15.2.12

Berlinale 2012 Film zu verkaufen - der EUROPEAN FILM MARKET

Von Nana A.T. Rebhan

Frierend stehe ich vor der Tür des Martin-Gropius Baus und betrachte die ebenfalls frierenden Raucher, deren Finger von der eisigen Kälte (minus zehn Grad) bereits blau angelaufen sind. Ich warte auf den Fotografen, der meine Mission begleiten wird. Ich bin eine Filmemacherin aus Berlin, habe „Berlin: Hasenheide", einen unabhängigen Independentfilm gedreht, der mehrere Monate lang im ältesten Kino Deutschlands, dem Moviemento zu sehen war. Nun versuche ich, Finanzierung für mein neues Projekt „Welcome Goodbye", aufzutreiben, einen Dokumentarfilm über Tourismus in Berlin, ein gerade heiß diskutiertes Thema der Hauptstadt. Heute werde ich versuchen, auf dem European Film Market weiterzukommen in Sachen Finanzierung.

Schnell rufe ich mir noch mal die Fakten ins Gedächtnis, die ich über den European Film Market weiß: Er wurde 1978 gegründet, zehn Jahre später wurde Beki Probst seine Leiterin. Die resolut charmante Dame benannte die Filmmesse in „European Film Market" um und ließ ihn unter ihrer Führung zu einem der drei wichtigsten Filmmessen weltweit werden, neben Cannes und dem amerikanischen Independentmarkt AFM, der in Hollywood stattfindet. Der European Film Market ist so etwas wie das Barometer der Branche, weil er als erstes im Jahr stattfindet.

Doch mich beschäftigt gerade eher das Thermometer im eisig kalten Berlin. So, endlich drin. Von Berlinalemitarbeitern in seltsam antik anmutenden Capes wird erst mal meine Akkreditierung eingescannt. Ohne irgendeine Akkreditierung kommt man hier gar nicht rein, denn die große Filmfamilie will ja unter sich bleiben. Der Markt ist keine Publikumsveranstaltung.

Das kann man schade finden, denn innerhalb werden hier in neun Tagen über 700 Filme in über 1000 Screenings gezeigt. Diese Filme laufen aber nicht zur Unterhaltung der über 7000 Akkreditierten auf fast 100 Ländern, sondern sie sind Teil des Geschäfts. Hier wird ge- und verkauft, wie auf einem richtigen Markt eben. Die richtig großen Deals werden aber meist nicht auf dem wuselig anmutenden Markt geschlossen, sondern vor oder hinterher. Der Markt selbst ist eher so etwas wie ein Treffpunkt, ein Marktplatz an dem Produzenten, Verkäufer, Verleiher, Einkäufer und Finanziers zusammen kommen. Kommunikation wird da ganz groß geschrieben.

OK, ich bin bereit. Ich werde mich hineinwerfen in den bunten Trubel des Geschehens, und mein Anliegen vorantreiben. Meine erste Anlaufstation ist die runde Infobox im Foyer: Hier sitzen den ganzen Tag lang freundliche Mitarbeiterinnen die alle, wirklich alle Fragen beantworten und sich richtig Mühe geben. Ich frage sie, wie ich als deutsche Filmemacherin Leute finde, die mir bei der Finanzierung meiner Projekte behilflich sein können. Sie drücken mir einen „Exhibitors Guide" in die Hand und schicken mich in die im Prospekt grün markierte Fläche 17, im Erdgeschoss. Dort gibt es einen ganzen Raum, der nur dem deutschen Film gewidmet ist. Er ist riesig. Ich will lieber nicht darüber nachdenken, wie viel Independent Dokumentarfilme man für die Mietkosten drehen könnte, da wird mir schwindlig.

Der Raum ist unterteilt in verschiedene Bereiche, die jeweils ihren eigenen Counter besitzen, einen für Filmförderungen der verschiedenen Bundesländer, einen für German Films, einen für die AG Dok und einen für Kurzfilme. Ich steuere erst mal die Filmförderung an. Da ich in Berlin wohne, werde ich von der freundlichen Frau am Counter an die Mitarbeiterin vom Medienboard Berlin Brandenburg verwiesen. Claudia Sauer erklärt mir, dass es sehr sinnvoll ist, bereits einen Produzenten, ein Treatment oder Exposé zu haben, bevor man mit ihr einen Termin vereinbart. Habe ich eigentlich, aber jetzt nicht dabei, also vereinbaren wir, uns nach der Berlinale zu treffen.

Am Stand von „German Films" spreche ich mit Martin Schering, dem „Projektcoordinator der German Shorts".
German Films vertritt die deutschen Filme im Ausland, insbesondere auf Filmfestivals. Sie geben vierteljährlich "German Films Quarterly" heraus, ein englischsprachiges Magazin, das Überblick gibt über deutschen Filmneuerscheinungen und über Filme, die gerade gedreht werden. 6.000 Exemplare werden vierteljährlich in alle Welt verschickt. Aber da soll nun gespart werden. In Zukunft werden gut 2.000 Exemplare auf Festivals mitgenommen, das wars dann. Interessant, auf jeden Fall, sie zahlen auch Zuschuss für Untertitelung, wenn der Film auf einem Festival eingeladen wird. Sehr schön das, aber erst mal muss meiner gedreht werden...

Ich ziehe weiter zur AG Dok, der Arbeitsgemeinschaft für Dokumentarfilm. Michael Würfel, selbst Dokumentarfilmer betreut den Stand seit einigen Jahren. Er strahlt eine freundliche Solidarität aus, die Mut macht. Jeden Tag schreibt er von seinem Laptop am Stand aus einen Emailnewsletter, den er an alle Mitglieder schickt, erzählt von Projekten die deutsche Koproduktionspartner suchen. Stolz zeigt er mir ein Poster das hinter ihm an der Wand befestigt ist. Der film heißt "The Cuban Waves"- dem Regisseur konnte er 2011 einen deutschen Koproduktionspartner vermitteln.

Er zeigt mir auch einen Flyer von "Oma & Bella", von einem Dokumentarfilm der in der Reihe „Kulinarisches Kino" läuft und der mit Hilfe von Crowdfunding über Kickstarter finanziert wurde. Der Film suchte 18.000 Dollar und bekam über 44.905 $. - eine Erfolgsstory. Er habe der schüchternen Regisseurin ihre Handynummer abgeluchst, erzählt er mir, damit er ihr Kontakte weiterleiten kann. In den letzten beiden Tagen waren schon zwei Filmfestivals an ihrem Film interessiert. Ja, ja hier geht alles um Kommunikation.

Als ich schon weiterziehen will, kommt ein Amerikaner an den Stand und fragt, wie er Geld von Deutschland bekommen kann. Er hat auf dem Aufsteller vor dem Stand gelesen, dass Deutschland jährlich 520.000.000 Euro in Filme investiert, und dass es 250 Fernsehslots für Filme gibt. Deutschland das Filmparadies? Würfel muss lachen, und klärt auf: auch in Deutschland müssen viele Filmemacher hart darum kämpfen, dass ihre Filme gefördert werden. Würfel selbst kann ein Lied davon singen. Enttäuscht zieht der junge amerikanische Produzent mit schwarzem Hut wieder ab. Das hat er sich anders vorgestellt.

Und was rät Michael Würfel mir? An der Wand gleich neben seinem Laptop hat Würfel einen Zettel mit Test festgeklebt, tägliche Veranstaltungen des EFM (European Film Market) in Zusammenarbeit mit dem EDN (European Documentary Network), die täglich stattfinden. Jeden Tag von 14 bis 15 Uhr gibt es die Gelegenheit, verschiedene Verleiher aus ganz Europa zu treffen, und ihrem Verleihkonzept zu lauschen. Schon gut, aber dazu braucht man erstmal nen fertigen Film.

Was kann ich jetzt noch Sinnvolles auf dem Markt erledigen? Auf der Rückseite des täglichen EFM Screening Schedule finde ich eine Anzeige: EFM Industry Debates. Heute gibt es eine Veranstaltung zum Crowdfunding - wie man die Onlinecommunity dazu bringt, mitzuhelfen, bei der Finanzierung, der Promotion und dem Verleih des Films.

Das klingt gut, da muss ich hin. Moderiert wird die Veranstaltung von Scott Roxborough vom Hollywood Reporter. Seltsam eigentlich, dass Crowdfunding ein Thema für den Hollywoodreporter und überhaupt für den Filmmarkt ist, bei dem Milliardengeschäfte getätigt werden. Bei der Veranstaltung erfahre ich, dass DAS Vorzeigeprojekt für Crowdfunding, „Iron Sky", ein Sciencefiction, der seine Weltpremiere auf der Berlinale feiert nur 200.000 Euro von seinem 10 Mio. Euro Budget über Crowdfunding gesammelt hat.

Rebecca Thomas und Jessica Cadwell, deren Film „Electrick Children" die Sektion Generation eröffnet hat, erzählen, dass sie eigentlich ihren Debütfilm über Crowdfunding für 20.000 $ machen wollten, aber dann ein Produzent auftauchte, ein rettender Prinz auf einem weißen Schimmel, der ihren Film produziert hat. Völlig berauscht und glücklich verschwanden die beiden jungen Amerikanerinnen von ihrem Podiumsplatz zur Premiere.

Ich werde es wohl auch mal mit Crowdfunding versuchen – mal sehen, was da so passiert.


Trailer zu „Welcome Goodbye":
http://www.youtube.com/watch?v=EapH1IV4AgY
Facebookseite Welcome Goodbye:
http://www.facebook.com/welcomegoodbyeberlin
startnext ab März 2012:
www.startnext.de/welcomegoodbye