BRD 2012 Regie: André Schäfer (The World According to Irving) 93 Min.
Genau. Das ist er. Der John Irving, den seine vielen Fans kennen, der Gymnastikraum mit der Ringermatte, die kleine Schreibhütte mit Blick auf eine krumme Kiefer und den See in Vermont. Wir schauen dem großen Schriftsteller, der am 2.3. seinen 70. Geburtstag feiert, beim Arbeiten zu, während im Off eine seiner Figuren über das Schreiben als Handwerk berichtet. Einer dieser Helden, die immer auch etwas von Irving in sich tragen, aus seinen bisher zwölf Romanen von „Garp und wie er die Welt sah", über „Das Hotel New Hampshire", „Gottes Werk und Teufels Beitrag", „Owen Meany", „Amsterdam" bis „Witwe für ein Jahr". Einiges wurde auch verfilmt, was Irvings Popularität noch steigerte.
Auch dieser Film schenkt einem - wie das Fotografen-Porträt „Anton Corbijn Inside Out" (Kinostart im Mai 2012) - einen sehr vertrauten Blick auf den Schriftsteller. Herrlich, wie er eigenhändig Pizza macht für das Drehteam und sich erkundigt, auf Deutsch, ob jemand „keine Pilze" oder Fleisch will. Selbstverständlich kein Selbstzweck, sondern schöne Überleitung zu wieder einem Stück aus den Romanen, bei denen die illustrierenden Bilder sehr einfach Orte und Menschen von Irvings intensiven Recherchen wiederfinden. Was nicht ohne Einfluss blieb. Seit „Letzte Nacht in Twisted River" enthält die Pizza eines Restaurants in Toronto „a la Irving" etwas Honig. Auch drei Ärztinnen im Zürcher Sanatorium Kirchberg erinnern sich und ein Organist, der mit Bachs Toccata den Bogen spielt von Irvings Informationsgespräch bis zu den fertigen Szenen im Roman „Bis ich Dich finde", aus dem hauptsächlich zitiert wird.
Wobei Film und Roman-Arbeit mit dem Nachdenken über letzte Sätze anfangen, letzte Sätze, die Irving unter anderem in „Garp" perfekt gelungen findet, „weil sie den Titel des Romans enthalten". Der Autor sieht sich als Architekt eines Romans, zeigt seine Notizbücher, die verschiedenen Stapel mit eigenhändig beschriebenen und teils einseitig schon benutzen Blättern, meint in schönstem Denglisch „there is a Straßenplan des Romans". Man ist schnell drin, im besonderen Irving-Humor, dran an der Persönlichkeit auch des obsessiven Sportlers: So wie Murakami die körperliche (Widerstands-) Kraft, die er bei Marathonläufen erlangt, als notwendige Basis des Schreibens erklärt, ist es für Irving die Erfahrung des regelmäßigen und langweiligen Trainings beim Ringen, die ihm die Geduld lehrte, an einem Roman zu arbeiten. So sehen wir den Schreiber immer wieder beim Seilspringen, bei der Gymnastik, beim schweißtreibenden Spinning auf einem hypermodernen Realryder-Hometrainer.
Und auf Reisen, die der Film nachvollzieht. Für „Hotel New Hampshire" nach Wien, zu einen Freund, dem Polizisten nach Amsterdam, zu den ehemaligen Prostituierten, die nun statt ihrem Körper stolz Irvings Foto im Schaufenster haben. Regisseur André Schäfer reiht die kleinen Funde aneinander, steigert aber lange nicht. Selbst die Kritik vom holländischen Tätowierer Henk, seine Informationen seien verfälschend benutzt worden, ist kein Aufreger, weil es naiv wäre, Anderes zu erwarten. Erst bei der Erzählung, wie schwer es ihm fiel, seinen leiblichen Vater zu finden, wir Irving sehr viel persönlicher, stiller.
So macht die nicht ganz runde Dokumentation nicht den Versuch, dunkle Seiten, Zweifel oder Geheimnisse bei Irving auszugraben. „John Irving und wie er die Welt sieht" ist ein schöner Film. Eine Wohlfühl-Dokumentation, dazu trägt auch die leise Klavierbegleitung von Ritchie Staringer bei. Man wird unweigerlich zum Fan oder man liebt ihn noch mehr - wenn das möglich ist.