27.2.12

Shame

Großbritannien 2011 (Shame) Regie: Steve McQueen mit Michael Fassbender, Carey Mulligan, James Badge Dale 100 Min. FSK ab 16

Michael Fassbender, der zurzeit vielleicht beste Schauspieler im englischsprachigen Raum, brilliert nach seiner Rolle als eher verklemmter Carl Gustav Jung in Cronenbergs „Eine dunkle Begierde" in Steve McQueens „Shame" (Schande) ganz anders, nämlich als sozial vereinsamter Sexsüchtiger. Das intensive Drama und sein genialer Hauptdarsteller waren Topfavoriten in Venedig und sind eine unbedingte Kino-Empfehlung.

Der New Yorker Brandon (Michael Fassbender) ist beruflich und bei den Frauen sehr erfolgreich. Ein gut aussehender, bestens bekleideter und auf den ersten Blick sympathischer Mann. Der allerdings jede Beziehung verweigert, einen hohen Verschleiß an Prostituierten hat und sowohl die Festplatte als auch seine Schränke voller Pornos. Beim Job überspielt Brandons Chef und Kumpel die Vermüllung des Computers. Zu Hause wird dies derart erotisierte aber einsame Leben kompliziert, als sich Brandons Schwester Sissy (Carey Mulligan aus „Alles, was wir geben mussten" und „An Education") bei ihm einquartiert. Sissy ist ihm sehr ähnlich und ebenso einsam, nur sie gesteht sich diesen Scherz ein. Haltlos torkelt sie durchs Leben, erbittet Hilfe vom großen Bruder, der darauf schnell schroff reagiert. Weil ihm hier jemand den Spiegel vorhält und schmerzliche Erinnerungen aufwühlt.

Gleichzeitig nimmt Brandon die Störung zum Anlass, es noch mal mit einer „normalen" Beziehungen zu versuchen. Das Date mit der Arbeitskollegin geht grandios schief, noch verletzender für die ahnungslose Frau gerät ein zweiter Versuch. Die Verzweiflung Brandons hat sich inzwischen im Mark des Publikums festgesetzt. Der selbstzerstörerische Trip eines vereinsamten Sexsüchtigen hat etwas vom erbarmungslosen Sog in „Requiem for a Dream" des Regisseurs Darren Aronofsky. Während sich einige Szenen mit viel nackter Haut skandalisieren ließen, stellt im Miterleben jeder neue Akt eine weitere Stufe der Qual Brandons dar. Sein extrem verzerrtes Gesicht auf dem Höhepunkt der Lust wird zum Schmerzensschrei.

Niemand anderes als Michael Fassbender traut man diese extreme Darstellung eines selbstauferlegten Martyriums zu. Der in Heidelberg geborene und in Irland aufgewachsene Sohn einer irischen Mutter und eines deutschen Vaters, begeisterte schon in McQueens Erstling „Hunger" als IRA-Kämpfer Bobby Sands im Hungerstreik. Er gilt nicht erst seit seinem Auftritt als Magneto in „X-Men. Erste Entscheidung" als eine der größten Leinwand-Sensationen. Mit „Shame" setzt der britische Künstler und Turner-Preisträger Steve McQueen dem staatlichen Gefängnis in „Hunger" die Fesseln extremer Freiheit entgegen. Brandon kann machen was er will - und geht daran zugrunde. Das Meisterliche dieses Films liegt aber in seiner Vielschichtigkeit und Offenheit: Er lässt sich nicht auf diese Grundzüge reduzieren, Gedanken über die Zukunft von Körperlichkeit in zunehmend digitalisierten Gesellschaften kommen unweigerlich auf.

Michael Fassbender erhielt in Venedig den Preis als Bester Hauptdarsteller, verdient. Denn auch im Vergleich zu seinen Rollen in „Inglourious Basterds", in Jane Eyre" oder demnächst in Soderberghs Action „Haywire" entgleitet dieses schauspielerische Chamäleon dem Wiedererkennen. Nicht vergessen sollte man Carey Mulligan als in ihrer Schwäche starker Gegenpart bei diesem extrem mitnehmenden und eindrucksvollen Gefühls-Film.