31.5.10

Splice


Kanada, Frankreich 2009 (Splice) Regie: Vincenzo Natali mit Adrien Brody, Sarah Polley, Delphine Chanéac 108 Min. FSK ab 16

„Wenn Gott nicht gewollt hatte, dass wir neues Leben schaffen, hätten er uns nicht die Werkzeuge dazu gegeben!“ Dieser flapsige Satz stammt nicht von Craig Venter aus dem realen Künstliches schaffenden Leben. Der viel coolere Pop- und Punk-Wissenschafter Clive (Adrien Brody), ein Gen-Zauberer der Extraklasse, der es auf das Titelblatt der Wired geschafft hat, wischt damit in „Splice“ euphorisch die Bedenken seines Konzern-Aufsehers hinweg. Euphorie und Bedenken sind gleichermaßen angebracht, schufen Clive und seine Lebens- wie Forschungs-Partnerin Elsa (Sarah Polley) doch mit Ginger und Fred zwei zwar unförmige, aber sehr komplexe Lebewesen, die bei der ersten Begegnung direkt einen betörend schönen Zungenkuss austauschen - obwohl sie selber so aussehen wie überzüchtete Rinderzungen vom Metzger. Schon in diesem Moment packt Regisseur Vincenzo Natali, dem seit „Cube“ das Horror-Schild an der Filmographie hängt, sehr raffiniert: Gespannt erwartet man alles andere als diese fast kitschige Vereinigung rosa-farbener Riech-, Fühl- und Fortpflanzungs-Zungen. Der Horror kommt später.

Denn der Vorstand des Pharmakonzerns ist gar nicht begeistert und schließt die Abteilung, damit es kein öffentliches Aufsehen gibt. Heimlich klonen Clive und Elsa jedoch weiter, mixen sogar ein paar menschliche Gene in den schöpferischen Cocktail. Bei etwas übertriebener Zellteilungs-Geschwindigkeit entsteht so ein ... extrem faszinierendes Etwas. Eine Art Riesen-Springmaus mit ganz weichem Gesicht und großen Augen. Während Wissenschaftler Clive das Experiment sofort vernichten will, erwacht in Elsa, die sich eigentlich nicht mit Kindern Karriere und Figur versauen wollte, der Mutterinstinkt. Und als das bald Dren genannte Wesen zum Tier-Mädchen und später -Teenager aufwächst, wird klar weshalb...

Vier Finger, ein schönes Frauengesicht, Sprung-Beine wie bei einem Saurier und ein Schwanz mit bedrohlichem Stachel - Dren (Delphine Chanéa) ist eine zwischen Mensch und Tier schillernde Kreatur. Sie kann lesen, guckt beim Sex zu, hat Angst und irgendwann auch Kiemen und Flügel. Was sich sehr abgehoben anhört, funktioniert mit exzellent eingesetzter Tricktechnik und hervorragendem Schauspiel ausgezeichnet. Man würde Dren selbst sofort aufnehmen und auf dem Lande verstecken, wenn sie lieblich schnurrt und bittend den Kopf zur Seite legt. Doch ein Blutbad vor Aktionären, als Elsa und Fred vorgeführt werden, lässt ahnen, wohin sich auch das neueste Monster der Familie Frankenstein entwickeln kann. Dabei schwankt auch der Monster-Pol hin und her zwischen Kreatur und monströsen Eltern, die Dren anketten, wegschließen und (erfolglos) verstümmeln.

Im Gegensatz zum heute üblichen Horror-Schund geht es bei „Splice“ mit gutem Tempo und viel Humor um etwas. Richtige Schauspieler vom Besten (Polley und Brody) starten als hippe Wissenschaftler und führen uns durch immer wieder überraschende psychologische Untiefen. Das macht Spaß wie Angst, lässt mitdenken und -fühlen. Nachdem sowohl wissenschaftlich als auch familiär jedes Tabu gebrochen wurde, kommt der kluge und vielschichtige Science Fiction-Horror dann im Mary Shelley’schen Winter an, in dem die Kreatur Vollendung und Ende erlebt. Dieses bleibt offen, aber nur für den Pharmakonzern mit seinen Patenten auf menschliche DNA wirklich happy.

25.5.10

David Wants To Fly


BRD, Österreich, Schweiz 2009 (David Wants To Fly) Regie: David Sieveking 89 Min.

In dem hervorragenden Dokumentarfilm „Lynch“ erzählte der geniale Regisseur David Lynch von der kreativen Energie, die er aus der "Transzendentalen Meditation" (TM) zieht. Seinem großen Vorbild David Lynch folgt der frisch diplomierte deutsche Filmemacher David Sieveking, der mit seiner Karriere nicht richtig weiter kommt. Bringen teure Kurse bei der weltweiten TM-Organisation etwas? Im Laufe der Recherche zum Thema "Transzendentale Meditation" wandelt sich David Sieveking vom naiven Fan zum Kritiker, dem sowohl die Organisation als auch David Lynch rechtliche Schritte androhen.
Das, obwohl die Dokumentation keine sensationellen Erkenntnisse ans Tageslicht bringt. Was kann man schon erwarten, wenn man sich mit einem Guru beschäftigt, der als Ziel der Erkenntnis kleine, persönliche und unmotorisierte Flugeinheiten verspricht. Trotzdem hatte Maharishi Mahesh Yogi tausende Anhänger, einige von ihnen bezahlten sogar Millionen, um regionale Statthalter des Gurus zu werden.
Wie die TM-Organisation nutzt auch der Film den sehr geschäftstüchtigen David Lynch als Zugpferd. Andere Gestalten tun Sieveking den Gefallen, dass sie sich mit Gefasel vom „unbesiegbaren Deutschland“ herrlich lächerlich machen. Nebenbei geht eine Beziehungsgeschichte in die Brüche und am Ende schickt ihn anderer Guru zu den Quellen des Ganges. Ein handfestes Ergebnis der vierjährigen Beschäftigung mit TM in Indien, den USA, der Schweiz und Deutschland ist zumindest dieser Film.

Sex And The City 2


USA 2010 (Sex And The City 2) Regie: Michael Patrick King mit Sarah Jessica Parker, Kim Cattrall, Kristin Davis, Cynthia Nixon 146 Min. FSK ab 12

Welches Ereignis der TV-Unterhaltung beschäftigt in dieser Woche die ganze Welt? Richtig: Nach sechs Staffeln fand die sensationelle Serie „Lost“ ihr Ende! „Sex and the City“? Das ist dagegen so was von vorgestrig, echt „Vintage“, wie die abgehangenen Klamotten, auf die vier ältere Damen in diesem Film immer so stolz sind. Ohne äußeren oder inneren Grund gibt es einen zweiten Kino-Nachklatsch zu einer der oberflächlichsten TV-Serien des letzten Jahrhunderts. Außer Äußerlichkeiten hat auch „SATC2“ nichts zu bieten, nicht mal den Sex oder die City New York aus dem Titel. Samantha hat ihre Menopause und gut die Hälfte des Film füllt ein Reiseprospekt für Abu Dhabi.

Es gibt wieder eine Hochzeit - aber die wirklich sehr schwule Trauung zweier Freunde der vier Freundinnen Carrie, Samantha, Charlotte und Miranda dient nur als äußerst aufwendige Deko für das schwätzende Frauen-Quartett aus New York. (Lisa Minelli zappelt dazu auf der Bühne rum - ein ganz schlechter Scherz.) Am nächsten Tag hüpfen dann die Brüste von Charlottes Babysitter so auffällig ohne BH in Großaufnahme herum, dass jeder versteht: Dies sind die beiden Eheprobleme der überforderten Mutter. Ebenso mit dem Holzhammer bekommen auch die anderen drei ihr nur behauptetes und nie empfundenes Problem angehangen. Carrie hat zwei Jahre nach der Heirat einen zu häuslichen Mr. Big auf dem Sofa rumhängen. Samantha macht Panik wegen ihrer Menopause und Miranda kündigt wegen ihres diskriminierenden Kanzlei-Chefs. Diese Probleme und ihre Lösungen würden in einer Frauenzeitschrift in jeweils fünf Zeilen abgehandelt werden. Der Rest ist Werbung für Klamotten, Schuhe und Schmuck. Allerdings gibt es keine Frauenzeitschrift, für die man fast zweieinhalb lange Stunden braucht. Dieses undramatische, nie witzige und kaugummi-zähe „Sex And The City 2“ nimmt sich hingegen unverschämt viel Zeit.

Ärgerlicher ist nur noch der immense Werbeblock für Abu Dhabi, wo sich die armen, fast an der Hungerseide nagenden Ladies von der schweren Krise in den USA erholen können. (Carrie hat übrigens noch ihr altes Appartement in NY, weil zurzeit der Markt nicht nach Verkaufen ist.) Weil Samantha PR für ein Hotel machen soll, spendiert ein Scheich den Luxus-Urlaub, bei dem ein Maybach für jede nur eine Dreingabe ist. (Aber die Wagen will ja sowieso niemand haben.) Die Zurschaustellung von Überfluss - samt männlicher Kammerdiener - ist ähnlich obszön wie die generelle Idee, die Figuren in ein Land zu schicken, dass die etwas freizügigeren Serienfolgen nie ausgestrahlt hätte.

Auch wenn selbst die „Süddeutsche“ diesen Film mit einer Modestrecke zur Premiere bewirbt, sollte eine Filmkritik auch den Rest des fadenscheinigen Films betrachten. Dabei werden selbst die furchtlosesten Fans feststellen müssen, dass das Ganze ziemlich lahm und langatmig hingerotzt wurde. Hier verabschiedet sich ein ehemaliger Kult sang- und klanglos von der Bildfläche.

The Crazies


USA 2010 (The Crazies) Regie: Breck Eisner mit Timothy Olyphant, Radha Mitchell, Joe Anderson 102 Min.

1973 war die Welt in den USA auch schon längst nicht mehr in Ordnung. Nach Korea kam der Vietnam-Krieg und wenn Leute Amok liefen, gab es dafür gleich mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Eine biologische Waffe auf Abwegen (das Militär war schon immer für originelle Verteilungswege zu haben) ist da aber handlicher als dieser ganze Psycho-Kram. So schilderte George A. Romero 1973 in „The Crazies“ gradlinig das mörderische Ausrasten braver Bauern mitten in den USA und meinte eigentlich mehr. Das Militär versucht die Verbreitung des eigenen Virus einzudämmen, aber am Ende bleibt nur eine ganz drastische Maßnahme.

Das Remake von Romeros „Crazies“ durch Breck Eisner - Sohn des ehemaligen Disney-Chefs Michael Eisner - fällt zuerst durch die inflationär gesteigerten Produktionswerte auf, mit der ein kleiner, „dreckiger“ Film mehr als drei Jahrzehnte später zum Boxoffice-Hit werden soll: Mit den Aushängeschildern Timothy Olyphant und Radha Mitchell sieht auch der Rest der kleinen Geschichte eigentlich zu gut aus.

Sheriff David Dutton (Timothy Olyphant) kann den Nachbarn gerade noch erschießen, der sichtlich verwirrt mit dem Gewehr auf das Baseball-Feld marschiert. Eine Weile bleibt das Motiv rätselhaft, obwohl immer mehr brave Bürger zu mörderischen Bestien werden. Gerade hat Dutton das Flugzeugwrack im Trinkwasser-Reservoir entdeckt, da fällt auch schon das Militär ein und nimmt das ganze Dorf in Quarantäne. Dutton und sein Deputy Clank (Joe Anderson) können fliehen und zusammen mit Duttons schwangerer Frau Judy (Radha Mitchell) schlagen sie sich zwischen gleichermaßen mordlüsternen Militärs und Monstern durch.

Effektvoll inszeniert mit ein paar spannenden Mords-Ideen wie einem kleinen Kreissägen-Massaker funktioniert „The Crazies“ anständig, gradlinig, aber ohne besonderen Mehrwert.
Menschenleere Lagerhallen und Krankenhäuser sind ebenso unheimlich wie die Waggon-Ladungen vorsorglich umgebrachter Bewohner. Der Sheriff als stiller, nachdenklicher Held steht dem Militär entgegen, das nur noch erschießt und Leichen abfackelt. Einige gute dramaturgische Ideen, etwa die Autowaschstraße der Gebrüder Zombie zeugen von mehr Entwicklungsarbeit am Drehbuch als es die meisten Filme dieser Art an den Tag legen. Gute, sorgfältige Bilder gibt es bis zum apokalyptischen Endbild, das wie in seinem neuesten Film „Survival of the Dead“ wieder ganz Romero ist.

24.5.10

Cannes 2010 Kommentar


Das war ein großes Kunststück der Cannes-Jury um Regisseur Tim Burton: Aus einem sehr schwachen Wettbewerb das Preiswürdige derart aufmerksam herauszupicken, dass am Ende allgemeine Zufriedenheit und Zustimmung blieb. So was zeichnet wohl einen großen Regisseur aus und da legte Burton bessere Arbeit hin als Festivalchef Thierry Fremaux.
Doch jenseits solch flüchtiger Tageskritik setzte der Siegerfilm "Onkel Boonmee" vom Thailänder Apichatpong Weerasethakul (man darf ihn auch einfach „Joe“ nennen) ein nachhaltiges Zeichen: Gegen den Trend, Kriege oder Krisen mehr schlecht als recht abzuhandeln oder sich von Schwarzmalern und katastrophen-süchtigen Medien von einer Angst in die nächste Panik hetzen zu lassen, setzte Weerasethakul auf andere Werte. Das Leben (und Sterben) in einer Welt mit beseelten Wesen und Gegenständen als Zyklen der Wiedergeburt zu sehen, ist ein großes Geschenk des eigenwilligen Filmemachers an seine Zuschauer.
Abschiede gab es zuhauf in Cannes, auch Javier Bardem spielte sich mit den letzten Tagen eines Todkranken in „Biutiful“ eine Goldene Palme ein. Doch nur bei "Onkel Boonmee" erlebte man das Hinübergehen so leicht, dass der Film von einigen sogar als Komödie bezeichnet wurde. Derart beseeltes und nebenbei auch wunderbar entschleunigtes Kino kann tatsächlich noch bereichern - falls es denn bei uns ankommt. Den letzten Cannes-Beitrag von Weerasethakul „Tropical Malady“ verschliefen 2005 nicht nur viele Kritiker, in Deutschland sahen ihn nach dem Start auch nur 4.000 Menschen. Jetzt kann man hoffen, dass "Onkel Boonmee" mehr Zuschauer beglücken wird. Einen Verleih oder einen Starttermin gibt es allerdings noch nicht.

21.5.10

Cannes 2010 Resümee

 

Cannes. Allabendlicher Glamour am Roten Teppich, jubelnde Zuschauer hinter den Absperrungen, emsiges Treiben der Branche mit tausenden Akkreditierten Teilnehmern zwischen Film und Party. Cannes glänzte während der letzten zehn Tage wie immer als Epizentrum der Filmwelt. Mit noch zwei ausstehenden Filmen vor der Preisverleihung am Sonntagabend hinterlässt die Frage nach einem Favoriten jedoch recht ratlose Gesichter. Nur die alte Algerien-Politik Frankreichs sorgte gestern für Aufregung, da wegen des Films „Hors la loi" von Rachid Bouchareb die Sicherheitsvorkehrungen auf das Niveau von G8-Gipfeln verschärft wurden. Die 63. Ausgabe wird ansonsten in der Festivalgeschichte keinen besonderen Platz einnehmen.

 

Hätte man misstrauisch werde sollen, als Festivalchef Thierry Fremaux nur 19 Filme für den Wettbewerb ankündigte? Übersichtlich blieben auch die besonderen Kino-Momente. Vor allem die üblichen Verdächtigen wie Woody Allen, Ken Loach oder Takeshi Kitano in dieser wieder mal exklusiven Männerriege konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Nun bleibt es spannend, was die Internationale Jury unter der Regie von Tim Burton aus diesem mageren Angebot für die Goldenen Palmen, die am Sonntagabend vergeben werden, heraus pickt.

 

Ausgerechnet ein fünfstündiger TV-Dreiteiler, der am Premierentag direkt im französischen Fernsehen anlief, erwies sich als interessanteste Arbeit: In „Carlos" verfilmte Olivier Assayas die „Karriere" des internationalen Terroristen Ilich Ramirez Sanchez. Auch wenn man direkt alle Hoffnung auf das aktuelle Kino fahren ließ, wurde man bei den „Cannes Classics" gut bedient: Neben einer restaurierten Fassung von Luchino Viscontis „Der Leopard" und „Psycho" mit einer neuen Tonspur gab es auch den „Director's Cut" von „Die Blechtrommel". Einige Minuten mehr verändern den Film nicht wesentlich, machen aber Werbung für eine DVD-Veröffentlichung diesen Sommer. Um den Altersreigen abzuschließen, seien noch die Alt-Rocker namens Rolling Stones erwähnt: Mick Jagger adelte die Vorführung von „Stones in Exile" (Regie: Stephen Kijak), einer Dokumentation über das Entstehen von  „Exile on Main Street", dem angeblich besten Album der Musikgeschichte. Da der Film fast jugendfrei ist, kann es mit der Wahrheit über die wilden Sechziger nicht weit her sein.

 

Kriegs-Lügen

Symptomatisch für ein Festival ohne Überraschungen waren auch die beiden Filme zum Irak-Krieg, die nicht viel Neues erzählten: „Fair Game" von Doug Liman rollt den tatsächlich so passierten skandalösen Verrat einer CIA-Agentin durch Mitglieder der Bush-Regierung auf: Valerie Plame  (Naomi Watts) arbeitet seit 19 Jahren für den Geheimdienst, ihr Mann Joe Wilson (Sean Penn) war lange Botschafter der USA in Afrika. Als seine Untersuchungen über Material zum Bau einer irakischen Atombombe ins Gegenteil verkehrt werden, um einen Krieg gegen den Irak zu starten, geht Wilson mit den Fakten an die Öffentlichkeit. Die Bush-Leute rächen sich, indem sie Valerie enttarnen und so das Leben vieler Mitarbeiter in aller Welt gefährden. Eine Schlammschlacht beginnt, in der Wilson alleine gegen das Weiße Haus und für die Wahrheit kämpft. Liman, Regisseur von völlig unpolitischer Unterhaltung wie „Mr. & Mrs. Smith", kann mäßig unterhalten, der große Politthriller ist „Fair Game" aber nicht.

In Ken Loachs „Route Irish" versucht der ehemalige britische Soldat Fergus herauszufinden, wie sein Freund Frankie im Irak umgekommen ist. Sein Wagen wurde auf der angeblich gefährlichsten Straße der Welt, der „Route Irish", die Bagdad mit dem Flughafen verbindet, in die Luft gejagt. Ein iranisches Handy zeigt allerdings ein blutiges Massaker an Journalisten, an dem Frankie teilgenommen hatte. Hatte  man ihn aus dem Weg geräumt, weil er diese Morde nicht mit vertuschen wollte? Dabei gibt es doch ein afghanisches Gesetz extra für die US-Cowboys privater Sicherheits-Armeen, das ihnen generelle Amnestie gewährt.

Ken Loach wollte ein Kriegs-Thriller wie Green Zone", hat ihn allerdings wesentlich sparsamer inszeniert. Wo dort durch die Gegend gedüst wird, muss es hier der Chat mit dem Informanten in Bagdad tun. Das ist völlig ok und raffiniert gemacht. Probleme hat der Film, der seinen Helden schließlich zur Folter und Selbstjustiz schreiten lässt, eher in den moralischen Dilemmata, die nicht gut genug ausgearbeitet sind. Da hätte „Route Irish" vielleicht noch etwas Zeit und Feinschliff gebraucht. Aber der ehemalige Cannes-Sieger Ken Loach hatte sich seine Vorschusslorbeeren bereits verdient, ihn empfing ein tosender Applaus im Festivalpalast.

 

Die Begeisterung ließ sich auch allgemein nicht vertreiben, das Palmen-Logo im Vorspann zu jeden Film bekam regelmäßig Szenenapplaus. Man feiert sich in Cannes selbst als Teil des Hyper-Ereignisses, und als solches kann das größte Filmfestival der Welt  auch mal ein sehr schwaches Jahr überstehen.

19.5.10

Cannes - Die Binoche weint

 

 

Cannes. Juliette Binoche, das Poster-Girl der 63. Filmfestspiele von Cannes, spielt die Hauptrolle in dem vertrackten Beziehungsdialog „Copie Conforme", den der iranische Meisterregisseur Abbas Kiarostami extra für den französischen Star schrieb. Alles dreht sich dabei um Kopie und Fälschung, was angesichts eines weiterhin schwachen Wettbewerbs den Verdacht erweckt, ob nicht auch Cannes 2010 nur eine schwache Kopie ist, während die üblichen Macher und Qualitäten irgendwo Urlaub machen. Für diesen empfiehlt sich Südafrika in dem bewegenden deutschen Regard-Beitrag „Life, above all" nicht wirklich.

 

Ein amerikanischer Autor (William Shimell) stellt in der Toskana sein Buch über den Wert von Kopien in der Kunst vor. Eine Französin (Binoche), die hier ihren Kunsthandel betreibt, interessiert dies besonders, sie bittet ihn auf ein Treffen für den nächsten Tag. Das Treffen wird zum Ausflug in ein idyllisches Dorf, die Gespräche über Original und Fälschung verlagern sich zum Thema Beziehung und Ehe. Plötzlich kippt die Situation: Spielen hier zwei Fremde miteinander oder hat dieses Paar tatsächlich genau in diesem Dorf vor 15 Jahren Hochzeit gefeiert und sich in den letzten Jahren auseinander gelebt?

Mit der ihm eigenen Beiläufigkeit von Autofahrten durch eine wunderbare toskanische Landschaft, von entspannten Gesprächen und scheinbar alltäglichen Ereignissen spannt der kluge Iraner Kiarostami einen sehr reizvollen Bilder- und Gefühlsbogen. Juliette Binoche fasziniert mit der mutigen Offenheit ihrer Figur, einen liebevollen Neuanfang anzubieten. Das Repertoire von Emotionen auf ihrem Gesicht erstaunt immer wieder, weshalb etwas verwundert, dass sie auf dem Festivalposter eher unleidlich dreinblickt. Und doch verlor der Ausdrucks-Profi während der Pressekonferenz die Kontrolle. Als eine iranische Journalistin dem Landsmann Kiarostami sehr bewegt Fragen zur künstlerischen Freiheit seines Arbeitens in Bezug auf die Zensur im Iran stellte, rollten Tränen über Binoches Wangen.

 

Sehr bewegen wird sein Publikum in den nächsten Monaten auch die südafrikanisch-deutsche Koproduktion „Life, above all" von Oliver Schmitz. Es ist ein Krankenbericht aus Südafrika. Doch nicht die Wehwehchen von Fußball-Millionären stehen im Fokus, sondern der Überlebenskampf von Menschen mit wirklichen Problemen. Chandas kleine Schwester ist in einem kleinen Dorf gestorben. Da die Mutter verstört und der Vater betrunken ist, kümmert sich das kluge Mädchen um das Begräbnis. Die kleinen Geschwister dürfen nicht wissen, was passiert ist, und es dauert eine Weile, bis man begreift, dass hier alle wie kleine Kinder handeln oder behandelt werden. Bestimmt eine Stunde lang wird die Freundin Chandas ausgegrenzt, muss die Mutter zu Quacksalbern und Wunderheilern, nur das Wort AIDS spricht niemand aus. Selbst aus dem Krankenhaus wird Chanda geschmissen, als sie das Unwort in den Mund nehmen will. Doch dieses erstaunliche Kind beobachtet, versteht und handelt entschlossen, was zu einem Ende des absurden Schweigens führt. Dem 1960 in Kapstadt geborenen und in Deutschland arbeitenden Oliver Schmitz gelingt es, eine unfassbare Situation auch ohne drastische Darstellungen zu vermitteln. Dadurch wird dieser wichtige Film nicht nur ein großes Publikum erreichen, er ist sogar für Jugendliche geeignet. Konventionell inszeniert, aber sehr stilsicher, erfreut man sich 2010 an solchen Funden, während man im Wettbewerb – beispielsweise bei der anderen deutschen Koproduktion „Schastye Moe" vom Dokumentaristen Sergei Loznitsa – immer weniger versteht.

17.5.10

Cannes - Biutiful Film

 
Cannes. Mieses Wetter, mieser Wettbewerb – so lautete die Quintessenz der ersten fünf Tage Cannes 2010. Bis gestern Abend der „Babel"-Regisseur Alejandro González Inárritu mit „Biutiful" und Javier Bardem sehr Schönes und Trauriges zeigte. Ansonsten beherrschen Banker-Bashing und Alters-Sorgen die Themen.

 

Am Anfang legte Mathieu Amaltric mit „Tournée" noch eine richtig gute Show hin. Der nicht nur aus  „Die Taucherglocke und der Schmetterling" bekannte Schauspieler zieht als Joachim und Manager einer amerikanischen Burlesk-Stripshow durch französische Hafenstädte, versprach seinen schrillen Ladies Paris, aber dort hinterließ er Schulden und viele Feinde. Sowie zwei Kinder. Joachim, eine Figur, die Liebenswertes und Unsympathisches vereint, ist gleichzeitig Manager und Kindermädchen. Er achtet stets darauf, dass die Damen irgendwann mal ins Bett gehen, als Nachtfläschchen gibt es meist Champagner. Sehr lebendig diese teils märchenhafte Geschichte eines verlorenen Mannes, der bei seinen Striptänzerinnen eine neue Familie.

 

Ansonsten zeigte sich Cannes 2010 bislang auch thematisch übersichtlich. Nach fünf Wettbewerbstagen ist der Stand: Banken 3, Alte Männer 5. Von „Wall Street 2" über eine Dokumentation bis zu Hochhäuslers „Unter die die Stadt" ist die Bankenkrise im Kino angekommen. Der Nachwuchs allerdings noch nicht. Woody Allen führt in seiner sehr durchschnittlichen Komödie „You will meet a tall dark stranger" vor, wie alle Mitglieder einer Familie beziehungsmäßig mal was anderes probieren wollen und sich dabei heftig lächerlich machen. Angefangen vom jugend-wahnsinnigen Senior, sehr schön veralbert von Anthony Hopkins, der einer furchtbar jungen und dämlichen Prostituierten verfällt, bis zur Tochter (Naomi Watts), die von ihrem Galerist (Antonio Banderas) träumt. Das nur die verrückteste Witzfigur dieses wie üblich prominenten Ensembles am Ende ihr Glück findet, ist die einzige gelungene Pointe dabei. Allerdings qualifizierte sich Allen in der Pressekonferenz für den treffendsten Satz des Festivals. Auf die Frage, wie er das Altern und den Tod sähe, kam trocken: „Mein Verhältnis zum Tod ist noch immer das gleiche – ich bin grundsätzlich dagegen!"

 

Den baldigen Tod erwartet Uxbal (Javier Bardem), ein Vater, Dealer, illegaler Arbeitsvermittler und Medium für die Verstorbenen im nicht so schönen Barcelona der Illegalen und Armen. Sein Krebs lässt ihn nur noch ein paar Monate leben. Da er von seinen Zwiegesprächen mit den Toten weiß, wie Unerledigtes sie am endgültigen Gehen hindert, will er für die Seinen sorgen. Für die beiden Kinder, für die afrikanischen Straßenhändler, denen er den Ramsch besorgt, für die chinesischen Illegalen, die er zum Bau vermittelt. Doch auf die bipolare Mutter von Ana und Mateo ist kein Verlass, die Polizei schiebt seinen afrikanischen Freund ab und gerade die Gasheizungen, die den Chinesen das Leben besser machen sollten, sorgen für eine Katastrophe. Dank des eindrucksvollen Charakterdarstellers Bardem („Das Meer in mir") und einer sehr starken Bildsprache setzt der Mexikaner Alejandro González Inárritu seine tiefgründigen Werke („Amores Perros", „21 Grams", „Babel") mit „Biutiful" fort und findet in ungewöhnlichen Bildspielen eine sanfte Antwort auf die quälende Frage „Was ist dort drüben?"

 

Außer „Biutiful" interessierte nur der 67-jährige Brite Mike Leigh mit „Another year": Dem übermäßigen, nahezu unerträglichen Lebensglücks eines gesetzten Paares stellt er Lebens-Verlierer in ihrer näheren Umgebung entgegen. Tom und Gerrie kümmern sich zwar um völlig verzweifelte Kollegen und Verwandte, doch mit einer gnadenlosen Konsequenz grenzt letztendlich auch die Kamera die aus, die niemals dieses komische Ding namens Leben in den Griff bekommen werden. Verlierer waren auch die Zuschauer bei dem Tavernier-Kostümfilm „La Princesse de Montpensier". Oder wer aussaß, wie bei Mahamat-Saleh Harouns „Un homme qui crie (A screaming man)" sehr konventionell, ein Hotel-Bademeister von seinem Sohn verdrängt wird und den daraufhin mitten im blutigen Bürgerkrieg zum Militär verpflichtet. Richtig blutiges und ziemlich unsinniges Kino lieferte Takeshi Kitano mit „Outrage". Ein Yakuza-Krieg gerät außer Rand und Band, das Publikum kann selbst beim Zahnarzt-Massaker nur noch lachen oder entsetzt weglaufen. Scheinbar brauchte der japanische Superstar Kitano nach arg kunstsinnigen und schwierigen Filmen wieder etwas Geld. Also wer noch einen richtig guten Film in der Schublade hat, sollte schnell mal in Cannes vorbeikommen. Selten war es so einfach, eine Goldene Palme zu bekommen. Momentan ruhen die Hoffnungen auf dem nachgemeldeten Ken Loach, der mit „Route Irish" am Mittwoch laufen wird.

 

Auch die Nebensektion „Un certain regard" lieferte wenig Erbauliches. Spannend jedoch die kühl inszenierte Affäre eines Frankfurter Bankers mit der Frau eines Angestellten in „Unter dir die Stadt" von Christoph Hochhäusler: Die von der Filmstiftung NRW geförderte Produktion der Kölner Heimatfilm ist kluges Kopfkino und vermittelt wesentlich stärker die Skrupellosigkeit abgehobener Machtmenschen als beispielsweise Stones „Wall Street 2". Roland Cordes (Robert Hunger-Bühler), Banker des Jahres, will eine Affäre mit Svenja Steve (Nicolette Krebitz) und schickt ihren Mann deshalb zu einem lebensgefährlichen Job nach Indonesien. Ein aufreizendes Machtspiel mit Lebenslügen und Selbsttäuschung beginnt, bei dem die junge Frau dem berufsmäßigen Manipulator keineswegs unterlegen ist. Neben dem Kandidaten für den Satz des Festivals („Was habt ihr eigentlich alle gegen Schweine?" beschert der studierte Architekt und Filmemacher Hochhäusler mit seinen undurchdringlichen Frankfurter Glasfassaden das rätselhafteste Ende: Am Morgen wacht Svenja auf und unten in der Stadt rennen die Menschen schreiend durch die Straßen. „Es geht los!" kommentiert die Frau. Darauf wartet man allerdings noch in Cannes.

Cannes - Wall Street 2

 

Cannes. Gordon Gekko ist zurück aus dem Knast und Oliver Stone drehte wieder an der Wall Street. Die Fortsetzung „Wall Street: Money never sleeps" schlachtet nach 23 Jahren die nahezu prophetischen Analysen über kannibalisierende Finanzmärkte aus „Wall Street" aus. Damit springt das Festival von Cannes nach „Robin Hood" bereits zum zweiten Male binnen drei Tagen im Hauptprogramm auf einen äußerst populären Zug auf. Und erhielt mit Douglas / Stone eine nette Dekoration für den gestrigen Roten Teppich.

 

„Wall Street 2" verbindet den weltweiten Zusammenbruch des Bankensystems mit einem Familiendrama: Der junge Aktien-Händler Jake Moore (Shia LaBeouf) erlebt hautnah mit, wie zuerst seine alte Investment-Firma wegen fauler Kredite hopps geht und danach der ganze Bankensektor plötzlich astronomische Beträge von den Regierungen hinterher geworfen bekommt. Wer hinter den Kulissen die Fäden zieht, erklärt ihm niemand anders als der legendäre Aktien-Zocker Gordon Gekko (Michael Douglas), der wegen Insider-Handels im Knast saß. Im Tausch für diese Informationen soll ihn Jake mit seiner Verlobten Winnie (Carey Mulligan) wieder zusammenbringen. Winnie ist Gekkos Tochter, verachtet ihn aber, seit ihr Bruder sich umgebracht hat, ohne dass der Vater helfen konnte. Parallel zu dieser schwierigen Familienzusammenführung werden Intrigen geschmiedet, gerät ein Erbe von 100 Mio. Dollar in falsche Hände und kämpft ein Forschungsprojekt für regenerative Energien ums Überleben.

 

Ein wenig viel für einen Film, der moralisch und filmisch überzeugen will. Denn Oliver Stone versucht nicht nur – mehr schlecht als recht – den Banken-Crash zu erklären, er macht auch auf grüne Energie-Politik und Romanze. Man erwartete Anklagen oder sogar Antworten von dem Regisseur, der sich seit „Geboren am 4. Juli" politisch gibt. Doch Oliver Stone ist auch der Autor von „J. F.K.", dem Film über das Kennedy-Attentat, bei dem einem auf bis dahin ungekannte Weise der Schädel brummte, aber man keinen Deut schlauer war nachher. Und ähnlich geht Stone auch „Wall Street 2" an. Viele Gestaltungs-Gimmicks und schwierige Worte wie Derivate schwirren ebenso herum wie rein dekorative Kurs-Charts und Torten-Diagramme, die durch die Hochhausschluchten Manhattans schweben. Wirklich entlarvend ist Stone dabei nur einmal, als er bei einer Wohltätigkeits-Gala minutenlang allein den schweren Schmuck der Damen zeigt. Ansonsten ist Michael Moores „Capitalism: A Love Story" nicht nur aufschlussreicher in Sachen Bankenkrise, die Doku unterhält auch besser als der Spielfilm „Wall Street 2".

 

„Wall Street: Money never sleeps" war nicht unbedingt das persönliche Projekt vom dreimaligen Oscar-Gewinner Stone. Er stieg erst 2009 ein und übernahm das Drehbuch des ehemaligen Aktienhändlers Allan Loeb. Das überzeugende Ausschlachten der Legende „Wall Street" scheitert auch am Rest der Besetzung: Wer ist dieser Niemand auf dem riesigen Plakat neben Michael Douglas, werden sich viele auf der Croisette gefragt haben? Aber Shia LaBeouf („Transformers") hält sich ganz wacker neben dem alten Fuchs Douglas. LaBeouf mit dem jungen Tom Cruise zu verwechseln, wäre jedoch völlig überzogen. Er spielt die Rolle, die keine höchsten Ansprüche stellt, nur anständig. So darf man dem Film sein berühmtestes Zitat vorhalten: „Greed is good" (Habgier ist gut - in diesem Fall ist die Habgier der Filmproduzenten als Hauptmotiv unübersehbar.

16.5.10

Die Beschissenheit der Dinge

 

Belgien 2009 (De helaasheid der dingen) Regie: Felix Van Groeningen mit Kenneth Vanbaden, Valentijn Dhaenens, Koen De Graeve, Wouter Hendrickx 108 Min. FSK: ab 12

 

Eine Familie aus Proleten, Asozialen, Alkoholikern und Vollidioten - um es nett zu sagen. Die Strobbes sind eine unfassbare Vohikula-Sippe, gegen die Al Bundy oder das RTL-Prekariat aus „Super-Nanny" wie eine ferne Bildungselite wirken. Gunther Strobbe (Kenneth Vanbaden) wuchs mit seinem Vater Celle (Koen De Graeve) und dessen einvernehmlich arbeitslosen Brüdern bei der Oma auf, bevor er sich in ein Internat rettete und Schriftsteller wurde. Durch den bitteren aber auch milden Blick von Gunther verfällt „Die Beschissenheit der Dinge" nicht der besserwisserischen Vorführung dieser Unterschicht-Menschen zum Zwecke der Klamotte. In seinen besten Momenten ist der schmerzvolle Rückblick Strobbes pure Poesie.

 

In seinen prallsten Momenten verwandeln sich die Bewohner dieses kleinen flämischen Kaffs zu Nachfahren Breughels und belgischer Comic-Exzesse. Eine Tour de France des Wettsaufens mit Bier für die Flachetappen und harten Sachen für den Anstieg bildet nur einen Höhepunkt der dauernden Strobbe-Alkoholisierung. Ein nacktes Radrennen gibt nicht nur das Plakatmotiv sondern brachte den Film auch im letzten Jahr dank einer Wiederholung der Aktion in Cannes nachhaltig ins Gespräch. Zuneigung bahnt sich in dieser Familie nur sehr schwer den Weg an die Oberfläche. Die Zeugung von Gunther durch den kaum noch zurechnungsfähigen Vater Celle war ein ebenso liebloser Akt der Triebe wie Gunthers späterer Ausrutscher, der ihn wider Willen auch zum Vater macht.

 

So erschreckend sich dies anhören mag, zuallererst kommt „Die Beschissenheit der Dinge" (nach einem Roman von Dimitri Verhulst) als belgische Komödie im Retro-Look daher. Regisseur Felix Van Groeningen stürzt sich mit großer Lust in das Proll-Leben, zwischen Lach- und Kopfschütteln besteht beim Publikum durchaus die Gefahr einer (politisch korrekten) Verrenkung. Aber in kleinen Szenen wie auch im großen Ganzen bleiben all diese unmöglichen Strobbes doch Menschen, sie werden nicht für den Klamauk geopfert.

Der Vater meiner Kinder

 

Frankreich, BRD 2009 (Le père de mes enfants) Regie: Mia Hansen-Løve mit Louis-Do de Lencquesaing (Grégoire), Chiara Caselli, Alice de Lencquesaing, Alice Gautier, Manelle Driss 112 Min.

 

Der französische Filmproduzent Grégoire (Louis-Do de Lencquesaing) ist ein gestresster aber sympathischer Typ, der sich auf zwei Handys einfach um zuviel kümmert. Empfindsam, liebesbedürftig, ein guter Vater und ein Ehemann, dem die Gattin Sylvia (Chiara Caselli) noch gerne „Ti amo" sagt. Der Kettenraucher und notorische Nicht-Anschnaller ist für die Familie da, für die Firma und seine Filme. Einen betrogenen Nebendarsteller tröstet er, nimmt ihn in den Arm. Es ist stressig, aber es scheint gut zu gehen mit dieser kleinen Familie, die trotz der Proteste der Teenager-Tochter immer noch gemeinsam die Wochenenden am Rande von Paris auf dem Land verbringt. Doch nach dem Wochenende kommt eine neue Hiobsbotschaft zum hohen Schuldenberg hinzu. Die aktuellen Produktionen stocken, überall fehlt es an Mitteln. Von seiner Leidenschaft für die Filme getrieben, will Grégoire trotzdem auf keinen Fall seinen Film-Katalog, sein Lebenswerk verkaufen. Irgendwann verlässt Grégoire sein Büro, geht ein paar Straßen und erschießt sich.

 

Zurück bleibt Sylvia mit ihren drei Töchtern und vielen Fragen: Hat er nur sich gedacht? War der Selbstmord egoistisch? Völlig unkonventionell, einfach und selbstverständlich trägt das kulturell durchdrungene Leben diese Familie auch in Zeiten der Trauer. Freunde kümmern sich um die Kinder, Sylvia versucht die Dreharbeiten und das filmische Erbe zu retten. Die älteste Tochter Clémence (Alice de Lencquesaing) begibt sich auf die Suche nach einem bislang verschwiegenen Stiefbruder. Dabei ergeben sich wunderbare kleine Momente wie Clémences Morgen nach der Nacht mit dem jungen Drehbuchautor, den auch der Vater schon sehr mochte: Ganz erwachsen bestellt sie sich einen Kaffee, aber kommt mit den Varianten dieses erwachsenen Getränks nicht zurecht. Deshalb wird es doch wieder ein kindlicher Kakao.

 

Trotz der vielen Bezüge, die man bei der französischen Autorin und Regisseurin Mia Hansen-Løve, der Lebensgefährtin von Olivier Assayas zur aktuellen französischen Filmszene sehen kann, ist „Der Vater meiner Kinder" kein „Schlüsselroman" für Cinemaniacs. Dass die Figur von Grégoire an den Lars von Trier-Produzenten Hubert Balsan erinnert, der sich 2005 erhängte, ist bekannt. Unabhängig von all dem betört der sehr sehenswerte Film mit einem großen Gefühl für Schönheit in diesem Leben, selbst in der Trauer. Mia Hansen-Løve lässt mit äußerst gelungenen Kompositionen aus Musik, Bildern und sehr natürlich wirkendem Spiel sehr viel miterleben.

9.5.10

Der fantastische Mr. Fox


USA 2009 (Fantastic Mr. Fox) Regie: Wes Anderson 87 Min. FSK: ab 6

Eigentlich hatte sich der Räuber zur Ruhe gesetzt, als er mit seiner „foxy Lady“ eine Familie gründete. Doch nach ein paar Jahren juckt es den alten Fuchs und mit einem Kumpel will er ein letztes Ding drehen. Klar, dass es nicht bei dem einen Raubzug bleibt. Das lassen sich die Opfer jedoch nicht lange gefallen, ihr Gegenschlag zielt hinterhältig auf die Familie des Diebes. Der sammelt für die Rache eine große Gang um sich und zum Finale ist auf der Dorfstraße kein Mensch mehr zu sehen. Ein klassischer Showdown steht bevor...

Nicht Sergio Leone, nicht Martin Scorsese haben diesen Gangster-Film mit Western-Elementen inszeniert. Es war Wes Anderson und „Der fantastische Mr. Fox“ nach dem gleichnamigen Roman vom Kinderbuchautor Roald Dahl ist eine scheinbar altmodische Stop-Motion-Animation, ein weiser witziger „Puppen-Film“. Dabei sprengt das wunderbare, komische und im besten Sinne manchmal auch seltsame Werk die Grenzen der Genres: Den charmanten Abenteurer Mr. Fox kann selbst der Umzug in einen großen, überirdischen Fuchsbau nicht beruhigen. Mit dem einfältigen Opossum als Assistenten beraubt er die drei größten und gefährlichsten Landwirte der Gegend. Deren Antwort fällt entsprechend aus: Mit extremen Aufwand wird der Fuchsbau erst ausgegraben, dann in die Luft gejagt, ausgehungert und mit Cidre ausgespült. Der finale Kampf mit einer psychotischen Ratte (Willem Dafoe) hat die Coolness von Tarantinos „Kill Bill“, das Duell mit den drei Bauern den Western-Stil eines echten High-Noons. „Der fantastische Mr. Fox“ ist eine Gangster-Geschichte, ist „Ocean’s Eleven“ im Tierfell. Da verwundert die kongeniale „Besetzung“ der Fuchs-Stimme (im Original) mit George Clooney nicht. Der alte Charmeur ergänzt Andersons Stamm-Spieler wie Jason Schwartzman (Fox-Sohn Ash) und Bill Murray (Dachs-Anwalt Badger). Denn es ist fantastisch, wie „Mr. Fox“ eine herrliche, komische sowie liebenswerte Roald Dahl-Verfilmung und ebenso eindeutig ein Wes Anderson-Film ist: Weiche Farben, stoische Gesichtsausdrücke, die coolen Songs, der trockene Humor, alles genau wie in den Real-Filmen „The Royal Tenenbaums“, „Die Tiefseetaucher“ und „Darjeeling Limited“. Selbstverständlich sind auch Fuchsens eine Familie, in der es holpert und kracht. Nicht nur weil Fuchs-Sohn Ash sich nicht genug beachtet und geliebt fühlt.

Man fragt sich angesichts des unübersehbaren Anderson-Stils mit dem aufgeschnittenen Fuchsbau anstelle des Tiefseetaucher-Unterseebootes, ob so nicht alle seine Filme Stop-Motion hätten sein sollen. Echte Schauspieler sind scheinbar nur ein Hindernis auf dem Weg zu großer Kunst - sie sind schwierig zu formen, viel schwieriger als diese äußerst sympathischen Puppen. Eine Menge Ausdruck und Seele haben Mr. Fox, seine Familie und Freunde trotzdem. Diese animierten Tiere müssen nicht, so wie es Robert Ebert treffend bemerkte, in albernen Matrosen-Anzügen und ohne Hosen rumlaufen. Mr. Fox tritt gepflegt in Cord-Jacke auf, spricht Englisch, Latein und Französisch. Nur wenn es ums Essen geht, kommt das Tier im Zeitungs-Kolumnisten raus, bricht er in wildes Fauchen aus. Der Hühnerdieb fragt sich existenzialistisch: Wer bin ich und wie kann ich als Fuchs ohne Huhn im Maul glücklich werden? Eine Anderson-Antwort liefert Frau Fuchs: Wir sind alle irgendwie „anders“ und das ist fantastisch!

Plan B für die Liebe


USA 2010 (The Back-Up Plan) Regie: Alan Poul mit Jennifer Lopez, Alex O'Loughlin, Eric Christian Olsen 106 Min.

Schon im gezeichneten Vorspann sieht eine Frau überall nur Kinder. Das mag für alle, bei denen die biologische Uhr unüberhörbar tickt, hochdramatisch und echt realistisch sein. Aber will man(n) das sehen? Das filmische Elend beginnt mit einer künstlichen Befruchtung und Jennifer Lopez, die man lange nicht gesehen hat. Diese erste Szene macht auch klar, dass dies gut war. Nun soll „Jenny from the Block“ mal elegant, mal burschikos und peinlich eine lahme Komödie über schwierige Paarfindung tragen. Der schlechte Witz fängt mit einer Zusammenfassung und einigen Rückblenden an ... und kommt dabei immer noch nicht in Schwung. Bereits bei der zweiten Szene, wenn J-Lo als Vierzigerin Zoe ohne Mann mit zusammen gekniffenen Beinen die Befruchtungsklinik verlässt, erweist sich Fremdschämen als vorherrschendes Gefühl. Dass ins erstbeste Taxi ausgerechnet dann mit Stan (Alex O'Loughlin) der Mann mit einsteigt, in den Zoe sich verliebt, ist mit die lahmste Drehbuch-Idee seit langem. Falls das noch nicht reicht, den Film zu hassen, hilft ein erstes furchtbares Liedchen auf der Tonspur nach - bevor zehn Minuten rum sind. Ach ja, und es ist nicht echt süß, dass Zoe Chefin eines Tierladens ist! Von nun an bleibt es ein großes Problem des Films, dass Zoes kleiner Köter mit seinem Ben Hur-Rollstuhl für die überzüchteten Hinterbeine sehr viel interessanter als die Hauptdarstellerin ist.

Der alternde Hinterteil-Star Jennifer Lopez sucht in „Plan B für die Liebe“ verzweifelt einen Plan B für die eigene Karriere. Eine alberne, fortpflanzungs-mäßig verkrampfte Rolle. Das Konzept Kind ohne Mann liefert eigentlich ein zeitgemäßes Thema, ein spannendes Problem, nur hier wird alles albern, überzogen, unglaubwürdig und schlecht präsentiert. Die Romantik misslingt dem Film ebenso wie den beiden Beteiligten im Film. Ansonsten schafft es „Plan B“, genauso nervig zu sein wie Lopez’ Figur.

5.5.10

Die Eleganz der Madame Michel


Frankreich, Italien 2009 (Le Hérisson / Il Riccio) Regie: Mona Achache mit Josiane Balasko, Garance Le Guillermic, Togo Igawa, Anne Brochet 100 Min.

Die elfjährige Paloma (Garance Le Guillermic) begegnet uns als ein extrem kluges und kreatives Kind. Sie spricht japanisch, bemalt ihr Zimmer äußerst kunstvoll nur mit schwarzem Stift und durchschaut die Welt mit ihrer Kamera. Dass die kleine Kluge andere wichtige Dinge des Lebens gar nicht versteht, gehört zu den vielen Reizen dieses liebenswerten Films nach dem französischen Roman „Die Eleganz des Igels“ von Muriel Barbery.

Bei all ihrer Intelligenz ist es irgendwie verständlich, dass Paloma in der ignoranten, eitlen Umgebung ihrer Familie und des Pariser Mehrfamilienhauses nicht weiter leben will. Deshalb wird sie sich in 165 Tagen umbringen und dreht die letzten Tage ihres Lebens einen Film, der die Absurdität des Seins zeigt. Das neugierige Mädchen erforscht nun alle Lebens- und Sozialbereiche im Haus und durchbricht damit die Mauer der Distanz wahrenden Höflichkeiten im Treppenhaus. Dies führt zu einigen Überraschungen, zum Beispiel hat die nicht sehr gesprächige, ältere Concièrge Madame Michel (Josiane Balasko) eine eindrucksvolle Bibliothek hinten in ihrer Hausmeister-Stube. Renée Michel mag Zartbitter-Schokolade, ihren Kater Leo und kocht sich japanisch Tee. Dann zieht sehr passend der elegante Japaner Kakuro Ozu (Togo Igawa) in die Wohnung eines verstorbenen Eigentümers ein. Endlich kann Paloma Japanisch sprechen! Mit dem Geschenk einer alten Ausgabe von „Anna Karenina“ kann Kakuro auch der mürrischen Fassade von Madame Michel ein Lächeln entlocken. Er erkannte nicht nur den Tolstoi im Kater Leo, auch andere Qualitäten in unscheinbaren Menschen bringt der stille und freundlichen Mann hervor. Dazu sehr schöne Weisheiten: So antwortet Kakuro auf den Einwand Michels, sie sei doch nur die Concièrge, „man kann durchaus zwei Qualitäten nebeneinander haben“.

Mit seinem doppelten Kamera-Einsatz durch die Film-im-Film-Regisseurin Paloma findet „Die Eleganz der Madame Michel“ immer reizvolle Sinnbilder für solche Lebensweisheiten. Da spielt nicht nur der Goldfisch im Glas eine bedeutungsvolle Rolle, Paloma versetzt auch ihre Familienmitglieder in durchsichtige Gefängnisse, indem sie durch Trinkgläser filmt. Zum gelungenen, ebenso humorvollen wie anrührenden Spiel im Mikrokosmos Mietshaus trägt neben der jungen Garance Le Guillermic als Paloma auch Josiane Balasko bei. Neben ihren starken Rollen führte sie auch schon bei den ihren eigenen Komödien „Eine Frau für zwei“ (1994) und „Mein Leben ist die Hölle“ (1991) Regie. In der sehenswerten Barbery-Verfilmung, präsentiert sie sich mit Mut zur Hässlichkeit, um mit neuer Frisur und „geliehenem“ Kleid in voller Eleganz zu erstrahlen.

3.5.10

Das Leuchten der Stille


USA 2010 (Dear John) Regie: Lasse Hallström mit Channing Tatum, Amanda Seyfried, Richard Jenkins 105 Min.

Die wöchentliche Portion Melodrama von Nick Sparks kommt nach dem Teenie-Kitsch „Mit dir an meiner Seite“ diesmal von Lasse Hallström und eignet sich auch für die deutsche Kriegsnation hervorragend zur Wehrertüchtigung der Heimatfront: John (Channing Tatum), das knackige Muster eines tapferen, stillen Soldaten-Schwiegersohns trifft im amerikanischen Fronturlaub die blonde Savannah (Amanda Seyfried). Die beiden verlieben sich, ohne dass es auf der Leinwand besonders funkt. Die ersten 20 Minuten übersteht man vor lauter weichem Licht und weich gezeichneten Gutmenschen kaum. Der ernsthafte Soldat John und die liebe Helferin Savannah ergeben ein Traumpaar, das man auch im richtigen Leben lieber alleine langweilig sein ließe. Außer gutem Aussehen tragen die beiden Hauptdarsteller unter dieser Regie nichts bei. Am wenigsten romantische Gefühle. (Amanda Seyfried ist kaum mehr als die Verführerin „Chloe“ zuerkennen.)

Die zweite Phase der Langeweile in diesem echt langen Film macht der Briefwechsel zwischen John im Front-Einsatz und Savannah im Einsatz als Mutter Theresa-Double. Dann tut der Film so, als sei es selbstverständlich, sofort nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in andere Länder zu reisen und dort auf Menschen zu schießen. Nichts anderes kann John sich nämlich vorstellen, auch wenn es Savannah nicht begreift und lieber mit ihm leben will. Es folgen weitere zähe Sequenzen der Briefschreiberei, zwischen denen John Bonbons an dunkelhäutige Kinder verteilt. Bis sie genug davon hat, auf einen uniformierten Choleriker zu warten und die Fernbeziehung per Brief kündigt. Jetzt muss der Afghane dafür bluten und John reagiert seine Verletzung an weiteren amerikanischen Kriegsschauplätzen ab. Erst der Schlaganfall seines Vaters beordert ihn nach Hause , wo der tapfere junge Mann die Wahrheit erfährt. Selbstverständlich regnet es bei Sparks am Ende wieder mindestens so heftig wie in „Message in a Bottle“ oder „Wie ein einziger Tag“...

Lasse Hallström kann man gut vorwerfen, dass er Literaturverfilmungen wie „Chocolat“ oder "Gottes Werk und Teufels Beitrag" extrem weichspült. Wenn jetzt ein rührseliger Bestseller von Nicholas Sparks dran ist, hat die Hallström-Methode ja vielleicht etwas Gutes? Wenn, dann höchstens als Betäubungsmittel, um den ganzen endlos gedehnten Leidenskitsch möglichst zu verschlafen.

Iron Man 2


USA 2010 (Iron Man 2) Regie: Jon Favreau mit Robert Downey jr., Scarlett Johansson, Mickey Rourke, Samuel L. Jackson, Sam Rockwell, Don Cheadle , Gwyneth Paltrow 125 Min. FSK ab 12

Nachdem Robert Downey Jr. mit der ihm ureigenen Lässigkeit und Selbstironie als pazifistischer Waffenhersteller „Iron Man“ vor zwei Jahren das Superhelden-Genre um eine nette Nuance und ein üppiges Einspielergebnis bereicherte, kommt nun im zweiten Teil aus Russland ein neuer Iron Man ... und dann gibt es plötzlich ganz ganz viele. Der zweite Teil hält sich trotzdem gut, verliert zwar etwas an Charme und Originalität, kann seinem Helden Tony Stark aber noch eine Menge menschliche Tiefe retten.

Der geläuterte Waffentycoon Tony Stark (Robert Downey Jr.) gefällt sich nun als pazifistischer Popstar, der als unschlagbarer Iron Man erfolgreich Frieden in der Welt geschaffen hat. Trotzdem will die US-Regierung seine Technik klauen und kopieren. Zudem ist durch den intensiven Einsatz der Iron Man-Rüstung sein Blut vergiftet und auch die futuristische Kraftquelle, die neben seinem Herzen leuchtet, verliert an Kraft. Es ist also Zeit für eine Krise. Die bekommt weltbewegende Ausmaße, als die große Action nach einer halben Stunde bei einem historischen Formel 1-Rennen in Monaco ausbricht. Dann sorgt sie aber auch mit dem Auftritt von Mickey Rourke als flammende Iron Man-Kopie namens Whiplash (Peitschenhieb) für einige Volltreffer. Das Duell zweier Superhelden deutet an, wo all die Marvel-Helden hingehen: In die Vielfalt. „Iron Man 2“ produziert reihenweise Auftritte von anderen Superhelden-Figuren aus der gleichnamigen Comic-Serie, die vor dem Film eher zweitrangig war. Und damit auch reichlich Material für weitere Kinofilme!

Bei allen folgenden Attraktionen für ein Action-Publikum zahlt es sich bei „Iron Man 2“ nachhaltig aus, dass die Dramaturgie vorher den Menschen Tony Stark in der Helden-Ausrüstung gut aufgebaut hat. Der Comic-Charakter der ganzen Geschichte hält sich eine Weile zurück und lässt dem extrem guten Schauspiel Raum. Zum erfolgreichen Zusammenwirken von Robert Downey Jr. und der mal nicht unterkühlten Gwyneth Paltrow (als Starks treue Assistentin Pepper Potts) gesellen sich Mickey Rourke in seiner eher bewegungsarmen Schurken-Rolle und Scarlett Johansson eindrucksvoll als kühle Action-Braut. Der bekannte Akteur Jon Favreau ist neben seiner erneut gelungenen Regierolle selbst als Starks Bodyguard Hogan zu sehen. Dazu gibt es noch ebenfalls nicht ganz unbekannte Leute wie Samuel L. Jackson, Sam Rockwell und Don Cheadle zu erleben.

Ein ganz besonderer Hit bleibt aber Robert Downey Jr. - sei es beim Basteln mit digitalen Spielereien, die sogar Apple neidisch machen werden, sei es bei den sehr flotten Dialogen, passend zum hyperaktiven Tony Stark und zur ebenso hochintelligenten Pepper. Er gibt der Rolle und dem Humor das kleine Zwinkern in den Augen- und Mundwinkeln, das diesen Superhelden von seinen zahllosen Kollegen unterscheidet. Im Finale tritt er dann gegen eine ganze Armee von kämpfenden Blechdosen an. Dabei geht die Ironie von Downey Jr. dann doch verloren. Ab hier macht man sich um Teil 3 Sorgen: Wirkte Robert Downey Jr. nicht am Ende mal kurz gelangweilt in dieser Rolle?

Survival of the Dead


USA, Kanada 2010 (Survival of the Dead) Regie: George A. Romero mit Alan Van Sprang, Kenneth Welsh, Kathleen Munroe, Devon Bostick 86 Min. FSK ab 18

George A. Romero ist höchstpersönlich ein Zombie der Filmgeschichte - einfach nicht tot zu kriegen! Seit er 1968 mit dem billig produzierten und extrem erfolgreichen „Night of the Living Dead“ (Horror-) Filmgeschichte schrieb, gilt Romero als lebende Legende. Bei verschiedenen Fortsetzungen wie „Dawn of the Dead“ (1978) ging seine Karriere auch mal in den Keller, doch im Gegensatz zu den aktuellen Regie-Monstern und Horror-Remakern war für Romero auch immer ein soziales Element in seinen blutigen Gemetzeln wichtig.

Nun, im sechsten Zombie-Film von Romero, spielen die Untoten eigentlich nur eine - wenn auch fleischfressende - Nebenrolle: Die lebenden Leichen machen nicht nur die USA unsicher, auch auf einer kleinen Insel krochen sie aus den Gräbern hervor. Dort streiten sich seit Generation zwei Clans, die nun einen ethischen Disput mit schwerem Geschütz ausfechten. O’Flynn schießt genauso schnell mit Flinten, wie mit seinem Mundwerk. Der grinsende irische Schweinehund will einfach alle Zombies platt machen. Der düstere Farmer Muldoon hingegen hält die tumben Wesen wie Vieh und will ihnen das Menschenfressen abgewöhnen. Dabei ist die kleine Gemeinschaft O’Flynns vom Gebot belastet, selbst die Liebsten endgültig zu erschießen, wenn sie zu Untoten werden sollten.

In dieser mit viel Geballer, blutrünstiger Beißerei und Action geführten Diskussion landet ein Trupp aus Soldaten und Gaunern, der kräftig beim Gemetzel mitmischt. Da kann Spaß machen, wenn man sich eine gewisse Ignoranz gegen die Schlachtereien angesehen hat. Romero hat die kleine Geschichte sorgfältig entwickelt und lässt respektable B-Schauspieler agieren. Der Zombie-Film mit Western-Anleihen macht am Ende die menschlichen Anführer zu Monstern, die nicht aufhören können, sich zu bekriegen.

Federicos Kirschen - Cenizas del cielo


Spanien 2008 (Cenizas del cielo) Regie: José Antonio Quirós mit Celso Bugallo, Gary Piquer, Clara Segura, Beatriz Rico, Fran Sariego 86 Min.

Dieser sympathische Öko-Film aus Spanien hat als Herz ein außergewöhnliches, einzigartiges Bild: Auf der Wiese steht ein imposanter Kirschbaum abgedeckt von einem Plastikdach. Der Baum steht im Tal von Negrón, wie auch das Kohlekraftwerk, das mit seinen Abgasen in fast jedem Bild zu sehen ist. Die Plane schützt den Baum vor dem sauren Regen, der hier alles verrotten lässt. Seit mehr als dreißig Jahren kämpft Federico (Celso Bugallo) gegen die Drecksschleuder. Der störrische alte Bauer marschiert mit seiner Schubkarre über Schnellstraßen in die Stadt, zeigt den Beamten vom Stadtrat seine vom sauren Regen verseuchten Gemüse. Nach Jahrzehnten des Widerstands richtet Federico nun all seine Hoffnungen auf das Kyoto-Protokoll, doch das Kohlekraftwerk im asturischen Tal steht nicht auf der Liste der veralteten Anlagen, die abgeschaltet werden.

Wenn der schottische Reise-Schriftsteller Pol Ferguson (Gary Piquer) mit seinem Wohnmobil in diesem Tal strandet, ahnt man schnell, wo die Reise hingeht, was der Film erzählen will. Der Streit des asturischen Don Quijote gegen die Umweltverschmutzung der Kohlekraftwerke, der Widerstand von ein paar Traditionen und lokalen Eigenheiten in einer globalisierten Welt ergeben das, was man als „liebenswerten Film“ bezeichnet, oder auch als nur „nett“. Denn man kann sich sicher sein, dass man hier nicht groß schockiert oder besonders tief berührt wird. Da hätte die Dudelmusik gar nicht so beruhigend weichspülen müssen. Man wird „Federicos Kirschen“ wegen seiner Landschaften, aber auch wegen seiner dickköpfigen Menschen mögen. Da gibt es die typischen komischen Käuze, wie der Opa, der sich beim Angeln immer selbst aufspießt. Oder einen ehemaligen Minenarbeiter, der jetzt auf Golfer macht und versucht im Kühlturm einzulochen.

Selbstverständlich gibt es auch alte Geschichten und kleine Dramen zwischen all den liebenswerten Menschen. Eine alleinstehende Bäuerin kommt immer öfter mit der Spezialität der Region, dem Cidre, bei Ferguson vorbei. Federico fragte ihn zuvor, weshalb er kein Zuhause habe und wo seine Familie sei. Aus Leidenschaft wird Liebe, der Reise-Schriftsteller schlägt ein paar Wurzeln. Mit etwas Geduld sind auch Erfolge im Kampf gegen die Zerstörung von Tradition und Umwelt zu vermelden. Einige werden das jedoch nicht mehr erleben. Also (fast) alles gut - wie es sich für einen Wohlfühl-Film gehört.