11.5.11

Abends in Cannes ist Midnight in Paris - Cannes Eröffnungsfilm

Midnight in Paris

 

Meisterliche Star-Romanze zur Cannes-Eröffnung 2011

 

Von Günter H. Jekubzik

 

Cannes. Abends in Cannes ist Midnight in Paris. Diese Verschiebung der Zeitzonen ist nicht nur ein Wortspiel sondern der Clou in Woody Allens romantischer Komödie „Midnight in Paris". Der beste Film des New Yorkers seit sehr langem ist Science Fiction und ein wunderbares Retrofestival für alle Kulturmenschen. Wie schon bei „Vicky Cristina Barcelona" kreierte der Ortswechsel eine Inspiration für Allen. Wieder gerät ein junges Paar kurz vor der Hochzeit auf Abwege. Nur diesmal ist „sie" in Paris Ines die materialistische Langweilerin und „er" der nostalgische Träumer.

 

Gil Pender (Owen Wilson), ein recht erfolgreicher Drehbuch-Autor, findet in Paris seinen alten Traum, ein richtiger Schriftsteller zu sein, wieder. Während die Verlobte Ines mit den republikanisch konservativen Eltern shoppen geht, gerät der Romantiker, der von einer anderen Zeit träumt, genau in diese: Glockenschlag Mitternacht fährt ein Peugeot-Oldtimer vor und bringt Gil in die Goldenen Zwanziger, mitten in das Leben der Boheme, genauer der „Moderns". Ein Festival der Kunstgrößen beginnt, bei dem jeder Auftritt in der schon mit großen Andrang und neugieriger Aufgeregtheit erwarteten Pressevorführung bejubelt wurde: Adrien Brody gibt Dalí, Kathy Bates als Gertrude Stein berät Gil bei seinem Roman, ein herrlich lächerlicher Macho-Hemingway steckt dem Zeitreisenden, das seine Verlobte wohl ein Verhältnis habe. Über das Schreiben und das Sterben spricht man mit Scott Fitzgerald, während Cole Porter „Let's Fall in Love" spielt. Derweil verliebt sich Gil bei seinen allabendlichen Besuchen in der Vergangenheit in Adriana (Marion Cotillard), die Muse für Modigliani, Braque und aktuell für Pablo Picasso war.

 

Der junge Mann aus Kalifornien ist nachhaltig verwirrt von dieser Liebe quer durch die Zeiten, während ihm seine Verlobte ein Haus am See mit Kanu am Steg schmackhaft macht. Das einmalig erstaunte Gesicht Wilsons sorgt für viel Spaß. Allen selbst schwelgt mit „Midnight in Paris" in einer vermeintlich besseren Zeit, der schon Alan Rudolph seinen Film „The Moderns" widmete. Das „Golden Age-Syndrom", das Träumen von (kulturell) besseren Zeiten, bekommt eine überraschende Wendung, als Gil und Adriana während eines romantischen Moments von einer Kutsche in die Belle Epoque entführt werden – ihre Traum-Epoche. Der Träumer kommt zu der sehr nüchternen Woody Allen-Einsicht, dass die eigene Zeit immer als langweilig betrachtet wird, weil man halt in ihr leben muss. Er wird aber trotzdem mit einem Happy End belohnt – um Mitternacht in Paris.

 

Die Cannes-Premierengäste wurden mit einem wunderbaren Film belohnt, der im Wettbewerb direkt Top-Favorit wäre. Der – bei Redaktionsschluss noch unsichere - Auftritt von Carla Bruni-Sarkozy ist dabei schnell vergessen, ebenso wie ihre kleine Rolle als Führerin im Rodin-Museum angesichts eines, wie bei Allen üblich, hochrangigen Schauspieler-Ensembles. Zwar gelang ihm und der Cannes-Leitung ein besonders cleverer Besetzungs-Coup. (Was macht eigentlich die Schwester, die geniale Schauspielerin und sehr eigene Künstlerin Valeria Bruni Tedeschi?) Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht Teil der nationalen Filmförderung wird, Familienmitgliedern des Staatsoberhauptes eine Rolle zu geben. Merkels Gatte in „Inglorious Basterds 2"? Ach nee, das wäre ja Frau Wulff in „Tattoo 2", vielleicht doch eine witzige Idee...

 

Der echte und ernste „comédien", wie die Franzosen Schauspieler nennen, Owen Wilson ist jedenfalls einfach großartig. In Gils/Wilsons Sprache und Gestik steckt eine Menge Woody Allen. Der sich immer wieder neu erfindende Komödien-Regisseur erzählte denn auch von einer ähnlichen Situation nach dem Dreh von „What's new Pussycat?!" in den Siebzigern, indem er erstmals spielte und auch das Drehbuch schrieb. Einige vom Team blieben nach dem Dreh in Paris, Allen meint im Nachhinein, er hätte nicht den Mut dazu gehabt. Zum Glück für alle, die nun den romantischen Science Fiction „Midnight in Paris" genießen dürfen. Dessen These, die Gegenwart sei künstlerisch langweilig wiederlegt sich schnell - wenn man in Cannes Filme sieht.