29.4.09

Picasso DVD

Picasso

Regie: Henri-Georges Clouzot

Frankreich 1956

Die legendäre Dokumentation von Henri-Georges Clouzot („Lohn der Angst“, „Die Teuflischen“) erlaubt einen einzigartigen Einblick in das kreative Schaffen seines Freundes Pablo Picasso: Der Meister malt und übermalt vor laufender Kamera 20 Kunstwerke, von spielerischen schwarz-weiß Zeichnungen bis zu farbenfrohen Wandgemälden entstehen Bilder, die sich mit Hilfe der stop-motion Animation innerhalb weniger Minuten zu voller Pracht entfalten. „Picasso“ ist einer der bedeutendsten Dokumentarfilme über Kunst, die je gedreht wurden.
Dem französischen Original mit deutschen Untertiteln ist ca. 60 Minuten Bonusmaterial beigelegt, darunter auch die Dokumentation „Picassos Friseur“.    

Beverly Hills Chihuahua


USA 2008 (Beverly Hills Chihuahua) Regie: Raja Gosnell mit Jamie Lee Curtis, Piper Perabo, Manolo Cardona 91 Min. FSK: o.A.

Ein kleiner Köter mit Diamanten-Collier und Designer-Klamotten - eine Monstrosität. Dies ist
entspricht dem Film, auch eine Monstrosität mit sprechenden Hunden. Chloe ist ein verwöhnter Chihuahua mit Sozialleben und Hunde-Poolparties. Als Frauchen (Jamie Lee Curtis) den Köter der jungen Rachel (Piper Perabo) überlässt, geht das elitäre Viech  aus Beverly Hills (der Hund, nicht der Teenie) in Mexiko verloren. Nun ist die Handlung mit ungeheuer originellen Elementen wie Hundefänger und großer Flucht aus dem Hundezwinger nicht mehr zu halten. Und die Krönung all dessen: Sprechende Hunde! Das Häufchen Film sieht aus, wie in einem Disney-Park gefilmt und wie von Chappi produziert. Man sollte ein kleine Plastiktüte mit ins Kino nehmen...

Tage oder Stunden


Frankreich 2008 (Deux Jours À Tuer) Regie: Jean Becker mit Albert Dupontel, Marie-Josée Croze, Pierre Vaneck 85 Min.

Jean Becker, selbst Sohn der langlebigen Regie-Legende Jacques Becker („Goldhelm“, „Loch“), ist einer der besten unbekannten französischen Regisseure. Weil Jean Becker nur alle paar Jahre einen Film macht - aber was für einen: „Ein mörderischer Sommer“ (1983), „Ein Sommer auf dem Lande“ (1999) und „Dialog mit meinem Gärtner“ (2007) waren seine bekanntesten. Nun wieder so ein ruhiges, intensives Werk. Wie Coixets „Mein Leben ohne mich“ ein Abschied. Nur einer auf Männerart - nicht damit fertig werden und erst einmal richtig viel Mist bauen...

Antoine (Albert Dupontel) wird heute 42 Jahre alt und ist gnadenlos ehrlich. Zum Kunden, zum Geschäftspartner, zur Schwiegermutter, die er Pitbull nennt. Selbst zu seinen Kinder ist er hart und gemein, kanzelt ihre selbstgebastelten Geschenke ab. Sein unerklärliches Verhalten wird immer schlimmer, bei der Geburtstagsfeier steckt das Familien-Drama schon mitten drin in der Explosion. Eine Freundin hat ihn mit einer anderen Frau gesehen. Erst reagiert er ruhig auf die Anschuldigungen seiner Frau Cécile (Marie-Josée Croze), dann schmeißt er auch seine Ehe hin, gesteht alles mögliche. Die Überraschungsparty gerät zur Solo-Show eines Riesen-Ekels, seine Frau hält all die Verletzungen aus, all die schwer erträglichen Gemeinheiten ebenso wie unabänderliche Wahrheiten.

Aber es ist eben nicht die Wahrheit, die zeigt sich erst, als der Film mit Antoines Flucht nach Irland zur Ruhe kommt. War das schreckliche Fest mit naher Handkamera aufgenommen, beruhigt sich auch der Stil. Antoine fährt zu seinem Vater, den er viele Jahre nicht gesehen hat. Wie schon bei seinen anderen wunderbar ruhig atmenden Filmen „Ein Sommer auf dem Lande“ und „Dialog mit meinem Gärtner“ finden die Herren Frieden, wenn sie zu zweit angeln und nicht allzu viel sagen. Dann zählen weder die Grenzen des gesellschaftlichen Ranges, noch der Bildung, noch des Alters.

28.4.09

Das Festmahl im August


Italien 2008 (Pranzo Di Ferragosto) Regie: Gianni di Gregorio mit Gianni di Gregorio, Valeria De Franciscis, Marina Cacciotti, Maria Calì, Granzia Cesarini Sforza 75 Min.

Es hätte ein schöner Feiertag werden können. Es ist „Ferragosto“, Mariä Himmelfahrt, fast noch Hochsommer im August. Der Fünfziger Giovanni (Gianni di Gregorio) kauft gemütlich ein, so wie man es vom echten Italiener erwartet. Im Laden um die Ecke noch einen Kaffee, dann kurz für einen Weißen an den Wegesrand gesetzt, über die Touristen gelästert und die Seele baumeln lassen. Doch dann klopft Luigi der Hausverwalter an, zählt mit Leidensblick die Schulden Giovannis auf und bittet ihn, für den Feiertag, doch seine Mamma aufzunehmen. Luigi liefert die Mutter ab, bringt auch noch eine Tante mit, um mit einer jungen Frau wegzudüsen. Dann schaut Viking der Doktor vorbei und hat einen Notfall: Niemand kann auf seine Mutter aufpassen, während er im Krankenhaus ist...

Nun sind nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch die räumlichen Verhältnisse bei Giovanni begrenzt. Und es gibt nur einen Fernseher, was zu ganz besonderen Dramen führt. Erst versucht Luigi das Gerät von einem Zimmer zum anderen tragen, aber irgendwann sind sie alle beleidigt. Diese Damen sind Diven und gleichzeitig noch kleine Kinder. Die Diät für die Mutter des Doktors ist schon ruiniert als Giovanni das erste Mal wegschaut und die Dame sich über den Schinken her macht. Vor allem Marina, die Mutter des Hausverwalters, ist schwer beleidigt, als man ihr den Fernseher wegnimmt und schließt sich in ihrem Zimmer ein. Nächtens ist sie dann verschwunden und der erschöpfte Giovanni muss sie noch in einer Bar auflesen. Selbst als er endlich im Klappstuhl liegt, erzählt Grazia ohne Ende bis die Sonne aufgeht. Am nächsten Morgen sind die vier frischen Freundinnen schon hellwach und wollen ein weiteres Festmahl haben. Giovanni zieht wieder los zum Einkaufen ...

Giovanni erträgt all die kleinen und großen Launen mit einer Engelsgeduld. Da ist Gianni di Gregorio dann ganz nah bei Jacques Tati. Wobei das „Das Festmahl im August“ ganz authentisch und nie konstruiert wirkt. Di Gregorio hat zwar selbst, nachdem er das Buch schrieb und die Regie führte, auch die Hauptrolle übernommen (vielleicht wirkt er deshalb so glaubhaft erschöpft). Für die Damen jedoch erwählte er Laien, was das Vergnügen des Zuschauens und (in der Originalversion auch: Zuhörens) nur vergrößert. Ebenso erstaunlich wie der Film ist die Tatsache, dass Gianni di Gregorio auch das Drehbuch für den so gegensätzlichen, ernüchternden und brutalen „Gomorrha“ schrieb.

Aber hier passiert so gut wie nichts - im Maßstab von Actionfilmen und Kassenknüllern - und doch macht dieses filmische Festmahl so glücklich wie kaum ein anderer Film. Es gibt keine Schenkelklopfer, keine groben Scherze und doch schmunzelt man fortwährend. Dabei atmet „Das Festmahl im August“ die Entspanntheit von Morettis „Liebes Tagesbuch“. Einfach nur liebenswert diese kleine Kinowunder ... und lebenswert dazu.

27.4.09

Duplicity - Gemeinsame Geheimsache


USA 2009 (Duplicity) Regie: Tony Gilroy mit Julia Roberts, Clive Owen, Tom Wilkinson, Paul Giamatti 125 Min.

Der Wirtschaftsthriller "Michael Clayton" von Tony Gilroy war eine Sensation - in Story, Ästhetik, Schauspiel von George Clooney und Tilda Swinton, in der Musik, in allem eigentlich. Jetzt drehte Tony Gilroy erneut einen Wirtschaftsthriller und verlagerte raffiniert den Ton: Das Duell zwischen den von Julia Roberts und Clive Owen gespielten Spionen ist ebenso professionell wie erotisch kribbelnd. Letztendlich kann man sehen, dass sich auch diese neue Form „Romantischer Wirtschaftsthriller“ im moralischen Zentrum nicht wesentlich von "Michael Clayton" unterscheidet.

Wie schon in "Michael Clayton" ist eine Anfangsszene genial: Lächerliche Manager, die sich gleich zur Vorstellung in grandioser Zeitlupe prügeln - wunderbar! Tom Wilkinson und Paul Giamatti verkörpern die Bosse, die jede Form fallen lassen. Tom Wilkinson drehte schon in "Michael Clayton" völlig ab. Nun gibt er den neurotische Firmen-Boss Howard Tully, der in einem erbitterten Kampf mit dem Konkurrenten Dick Garsik (Paul Giamatti) steckt. Kein Konkurrenzkampf, eher ein Hahnenkampf mit viel zu viel Testosteron im Spiel. Die Spionage ist ebenso hoch gezüchtet und absurd in ihrer Paranoia wie die Gegenspionage. Der Stand der Firma wird etwa hochwissenschaftlich an den Autos auf dem Parkplatz und dem Verbrauch von Pornos gemessen! Doch die eine Firma soll eine Geheimformel entwickeln...

Als Figuren in diesem Spiel spionieren Claire Stenwick (Julia Roberts) für Tullys Burkett & Randle und Ray Koval (Clive Owen) für Garsiks Equikrom. Auf den ersten Blick. Schnell wird klar, dass Claire als Doppelagentin eigentlich auch für Equikrom arbeitet und Ray ihr Führungsoffizier ist. Doch damit ist die Doppelbödigkeit von „Duplicity“, Gilroys zweitem Film, noch längst nicht abgeklopft. In geschickt eingestreuten Rückblenden wird klar, dass Claire und Ray etwas miteinander haben. Nur was? Beim ersten Treffen waren sie noch in Staatsdiensten. Die CIA-Spionin Claire raubte dem MI6-Charmeur Ray ein paar Akten, während dieser noch selig von einer heißen Nacht träumte. Dann folgen immer wieder Begegnungen, bei denen sie erst alles leugnet und ihn gar nicht kennt, letztendlich aber immer unschuldig verführerisch fragt, wie sie es wieder gutmachen können...

Das hautnahe Spiel der beiden Doppel- und Trippel-Agenten ist nie ganz klar - selbst für sie selber nicht. Wie im lebendigen Beziehungsleben geht es immer wieder um Vertrauen, man testet sich dauernd gegenseitig und verzeiht sich irgendwann immer wieder sehr leidenschaftlich. Da Gilroy die gleichen Qualitäten in der Personenzeichnung vorzeigt, fliegen hier ganz ernsthaft die Funken. Sie spielen miteinander, mit den Konzernen und der Film spielt derweil mit den Zuschauern. Am Ende gewinnen Claire und Ray, auch wenn sie wie begossene Pudel dasitzen. Immerhin begossen mit Champagner. In der Frage, ob sich die Zuschauer nach all dem Rätselraten nicht auch an der Nase herumgeführt fühlen, taucht dann wieder der Zynismus auf, der "Michael Clayton" nur scheinbar vom liebestolleren „Duplicity“ unterscheidet.

X-Men Origins: Wolverine


USA 2009 (X-Men Origins: Wolverine) Regie: Gavin Hood mit Hugh Jackman, Ryan Reynolds, Liev Schreiber 106 Min. FSK: ab 16

Es war einmal ... so klingt dieser ganze Film über einen großen, guten Wolf: Die innerlich zerrissene Superhelden-Figur Wolverine ist bekannt aus einer Serie von Comic-Verfilmungen namens „X-Men“. Das durchlaufende Thema dieser vom Marvel-Comicverlag produzierten Geschichten ist der Kampf der „Anderen“, der mutierten Menschen, gegen die „Normalen“. Und der Kampf von zwei Mutanten-Gruppen untereinander. Die einen wollen die Durchschnittsmenschen vernichten, die anderen wollen mit ihnen zusammenleben - trotz brutaler Anfeindungen. Die Vergangenheit von Wolverine, einer der X-Men, ist Thema dieses „Spin-Offs“. Ein alter Trick der Filmproduzenten: Erfolgreiche Geschichten werden nicht nur fortgeschrieben, sondern auch in die Vergangenheit verlängert.

Es ist ein Vatermord, der den kleinen James Howlett hinaus in die Wälder und die Kriege dieser Welt treibt. Die Wut lässt aus seinen Händen scharfe Klingen erwachsen. Damit kämpft er sich mit seinem neuen Namen Logan (Hugh Jackman) an der Seite seines Bruders Victor (Liev Schreiber) durch die US-Kriegsgeschichte, bevor ihn ein hoher Militär entdeckt und mit anderen Mutanten für Spezialaufträge einsetzt. Geschichte wiederholt sich: Die (US-) Regierung schafft sich Monster, die sie nicht mehr los wird. Sei es Bin Laden oder all andere Tötungsmaschinen bei den Marines oder der Fremdenlegion.

Doch schnell erweist sich Logan als der menschlichere Mutant. Außer ihm haben alle Superhelden-Kollegen eine sadistische Lust am Töten. Da sind sie den meisten Kinozuschauern ähnlich, die sich gerade an den Szenen der Übermacht, der All-Macht über alle möglichen Feinde ergötzen. Jahre später arbeitet Logan als ehrlicher Holzfäller, während andere Mutanten mit Zirkustricks überleben.

Wie so oft wird der Mord an der großen Liebe auch für Logan zum Auslöser der Veränderung. Er macht aus dem gezähmten und domestizierten Mann ein rasendes Tier, das sich an Victor rächen will. Denn diesmal ist der Bruder des Wolfes selber ein Wolf, ein gefährlicher, zynischer Killer. (Liev Schreibers Figur Victor stellt sich, wie schon im Superstart der letzten Woche „Defiance“, gegen seinen Bruder und kämpft auf der Seite der Unmoralischen.) Die Veränderung im Wesen Logans begleitet eine im Körperlichen: In einer aufwendigen und aufwendig inszenierten Operation werden die Knochen des unsterblichen Mutanten durch unzerstörbares Adamantium ersetzt. Aus Logan wird Wolverine.

Nicht nur in den Einzelszenen gibt es sehr viele Ähnlichkeiten zur Geburtssaga eines anderen Superhelden: Darth Vader in „Star Wars III“. Das ist für die Fans sinnvoll als Teil des Comic-Epos X-Men, als eigenständiger Film funktioniert es so gerade mal. Der Kampf des Guten im Herzen des Wolfes gegen die Gewalt und das Böse in ihm und in der Menschheit ist einfach und rührend. Dies wird Sympathiequelle für die Figur Wolverine bleiben. Die reichlich vorhandene Action ist wie erwartet, ist nie wirklich spektakulär. Neue Figuren mit neuen Super-Eigenschaften gibt es ein paar, aber auch das reißt nicht vom Kinosessel.

Wirklich originell war, dass ein Mitarbeiter der Filmproduktion schon früh eine unfertige Vorversion (workprint) in die Öffentlichkeit und ins Internet brachte, was die ganze Piratenjagd der Filmindustrie mit der Verteufelung des Publikums ad absurdum führt. Viele Szenen waren noch als Rohgerüst der Animation zu sehen, bei den Stunts hingen die Schauspieler oft noch an nicht retouchierten Drahtseilen.

22.4.09

Cadillac Records


USA 2008 (Cadillac Records) Regie: Darnell Martin mit Adrien Brody, Jeffrey Wright, Gabrielle Union 109 Min.

„Cadillac Records“ ist eine Geschichte um Menschen, um schillernde Menschen. Aber vor allem dreht es sich um den Blues, der immer noch lebt und immer wieder neu erfunden wird, etwa von Jack White, und der gerne filmisch von Verehrern wie Scorsese und Wenders gewürdigt wird.

Auch TV-Regisseur Darnell Martin legt in seinem dritten Kinofilm viel Leidenschaft an den Tag: „Cadillac Records“ hat grandiose Bilder von den Aufnahmen der Felder im Süden Mississippis in denen der historische Musik-Ethnographen Alan Lomax Stimmen aus dem Volke festhält, bis zu den dunklen Stimmungen des Clubs. Das berühmte Plattenlabel "Chess Records" beginnt mit einem Kuriosum. Denn in den Fünfzigerjahren der USA war es mehr als befremdlich, dass ein Weißer einen Club oder gar ein Plattenlabel für die „schwarze“ Bluesmusik hat. Leonard Chess (Adrian Brody) ist Sohn polnischer Einwanderer und entdeckt die Blues-Legend Muddy Waters. Wie alle seine späteren Star-Musiker bekommt auch Waters erst einmal einen Cadillac - daher der Filmtitel „Cadillac Records“.

Die Geschichte des legendären Labels erzählt sich im Folgenden über die Musiker, die immer wieder von Chess entdeckt werden. Howlin' Wolf liefert sich immer ein Duell mit Muddy, der Harmonika-Spieler Little Walter kämpft mit sich selbst und seinem zu großen Ego. Chuck Berry sprengte nicht nur die Grenzen der Hitparaden-Rassentrennung, sondern stieg auch als Schwarzer in die Rock‘n‘Roll Charts ein. Zuletzt kommt Etta James hinzu, der eigentlich sehr treu verheiratete Leonard Chess schließt vor allem sie in sein Herz.

Zeitweise wird dieses große Stück Musikgeschichte recht selbstgerecht, satt wie das erfolgreiche Chess-Label. Aber es gibt auch immer wieder sehr starke Szenen, vor allem zwischen Etta James und Chess. Neben dem perfekten Look gefallen die Darsteller: Adrien Brody, Jeffrey Wright als Muddy Waters, Eamonn Walker als Howlin' Wolf und Beyoncé als Etta James.

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt


Frankreich, Kanada 2008 (Mesrine: L'ennemi Public N° 1) Regie: Jean-François Richet mit Vincent Cassel, Cécile de France, Gérard Depardieu 114 Min. FSK: ab 16

Noch ein Kino-Gangster? Nicht ganz: Im Originaltitel steht der Name Mesrine ganz vorne und in Frankreich wissen wesentlich mehr Leute, um wen es sich dabei handelt: Jacques Mesrine war Mörder, Bankräuber, Entführer und legendärer Ausbrecher, der 1979 von der Polizei in Paris auf offener Straße erschossen wurde. Und Jacques Mesrine war Autor einer Autobiografie! Völlig frei von jeglicher Bescheidenheit rühmt er sich in dem 1977 im Gefängnis verfassten „Der Todestrieb“ seiner insgesamt 39 Verbrechen - im Alter von 40 Jahren! Das Buch war ein Erfolg, der Verbrecher wurde zum Popstar und so musste zwangsläufig ein Film folgen. Ein gewaltiger und gewalttätiger ohne Zweifel. Ob die Verlängerung dieser Glorifizierung asozialer Brutalität so kritiklos erfolgen musste, ist jedoch sehr zweifelhaft. „Mordinstinkt“ ist dabei nur Teil 1, „Public Enemy No. 1 - Todestrieb“ folgt als Fortsetzung am 21. Mai.

Jacques Mesrines „Karriere“ beginnt im Algerien-Krieg mit der Folter. Der einfache Soldat Mesrine (Vincent Cassel) schafft es nicht, das Kind des Gefolterten umzubringen, in Panik erschießt er lieber direkt den Gefangenen. Diese Szene soll vielleicht - als eine von wenigen - die spätere Gewalt begründen. Wie die Amerikaner in Vietnam, so zogen auch die Franzosen sich ihre Psychopathen in einem Kolonialkrieg heran. Nur in Frankreich wurde der „Krieg ohne Namen“ lange verschwiegen und verdrängt. (Der Konflikt mit den Vätern, die als Kollaborateure der Deutschen aktiv waren, wird ebenfalls angedeutet und die Konkurrenz der Gangster setzt den Rassismus fort.) Doch dann das läuft im Film alles eher gradlinig durch. Der entlassene Soldat macht mit einem Freund den ersten Bruch, lernt den Gangster-Boss Guido (Gérard Depardieu) kennen und entwickelt sich schnell zum aggressiven Schläger, der seine Probleme immer auf die brutalste Weise löst. Der Film hält sich dabei nicht zurück. Genauso leidenschaftlich, wie das Blei in die Körper versenkt wird, lässt er die Kugeln ausführlich und langsam aus dem Arm ziehen. Jacques versucht es immer mal mit ehrlicher Arbeit, ganz ernsthaft. Doch das schnelle Geld reizt mehr. Als ihn seine spanische Ehefrau daran hindern will, misshandelt er sie und droht ihr mit seiner Pistole im Mund. Glücklich wird der gute Jacques erst später mit einer Frau, die ihn versteht: Mit Jeanne Schneider, einer Frau, die ebenso brutal wie er zuschlägt, auch gerne raubt und ihn heftig liebt. Das ist dann „Bonnie and Clyde“, ganz ohne Motiv, nur die Eitelkeit und die Selbstüberheblichkeit von Mesrine begründen die Verbrechen. Man muss sich schon die private Sorge hinzudenken, die Mesrine haben muss, als Gegner ihn unter Feuerhagel nehmen, während er mit seiner Tochter spazieren geht.

Vincent Cassel passt mit seinem brutalsten Gesicht in diese Mesrine-Show, denn der Selbstdarsteller ist kein sympathischer Held, kein guter Kerl auf Abwegen. Cécile de France beeindruckt erneut und sehr wandlungsfähig. Auch ansonsten sieht der Film sehr gut, sogar richtig cool aus. Die Kostüme und Sets geben ein Feeling der Zeit, die DS von Citroen darf wieder Gangster-Karosse sein. Regisseur Jean-François Richet spielt mit Splitscreens und Spiegeln während Mesrine mit Leben spielt. Das könnte man im Sinne von Tarantino als respektlose Kino-Kunst (oder Pulp) goutieren, es muss einem aber nicht schmecken.

C'est la vie - So sind wir, so ist das Leben


Frankreich 2008 (Le premier jour du reste de ta vie) Regie: Rémi Bezançon mit Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Déborah François 112 Min. FSK: ab 12

Man muss der Zeit mutig ins Gesicht sehen - eine Minute, einen Tag, ein Leben lang. Im Spiegel und im Film. Mit Fotos, die das Leben einer Familie und seine Vergänglichkeit begleitet wird, beginnt dieser ambivalente Familien-Film. Der französische Taxifahrer Robert Duval (Jacques Gamblin) und seine Frau Marie-Jeanne (Zabou Breitman) haben drei Kinder. Fünf Duval, fünf Durchschnitts-Franzosen, von denen fünf Episoden im Laufe von zwölf Jahren erzählen. Aber über Rückblenden wird immer ein ganzes Leben erzählt, und das in fünf verschiedenen Stilen, deutlich anders für jede Einzelperson.

Im August 1988 zieht der älteste Sohn Albert (Pio Marmaï) aus und in ein kleines Zimmer im Miethaus seines Großvaters. Albert hat genug von der Familie, seine erste Nacht im eigenen „Appartement“ endet direkt mit einem Kuss. Darauf wird eine langjährige Beziehung und schließlich - in einer späteren Episode, die dem Vater gilt - die Erkenntnis von Selbstentfremdung und Leere im eigenen Leben. Fünf Jahre später wird Grunge-Tochter Fleur Duval (Déborah François) 16 Jahre alt und jeder vergisst es. Sie fällt auf die Fassade eines Freundes mit seinem Rock-Gehabe rein und schläft das erste Mal mit ihm. Diesen Moment, der Beginn von viel selbstzerstörerischem Sex, fängt der Film tief treffend in einer poetisch schönen, sehr einsamen und sehr verletzenden Szene ein. Es ist einer dieser handvoll Momente, die den Film unbedingt sehenswert machen.

Schmerz, Verlust und Abschied bleibt Thema auf der berührenden Seite dieses ebenso komischen wie traurigen Films. Die Erinnerungen des Großvaters, seine Zeit in der Ressistance, das Kennenlernen seiner Frau und der Schmerz über deren Tod - das alles steckt für ihn im Geschmack eines Weines. „C'est la vie“, oder: „Der erste Tag vom Rest deines Lebens“, wie der Originaltitel übersetzt lautet, beantwortet dies mit dem Leben des Enkels im Zeitraffer, als Traum, als Albtraum. Diese Episode vom jüngsten Sohn Raphaël (Marc-André Grondin, „Che: Part Two“, „C.R.A.Z.Y.“) ist reichlich wild, passend für den Rocker. Beim Luftgitarren-Wettbewerb sind jedoch vor allem die Grimassen des Vaters preiswürdig. Raphaëls Liebe zur Gitarristin Moira bleibt unerfüllt, auch wenn er sich sechs Jahre später im Traum an die Nummer erinnern kann, die ihm damals entflogen ist.

Freude und Schmerz, Trauer und Neuanfang sind sehr dicht beieinander in die Episoden eingewoben. Die Duvals sind eine sehr chaotische Familie, das Film ist nicht ganz entscheiden, ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist - aber damit hat das Leben an sich ja auch so seine Schwierigkeiten. Die Übergänge und Rückblenden gelangen dabei ungemein elegant. Die Zeit, die vergeht, wird auch festgehalten von den Fotoserien der Mutter, die spät noch ein Studium aufnimmt. Immer ist Musik dabei, „C'est la vie“ ist in seinen besten Momenten stark als Film und stark als Musikgeschichte. Da röhrt Janis Joplin ihr „Summertime mitten im Kunstschnee-Winter. The Divine Comedy sucht mit „In Pursuit of Happiness“ mutig melancholisch das Glück mit. Lou Reed besingt „A perfect day“. Es sind sehr passende Songs, irgendwie genau die Songs, die man an den jeweiligen Stellen erwartet. Wie im artverwandten, etwas runder gelungenen kanadischen „C.R.A.Z.Y.“ darf auch David Bowie aufspielen. Und wenn man es skeptisch betrachtet, sind es auch genau die Momente, von denen solche Filme oft erzählen. Ganz knapp gesagt hieße das Klischees. Aber dieses „Leben“ hat auch immer wieder seine ganz grandiosen, umwerfenden und tief berührenden Momente, die man sich in der richtigen Stimmung nicht entgehen lassen sollte.

Unbeugsam ­ Defiance


USA 2008 (Defiance) Regie: Edward Zwick mit Daniel Craig, Liev Schreiber, Jamie Bell, Alexa Davalos, Allan Corduner, Mark Feuerstein 137 Min.

Es ist eine unglaubliche Geschichte, wie drei Brüder es unter der deutschen Besetzung Ostpolens schafften, mit hunderten anderer Juden jahrelang in den Wäldern zu überleben. Der eindringliche und ernsthafte „Defiance“ schafft es, eine Ahnung vom Unfassbaren, vom Unbegreiflichen zu geben.

Es ist keine Geschichte von Schindler, John Rabe oder einem anderen „Retter“. Die der Brüder Bielski ist eine Geschichte, von Juden, die sich selbst gerettet haben. Und eine Antwort auf die ignorante, aber angesichts der Gnadenlosigkeit des Mordens immer wieder auftauchende Frage „Warum haben die sich denn nicht gewehrt?“. Weil zum Beispiel die deutsche Wehrmacht und die folgenden Mordkommandos 1941 unvorstellbar brutal schon in den ersten Tagen der Invasion der Sowjetunion 50.000 Juden ermordet haben. Weil die nicht-jüdischen Polen oft nur zu bereitwillig die Nachbarn ausgeliefert haben. So wurden auch die Eltern der Bielski-Brüder niedergemetzelt. Die Bauern und Schmuggler fliehen in die dichten Wälder rund ums Dorf, die sie wie ihre Westentasche kennen. Bei der Suche nach Nahrung finden sie nur immer mehr verstörte Flüchtlinge, die Grausames erlebt und Angehörige verloren haben. Nun erhalten die ungebildeten Brüder Anerkennung, doch die Konkurrenz zwischen den älteren Tuvia Bielski (Daniel Craig) und Zus (Liev Schreiber) gefährdet auch den Zusammenhalt der Waldbewohner. Als Tuvia schließlich auch in Ghettos gezwungenen Juden anbietet, mit ihnen im Wald zu leben und viele ihm folgen, wechselt der wütende Zus zu den Soldaten der Roten Armee, die als Partisanen in den Wäldern leben und kämpfen. Und die Tradition des Antisemitismus pflegen...

Im Streit zwischen dem ruhigeren, nachdenklicheren Tuvia und dem provokanten, aufbrausenden Zus steckt auch die Frage, wie jeder einzelne mit dem Töten umgeht. Da ist der notwendige Widerstand, der das Gewissen nicht ausschaltet. Auf der anderen Seite sind Gewalt und Rache, die drohen, sich zu verselbständigen. Die Rache am antisemitischen Mörder des Vaters macht sich der Film nicht leicht: Die Frau des lokalen Polizeichefs, die Tuvia als einzige Überlebende ihrer Familie um den Tod anfleht, zeigt, dass das Leid so nicht enden wird. Der Idealist Tuvia raubt Nahrungsmittel von den Bauern der Umgebung, versucht den Mundraub aber gerecht zu organisieren.

Die historischen Details um die realen (vier) Bielski-Brüder sind umstritten, aber was für „Unbeugsam – Defiance“ zählt, sind Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit, mit der Edward Zwick („Blood Diamond“, „Der letzte Samurai“) erzählt. Die Nachrichten von Toten und Massakern, der unerträgliche Hunger, die Kälte sind fühlbar. Dabei erlaubt sich der Film nur ein paar Momente, in denen Heldentum überhöht wird, etwa wenn Tuvia als Ritter auf weißem Pferde auftritt, bei dessen Anblick ein Kind erstaunt fragt, ist er wirklich ein Jude? (Wenn man sich vorstellt, was Tarantino mit seinen „Inglourious Basterds“ in Cannes präsentieren wird, ist man für diesen Rückhalt an Ernsthaftigkeit umso dankbarer!) Der Überlebenskampf ist vor allem von Daniel Craig sehr, sehr eindrucksvoll gespielt. Das Waldleben mit seinen Sonderlichkeiten, mit Wald-Ehefrauen, mit den philosophischen Gesprächen zwischen einem Lehrer und einem Journalisten darf auch mal für Humor sorgen, der jüngste Bruder Asael (Jamie Bell) erlebt eine unschuldige Liebesgeschichte und eine wunderschöne Hochzeit im Schnee, heftig unterschnitten mit Bildern der Gewalt. Während der rettende Wald durch die Bilder von Eduardo Serra eine eigene Rolle erhält, berühren am meisten die geradezu utopischen Szenen der Hoffnung, die abgerissenen Judensterne am Fluchtloch aus dem Getto, die geradezu biblisch gelungene Querung eines Sumpfes. „Unbeugsam – Defiance“ kann wie „Der Zug des Lebens“ eigentlich kein Happy End haben, aber der bewegende Film zeigt vor allem auf seiner gesellschaftspolitischen Ebene eine großartige Vision der Gemeinschaft von Starken und Schwachen.

19.4.09

Trauzeuge gesucht


USA 2009 (I Love You, Man) Regie: John Hamburg mit Paul Rudd, Jason Segel, Rashida Jones 105 Min. FSK: ab 12

Manchmal reicht in Hollywood eine Idee für einen Film und zig Millionen. Ein Hai in einer Ferienbucht. Ein Bus, der nicht abbremsen darf. Ein Liebespaar auf der Titanic. Und viele andere, einfach überzeugende Ideen. Bei denen die sorgfältige Ausführung allerdings öfters ausfällt. Diesmal, bei der angeblichen Komödie „Trauzeuge gesucht“ gibt es keine Ideen, keinen Grund und überhaupt erscheint die Geschichte ziemlich sinnlos. Mit zig Millionen sieht es aber wenigstens nach einer Geschichte aus.

Peter Klaven ist der perfekte Ehemann. Alles stimmt, das Aussehen, das Einkommen, der Humor, der Sex ... einfach alles. Als Peter und Zooey heiraten wollen, sieht der Film ein Problem: Peter hat nur Freundinnen, er kann keinen männlichen Trauzeugen aufweisen. (Der schwule Bruder zählt irgendwie nicht mit.) Nun will der brave Peter auch das richtig stellen und begibt sich auf eine alberne bis verzweifelte Suche nach einem Freund. Da müssen erst einmal mögliche Liebhaber ausgeschlossen werden, dann Langeweiler oder zu alte Männer. Mit dem Lebenskünstler Sydney Fife landet Peter einen Volltreffer, muss aber erst lernen, wie man mit einem Freund umgeht.

„Trauzeuge gesucht“ erweist sich tatsächlich als krampfartige Verlängerung der peinlichen „Pie“-Pubertärfilmchen, er probiert zwanghaft cool und witzig zu sein. Die Beziehung des Paares ist nicht nur vernachlässigt, sie ist völlig unglaubwürdig: So kennt seine Frau nicht seine Lieblingsband Rush, weiß nicht einmal, dass er Bass spielt! Der größte Gag ist selbstverständlich, wenn sich die beiden Freunde trennen - genau, wie es ein Pärchen machen würde. Und dann das Happy End in letzter Minute, die Aussprache ... wie bei einer Romantischen Komödie. Nur ersetzt man die Frau durch den besten Freund. Die Moral der Geschichte: Filmidee gesucht.

Kopf oder Zahl


BRD 2009 (Kopf oder Zahl) Regie: Benjamin Eicher und Timo Joh. Mayer mit Ralf Richter, Claude-Oliver Rudolph, Heinz Hoenig, Martin Semmelrogge 94 Min.

Mit der Erzählperspektive einer sorgenden Mutter wird der Krimi um Drogen, Menschenhandel und Prostitution emotional ganz einfach geerdet. Es geht seit der ersten Szene um das Überleben eines 12-jährigen Jungen. Sein Vater kommt nach vielen Jahren aus dem Gefängnis, alte Rechnungen werden nicht korrekt beglichen, ein Drogen-Deal geht schief, der korrupte Polizist Ron (Ralf Richter) versucht sich auf der falschen Spur zu bereichern und der tschetschenische Arzt Milos (Heinz Hoenig) arbeitet in Berlin illegal für das vermeintliche Studium seiner Tochter Valerie (Saskia Valencia), die aber längst drogenabhängig für den gleichen Gangsterboss Richie (Mark Keller), der auch ihn bezahlt, auf den Strich geht.

Eine ganze Menge Drama und Schicksal für die 24 Stunden des Films. Dabei tritt gleich eine Sammlung deutscher Eichenschränke mit Action-Diplom auf, bei denen man eigentlich weiß, was man in die Fresse kriegt. Ralf Richter, Claude-Oliver Rudolph und Heinz Hoenig - weniger Martin Semmelrogge - wurden sicher wegen ihrer zugkräftigen Namen zum Projekt geholt. Sie können aber auch schön mit ihren Rollenklischees spielen.

Dass das Leben manchmal vom Wurf einer Münze abhängt, hatten zuletzt die Coens bei „No Country for old Men“ mit einem diabolischen Javier Bardem als Anton Chigurh sehr pessimistisch dargestellt. Um die heftige Sozial-Action von Benjamin Eicher und Timo Joh. Mayer zwischen Coen und Kieslowski („Der Zufall möglicherweise“) etwas genauer zu verorten, könnte man sie deutsche Tarantinos oder Guy Ritchie-Imitatoren nennen. Doch dabei übersieht man wieder das Eigene der Film-Autoren, „Kopf oder Zahl“ ist gerade nicht Einerlei in deutscher Kopie.

Der Potsdamer Platz mit den Raben über der Stadt hat etwas von den Kunsthimmeln Wong Karweis. Die Atmosphäre bedient sich gelungen bei der Hauptstadt-Architektur (Kamera Marcus Stotz), vor allem das Sounddesign setzt gute Akzente. Die Schwächen beim Schauspiel werden kreativ durch wilde Montage und gute Rhythmuswechsel aufgefangen. Der Film vermeidet konsequent klare Bilder. Die Dialoge sind allerdings ebenso wie bei Uwe Boll unterirdisch! Da müssen die Regisseure und Autoren dringend jemand anderen dran lassen. Dabei wirkt die düster hoffnungslose Stimmung nicht nur aufgesetzt wie in einem Peter Fox-Song. Wenn hier „alles vom braunen Staub bedeckt ist“, dann schmeckt das bitter, sehr bitter.

Die Geschichte liefert dazu schön viele zynische Noten. Wenn der am Boden zerstörte Afghane am Ende einen Schein von seinem Drogengeld als Almosen erhält, wenn die Medien-Tusse, die immer gegen Ausländer hetzt, sich aber einen schwarzen Immigranten als Liebhaber hielt, genau von dem verlassen wird. Da kommt die deutsche Fahne nicht ohne Hintersinn unter die Räder. Und nicht zuletzt ist die getürkten Münze des Kleingangster Sammy Grundlage für ein falsches Spiel.

Während zwei Polizisten in schwarz und weiß vielleicht klischeehaft für gut und böse stehen, siegt bei „Kopf oder Zahl“ ganz unkonventionell einmal die Kreativität über das dumme Nachäffen.

15.4.09

Drei Affen


Türkei, Frankreich, Italien 2008 (Üç Maymun) Regie: Nuri Bilge Ceylan mit Yavuz Bingöl, Hatice Aslan, Ahmet Rifat Sungar, Ercan Kesal, Cafer Köse 109 Min.

Das Türkische Kino existiert in Deutschland in zwei Welten: Da gibt es zum einen die populären und meist äußerst simplen Kassenschlager, die in Originalversion die Türken in Deutschland begeistern sollen. Und es gibt die Meisterwerke des internationalen Autorenkinos, unter denen in den letzten Jahren der Fotograf und Regisseur Nuri Bilge Ceylan hervorstach. Er erntete bei den wichtigsten Festivals Hauptpreise und begeisterte auch mit einer sehr persönlichen Art des Filmemachens, das immer wieder auch die gesamte Familie mit Ehefrau und Eltern als Schauspieler einschließt. Für die „Drei Affen“ wurde Ceylan bei den Filmfestspielen in Cannes 2008 mit einer Palme als bester Regisseur ausgezeichnet, obwohl viele Stimmen meinten, sein vierter Spielfilm sei der am wenigsten typischen „Cylan“.

Die Geschichte beginnt mit einem kleinen Unglück, legt die Basis eines Thrillers und entwickelt sich zu einer großen moralischen Parabel, zu einem bösen Spiel um den Wert von Recht und Gerechtigkeit: Ein Auto überfährt nachts auf einer Landstraße einen Menschen. Der Fahrer, der Politiker Servet (Ercan Kesal) leitet nun eine ganz besondere Form von Fahrerflucht ein. Er überredet seinen Chauffeur Eyüp (Yavuz Bingöl), die Schuld auf sich zu nehmen. Der schwere, grobe Mann mit den unergründlich tiefen Augen nimmt das Angebot an - oder folgt er der Anweisung? Das Drama nimmt auf jeden Fall seinen Lauf: Während Eyüp eine neunmonatige Haftstrafe im Gefängnis verbüßt, beginnt ausgerechnet Servet ein Verhältnis mit Eyüps Frau Hacer (Hatice Aslan). Deren Sohn Ismail (Ahmet Rifat Sungar) entdeckt die Affäre und verpasst seiner Mutter erst einmal richtig machohaft eine Ohrfeige. Zuvor zeichnete er sich durch die Faulheit eines Pascha und durch eine gut europäische Scheiß-egal-Haltung aus. Als Eyüp aus dem Knast kommt und wieder seine Eherechte einfordert, nimmt das Drama seinen Lauf und es hat noch einige Überraschungen in der Hinterhand.

Nury Bilge Ceylan erzählt seine bodenständig angesiedelte, aber im moralischen äußerst raffinierte Geschichte in vielen Episoden, bei denen man sich selbst ein Bild machen kann. Er selbst findet immer wieder zu enorm starken Bildern: So entdeckt man erst am Ende das Haus der Familie als einsamen Monolith am Meer, eingeschlossen von Gleisen und von der Straße. Nach den ausgezeichneten “Uzak” und “Iklimler” schaffen es die “Drei Affen”, die wie alle Beteiligten des Films nichts hören, sehen, sagen wollen, in einem großen Finale die Geschichte einer kommunikationslosen Familie psychologisch stimmig zusammenzuführen. Dieser stillere
Film wirkt auch mit großartigen Schauspielern, mit Hatice Aslan als türkischer Rossellini und mit Yavuz Bingöl, der einem groben Klotz die Augen von Clooney gibt. Man muss sich fragen, wieviel die Freiheit wert ist in diesem Land. Das patriarchale System funktioniert erst, wenn die Politiker tot sind - so könnte die Moral der Geschichte sein. Aber hat sie überhaupt (eine) Moral?

13.4.09

Forbidden Kingdom


USA, VR China 2008 (The Forbidden Kingdom / Gong Fu Zhi Wang) Regie: Rob Minkoff mit Jackie Chan, Jet Li, Michael Angarano, Liu Yifei, Collin Chou 104 Min.

Ist Jason nur ein „weißer Junge“, der Kung Fu lernen will, um die Mädchen zu beeindrucken? Die Frage stellt ein alter chinesischer Händler (Jackie Chan) dem amerikanischen Jungen. Viel steckt scheinbar nicht in ihn, denn ohne große Skrupel hilft Jason kurz darauf einer Gang, den alten Chinesen zu überfallen. Dieser wird erschossen und auch Jason blickt in die Mündung der Pistole. Um - ohne große Erklärungen - in China aufzuwachen. Mitgenommen bei diesem seltsamen Sprung durch mehrere Dimensionen hat der Kung Fu-Fan einen goldenen Stab, der im Zentrum des asiatischen Filmmärchens steht. Dereinst war der Affenkönig (Jet Li) mit dem Stab unbesiegbar, bis der heimtückische Jadekriegsherr ihn reinlegte. Nun ist der unsterbliche Affenkönig versteinert und der Stab schwirrt durch die Weltgeschichte. Jason soll ihn zurück bringen, begleitet vom Komödianten und Krieger Drunken Fist (Jackie Chan), einem schweigenden Mönch (wieder Jet Li) und der schönen Kämpferin „Goldener Sperling aus dem Süden“ (Liu Yifei), die von sich und ihrem Leid nur in dritter Person reden kann. Als böse Gegenposition tritt eine ebenso junge Hexe mit weißen Haaren auf. Bald wird wild gefochten und geflogen - Zickenkrieg nicht nur für US-Teenager.

Wie Jason in China landet und nach ein paar Minuten Chinesisch versteht, hat was von der Simplizität, die Disney-Spielfilmen seit Jahrzehnten anhaftet. „Forbidden Kingdom“ erzählt eine kleine Geschichte, die auf bewährte Elemente vertraut. Dadurch wirkt alles trotz heftigem Computer-Einsatz recht altbacken. Überraschendes wird hier zu keiner Zeit geboten. Die liebvollen Verweise von den Bruce Lee-Postern bis zu Hong Kung Fui erweisen dem Kungfu-Film und seiner Legende Bruce Lee die Ehre. Als Nachfolger treten Hong Kong-Hero Jet Li und Action-Clown Jackie Chan auf und zu. Ein Film mit zwei Superstars müsste eigentlich eine Goldgrube sein, wenn man zwei unterschiedliche Zielgruppen einfach zusammenwerfen könnte. Doch diese US-Produktion mit reichlich asiatischen Zutaten verlässt sich auf Slapstick-Kung Fu für den internationalen Markt. Es gibt haufenweise Effekte, einfache Tricks, die das richtige Hong Kong-Kino längst überflügelt hat. Das ist zwar (von chinesischen Spezialisten) immer noch schnell, immer noch raffiniert choreographiert, in den Kampf-Sequenzen aber auch immer eher albern. Die Bilder wurden sorgfältig von einem asiatischen Kameramann aufgenommen. Die Geschichte entstammt einer Hollywood-Routine. Die Musik klingt schon mal nach Western wenn die Truppe beritten aus dem Bordell in den Bambus-Wald springt. So bleibt eigentlich die Langeweile am stärksten in Erinnerung, die zugreift, wenn Jason in der Ausbildungsroutine steckt, die mühsam die lange, vor alle für die Zuschauer beschwerliche Reise zum Finale füllen soll.

Liebe auf den zweiten Blick


USA 2008 (Last Chance Harvey) Regie: Joel Hopkins mit Dustin Hoffman, Emma Thompson, Kathy Baker 93 Min. FSK: o.A.

Eine Romantische Komödie mit Dustin Hoffman und Emma Thompson muss einfach gut sein. Müsste! Wenn es nicht eine bewusst gemächliche Geschichte, ein übermäßig kalkuliertes Projekt und ein Film für Schwerhörige oder Gefühlstaube wäre. Trotzdem ist es in besten Momenten doch noch ein Film mit den überzeugenden Dustin Hoffman und Emma Thompson.

Schön und ganz schön edel wird er vorgestellt der reife Komponist an seinem glänzenden Piano, das sein konzentriertes Gesicht bei der Arbeit spiegelt. Erst ein paar Minuten später wird klar, dass Harvey (Dustin Hoffman) hier in New Yorker Werbejingles schreibt. Sehr geschäftig teilt er am Telefon allen mit, dass er nun nach London zur Hochzeit seiner Tochter fliegt, aber pünktlich zurück sein wird, um den Job zu vollenden. Dabei wird er eigentlich nicht mehr gebraucht, hat verpasst, dass er längst ersetzbar geworden ist.

Parallel lernen wir in London Kate (Emma Thompson) kennen. Sie ist um die 50, macht am Flughafen Passagierumfragen und wir von ihrer Mutter mit regelmäßigen Handyanrufen terrorisiert. Hauptthema: Kate braucht endlich einen Mann! Doch die selbstbewusst wirkende Jungfer hat sich im Singleleben ganz gut eingenistet.

Die Parallelhandlung verspricht es und nach zwei Fast-Begegnungen passiert das, wo der Film sowieso schon die ganze Zeit drauf hinläuft: Sie treffen sich endlich wirklich. Allerdings nicht, ohne dass uns der Film das Elend dieser beiden einsamen Menschen deutlich gemacht hat: Harvey lebt von seiner Tochter und Ex-Frau entfremdet, wird in London weit von der Familie einquartiert und bei den Feierlichkeiten am Katzentisch platziert. Der Stiefvater darf hingegen die Reden halten und Harveys Tochter zum Traualter führen. Während dies alles sehr traurig ist, vergisst der Film zu erzählen, was Harvey eigentlich von Frau und Tochter entfremdet hat. Schade, das hätte die Figur interessanter gemacht.

Kate ist einfach einsam, damit wir dies verstehen, erleben wir ein verunglücktes Blind Date mit. Die geniale Schauspielerin Emma Thompson spielt die vereinsamte ältere Frau mit verhuschter Körperhaltung, mit tapsigen kleinen Schrittchen und vorgebeugtem Oberkörper. Ziemlich überzogen also. Dass Harvey und Kate zusammen kommen müssen ist klar, der Originaltitel „Last Chance Harvey“ (Letzte Chance für Harvey) drückt viel mehr die Verzweiflung aus, die eine Romanze im zweiten Frühling unerlässlich macht.

Alles wirkt hier sehr konstruiert, überdeutlich. Man könnte dem Film zugute halten, dass seine Hauptfigur ein Werbe-Komponist ist, und dass die Geschichte mit den brachialen Mitteln der Werbung immer wieder ganz ganz dicke Klangteppiche auslegt, wo sowieso schon alles klar ist. Und wenn man gedacht hat, jetzt ist alles abgehakt, was zu so einer sentimentalen Komödie gehört, legt der Film noch eine furchtbar dramatische Herzattacke drauf und irgendwie erwartet man, dass Hoffman als später Reifeprüfung mit einem Porsche zur Hochzeit rast. Das passiert zum Glück nicht auch noch, aber es gibt ein paar Momente in denen die Musik sich zurückhält, Hoffman und Thompson einfach spielen dürfen und dann verzeiht man dem Rest einiges.

8.4.09

Knowing


USA, Australien 2008 (Knowing) Regie: Alex Proyas mit Nicolas Cage, Chandler Canterbury, Rose Byrne 122 Min.

Nicolas Cage kann gut das besorgte Gesicht machen, das man braucht, um ein Flugzeug, eine felsige Insel  oder gleich die ganze Welt zu retten. Diesmal muss er seiner Retter-Mimik eine ganz besondere Bitterkeit beimischen. Ein trauriger Clou, der nicht verraten wird, denn diese Mischung aus Science Fiction, spannendem Mystery und tragischem Familiendrama kann man sich ruhig anschauen. Ruhig, bis auf ein paar grandiose Action-Höhepunkte. Diese besonderen Volltreffer des Regisseurs Alex Proyas sollte man sich als Fan hingegen unbedingt ansehen.

Der Astrophysiker John Koestler (Nicolas Cage) hadert mit seinem Leben und projiziert sein persönliches Drama in das Universum: Ist es Bestimmung oder Zufall, dass sich die Erde in einem perfekten Abstand zur Sonne dreht, der es nicht zu warm und nicht zu kalt sein lässt für unsere Lebensform? Gibt es einen Sinn hinter dem Tod seiner Frau bei einem Hotelbrand? Und ist es ein Zufall, dass eine scheinbar wirre Zahlenreihe, die ein verstörtes kleines Mädchen vor 50 Jahren auf einen Zettel kritzelte ausgerechnet bei einem Wissenschaftler landet?

Über eine Zeitkapsel, die an der Schule seines Sohnes Caleb ausgegraben wird, kommt John Koestler zu dem Zahlen-Zettel. Und in einer - packend montierten - Nacht entschlüsselt der Wissenschaftler die Ziffern als exakte Koordinaten von schrecklichen Katastrophen: Datum, Zahl der Opfer und geographische Koordinaten sind genau aufgezeichnet worden - lang bevor sich die Unglücke ereigneten! Und das Erschreckendste: Drei Katastrophen stehen noch aus...

Klar, dass niemand dem trauernden Wissenschaftler glaubt, selbst als er mitten in den Trümmern des vorhergesagten Flugzeugabsturzes steht. Nicht so klar ist, was es mit den grauen Männern auf sich hat, die Caleb sieht und die in seinen Kopf hinein flüstern. Aber ganz schön schauerlich, denn wir haben in der Rückblende miterlebt, was diese Stimmen aus dem Mädchen gemacht haben, die einst die Zahlenreihen schrieb.

Kritische Menschen mögen die Handlung, deren beste Kapriolen hier verschwiegen werden, als ziemlich hanebüchen bezeichnen. Aber „Knowing“ ist so gut Inszeniert, dass kritische Gedanken vor lauter Begeisterung über die Bilder, gutes Spiel und einige grandiose Szenen gar nicht aufkommen. Verantwortlich dafür ist als Roman-Autor Ryne Douglas Pearson, der auch die Romanvorlage zu "Das Mercury Puzzle" schrieb. Regisseur Alex Proyas darf nach dem Action-Leerlauf "I, Robot" mit Will Smith wieder zu den düsteren Qualitäten von "Dark City" zurückkehren.

Die ästhetischen Qualitäten der wortwörtlich wegreißenden Katastrophenszenen sind sehr beeindruckend. Die apokalyptischen Visionen sind eigentlich zu schön, um für die Menschheit endgültig zu sein. Und so ist es Nicolas Cage gegönnt, dass er seiner Weltenretter-Mimik dank des ungewöhnlichen Endes eine ganz besonders tapfere Bitterkeit bemischen darf.

Die Jagd zum magischen Berg


USA 2009 (Race to Witch Mountain) Regie: Andy Fickman mit Dwayne „The Rock“ Johnson, Anna Sophia Robb, Ciarán Hinds 98 Min.

Bruce Willis rettete einst als Taxifahrer in New York „Das fünfte Element“ und brachte Science Fiction, Action und Humor in seinem knallgelben Gefährt unter. Damals bediente sich die Geschichte beim Comic-Gott Enki Bilal und Luc Besson führte Regie. Nun sitzt Dwayne „The Rock“ Johnson am Steuer, ein unbekannter Andy Fickman führte Regie, Disney produzierte und bediente sich sehr eifrig in der Kramkiste gebrauchter Filmideen. Eine Mischung aus Humor, Science Fiction und Action ist „Die Jagd zum magischen Berg“ auch. Nur halt als „Familienfilm“.

Jack Bruno ist als Taxifahrer in Las Vegas unterwegs. Ihn wundert nichts mehr, doch die Fähigkeiten der zwei braven Teenager, die in sein Taxi einsteigen, erstaunen ihn mächtig. Die Außerirdischen haben eine Mission zu erfüllen und brauchen ausgerechnet die Hilfe eines ehemaligen Boxers und Rennwagen-Fahrers. „Die Jagd“ geriet tatsächlich recht atemlos, da bald nicht nur Geldeintreiber, sondern auch ein Billig-Terminator und die böse Regierung - siehe „E.T.“ - hinter Jack her sind.

„Die Jagd zum magischen Berg“ ist so vollgepfropft mit Handlung und reichlich bekannten Genre-Elementen, dass keine Zeit zum Nachdenken und Kennenlernen der Figuren bleibt. So zeigt sich eher ein Action- als ein Jugendfilm, den man altmodisch von Disney erwartet. Während hier das Abheben der E.T.-Kinder nur ein Gähnen hervorruft, bildet genau das gleiche Handlungselement in einem anderen Film der heutigen Startwoche eine gewaltige und gelungene Überraschung. In welchen Film - das wird nicht verraten. Wie gesagt: Überraschung ist das Zauberwort, an dem dieser Hexenkessel aufgewärmter Ideen arg arm ist.

Nach seinem Schwarzenegger-Nachbau "Daddy ohne Plan" kann Dwayne „The Rock“ Johnson auch als Bruce Willis-Nachbau nicht überzeugen. Es wirkt ziemlich unlogisch, dass Außerirdische im Kampf gegeneinander die Hilfe eines Taxifahrers brauchen, der im Stile der Steinzeit mit dem Knüppel in der Hand agiert!

Die Ludolfs - Der Film


BRD 2009 (Die Ludolfs - Der Film) Stefan Vaupel, Tobias Streck, Matthias Benzing 90 Min.

So ein Schrott - könnte man sich über den Verfall der TV- und in Folge auch der Kinokultur aufregen, aber bis auf ein paar Filmkritiker muss ja niemand die zerdehnte Dämlichkeit schauen. Richtig deprimiert wird man allerdings angesichts der Tatsache, dass so ein Schrott die Kinos verstopft und wunderbare Werke wie der Bosnische „Snow“ oder der dänische „Bedingungslos“ nicht zu sehen sind.

Es sind Proleten. Es sind ungepflegte, unschöne und ziemlich beschränkte Messis. Die vier Brüder Ludolf wären eigentlich ein Sozialfall, sind aber in heutigen Zeiten „kultiges“ Material für den Sozial-Voyeurismus, der sich auf den Privatsendern unter dem Mäntelchen der Hilfsbereitschaft ausbreitet. Der eine schläft meist, auch im Sitzen. Der andere raucht, frisst und telefoniert manchmal mit Kunden, die sehr viel Geduld haben müssen. Und die beiden anderen Idioten schlachten im dauernden Redefluss Autos aus. Fett sind sie alle vier. „Die Ludolfs“ waren eine Kuriosität, die einst sogar öffentlich-rechtlich begann und sich in der nunmehr sechsten Staffel seit einer Weile auf DMAX ausbreitet.

Schon bei der Familien-Dokusoap „Die Fußbroichs“ war zu beobachten, dass die Regie mit allen Mitteln versuchte, den Menschen vor der Kamera ihre Würde zu lassen. Aber höchst freiwillig machten sich auch die Kölner damals zum Affen. „Die Ludolfs“ treiben das Entblöden auf die Spitze. Selbstverständlich ist dieser „Film“ längst keine Dokumentation mehr, bestenfalls ein Reenactment, ein Nachspielen absurder Szenen. So sind die Szenen teilweise aus vier, oft technisch schwierigen Einstellungen aufgenommen. Das heißt, die Ludolfs sind nicht mehr Menschen, denen man nicht unbedingt nahe kommen möchte, sie sind auch jetzt sehr uninteressante Selbstdarsteller.

Dabei ist nur erstaunlich, dass sich die Ludolfs jahrelang als vierfache Vorlage fürs Fremdschämen inklusive heftiger Hautreaktionen treu blieben. Noch immer kann einem auf den ersten Blick schlecht werden. Und das liegt nicht an den Tapetenmustern der vollgemüllten Schrotthandlung. Diese Brüder entsprechen in Aussehen und Debilität voll dem Klischee einer inzestuösen Brut. „Die Ludolfs“ liefern Unterschichten-Kino nicht für die Popcorn- sondern für die Kotz-Tüte.

„Die Ludolfs - Der Film“, dieser vorgebliche Film, ist eigentlich ein Best-Off, das DMAX unter diesem Namen selber auf seinem Sender anbietet. Da so eine Wiederholung der immer gleichen Handlungen und Dummheiten nicht mal 10 Minuten trägt, geschweige denn eine Kinofilmlänge, musste Handlung her. Bemüht inszeniert wird die Idee einer Italienreise aus dem Gedächtnisschatz der ständig verehrten Eltern herbei gezwungen. (Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass die Eltern nicht verstorben, sondern angesichts dieser Nachkommen tatsächlich nach Australien abgehauen sind.) So bemüht sich die Regie in sehr wenig spontanen Szenen um Aufbruchsstimmung, Reiseimpressionen und einen anderen Hintergrund. Doch die Autofahrt über die Alpen verläuft sehr vernebelt und selbst an der Adria oder in Venedig bleiben die Ludolfs sich selbst treu: Sie zeigen das, was man von der Menschheit wirklich nicht sehen will. Selbst ob sich jemand des sarkastischen Widerspruchs zu Goethes mit Kultur vollgepfropfter „Italienreise“ bewusst ist, bleibt fraglich.

Nur ein Gedanke macht Hoffnung: Könnte sich vielleicht mal ein Ordnungsamt drum kümmern, dass die Herren ihren Schrott sichtlich auf Wald- und Wiesenboden lagern, in dem das Öl wunderbar versickern kann? Und auch das groß inszenierte Abfackeln eines Altautos sollte doch zur Schließung der Autoverwertung und damit zum Ende dieses Serien-Elends gereichen.

1.4.09

Monsters vs. Aliens


USA 2009 (Monsters vs. Aliens) Regie: Rob Letterman , Conrad Vernon, 94 Min.

Schon in den ersten Bildern, wenn eine Fliegende Untertasse das fischende Markenzeichen-Männlein von Dreamworks wegbeamt und das Filmmaterial mit dem Bonanza-Effekt wegschmilzt, wird der schwarz-humorige Ton des Kinderfilms gesetzt: „Mars Attacks!“ attackiert hier die Lachmuskeln. Der Kampf gegen Außerirdische, die uns nur Böses wollen, vollzieht sich diesmal digital animiert und zielt vor allem auf die Kino-Kids.

„Der Tag an dem die Erde stillstand“ ist noch gar nicht so lange her. So kann man sich vor allem an den Riesen-Roboter erinnern, der alles menschliche Leben vernichten sollte. Den gibt es auch hier, bei „Monsters vs. Aliens“ allerdings in einer fast niedlichen Form, eher einer Kinder-TV-Show entsprungen als den unendlichen Weiten des Weltalls. Von der ersten Alien-Attacke wird Susan Murphy kurz vor ihrer Hochzeit getroffen und verwandelt sich darauf in eine 20-Meter-Frau. Eingesperrt in einem Spezialgefängnis der US-Regierung für besondere Kreaturen lernt sie einen frechen Eidechsen-Affen, einen ziemlich dämlichen Blubb, eine Riesenlarve und den insektenköpfigen Professor Dr. Kakalake kennen. Der entstammt ganz klar dem Science Fiction-Klassiker „Die Fliege“ und überhaupt gibt es den ganzen Film durch ein Wettrennen der Abteilung Zitate mit der Witz-Abteilung.

Beim nächsten Einschlag eines Alien kommt die Riesenfrau mit ihren Superkomischen-Helden zum Einsatz: Ein Riesenroboter landete und der „Erste Kontakt“ durch den Präsidenten wird zum Fiasko. Zwar beherrscht er den Spock-Gruß, aber die Kommunikationsversuche per Heimorgel, die Francois Truffaut in Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, vorspielte, gleitet nun in einen Disco-Hit ab - zum Ärger der Aliens.

Die weiße Frau in King Kong-Format kämpft mit einer Truppe, die den „Men in Black“ entwischt ist, gegen den „Krieg der Welten“. Die Monster entstammen teilweise in schöner Tradition den billigen japanischen Godzilla-Filmen, die schon in der Mockumentary „Der große Japaner“ in den verrücktesten Formen Wildwuchs trieben. Auch musikalisch wird eifrig zitiert und parodiert bis hin zur Erkennungsmelodie von „Star Wars“. Der sehr reiche Zitatenschatz und -scherz wird von Anfang an extrem rasant erzählt. So schnell wie die Armee-Hubschrauber immer zur Stelle sind, fliegen einem auch die Scherze um die Ohren. Da bleibt nicht viel Zeit für Charakterzeichnung und der Film kann sich nicht mit artverwandten Pixar-Animationen oder dem „Shrek“-Monster aus dem Hause Dreamworks messen. Ganz zu schweigen von Volltreffern wie „Ice Age“.

Dafür gibt es in dem für den neuen 3D-Markt erstellten Animationsfilm reichlich 3D-Gimmicks. Das gewohnte Dialog-Muster von Schuss und Gegen-Schuss wird ersetzt durch eine neue Raumerfahrung: So oft wie möglich schwebt ein Gegenstand oder eine Figur vor einem Hintergrund, damit der 3D-Effekt möglichst deutlich wird. In den noch vorherrschenden 2D-Kinos sieht das eher seltsam aus. Doch was sieht eigentlich nicht seltsam aus in diesem kurzlebigen Trickfilm-Spaß?
sion!

Diese Nacht


Frankreich, BRD, Portugal 2008 (Nuit De Chien) Regie: Werner Schroeter mit Pascal Greggory, Jean-François Stévenin, Marc Barbé 118 Min.

Werner Schroeter ist bereits Film-Legende: 1945 in Georgenthal , Thüringen, geboren, begann er seine Filmkarriere mit experimentellen Werken. Ein bestimmendes Element für den Film-, Theater- und Opern-Regisseur blieb seine Liebe zur Musik und die große Verehrung der Callas. Am bekanntesten wurde seine Ingeborg Bachmann-Verfilmung „Malina“ (1990) mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. Nach der wunderbaren Dokumentation „Abfallprodukte der Liebe“ (1996), in der alte Opern-Diven von Jugend träumen, drehte er zuletzt „Deux“ (2002), erneut mit Isabelle Huppert, diesmal in einer Doppel-Hauptrolle zweier bei der Geburt getrennter Zwillingsschwestern. Im letzten Jahr erhielt der schwerkranke Regisseur in Venedig einen Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Aber auch den Spezialpreis der Jury für seinen neuesten Film „Diese Nacht“.

„Diese Nacht“ ist die dunkle Nacht einer Diktatur, eines Bürgerkriegs in einer utopischen Stadt - unverkennbar Lisabon. Der Arzt und Widerstandskämpfer Ossorio Vignale (Pascal Greggory) kehrt zurück, sucht eine vergangene Liebe. Dabei trifft er zwischen unklaren Frontlinien auf alte Kampfgenossen, Gegner und Verehrerinnen. Dass ein Regime stürzt, ein geheimnisvoller Diktator seine Fäden zieht und ein Kind gerettet werden muss, fällt unter Handlung. Aber „Diese Nacht“ ist vor allem Atmosphäre, Stimmung, das Gefühl einer verflossenen Epoche. Der einzigartige Kunstmensch Werner Schroeter verbindet Perlen europäischer Kultur mit den Abgründen europäischer Geschichte. Die Nacht der Hunde ist ein Streuen durch Elend und Verfall, es ist die Auflösung eines Jahrhunderts komprimiert auf ein paar Stunden.

John Rabe


BRD, Frankreich, Volksrepublik China (John Rabe) Regie: Florian Gallenberger mit Ulrich Tukur, Daniel Brühl, Steve Buscemi 134 Min

Dass Oskar Schindler ein „guter Deutscher“ in der Nazi-Zeit war, durfte der Jude Steven Spielberg in seinem epochalen und erschütternden Spielfilm „Schindlers Liste“ zeigen. Das Bild der Retters, den die Gedenkstätte Jad Vashem in Jerusalem als "Gerechten unter den Völkern" aufnahm, blieb ambivalent. Denn dieser Industrielle handelte aus einen Gemisch von Motiven - Menschlichkeit wird mit dabei gewesen sein. Nun kramte man noch weiteren „guten Deutschen“ aus, den Siemens-Ingenieur John Rabe. Während der Belagerung der chinesischen Stadt Nanking im Jahre 1937 rettete der stramme Nazi 200.000 Chinesen - unter dem Zeichen des Hakenkreuzes!

Schon lange leitete John Rabe (Ulrich Tukur) ein Stromwerk in Nanking, mit Pedanterie, Disziplin und dem Glauben, selbst Chinesen könnte man etwas Intelligenz anerziehen. Rabes Abberufung steht kurz bevor. Dass die Japaner bereits einige chinesische Städte brutal erobert haben, hält er für Propaganda. Immerhin sind sie „Achsenmächte“, Alliierte auf dem Wege zur faschistischen Weltherrschaft. Doch bald stehen Truppen vor Nanking und es wird klar, dass auch diese Herrenmenschen in ihrem Rassenwahn Krieg noch unmenschlicher betreiben, als er an sich schon ist.

Ohne wirkliche Begeisterung lässt sich der Weltreisende, Abenteurer und Ingenieur John Rabe zum Leiter einer Schutzstadt wählen. Das internationale Komitee besteht federführend aus dem deutsch-jüdischen Diplomaten Dr. Rosen (Daniel Brühl), einer französischen Schulleiterin und dem britischen Arzt Dr. Wilson (Steve Buscemi), der keinen Hehl daraus macht, wie sehr er die Nazis hasst.

Während der ersten Bombenangriffe lässt Rabe geistesgegenwärtig eine riesige Hakenkreuz-Fahne hissen und sofort lassen die Flieger vom Firmengelände ab. So scharen sich erst die eigenen Arbeiter - ganz wie bei Schindler - und deren Angehörige unter den Schutz des Nationalsozialismus, später drängen sich über 200.000 Menschen in einer erweiterten Schutzzone, die von den Japanern widerwillig akzeptiert wird.

In einigen dramatischen Situationen gilt es immer wieder, Menschen zu retten und die Brutalität der japanischen Herrenmenschen zu erleiden. Die Trennlinie zwischen Gut und Böse ist so scharf wie die Grenze der Schutzzone und so simpel wie Propaganda. Es ist erschreckend, wie wenig kritisch dieser „Held“ geschildert wird. Ulrich Tukur spielt ihn gut, man leidet mit dem trauenden, immer dramatischer zuckerkranken Rabe.

Während die Film-Fachpresse den Kampf um die internationalen Rechte an NS-Vergangenheitsbewältigung diskutiert und sich fragt, ob die „Ausländer“ das auch richtig machen, führt Oscar-Gewinner Florian Gallenberger (für seinen Kurzfilm „Quiero ser“) ernüchternd der Gegenbeweis: Die Geschichte des strammen Nazis John Rabe ist nicht nur dumme Glorifizierung einer zwiespältigen Figur, sie fiel auch viel zu lang und sehr bedenklich aus. Kann man so einen tapferen, nationalistischen Helden zeigen, der rettet, während seine Parteigenossen in Deutschland zur gleichen Zeit mit dem gleichen Eifer, Menschen foltern, morden, verfolgen und in Konzentrationslager stecken? Da helfen auch Alibi-Szenen mit Daniel Brühl als Botschaftsangehörigem mit jüdischer Abstammung nicht: So naiv sollte man auf keinen Fall Geschichte nachschreiben.