musste. Denn Papa Gardner Lodge (Matt Damon) scheint nun mit Mamas Schwester Margaret Lodge (Julianne Moore in einer Doppelrolle) viel glücklicher zu sein.

Regisseur George Clooney („Monuments Men", „The Ides of March", „Good Night, and Good Luck") macht die klügsten politischen Filme unserer Zeit. Nun pflanzt er zwei parallele Verbrechen in eine Bilderbuch-Siedlung, die Schmelztiegel nur für weiße WASP-Abarten aus vielen US-Staaten sein will. Dass Clooney mit seinen regelmäßigen Regisseuren Joel und Ethan Coen („Fargo", „No Country for Old Men", „Hail, Caesar!") das Drehbuch schrieb, sorgt für den herrlich schwarzen, bitterbösen Touch. Denn während wir mit dem hellwachen Nicky um dessen Leben bangen, wächst wie bei „Fargo" dem gierigen kleinen Mann die Dynamik seines Verbrechens über den Kopf. Wieder einmal eine Musterrolle für Matt Damon, der dem komischen Krimi eine schauerliche Tiefe gibt.

Das wird bis zum irren Finale unheimlich spannend. Hitchcock fällt einem auch ohne das schöne Vertigo-Zitat durch die erblondende Julianne Moore ein. Allerdings Hitchcock mit einer politischen Agenda: Clooney geht immer gerne zurück in die Vergangenheit, um das Heute exakt zu kritisieren. Parallel zum Verbrechen der hässlichen, gierigen und dummen Weißen zeigt sich der Pöbel vor dem Haus der schwarzen Nachbarn als Abbild heutiger Fremdenfeindlichkeit. Das ist bei all der exzellenten und in Details (wie der TV-Fernbedienung mit Taschenlampe) wunderbar genießbaren historischen Kulisse hochaktuell. „Wir begrüßen die Rassenintegration, aber ..." Dieses berühmte, entlarvende „aber" von AfD und Genossen erweist sich als ebenso universell wie der Zaun als Schutz vor den „Anderen".

Wenn Hitchcock „Fargo" mit großem Thriller-Orchester gedreht hätte und auch noch eine politische Agenda gehabt hätte, es wäre nicht besser ausgefallen wie in dieser genialen Zusammenarbeit von Regisseur George Clooney mit Joel und Ethan Coen. Dass sie bei allem Horrenden noch ein positives, hoffnungsvolles Schlussbild finden, ist die Krönung eines engagierten Filmvergnügens.

5.11.17

Simpel

BRD 2017 Regie: Markus Goller mit David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle, Devid Striesow 113 Min. FSK: ab 6

Simpel gesagt ist „Simpel" eine extrem aufdringliche Heulsuse. Also der Film „Simpel", nicht die geistig behinderte Hauptfigur namens Simpel, die mit dem fürsorglichen Bruder für schön fotografierte Rührung von der Stange sorgt.

Ein Sirtaki im Watt, aus dem Ben (Frederick Lau) seinen geistig behinderten Bruder Simpel (David Kross) immer retten muss, zum Auftakt. Dann stirbt die krebskranke Mutter und der schon seit Jahren verschwundene Vater will sich nicht um das nur körperlich erwachsene Problemkind Simpel kümmern. Ben bringt es nicht übers Herz, den Bruder in einem Heim zu sehen und deswegen hauen sie gemeinsam ab. Direkt mit dem Polizei-Bulli, aus dem der Beamte der Fürsorge während der Fahrt geschmissen wird. Eine Odyssee zum Vater nach München beginnt. Der Autoverkäufer (Devid Striesow) freut sich, den gesunden Sohn wiederzusehen, will mit Simpel aber nichts zu tun haben.

Selbstverständlich stolpert der überforderte Ben von einer unmöglichen Situation ins nächste Problem. Und trifft auf die Ärztin Aria (Emilia Schüle), die sehr lässig aushilft. Hier finden sich zwei, deren Lebensweisen komplett gegensätzlich sind. Die nur berufliche, einsame, gänzlich unabhängige Heilerin und der selber sozial zurückgebliebene Ben, der sich sein ganzes Leben lang um seinen Bruder gekümmert hat.

„Simpel", Verfilmung von Marie-Aude Murails gleichnamigem Roman und Remake eines französischen TV-Films, ist der perfekte deutsche Film, mit dem man und frau sich die Tränenkanäle durchspülen kann. Da er die Tragik ausgespielt, bis die letzte Tränendrüse überläuft wird, kann er zudem den Blutdruck hochtreiben mit viel Ärger über die simple Ausnutzung der emotionalen Klaviatur. Nie scheinen die Figuren ihren inneren Antrieben zu folgen, immer allein einem abgedroschenen Drehbuch-Standard. Bis zu extrem unfähigen Polizisten dient alles dem Drama. Mit Inbrunst geklampfte Popsongs und Weichspül-Gedudel wie Ben Howards „Keep your head up" halten die Stimmung auf hohem sentimentalen Niveau. Das ist dann doch arg simpel - aber auf jeden Fall rührend.

Allerdings auch richtig gut gespielt: David Kross („Die Vermessung der Welt", „Der Vorleser") ist als Simpel kaum wiederzuerkennen. Jungstar Frederick Lau („Victoria", „Traumfrauen") zeigt seine ganz weiche Seite. Emilia Schüle („High Society", „Mann tut was Mann kann") erfüllt als schöne Aria alle Erwartungen an ihr Können, überrascht jedoch nicht. Den Vater David gibt Devid Striesow („Ich bin dann mal weg") gekonnt widerlich. In seinen besten Momenten zeigt das wohl kalkulierte Rührstück, dass die Situation von Ben komplexer ist, als es im Film weitergeht.

Bad Moms 2

USA 2017 (A Bad Moms' Christmas) Regie: Jon Lucas, Scott Moore mit Mila Kunis, Kristen Bell, Kathryn Hahn, Christine Baranski, Cheryl Hines, Susan Sarandon 104 Min.

Naaa? Schon alle Weihnachtsgeschenke zusammen? Und auch die neue, aufwändige Deko eingekauft? Dieses schlechte Gewissen garantiert in voller Ladung und verlogen „Bad Moms 2", der erste Weihnachtshasser–Film des Jahres.

Amy, Kiki und Carla (Mila Kunis, Kristen Bell, Kathryn Hahn) sind schon einige Tage vor Weihnachten fix und fertig. Vorbereitungen für ein perfektes Weihnachtsfest fordern vor allem Mütter, auch wenn Carla die Geschenke für ihren debilen Sohn nur aus dessen Zimmer raussucht und noch mal verpackt. Doch nachdem die „Bad Moms" in ihrer ersten, dreckigen Komödie vor einem Jahr radikal die Verhaltens-Regeln für (Schul-) Mütter auf den Kopf stellten, sind diesmal die Mütter der Mütter die „Bad Moms Nummer 2". Erst als sie perfektionistisch (Christine Baranski) bei Amy, besoffen und bekifft (klasse: Susan Sarandon!) bei Carla beziehungsweise psychotisch anhänglich (Cheryl Hines) bei Kiki einfallen, werden die Feiertage zur wahren Hölle.

Da hilft nur wieder einmal kräftig saufen, am besten schon früh am Morgen. Die Frauen in Doppelrolle als Mütter und Töchter beschließen, diesen Wahnsinn nicht mehr mit zu machen. Stattdessen rennen sie wie besoffene Stripperinnen im Kaufhaus rum. Wenn die drei Frauen und der Humor wirklich mal ausbrechen, wird es grob aber auch lustig. Dann erfahren wir interessante Details der amerikanischen Weihnacht, dass zum Beispiel vor den Feiertagen ein großer Andrang beim Intimbereich-Waxing herrscht. Doch „Bad Moms 2" ist leider hauptsächlich Küchen-Psychologie. Im wahrsten Sinne des Wortes. Da wird um zu wenige Wut- und sonstige Ausbrüche herum das Mutter-Tochter-Verhältnis aufgearbeitet. Und im Gegensatz zum Humor ist es dabei ärgerlich, dass alles grob gestrickt wie ein billiger Weihnachtspullover daherkommt.

Die Moral der typisch us-amerikanischen Geschichte ärgert schließlich besonders: Selbstverständlich müssen sich Mütter zu Weihnachten völlig aufopfern und fertig machen, damit eine repräsentative Weihnacht verkauft werden kann. Aber wir haben wenigstens probiert, so zu tun, als wäre die Menschheit entwicklungsfähig.