31.1.19

Holmes und Watson

USA 2018 (Holmes & Watson) Regie: Etan Cohen, mit Will Ferrell, John C. Reilly, Ralph Fiennes 90 Min.

Die Film-Persiflage steht in der Tradition von Mel Brooks- und Zucker/Abrahams-Filmen wie „Nackte Kanone". Wobei dies niemals anspruchsvolle Genre zunehmend im heftigen Niedergang begriffen ist. Keinem fällt etwas Neues ein und niemand hat mehr ein Händchen für Rhythmus bei den immer schon platten Scherzchen. „Holmes und Watson" misslingt das besonders.

So auch bei der Sherlock Holmes-Parodie „Holmes und Watson": Statt peinlicher Momente mit dem Präsidenten und Leslie Nielsen muss hier Queen Victoria Attacken unglaublicher Trottel erleiden. Will Ferrell („Daddy's Home") und John C. Reilly („Anchorman") geben Holmes und Watson, wiederholen aber vor allem die in „Ricky Bobby – König der Rennfahrer" (2006) und „Die Stiefbrüder" (2008) schon nicht vorhandene „Chemie" zwischen den beiden Komikern.

Während Holmes irgendwas mit Mord und Moriarty durchgehend nicht kapiert, soll witzig sein, wenn die erbärmlichen Ermittler zusammen mit Queen Victoria ein Duckface-Selfie machen. Haufenweise Anachronismen wie ein Mobiles Telefon oder ein Spinning-Studio mit Hochrädern füllen den Film. Doch was soll eine Parodie der „Sherlock"-Kinofilme mit Robert Downey Jr., wenn dort der Steam Punk komischer ist als in der Verballhornung? Die genialen Gedankenduelle und gezeichneten Überlegungen aus dem BBC-„Sherlock" mit Benedict Cumberbatch werden hier durch den „Kakao" gezogen, wenn der berühmte Idiot sturzbesoffen seine Blase im richtigen Winkel leert, ohne sich die Schuhe voll zu spritzen.

Ja, so mühsam ist der inflationäre Humor dieser Klamotte. Er zündet am ehesten in Fremd-Parodien wenn bei einer Autopsie vier Hände im Stile von „Ghost - Nachricht von Sam" an der glibberigen Leiche rumfummeln. Nicht der Mangel an Niveau, der ist für dies Genre zwingend, das Fehlen an durchschlagenden Gags und einem komödiantischen Timing ist erschreckend. Doppelt irritiert zudem, dass John C. Reilly zur Zeit (nur in den Niederlanden) als ernsthafter Komiker Oliver Hardy in „Stan & Ollie" zu sehen ist. Nicht nur deswegen könnte er es eigentlich besser. Das Gleiche gilt für die Kurzauftritte von guten Schauspielern wie Ralph Fiennes (Moriarty) oder Hugh Laurie (Mycroft). Selbst unter den absurden Blödel-Komödien stellt dieser Film von Etan Cohen (nicht Ethan Coen!) ein großes Verbrechen dar.

28.1.19

Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten

BRD 2018 Regie: Martin Tischner 86 Min. FSK ab 0

Mal kein TV-Komiker, sondern ein TV-Lehrer bekommt zur Belohnung seinen Kino-Auftritt: Nach mehr als 100 Folgen der Wissen-Fernsehsendung „Checker Tobi" auf KiKA freut sich Tobi Krell nun auf die große Leinwand. Die Abenteuerszene mit den Piraten der Ostsee zu Anfang täuscht allerdings: Vermittels einer rätselhaften Flaschenpost werden vier Episoden verknüpft, die vor allem in flotter Aufmachung mit Entdeckergeist Wissen vermitteln.

Mit der Vulkanforscherin in Vanuatu in das Herz der Erde blicken, mit einem Taucher in Tasmanien ein winziges Wesen bewundern, in Grönland über Bohrkerne aus dem Eis die Geschichte der Erde lesen und in Indien kühlenden Regen genießen. Des Rätsels Lösung lautet schließlich, dass Wasser für uns ganz schön wichtig ist.

Während andere Naturfilme etwa „Earth" von der BBC als „Best of" vieler atemberaubender Aufnahmen beeindrucken können, ist das hier vier mal Klein-Klein. Nette, lehrreiche Berichte, bei denen Tobi immer begeistert an der Kamera vorbei grinst. Die kleinen Zuschauer dürfen selbst allerdings kaum was entdecken. Im nie pausierenden Gerede wird alles vorgekaut. Dabei wären Nachtaufnahmen am Kraterrand eines glühenden Vulkans an sich schon wirkungsvoll.

Auch wenn „Checker Tobi" das große Format nicht passt, es wird unterhaltsam erzählt: Immer wieder gibt es komische Szenen, Öko- und ganzheitliche Aspekte dürfen nicht fehlen. Dass die dauernde Mega-Begeisterung darüber, wie toll doch immer alles ist, etwas nervt, lässt sich wohl unter Geschmacksache verbuchen.

The Mule

USA 2018 Regie: Clint Eastwood, mit Clint Eastwood, Bradley Cooper, Laurence Fishburne, Michael Peña, Dianne Wiest, Andy Garcia 96 Min. FSK ab 12

Zum ersten Mal seit sechs Jahren ist Clint Eastwood wieder als Schauspieler zu sehen, doch vor allem die entspannte Art, wie der rechtslastige Humanist „The Mule" inszeniert, macht diesen Drogen-Krimi zum sehr sehenswerten und weisen Alterswerk.

Immer war dem Achtziger Earl Stone (Eastwood) die Arbeit wichtiger als seine Familie. So hat er alle wichtigen Tage im Leben seiner Tochter Iris (Eastwoods echte Tochter Alison Eastwood!) verpasst. Wie auch jetzt deren Hochzeit, weil er noch einen Preis für seine Orchideen in Empfang nimmt. Zur „Vor-Hochzeitsfeier" der Enkelin kommt er tatsächlich nur, weil er sein Haus verkaufen musste und eine Bleibe braucht. Klar, dass dieser Besuch im Familienstreit endet. Danach bekommt Earl von einem der Party-Gäste etwas sehr zufällig ein unmoralisches Angebot. Um der Enkelin - und sicher auch sich selbst - etwas finanzieren zu können, macht der Senior mit seiner alten Klapperkiste nun recht erfolgreich den Drogenkurier. Und selbst die schwerbewaffneten, knallharten Drogendealer finden, dieser Alte ist "loco", ist verrückt.

Der fast 90-jährige Eastwood gibt wieder einen eigensinnigen alten Mann, den er schon in seinem „Gran Torino" spielte. Der Orchideen-Züchter Earl ignoriert „dieses Internet" geflissentlich, erst die immer besser laufenden Kurierfahrten mit Kilos Koks im Kofferraum machen ein modernes Smartphone notwendig. Aber Earl freut sich auch irgendwie über die neue Beschäftigung, scherzt reichlich naiv mit seinen Auftraggebern rum. Ein paar Motorrad-Bräute nennt er freundlich „Dikes" und eine farbige Familie, deren Autopanne er behebt, klärt ihn auf, wie sie heutzutage lieber genannt wird.

„The Mule" ist zwischendurch ein wenig spannend, wenn Earl mit der ersten Riesenladung im Wagen auf einen neugierigen Polizeihund trifft. Aber selbst den kann der alte Herr mit freundlichem Umgang und chemischer Geruchsbremse einlullen. Selbstverständlich ist dieser Eastwood ist kein richtiger Thriller mehr und meilenweit von der Paraderolle „Dirty Harry" (1971) entfernt. Wie der recht stoische Ami seinen Kurier-Job erledigt, ist eher Spaß. Was sich auf der Gegenseite zusammenbraut, hingegen genregemäß ein scharfer Drogenfahnder (Bradley Cooper), der unbedingt jemanden schnappen muss.

Doch das schon klassische Gespräch zwischen Cop und Gangster („Heat") dreht sich mit Eastwood und Cooper diesmal um verpasste Hochzeitstage und die Kinder zuhause. Ja, Eastwood schafft es wie beim Western „Erbarmungslos" wieder, ein Genre von innen umzukrempeln. In seinem „Erbarmungslos" war er der harte Killer Bill Munny, der des Mordens überdrüssig wurde. Nun wird der ganze Drogenkrimi bedeutungslos, wenn es um das Leben einer geliebten Person geht.

Während bislang alles mit einer Ironie erzählt wurde, die auch immer mal wieder aus den Augen Eastwoods blitzt, wird „The Mule" im Finale zu einer sehr rührenden Liebesgeschichte. Denn das wissen wir ja seit „Die Brücken am Fluss", dass Eastwood auch die großen Gefühle kann. Diesmal gelingt dem großen alten Mann mit „The Mule" ein ungemein kluger und nachdenklich machender Film.

27.1.19

Plötzlich Familie

USA 2018 (Instant Family) Regie: Sean Anders, Mark Wahlberg (Pete) · Rose Byrne (Ellie) · Isabela Moner 119 Min. FSK ab 6

Mark Wahlberg und Familienfilm, das weckt böse Erinnerungen an die rumpelnden und groben Komödien „Daddy's Home". Aber dieses Mal ist die Komödie von Sean Anders ganz anders: Es geht es auch um Grenzüberschreitungen, doch dieser Familienfilm ist klug und macht Spaß.

Es wirkt ein wenig wie das Ausmalen leerer Kästchen in einem dieser modernen Malbücher für Erwachsene, dass Pete (Mark Wahlberg) und Ellie (Rose Byrne) jetzt ein Kind als Pflegeeltern adoptieren wollen. Die eigenen Reproduktions-Versuche blieben erfolglos. Dabei wird nicht erst, wenn Pete und Ellie bei so typisch us-amerikanischen Adoptions-Verbereitungskurs aufschlagen, klar, dass die beiden kein ideales Paar sind. Die Frage nach dem Weshalb des Kinderwunsches können sie selbst als sie sogar gleich drei Geschwister aufgenommen haben, nicht beantworten. Doch gerade diese rotzige Imperfektion macht Pete und Ellie so sympathisch und echt.

Denn um sie herum herrscht die typisch amerikanische, extreme Vorsicht bei allem was man tut und sagt. Dauernd tappt das liebenswerte Paar in alle Fettnäpfchen der Political Correctness. Wenig verkopft sagen sie, was sie denken. Dank großem Herzen kommt dabei aber kein hasserfüllter, rechter Dumm-Trotz heraus, sondern immer genau das Richtige für gleich drei Kinder, die viel Übles mitgemacht haben. Nein, hier blendet keine Disney-Süßlichkeit die harten Geschichten von Adoptionskindern aus, auch wenn es wieder witzig ist, wie die fünfzehnjährige rebellische Lizzy (Isabela Moner) ihren völlig ahnungslosen Pflege-Eltern die typischen nächsten Probleme im Vorgang der Annäherung prophezeit.

Auch die Schwierigkeiten mit den Vorurteilen der Umgebung spielen eine Rolle, es geht selbstverständlich viel schief, aber ohne das übliche Hollywood Drama. Regisseur und Koautor Sean Anders verfilmte nach eher platten Familien- und Vater-Geschichten wie "Daddy's Home" und "That's My Boy" diesmal ganz persönliche Erfahrungen als Pflege-Vater. Dabei gelingen ihm großartig überzogene Quatsch-Szenen wie auch das große Gefühl bis hin zum tränenreichen humoristischen Miniauftritt von Joan Cusak, die ihren kinderlieben Part als Richterin aus „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" zitiert. Ein öfters mal heulender Wahlberg spielt hier weniger platt und zotig als in "Daddy's Home". „Plötzlich Familie" läuft dabei am Ende etwas konventioneller aus, aber vergiss es nie, erfrischend gegen den Strich zu erzählen.

Green Book

USA 2018 Regie: Peter Farrelly, mit Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini 131 Min. FSK ab 6

Als Tony Lip (Viggo Mortensen) vom Türsteher-Job nach Hause kommt, sind fast alle Männer seiner großen italienischen Familie dort. Denn es arbeiten zwei schwarze Klempner bei seiner Frau. Da kann man nie wissen - es ist 1962 in den USA! Tony schmeißt dann auch direkt die Gläser weg, aus denen die Handwerker getrunken haben. Dabei haben es Tony und seine Frau nicht richtig dicke. Weil der Nachtclub wegen Renovierungen schließt und Tony nicht jeden Tag bei Wetten für 50 Dollar sagenhafte 30 Hamburger runterschlingen kann, braucht er einen neuen Job

Die Vorstellung bei einem „Doktor", der in einer riesigen Wohnung voller afrikanischer Dekoartikel über der Carnegie-Hall lebt, ist nicht besonders hoffnungsvoll. Aber der berühmte Pianist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) hat viel Gutes von Tony Lip gehört. Wie der massive Mann zu Anfang des Films einen unverschämten Gast zu Brei geschlagen hat, muss zu diesen Qualitäten gehören. Denn Don Shirley will auf eine besondere Tournee in die Südstaaten, wo Rassen-Trennung und -Hass noch nichts von den neuesten Entwicklungen von Menschlichkeit und Gesetz mitbekommen haben. Der titelgebende „Negro Motorist Green Book" ist immer bei der Reise dabei, in die Tony schließlich einwilligt: Ein Reiseführer für die schwarze Bevölkerung, mit Adressen von Restaurants, Unterkünften, Apotheken oder Friseuren, die afroamerikanische Bürger im Süden aufnahmen und bedienten. Es erschien bis 1966.

Vom ersten Duell mit des Doktors indischem Diener, wer die Koffer in den Wagen laden muss, ist dieses Road Movie ein „Culture Clash". Nicht so sehr zwischen dem ungemein kultivierten und genialen Klavierspieler Dr. Don Shirley sowie den menschenverachtenden Hinterwäldlern, den Rassisten und Rednecks. Auch wenn Tony seinen Pianisten öfters mal retten oder auch raushauen muss, „Green Book" ist ein Film der leisen Töne. Wie der dumme ungehobelte, stillose Ignorant und Rassist Tony, immer gewalttätig und fluchend oder fettig fressend, mit dem kühlen Kulturmenschen zurechtkommt, ist eine stimmige, gelungene und wahre Geschichte.

Regisseur Peter Farrelly entwickelte die Story zusammen mit Nick Vallelonga, dem Sohn von Tony „Lip" Vallelonga. Ja, der Peter Farrelly von den Farrelly-Brüdern, die „Alle lieben Mary" und viele andere Blödelkomödien berühmt wurden. Ziemlich unglaublich, aber hier bestehen Peinlichkeiten nicht daraus, dass Idioten im Winter mit der Zunge am Laternenpfahl festfrieren. Hier sind Peinlichkeiten schmerzhaft für die Seele, wenn Dr. Shirley in typischer Südstaaten-Villa vor edler Gesellschaft spielt und in der Pause nicht die Toilette der Weißen benutzen darf. Tony würde da wieder dreinschlagen, denn mittlerweile sieht und fühlt auch er die Menschenverachtung des Rassismus. Aber die beiden weißen, jüdischen Begleiter in Shirleys Trio erklären, dass es gerade der Wunsch des berühmten Schwarzen sei, trotz solcher Bedingungen im Süden zu spielen.

So entsteht die menschelnde Reibung dieses „Driving Miss Daisy" mit Fahrerwechsel zwischen einem knallharter Lehrer in Manieren und Lebensstil und dem streng zurechtgewiesenen Fahrer. Dr. Shirley kennt allerdings Little Richard oder Chubby Checker und die sonstige populäre schwarze Kultur der Zeit nicht. Welche ihm Tony zusammen mit einem fettigen Hähnchen-Schenkel aufdrängt.

Ja, dieser ungehobelte Schläger mit den Mafia-Verbindungen ist eigentlich ein guter Kerl. Auch wenn die Wandlung zur Freundschaft recht plötzlich und nicht ganz nachvollziehbar vor sich geht, kann man sich den anrührenden und gefeierten, einfühlsamen und aufmerksamen „Green Book" gut anschauen. Aber für die realen Gegenstücke draußen auch auf deutschen Straße ist diese Vorstellung wenig hilfreich: Sie das eigentlich alles gute Kerle, die Menschen mit dunklerer Haut jagen und schlagen? Oder Flüchtlingsheime anzünden? Doch zumindest im Film wird alles gut.

Belleville Cop

Frankreich 2018 (Le Flic de Belleville) Regie: Rachid Bouchareb, mit Omar Sy, Luis Guzman 111 Min.

Omar Sys ist der ziemlich beste Name für das Plakat eines französischen Films. Und Erfolg an der Kasse. Trotz des eigentlich engagierten Regisseurs Rachid Bouchareb wurde sein komisch geplanter Krimi „Belleville Cop" allerdings eine ziemliche Katastrophe: „Miami Vice" für ganz arme Franzosen.

Publikumsfavorit Omar Sy („Ziemlich beste Freunde") spielt immer gut gelaunt und strahlend den kleinen Pariser Polizisten Sebastian Bouchard, spezialisiert auf Taschendiebstahl. Doch seine irritierend hellhäutige aber vor allem nervende Mutter lässt ihn nicht mit der Freundin zusammen ziehen. Selbst als Sebastians alter Freund vor seinen Augen ermordet wird und der Pariser in Miami Verdächtige verhaften soll, reist die Mutter mit! Noch haarsträubender ist die Zusammenarbeit mit dem lokalen, strafversetzten „Detective" Ricardo Garcia (Luis Guzmán). Obwohl beim unerträglich schlechten „Belleville Cop" sollte man gar nicht erst anfangen, die einzelnen Katastrophen aufzuzählen.

Was hat Luis Guzmán („In the Blood", 2014) eigentlich verbrochen, dass man ihn mit so einem Job bestraft? „Belleville Cop" reitet auf der Masche rum, dass Guzmáns Garcia ein Idiot ist und Omar Sys Cop als Tourist nichts machen darf. Weder mit der Situation des Gasts in fremder Umgebung noch mit der Parodie echter Gangsterfilme wie „Miami Vice" kann das Filmchen Funken schlagen. Viele leere dünne, grausam schlechte Dialoge tun im Kopf weh. Und es wird exzentrisch viel gequatscht, was im Original vielleicht lebendig klingt, in der richtig schlechten Synchronisation aber vor allem nervt.

Regisseur und Autor Rachid Bouchareb gilt seit „Cheb - Flucht aus Afrika" (1991) als angesehener und vielfach ausgezeichneter Filmemacher. Oft beschäftigen ihn Geschichten von Einwanderern und aus Algerien. Wie „Belleville Cop" seinen dummen und schlechten Verlauf ohne jeden interessanten oder tieferen Gedanken runterspielt, ist dabei nur noch erschreckend.

22.1.19

The Favourite

Großbritannien, Irland, USA 2018 | Regie: Yorgos Lanthimos, mit Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Colman, Nicholas Hoult 120 Min. FSK ab 12

Singles, die zu Tieren werden. Ein Miet-Service für liebe, falsche Familien-Mitglieder. Ein Arzt, der wegen eines Behandlungsfehlers Frau oder Kind opfern muss. Das waren die letzten Themen des international angesagten, griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos. Und nun zwei Hofdamen, die um die Gunst der Königin Anne buhlen. Ja, Lanthimos verfilmte erstmals nicht sein eigenes Buch und wird in seinem bravsten Film „The Favourite" zum Oscar-Favorit.

Sie wirkt harmlos, die gefallene Adelige Abigail (Emma Stone), die mit 15 Jahren vom Vater in einem Kartenspiel an einen fetten Deutschen verkauft wurde. Aber sehr zielgerichtet arbeitet sie sich tatsächlich aus dem Schlamm schnell in die Nähe der kranken Königin Anne Stuart (1665-1714). Angestellt wurde Abigail von ihrer Verwandten Lady Sarah (Rachel Weisz), der engsten Vertrauten der Königin. Lady Sarah kümmert sich um den Krieg mit Frankreich, die Steuergesetze, die Gemütsverfassung der Herrscherin und auch um deren sexuelle Befriedigung. Dabei weist die eigentliche Herrscherin die Königin - ein körperliches und seelisches Wrack - wegen schlechter Schminke wie ein kleines Kind zurecht.

Hier sind Wortgefechte schärfer als Degenduelle, auch wenn die Favoritin Lady Sarah und die Aufsteigerin in ihrer Freizeit scharf auf Tauben schießen. Formvollendet sind Politik und Diplomatie noch nicht, es ist - auch im Verhalten des Adels - nicht weit vom Palast zum Schweinestall. Oder für die Frauen: Vom Bordell zum Thron. Im Falle von Abigail ist es das Bett der Königin, in das sie sich bald legt.

Mit vielen Weitwinkel-Aufnahmen gibt Yorgos Lanthimos seinem Historien-Film einen Hauch von Kubriks „Barry Lyndon". Auch ansonsten sollte man nicht das übliche üppige Kostümdrama erwarten. Diese Intrigen am Hof von Königin Anne vermittelt eher die realen Details damaliger Höfe, die mit Läusen unter den Perücken zu kämpfen hatten. Vom eigenen, aus „The Killing of a Sacred Deer" (2017), „The Lobster" (2015), „Alpen" (2011) und „Dogtooth" (2009) bekannten Markenzeichen Lanthimos', der kalte Zurschaustellung seiner noch kälteren Figuren in teils absurden Situationen, bleiben nur noch Entenrennen und nackte Adelige unter Frucht-Bewurf.

Das ist für Lanthimos-Fans zu viel höfische Intrige und Zickenkrieg bei zu wenig Absonderlichkeiten. Für Lanthimos-Verhältnisse wohlgemerkt! Dafür gibt es Raum für tolle Darstellerinnen: Alleskönnerin Emma Stone steht dieses besondere historische Drama ebenso gut wie ihre Komödien oder Action-Filme. Rachel Weisz dosiert ihr Können und wirkt zurückhaltend umso stärker. Beide gelten übrigens bei den Oscars als Nebendarstellerinnen, während Olivia Colman als Hauptdarstellerin nominiert ist. Scheinbar glaubt Hollywood noch an die Monarchie. Doch immerhin ist dieser zugänglichste und irgendwie uninteressanteste Lanthimos nach zwei großen Preisen in Venedig mit zehn Nominierungen der größte Oscar-Favorit.

Beautiful Boy

USA 2018 Regie: Felix van Groeningen, mit Steve Carell, Timothée Chalamet, Maura Tierney, Amy Ryan 121 Min. FSK ab 12

Vor zwei Wochen zeigte Julia Roberts in „Ben is back", wie anstrengend und aufregend eine Nacht mit dem drogensüchtigen Sohn sein kann. Wenn der zuhause alte Rechnungen mit den Dealern begleichen muss. In „Beautiful Boy" erzählt Felix van Groeningen, Regisseur des tränenreichen, wunderbaren „The Broken Circle", das Eltern-Drama ganz anders. Mit mehr Gefühl und Filmkunst.

„Was macht Chrystal Meth mit meinem Sohn und wie kann ich ihm helfen?" Mit dieser hilflosen Frage des Journalisten David Sheff (Steve Carell) beginnt der Film. Mittendrin und ohne Antwort. Denn in all den Momenten dieser eigentlich innigen Beziehung zwischen Vater und Sohn Nic (Timothée Chalamet) sucht der Film mehr nach dem Gefühl einer verzweifelten Situation als nach Antworten. „Beautiful Boy" spielt auf John Lennons Song für seinen Sohn an, der selbstverständlich auch angespielt wird.

Die Kindheit Nics taucht auf Fotos auf, man versteht sich, redet miteinander. Zu den Momenten der gemeinsamen Vergangenheit gehört auch gemeinsames Kiffen, zu dem der Sohn den Vater überredet. Der erfolgreiche Vater setzt Nic sanft aber doch unter Druck, seine Kreativität auszuleben. Beim Surfen zeigt sich, dass er ihm zu wenig zutraut. Nach der Trennung der Eltern, ist die Mutter nie da. Nic wird hin und her geschickt. Aber „Beautiful Boy" versucht niemals krampfhaft, Erklärungen zu finden.

Irgendwann tauchen düstere Zeichnungen bei Nic auf. Als die Sucht offensichtlich wird, ist sie schon Jahre alt. Der Grund sei einfach das Leben, meint der stille, kluge Junge. Eine teure Entziehungsklinik hilft nur kurzzeitig. Der „Circle" geht diesmal spiralförmig abwärts. Nicht so unerbittlich wie bei „Requiem for a Dream", aber mit der gleichen Unmöglichkeit umzukehren.

Vor allem für Eltern war es in „The Broken Circle" äußerst bewegend bis unerträglich anzusehen, wie das Kind einer ganz großen Liebe sterben muss, weil religiöse Politiker medizinische Fortschritte verhindern. Nun wird das Kind groß, fast erwachsen ... und drogensüchtig. Es ist naheliegend, dass der Flame Felix van Groeningen der ideale Regisseur für David Sheffs Erfahrungen „Beautiful Boy. A Father's Journey Through His Son's Meth Addiction" war.

Trotzdem ist „Beautiful Boy" kein deprimierendes Drama geworden. Denn wenn David mal wieder seinen Sohn sucht, strömt jeden Moment Vaterliebe aus seinen Poren. Auch das eindrucksvolle ernste Spiel von Steve Carell, der ja vor allem ziemlich blödeln kann, sorgt dafür, dass dies ein ungemein eindrucksvoller Film geworden ist. Er wirkt stimmig in seiner ruhigen Erzählung, das Drama ist eines mit langem Atem. Die erstaunlichen Ereignisse finden dabei in den Menschen statt. Es braucht hier keinen Drogendealer zur künstlichen Spannung. Timothée Chalamet zeigt als Sohn Nic nach „Call Me by your name" erneut Außerordentliches. In der freien Montage aus Erinnerungen und Entwicklungen wird die starke Stimmung mit starken Songs abgerundet. „Svefn g englar" von Sigur Ros, der schon aus „Café de Flore" unvergesslich ist, wird hier für einen Schuss und einen bewegenden Kick eingesetzt. Das Titellied John Lennons ist nicht nur emotional kongenial für diesen sehr bewegenden Film. Das berühmte Zitat darin, „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen", ist mit der notgedrungen daraus folgenden Gelassenheit schließlich auch die einzige Lösung, die der Film für solch eine Situation anbietet.

Chaos im Netz

USA 2018 Regie: Rich Moore 113 Min. FSK ab 6

Das Innenleben von Computer-Konsolen als Spiel(film)-Fläche ist kein Neuland mehr. Nicht nur für Nerds ist es reizvoll, von unbekannten Mikro-Welten vor der eigenen Nase zu erfahren. „Tron" ist der Klassiker dieser Idee. Andererseits bleibt es ein Risiko, mit alten, verstaubten Pixeln unterhalten zu wollen. Die meisten Nutzer sind alten Spielen halt entwachsen.

Das Raubein Ralph unterhielt in der ersten Animation „Ralph reicht's" ganz erfolgreich damit, wie er aus seinem Spiel und seiner Schurken-Rolle ausbrach. Mittlerweile pflegen auch andere Spielfiguren wie Pac Man oder Sonic in der Steckerleiste der Spielhalle einen locker-lustigen Austausch. Bis als Neuanschaffung „Wifi" auftaucht. Gleichzeitig bereitet der mit seinem Trott zufriedene Simpel Ralph seiner kleinen Rennfahrer-Freundin Vanellope etwas Abwechslung bei der Spiel-Routine. Dadurch geht allerdings draußen in der realen Welt die Spiele-Steuerung kaputt. Ralph und Vane machen sich nun auf den Weg, um bei Ebay Ersatz zu ersteigern.

Mit dem zweiten Ralph-Film bleibt Disney beim Vertrauten: Gut gezeichnete, nette Figuren erlebten halbwegs originelle Abenteuer im Innern alter Spiele-Automaten. Das Überleben solcher klassischer Arcade-Games ist auch nun wieder Thema, ebenso das „Neuland" Internet. Wobei dies nicht als dämonischer Gegner fungiert, sondern nur als aufregend übervolle, neue Entdeckung für alte Spielfiguren. Diese Vorstellung des Internets von „Ralph" sieht irgendwie so aus, wie das, was Seehofer in den 80ern ge- und betrieben hat: Kleine, süße Twitter-Vögel flattern herum, überall gibt es nervige Werbe-Einblendungen und Katzenbilder. Die User sind hier „im Internet" nur recht einfältige Quadratköpfe, die wahren Figuren sind die Programme und Routinen.

Und wieder bekommen in dem aufwendig animierten Zeichentrick für kleine Kinder die Größeren Futter, wenn die Spiel-Figuren aus ihren Rollen treten: Die lebensphilosophischen Gespräche der eher primitiv aussehenden Action-Figuren während der Pausen von knallharten Computerspielen sind schon sehr erwachsener Humor. In dieser „schmutzigen" Umgebung besteht Vanellope auch ihre erste Prüfung beim Autorennen, da kennt sie sich aus. Um aber Ralphs bescheuert hohes Gebot bei Ebay bezahlen zu können, müssen sie ein albernes Video des tumben Helden „viral gehen lassen". Hier wird kindgerecht das Funktionieren sozialer Medien vorgeführt, samt niederschmetternder Wirkung von Hasskommentaren. Wahrscheinlich kennen das alles die kleinen digital Natives besser als ihre erwachsenen Begleiter.

Im menschelnden Kern des Disney-Filmchens wird vor allem die Freundschaft zwischen Ralph und Vanellope auf die Probe gestellt. Ralph muss lernen, dass man Freunde nicht besitzen kann, und Veränderung akzeptieren. Ja, da haben die Produzenten eine halbwegs, netten, lahmen, aber recht bunten Film gemacht ... um zwischendurch nur verrücktes Zeugs zu machen. Denn was als dicker Disney-Werbeblock mit Star Wars und Groot startet, führt zur historischen Generalversammlung aller Disney-Prinzessinnen. Selbstverständlich muss darauf wieder ein überwältigendes Finale mit Frankenstein-Zombies, die sich zum King Kong-Zitat verformen folgen. Und auch eine rührende Trennung darf zum Abschied nicht fehlen. Aber an die Prinzessinnen im Pyjama wird man sich noch lange erinnern.

21.1.19

Creed II

USA 2018 Regie: Steven Caple Jr., mit Michael B. Jordan, Sylvester Stallone, Tessa Thompson, Dolph Lundgren, Florian Munteanu 130 Min.

Nach dem Dschungelcamp kommt wieder Rocky. Ist das ein weiterer Niedergang für Brigitte Nielsen? „Crew II", das zweite Nachtreten in der unendlichen Kino-Prügelei „Rocky", ist Remake und Fortsetzung, aber vor allem ein Familienfilm, der eigentlich Disney interessieren sollte. Ansonsten zeigt sich schnell, weshalb der deutsche Filmverleiher Kritiken verbieten will.

Da sitzt der alte Mann mit Hut vor dem Fernseher und schaut sich an, wie sein Zögling Adonis Creed (Michael B. Jordan) zusammengeschlagen wird. Und was sieht Sylvester Stallone als gealterter Trainer Rocky Balboa? Creed wird ausgerechnet vom Sohn des Russen verdroschen, der einst Adonis' Vater Apollo zu Tode prügelte.

Es wäre auch ohne die Doppelung von „Rocky IV" Standard, dass der Held lernen muss, mit Niederlagen umzugehen. Auch die Trennung im Zorn vom altgedienten Trainer kommt so überraschend wie die aufgeplatzte Augebraue. Selbstverständlich wird Rocky zu Creed zurückkehren und findet ihn bei dessen Mutter! Ja, Adonis Creed wird zwar in den ersten Film-Minuten Weltmeister, ist aber immer noch ein unsicherer junger Mann. Sein Heiratsantrag bei der Sängerin Bianca (Tessa Thompson), die hier die Hosen anhat, verläuft witzig ungeschickt wie beim einem Teenager.

Es gibt eine Menge Szenen mit Mamas und Papa, selbst der neue Gegner, Viktor Drago (der echte Boxer Florian Munteanu) prügelt sich nur wegen des verbitterten Papas und Trainers Ivan Drago (Dolph Lundgren, siehe „Rocky IV"). Während alle ältere Leute, selbst Rocky, angesichts dieses neuen Duells nur den Kopf schütteln, verdient dieses Niveau mangelnder Konfliktbewältigung einfach die Prügelstrafe. Immerhin kommt im Finale wenigstens kurz der Gedanke auf, nicht die Fehden der Väter weiter zu führen, nicht den Kalten Krieg noch mal aufzuwärmen. Aber autsch, das Nachdenken tut echt weh, schlagen wir lieber noch einmal zu. Dabei ist es geradezu lächerlich, dass der große starke Kerl Drago das Handtuch wirft, als seine Exfrau (Nielsen) den Ringkampf verlässt. Hauen die sich wirklich nur wegen ihrer Mütter die Birnen zu Brei?

Die Box-Fans werden sich über so viel Familien- und Kinderkram beschweren, auch wenn sie mit der Schläger-Familie Balboa seit dem ersten „Rocky" 1976 aufgewachsen sind. Was im ersten „Creed" unter der Regie von Ryan Coogler („Black Panther") noch als Mischung von Remake und frischem Blut auf den Box-Handschuhen interessierte, ermüdet nun bereits. Nachfolger Steven Caple Jr. („The Land") erzählt zwar immer wieder mit eleganten Montagen und einem Schnitt wie aus dem Arthaus-Kino, doch das verhindert im unweigerlichen Ablauf nur so gerade, dass die unvermeidliche Trainingssequenz zur tödlichen Langeweile gerät. Tessa Thompson macht als Creeds Freundin Bianca und als Rapperin wieder am meisten Eindruck.

Also ein paar gute Momente und lange Durststrecken bis endlich wieder die Siegesmelodie „Gonna Fly Now" erklingt. Nur einen Vorteil hat dieses ganze Familien-Getue: Die Fortsetzung dieser Filmreihe für die nächste Generation und die nächsten Jahrzehnte ist gesichert!

17.1.19

Yuli

Spanien, Kuba, England, BRD 2018 Regie: Icíar Bollaín, mit Carlos Acosta, Santiago Alfonso, Edilson Manuel Olbera Núñez, 109 Min. FSK ab 6

Der 1973 in einem armen Vorort Havannas geborene Tänzer Carlos Acosta legt nach seiner Autobiografie „Kein Weg zurück: Die Geschichte eines kubanischen Tänzers" nun als Produzent und Hauptdarsteller auch noch sein eigenes Bio-Pic vor. Eine sehr frühe Biografie, aber Tänzer haben ja auch meist nur eine kurze Karriere. Dank der Zusammenarbeit von Regisseurin Icíar Bollaín („El Olivo", „Öffne meine Augen") mit dem berühmten Drehbuchautor und ihrem privaten Partner Paul Laverty („Ich, Daniel Blake", „Looking for Eric") entstand eine feine und einfühlsame Figurenzeichnung bei starken Emotionen und sozialpolitischer Wachheit.

Nach den alten Männern vom „Buena Vista Social Club" zeigt „Yuli" in Havanna nun junge Menschen mit guter Körperhaltung und etwas vom wahren Leben in Kuba. In den Straßen sind Tänzer auf dem Weg zum Ballett. Der weltberühmte Tänzer und Choreograph Carlos Acosta, Yuli genannt, inszeniert, während ihn kunstvoll montierte Erinnerungen berühren. Es liegt eine gebrochene Melancholie über diesem Rückblick, denn der junge Yuli wollte lieber Fußballspieler werden oder tanzen wie Michael Jackson. So will ihn zwar beste Schule des Landes und eine der besten überhaupt, bei der Aufnahmeprüfung ist jedoch direkt eine entmenschlichende Körperkontrolle zu sehen. Der strenge, doch kluge Vater zwingt ihn immer wieder, sein Talent erfolgreich einzusetzen.

Das Spannungsfeld des farbigen Künstlers Carlos Acosta liegt zwischen einer Vergangenheit von Jahrhunderten der Sklaverei und der Zukunft eines Landes, in dem viele in die USA auswandern wollen. Nachdem der kleine Carlos wegen seiner Disziplinlosigkeit in einem Internat weiterlernen muss, wird die Entfernung von der Familie und der Heimat ein Schmerz in seinem Leben bleiben. „Ich habe mein Leben an das verfickte Ballett verloren", klingt nicht nach strahlender Erfolgsgeschichte. Das alles wurde schon exzellent und bewegend inszeniert, es wird noch emotionaler durch die sehr schöne Interpretation in Tanzeinlagen.

Raus

BRD 2018 Regie: Philipp Hirsch, mit Matti Schmidt-Schaller, Milena Tscharntke, Tom Gronau, Matilda Merkel, Enno Trebs 102 Min. FSK ab 12

Widerstand als pubertärer, dummer Jungen-Streich. Ja, Glocke (Matti Schmidt-Schaller) zündet den Proleten-SUV vom Zuhälter eigentlich nur an, weil er mit Lena ins Bett will. Doch da das nicht klappt und Glocke buchstäblich in der Scheiße landet, will er nur noch weg. Weg von dieser Gesellschaft mit ihrer Ausbeutung, ihrer Gewalt gegen Mensch und Tier. Er folgt der Weg-Beschreibung eines mysteriösen Führers, um mit anderen Aussteigern dessen Hütte in der freien Natur zu finden.

Wie die Bilderfetzen rasen auch systemkritische Sprüche im Sekundentakt über die Leinwand. Die jungen Menschen mit den roten Mützen sind Aussteiger. Aber von was sie weg wollen, erahnt man nur in Fragmenten, denn sie sollen auf dieser Reise nichts von ihrem Vorleben erzählen. Die Gespräche auf dieser Schnitzeljagd klingen denn auch sehr nach Schulausflug. Dabei sind die Charaktere der fünf Suchenden klar: Die Ex-Nazibraut schlägt gerne und ohne Ende zu. Der Streber zieht tatsächlich einen Rollkoffer über die Gipfel und ist zu gut vorbereitet. Die Stille wird sich in Glocke verlieben und der Laute kommt zum Nachdenken.

Während die jungen Helden schon mal von ein paar Nordic Walkern abgehangen werden, gibt es immer wieder Ärger, wenn man die Zivilisation streift. Aber wilde Natur ist auch in der Geschichte nur Behauptung und Dekor. Nirgendwo lauert Gefahr, dass es existenziell wird wie in John Boormans „Delivrance" („Beim Sterben ist jeder der Erste", 1972). Zwar schauen auch der „Herr der Fliegen", oder hier: Bienen, und der „Zauberer von Oz" vorbei, doch nur als oberflächliche Andeutung. Die Bilder und die reinen Montagesequenzen im Kinodebüt des Musikclip-Regisseurs Philipp Hirsch sind dabei noch am reizvollsten in der anständigen Inszenierung mit guten Darstellern. Das Ziel ist schließlich ein zünftiger Hütten-Urlaub in der Natur. Das erfüllt keine großen Erwartungen, aber dafür muss man ihn auch nicht gleich massakrieren.

14.1.19

Capernaum - Stadt der Hoffnung

Libanon, Frankreich, USA 2018 (Capharnaüm) Regie: Nadine Labaki, Zain Al Rafeea, Yordanos Shiferaw, Boluwatife Treasure Bankole 123 Min.

Kinder spielen mit Gewehren aus Holzlatten Krieg. Wenn sie nicht an der Straße irgendeinen Kram verkaufen oder im Falle der Mädchen selbst verkauft werden, sobald sie fruchtbar sind. „Capernaum", der den Preis der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes erhielt, taucht direkt und äußerst packend in ein Flüchtlings- und Elendsviertel von Beirut ein. Das erschütternde Meisterwerk der bekannten libanesischen Regisseurin Nadine Labaki („Caramel") klagt zusammen mit dem zwölfjährigen Zain an: „Wieso habt ihr mich auf diese Welt gebracht?"

Zain ist ein gewitzter, kleiner Junge mit eigenem Kopf. Was auch die herrlich wilden Haare zeigen. Zusammen mit der Mutter schmuggelt er Drogen ins Gefängnis und kümmert sich um seine jüngere Schwester. Als die das erste Mal ihre Tage bekommt und an einen älteren Mann verschachert wird, haut Zain von einem Zuhause ab, das man kaum so nennen kann. Zain findet bei einer jungen Mutter aus Äthiopien Unterschlupf, die versteckt ohne Papiere arbeitet. Mit seinen tollen Ideen passt er auf ihr Baby auf, auch als Rahil verschwindet. Aus einem Skateboard, das er anderen Kindern wegnimmt, und einem Kochtopf baut einen Kinderwagen, um wieder Drogen zu verkaufen. Doch diesmal ist selbst der kleine Junge mit dem zu erwachsenen Blick überfordert. Ein übler Händler bietet ihm für das Baby 500 Dollar und eine angebliche Luxus-Reise per Boot nach Europa an.

Regisseurin Nadine Labaki schneidet in einer spannenden Konstruktion das Gerichtsverfahren dazwischen, in dem Zain seine Eltern anklagt. Während er selbst wegen einer blutigen Gewalttat für fünf Jahre im Gefängnis sitzt. „Capernaum" bezeichnet im Hebräischen einen Ort voller Chaos. Das ergreifende Drama wurde tatsächlich aufwändig vor Ort gefilmt. Mit viel Atmosphäre in einer lauten und quirligen Stadt. Kein Wunder, dass in den euphorischen Besprechungen der Begriff „dokumentarisch" fällt. Es ist ein lebendiger Querschnitt durch eine Gesellschaft mit unfassbar vielen Flüchtlingen, der das Elend der „Papierlosen" spürbar macht.

„Capernaum" zeigt den Neorealismus wieder neu, zeitgemäß. Das Elend, den Job zu verlieren, weil Diebe das Fahrrad klauen, wäre unter den Flüchtlingen ein Luxus. Es ist schwer erträglich mitzuerleben, wie die schreiende kleine Schwester zu ihren Käufer gezerrt wird. Es gibt aber den sehr komischen Versuch, die Ausländerbehörde mit dem libanesischen Cousin vom Spiderman, der Kakerlaken-Mann, reinzulegen. In einer Welt mit Kinderschändern, Menschenhändlern und an diesen Geschäften beteiligten Eltern, kann man mit dem gewitzten Kerlchen Zain weinen und immer wieder lachen. Neben dem unfassbar guten Laien-Darsteller ist auch großartig, wie die Bild- und Tonspuren montiert wurden, um die Wirkung zu verstärken. Zusätzlich zum hoffnungsvollen Ende des Films gibt es auch im wahren Leben ein Happy End: Der Hauptdarsteller, der syrische Flüchtlingsjunge Zain Al Rafeea hat mit seiner Familie mittlerweile in Norwegen Asyl erhalten.

Fahrenheit 11/9

USA 2018 Regie: Michael Moore, mit Michael Moore, Donald Trump, Barack Obama, Katie Perry 128 Min.

Der vielfach ausgezeichnete Politfilmer und Oscar-Preisträger Michael Moore seziert die präsidentielle Katastrophe Trump mit Witz, Geist und überraschenden Perspektiven - weit entfernt von dem bislang erfolglosen Verspotten all der unfassbaren Idiotien Trumps durch die Satire. Die Dokumentation „Fahrenheit 11/9" ist eine unbedingt sehenswerte und sehr unterhaltsame Politik-Geschichte des Regisseurs von „Bowling for Columbine".

In nur fünf Minuten einen historischen Umbruch mit Fakten und Gefühlen zusammengefasst, das ist modernes Politkino vom Feinsten! Der sichere Sieg von Hillary Clinton kippt ins Entsetzen angesichts des Sieges eines dummen Polit-Clowns. „Wie verdammt noch mal konnte das passieren?" lautet nun die Frage von Moore. Die Antwort ist vielschichtig und enthält sogar eine Selbstanklage: Obwohl Moore Dank der guten Kenntnis seiner Mitbürger in Michigan von dem Potential für dummen Populismus wusste, hätte auch der Regisseur den Kandidaten lange nicht ernst genommen. So sehen wir Bilder und Erinnerungen an frühere Begegnungen Moores mit Trump und seiner Familie im Rahmen der Fehler, welche die Medien gemacht haben.

Das ist mit Pop-Songs und Opernmusik so gut präsentiert, dass es glatt als Propaganda durchgeht. Und die Frage „Ist das noch politisch?" bleibt auch beim nächsten von einigen Themenblöcken: Da sehen wir gleich mehrere Journalisten, die extrem aggressiv gegen Hilary Clinton vorgingen und tatsächlich alle wegen sexueller Übergriffe angezeigt wurden. Nimmt man dazu Trumps eigene, extrem seltsame Aussprüche in Richtung seiner Tochter, kommt zur Abscheu die Frage, ob das hier hin gehört.

Doch immer wieder zeigt sich Moore als einzigartiger Aufdecker und Provokant: Vor allem in der Geschichte aus seiner Heimat Flint, in der die Wasserversorgung durch eine neoliberale Seilschaft extrem dreist ausgebeutet wurde. Wieder wird in wenigen Minuten das erschütternde Drama skizziert, wie vor allem Farbige über das Trinkwasser mit Blei vergiftet wurden. Erst als das miserable Wasser die Autoindustrie gefährdet, bekommt diese wieder gutes Wasser, während die Menschen weiter aus einem verschmutzten Fluss sind versorgt wird.

Das ist ein typischer Moore - bitter, sarkastisch und unerbittlich. Bis zum Moment, wo er die Villa des verantwortlichen Gouverneurs eigenhändig mit dem vergifteten Wasser berieselt. Selbst Obama macht hier keine gute Figur. Wie die ganze etablierte Demokratische Partei auch ihr Fett abbekommt. Bei all den kleinen und den himmelschreienden Anklagen behauptet der Filmemacher jedoch, dass die USA eine linke und die liberale Bevölkerung hätten - der nur ein undemokratisches Wahlsystem im Wege steht.

Neu an diesem Film, der mit einem Amoklauf so eine Art „Best of" von Michael Moores Themen ist, zeigt sich die Hoffnung: Angesichts einer starken Gruppe von jungen Kongress-Kandidatinnen für die Demokraten zeigt „Fahrenheit 11/9", dass es auch demokratisch geht. Unter ihnen ist übrigens die momentan sehr populäre, tanzende Kongress-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Eine Gruppe rebellierender Schüler schafft es, einen rassistischen und sexistischen Kandidaten, der von der Waffenindustrie finanziert wurde, aus seinem Wahlbezirk zu schmeißen.

Es sind eine Menge unglaublicher, schockierender, aber auch hoffnungsvoller Geschichten, die Michael Moore hier schon für den Wahlkampf 2020 in Position bringt. Frech und flott präsentiert, unterhaltsam und lehrreich, sicher auch für eine SPD. Spätestens, wenn Moore Hitler mit Trump vergleicht und dessen Ambitionen auf mehr als zwei Amtszeiten deutlich macht, kann diesmal niemand mehr sagen, man hätte diesen Clown nicht ernst genommen.

Maria Stuart, Königin von Schottland

GB 2018 (Mary Queen of Scots) Regie: Josie Rourke, mit Saoirse Ronan, Margot Robbie, Jack Lowden, Joe Alwyn 124 Min. FSK ab 12

„Kaum eine andere Frau der Weltgeschichte hat so viel Literatur gezeitigt, Dramen, Romane, Biographien und Diskussionen. Durch mehr als drei Jahrhunderte hat sie immer wieder die Dichter verlockt, die Gelehrten beschäftigt," sagte Stefan Zweig in seiner Maria Stuart-Biografie. Dabei kannte er 1935 nur einen Bruchteil der Bio-Pics zur Königin von Schottland (1542-87). Der neueste, höchst interessante und vielfältig eindrucksvolle „Maria Stuart" fügt einen weiteren Aspekt hinzu, indem er den beiden Gegnerinnen einen Erfahrungsaustausch über die Arbeitsbedingungen als Königin unter Männern gewährt.

Unterhalten sich Angela Merkel und Theresa May zu zweit eigentlich darüber, wie es ist, mit Männern Politik zu machen? Es muss ein mühsames Geschäft mit Dummköpfen sein, meint man beim Betrachten der wechselhaften Geschichte dieser eindrucksvoll von Saoirse Ronan gespielten Maria Stuart. Ihre Rückkehr aus Frankreich, wo sie bis zum Tod des ersten Mannes für ein paar Monate Königin war, wird vom Halbbruder James misstrauisch beäugt. Während man auch vor Bewunderung erstarren könnte, so viel Stolz und Eigensinn trägt diese junge, zielstrebige Frau in ihrem Blick.

Während Maria ihr übersichtliches Gefolge in einer zugigen schottischen Burg ordnet, hält die englische Königin Elizabeth I. (Margot Robbie) wie ein Supermodel Hofstaat in London. Doch die Ankunft der Konkurrentin beunruhigt die Herrscherin des Weltreiches, denn der Anspruch auf den britischen Thron ist nicht eindeutig. So beginnen politisches Abtasten und Ränkespiele, bei denen die kinderlose Elizabeth sogar erwägt, ihren Geliebten mit Maria zu verheiraten.

In den teils üppigen, teils erdigen historischen Kostümen steckt eine selbstbewusste Frau, so gar nicht von gestern. Maria Stuart will unabhängig sein, emanzipiert. Auf keinen Mann sei Verlass, selbst weise Männer würden den Launen von Königinnen folgen. Dabei erweist sich die Stuart letztlich als naiv im Machtspiel. Doch lange, in den besseren Teilen des Films, ist dies nebensächlich. Die doppelte Charakterstudie über Frauen im Beruf König ergibt einen ungewöhnlichen und packenden Film. Teilweise erzählt über einen persönlichen Briefwechsel, geriet das auch mal komödiantisch, wenn sie gegenseitig ihre Heirat planen. Letztlich wird es dann aber blutig wie bei Shakespeare - so kennt man halt englische Königsdramen.

Die deutlich modernen Gedanken zeigen in der ansonsten klassischen Auseinandersetzung, in den historischen Kostümen zwei sehr jetztzeitig menschliche Figuren. Maria und Elisabeth müssen sich beide Kommentare über ihre Attraktivität anhören, bis hin zum zotigen Sexuellen. Wenn gegenseitig Bildnisse versendet werden, ist klar, dass auch mit dem Aussehen konkurriert wird. Doch wichtig ist vor allem, wer als Erste einen Thronfolger gebiert. Die Botschafter sollen verkuppeln und werden selbst verführt. Schöne Bilder der Landschaften vermitteln auch eine Ahnung von der damaligen Mühsal der Wege. Und zwischendurch beglückt uns Regisseurin Josie Rourke mit den bislang besten Bildern des Kinojahres. Keineswegs zuletzt spielen die Irin Saoirse Ronan („Lady Bird", „Brooklyn") als schottische Königin und die Australierin Margot Robbie („Barbie", „I, Tonya", „Suicide Squad" ) als Königin Lisbeth derart eindrucksvoll, dass jede einen Kinobesuch dieses Films verdient.

11.1.19

Manhattan Queen

USA 2018 (Second Act) Regie: Peter Segal, mit Jennifer Lopez, Vanessa Hudgens, Treat Williams 105 Min. FSK ab 0

Schon mal gesehen, wie eine Taube vor den Laster kommt? „Manhattan Queen" ist nicht nur das filmische Äquivalent eines solchen Unfalls, er zeigt diese Peinlichkeit auch noch tatsächlich. Da gerät der neuerliche Kinoauftritt vom ehemaligen Star Jennifer Lopez in Kopie vom 80er Hit „Working Girl" zum Fremdschäm-Festival.

Sie spielt die 40-jährige Maya (Jennifer Lopez), die erfolgreich einen Supermarkt leitet, aber ohne Schulabschluss den Chefposten nicht bekommt. Als der Sohn ihrer besten Freundin Joan (Leah Remini) zum Spaß an Mayas Social Media-Auftritt schraubt, wird das nächste Vorstellungsgespräch dank vermeintlichem Harvard-Abschluss und Himalaya-Trekking zum vollen Erfolg. Maya soll im Kosmetikkonzern direkt als Marketing-Beraterin mit eigenem Büro eine hundertprozentig natürliche Serie entwickeln. In Konkurrenz zur Tochter des Chefs. Dass diese sich urplötzlich als die zur Adoption freigegebene Tochter Mayas erweist, deutet das nach unten offene Trash-Niveau des Films an.

„Streetsmart" ist besser als „booksmart", so drückt sich bei Maya der Hass auf gebildete Menschen aus - besser bauernschlau, als was gelernt haben. Auch die Ablehnung von Abtreibung klingt verdächtig nach Trump. Was etwas schizophren ist, denn vielleicht muss ja auch Immigranten-Kind Jennifer Lopez mit ihren Eltern bald nach Puerto Rico zurück. Dass sie sich mit dem letzten Lied „America" (nach Simon & Garfunkel) selber als Einwanderin markiert, macht deutlich, wie viel in diesem filmischen Unfall durcheinander geht. Ganz wie die Freiluft-Präsentation eines neuen Produkts, bei der jemand völlig deplatziert ein paar Tauben freilässt, die dann prompt von einem Laster zerfleddert werden.

Ansonsten gibt es Spaß und auch eine Tanzeinlage mit den besten Freundinnen, doch man nimmt dem ehemaligen Superstar Lopez die frustrierte Einzelhandels-Kauffrau nie ab. Der neuerliche Versuch, als „Jenny from the Block" Bodenständigkeit zu behaupten, steht der erfolgreichen Sängerin nicht, die in ihren Beziehungen hauptsächlich Sänger, Tänzer und Schauspieler verschleißt. Nach Emanzipation könnte riechen, wenn hier mal der Mann die Kinder will und die Frau erst Karriere durchzieht. Wenn dann die Trennung wie alles andere recht flott ausgesprochen ist und für das Gefühl danach ein Song auf der Tonspur reichen muss, scheitert das Projekt in der filmischen Darstellung.

Nein, es hat sich seit dem unübersehbar kopierten „Working Girl" aus dem Jahr 1988 nicht viel getan: Wie damals Melanie Griffith als Sekretärin Tess putzt sich auch J.Lo vor allem äußerlich raus. Der überzogene Zickenkrieg (damals mit Sigourney Weaver) darf ebenso wenig fehlen wie die große Liebe. Dass vor allem die Abläufe im Kosmetikkonzern geradezu toxisch unglaubwürdig sind, macht „Manhattan Queen" zu einem mäßigen Fernsehfilm, der keinen Kinoabend wert ist.

10.1.19

Creed II

USA 2018 Regie: Steven Caple Jr., mit Michael B. Jordan, Sylvester Stallone, Tessa Thompson, Dolph Lundgren, Florian Munteanu 130 Min.

Nach dem Dschungelcamp kommt wieder Rocky. Ist das ein weiterer Niedergang für Brigitte Nielsen? „Crew II", das zweite Nachtreten in der unendlichen Kino-Prügelei „Rocky", ist Remake und Fortsetzung, aber vor allem ein Familienfilm, der eigentlich Disney interessieren sollte. Ansonsten zeigt sich schnell, weshalb der deutsche Filmverleiher Kritiken verbieten will.

Da sitzt der alte Mann mit Hut vor dem Fernseher und schaut sich an, wie sein Zögling Adonis Creed (Michael B. Jordan) zusammengeschlagen wird. Und was sieht Sylvester Stallone als gealterter Trainer Rocky Balboa? Creed wird ausgerechnet vom Sohn des Russen verdroschen, der einst Adonis' Vater Apollo zu Tode prügelte.

Es wäre auch ohne die Doppelung von „Rocky IV" Standard, dass der Held lernen muss, mit Niederlagen umzugehen. Auch die Trennung im Zorn vom altgedienten Trainer kommt so überraschend wie die aufgeplatzte Augebraue. Selbstverständlich wird Rocky zu Creed zurückkehren und findet ihn bei dessen Mutter! Ja, Adonis Creed wird zwar in den ersten Film-Minuten Weltmeister, ist aber immer noch ein unsicherer junger Mann. Sein Heiratsantrag bei der Sängerin Bianca (Tessa Thompson), die hier die Hosen anhat, verläuft witzig ungeschickt wie beim einem Teenager.

Es gibt eine Menge Szenen mit Mamas und Papa, selbst der neue Gegner, Viktor Drago (der echte Boxer Florian Munteanu) prügelt sich nur wegen des verbitterten Papas und Trainers Ivan Drago (Dolph Lundgren, siehe „Rocky IV"). Während alle ältere Leute, selbst Rocky, angesichts dieses neuen Duells nur den Kopf schütteln, verdient dieses Niveau mangelnder Konfliktbewältigung einfach die Prügelstrafe. Immerhin kommt im Finale wenigstens kurz der Gedanke auf, nicht die Fehden der Väter weiter zu führen, nicht den Kalten Krieg noch mal aufzuwärmen. Aber autsch, das Nachdenken tut echt weh, schlagen wir lieber noch einmal zu. Dabei ist es geradezu lächerlich, dass der große starke Kerl Drago das Handtuch wirft, als seine Exfrau (Nielsen) den Ringkampf verlässt. Hauen die sich wirklich nur wegen ihrer Mütter die Birnen zu Brei?

Die Box-Fans werden sich über so viel Familien- und Kinderkram beschweren, auch wenn sie mit der Schläger-Familie Balboa seit dem ersten „Rocky" 1976 aufgewachsen sind. Was im ersten „Creed" unter der Regie von Ryan Coogler („Black Panther") noch als Mischung von Remake und frischem Blut auf den Box-Handschuhen interessierte, ermüdet nun bereits. Nachfolger Steven Caple Jr. („The Land") erzählt zwar immer wieder mit eleganten Montagen und einem Schnitt wie aus dem Arthaus-Kino, doch das verhindert im unweigerlichen Ablauf nur so gerade, dass die unvermeidliche Trainingssequenz zur tödlichen Langeweile gerät. Tessa Thompson macht als Creeds Freundin Bianca und als Rapperin wieder am meisten Eindruck.

Also ein paar gute Momente und lange Durststrecken bis endlich wieder die Siegesmelodie „Gonna Fly Now" erklingt. Der deutsche Filmverleih von „Creed II" wird schon wissen, weshalb er Filmkritiken bis zum Starttag am 17. Januar mit einem Embargo unterdrücken will. Nur einen Vorteil hat dieses ganze Familien-Getue: Die Fortsetzung dieser Filmreihe für die nächste Generation und die nächsten Jahrzehnte ist gesichert!

9.1.19

Kalte Füße (2018)

BRD 2018 Regie: Wolfgang Groos, mit Emilio Sakraya, Heiner Lauterbach, Sonja Gerhardt 93 Min. FSK ab 12

Eine mittelprächtige deutsche Gauner- und Liebeskomödie in einer eingeschneiten Berghütte. Angeblich soll es bei den Dreharbeiten zu wenig Schnee gegeben haben. Doch die wahren Probleme dieses mittelprächtigen Filmchens liegen ganz woanders.

Es dauert eine Weile und es bedarf einiger dramaturgischer Klimmzüge, bis die Ausgangssituation angekommen ist: Der junge, kleine Gauner Denis (Emilio Sakraya) trifft beim Einbruch in das verlassene Haus auf den Schlaganfallpatienten Raimund (Heiner Lauterbauch), den die Pflege einen Tag zu früh „abgestellt" hat. Als auch noch im Holterdipolter des Drehbuchs Raimunds Enkelin Charlotte (Sonja Gerhardt) mit einem Polizisten vorbeischneit, gibt sich Denis als Pfleger aus. Raimund weiß zwar über den Gauner Bescheid, kann sich aber nur recht bescheiden äußern. Dann werden alle eingeschneit und das Unglück dieser Inszenierung geht zwangsläufig seinen Gang.

Vor zehn Jahren, beim Basketball-Film „Hangtime" dachte man noch, dass Wolfgang Groos später mal Großes machen würde. Mit Filmen wie „Hexe Lilli rettet Weihnachten" oder „Die Vampirschwestern" machte er meist was Anständiges für die Kleinen. Diesen Versuch eines Genrefilms kehrt man besser mit dem Alt-Schnee zur Seite.

Polaroid

USA, Norwegen, Kanada 2017 Regie: Lars Klevberg, mit Kathryn Prescott, Tyler Young, Samantha Logan 88 Min.

Wieso gab es eigentlich eine Weile keine Polaroid-Kameras mehr? Weil das Wedeln mit den frischen Fotos Handgelenks-Entzündungen verursachte? Oder weil ein Monster alle Fotografierten umbrachte? Beides ist Blödsinn und der Horrorfilm mit der Kamera-Marke im Titel ganz großer.

Die Schülerin Bird Fitcher (Kathryn Prescott) ist begeisterte Fotografin und freut sich sehr über das Geschenk einer alten, seltenen Sofortbildkamera. Leider ist nicht nur das Fotomaterial für die Polaroid horrend teuer, nachher sterben auch alle Abgelichteten. So weit die simple Handlung des nicht nur aus Spannungsgründen unterbelichteten Horror-Films. „Polaroid" ist nur eine weitere Variante von „Ring" und all dem anderen Horror-Kram, bei dem Unheimliche aus technischem Gerät kommt. In der Logik von „Final Destination" soll man zuschauen, wie junge Leute möglichst grauslig umgebraucht werden. Der Norweger Lars Klevberg hat seinen eigenen Kurzfilm nicht besonders raffiniert auf Länge gebracht. Es gibt die üblichen falschen Schreck-Momente, bevor die üblichen Dezimierungen stattfinden. Naheliegende Gedanken über das Wesen der Fotografie, die manche Menschen als Raub der Seele betrachten, gibt es nicht.

Das Mädchen, das lesen konnte

Frankreich 2017 (Le Semeur) Regie: Marine Francen, mit Pauline Burlet, Alban Lenoir, Géraldine Paihas 98 Min. FSK ab 12

„Le Semeur" heißt eigentlich der Film mit dem eher sinnlosen deutschen Titel „Das Mädchen, das lesen konnte": „Der Sämann" und während die wunderbaren Bilder das politisch turbulente Frankreich des Jahres 1851 im warmen Stil alter Landschaftsbilder zeigt, ist die Handlung atemberaubend unverstaubt. Der „Sämann" ist eigentlich Schmied, aber in einem Dorf ohne Männer soll er Samen für den Fortbestand der Bevölkerung sähen.

„Es ist Ausnahmezustand, wir haben jedes Recht!" Napoleons Soldaten kassieren kurz und schmerzhaft mit diesem immer beliebten Argument alle Männer eines abgelegenen Bergdorfes in der Provence ein. Diese hatten sich vorher für die Republik entschieden. Es bleibt ein Dorf mit allein Frauen zurück, die Felder bestellen und sich Sorgen um die Zukunft machen. Der theoretische Gedanke „Was wäre, wenn ein Mann ...", wird attraktiver Ernst, als Jean auftaucht. Ganz unabhängig vom Plan der Frauen verliebt sich die Jungfrau Violette in den Wanderarbeiter. Die Gefühle sind gegenseitig, da beide mit Leidenschaft lesen - eine Seltenheit in dieser Zeit - verbindet sich Seelenverwandtschaft mit körperlicher Anziehung. Doch irgendwann fragen die anderen Frauen Violette, wann sie an der Reihe seien.

Die erstaunliche Geschichte vom Sähman greift im Bild das beliebte Malerei-Genre vom „Semeur" auf, Bauern und Bäuerinnen vor goldenen Kornfeldern. Alt ist auch das 4:3-Format des Films, betörend schön dabei viele Bilder. Wie das vom Brautkleid einer jungen Witwe, das am Baum hängend im Gegenlicht verbrennt - ganz große Bildkunst. Ganz bodenständig und realistisch hingegen, wie sich kurz darauf wirklich eine der Frauen aufhängt. Doch, auch Dank der grandiosen Schauspielerinnen, niemals wirkt der Film wie „von gestern". Liebe und Leidenschaft, das Dilemma der klugen Violette, Trauer, Schmerz und Sehnsüchte tauchen in Blicken und Gesten auf und berühren nachhaltig.

Adam und Evelyn

BRD 2018 Regie: Andreas Goldstein, Jakobine Motz, mit Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis, Milan Zerzawy, Christin Alexandrow 95 Min. FSK ab 0

Eine Liebesgeschichte im Wendesommer nach der Romanvorlage von Ingo Schulze entwickelt sich still im Auge des weltpolitischen Sturms. Feinfühlig mit tollen Bildern und großartigem Schauspiel inszeniert, ist „Adam und Evelyn" mehr als sehenswert.

Ein ganz normaler Sommer mit ganz normalen Beziehungsproblemen: Kurz vor dem gemeinsamen Urlaub im Süden erwischt die Kellnerin Evelyn (Anne Kanis) ihren schneidernden Mann Adam (Florian Teichtmeister) mit einer Kundin. Also braust Evelyn mit einer Freundin und deren Geliebtem davon. Adam tuckelt hinterher, nimmt eine Tramperin mit, die er über die Grenze schmuggelt. Denn auch wenn „Adam und Evelyn" scheinbar „nur" sehr schön und fein eine Männer-und-Frauen-Geschichte und sonst nichts erzählt, ist es „der" Sommer 1989 in der DDR und in Ungarn. Die ersten deutschen Flüchtlinge haben die Botschaften gestürmt, alles beobachtet gespannt die weiteren Entwicklungen.

Derweil überschlagen sich im Urlaub von Adam und Evelyn ganz ruhig die Gefühle. Der Liebhaber aus dem Westen findet Evelyn plötzlich interessanter als ihre Freundin. Als sein Pass geklaut wird, sitzen Ossis und Westler gemeinsam vor der deutschen Botschaft in Budapest. Das ehemalige Paar wollte eigentlich nur Urlaub machen und nicht fliehen. Doch jetzt eröffnen sich neue Möglichkeiten.

Mit stillen Tönen wird in „Adam und Evelyn" mehr erzählt als gesagt. Nach der Romanvorlage von Ingo Schulze spielt sich im Wendesommer 1989 eine tragikomische und leichte Liebesgeschichte ab, die man eher im französischen Kino verorten würde. Wie kurios die Geschichte tatsächlich ist, zeigt erst das Gesicht des westdeutschen Beamten, der den Flüchtling Evelyn in Empfang nimmt: „Ihr Adam hat eine fremde Frau und eine Schildkröte über die Grenze geschmuggelt?" Selbstverständlich gibt es bei Adam und Eve(lyn) auch einen Garten Eden und einen verführerischen Apfel, der nicht angebissen wird. Doch nur für ihn war das Gärtchen mit den netten Kundinnen im privaten Nebenerwerb das Paradies. Im Westen gibt es für Adam „von allem zu viel". Die Leichtigkeit ist vorbei, es erstarrt auch die Freiheit des Sommers in offener Landschaft, das leichte Spiel mit viel Gefühl.

In solchen nachvollziehbaren Wende-Erfahrungen, in der sensiblen Inszenierung und im grandiosen Spiel ist „Adam und Evelyn", der seine Weltpremiere im Wettbewerb der Internationalen Woche der Filmkritik in Venedig 2018 feierte, ein Muss für Cineasten.

8.1.19

Ben is back

USA 2018 Regie: Peter Hedges, mit Julia Roberts , Lucas Hedges 103 Min. FSK ab 12

Ein Produzent erzählte einmal, dass sein neuestes Projekt von den Film-Förderern abgelehnt wurde, weil es für das betreffende Jahr zu viele Hochzeits-Komödien gäbe. Hätte da mal jemand auf die Häufung von Filmen über drogenabhängige Kinder geschaut. Denn im Vergleich mit „Beautiful Boy", der in zwei Wochen startet, fällt „Ben is back" mit einer bemühten Julia Roberts als verzweifelte Mutter sehr ab.

Es ist wieder „Last Christmas". Aber dieses Mal wird alles anders, erzählt die angespannte vierfache Mutter Holly (Julia Roberts), während sie alle Arzneimittel und den Schmuck aus dem Haushalt versteckt. Denn ihr Ältester, der 19-jährige Ben (Lucas Hedges), steht mitten in den Weihnachtsvorbereitungen überraschend vor der Tür. Sein Betreuer in der Entzugsklinik habe ihm erlaubt, nach Hause zu fahren.

Wie panisch Bens Schwester Ivy (Kathryn Newton) dem Stiefvater Neal (Courtney B. Vance) diese „Überraschung" mitteilt, lässt ahnen, wie furchtbar die letzten Weihnachten verlaufen sind. Doch diesmal will Holly ihren Sohn keine Minute aus den Augen lassen und lässt ihn zuerst bei offener Badzimmertür einen Drogentest machen.

Ja, Ben ist eine Herausforderung für die wohlbehütete Familie, deren größtes Problem bislang war, Bio-Cranberries für das Weihnachts-Menu zu finden. Die impulsive Mutter Holly missachtet als Ben-Junkie dabei selbst alle Absprachen und wirkt anfangs wie die zu betreuende Person. Ben hingegen findet auf dem Dachboden sicher einen alten Vorrat an Drogen und selbst bei einem Abhängigen-Treff bekommt er unbemerkt etwas zugesteckt.

Wie eine Familie mit einem Abhängigen umgehen soll, ist per se ein unheimlich schwieriges, herzzerreißendes Thema. Das Dilemma zwischen Liebe und gnadenloser Härte bräuchte keine großartige Dramaturgie, nicht viel Regie- oder Schauspielkunst, um zu berühren. Während „Beautiful Boy" von Felix van Groeningen („Broken Circle") sich kunstvoll allein auf das Verhältnis von Vater und Sohn konzentriert, wird bei „Ben is Back" noch der kleine Familienhund entführt, während der Christmesse eingebrochen, erpresst, verfolgt und schließlich selbst die Spannung eines Drogen-Deals eingebaut. Kann man so machen, wirkt aber eher, als hätten die Macher zu wenig Vertrauen in die eigentliche Geschichte gehabt.

In dieser sehr ereignisreichen Nacht, die Mutter und Sohn im Auto umherirrend verbringen, werden nebenbei Geständnisse gemacht und einige Personen gestreift, die an Bens Sucht Schuld haben sollen: Der Arzt, der süchtig machende Schmerzmittel verschrieb. Der Lehrer, der das Morphium seiner kranken Mutter an Ben weiter gab. Die Familie selbst könnte wegen der Scheidung Probleme gemacht haben, aber der neue Stiefvater hat ja Geld, um die Entzugskliniken zu bezahlen, also könnte alles gut sein. Solch unterkomplexen Blödsinn schiebt der emotional durchaus funktionierende Film tatsächlich unter. Dabei stammt er vom Autor und Regisseur Peter Hedges, der die Drehbücher zu „About a Boy", „Gilbert Grape" (nach seinem eigenen Roman) und „Pieces of April" schrieb. Unbeeinflusst von enttäuschender Ausführung diesmal, bemühen sich wenigstens die Darsteller redlich, recht dramatisch zu sein. Zynismus sollte bei solch einem Thema fern liegen, doch „Ben is Back" macht es einem nicht leicht.

7.1.19

Robin Hood (2018)

USA 2018 Regie: Otto Bathurst, mit Taron Egerton, Jamie Foxx, Ben Mendelsohn, Paul Anderson, Jamie Dornan, Eve Hewson 116 Min. FSK ab 12

Robin Hood hüpft wieder durch die Wälder - als Afghanistan-Veteran, der die US-Steuereinnahmen klaut, damit der ewige Krieg ein Ende findet. Der Kracher der Enterbten „Robin Hood" wurde diesmal so erstaunlich bis albern modernisiert, dass diese Variante des Action-Filmchens sicher kein Klassiker wird.

Da freut man sich mal wieder auf Männer in Strumpfhosen, trotz des barren Inselwetters und der schlechten Heiz-Situation in den Zeiten von Richard Löwenherz. Und bekommt dann den Mund nicht mehr zu, angesichts eines US-Kriegszuges im Irak oder Afghanistan. Von den Ruinen der friedensstiftenden Weltpolitik bis zum Farbton der Wüsten-Camouflage sieht das mehr nach „Black Hawk Down" als nach einem der christlichen Schlachtfeste namens Kreuzzug aus. Es scheint sich auch das Feindbild zu bestätigen, dass die Araber hinterhältig aus dem Hinterhalt schießen, sogar mit einer technisch überlegenen Maschinengewehr-Armbrust.

Dann wächst das Staunen ins Unglaubliche: Kriegsverbrechen der westlichen Invasoren werden kurz und knapp auf den Punkt gebracht. Unser zukünftiger Held Robin („Kingsman" Taron Egerton) ist als zwangsverpflichteter Soldat der einzige, der Gerechtigkeit einfordert und dafür sogar gegen seinen Vorgesetzten meutert. Endlich wieder zu Hause, setzt sich die verblüffende Kopie heutiger Zustände fort: Politiker, die vor allem die Bevölkerung ausrauben, machen das mit Hilfe irrationaler Ängste vor Invasoren aus dem Orient, die uns die Kinder und Frauen rauben, die Häuser abfackeln und weitere Schandtaten begehen!

So weit das Sensationelle an dieser x-ten Robin Hood-Verfilmung. In diesem Dekor muss ein überraschend junger und heutig wirkender Robin Hood feststellen, dass sein Schloss geplündert und seine große Liebe Lady Marian (Eve Hewson) anderweitig verheiratet ist. Aber vor allem ärgert den edlen Ritter, dass der skrupellose Sheriff von Nottingham (Ben Mendelsohn) die Bevölkerung im Auftrag der Kirche noch mehr ausbeutet. Anscheinend fällt Robin dabei gar nicht auf, dass der schicke graue Mantel des Schurken aus irgendeiner Zeitmaschine gefallen sein muss, genau wie die Kostüme auf seiner dekadenten Party. Der arabische Little John (Jamie Foxx) bringt es auf den Punkt: Wir schlachten uns gegenseitig für die Reichen ab, damit die noch reicher werden.

Gründe genug, sich von Robins Freund und ehemaligem Gegner, dem weisen Little John zum Ninja-Kämpfer ausbilden zu lassen, der mit dem Bogen so schnell wie ein Maschinengewehr schießen kann. Ihr Plan ist ebenso sensationell wie verwegen: Im Nottingham Forrest soll der ganze Krieg zwischen den Religionen beendet werden. Und das moderne Mittel dazu, man muss ran an die Geldströme. Das wäre, wie wenn man heute den Waffen-Industrien ihre Gewinne nehmen würde. Oder den Verteidigungsetat, der in Deutschland vor Gesundheit, vor Bildung oder Familie den zweitgrößten Posten im Haushalt ausmacht, drastisch reduzieren würde.

Doch die kämpferischen linken Ideen, die „Robin Hood" überraschend modern im Denken und in den Kulissen hervorruft, beiseite gelassen, das atemberaubende politische Setting mal ignoriert, liefert der Film von Regisseur Otto Bathursts nur noch konventionell anständige und zeitgemäß schnelle Action. Jeder revolutionäre Ansatz wird beim traditionellen Erzählen vergessen. Dem Genre „Abenteuerfilm" mit den Filzhütchen von Errol Flynn aus den späten Dreißigern ist dieser Robin Hood trotzdem längst entwachsen. In der Einleitung behauptet die Geschichte denn auch, von einem modernen Comic abzustammen. Und so fühlt sie sich auch an. Ein überraschend „links-grün versiffter" Robin Hood, dem man klügere Dialoge und mutigere Inszenierung gewünscht hätte.

1.1.19

Colette (2018)

USA, Großbritannien 2018 Regie: Wash Westmoreland, mit Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Fiona Shaw 112 Min. FSK ab 6

Nein, „Willy" ist als sehr erfolgreicher Autor des Fin de Siecle nicht wirklich berühmt geblieben. Seine Frau und literarische „Schreibkraft" Sidonie-Gabrielle Colette (1873-1954) gilt hingegen als eine frühe weibliche Autorin und Feministin. Die überbordende Kostüm- und Kulissen-Biografie „Colette" vermischt unterhaltsam literarische und Skandal-Geschichte.

Sidonie-Gabrielle Colette (Keira Knightley) ist ein Mädchen vom Lande, das allerdings weiß, was sie will: Den egomanischen, 15 Jahre älteren Autoren (Dominic West), der unter dem Pseudonym „Willy" eine Schreib- und Merchandise-Stube betreibt. Sie folgt ihm als Ehefrau nach Paris. Die eitle Künstlerszene dort verachtet sie. Willys Ausschweifungen reizen und verletzen sie. Das Bild vom erfolgreichen Autor skandalöser Geschichtchen wird schnell geerdet: Andere schreiben die Geschichten für Willy und bekommen für den Job oft ihr Geld nicht, denn der vermeintliche Autor schmeißt mit Charme und Geld um sich.

So schreibt auch Colette eher aus Not heraus ihre Jugenderinnerungen auf. Der sagenhafte Erfolg dieser „Claudine"-Geschichte macht die beiden zum Promi-Paar, Claudines Pagenkopf-Frisur wird zur Mode. Doch wieder sahnt nur Willy ab. Selbst als die verliebte Colette eigene amouröse Abenteuer entdeckt, betrügt sie ihr Mann ausgerechnet mit ihrer Liebhaberin. Erst nach einem bitteren Kampf bekommt Colette eigene Autorenschaft und Ruhm.

Die Geschichte der Colette ist literarisch und filmisch keine große Entdeckung. Die Autorin, die 1945 als zweite Frau Mitglied der Académie Goncourt, 1949 deren Vorsitzende und 1953 Grand Officier der Ehrenlegion wurde, die in Frankreich als erste Frau ein Staatsbegräbnis bekam, war Thema mehrerer Filme. Die Verfilmungen von „Claudine", „Cheri" und „Gigi" (unter anderem das Musical von Vincente Minnelli aus 1958) sind eine eigene Erfolgsgeschichte. Die Biografie von Regisseur Wash Westmoreland erzählt mit reichhaltig Ausstattungs- und Darsteller-Material lange jedoch nur die Geschichte einer unglücklichen, betrogenen Frau. Interessant wird „Colette" erst mit ihrer Emanzipation. Die für ihre Zeit „skandalösen" Ausschweifungen der Ehepartner geraten dann sogar mal komisch. Insgesamt bleibt diese informative Literatur- und Emanzipations-Geschichte allerdings auf dem Niveau „ansehnlich" hängen. Vom Provokativen, das Claudine und Colette in ihrer Zeit verkörperten, hat der nette Film rein gar nichts.

Die Frau des Nobelpreisträgers

Großbritannien, Schweden, USA 2017 (The Wife) Regie: Björn Runge, mit Glenn Close, Jonathan Pryce, Christian Slater, Max Irons, Annie Starke 100 Min.

Wieder bekommt ein Mann den Literatur-Nobelpreis. Doch diesmal liegt die Geschichte anders, die Frau an seiner Seite spielt eine ganz besondere Rolle. Glenn Close brilliert als „Die Frau des Nobelpreisträgers" in einem sehr zeitgemäßen Film über noch eine eigentliche Autorin.

Das alte Ehepaar Joan (Glenn Close) und Joe Castleman (Jonathan Pryce) wirkt in seiner Morgenroutine sehr gewöhnlich, bis ein Anruf aus Schweden die Sensation bringt: Joe erhält den Literatur-Nobelpreis. Begeistert wird auf dem Bett gehüpft, dann übernimmt Joan wieder, wohl wie gewohnt, die Regie: Es sei Zeit, sich anzuziehen. Wahrscheinlich gäbe es heute noch ein paar Termine. Was wohl so passiert, bis der schwedische König in Stockholm den Preis überreicht, verfolgt der Film nach dem Roman der US-Autorin Meg Wolitzer (deutsche Ausgabe: „Die Ehefrau") nun. Ein halb würdevoller, halb kindischer Autor empfängt seinen Verleger und Freunde. Die Kinder sind auch dabei. Joan korrigiert noch mal die Inszenierung fürs Foto. Dann geht es mit der Concorde nach Europa, der Film spielt im Jahr 1992. Der aufdringliche Biograf Nathaniel Bone (Christian Slater) nervt schon wieder. Das Protokoll in Stockholm schiebt Joan ins Damenprogramm ab.

Zwischendurch gibt es Erinnerungen an die Anfänge ihrer Beziehung und seiner Karriere vor fast 40 Jahren: Die junge Joan, gespielt von Glenn Closes Tochter Annie Starke, verliebt sich in ihren verheirateten Literatur-Professor Joe Castleman. Was man im „Heute" des Films nicht ahnen kann, die Frau des Nobelpreisträgers hat einst selbst geschrieben. Doch eine ältere Dichterin gibt ihr bitter den Tipp, sie solle daraus auf keinen Fall eine Karriere machen wollen. So wird Joan in den 50er Jahren die „Frau an seiner Seite". Sie korrigiert und inspiriert ihren Mann, gebiert die Kinder, schmeißt den Haushalt. Er wird derweil immer erfolgreicher.

Während der Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten in Stockholm eskaliert nicht nur Joes schwieriges Verhältnis zum Sohn David (Max Irons), selbst Schriftsteller. Der stolze Preisträger kennt den Namen einer seiner Figuren nicht und nach den drängenden Fragen des Biografen Nathaniel Bone macht sich Joan selbständig.

Es ist ein idealer Zeitpunkt für das Thema Literatur-Nobelpreis und Frauen: Vor kurzem wäre wieder ein Literatur-Nobelpreisträger, höchstwahrscheinlich erneut ein Mann, bekannt gegeben worden. Wäre nicht #metoo und das Ausräumen von übergriffigen Gremiums–Mitgliedern in der für diesen Nobelpreis zuständigen Schwedischen Akademie dazwischen gekommen. Und so zeigt „Die Frau des Nobelpreisträgers" parallel zu „Colette" im Kino nebenan, nach „Mary Shelley" (letzte Kinowoche), „Die Poesie der Liebe" und „Astrid" (Lindgren), dass Schriftstellerinnen nicht nur gleichwertig, sondern eigentlich besser sind.

Konsequenterweise ist dies denn auch der Film von Glenn Close. Jonathan Pryce ist nur der eher lächerlich eitle Mann an ihrer Seite. Wie in der Fernsehserie „Damages" und in vielen ihrer Rollen übernimmt Close überzeugend die Regie. Was dem schwedischen Regisseur Björn Runge nichts nehmen soll, gewann er doch auch schon 2004 einen Silbernen Bären für sein Drama „Om jag vänder mig om". Doch um im Thema zu bleiben und dem auffordernden letzten Blick von Joan / Close in die Kamera zu beantworten, sei auch erwähnt, dass die ebenso feinen wie pointierten Dialoge aus der Feder von Drehbuchautorin Jane Anderson („Ein amerikanischer Quilt") stammen. Die Zusammenarbeit ergibt einen überraschenden und eindringlichen Film über literarische und gesellschaftliche Rollen.