29.9.21

Keine Zeit zu sterben (2020)


USA, Großbritannien 2020 (No time to die) Regie: Cary Joji Fukunaga, mit Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, 163 Min. FSK ab 12

Wie Barbie und Bild gehörte Bond eher zum Schund als zur Kultur, macht sich aber als Marketing-Film alle paar Jahre enorm wichtig. Wobei die Bond-Filme mit Daniel Craig der Figur zum Glück etwas tragische Tiefe gegeben haben. Die Regie von Sam Mendes vor allem machte bei „Skyfall" (2012) und „Spectre" (2015) richtige Filme aus der, in Brosnans Bond-Zeiten, elenden Routine. „Keine Zeit zu sterben" - oder besser „Zeit, Abschied zu nehmen" - ist nun die Vollendung von 16 Jahren ungeliebter Dienstpflicht beim Geheimdienst. Tatsächlich hat Craig, seit er 2005 als neuer Bond für „Casino Royale" angekündigt wurde, ebenso viele Dienstjahre drauf wie Kanzlerin Merkel. Beide eint auch die Vorliebe für abhörsichere Hightech-Telefone.

Mit „Casino Royale" hörten Bond-Frauen auf, nur Bettvergnügen zu sein. Stattdessen brachten sie Bond seitdem große Tragik und richtige Gefühle. Was bei „Keine Zeit zu sterben" auf eine neue Stufe geführt und vollendet wird. So steht mal kein Teaser am Anfang, sondern ein Madeleine-Moment: Eine dramatische Erinnerung von Bonds Ruhestands-Partnerin Madeleine (Léa Seydoux). Dann vor dem Vorspann, der erst nach 30 Minuten kommt, doch ein bisschen Bond-Action, welche die glückliche Agenten-Pension zu zweit beendet. Weil wieder einer aus der „langen Kette wütender kleiner Männer" (Bond) die Menschheit vernichten will. Das ist tatsächlich Routine, auch wenn Rami Malek, der Freddy Mercury aus „Bohemian Rhapsody", in der Rolle des wahnsinnig Verletzen Safin einen der bemerkenswerteren Bond-Schurken gibt.

Die Hintergründe der zügig erzählten Handlung bleiben noch lange geheimnisvoll, dann verwirrend und schließlich egal. Weil Bond plötzlich eine Familie zu beschützen hat – etwas Unerhörtes in der Serie von Ian Flemming-Verfilmungen! Damit verlässt der Film noch eher die Bond-Routine als sein Hauptdarsteller. Der fünfte und letzte Film mit Craig in der Rolle des Superagenten ist so der ungewöhnlichste und beste. Nur eine obligatorische Verfolgungsjagd, kaum technische Gimmicks. Ja, von der Ballerei hätte gut 60 Minuten gekürzt werden können. Passenderweise hat die beste Action-Choreografie eine Auszubildende der CIA, die danach nicht mehr zu sehen ist.

Die Streitereien mit der dunkelhäutigen 007-Nachfolgerin bleiben witzlos, die Konkurrentin im eigenen MI6-Laden wirkt uninteressant. Ihr einziger Treffer ist der trocken kommentierte Mord an einem weißen Rassisten. Ansonsten ist Humor spärlich gestreut und mehr als britisch zurückhaltend. Die altmodische Agentenfilm-Formel rettet sich in ein anderes Zeitalter nicht mit Diversitäts- oder Gender-Verbiegungen. Auch nicht durch besondere Inszenierungs-Qualitäten von Regisseur Cary Joji Fukunaga („Jane Eyre", „Sin Nombre"). Erst die Sorge um den Nachwuchs macht Bond interessant: Ich bin dein Vater!

Nun geht ein Bond, der sein Kind von der Schule abholt und immer nach hinten schaut, ob nicht wieder eine Helikopter-Mutter im SUV heranrast, um den Liebling bis ins Klassenzimmer zu fahren, gar nicht. „Keine Zeit zu sterben" hat eine viel bessere Lösung gefunden. Herrlich melodramatisch, rührend und wieder nicht Bond-typisch. Daniel Craig darf jedenfalls, von Bond befreit, nun gute Filme machen. Und der produzierende Broccoli-Clan, der die Bond-Serie im Tresor hat, sollte vielleicht über andere Möglichkeiten nachdenken, Hunderte Millionen zu machen.

28.9.21

Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung

BRD 2020 Regie: Valentin Thurn 102 Min. FSK ab 0

Der neue Dokumentarfilm von Valentin Thurn („Taste the Waste") folgt fünf Protagonisten, die auf ungewöhnlichen Wegen ihren Traum erfüllen wollen. Die Spanne vom Aussteigen mit den Kindern in Portugal bis zur Besiedlung des Mars ist sehr weit. Der Inselbauer aus Recycling-Materialien hat mit dem groß gescheiterten „Cargolifter"-Unternehmer Carl-Heinrich von Gablenz wenig gemeinsam. Thurn nähert sich den Figuren über ihr begeistertes Tun, die Interviews folgen später. Die lernwilligen Kinder in Portugal, der vom Luxus in ein „Tiny Home" umgezogenen Innen-Designer - das ist im Einzelnen interessant, wirkt aber als Gesamtfilm banal bis naiv.

Die Pfefferkörner und der Schatz der Tiefsee


BRD 2020 Regie: Christian Theede, mit Heino Ferch, Sonja Gerhardt, Max Riemelt, Anna Böttcher, 94 Min. FSK ab 6

Nach mehr als 20 Jahren TV-Jugend-Kriminalistik in Hamburg bekommen „Die Pfefferkörner" ihren zweiten Kino-Fall: Auf der Spur eines skrupellosen Umweltverbrechens gelingt die Versöhnung von Fischerei-Wirtschaft und Grünen Kindern im Fischerort Wesemünde. Aber noch muss die entführte Öko-Forscherin Jaswinder gefunden werden. Zum Ende gehen der spannenden, ganz gut gespielten Geschichte die Ideen aus. Der mit Teaser-Action in Irland, Technik-Gimmicks und Bond-Vorspann mit leeren Plastikflaschen als „Bond für Kleine" angelegte Abenteuer-Film rettet sich mit Action-Routine knapp über die Runden. Im Gegensatz schöner Naturimpressionen und erschreckender Bilder von Umweltverschmutzung waschen sich die Filmemacher von „Boomer"-Vorwürfen frei.

21.9.21

Schachnovelle (2020)


BRD 2020 Regie: Philipp Stölzl, mit Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Andreas Lust, Rolf Lassgård, Samuel Finzi, 107 Min. FSK ab 12

Es stellt sich die Frage, ob die neue Popularität des Schachfilms durch „Damengambit" eine weitere Verfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle" befördert hat. Oder ob das Lauterwerden der nie verschwundenen Rechten das Meisterwerk zeitlos macht. Auf jeden Fall liefert der vielseitig einsetzbare Historienfilmer Philipp Stölzl („Ich war noch niemals in New York", „Der Medicus", „Nordwand") eine spannende und völlig staubfreie Version ab.

Diese Arroganz des reichen Bildungsbürgers und Anwalts Josef Bartok (Oliver Masucci) ist beeindruckend und provokant. So verdient er sich schon immer den Neid derer, die alles auf ihr Niveau herunterzwingen wollen. Was nicht nur, aber nahezu exemplarisch beim Umsturz der Nazis 1938 in Österreich passiert: Bartok wird bei der Besetzung durch das deutsche Nazi-Regime verhaftet. Wenige Stunden vor der Flucht in die USA, weil er in seiner Wohnung noch Hinweise auf Konten seiner Klienten vernichten wollte. Das genau interessiert Gestapo-Leiter Böhm (Albrecht Schuch), der den Vermögensverwalter des Adels zur Herausgabe von deren Vermögen zwingen will. Dazu wird Bartok im ehemaligen Hotel Metropol, nun Hauptquartier der Gestapo, in Einzelhaft genommen.

Anfangs gebraucht Böhm keine körperliche Gewalt, die Isolation soll den das Gesellschafts-Tier zermürben. Mit Erfolg – bis der Gefangene ein Lehrbuch des Schachfans Böhm mit in seine Zimmer-Zelle schmuggeln kann. Das Nachspielen der Partien - zuerst mit selbstgemachten Figuren, später im Kopf – gibt dem Zermürbten Beschäftigung und später die Kraft zu Widerstehen.

Das erfahren wir, wie in der geschickt verklammerten Rahmenhandlung Stefan Zweigs, während sich der wieder freie Bartok auf einem Ozeandampfer auf dem Weg in die USA befindet. Der Schachweltmeister Mirki Czentovic (ebenfalls gespielt von Schuch) unterhält die Passagiere, findet aber im gebrochenen Bartok einen Gegner für das spannende Finale.

Das finale Schachduell gestaltet Regisseur Philipp Stölzl als einen wahnsinnigen Bilderfluss aus Erinnerungen und Visionen, aus Gestalten des Jetzt und der Vergangenheit. Der ganze Film gelang durchgehend packend, die Isolationshaft wirkt so beklemmend, dass einem das Atmen schwerfällt. Eindrucksvoll trägt Oliver Masucci das Drama. Wenn der Fassbinder-Darsteller aus Oskar Roehlers „Enfant Terrible" hier wieder groß aufspielt, drängt sich ein Vergleich auf. Nein, Stölzl ist hier nicht radikal wie Fassbinder oder Roehler, aber seine gute Inszenierung kann mit der zeitlosen Warnung vor dummer rechter Gier beeindrucken.

20.9.21

Helden der Wahrscheinlichkeit


Dänemark, Schweden 2020 (Retfærdighedens Ryttere) Regie: Anders Thomas Jensen, mit Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg, Lars Brygmann, Nicolas Bro 116 Min. FSK ab 16

Fahrraddiebe sind der Anfang einer Katastrophe, aber anders als DeSica mit dem Neorealismus baut Anders Thomas Jensen postmodern erschütternde Tragödie, heftigen Slapstick und hintergründige Politik zusammen: Wegen des Fahrradklaus muss Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) von der Mutter zur Schule gefahren werden. Als dann zufällig auch das Auto nicht anspringt, fahren sie mit der U-Bahn zum Stadtbummel. Der seltsame Mathematiker Otto (Nikolaj Lie Kaas) überlässt der Mutter seinen Platz, der Sekunden später in einem schrecklichen Crash weggerissen wird.

„Der Zufall möglicherweise", muss man frei nach Krzysztof Kieślowskis Film sagen und der sich schuldig fühlende Otto findet heraus, dass unter den Opfern auch ein wichtiger Zeuge gegen die organisierte Kriminalität war. Zusammen mit seinen ebenfalls sonderlichen Kumpels Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro) geht er der Sache mit Hacker-Kenntnis und Statistik auf den Grund. Dem trauernden Witwer Markus (Mads Mikkelsen) und überfordertem Vater wird ein Gangsterboss als der wahre Schuldige präsentiert.

Das Unglück ist hier ein fieses Stück Tragik, wie es die alten Griechen mochten. Elegant effektiv und schnell erzählt, verbinden sich Schicksale miteinander. Die Kombination des knallharten Elite-Soldaten mit den drei Sonderlingen definiert Tragikomödie neu. Selbst der Buddy-Film, der von ungleichen Paarungen lebt, wurde selten so grandios ausgeführt, wie hier von Regisseur und Autor Anders Thomas Jensen. Derweil versucht Tochter Mathilde, zu begreifen, was passiert ist. Vater Markus mit seinem militärischen Drill, ist dabei keine Hilfe. Dafür kann er mehr als eine Handvoll Gangster eigenhändig und mit dem Maschinengewehr umbringen. Die drei Kumpel geben sich dank viel eigener Therapie-Erfahrung dabei als Jugend-Psychologen aus.

Bei diesem „Who is who" dänischer Darsteller eigenwilliger Typen übernimmt Mads Mikkelsen die Führung. Vor allem wenn er derart extrem ausrastet, dass es wieder komisch wird. Angesicht großer internationaler Rollen bei Bond & Co. vergisst man, dass dieser Charakter-Star schon einiges Schräges in Dänemark gemacht hat. Stichwort Hühnerfarm und tierischer Inzest in „Men & Chicken". Ebenfalls von Anders Thomas Jensen mit dem gewissen Extra MM waren die theologischen „Adams Äpfel" und die kannibalischen „Dänische Delikatessen". Das atemberaubende Durchdringen von herrlichen Albernheiten und tiefem Menschenverstehen macht nicht nur „Helden der Wahrscheinlichkeit" zu einer einzigartigen Mischung. Das ganze Werk Jensens ist mit vor allem mit den Drehbüchern für Susanne Bier („Love Is All You Need", „Nach der Hochzeit", „Brothers") eine filmische Enzyklopädie menschlicher Größen und Abgründe.

12.9.21

Paolo Conte - Via Con Me


Italien 2020 Regie: Giorgio Verdelli, mit Roberto Benigni, Isabella Rossellini, Luca Zingaretti, Jane Birkin 105 Min. FSK ab 0

„Ich bin nur der Anwalt, der das Leben seine Lieder verteidigt." Typisch, diese bescheidene Raffinesse des „avvocato" aus Asti, der einst gleichzeitig Jura und Jazz studierte. Jazz im richtigen Leben, wie einige Anekdoten dieses Porträts erinnern. Ein paar Versuche der Interviewten (Isabella Rossellini, Jane Birkin, Lucio Dalla, Francesco De Gregori), seine Musik zu beschreiben, sind fast so poetisch wie Contes Texte. Im Laufe der liebevollen Hymne erstaunt es immer mehr, wie viele geniale Lieder der „Cantautore" geschrieben und gesungen hat: „Azzurro" (für Celentano), „Via con me", „Gli Impermeabili", „Bartali", „Max" oder „Aguaplano". Leider sind die Konzertausschnitte nur kurze Clips, so dass man unweigerlich nach diesem Film ein komplettes Konzert sehen will. Immerhin reizvoll, wie verschiedene Versionen des gleichen Songs zusammengeschnitten werden. Privates verrät der medienscheue Sänger und Songwriter auch hier nicht, doch ruhige Interviewmomente legen viele schöne und kluge Gedanken zu seiner Musik offen.

11.9.21

Dune (2021)



USA 2020 Regie: Denis Villeneuve, mit Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgård, 155 Min. FSK ab 12
 
Was lange währt, wird endlich ... sensationell: Denis Villeneuve („Arrival", „Blade Runner 2049") hat nach jahrzehntelangem Scheitern von Lynch und Jodorowsky den epochalen SciFi-Klassiker von Frank Herbert in einer begeisternden und zeitgemäßen Fassung verfilmt. Wie seine zentrale Droge, wie das Spice vom Wüstenplanet berauschen Bilder, Figuren und Musik.

„Dies ist erst der Anfang", heißt es am Ende. Denn der ursprüngliche Wüstenplanet-Zyklus von Frank Herbert umfasst sechs Romane, die zwischen 1965 und 1985 erschienen sind. Deshalb erzählt Villeneuve in seinem ersten Teil die Geschichte zügig: In einem vom „Imperium" kontrollierten Universum wird dem mächtigen Haus Atreides der gefährliche und unwirtliche Wüstenplanet Dune zugeteilt. Extreme Hitze und riesige Sandwürmer machen das Überleben für Fremde fast unmöglich. Zuvor beuteten die Harkonnen als Kolonisatoren die Spice-Vorräte aus und unterdrückten die einheimische Bevölkerung der Fremen. Nun will der Atreides-Anführer Herzog Leto (Oscar Isaac) mit dem misstrauischen Fremen Stilgar (Javier Bardem) zusammenarbeiten. Vorher fallen jedoch alle Atreiden einem Überfall der Harkonnen zum Opfer. Nur Letos Sohn Paul (Timothée Chalamet) und seine Mutter Lady Jessica (Rebecca Ferguson) können zu den Fremen fliehen. Dabei sehen die Einheimischen Paul als „Mahdi" an, als Messias, der sie in einem „Heiligen Krieg" befreien wird. Auch für die Schwesternschaft der Bene Gesserit ist er der Auserwählte. „Schade, dass er ein Mann ist", befindet dieser feministische Geheimzirkel von Gaius Helen Mohiam (Charlotte Rampling), der das Imperium politisch „aus dem Schatten" steuert. Mit diesem Spruch sammelt „Dune" auf jeden Fall genug Diversitäts-Punkte für eine Oscar-Qualifikation. 

Endlich sind wir auf „Dune" angekommen, darf man nach diesem genialen Weltraum-Trip sagen. Vor David Lynchs legendärer, unfertig wirkender Pleite mit „Der Wüstenplanet" (Originaltitel: Dune) aus dem Jahr 1984 mit Kyle MacLachlan als Paul und Sting als Harkonnen versuchte sich schon der visionäre Alejandro Jodorowsky („Montana Sacra – Der heilige Berg") – vergebens. Immerhin blieb uns eine tolle Doku über das Scheitern: „Jodorowskys Dune".

Der neueste Wüstenplanet begeistert in jeder Hinsicht: Die unterschiedlichen Welten der Atreiden, Harkonnen und Fremen, deren riesige Entfernung nur mit Spice gefütterten Navigatoren überwunden werden können, saugen das Publikum mit grandiosen Kostümen, Kulissen und Produktions-Design auf. Dann vor allem die durchgehend mehr als interessanten Gesichter mit gebrochener Mimik. Die Blicke sind nie eindeutig, sondern rätselhaft und nachdenklich, wie es sich für die Verfilmung eines intellektuellen und mythischen Romans gehört. Mit laszivem und melancholischem Gesichtsausdruck beherrscht der als Elio aus dem schwulen Coming Out „Call Me by Your Name" bekannte Timothée Chalamet geheimnisvoll seine Szenen. Auch die fantastischen Momente funktionieren:  Stellan Skarsgård legt, da wo es bei Lynch lächerlich wurde, als Baron Vladimir Harkonnen eine Marlon Brando-Gedächtnisszene hin, wenn er fett aus dem Nebel seines Bades auftaucht. Das Sound Design sorgt kräftig für Gänsehaut: Eigentlich steigt nur ganz banal ein großer Metallkasten aus dem Wasser auf, aber die Szene vom Aufbruch zum Wüstenplanet ist höchst eindrucksvoll! „Dune" erfreut selbstverständlich mit Science Fiction-Gimmicks wie dem Ornithocopter, ein Hubschrauber mit Libellen-Flügeln, an dem man sich nicht satt sehen kann.

Dass die neue Welt in Schrift und Habitus arabisch geprägt erscheint, dass Stichworte wie „Heiliger Krieg" deutlich in Richtung Islam verweisen, ist nicht für heute hereininterpretiert, sondern vom nicht gerade für Werktreue bekannten Villeneuve – siehe „Blade Runner" – herausgearbeitet. Die Verwandtschaft vom Spice zum Erdöl, ein Wiedererwachen Arabiens und Kolonialismus waren für Herbert in den 60ern selbstverständlich schon Themen. Das Kunststück von Villeneuves „Dune" liegt darin, jede Minute zu faszinieren, ohne diese spannenden Themen zu banalisieren.

10.9.21

Herr Bachmann und seine Klasse


BRD 2021 Regie: Maria Speth 217 Min. FSK ab 0

„Versuch mal, weiter zu erklären", sagt dieser ungewöhnliche Lehrer mit Mütze und Kapuzenpulli, der auch mal gerne seine Gitarre in die Hand nimmt. Diese Philosophie nahm sich Regisseurin Maria Speth für ihre lange Langzeitdokumentation (zu sehr) zu Herzen: Dieter Bachmann, Aynur Bal, Önder Cavdar und die Schüler und Schülerinnen der Klassen 6b und 6f der Georg-Büchner-Schule im hessischen Stadtallendorf „erklärt" dieser Film im ruhigen Beobachten. Ein halbes Jahr hat das Team die Klasse begleitet und man merkt dem unverstellten Verhalten der Kinder an, dass eine Vertrautheit entstanden ist.

Auf dieser Basis lässt sich staunen über die sehr individuellen Methoden des Herrn Bachmann. Meditative Ruheminuten verordnet er ebenso wie musikalische Sessions, bei denen sich der Pädagoge und Altrocker sichtbar wohlfühlt. Aber auch die Kinder bekommen viel Raum. Damit würdigt der Film sie und gewährt ihnen Entwicklung – genau wie es Bachmann macht. Die Herkünfte der gemischten Klasse aus 12- bis 14-Jährigen sind unaufdringlich Thema, ebenso die Geschichte des kleinen Ortes.

„Herr Bachmann und seine Klasse" steht in der Tradition von „pädagogischen" Spiel-Filmen wie „Die Klasse" (nach einem autobiografischen Roman) und ultralangen Projekten, wie „Die Kinder von Golzow", das über dreißig Jahre lang eine Klasse begleitete. Maria Speths „Klasse" fasziniert und erfreut immer wieder, doch bugsiert sich bei allen Qualitäten mit über dreieinhalb Stunden Laufzeit selbst in eine Nische.

Je suis Karl

BRD, Tschechien 2020 Regie: Christian Schwochow, mit Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, 126 Min. FSK ab 12

Das Paket des falschen Boten bringt in einer bunten Berliner Straße Tod und Schrecken. Der Bombenanschlag ermordet auch Maxis (Luna Wedler) Mutter und ihre kleinen Brüder. Das Haus ein Trümmerfeld, der Vater Alex (Milan Peschel) ein seelisches Wrack. Doch da taucht wie zufällig der charmante Karl (Jannis Niewöhner) auf: Mit seiner positiv wirkenden Philosophie begeistert er die noch Sekunden zuvor trauende Maxi und lockt sie zu einer europäischen Studenten-Organisation. Dort gibt Karl den charismatischen Führer, der sich jeden Hinweis auf Neonazitum verbittet. Dabei sind diese dauernd Party feiernden „Identitären" nicht nur „theoretisch" fremdenfeindlich. Ihre Umsturzbestrebungen gehen über Leichen.

Der gute Regisseur Christian Schwochow („Paula", „Mitten In Deutschland: NSU – Die Täter", „Bad Banks" „Deutschstunde") liefert mit seinem politischen Pamphlet „Je suis Karl" eine Art weißgewaschene Version von Fatih Akins „Aus dem Nichts": Bio-Deutsche leiden unter rechtem Bombenterror. Wobei Milan Peschel als Witwer in einer Szene mehr Emotionen bringt, als die Hauptdarstellerin Luna Wedler im ganzen Film.

Dass die Inszenierung eines Märtyrertodes zu heftigen Massakern und Straßenkämpfen führt, macht die versuchte „Machtergreifung" überall in Europa in zeitweise schwacher Inszenierung nicht wirklich bedrohlich. Mehr als das klischeehaft hässliche Gesicht des Österreichers mit Schmiss würde wohl eine gute Doku über die Identitären wachrütteln.

Saw: Spiral


USA 2020 (Spiral: From the Book of Saw) Regie: Darren Lynn Bousman, mit Chris Rock, Max Minghella, Marisol Nichols, 93 Min. FSK ab 18

Der nächste erst ab 18 freigegebene Film „lockt" mit extremem Sadismus und grausamen Brutalitäten. „Saw" war bislang nur in bestimmten Kreisen Thema und Zeitvertreib. Die Besucher-Zahlen der bisherigen Filme erweckten allerdings Besorgnis. Es scheint eine große Lust am Quälen anderer in den Kinos ausgelebt zu werden. Dieses schon immer widerwärtige Horror-Konzept der „Saw"-Reihe soll nun durch mäßig bekannte Darsteller salonfähig werden: Der Komiker Chris Rock spielt den unbeliebten, weil zu korrekten Polizisten, dem von einem unbekannten Serienmörder Körperteile und Rätsel zugeschickt werden. Die Opfer sind korrupte und selbstgerechte Kollegen. „Saw: Spiral" könnte ein ganz anständiger Film im Cop-Genre sein, wenn man nicht geradezu „pornografisch" den sadistischen Blutkram ausweiden würde. Hier wird nichts angedeutet, hier wird bis zum letzten ausgerissenen Finger draufgehalten.

7.9.21

Don't breathe 2

USA 2021 Regie: Rodo Sayagues, mit Stephen Lang, Madelyn Grace, Brendan Sexton III, 98 Min. FSK ab 18

2016 überraschte der Vorgänger damit, die Situation der „House Invasion" umzukehren: Wir brechen mit ein paar schlimmen Jugendlichen in ein Haus ein und werden vom alten blinden Bewohner böse überrascht. Dass der Kriegsveteran Nordstrom (Stephen Lang) nicht gerade ein unschuldiger oder sympathischer Charakter war, soll in diesem unvermeidlichen Nachfolger geradegebogen werden: Er kümmert sich Jahre später liebevoll um ein junges Mädchen. Was für seine Verhältnisse heißt, er trainiert sie zu härtester Selbstverteidigung. Außerdem müssen Nordstrom und der Film das abgeschlossene Setting des abgelegenen Hauses in Detroit verlassen. Diese Variation und der Wechsel im Regie-Team tun „Don't breathe 2" nicht gut. Nicht spannender, nur brutaler verdient die Fortsetzung eine Freigabe erst ab 18.

Beckenrand Sheriff


BRD 2021 Regie: Marcus H. Rosenmüller, mit Milan Peschel, Dimitri Abold, Sebastian Bezzel, Rick Kavanian, Gisela Schneeberger, Johanna Wokalek, 110 Min. FSK ab 6

Der Bademeister an sich ist eine nahezu mythische Figur. Ausgestattet mit Badeschlappen, oft Goldkettchen und vor allem Trillerpfeife sieht man ihm die direkte Verwandtschaft mit Neptun und Poseidon sofort an. Kein Wunder, dass ihm ein großes literarisches Werk gewidmet wurde – die Bademeister-Witzbildchenstreifchen von Tom in der Tageszeitung taz! Nun ist Karl keine Bade-, sondern Schwimmmeister! Was vielleicht seine Schlechtgelauntheit erklärt.

„Regel Nummer 2: Null Toleranz." Streng ist das Regime von Bade-, Verzeihung: Schwimmmeister Karl (Milan Peschel), der in zweiter Generation das Freibad in Grubberg führt. Kein Kraulen in Bahn 6 und „Das ist ein Sprungturm, kein Stehturm". So wird Dr. Rieger (Rick Kavanian) angemault, der es nicht schafft, vom 5-Meter-Turm zu springen. Aber später eine große Rolle spielen wird. Als allerdings das Freibad als zu teuer geschlossen werden soll, bekommt Karl die Quittung: Das Sammeln von Unterschriften für ein Bürgerbegehren ist für das Ekel nicht besonders erfolgreich. Wie eine Montage von Türen und Fenster zeigt, die vor seiner Nase zugeschlagen werden. Nur der tote Friseur lässt sich zu einer Signatur bewegen, gerade noch vor der Leichenstarre.

Ja, es geht deftig zu in „Beckenrand Sheriff". Auch dies ist ein Film vom bajuwarischen Regisseur Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot", „Sommer in Orange", „Trautmann"). Doch selbst, wer den Weißwurscht-Äquator nur für Durchreisen überquert, kann sich diesmal entspannen. Dank exzellenter Darsteller wie Milan Peschel („Klassentreffen 1.0", „Der Nanny") als grantiger Bademeister Karl, Johanna Wokalek („Deutschstunde") als Trainerin der Wasserballmannschaft oder Polt-Urgstein Gisela Schneeberger („Eine ganz heiße Nummer") als wendefähige Bürgermeisterin mit Pistole, und Dank des ausgewogenen Drehbuchs von Marcus Pfeiffer gelang ein Spaß für Bayern und den Rest der Welt.

Da gibt es einfachen Slapstick und simple Karikaturen wie den sadistischen Schlepper. Aber zur Rettung auch den Rettungs-Schwimmer in Ausbildung Sali (Dimitri Abold). Der nigerianische Bademeister-Azubi wider Willen sorgt mit seiner Flüchtlings-Geschichte für ein ganz klein wenig Ernst. Raffiniert, clever und sympathisch gibt er lange die einzige Figur, die keine Karikatur ist. Karl bringt Sali das Schwimmen bei, der Lehrling probiert dem Chef dafür das Flirten zu vermitteln. Was die schwierigere Aufgabe ist. Bis zur Loriot Verneigungs-Szene bei der Verabredung zum Abendessen mit der Trainerin Frau Wilhelm (Wokalek): „Getränke bringen Sie." „Nein." „Doch." „Oooh!" „Das ist deutsche Romantik", meint auch der Film selbst. „Würden sie vielleicht …. mit mir puzzeln?" ist dabei eine schon höchst verwegene Anfrage. Allerdings auch raffiniert, denn Frau Wilhelm ist Bayerische Rekordhalterin in 1000 Teile-Puzzeln. Es gibt sogar eine Puzzle-Eröffnung, die nach ihr benannt ist: Wilhelm-Manöver.

Im Spaß-Kaleidoskop von „Beckenrand Sheriff" gibt es noch eine herrlich jämmerliche Wasserballer-Truppe, die unter der Leitung von Johanna Wokalek einen eigenen Film verdient hätte. Eine ehemalige Top-Schwimmerin, die gegen ihren Vater, den Immobilien-Hai, rebelliert. Und vor allem eine der verschrobensten Film-Romanzen seit langer Zeit – siehe oben.

„Wir sind, was wir wiederholt tun", lautet die Philosophie der ebenfalls strengen Frau Wilhelm. Und es ist das Bouquet dieser verqueren Typen, das in „Beckenrand Sheriff" so viel Spaß macht.

Notes of Berlin

Der Episodenfilm rund um die allgegenwärtigen Papieraushänge Berlins vergnügt mit frischen Geschichten sowie unprätentiös lebendiger Inszenierung. Ein außergewöhnlicher Langfilm-Erstling, der Spaß im Kino garantiert.

Sie sind schon ein eigenes Literaturgenre, diese urbanen Abrisszettel zum Suchen und Finden, die meist wütenden Papier-Botschaften im Hausflur und die fast immer komischen Kommentare zur Welt auf DIN A4. Für die Metropole Berlin hat Joab Nist sie auf seinem erfolgreichen Blog notesofberlin.com gesammelt. Die Regisseurin Mariejosephin Schneider verfilmte ihn nun kongenial in ihrem Kino-Debüt, dem Episodenfilm „Notes of Berlin".

Auch wenn es in einer besonders berührenden Episode mit Andrea Sawatzki klassisch um Leben und Tod geht, machen die Beobachtungen und Episoden von „Notes of Berlin" meist viel Spaß. Der ist schon mal makaber, wenn immer wieder Plakate für „Look at the Sky" (Schau in den Himmel) aufgehangen werden, aber diese Aufforderung für einen Hans-Guck-in-die-Luft tragisch endet.

Grandios wird das große Berliner Thema der Wohnungssuche als Satire aufgezogen. „Aufhänger" ist ein Zettel mit der Suche nach „1-2 Zimmer" für „300-480 warm/Monat". Der handschriftliche Kommentar lautet: „Gentrifizierung - vergiss es!" Die zugehörige Szene lässt eine junge Suchende mitten in einer WG-Casting-Party mit kostenpflichtiger Bar landen. Professionell werden Warte-Nummern verteilt. Die eher stille Kandidatin (Katja Sallay) flippt angesichts der Anforderungen an WG-Mitbewohner groß aus: Am liebsten aus dem Ausland mit zwei bis drei Fremdsprachen und meist nicht da. Dass sie - wie die Regisseurin - aus Berlin kommt, macht sie zur totalen Exotin.

Zum Thema Partnersuche und Vermisstenanzeigen gibt es eine türkische Episode. Nachdem die Tochter der Mutter eine ungewollte Schwangerschaft gesteht, diskutiert bald das ganze Café heftig mit. Die Spannweite der Kommentare reicht von ultrakonservativ bis weltoffen und modern. Dann wird die junge, scheue Touristin Stella in eine Drag-Bar eingeführt. Ein betrunkener Taxi-Gast glaubt, in Paris zu sein, und akzeptiert den Funkturm als Eiffelturm-Ersatz.

Die locker, aber raffiniert miteinander verbundenen Episoden (Buch: Mariejosephin Schneider, Thomas Gerhold) sind voll aus dem Leben gegriffen. Oder: Voll vom Laternenpfahl abgelesen, denn ihnen liegt immer ein tatsächlicher Aushang als Basis der Geschichte zugrunde. Das reichlich und auch mit der zu glatten Berlin-Staffel „Berlin, I Love You" ausgelutschte Genre der Stadt-Episoden bekommt hier viel frischen Schwung. Mit Andrea Sawatzki als Trauernde und Tom Lass als scheuer Wohnblock-Eremit sind nur wenig bekannte Gesichter zu entdecken. Die anderen sind jedoch genauso gut. Gerade im Querschnitt der Hinterhaus-Typen, die Lass bei der Suche nach einem Karnickel- oder Hasen-Besitzer trifft, ist Kantigkeit wichtiger als Prominenz.

Ob dies der „wahre Geist von Berlin" ist, wie ein japanischer Tourist angesichts eines halbnackten und verpeilten britischen Wohnmobil-Besitzers meint, ließe sich bei einer Millionenstadt diskutieren. „Notes of Berlin" fängt jedenfalls die teils immer noch anarchische Lebendigkeit dieser Stadt ein. Und das passend im rotzig unspektakulären 4:3-Format der Kamera von Carmen Treichl.

Lag es an dem ironisch eingesetzten Berlinale-Schal bei einem BVB-Kontrolleur, dass „Notes of Berlin" seine Deutschlandpremiere nur bei den Biberacher Filmfestspielen feierte? Da wurde er allerdings direkt mit drei „Bibern" ausgezeichnet: Als Bester Debütfilm, mit dem Publikumspreis und dem Preis der Schülerjury.

Schon die abgefilmte und in Relation mit den Geschichten beziehungsreichere Zettelsammlung „Notes of Berlin" macht viel Spaß. Nach vier Kurzfilmen hat Mariejosephin Schneider diese Szenen sicher inszeniert, nicht nur für einen Erstling. Der frische Episodenfilm macht Lust auf neue Entdeckung in Städten und im Kino.

Curveball - Wir machen die Wahrheit


BRD 2020 Regie: Johannes Naber, mit Sebastian Blomberg, Dar Salim,
Virginia Kull, Thorsten Merten 109 Min. FSK ab 12

„Da sitzt der Fischer … warum sagt der nichts?" Wie US-Außenminister Colin Powell 2003 (im Beisein von Außenminister Joschka Fischer) mit erfundenen Giftwaffenfabriken den Überfall auf den Irak begründete, ist mittlerweile ein bitterer Witz der Geschichte. „Curveball" erzählt aberwitzig, wie kleine persönliche Befindlichkeiten deutscher Geheimdienstler die große Weltpolitik auf Abwege führte.

Als tragisch einsame Gestalt sucht BND-Biowaffenexperte Wolf (Sebastian Blomberg) im Irak bei UN-Kontrollen nach Anthrax-Viren. Letztlich vergeblich. Zurück in Deutschland wird Wolf aus beruflicher und privater Lethargie geweckt, als der irakische Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) zörgerlich gestehen will, dass er in einer Fabrik für chemische Waffen gearbeitet hat. Die Vorgesetzten sind aufgeregt, weil sie der hochnäsigen CIA mal eins auswischen können. Wolf ist der Star, weil Rafid genau seine Theorien bestätigt. Zu genau – der verzweifelte Asylsuchende hatte einen Bericht von Wolf studiert! Die Blase platzt, der Star kommt aufs Abstellgleis. Bis die US-Regierung nach 9/11 Rafids Aussage für den völkerrechtlich widerrechtlichen Angriff auf den Irak braucht. Obwohl alle wissen, dass alles erlogen ist.

„Emotional? Das klingt mir aber sehr gewagt bei Ihnen!" Ziemlich deutlich beschreibt ein Vorgesetzter den extrem nerdigen Chemiker Wolf. „Curveball" ist auch das Porträt seiner traurigen Gestalt, wunderbar gespielt von Sebastian Blomberg („Zeit der Kannibalen"). „Ich kann meine Prioritäten ändern im Gegensatz zu dir", meint die US-amerikanische Geliebte, die sich als gegnerische Geheimdienstlerin herausstellt. Doch die herrlich aberwitzige und unglaubliche Geschichte des neuen Films von Johannes Naber („Der Albaner", „Zeit der Kannibalen") ist letztlich schauerlich durch die Nähe zur realen Politik. Die Geschichte basiert auf Aussagen des realen Rafid Alwan, der trotz üppigen Schweigegeldes und Drohungen doch nicht den Mund hielt. Und in der Figur des Vorgesetzten Schatz, gespielt von Thorsten Merten, steckt der aktuelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der unter Kanzler Schröder im Kanzleramt war. Zwar wird der Name Steinmeier von Regisseur Naber nicht genannt, aber im Abspann heißt es: „Der damalige Chef des Kanzleramts ist heute Bundespräsident".

Stillwater


USA 2021 Regie: Tom McCarthy, mit Matt Damon, Abigail Breslin, Camille Cottin, 140 Min. FSK ab 12

Matt Damon („Der Marsianer", „Le Mans 66"), Haudrauf mit Tendenz zum Charakterdarsteller, gibt in „Stillwater" erneut den einfachen Arbeiter, für den in den heutigen USA kein Platz mehr ist. Religiös, ungebildet, arbeitssuchend. Und eine Tochter in Marseille im Knast. Wie sich der einstige Bohrarbeiter Bill Baker (Damon) um seine Tochter Allison (Abigail Breslin) kümmert, ist mehrfach belastet. Denn früher hat er sich nie gekümmert, war als Vater abwesend. So hört er nur über Umwege, dass sie ihn nicht für fähig hält, beim Kriminalfall zu helfen, für den sie schon fünf Jahre einsitzt. Aber still und entschlossen versucht Bill, einen Verdächtigen zu finden – ohne Französisch-Kenntnisse! So naiv wagt er sich als weißer Amerikaner in die „no go area" eines Sozialviertels, um den jungen Mann mit nordafrikanischen Wurzeln ausfindig zu machen.

„Stillwater" gehört zur Art Film, bei denen das Atmosphärische genauso wichtig ist, wie die Handlung. So findet Bill in Marseille Arbeit, lebt bei einer französischen Freundin (Camille Cottin) und ist deren Tochter mehr Vater, als er es seiner eigenen jemals war. Wenn der Verdächtige dann zufällig auftaucht, wird die Frage spannend, was Bill für die Freiheit Allisons aufs Spiel setzen will. Tom McCarthy („Spotlight") ist der richtige Autor und Regisseur, um diese sonstigen Nebensächlichkeiten interessant zu inszenieren. Und um jemand wie Matt Damon zum guten Schauspieler zu machen. Wie schon bei  Soderbergh in „Der Informant" oder „Liberace". Dass Amanda Knox, deren Mord-Anklage in Italien deutlich Vorlage ist, beleidigt tut, kann man verstehen: Sie spielt nur die Nebenrolle und die gesteht am Ende auch noch!


Der Rosengarten der Madame Vernet


Frankreich 2021 (La fine fleur) Regie: Pierre Pinaud, mit Catherine Frot, Melan Omerta, Fatsah Bouyahmed 94 Min.

Der Gärtnerei der eigenwilligen Rosenzüchterin Eve (Catherine Frot) droht die Pleite. Doch ihr Wunsch, den Betrieb des Vaters weiterzuführen, und der Ehrgeiz, noch einmal eine Rosenkreation ausgezeichnet zu bekommen, lässt die verschrobene Pflanzerin weiterkämpfen. Als die treue Assistentin aus Sparsamkeit Mitarbeiter eines Resozialisierungsprogramms einstellt, eröffnen sich neue Horizonte. Samir, Nadège und Fred haben zwar von Botanik gemeingefährlich wenig Ahnung, aber Fähigkeiten in Sachen Einbruch könnten Eve eine seltene Pflanze für siegreiche Züchtungen einbringen.
Irgendwann meint einer der neuen Mitarbeiter, Eve solle doch „Gras" (also Marihuana) statt der Rosen anpflanzen. Dann wäre die Komödie wahrscheinlich besser geworden. Nach einer nicht gerade originellen Idee wird was Ähnliches wie „Chocolat" mit britischer Sozialkomödie gekreuzt. Keineswegs preisverdächtig.