20.2.12

Glück

BRD 2011 R: Doris Dörrie mit Alba Rohrwacher, Vinzenz Kiefer, Matthias Brandt, Oliver Nägele 112 Min.

Es ist ein seltsames Zusammentreffen. Nicht das vom deutschen Punk und dem osteuropäischen Flüchtling Irina. Das von der Regisseurin Doris Dörrie, die in ihrem reichen Werk gerne mal Triviales und Esoterisches auf die Leinwand bringt, und dem Juristen Ferdinand von Schirach, der vor allem in seinen Kurzgeschichten „Verbrechen", einen ganz eigenen, fast sarkastisch distanzierten Blick auf Schicksale hat. Das passt in „Glück" zeitweise, aber gute Szenen erweisen sich als flüchtig wie das titelgebende Gefühl.

„Kein Mensch ist illegal" sprühte jemand an die Wand, an der Irina (Alba Rohrwacher) vorbei schleicht. Die Osteuropäerin lebt ohne Aufenthaltsgenehmigung in Berlin, nachdem ein grausamer Bürgerkrieg über ihr (nicht näher bestimmtes) Land hineinbrach. Wie Dörrie das Glück in ein rotes Mohnfeld und dicken Honig eintauchen lässt, wie sie die soldatische Brutalität von Morden und Vergewaltigen in wenigen Szenen dagegen setzt, ist ganz großes emotionales Kino. Da steht der Schock des Unglücks dem von Jolies „Land of Blood and Honey" in nichts nach. Wir nehmen den Schmerz der Rückblenden mit nach Deutschland, da bräuchte es gar nicht der Selbstverletzungen, die sich Irina immer wieder zufügt, um die unerträgliche Erinnerung mit Nadelstichen tief in die eigenen Schenkel zu übertönen. Auch hier ist Alba Rohrwacher der Trumpf des Films: Wie schon in „Die Einsamkeit der Primzahlen" verkörpert sie innere Qualen derart eindringlich, dass man sich sogar Sorgen um die italienische Schauspielerin macht.

Dass ein schwer traumatisiertes Vergewaltigungsopfer wie Irina jetzt ausgerechnet als Prostituierte arbeitet, ist nicht ganz naheliegend. Doch man kann Dörrie zugute halten, dass von Schirach ja echte Fälle in seinen Geschichten verarbeitet. Es wird sowieso wichtiger, wie Irina den obdachlosen, blonden Punk Kalle mit seinen sehr blauen Augen kennen lernt. Kalle ist ein spaßiger, lieber Kerl, ein großer Junge, der nachdem sein Hund überfahren wird, mit in Irinas Billighotel an der S-Bahnstrecke zieht. Es folgt eine Menge Glück, die längste Strecke in dem sehr wechselhaften Film. Vielleicht sogar zuviel Glück für die Geduld des Zuschauers. Da helfen auch die eingestreuten philosophischen Gedanken zum Thema Glück nicht drüber hinweg. Bei der eigentlichen Pointe wird er allerdings wieder hellwach sein. Kalle beweist seine Liebe auf eine Weise, die Dörries eigene Figur „Die Friseuse" als härtesten Splatter bezeichnen würde. (Für echte Splatter-Fans ist dies jedoch Kinderkram.) Ziemlich blutig, aber auch süß und witzig. Auf jeden Fall ein Fall für den Anwalt, der Irina in der ersten Szene angefahren hat...

Dörries neuer Film ist vor allem eins: Wechselhaft. Mit einigen guten, einer eindrucksvollen und vielen netten Szenen stellt sich doch insgesamt kein guter Film ein. Ein paar Momente sind zu dick, ein paar zu dünn aufgetragen, vor allem hätte man alles anders gewichten sollen. Doch auch wenn des Verleihers Theater wegen Nichtbeachtung im Berlinale-Wettbewerb noch mal negativ auf den auch schwachen Film zurückfällt, man kann sich ruhig etwas „Glück" in netten Momenten erlauben.