15.2.12

Berlinale 2012 Halbzeit

Kleiner Horizont im Wettbewerb

Berlin. 500 Filme, tausende Medienvertreter, zigtausend Filmbesucher ... die Berlinale ist eine Welt für sich mit Sektionen, Nebenreihen, Sonderveranstaltungen und auch Trittbrettfahrern. Da braucht es schon jemanden mit der Bekanntheit von Angelina Jolie, um ein Thema zu schaffen, das alle beschäftigt. Fast eine Woche war sie mit und ohne ihren Film „Land of Blood and Honey" ein Aufmerksamkeits-Magnet. Der andere ist eine rote Jutetasche. Sogar die „Süddeutsche Zeitung" berichtet von der Berlinale 2012 als „Abstieg in die Jutetaschen-Liga" und jemand scherzte, bei so einem Turnbeutel, könne auch das Festival nichts sein. Hier muss erklärt werden, dass jedes Filmfestival seit Jahrzehnten jeden Teilnehmer, der mittlerweile eine nicht geringe Startgebühr zahlen muss, mit einer mehr oder weniger praktischen Tasche begrüßt. „Für die Festivalunterlagen", die schon mal direkt in den Papierkorb gekippt wurden und mittlerweile sowieso digital sind. Nun schien die Berlinale-Tasche trotz wechselnder Entwürfe immer noch ein Hort deutscher Wertarbeit gewesen zu sein, man sah sie auf allen anderen Festivals, mal in der Boss-Edition, mal als Plastik-Stinker (2006), der über ein Jahr ausgelüftet werden musste, aber dann die perfekt dichte Schwimm-Tasche wurde. Sogar bei Ebay waren die Dinger schnell ausverkauft! Und jetzt: Der rote Jutebeutel! Fast so simpel wie die Papiertaschen Venedigs, die nur Design zusammenhält. Also auch in der Taschen-Kategorisierung weit hinter Cannes? Das passt zu den Filmen, die kleine Dramen präsentieren, aber noch nicht den großen cinematografischen Horizont eröffneten. Die 62. Ausgabe der Berlinale muss noch einen sehr eindrucksvollen Film präsentieren, um nicht das Jahr der Tasche zu werden.

Für die Aufmerksamkeit kann man auch Nazis auf den Mond schicken, so im „Iron Sky" des Finnen Timo Vuorensola, und dazu Udo Kier mitspielen lassen. Der schrägste Kölner Star-Export der Filmgeschichte spielt auch mit herrlich dickem deutschen Akzent neben Isabella Rossellini in dem genial anachronistischen Schwarzweiß-Film „Keyhole". Der Kanadier Guy Maddin präsentiert ein Gangster-Geisterhaus voller toter (und vielleicht) auch einiger lebendiger Familienmitglieder und -Geschichten. Der andere letzte seiner Art, nämlich ein Schwarzweiß-Film der insolventen Firma Kodak, ist übrigens
„Tabu"des Portugiesen Miguel Gomes im Wettbewerb, produziert von der Silberbär-Siegerin Maren Ade („Alle anderen" 2009). Die portugiesische Kolonialfantasie erinnert im ruhigen Ton an den portugiesischen Meister Oliveira und reiht sich bei den Favoriten ein.

Dort bleibt das mit Nina Hoss in der Hauptrolle fein ziselierte DDR-Drama „Barbara" von Petzold ganz oben, wobei man noch hinzurechnen muss, dass wir mit TV- und Kino-Beiträgen dieses genialen Regisseurs verwöhnt sind. Das Ausland reagiert vielleicht noch begeisterter. Neben Billy Bob Thorntons klugem, aber nicht immer ausgewogenen Antikriegsfilm „Jayne Mansfield's Car", in dem Regisseur und Darsteller Thornton mit der Geschichte von drei Generationen Kriegs-Geschädigter an seinen Debüt-Erfolg „Sling Blade" (1996) anknüpft, begeisterte auf stille Weise „L'enfant d'en haut": In Ursula Meiers starkem Wettbewerbs-Beitrag fährt der zwölfjährige Simon (Kacey Mottet Klein) jeden Tag mit dem Lift zur Bergstation, um eifrig und unverfroren Ski und Zubehör zu klauen. Seine Beute verkauft er im Tal eines Ostschweizer Verbier-Wintersportgebiets den Kindern der Gegend. Trotz Hunderter die durch seine Hand gehen, haust Simon mit der etwas älteren Louise (Léa Seydoux), die er auf Englisch „Sister" nennt, in einer kleinen, billigen Wohnung. Als sich ein etwas netterer Typ ernsthaft für Louise interessiert, lässt Simon die Bombe platzen: Sie ist meine Mutter!

Die verdrehte Familiensituation, in der ein frühreifes Kind den Versorger der immer ratlosen Mutter spielt, ist einer der Filme, die in Cannes preisverdächtig sind. Auf jeden Fall wäre damit die Anwartschaft auf den Darstellerinnen-Preis geklärt: Léa Seydoux spielte zurückhaltend und introvertiert in der Eröffnung „Leb wohl, meine Königin". Hier zeigt sie sich als Louise schlampig und ordinär. Kaum wiederzuerkennen und das macht gutes Schauspiel aus!