15.12.09

Stille Hochzeit - Zum Teufel mit Stalin


Rumänien, Frankreich, Luxemburg 2008 (Nunta Muta) Regie: Horatiu Malaele mit Meda Andreea Victor, Alexandru Potocean, Valentin Teodosiu 87 Min. FSK: ab 12

Tod und Hochzeit und wieder Tod ganz nah beieinander. Komödie, Tragödie, Polit- oder Historien-Film? Die rumänische „Stille Hochzeit“ zeigt ein Dorf, überbordend mit Leben, Lust, Streit und Gelächter. Ein Dorf, das nicht mehr existiert. Die Grobheiten des ländlichen, osteuropäischen Alltags und die Poesie einer vergangenen (Kino-) Epoche. Schwer einzuordnen, aber ein grandioses und schönes Stück Kino.

Soll man anfangen im Heute, in dem alles besser sein soll? Oder in der Vergangenheit unter der Fuchtel der Sowjet-Armee, dem „schlimmen“ Gestern, das allerdings in Farbe gezeigt wird? Damals strotzte das Dorf nur so vor prallem Leben und deftigen Typen. Mittendrin liegen und lieben sich Mara (Meda Andreea Victor) und Iancu (Alexandru Potocean) im Feld. Das wird von einem Liliputaner sowie einem kleinen Jungen beobachtet und nach der Heimkehr auch handgreiflich kommentiert. Doch alles wird nicht so heiß gegessen, wie es diskutiert wird. Bald kommt auch schon die nächste Aufregung um die Ecke oder die vier linientreuen Kommunisten marschieren albern durchs Dorf.

Es ist das Jahr 1953 in Rumänien, einige gehorchen freudig dem großen russischen Bruder, andere sind schon enteignet worden, aber die meisten trinken tapfer weiter in der einen Kneipe mit der einen Prostituierten. All diese „deftigen Typen“ sind nicht einfach Kopien ihrer folkloristischen Vorgänger aus vielen Filmen und Geschichten. Der aufbrausende Kneipen-Streit, in dem die Väter der Liebenden immer wieder aufeinander losstürmen und von den genauso lauten Nachbarn auseinander gehalten werden, ist zur liebevollen Parodie übertrieben. Ein freundlicher Spaß, denn ein paar Minuten später werden die Streithähne als Schwiegereltern miteinander saufen: Donnerstag soll Hochzeit sein.

Also schlachtet man eifrig, lieb sich noch ein wenig und schon legt die Roma-Band zünftig los. Doch ein Russe verdirbt den Spaß. Der Standort-Kommandant gibt bierernst und gnadenlos bekannt, dass Stalin in der letzten Nacht verstorben sei und alle sozialistischen Brüdervölker sieben Tage lang trauern würden. Keine Feste, keine Hochzeiten und keine Begräbnisse. Und wie kommt Stalin unter die Erde? Uups - selbstverständlich auch keine Witze. Dieser hätte dem Ortsvorsteher fast das Leben gekostet.

Dass der strenge Soldat vorher die verrückte Schöne, die Feen gleich durch den Wald lief, vergewaltigte und tötete, ist eine bittere Note, die jedoch schnell wieder mit schelmischen Streich der bauernschlauen Dörfler überspielt wird. Hochzeit verboten? Dann umwickeln wir die Stuhlbeine und Gläser mit Leinen, nehmen das Besteck weg und feiern eine stille Hochzeit. Mit stummen Reden, lautlosem Klatschen, ganz stiller Post und einem Magenknurren beim Essen, dass wie Donnerhall klingt. Ein grandioser Höhepunkt des feinen, poetischen Humors. Dem im Lauf des Lebens wieder ein tragisches Ereignis folgen wird ...

In „Stille Hochzeit“ gewinnen Lachen, Hoffnung und Poesie in der ausufernden Fülle dieses bäuerlichen Lebens. Auch wenn der letzte Witz ein bitterer ist: Wo einst Dorf war, hat der Kommunismus eine brutal hässliche Fabrik hingesetzt. Die der Kapitalismus jetzt wiederum abreißen will, um ein neues Dorf zu bauen, einen Freizeitpark!

14.12.09

Avatar


USA 2009 (Avatar) Regie: James Cameron mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver 161 Min. FSK: ab 12

Mit „Titanic“, dem erfolgreichsten Hollywood-Film bislang, hat James Cameron eine eindrucksvolle Marke im Filmgeschäft gesetzt. Aber „Avatar“ ist ein großer Film, ein einzigartiger Film und tatsächlich das außergewöhnliche Kinoereignis am Ende des Jahres, des Jahrzehnts und am Anfang eines Kinojahrhunderts, das 3D sein soll.

Der Autor, Produzent und Regisseur Cameron erzählt wieder eine übersichtliche Geschichte, die in fantastischen Bildern eine ökologische Utopie ausbreitet: Der querschnittsgelähmte Soldat Jake Sully (Sam Worthington) wird im 22. Jahrhundert für seinen verstorbenen Bruder zum Planeten Pandora geflogen. Mit seinen verwandten Gehirnströmen, soll er in den Körper eines einheimischen Na’vi schlüpfen, das sind drei Meter große, menschähnliche Wesen mit blauer Haut. Die Na’vi wehren sich mit Pfeil und Bogen gegen die hochindustrielle, ultra-moderne Ausbeutung ihres Planeten. Jake sollte eigentlich mit ihnen verhandeln, verliebt sich aber in Neytiri (Zoe Saldana), Tochter der geistigen Anführerin der Na’vi. Nachdem die Menschen brutal und grausam den heiligen Wald der Bevölkerung zerstört haben, kämpft Jake auf Seiten der Wesen, die im Einklang mit der Natur leben.

Die Na’vi sind fantastische Geschöpfe in vieler Hinsicht. Die animalischen Maserungen auf der blauen Haut und auch die Gesichtszüge verraten tierische Aufwallungen, die wir zivilisierten Wesen uns selten eingestehen. Sie sind drei Meter groß, gewaltig, kräftig und gütig. Vor allem leben sie in Harmonie mit der Natur, ja mehr noch: sind tatsächlich verwachsen mit ihr, mit einem leisen Britzeln verflechten sich die Fasern der Na’vi-Schwänze mit den Fühlern ihrer Reittiere oder den gezähmten Flugsauriern. Auch mit Lianen eines magischen Waldes verbinden sich die Na’vi, um Stimmen ihrer Ahnen zu hören. All das ergibt ganz organisch Camerons Poesie einer universalen Harmonie. Viele kleine Momente von Verständigung und Erkennen sind Varianten der 1989 atemberaubenden Tiefsee-Begegnungen und Manifestation freundlicher Außerirdischer in „The Abyss“.

„Avatar“ geht nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem 3D-Format sehr sorgfältig um: Von Anfang an erzeugt er Wirkung durch Größe, durch Tiefe und durch raffinierte Staffelung. Das Labyrinth des Waldes, kleine fliegende Luft-Quallen, gewaltige Flugsaurier, das Funkeln der blauen Haut füllen die Bilder eindrucksvoll. Camerons Unterwasser-Erfahrungen bei seinen monatelangen High-Tech-Tauchaktionen - auf der Suche nach der Titanic, der Bismarck und der fantastischen Meeres-Welt des Mittelozeanischen Rückens für einen Imax-Film - sind nicht nur zu sehen, sondern sogar in der freien Bewegung in allen Dimensionen zu spüren. Besonders die schwebenden Berge, die den Inseln im chinesischen Meer ähneln, auf denen James Bonds „Der Mann mit dem goldenen Colt“ gedreht wurde. Das 3D von „Avatar“ ist übrigens nicht nur einfach dreidimensional. Es ist das 3D, das sich Cameron selber entwickelte, um seine Visionen möglich zu machen. Ohne Rücksicht auf Geld und Zeit (die im Filmgeschäft vor allem Geld kostet). Diese kompromisslose Art, seine Ziele durchzusetzen, ist seit „Titanic“ legendär, wo er den Etat gnadenlos überzog.

Cameron liefert in seinem Film selber ein schönes Bild für die Erweiterung der (Erlebnis-) Möglichkeiten durch Technik: Die männliche Hauptfigur Jake ist ein gebrochener Kämpfer, ein Soldat im Rollstuhl. Die Verbindung mit einem Na’vi-Avatar gibt ihm nicht nur seine Beine zurück, er kann mit dem neuen Superkörper mehr erleben als zuvor als Nur-Mensch. Bei dieser faszinierenden Animation sind nicht allein die Fantasie-Wesen sehr lebendig, Cameron schafft sogar eine viel größere Identifikation, als wenn wir wirklich Amazonas-Indianer oder andere bedrohte Völker aus Afrika, Asien und Südamerika sehen würden. Man sieht mehr. Genau wie beim Grund-Satz des Verstehens, den Jake langsam erlernen muss: I see you. Nicht nur „Ich sehe dich“, sondern auch „Ich erkenne dich tief in deinem Wesen“. Was selbstverständlich mit seiner Lehrerin Neytiri auch zu dem biblischen Erkennen führt.

Die Mischung aus Realfilm und Animation, die Realaufnahmen der Figuren in eine andere Welt entführt, wurde ganz nebenbei auch gut gespielt. Sigourney Weaver, die mit Cameron „Aliens“ drehte, ist diesmal selber ein Alien auf dem Planeten der blauen Wesen. Neben den Avatar-Stars sieht man Michelle Rodriguez („Girlfight“) als Hubschrauber-Pilotin und Giovanni Ribisi als rücksichtslosen Selfridge, Boss und Abgesandter der kapitalistischen Ausbeutung.

„Avatar“ ist ein ökologisches, ein mächtiges Manifest gegen die Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung großer Teile unserer Umwelt. Es ist rührend, wie die Na’vi ihre Welt als ein Netzwerk begreifen, in dem alles miteinander verbunden ist. Selbst Tiere, die einen unvorsichtigen Besucher des Waldes anfallen, sind zu betrauern, wenn sie im (unnötigen) Kampf sterben. Gaia, Mutter, Natur - egal wie man es nennt, es sieht und fühlt sich so an, dass man sofort hin- oder gleich noch mal in diese Filmwelt will. Erst in einer Wiedergeburtszeremonie gerät dieser schöne Pantheismus zu kitschig.

Hier grüßt „Matrix“ wieder, die Avatar-Idee wird mit allen Gefahren ausgeführt wie schon in „Tron“. Die Ästhetik der Na’vi-Welt erinnert sehr stark an „Myst“, einen Klassiker des anspruchsvollen Computer-Adventures. Die romantische Mischehe klingt nach Pocahontas, der Indianer-Prinzessin, die sich in den weißen Eroberer John Smith verliebte. Details sind wiedererkennbar, die Na’vi reiten und kriegs-schreien wie Indianer, die Physiognomie ist afrikanisch. Es gibt bei diesem großen „Avatar“-Abenteuer selbstverständlich vieles wiederzusehen und (für den Kritiker) anzuführen, denn angeblich gibt es ja nichts Neues auf dieser Welt. Aber Cameron kommt jedoch mit „Avatar“ dem Gefühl, eine ganz neue Welt zu betreten, sehr sehr nahe.

9.12.09

Tatort DVD-Boxen


Hunderte Morde wurden im Tatort aufgeklärt, Karrieren begannen und wurden gnädig in Nebenrollen verlängert. Klar, dass die ARD diese Krimi-Bibliothek auch auf DVD auswertet. In mehreren Wellen (O-Ton Pressetext) purzeln die Tatorte in die Läden. Und in mehreren Boxen. Die „Tatort Box: Leipzig“ und die „Tatort Box: München“ gehen mit jeweils 3 DVDs an den Start. Die „Tatort Box: Odenthal“ (mit 4 DVDs) dreht sich jedoch nicht um eine Stadt sondern um eine Kommissarin. Die Knallharte bekam ebenso eine eigene Box wie Schimanski und Stoever/Brockmöller. Letzterer liegt ein Klingelton bei. Scherz beiseite - Manfred Krug sollte man eher als ungemein lässigen und swingenden Kommissar erinnern, denn als Telekom-Werbemännchen. Weshalb die „Stoever/Brockmöller“-Box keine Hamburg-Box ist, weshalb Kommissare vier Titel in der Box haben und Städte nur drei, sollte eine eigene Tatort-Folge herausfinden. Die Qualität der Einzelfolgen mit guten Extras bleibt unerschütterlich. Bei dieser „Welle“ etwa mit dem sehr düsteren Einzeltitel „Engelchen flieg“ (Hartmut Griesmayr, 1998) und bei der nächsten Welle (7.1.2010) das „Reifezeugnis“ von Wolfgang Petersen („Das Boot“, „Troja“). Hier Klaus Schwarzkopf zu erwähnen, ehrt die Presseabteilung, aber Nastassja Kinski steigert den Verkauf doch vielleicht mehr.

Das Orangenmädchen


Norwegen, Deutschland, Spanien 2009 (Appelsinpiken) mit Annie Dahr Nygaard, Mikkel Bratt Silset, Harald Thompson Rosenstrøm, Rebekka Karijord, Emilie K. Beck 80 Min. FSK ab 6

„Sofies Welt“ von Josten Gaarder brachte es fertig, gleichzeitig das Denken und die Kassen durchzurütteln. Ein philosophisches Buch, das zum Bestseller wurde. Auch in der Verfilmung von Gaarders Roman „Das Orangenmädchen“ blitzen ein paar große Fragen wie Sternschnuppen auf: „Was ist Zeit?“; die Dauer des Lebens; der Moment und die Ewigkeit; wieso können achtzig Minuten Film so lang (-weilig) sein?

„Das Orangenmädchen“ erzählt gleich zwei Liebes-Geschichten, ohne zu überzeugen oder mitzureißen. Der 16-jährige Georg ist Sternengucker, deshalb ist sein Teleskop auch im Ski-Urlaub mit dabei. Während die anderen Teenager in Norden Norwegens wild flirten und scherzen, wartet Georg zurückgezogen auf einen Kometen. Aber auch die Briefe seines früh verstorbenen Vaters beschäftigen den Jungen. Er bekam sie zum Geburtstag und nun folgt er, nach ersten Protesten, gespannt der Erzählung, wie sein Vater das Orangenmädchen fand und liebte.

Das große Kunststück dieses Films ist, trotz guter Anlagen überhaupt nicht zu packen. Weder heiße Liebesnächte in Sevilla noch romantisches Stern-Schnuppen-Gucken im Winterwunderland kann nur annähernd begeistern. Dazu gesellen sich grobe Fehler. Die negativen Gefühle des Jungen zu seinem Vater bleiben unverständlich. Die späte Entdeckung der Identität des Orangenmädchens ist unglaubwürdig. So bleibt von diesem Film nur die Erinnerung an ein grandioses Buch über das Sternegucken und viel mehr: „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch!

8.12.09

Der Solist


USA 2009 (The Soloist) Regie: Joe Wright mit Jamie Foxx, Robert Downey jr., Catherine Keener 117 Min. FSK ab 12

Der berühmte Cellist Yo-Yo Ma spielt in einer von ihm selbst produzierten Filmserie zu Bachs Cello-Suiten irgendwann mitten im Verkehr auf der Straße. Ein schöner Kunst-Trick, das Brausen des Verkehrs vor der Klarheit der Töne entweichen zu lassen. Auf der Straße spielt auch jemand, der mit dem Cello-Star an der renommierten Julliard School in New York studierte: Nathanial Ayers, einst Wunderkind und auf diesem angesehenen Musikkonservatorium, lebt obdachlos auf den Straßen von Los Angeles. Dort findet ihn der bekannte Kolumnist Steven Lopez und was folgte, ist gleichzeitig dieser Film und die Geschichte dieses Films. Ayers wurde über die Kolumne von Lopez berühmt - und Lopez mit der Kolumne über Ayers. Neben der rührenden Story, zeigt sich dieser mehrschichtige Film wenig eindeutig und stringent, und das spricht für ihn.

Nach dem Buch von Steve Lopez komprimierte und dramatisierte die Autorin Susannah Grant die wahre Geschichte: Aus der zufälligen Begegnung von Lopez (Robert Downey jr.) und Nathaniel Ayers (Jamie Foxx) entwickelt sich eine Obsession des Zeitungsjournalisten: Nathaniel ist für Steve Lopez erst nur eine Kolumne, dann eine Auszeichnung und ein Buchvertrag, aber längst schon ein Freund, ein schwieriger. Der einzige vielleicht? Ayers schiebt den Einkaufswagen mit seinem Besitz durch die Stadt, spielt in den Unterführungen und Parks Beethoven auf einer Geige mit zwei Seiten. Als eine Leserin ihm ein Cello schenkt, ist der zerlumpte Obdachlose ebenso verzückt wie sein Zuhörer Lopez. Sein liebstes Publikum, die mit ihren Flügeln klatschenden Tauben in den Straßentunneln der Stadt, heben in dieser Szene sogar zu einem grandiosen Bilderflug in den siebten Himmel ab. In Rückblenden muss man dagegen die quälenden Irritationen mitempfinden, die bei Nathaniel seine Schizophrenie ankündigen. Er verlässt die Musikschule und seine Wohnung, um fortan auf der Straße zu leben.

„Der Solist“ ist in seiner Montage eher Jazz als Hollywood. Er springt in Bild und Ton sehr erfrischend umher. Die übliche Übervorsicht, den Zuschauer ja nicht zu verwirren oder zu überfordern, kam hier ganz schnell unter die Räder. Beethovens Dritte Sinfonie wird zum synästhetischen Farbenspiel, der Formenreichtum dieses Films ist zu vielfältig, um 1:1-Interpretionen abliefern zu können. Vor allem wird die rührende Geschichte immer durch das Erleben des gebrochenen Charakters Steve Lopez gebrochen. Irgendwann läuft im Hintergrund „Mr. Bojangles“ und der noch gar nicht so alte Journalist Lopez kommt einem schnell so vor, wie der Sänger im Lied, der bis ans tragische Ende nur die eine Sache beherrscht, die aber meisterlich. Diese Ebene muss sein, damit man sich nicht naiv in das Sozialdrama reinhängt und glaubt man wäre dabei, könne mitfühlen oder gar helfen. Lopez Frau und Chefin fasst das Bewegende der Kunst von Ayers einmal zusammen: Diese Musik sei "grace", Gnade. Und es ist auch eine Gnade, diesen Film zu sehen. Einen Film über Musik, über die Stadt Los Angeles und die Menschen dieser Stadt.

7.12.09

Zombieland


USA 2009 (Zombieland) Regie: Ruben Fleischer mit Jesse Eisenberg, Woody Harrelson, Emma Stone, Abigail Breslin 88 Min.

Der Titel verklausuliert es nicht und der Film hält dieses Versprechen: „Zombieland“ ist ein Roadtrip durch eine USA voller Zombies und heute wäre es ein schockierender und das Kinopublikum wohl zutiefst irritierender Film, wenn die „Untoten“ nicht extrem makaber und „unmenschlich“ ins endgültige Jenseits befördert würden. Da ist jeder platzende Kopf ein Lacher und die Kamera gibt sich größte Mühe, die Matscherei von allen möglichen Seiten einzufangen. Dazu scheint es Haltungs-Noten für besonders lässiges Gehabe beim Zombie-Klatschen zu geben: Eine bei voller Fahrt beiläufig geöffnete Autotüre erhöht den Body-Count und steigert das Grölen im Publikum. Wahrscheinlich funktionieren einige Videospiele ebenso.

Ein großes Problem bekommen alle ernsten Rezensenten des Films damit, dass diese Serien-Tötung von Toten eine gänzlich unbedarfte Komödie ist. Eine Komödie, die auch ziemlich gut funktioniert. Der Stubenhocker Columbus (Jesse Eisenberg) überlebte die Zombie-Invasion ausgerechnet wegen der Eigenschaften, die ihn zum einsamen Eigenbrödler und Computer-Heini machten. Auf dem Weg nach Kalifornien kommt Jungfrau Columbus mit dem groben Raufbold und Super-Macho Tallahassee (Woody Harrelson) zusammen. Eine unmögliche Paarung und somit die perfekte Grundlage eines Buddy-Movies. Schwung bekommt die Reise in ausgestorbene Gegenden und Städte voller lebendiger Toter durch ein Schwestern-Paar, das die Jungs immer wieder beraubt und dumm aussehen lässt. Das Ganze mit guten Darstellern sowie witzigen Dialogen garniert und schon haben wir das Dilemma für die anspruchsvolle und moralische Filmkritik. Das lässt sich auch kaum auflösen und so soll ein letzter Gedanke Bill Murray gelten, dessen grandioser Auftritt als Zombie ihn wahrscheinlich ein Leben lang wie ein Geist verfolgen wird.

Ninja Assassin


USA 2009 (Ninja Assassin) Regie: James Mcteigue mit Rain, Rick Yune, Naomie Harris, Ben Miles, Sho Kosugi 99 Min. FSK: keine Jugendfreigabe

Wenn als Produzenten Joel Silver, Andy Wachowski und Larry Wachowski dabei sind, geht man selbst nach dem Flop "Speed Racer" mit Resten von Hoffnung ins Kino. Die Leute haben immerhin „Matrix“ gemacht. Ok, auch „Matrix 2+3“. Stimmt. Doch die Martial Arts-Geschichte „Ninja Assassin“ mit einem asiatischen Pop-Star (Rain) sowie einem Klopp-Star (Sho Kosugi) setzt sich weitgehend billig produziert zwischen alle Stühle. Dass der Film zudem noch fast ganz auf  Berliner Straßen und in Berliner Studios gedreht ist, fügt eine Prise Fremdschämen zum Frust.

Was sind Ninja? Schwert-schlitzende Schlitzaugen, die so schnell säbeln, dass man nachher nur die blutige Sauerei auf dem Boden hat, ohne die Verantwortlichen schnappen und zum Aufwischen verdonnern zu können. Dafür zeigt „Ninja Assassin“ umso mehr die Ergebnisse: Hier rollen nicht nur Köpfe, hier liegt zwischen Arm dran und Arm ab nicht mal ein Filmschnitt - digitale Technik ist so toll! Zuerst geraten ein paar halbstarke Killer in den filmischen Fleischwolf dieser überflüssigen Metzgerei. Dann jagt eine Kommissarin die unsichtbaren und legendären Ninja. Sie und ihr Kollege verbreiten sofort die gewaltige Ausstrahlung uninteressanter TV-Kommissare, man erhofft und fürchtet also gleichzeitig die nächste Action-Sequenz. Die kommt auch, weil unter allen schwarzen Schlitzern, deren Ethos irgendwie auf das Niveau von privaten Söldnern runtergekommen ist, auch ein Guter steckt. Schade, dass man die irgendwie nicht unterscheiden kann. Deshalb zieht sich der Pop-Star Rain in seiner Rolle als Raizo auch öfters aus, um den knackigen Oberkörper mit den vielen Narben zu zeigen. Weshalb er gegen seinen alten Clan kämpft, zeigen Rückblenden in der Tradition von Kung Fu-Fighting. Nur hier ist der Meister Lord Ozunu (Kampf- und Klopp-Legende Sho Kosugi) ein ganz übler Kerl. Dazwischen funken die Spezialisten von Europol, die immer zu spät kommen und als Hackfleisch-Grundlage für die dann endlich mal sorgfältiger choreografierten Finalkämpfe dienen. Bei diesen wenigen aufwändig gestylten Szenen wird auch wieder eifrig mit digitalem Blut gemalt. Was würden wir ohne diese Computertechnik im Kino bloß machen und sehen? Mittelmäßige Action und ganz schwaches Schauspiel machen die Enttäuschung größer als man befürchtet hatte.

Küss den Frosch


USA 2009 (The Princess and the Frog) Regie: Ron Clements, John Musker 98 Min.

Eine alte Kunstform wird aus verstaubten Archiven hervorgekramt und blüht erneut zu einem prächtigen Vergnügen für das Kinderkino auf. Zu feiern ist hier nicht die klassische 2D-Animation, die bei Disney eine sehr schöne Wiedergeburt erlebt, sondern der New Orleans-Jazz, der diesen Zeichentrickspaß zu einem wunderbaren Stück Musikgeschichte auch für Erwachsene macht.

Nachdem ein neues Disney-Logo die ganz alte Mickey Mouse wieder ans Ruder lässt, erzählt die neueste Bildergeschichte aus dem erfolgreichsten Zeichentrickstudio der Filmgeschichte selbstverständlich ein Märchen - erst einmal. Denn die Begeisterung über den Froschkönig, welche die verwöhnte blonde Göre Lotto in ihrem Prinzessinnen-Kleidchen völlig umhaut, lässt ihre dunkelhäutige Freundin Tiana gänzlich kalt. Sie ist die Tochter der Näherin und wird am Abend in einer schönen Fahrt aus dem New Orleans der Reichen in ihre ärmliche Hütte zurück kehren müssen. Es ist ein bittersüßer Traum, diese Stadt in den Zwanziger Jahren und vor allem vor der Flut zu sehen. Die nächsten Jahre arbeitet das Mädchen extrem hart mit gleich zwei Jobs, um den Traum eines eigenen Restaurants zu verwirklichen. Da bleibt keine Zeit zum Tanzen und für die Liebe, selbst als der indische Prinz Naveen nach New Orleans kommt, um Lottis Märchen-Traum zu verwirklichen, macht Tiana das Catering. Allerdings hat ein düsterer Voodoo-Priester längst seine knochigen Finger im Spiel. Sein böser Zauber macht Naveen und Tiana zu Fröschen. Ihre Odyssee durch die Sümpfe des Mississippi hilft beiden zu verstehen, was sie wirklich wollen.

Soweit die Geschichte vom Prinz und Schenkelmann, die tatsächlich ziemlich Disney ist. Bei der Umsetzung begeistert vor allem die Qualität und die vielfältige Lebendigkeit der Szenen: Tianas Soul Kitchen sehen wir als stilisierte Traumsequenz in beige und braun, der jazz-verrückte Prinz stürzt sich in den bunten Mardi Gras, den so herrlich unchristlichen und exzessiven Karneval von New Orleans. Die Verführung des Voodoo-Zaubers zeigt sich als Daumenkino beim Kartenlegen. Bei den Showeinlagen bläst das Krokodil Louis - einer der vielen Wegbegleiter des Frosch-Paares - als begnadeter Trompeter im abschreckenden Kroko-Dress uns fetzige Sounds um die Ohren. Ja, dieser Kinderfilm entpuppt sich als Jazz-Revival (Musik: Randy Newman), das genial den kleinen Kinobesuchern New Orleans-Jazz (Woody Allen wäre erfreut), ein Cajun-Ballett aus Glühwürmchen oder seligen Gospel vorstellt. Noch toller als die vielen netten Figuren und Ideen sind diese großartigen Shownummern - eine besser als die andere. Als Leitmotiv für das Feuerwerk von Musik und Bewegung - fast wie einst bei Disneys „Fantasia“ - fungiert eine überzeugende Geschichte. Gegen den Trend wurde dieser Disney nicht in 3D, nicht mal auffällig digital animiert, dafür mit Sorgfalt. Man kann sich bei Karneval, Romantik und Spaß über den moralischen Lehrsatz „Was wir wollen und was wir brauchen ist nicht egal“ lustig machen, doch schon die Stones schlugen daraus musikalisch Funken und wenn es dann heißt „Du musst nur tiefer in dir graben, da liegt ein Schatz vergraben“ stimmen sowohl Buddhisten als auch Psychoanalytiker freudig mit ein.

4.12.09

Die magischen Daumenkinos des Volker Gerling

Großes Kino im kleinen Format

Aachen. Magie und Wahrheit in 36 Bildern. Der „Daumenkinograph“ Volker Gerling fängt mit seinen kleinen Kunstwerken das Herz der Menschen ein. Die Form Daumenkino wirkt antiquiert, waren das nicht die kleinen Strichmännchen-Geschichten auf den Ecken von Büchern und Heften? Eine Vorstufe des echten Kinos? Dem ehemaligen Kameramann Volker Gerling gelingt es mit zauberhaften Daumenkino-Porträts und seinen Geschichten, mehr zu faszinieren als die meisten Multimillionen-Dollar-Produktionen. Am Samstagabend (5.12.2009, 20.30 Uhr) kann man ihn einmalig in Aachen erleben.

Die Geschichte des Daumenkinographen begann 2003 mit einer mehrmonatigen Wanderung Gerlings nach Basel. Der Berliner hatte seine Kamera dabei und war offen für Begegnungen und Geschichten. Zum Beispiel die des alten Mannes mit der Kappe, der in seinem Garten werkelte, Gerling einlud und ihn gar nicht wieder gehen lassen wollte. Kein Wunder, seine Frau war vor einer Weile gestorben. Am Ende des Gesprächs fragte der Zuhörer, ob er den alten Mann fotografieren dürfe. Ja, kein Problem. Und jetzt ereignet sich der magische Moment, der die Essenz der Gerlingschen Daumenkinos ausmacht: Die Menschen positionieren sich vor dem Objektiv, es klickt … und es klickt und es klickt noch einmal. Genau 36 mal, ein ganzer Fotofilm wird im Schnelldurchgang belichtet. Die überraschten Menschen zeigen spätestens beim dritten Klick ihre Irritation, verlieren die übliche Fotohaltung und am Ende sieht man sie echt und offen, meistens lachend in die Kamera blicken.

Zahllose Daumenkinos mit Menschen, deren Geschichten ihn berührten, hat Gerling im Laufe der Jahre auf mehreren Wanderungen erstellt, die Feuilletons der großen Tageszeitungen feierten den Zauber dieser scheinbar einfachen Kunst. Auf den Reisen - eine wurde vom Goethe-Institut in Auftrag gegeben - hat Gerling mit einem Bauchladen sein eigenes Daumenkino-Museum dabei und führt die kleinen Kunstwerke immer wieder vor. Vor großem Publikum überträgt eine Kamera die Bilder, wobei der packende und bewegende Vortrag eine weitere Qualität des fotografischen Menschenfängers ist. Wer Gerling schon mal erleben durfte, er war bereits zweimal im Last Exit, kann sich auf alte Bekannte, aber auch ein paar neue Daumenkinos mit neuen Geschichten von einer Wanderung im Norden Deutschlands freuen. Dabei entstand an der Ostsee ein Liebesfilm-Daumenkino an einem Fischstand. Es gibt nach sechs Jahren auch ein Wiedersehen mit und ein neues Daumenkino von Ariana, dem Mädchen mit den Sommersprossen. Der ungewöhnliche Spielort der Szenekneipe in der Krakaustraße ist übrigens eine Qualitäts-Empfehlung: Ehemalige Kleinkünstler wie Rene Marik und Rainald Grebe waren auch regelmäßig zu Gast im Exit, jetzt füllen die großen Hallen des Landes.

1.12.09

Wenn Ärzte töten - Über Wahn und Ethik in der Medizin


BRD 2009 Regie: Hannes Karnick, Wolfgang Richter 90 Min.

Robert Jay Lifton wurde berühmt durch seine Gespräche mit Opfern und Tätern der NS-Herrschaft, aus denen das Buch „Ärzte im Dritten Reich“ entstand, das 1988 erschien. Vor allem dass Ärzte, die sich mit dem Hippokratischen Eid verpflichtet haben, Leben zu retten, zu Massenmördern und Folterern werden, beschäftigte den Wissenschaftler. Der Film lässt den Wegbereiter der Psychohistory ausführlich in seinem Büro zu Wort kommen. Nur selten unterbrochen von den Interviewern (in furchtbar deutschem Englisch) und Füllbildern eines zufälligen Küstenstreifens. Da Robert Jay Lifton kein besonders charismatischer Sprecher ist, fällt es schwer, den sehr interessanten Einsichten zu folgen.

Saw VI


Kanada 2009 (Saw VI) Regie Kevin Greutert mit Tobin Bell, Costas Mandylor, Betsy Russell 90 Min. FSK keine Jugendfreigabe

Wer sagt denn, das die nicht jugendfreie sadistische Sauerei „Saw“ nur die niedersten Instinkte befriedigt und nur eine erschreckende Mutprobe für die Besucher darstellt? Das beginnt der sechste Teil doch tatsächlich mit einem Shakespeare-Zitat: Wie einst beim „Kaufmann von Venedig“ müssen zwei Bänker für ihre unverschämten Kreditforderungen und ihre Immobilien-Schwindel büßen, indem sie mit ihrem eigenen Fleisch bezahlen. Im Geiste von „Saw“ müssen sie es sich selbst aus dem Körper schneiden, der spendabelste darf weiter leben. Danach ist dann ein Krankenversicherer dran, der Leute wegen trickreicher Klauseln sterben lässt. Das ist aber alles nur noch primitive Rache ohne weitere Gefühle oder Gnade. Schauspielerisch sind die banalen Dialogszenen zwischen den Foltern ebenso billig wie das Drehbuch von Marcus Dunstan und Patrick Melton insgesamt. Das einzig positive an dieser äußerst unangenehmen Erscheinung des Kinogeschäftes ist, dass die Zuschauerzahlen abnehmen: Immer weniger wollen sich diese Qualen noch antun.

Whatever Works - Liebe sich wer kann


USA 2009 (Whatever Works) Regie: Woody Allen mit Evan Rachel Wood, Larry David, Ed Begley jr., Patricia Clarkson, Henry Cavill 92 Min.

Woody Allen ist nach Ausflügen in europäische Gefilde mit seinem 40. Film wieder in New York gelandet und die Stadt tut seinem bitter-süßem Humor spürbar gut. So ist „ Whatever Works“ kein Wohlfühl-Film. „Wenn Sie sich wohlfühlen wollen, lassen Sie sich eine Fußmassage geben“, lässt Allen seine zynische Hauptfigur Boris Yellnikoff in die Kamera sprechen. Doch gerade der größte Lebensverächter, der seit einem „missglückten“ Selbstmordversuch humpelt, ist vor Überraschungen nicht gefeit.

Der alte Misanthrop Boris Yellnikoff will nichts anderes als von der Welt in Ruhe gelassen werden. Er hatte längst mit dem Leben abgeschlossen, zeigt sich lächelnd arrogant, voller Verachtung für den Großteil der Menschheit. Nachdem seine Ehe mit der schönen, klugen, reichen und verliebten Frau zu perfekt war, zog er sich in eine billige Wohnung nach Downtown zurück. Dort rechnet er wortreich und kunstvoll mit den Zeitungen ab, mit den Kirchen, eigentlich mit allem und allen. Der geniale Quantenmechaniker, der „fast für den Nobelpreis nominiert“ wurde, gibt Kindern Schachunterricht gegen Geld, wobei die durchgehend dämlichen Kleinen zumindest beleidigt werden, wenn sie nicht gar das Schachbrett an den Kopf bekommen. Das Genie Boris ist mit vielem gesegnet, nur nicht mit Charme.

So könnte das schöne Leben von Boris weitergehen, wäre nicht irgendwann Melody in sein Leben gestolpert. Die ziemlich einfältige, sehr junge Ausreißerin vom Mississippi wird widerwillig für eine Nacht aufgenommen. Aus ein paar Tagen wird ein Monat, die Absteige von Boris sieht immer besser aus und dann verliebt sich Melody sogar in den alten Mann, der eher als ihr Opa, denn als ihr Vater durchgeht. Boris interessiert das alles nicht, doch immerhin wird das Mädchen in seinen Augen immer schöner: Auf einer Skala von 1-10 entwickelt sie sich von einer 5, gebadet vielleicht 6, zu einer 10 und dann heiraten sie schließlich. Getreu dem Motto: Whatever Works - Jeder, wie er lustig ist!

Das alles ist reichlich kurios und mit guten Schauspielern sehr schön witzig präsentiert. Doch jetzt legt das Skript des 74-jährigen Woody Allen, das 30 Jahre verschollen war, erst richtig los: Melodys Mutter taucht auf, wandelt sich rasant von einer reaktionären Hinterwäldlerin zu einer New Yorker Aktfotografin, die mit Leo, seinem Freund und den Freunden seines Freundes ins Bett geht, genüsslich Heisenbergs Unschärfe-Relation auf Sex zu dritt überträgt. Woody Allen stellt nun wirklich alles auf den Kopf nur der alte Misanthrop Boris bleibt sich treu und allein. Bis er zum zweiten Mal aus dem Fenster springt....

Der alte Allen trumpft mit „Whatever works“ verrückt und frech auf, legt wieder ein Meisterstückchen hin. Die Scherze und Sätze sind vielleicht nicht ganz so geschliffen. Da klopft Beethovens Fünfte tatsächlich als Schicksal an die Tür und ein hoher IQ wird mit einem tief eingeschnittenen Kleid gepaart. Viagra-Scherze und Pygmalion-Verweise dürfen nicht ausbleiben, auch wenn Dummchen Melody nichts versteht. Doch vor allem und trotz aller Ankündigungen ist „Whatever works“ der freundlichste und gütigste Woody Allen seit langem. Allen und Boris, für beide gilt: Ein liebenswerter (und genialer) Misanthrop.

30.11.09

(Traum) Job gesucht


USA 2009 (Post Grad) Regie: Vicky Jenson mit Alexis Bledel, Zach Gilford, Michael Keaton 89 Min. FSK o.A.

Die College-Abgängerin Ryden Malby (Alexis Bledel) ist bereit, ihren Platz an der Spitze einzunehmen. Aber das Naivchen mit Zusatzqualifikation Quasselstrippe schlagt hart im Leben auf. Kein Job, keine Wohnung und auch das Auto im Eimer - also bleibt ihr nichts als frustriert nach Hause zur Familie zurück zu ziehen. Dort hat das Drehbuch für sie eine Sammlung schrulliger Gestalten vorgesehen. Vater Walter Malby (Michael Keaton unterfordert) rennt immer neuen Geschäftsideen hinterher. Die freche, geizige Oma und der kleine, stille Bruder sollen verrückt sein und sind nicht halb so schrullig oder anstrengend wie ganz normale Verwandte im richtigen Leben.

Während Ryden ihre Jobsuche in der Provinz in schneller Montage erledigen darf, wartet der verliebte gute, sogar beste Freund James geduldig auf sein Happy End. Dabei weiß man schon nach 5 Minuten, wer der richtige Typ für Ryden ist. Echt anders als diese Sammlung von eigentlich völlig unproblematischen Nettigkeiten ist nur der brasilianische Medien-Macho von Nebenan: Ein entspannter Kreativer, wie vom anderen Stern in diesem Film voller Langeweiler.

Der Versuch, seine schräge Familie vorzuführen, ergibt bei diesem „Traumjob“ ein sehr schwaches Komödchen ohne Timing, ohne Schärfe. Alexis Bledel, ein Nichts in der Hauptrolle, kann vor allem lieb aussehen und mit großen Augen in die Welt schauen. Sie wirkt eher wie Modelchen oder ein Nettchen als wie eine Schauspielerin. Ihre Figur eines Bücherwurms, bei dem all die Literatur völlig rückstandslos am Gehirn abgeglitten ist, würde man selbst zum Kaffeekochen nicht einstellen wollen.

In der Werbung nennt man so eine Fehlbesetzung vielleicht „Wohlfühlfilm“ oder „nett“. Wenn ein Katzenbegräbnis im Pizzakarton mit Cats als Trauermusik den Humor-Höhepunkt eines Films darstellt, der circa 70 Minuten für eine Geschichte braucht, die andere im Vorspann erledigen, dann sollte es keine Jobs für die Verantwortlichen mehr geben.

Planet 51


Spanien, Großbritannien 2009 (Planet 51) Regie: Jorge Blanco, Javier Abad, Marcos Martínez 90 Min. FSK ab 6

Amerika in den 50ern war außerirdisch, wenn man es von heute her betrachtet: Die Naivität, das Design des Lebens und das Leben überhaupt. Da liegt es nahe, dass man einen außerirdischen, grünen Trickfilm-Planeten wie das Amerika der 50er Jahre aussehen lässt. Zwar schwebt das eine oder andere Fahrzeug, zwar ist die Technik fortgeschritten, aber gegrillt wird immer noch und vor allem die zwischen-menschlichen, oder zwischen-außerirdischen Verhältnisse, sind brav und gleich geblieben. Das soll dann mit verdrehten Rollen witzig werden, wenn tatsächlich ein amerikanischer Astronaut von heute auf dem vermeintlich unbewohnten Planeten landet, um schnell die Flagge zu hissen und wieder nach Hause zu düsen. Die grünen Zuschauer bestaunen das seltsame Ding im Vorgarten und brechen danach in Panik aus. Ein paar schießwütige Militärs müssen mit einem absurden Bedrohungsszenario vor allem ihren Job verteidigen. Nur ein 16-jähriger Teenager versucht, den Fremden zu retten, wird dabei von dem Feigling vom anderen Stern zwar nicht hypnotisiert, aber doch ganz schön manipuliert.

„Planet 51“ ist „E.T.“ auf den Kopf gestellt und stammt aus einem spanischen Trickstudio. Selbstverständlich wird auch bei diesem Film für kleine Kinofreunde heftig zitiert, von „Mars Attacks!“ bis zu einem kleinen „Alien“ als Hund an der Leine. Generell sind hier auch Biss und Witz angeleint. Wenn man sich an den kleinen Scherzen sattgesehen hat und auch nur noch das Menschliche an den grünen Männ- und Weiblein sieht, merkt man schnell die Vorhersehbarkeit der Handlung. Ein kleiner, grüner Spaß, nicht mehr, nicht weniger. Eher Stoff für einen knalligen Kurzfilm als abend- oder sonst wie erfüllend.

25.11.09

Little Paris DVD


BRD 2008

Regie: Miriam Dehne

Sunfilm

Kleinstadt-Drama

Luna träumt davon, aus "Little Paris" in die große Welt zu kommen: Das kleine Kaff hat zwar eine Tanzschule und einen Club, doch das Leben zwischen Fleischfabrik und Eisbar ist nur in der Deko rosa oder wenn man Pillen schluckt. Als der attraktive Tänzer "G" durchreist, gerät Bewegung in das junge und nicht mehr ganz junge Clübchen von Freundinnen. Luna bekommt Tanzunterricht und ein paar Tritte in den Hintern, Eve überdenkt ihre Hochzeit mit dem Bausparer und Barbie warten auf Ken.
Diese Langfilm-Debüt von Miriam Dehne überzeugt durch richtig gute Darsteller („Local Hero“ Jasmin Schwiers trumpft als biederes Blondchen auf) und ein entschiedener Gestaltungswille spielt erfrischend mit der Kamera und den Farben, bis die Kaninchen so rosa werden wie der Eissalon, in dem sich die Mädels treffen. Zeitweilig sehr bitter fühlt sich die Regisseurin, die das Thema auch schon dokumentarisch erkundete, in den zu langen Verbleib in Kleinstädten ein. Sie erzählt selbst davon im aufschlussreichen Audiokommentar, der neben einer Dokumentation zur Entstehung von "Little Paris" und den „Deleted Scenes“ im Bonus-Paket steckt.

24.11.09

Nokan - Die Kunst des Ausklangs


Japan 2008 (Departures - Okuribito) Regie: Yôjirô Takita mit Masahiro Motoki, Tsutomu Yamazaki, Ryoko Hirosue 130 Min. FSK o.A.

Oscar-Sieger in der Kategorie „Ausland“ sind prinzipiell sehr universale Filme - sie gefallen gerne in vielen Kulturen. (So sind die deutschen Sieger auch nicht unbedingt die besten deutschen Filme.) Nun erzählt der japanische „Nokan“ von Leben und Tod, von Abschiednehmen und davon, dass die Suche nach dem richtigen Platz im Leben ein ganzes Leben dauern kann.

„Nokan“ legt einen kräftigen Auftakt mit einer andächtigen Szene hin, die allerdings eine delikate Überraschung verbirgt: Bei der rituellen japanischen Reinigung und Ankleidung einer toten jungen Frau entdeckt der junge Leichenbetreuer dass die Frau ein Mann ist. Sein älterer Kollege und Chef löst die Situation vor den Augen der anwesenden Familie mit viel Feingefühl auf.

Daigo Kobayashi (Masahiro Motoki) kam zu diesem ungewöhnliche Beruf zufällig, als sich das (private!) Orchester des Cellisten auflöste und er eine Stellenanzeige für „Reisebegleitung“ falsch verstand. Anfänglich macht der Film auf albern, wenn Daigo gleich beim ersten Auftrag statt dem „Nur zuschauen“ eine stark verweste Leiche mit Maden und anderem Unappetitlichen auf ihn wartet. Danach muss unbedingt den lebendigen Körper seiner jungen Frau spüren. (Die süßliche Pianomusik dabei zieht die Szene weit über das Ziel Einfühlung hinaus.)

Trotz erster Widerstände erweist sich dieser Job voller Überraschungen - wie Daigos Einsatz als Model für ein Leichenwasch-Video - als einfühlsame Geschichte über verschiedene Formen des Abschieds. Diese sorgsam ausgeführten Handlungen am toten Menschen führt der faszinierende Chef Ikuei Sasaki (Tsutomu Yamazaki) als große Kunst vor. Bei der Wahl seines Nachfolgers zeigte sich Herr Sasaki noch cool bis kauzig, aber im Umgang mit den Toten lebt er eine berührende Sorgfalt und Liebe vor. Damit erreicht er bei der Trauergemeinschaft einer Mutter einen großen Wandel. Zuerst ist der Witwer wütend und aggressiv wegen ein paar Minuten Verspätung. Als Sasaki die Tote aber mit ihrem Lieblingslippenstift verziert, brechen alle in Tränen aus, weil man sie noch nie so schön gesehen habe. Im Gegensatz dazu gerät eine Trauerfeier zum großen Familienstreit, als eine Tote nicht wie erwünscht aussieht.

Wenn der zurückgezogene Genießer Herr Sasaki Kugelfisch-Rogen verspeist, kommen in dem manchmal hochgiftigen Fisch und seinen Eiern die Themen Tod und neues Leben wieder vor. Und selbst die Lachse, die (etwas künstlich) nach einer unvorstellbar langen Strecke den Strom hinauf schwimmen, um zu laichen und zu sterben, erfüllen ihre Bestimmung im Sinne des Films: „Sie wollen nach Hause kommen!“ Leider vertraut der Film auf nicht seinen reichlich vorhandenen Qualitäten. Bei der firmeninternen Weihnachtsfeier wird zum Beispiel das Ave Maria von Daigos Cello plötzlich aus dem Off mit Klavier begleitet. Das macht es nicht stärker, sondern kitschig.

Das kann man dem ganzen wunderbaren Film vorhalten. Alles geht so schön ineinander auf, alles löst sich schließlich in Wohlfühlen auf. Selbst die Verachtung, die Daigo wegen seines neuen Berufs erfährt, verschwindet, als seine Frau ihn beim Abschied von einer Bekannten sieht. Letztendlich kann Daigo sogar mit seinem verhassten Vater über das Mittel der Zeremonie Frieden schliessen. Das mag für einen Oscar reichen, wer mehr als eine universelle Harmonie in den Wendungen des Lebens vermutet, sollte sich lieber Verlierer-Filme ansehen.

Ashley Judd und Sandra Nettelbeck zu HELEN

Starkes Engagement gegen Depression: Star Ashley Judd spielt „Helen“ in Sandra Nettelbecks neuem Film

Vancover. Nach der Aufregung um den Tod des Fußballspielers Robert Enke scheint der deutsch-kanadische Film „Helen“ in dem Hollywoodstar Ashley Judd ("De-Lovely", "Doppelmord", "Kiss the Girls") eine depressive Musikprofessorin und Mutter spielt, perfekt getimt. Doch Regisseurin Sandra Nettelbeck („Bella Martha“) arbeitete schon viele Jahre an diesem Thema, das für alle Beteiligten ein sehr persönliches war. So erzählt „Helen“ eine Familien- sowie Liebesgeschichte und ist dabei sowohl emotional als auch sehr differenziert, was die Krankheit und eine bislang tabuisierte Behandlungsmethode betrifft.

Helen, gespielt von Judd, führt ein beneidenswertes Leben, das zerbricht, als sie Depressionen bekommt. Trotz des bemühten Umfeldes aus Familie und Freunden kann sie niemand wirklich auffangen. Nur eine junge Musikerin versteht sie, da sie ein ähnliches Schicksal zu haben scheint.

"Dies ist die Rolle meines Lebens, ja, es ist meine Berufung, das ist für mich persönlich ein ganz entscheidender Film." So enthusiastisch äußerte sich Ashley Judd zu ihrer Rolle in „Helen“. Schon früher ging der Star offen mit eigenen Depressionen und mit der sechswöchigen Behandlung um, zu der es 2006 kam. Eigentlich wollte Ashley Judd nur die Therapie ihrer Halb-Schwester, der bekannten Country-Sängerin Wynonna Judd unterstützen. Doch in der Klinik wurden die eigenen überspielten Probleme schnell deutlich. So war es nicht verwunderlich, dass Judd beim Lesen des Drehbuchs schon auf Seite 16 völlig in Tränen aufgelöst war und wusste: „Diesen Film muss ich machen!“ Auch ohne die ganze Story zu kennen, „ war es vor allem ein sehr starkes Gefühl,“ dass sie vom Drehbuch überzeugt hat. Danach wandte sie sich mit einem Brief direkt an Sandra Nettelbeck, ohne den üblichen Weg über Agenten und Produzenten einzuhalten. Wie eine Fügung des Schicksals kam es ihr dann vor, dass die Rolle eigentlich schon an Gillian Anderson vergeben war, aber die Dreharbeiten am neuen "Akte X"-Film den Einsatz von "Scully" unsicher machten. Und so erinnerte sich die Regisseurin an Judd, mit der sie zwischenzeitlich gesprochen hatte.

Das tiefe persönliche Interesse am Thema verbindet Ashley Judd mit Sandra Nettelbeck, deren beste Freundin sich 1995 nach einer langen psychischen Krankheit umbrachte. „Helen“ hätte ihr erster großer Film sein sollen, doch ein Produzent empfahl ihr, erst mal einen anderen Kinofilm zu machen. Das wurde der Riesen-Erfolg "Bella Martha", der es sogar zu einem US-Remake mit Catherine Zeta-Jones anstelle von Martina Gedeck brachte.

Trotz ihres persönlichen Engagements war es für Judd nicht immer leicht, Helen zu sein: „Es hat mich viel Mut gekostet, diese Rolle zu spielen. Aber es war eine immense Freude, jeden Tag neue Szenen zu drehen.“ Die Wirkung der Krankheit beschreibt sie sehr plastisch: „Die Depression macht mit Helen, was Depressionen machen: Sie fängt von den Rändern an, ihr Leben aufzulösen und verschlingt am Ende ihre ganze Seele.“

Auch wenn Nettelbeck vor allem unterhalten will und den Liebes- und Familienfilm als Mainstream auf die Leinwand bringt, den „ich selbst sehen will“, hofft sie doch, dass der Film Betroffenen hilft, „den Moment zu finden, wo man Hilfe braucht“. Ashley Judd versteht sich auch in diesem Punkt mit ihrer Regisseurin: Es gäbe einen Arzt, der Helens Mann (Goran Visnjic aus "Emergency Room") sagt, „Ihre Frau ist nicht unglücklich, sie ist krank.“ Solche Sätze helfen, „unserer Gesellschaft, zu verstehen, dass Depression keine zufällige Traurigkeit, sondern eine ernst zu nehmende Krankheit ist.“

22.11.09

Guter Film - Klasse Lied

zB:

Gran Torino!

I want you (Costello / Winterbottom)

Mehr?

Die Tür


BRD 2008 (Die Tür) Regie: Anno Saul mit Mads Mikkelsen, Jessica Schwarz, Heike Makatsch, Thomas Thieme 103 Min. FSK ab 16

Wenn man als Eltern Sex hat, verunglücken einem die Kinder. Was wie chinesische Propaganda für die Einkindehe aussieht, ist Grundlage sowohl für Lars von Triers Beziehungs-Horror „Antichrist“ als auch für diesen sehenswert raffinierten Fantasy-Thriller in sehr realem deutschen Villenviertel-Setting.

Ein Quickie mit der Nachbarin (Heike Makatsch) bringt das Leben des berühmten Malers David (Mads Mikkelsen) aus der Spur, weil währenddessen seine siebenjährige Tochter Leonie unglücklich stürzt und im Pool ertrinkt. Davids Frau Maja (Jessica Schwarz) verlässt ihn, er beginnt zu trinken. Nachdem er sich ein paar Jahre später fast umgebracht hat, entdeckt er nicht fern von seiner Wohnung eine Tür im Gebüsch. Auf der anderen Seite findet er ein Spiegelbild seiner Villensiedlung. Hier geht die Zeit nach, es ist kurz bevor die Tochter ertrinkt. David sieht sein jüngeres Ich zur Nachbarin gehen, kann in letzter Sekunde die Tochter retten. Alles scheint gut, bis sich David in seinem Selbstporträt spiegelt, sich beide Davids gegenüber stehen und der bessere Vater den anderen aus Versehen umbringt. Die Leiche wird im Garten vergraben und nun beginnt der Psychothriller seine raffinierten Abgründe erst richtig auszuspielen: Die Tochter weiß, dass der neue Papa ein Fremder ist. Und ein guter Nachbar erweist sich als Blockwart im Garten und der Gegenwelt. Er klärt David mit einem auffälligen Ost-Dialekt auf: „Wir sind alle Mörder, das ist der Preis für unser Glück.“ David ist nicht der Einzige, der rübergemacht hat. Alle die etwas älter aussehen, sind verdächtig. Es gibt geradezu eine Invasion von schuldig Trauernden aus der Zukunft und ein Verbrecher auf Freigang regelt die Dinge - notfalls mit Gewalt. Als dann die Somersby-Geschichte etwas heftiger gerät, ähnelt sie unübersehbar Genre-Klassikern wie „Invasion der Körperfresser“ oder „Die Frauen von Stepford“.

Die Story nach dem Roman „Die Damalstür“ vom Autor Akif Pirinçci („Felidae“) hört sich fantastisch an. Die exzellente Umsetzung von Anno Saul („Kebab Connection“) mit hervorragenden Schauspielleistungen macht „Die Tür“ zu einem unbedingt sehenswerten Film, ganz unabhängig von Genre-Vorlieben. Mads Mikkelsen („Nach der Hochzeit“, „Adams Äpfel“, „Casino Royale“) brilliert sowohl als schuldgeplagtes Wrack als auch als reifer David, der seine zweite Chance ergreifen will, aber immer mehr dafür zahlen muss. Jessica Schwarz darf als Maja ebenso zwei Seiten zeigen, die vergrämte Dunkle und die noch hoffnungsvolle Frau in der Gegenwelt.

Bei sagenhaft guter Kamera (Bella Halben) stimmt auch sonst alles: Licht, Psychologie, die Schauspieler und das Buch. Die geniale Geschichte (Drehbuch: Jan Berger) hält die Spannung mit einem schwindelerregenden, super raffinierten Vertigo in der Zeit. Die Pointe liefert ein Nullsummen-Spiel für David und Maja. Das ist schön bitter, aber er konnte immerhin seine aufopferungsvolle Liebe bewiesen. Wem das zu fantastisch klingt, mag an Richard Gere in „Somersby“ denken - Hollywood würde man das alles viel eher glauben. Und es wird sicher bald ein US-Remake geben.

21.11.09

New Moon - Biss zur Mittagsstunde


USA 2009 (Twilight 2) Regie: Chis Weitz mit Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner 131 Min. FSK ab 12

Die Schöne und der Biss

Da hat das nette Mädel gerade eine Beziehung mit einem Vampir hinter sich und war dauernd in Gefahr, von seiner Familie vernascht zu werden. Und was macht sie als nächstes? Sie fängt was mit einem Werwolf an. Unverbesserlich. Vielleicht sollte sie mal eine Beziehung mit einem stinklangweiligen Beamten starten, dessen einziger Reiz es ist, total reizlos zu sein. Aber dann hätten wir nicht mit „New Moon“ noch einen hochwertigen Teenie-Vampirfilm bekommen. In den USA ging der Hype um die Filme nach den Buchvorlagen von Stephenie Meyer auch beim diesem typischen zweiten Teil mit den üblichen Hängern weiter.

Bella Swan (Kristen Stewart) hat Angst vor dem Altern, obwohl der Teenie eine Romanze mit einem Typen hat, der 106 Jahre alt ist. Doch Edward Cullen (Robert Pattinson) ist ein noch junger Vampir und zudem ein vegetarischer. Das bringt auch - in den USA populäre - sexuelle Enthaltsamkeit mit sich, denn Liebeslust würde leicht zu einem Blutrausch führen. Als weiteres Problem gibt es die Altersfrage, weswegen Bella gerne selbst Vampir werden würde, doch Edward sorgt sich im ihre Seele. Seele? Na ja, nicht alles ist gelungen, nicht alles „macht Sinn“ bei diesem ebenso emotionalen wie fantastischen Liebesabenteuer.

Edward trennt sich von Bella, um sie zu schützen und für ihr Liebesleid lässt sich der Film ungewöhnlich viel Zeit, findet in einer genialen Kreisbewegung um Bellas Verharren im Schmerz einen ersten ästhetischen Höhepunkt. Als Rettungsanker fungiert nach Monaten der Indianer Jacob Black (Taylor Lautner), ein guter Freund, der jedoch heftig verliebt ist. Irgendwann macht ihn die Wut über die Vernachlässigung zum Tier, genauer zum Werwolf, denn das steckte in seinen Genen. Derweil entdeckt Bella, dass die einzige Möglichkeit, sich Edward nahe zu fühlen, Todesgefahr ist. Nun fügt der Film noch etwas Drama und ultra-mächtige italienische Vampire ein, bevor er sich bis zum dritten Teil vertagt - das übliche Dilemma solcher zweiten und Zwischen-Teile.

Schon durch den Todeswunsch von Edward gerät „New Moon“ sehr morbid. Was bei den blassen Schönen in Edwards Familie einen schönen Reiz mit sich bringt. Nur ziehen sich diese blutarmen Blutsauger für den halben Film zurück, überlassen die Leinwand einerseits dem Schmerz, den dunklen Augenrändern und - weniger bewegend - den Werwölfen. Die sind zwar in zivil schön knackige Jungs, die Verwandlung in Form von digitalen Tiernummern geriet aber fast albern. Die Tricktechnik hat den Charme von Jack Arnolds Kreaturen und lässt Jack Nicholson als Werwolf vermissen. Dazu gelang die indianische Wolffamilie längst nicht so cool stylish wie die Vampire.

Trotzdem gefällt auch dieser Teil der Vampirsaga mit großen Landschafts-Szenerien, melancholischen Popsongs, der ganz ungewöhnlich entschleunigt wilde Jagden begleiten. Das Phänomen des völlig hippen Cult-Status von Hauptdarsteller Robert Pattinson muss man vielleicht denen erklären, die nicht mit aktuellen Teenie-Vibes vertraut sind. So packt „New Moon“ vor allem durch „Looks“ aber auch durch sorgfältig inszenierte und gut gespielte Romantik. Dass die Logik ganz schnell scheitert, wenn Gedankenlesern ins Spiel kommen, dass Bella zwar sehr eigenwillig und unabhängig ist, aber anscheinend zu doof, Motorrad zu fahren, ist wohl eher dem Roman anzukreiden. Auch die Sorge ums Seelenheil, mag Teenager von heute nicht wirklich interessieren. Doch wenn die Liebe, dieser fiese Vampir, Bella das Herz rausreißt, können alle Generation in dieser neuen Romantik schwelgen.

New in Town


USA 2009 (New in Town) Regie: Jonas Elmer mit Renée Zellweger, Harry Connick jr., Siobhan Fallon 96 Min.

Renée Zellweger wird in die Wüste geschickt, genauer: in die Eiswüste. Als Managerin Lucy Hill soll sie im arg provinziellen Mittleren Westen eine Fabrik schließen, oder zumindest die Hälfte der Arbeiter entlassen. Die anfängliche Konfrontation zwischen der arroganten Zicke aus der Großstadt Miami und den sehr eigenwilligen Hinterwäldlern könnte sich zu einem gegenseitigen Verständnis entwickeln. Mit als Höhepunkt dem Liebesverhältnis zwischen der Heuschrecken-Lady und dem Gewerkschafts-Grobklotz (Harry Connick jr.). So weit der Drehbuch-Plan, dem der Film nicht nachkommt.

Der hochhackige Auftritt von Lucy Hill erfolgt so wenig subtil wie die Veralberung der geschwätzigen Dorfweiber. Jemand der so erfolgreich wie diese Managerin ist, kann sich nicht so dämlich anstellen - auch nicht als Frau, liebe Herr Produzenten. Dazu gibt es haufenweise lustige Gesichter, hinter denen man in Hollywood wohl Dorftrottel vermutet. So ein Konstrukt kann als „Willkommen bei der Schtis“ halbwegs gut gehen oder grandios scheitern wie hier. Als Ergebnis wünscht man diesem Ort gleich einen ganzen Schwarm von Heuschrecken, der alles schließt, vor allem die dauernd plappernden Münder. Bei einem Film, der längst abgewickelt gehört, ist dann der romantische Gegenpart entsprechend unattraktiv, da funktioniert auch rein gar nichts.

Ganz klar, so ein Trip in die Provinz ist kein Karrieresprung für die Darsteller. Renée „Bridget Jones“ Zellweger wirkt völlig verzweifelt in dieser Rolle, hat aber bei weitem nicht das schauspielerische Vermögen, diese inszenatorische Pleite noch rauszureißen. Ihr Gesicht sieht irgendwie komisch aus, aber sie hat kein Komödianten-Gesicht. So ein Verschicken in die Eiswüste gab es auch mal mit Huskies und Cuba Gooding Jr.  - wann haben Sie da letzte Mal von dem gehört? Eigentlich ist solch ein Stoff in den USA besonders beliebt, weil zwischen den kulturellen Zentren - oder Gegenpolen - von Ost- und Westküste anscheinend nur solche Hinterwäldler leben. Die wählten Bush und wollen im Kino auch mal ernst genommen werden. Diesen Film wollten allerdings selbst sie nicht sehen. Weshalb er in notorisch überfüllten deutschen Kinos startet, bleibt ein Rätsel.

17.11.09

Paranormal Activity


USA 2007 (Paranormal Activity) Regie: Oren Peli mit Katie Featherston, Micah Sloat 88 Min.

Ein abgebrühter und erfahrener Programm-Macher erzählte einst, wie unglaublich gut das „Blair Witch Project“ auf ihn gewirkt hat: Er kam zu spät ins Kino und wusste überhaupt nix vom Film. Wer also auch die volle Wirkungs-Breitseite des besonderen Horrors von „Paranormal Activity“ erleben möchte, sollte hier aufhören zu lesen und gleich ins Kino gehen...

Dieses Home-Video eines sympathischen Paares soll angeblich nur knapp über zehntausend Dollar gekostet haben, wenn es denn ein gemachter Spielfilm und nicht das Original-Amateurmaterial dieses Paares ist. Den unprofessionellen Look der Echtheit hält die Geisterjagd mit der Videokamera konsequent durch. So sehen wir am Anfang Micah (Micah Sloat), wie er sich mit der frisch ausgepackten Kamera im Spiegel filmt. Dann kommt die Freundin Katie (Katie Featherston) nach Hause - ein lustiges Pärchen, alles scheint in Ordnung. Erst langsam stellt sich heraus, dass ein Dämon Katie seit ihrer Kindheit verfolgt und nun auch die neue Wohnung entdeckt hat. Die Kamera soll seine Spuren einfangen. Wobei Micah die Bedrohung nicht ernst nimmt oder sie zumindest aufregend findet. Tagsüber, aber vor allem auch nachts, wartet man nun in steigender Spannung auf das Schreckliche, das Unerklärliche.
Der erste akustische Scheinschrecken geht auf Kosten der Eismaschine. Doch in der Nacht bewegt sich tatsächlich eine Tür. Ein wenig nur, mehr nicht. „Paranormal Activity“ schafft es, durch einfachste suggestive Mittel, mit Angst anzustecken lassen. Schon lange nicht mehr wurde der Raum außerhalb des Bildes so effektiv eingesetzt. Vor allem die Natürlichkeit der beiden Akteure lässt dabei die ganze Geschichte funktionieren. Zwar ist man immer an der Grenze, den Film albern zu finden. Aber das könnte auch ein Abwehrmechanismus sein, weil der Film trotz der scheinbaren Abwesenheit dramatischer Mittel und wider jede Erwartung ganz schön spannend ist.

Wenn wir zusammen sind


Frankreich, 2008 (Mes Amis, Mes Amours) Regie: Lorraine Levy mit Vincent Lindon, Pascal Elbé, Virginie Ledoyen, Florence Foresti, Bernadette Lafont 99 Min.

Eine große französische Familie wohnt mitten in London zusammen. Das frankophone Viertel hat eine Pariser Restaurant, eine französische Buchhandlung und viele dramatische Liebesgeschichte vorzuweisen, in die diese leichte Komödie eintaucht.

Buchhändler Mathias (Vincent Lindon) legt sich gern mit Kunden an, mit Möbelpackern und wer ihm sonst noch so über den Weg oder die Galle läuft. Ein anstrengender Typ, der auch schon mal im Pyjama aus dem Haus stürmt. Als ihn ein sogar sympathischer Wutausbruch den Job in Paris kostet, düst Mathias zu seinem Freund Antoine (Pascal Elbé), zur Ex und zur Tochter Emily nach London. Während der launige Lebemann das Leben meistert, wie es grad kommt, gibt Antoine den penibel ordentlichen und sauberen Hausmann. Trotzdem ziehen die beiden Alleinerzieher bald mit ihren Kindern Louis und Emily zusammen, was auf keinen Fall gut gehen kann. Denn Antoine stellt einen Vertrag auf, nachdem es keine Babysitter und vor allem keine Frauen im Haus geben soll. Nach anfänglicher Euphorie folgt die Krise. Das Paar redet nicht mehr miteinander. Was damit zusammenhängt, dass Mathias, in dem Buchladen, den er übernahm, die nette französische Journalistin Audrey (Virginie Ledoyen) kennen lernte. Seine Höhenangst und ein alter Michelin-Guide auf der obersten Etage brachten die beiden zusammen. Nun muss der Chaot seine neue Liebe mit den alten Partnern - die Ex und Antoine - unter einen Hut bringen. Daneben gibt es noch Antoines Frau Sophie, die nicht so recht weiß, ob sie zu ihrem Mann zurück will, oder doch lieber den anderen abstauben will.

Lorraine Levy schrieb Theaterstücke und Komödien fürs Fernsehen bevor Sie 2002 ihr erstes Spielfilm-Drehbuch „The first time I was 20“ schrieb und 2004 verfilmte. Für „Wenn wir zusammen sind“ schrieb sie die Romanvorlage ihres Bruders Marc als Drehbuch um. Marc Levys erster Roman „Solange du da bist“ wurde von Steven Spielberg mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle verfilmt. Seine Romane „Wo bist du?", „Sieben Tage für die Ewigkeit" , „Bis ich dich wiedersehe" und „Zurück zu dir" waren internationalen Bestseller. Allein in Deutschland hat Levy über 1,5 Millionen Bücher verkauft, weltweit sind es über 13 Millionen Bücher in 38 Sprachen.

Es ist eine nette kleine Not-Gemeinschaft, die sich da in der fröstelnden Fremde Londons aneinander klammert. Lorraine Levy setzte die erfolgreiche Romanvorlage ihres Bruders Marc in eine immer wieder mal reizvolle Komödie um. Die Personen-Konstellationen erweisen sich als nicht gerade subtil erwählt, man fragt sich, was die junge Sophie an dem Typen findet, der treffend mit einem Bassett verglichen wird. Aber auch wenn einige Bestandteile arg konventionell sind, sorgen die ungewöhnliche Zusammensetzung und immer wieder ein paar unerwartete Noten für regelmäßiges Schmunzeln. Während sich die Kamera nicht so viel einfallen lässt, sind die Räume in der französischen Kolonie liebvoll gestaltet. Und Vincent Lindon steht dieser Part des grantig einsamen Lebenskünstlers. Man glaubt ihm, dass er auch privat den Lachs mit Plastiktüte im Geschirrspüler gart. Mit subversivem Humor bringen ausgerechnet englische Songs die großen Gefühle. Dazu gibt es etwas Magie bei der Verabschiedung des alten Buchhändlers und wenn Nat King Cole am Ende „Love“ in schön brüchigem Französisch singt, ist in dieser kleinen Welt alles gut.

66/67 ­ Fairplay war gestern


BRD 2009 (66/67 – Fairplay war gestern) Regie: Carsten Ludwig, Jan Christoph Glaser mit Fabian Hinrichs, Christoph Bach, Melika Foroutan, Maxim Mehmet 115 Min. FSK ab 16

Fußball ist Kampfsport - Zuschauen auch! Gebrochene Knochen, Vorstrafen, Stadionverbot - das gehört zur Minimalausstattung von echten Kerlen, die nicht dem Ammenmärchen nachlaufen, Sportveranstaltungen einer Stadt „gegen“ eine andere Stadt würden zur Verständigung beitragen. Florian, Otto, Henning, Christian, Tamer und Mischa tragen ihre Begeisterung für ihren Verein ganz unabhängig von Leistung oder Liga auf der Haut. Sie haben ihre 66/67-Tätowierungen nicht wegen irgendwelcher Geburtsjahre sondern wegen der Saison, in der ihr Verein Eintracht Braunschweig Deutscher Meister wurde. Jetzt kämpft der ehemalige Trikotwerbungs-Pionier um den Aufstieg in die neue 3. Liga und die Gang droht auseinanderzufallen.

Einige sind schon ausgestiegen, da hilft es nicht, dass Gruppenführer Florian diese Deserteure aggressiv fertig macht. Nun scheinen sich auch die letzten vom Prügeln als Lebensmittelpunkt zu verabschieden. Vor allem Florian will das nicht wahrhaben: Er erzählt Vater und Freundin, er könne sich nicht zwischen Studium und Übernahme der Firma entscheiden. Dabei hat er das Diplom längst in der Tasche.

„66/67 – Fairplay war gestern“ startet direkt als rasant inszenierter, kraftvoller Film und begeistert zwischendurch immer wieder mit starken Szenen. Vor allem die Drogen-Trips mit dem Nahverkehr nach Istanbul sind großes Kino. Die nicht wirklich bekannten Schauspieler beeindrucken nachhaltig. Es geht irgendwo um Freundschaft und es erstaunt, dass erst einmal selbst ein schwuler Mit-Hooligan die Gemeinschaft nicht stört. Trotzdem ist es kein spaßiger Film über irgendwelche seltsamen Fußball-Fans aus der Feder von Nick Hornby. Das hier ist echt und tut weh. Diese Jungs sind alle gewaltsam, im Geiste von Jägermeister machen sie brutal Jagd auf alles, was die falschen Farben anhat. Doch Gewalt herrscht nicht nur beim Hooligan-Hobby sondern auch bei den Beziehungen. Und wenn der normale Level an Gewalt schon so hoch ist, wird es sehr böse, wenn diese Seelen-Zombies mal nicht mehr weiter wissen.

Ganz nah bei Almut Getto... (Ganz nah bei dir, Fickende Fische)


Aachen. Die Begegnung des eigenbrötlerischen Bankangestellten Philip mit der blinden Cello-Spielerin Lina in „Ganz nah bei dir“ ist eine der schönsten Kinofilme seit langem. Die Tragikomödie erhielt bundesweit begeisterte Kritiken. Trotzdem fanden sich im Apollo nur wenige Zuschauer ein, als die Kölner Regisseurin Almut Getto am Montag ihren Film persönlich vorstellte. Eine Tragödie der lokalen Kinosituation, der selbst die positive Filmemacherin nur mit Galgenhumor begegnete. Der Trost eines Zuschauers: „Wenn in Aachen keiner ins Kino kommt, muss der Film gut sein!“

Die eigentlich unmögliche und vielleicht deswegen so passende Romanze zwischen Philip und Lina überzeugt auch durch die tollen Hauptdarsteller Katharina Schüttler und Bastian Trost. Auf die Frage, wie Almut Getto sie entdeckt hat, verrät die Regisseurin des sehr erfolgreichen Aids-Dramas „Fickende Fische“ ein kleines Geheimnis: Sie hat die junge Katherina Schüttler nicht wie die meisten zuerst als wilde „Sophiiiie!“ auf der Leinwand gesehen. Nein, schon beim Studium an der KHM in Köln besetzte ein Regiekollege die Rolle seiner Almut mit der Schüttler. Und mit Almut war tatsächlich Almut Getto gemeint.

Die an originellen Einfällen und ungewöhnlichen Momenten reiche Filmgeschichte sorgte auch beim Dreh für viele Anekdoten. So war es gar nicht so einfach, im Winter eine Schildkröte aufzutreiben, die Philips Panzer gegenüber der Welt symbolisieren sollte. Die kleinen Stars halten zu dieser Zeit nämlich Winterschlaf.

Die Hauptdarstellerin, die keine Kontaktlinsen zum „Erblinden“ trug, überraschte schon beim ersten Casting positiv. Ganz stolz meinte Katharina Schüttler, sie könne ihre Augen abstellen und ganz starr schauen. Dramatisch wurde es, als sie sich kurz vor Drehbeginn tatsächlich eine schwere Augenverletzung zuzog und eine Zeit lang mit verbundenen Augen leben musste. Die junge Schauspielerin war ideal, weil sie Cello spielen konnte und ganz ehrgeizig geübt hatte.

Da der Film völlig unverkrampft mit der Blindheit Linas umgeht, stellt sich die unausweichliche Frage: Was sagen Angehörige von Blinden zu dieser frechen jungen Frau, die ganz normal sein will? „Die haben alle gesagt, ganz genau so ist es!“ Vor allem die Szene mit einer Baustelle auf dem Bürgersteig, in die Lina („Sag jetzt nichts“) voll reinrennt, um sich nachher zu beschweren: „Warum sagst du nichts?“, sei ein Volltreffer. Genau diese „Mischung aus lustig und tragisch“ sei, was Almut Getto „einfach mag“. Dem schlossen sich die wenigen beglückten Zuschauer im Apollo an. Dort ist der Film nur noch heute um 19 Uhr zu sehen. Ab morgen wird die außerordentlich gelungene Geschichte auf 17.30 Uhr verschoben. (ghj)

„Ganz nah bei dir“ (BRD 2009, Regie: Almut Getto mit Katharina Schüttler, Bastian Trost, 91 Min., FSK: o.A.)

16.11.09

Gesetz der Rache


USA 2009 (Law Abiding Citizen) Regie: F. Gary Gray mit Gerard Butler, Jamie Foxx, Michael Gambon 109 Min. FSK: ab 16

Was würde Michael Kohlhaas, diese über alle Maßen gerechte Kleist-Figur, zu den Absprachen sagen, die in der deutschen Justiz immer beliebter werden? Wenn die Zumwinkels, die Hartz’ oder die Ackermanns nach Anklagen zu millionenschweren Verbrechen in Kurzverfahren für ein wenig Kleingeld - Peanuts - freigesprochen werden? In den USA heißen diese Absprachen Deals und haben eine längere Justiz- und Filmgeschichte. Das „Gesetz der Rache“ bringt das überdeutliche Gefühl, dass Absprachen nichts mit Gerechtigkeit zu tun haben, auf eine ganz andere Ebene:

Clyde Sheltons (Gerard Butler) Frau und Tochter werden in der heftigen Anfangsszene brutal umgebracht. Danach geht die Justiz ebenso schnell ihren Gang. Da die Beweislage nicht ganz sicher ist, fädelt der ehrgeizige Staatsanwalt Nick Rice (Jamie Foxx) einen Deal ein. Der Mörder sagt gegen seinen Mittäter aus und erhält dadurch eine milde Gefängnisstrafe. Clyde Shelton ist wütend, weil es keine gerechte (Todes-) Strafe für beide Täter gibt. Wie wütend, zeigt sich zehn Jahre später. Erst wird die Hinrichtung des zum Tode Verurteilten zur Horrorshow, weil jemand die Chemikalien vertauschte. Dann zerstückelt Shelton den anderen Täter bei vollem Bewusstsein mit Kreissäge und Skalpell. Und stellt sich danach der Polizei. In einem raffinierten Spiel mit dem Ankläger Nick Rice gesteht er die Taten, ermordet aber aus dem Gefängnis heraus alle Richter und Juristen, die am Deal vor zehn Jahren beteiligt waren, weil sie „anderen Gerechtigkeit vorenthielten“. Nur Rice bleibt inmitten der Explosionen und Leichen am Leben - er soll einsehen, dass er einen Fehler begangen hat, und gezwungen werden, gegen die Regeln des Gesetzes einen Mörder zu stoppen...

Da will jemand den „verseuchten, korrupten Tempel der Justiz zum Einsturz bringen“. Am Ende bleibt beim „Gesetz der Rache“ Selbstjustiz mit einem Twist. Mit den Deals und Absprachen wird hier die ganze Justiz abgeschafft. Dabei spielt der Film nicht fair und während die mäßige Umsetzung ihn uninteressant macht, sind seine populistischen Aussagen sehr bedenklich.

Regisseur F. Gary Gray („The Italian Job“) holt irgendwann einen Informanten aus Sheltons Vergangenheit zu Hilfe, um den Mörder zum supergefährlichen Killer-Genie zu machen. Dieses Image konnte der Film ihm bis dahin nicht verpassen. Der schwache „300“-Hauptdarsteller Butler wirkt eher wie ein grober Kerl, denn wie ein gerissenes Superhirn. Anthony Hopkins etwa schien in „Schweigen der Lämmer“ erst einmal harmlos. Dass er hinter dem extrem ruhigen Lächeln ein Monster versteckte, machte seine Rolle so spannend.

Außerdem fehlt dem „Gesetz der Rache“, das was den letzten „Batman“ so gut machte: Die Skrupel in den Figuren, die eigene Zerrissenheit zwischen Recht und Gerechtigkeit. Da blieb eine Erkenntnis: Mit Rache haben unsere Gesetze nichts zu tun. Dieser Film übrigens auch nicht, es geht hier um Rechthaberei. Dass er versucht, sein Publikum reinzulegen, wiegt schwerer als die uneinheitliche Umsetzung. Trotzdem ist der Gedanke reizvoll, Richtern diesen Film vor der nächsten Absprache in Sachen Ackerman & Co mal zu zeigen. Dann gibt es vielleicht ein ernsteres Nachdenken, welches Rechtsgut mit solchen Entscheidungen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

11.11.09

Rage DVD


Großbritannien 2009, Regie und Buch: Sally Potter

Ein Mord auf dem Catwalk! Man kann sich das Gekreische der Models lebhaft vorstellen. Man muss sich die Aufregung tatsächlich vorstellen, weil die ebenso feministisch wie artistisch avancierte Regisseurin Sally Potter mit „Rage“ einen außergewöhnlich spannenden Film inszeniert hat: Vor der Kamera des immer mehr umworbenen Regisseurs und Bloggers Michelangelo geben die Beteiligten an einer Modenshow, die mehrmals dramatisch schief geht, ihre Kommentare ab und entblößen sich im Laufe des Films. Das gelingt Potter mit einem exquisiten Cast. Grandios etwa ein kaum erkennbarer Jude Law als Model und Transvestit Minx. Oder Steve Buscemi als zynischer Kriegsfotograf, der auch in der Modebranche ganz gut zurecht kommt. Dazu Judi Dench, John Leguizamo, Dianne Wiest. Sie alle geben ungeschnittene Einzelinterviews vor monochromen Hintergründen verschiedener Farben. Das Drama kommt nur als Quietschen und Schreien aus dem Off. Wie beim Theater. Aber trotz dieser scheinbaren Einschränkung kommen packende Porträts zum Vorschein und eine andere Sicht auf die Mode-Szene als in Altmans „Pret-a-porter“.

Abseits von diesen offensichtlichen Besonderheiten ist auch „Rage“ ein sehr kluger Potter-Film: Filmgeschichtlich konnte man bei allen Marketing-Versuchen zum Parfüm „M“ die Variante „M is for Murder“ früh riechen. (Und hieß nicht auch die Bond-Rolle von Judi Dench „M“?) Es geht um Kunst und Kommerz, egozentrische Gestalten in der Kunstszene, um die Magersucht der Modells, die Ausbeutung der Näherinnen in der Dritten Welt für exklusive Markennamen und neben vielem anderen auch um die Konflikte mit Menschen aus dem Nahen Osten.

Neben der unbedingt auszuwählenden Originalversion bieten die DVD-Boni nicht viel.

Übergeschnappt


Niederlande, Belgien 2005 (Knetter) Regie: Martin Koolhoven mit Jesse Rinsma, Tom van Kessel, Carice van Houten 81 Min. FSK: ab 6

So klug, wie die neunjährige Bonnie mit ihrer manisch-depressiven Mutter umgeht, geht auch dieser gleichzeitig leichte und reife Film mit der außergewöhnlichen Situation um. Nach dem Tod der Oma muss Bonnie alleine mit den Höhen und Tiefen von Mamas Psyche zurechtkommen. Der Niederländer Martin Koolhoven macht daraus - nach seiner eher flachen Multikulti-Komödie „Schnitzelparadies“ (2005) und „Suzy Q“ (1999) - ein auch oft leichtes und fröhliches Meisterwerk der Emotionen. Bonnie ist so etwas wie eine holländische Pippi Langstrumpf in diesem ebenso für Kinder wie Erwachsene sehenswerten Film.

10.11.09

Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte


USA 2009 (Capitalism: A Love Story) Regie: Michael Moore 120 Min.

Nie war er so wertvoll wie heute! Aber leider etwas zu spät für die deutschen Wahlen: Michael Moore spricht nicht nur offensichtliche Wahrheiten zur Weltwirtschaftskrise aus, er führt sogar Politiker beider amerikanischer Parteien als Zeugen eines gigantischen Betruges an der Bevölkerung an. Dass dieser Moore noch „Bowling for Columbine“, „Fahrenheit 9/11“ und „Sicko“ wieder etwas schwächer ist, kümmert angesichts des ungeheuerlichen Milliarden-Schwindels kaum mehr.

Vor zwanzig Jahren prognostizierte Michael Moore in seiner Dokumentation „Roger & Me”, dass es bald überall in den USA so aussehen würde, wie in seiner Heimatstadt Flint, wo der Niedergang von General Motors städtebaulich, sozial und menschlich katastrophale Folgen hatte. Moore wurde ein bekannter Filmemacher, gewann mit „Fahrenheit 9/11“ 2004 die Goldene Palme und behielt Recht. Zur Zeit schmeißen die Regierungen den Autobauern in unvorstellbarer Weise Geld hinterher und niemand rechnet mal nach, wie viele Autos man für das Geld verschenken könnte.

„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ ist eine neue Abrechnung mit dem Amerika der unbegrenzten Ausbeutungsmöglichkeiten. Moores „Kapital“ besteht aus dem tränenreichen Leiden der enteigneten Hausbesitzer, die von den gierigen Banken schamlos reingelegt wurden. Extreme Gewinne einiger Weniger stehen flächendeckend private Pleiten gegenüber. Der Film erzählt von Piloten, die einen zweiten Job annehmen müssen, um genug zu essen zu haben. Und er schockt mit Lebensversicherungen, die große Firmen wie Wal Mart als Wetten auf das Ableben ihrer Mitarbeiter abschließen, um im „Erfolgsfalle“ Millionen für sich zu kassieren. Der größte Betrug ist allerdings die Kreditkrise, die nur dazu aufgebauscht wurde, damit nach Jahrzehnten Bereicherung der Reichen kurz vor dem Ende der Bush-Regierung die Banken noch einmal Milliarden einsacken konnten. Dabei wurde der Bock zum Gärtner gemacht, also der Ex-Boss von Goldman-Sachs zum Finanzminister.
 
Wie immer argumentiert Moore grob verkürzend und manchmal holperig. Mit Kirchenstimmen und Jesus als Zeugen, macht er klar: Kapitalismus ist Sünde. Moore wollte als Kind Priester werden, und nun ist er es irgendwie. Seine Filme werden nicht besser und auch nicht witziger. Die alte satirische Klasse zeigt er nur zu Beginn, wenn er Sandalenfilme vom Untergang Roms mit der repräsentativen Architektur Washingtons verknüpft. Aber genauso wenig, wie Moore die Montage-Techniken Eisensteins wirklich beherrscht, argumentiert er mit der Schärfe von Marx. Viele US-Bürger finden Moores übersichtliche Propaganda für die Arbeiter deswegen klasse. Wir in Deutschland kennen besseren Enthüllungsjournalismus aus Zeiten, als Politmagazine im Fernsehen noch ihrem Namen Ehre machten.

Doch trotz allem trifft Moore den wunden Punkt und rührt mit einer (naiven) Vision besserer Zustände. 1936 schützte Roosevelts Militär streikende Arbeiter in Flint vor Polizei und Schlägertrupps. Der Präsident schlug eine neue Verfassung vor, die das Recht auf Arbeit, auf ein Dach über dem Kopf, auf Mindestlöhne, Gesundheitsversorgung und Altersfürsorge enthielt. Kurz darauf starb er. Und mit ihm eine Hoffnung, die Moore neu entfachen will. Aber weder Film noch Krise scheinen Wirkung zu zeigen: Die Steuerzahler bezahlen die Rechnung noch Jahrzehnte lang, während die unverschämt Reichen schon wieder zocken.

Love Happens


USA, Kanada 2009 (Love Happens) Regie: Brandon Camp mit Aaron Eckhart, Jennifer Aniston, Martin Sheen 109 Min.

Er ist gut, er ist echt gut: Burke Ryan (Aaron Eckhart) bringt selbst den verbitterten, groben Kerl Walter dazu, sich mit seiner Trauer auseinanderzusetzen. Walters Sohn starb vor einigen Jahren. Burke schrieb einen Bestseller in Sachen Trauerbewältigung und Weiterleben. So begeistert der Autor und Gastredner auf Workshops hunderte Hinterbliebene. Aber er kann sich selbst nicht überzeugen. Die Trauer um seine Frau, die neben ihm bei einem Autounfall starb, kann der öffentlich strahlende Star nur heimlich im Wodka ertränken. Da wird sein Motto zum Hohn: Wenn dir das Leben Zitronen serviert, kannst du sauer werden oder Limonade machen. Burke macht Wodka Lemon draus. Bis er bei einem Auftritt in Seattle - dem lange gemiedenen Wohnort seiner Schwiegereltern - auf die mysteriöse Blumenhändlerin Eloise (Jennifer Aniston) trifft. Nach Anlaufschwierigkeiten flirten die beiden recht nett miteinander und haben ein paar romantische Momente. Doch immer deutlicher wird, dass Burke sich seiner Trauer stellen muss.

Das Gesamtpaket dieser Romantischen Komödie ist so anständig gemacht, dass Aniston darin fast funktioniert. „Love Happens“ baut romantische Momente um das Paar, Eloise bekommt einen Anstricht von Poesie und eine Tätigkeit, die sie mit Sinnlichkeit und Sensibilität erfüllt. Dazu nette Songs. Aber Jennifer Aniston erweist sich wieder als rollen-resistent, sie bleibt mit großen Augen und ihrer starren Mimik immer die einst erfolgreiche TV-Schauspielerin. So ist die Kleinigkeit bemerkenswert, dass Aniston endlich hinter dem Hauptdarsteller erst an zweiter Stelle geführt wird. Aaron Eckhart gibt routiniert den Typ im Anzug, der locker und ehrlich werden muss. Martin Sheen läuft (hier als Schwiegervater) zu ganz großer Form auf - mit Kurzauftritten in entscheidenden Nebenrollen belangloser Filmchen wie auch zuletzt Eddie Murphys „Zuhause ist der Zauber los“. Liebe oder große Romantik bricht bei all dem allerdings nicht aus.

2012


USA, Kanada 2009 (2012) Regie: Roland Emmerich mit John Cusack, Woody Harrelson, Thandie Newton, Amanda Peet, Oliver Platt, Danny Glover 158 Min.

Kaiser Nero hatte den falschen Job. Nur weil er ein - noch recht übersichtliches - Rom in Flammen sehen wollte, bekommt er Jahrhunderte lang schlechte Kritiken. Roland Emmerich hat einen coolen Job. Was Gott mühsam in sechs Tagen geschaffen hat, demoliert er in zweieinhalb Stunden detailverliebt und gründlich. Der Entwurf für eine neue Erde dauert bei Emmerich lächerliche fünf Minuten. Und der deutsche Regisseur, Autor und Produzent wird exzellente Kritiken bekommen. Nur wird der Ruhm nicht Jahrhunderte halten.

Die Zahl 2012 hat nichts mit dem Auslauftermin für die Erde gemäß Maya-Kalender zu tun - der wurde kürzlich auf 2220 aktualisiert. 2012 ist exakt die Zahl der Katastrophen-Filme, die in diesem gigantischen Katastrophen-Overkill unter die Räder kommen. Und es macht höllisch Spaß, die Erde auseinanderfallen zu sehen

In Emmerichs Zerstörungs-Orgie zerlegt die digitale Technik mit Lust und tausenden Spezial-Effekten bekannte Gebäude und Symbole: Das Weiße Haus, der Peterdom mit seinen Kunstschätzen in der Sixtinischen Kapelle. Ein Riss geht bedeutungsschwanger durch Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ genau zwischen den ausgestreckten Fingern Adams und Gottes. Will uns das was sagen? Nee, es sieht nur gut aus. Überhaupt geht hier ein Riss durch alles, vor allem quer durch Kalifornien und taucht immer dort auf, wo der Chauffeur Jackson Curtis (John Cusack) gerade mit seiner Familie fliehen will. Dabei prasseln von oben Wolkenkratzer herunter, während ein paar Kilometer tiefer Lavaströme sichtbar werden. Und wenn man sich beim Postermotiv fragt, wie hoch die Wellen denn sein müssen, damit sie ein tibetanisches Kloster im Himalaya hinwegspülen - das ist noch nicht der Höhepunkt. Der wird geschrammt, wenn im neuen Schifffahrtsverkehr, der Mount Everest ein Hindernis ist. „2012“ ist vor allem atemberaubend gigantisch und dabei witzig.

Handlung? Ach so ja: Die macht so sehr auf Katastrophen-Film-Routine, dass man sie zum Glück nicht ernst nehmen kann. Der geschiedene Jackson Curtis rettet zu Wasser, zu Lande und in der Luft seine beiden Kinder und die Ex, bis im großen Titanic-Romantik-Moment wieder alles gut ist. Zum Spaß an „2012“ gehört auch, dass der neue Held John Cusack nicht wie Bruce Willis im Unterhemd die Welt oder zumindest die amerikanische Menschheit rettet. Cusack behält bis zuletzt seinen Anzug und auch noch die Krawatte an. Auch ansonsten ist alles so haarsträubend unmöglich, dass es wieder gut ist. Während sich die Erde ziemlich rasant auflöst und nur die Superreichen eine Rettung erhoffen, sorgen Nebenfiguren für Ablenkung, die wissen, dass sie kein Ticket für das Finale haben und bei kurzen Auftritten alles geben müssen.

Es ist grandios, wie Emmerich die Mutter aller Katastrophen-Filme inszeniert: Untergang der Titanic? Machen wir in 90 Sekunden besser. „Twister“? War ein laues Windchen. Pierce Brosnans Vulkanausbruch „Dantes Peak“ erschüttert niemanden mehr, wenn man nun Woody Harrelson auf Lava trippen sieht. Emmerich multipliziert die Meteoriten-Einschläge von „Deep Impact“ massenhaft. Wie beim „World Trade Center“ purzeln die Steine der Hochhäuser und sogar seinen „Godzilla“ bekommt der Weltuntergangs-Spezialist unter.

„2012“ hebt völlig ab, in jeder Dimension. Endlos rast man vor Erdbeben, die ganze Staaten verschlingen, davon, indem man nur kräftig genug Gas gibt und der Tochter sagt, schau nicht nach hinten. Auch eine gigantische Vulkanexplosion kann man bestaunen, sich dann umdrehen und ganz ganz schnell weglaufen. Dieser Film ist ebenso hirn- wie Erdkrusten-rissig, und atemberaubend guter Action-Stoff. Ernst nehmen braucht man ziemlich schnell gar nichts mehr, selbst Familien-Geschichte und Appell an die Menschlichkeit sind nur schnell angeheftete Feigenblätter für den Spaß, gleich den ganzen Erdball zu demolieren. So circa 4 Milliarden Menschen sterben, man sieht gerade mal einen halben Liter Blut und alles wird gut, wenn eine Familie überlebt und wieder zusammen kommt.

Auffällig ist bei „2012“ die deutschsprachige Seilschaft, die mit Emmerich zusammenarbeitet: Special Effekts-Spezialist Volker Engel, 1965 in Bremerhaven geboren, kommt zu Produzenten-Ehren, er machte schon die Tricks bei „Godzilla“, „Independence Day“, „Universal Soldier“ und bereits 1990 bei „Moon 44“. Ko-Autor Harald Kloser, 1956 im Vorarlberg geboren, war bislang als Komponist fürs deutsche Fernsehen und für internationale Produktionen aktiv.

3.11.09

All Inclusive


USA, 2009 (Couples Retreat) Regie: Peter Billingsley mit Vince Vaughn, Jason Bateman, Faizon Love, Jon Favreau 114 Min. FSK: ab 6

Ein Paar steht kurz vor dem Ende seiner Beziehung und will es noch ein letztes Mal versuchen - mit Paartherapie in einem karibischen Traumressort. Nun sind die Plätze dort ausgebucht, nur ein Billig-Paket für gleich vier Paare wäre noch zu haben. Deshalb müssen auch die Freunde mit ihren Beziehungen und Problemen ran. Widerwillig und herbeigezwungen wirken dementsprechend die vier Paare, die statt Strandvergnügen früh am Morgen Therapie-Sitzungen und -Spielchen mitmachen müssen. Man sollte immer das Kleingedruckte lesen!

Bei all den unglaubwürdigen Geschichten wirkt eine Lösung noch halbwegs sinnvoll: Eines der  Paare stellt fest, dass es gar keine therapie-würdigen Probleme hat - sie leben einfach mit allen Höhen und Tiefen. Dieser Film sollte sich allerdings dringend behandeln lassen. Vor allem bei einem Script-Doktor. Die karibischen Schauwerte und ein paar bekannte Schauspieler täuschen über die Unsinnigkeit des ganzen Unterfangens hinweg. Das Gruppen-Projekt (einige sichtbar nicht ausgelastete Darsteller betätigten sich teilweise auch als Autoren und Produzenten) liefert weder Erkenntnisse oder emotionale Regungen, noch funktioniert es als Komödie. Selbst Jean Reno als Monsieur Marcel ist nie komisch. Dagegen hätte man von den einzelnen Therapeuten-Spielern, welche die Chance ihrer kleinen Rollen nutzen wollten, gerne mehr gesehen.

Das Paar-Ressort nennt sich übrigens „Eden“. So hieß auch die Waldhütte in Lars von Triers „Antichrist“ und vor die Wahl gestellt zwischen dessen Horror und diesem Humor bereitet von Trier weniger Qualen und Schmerzen.

Der Informant!


USA 2009 (The Informant!) Regie: Steven Soderbergh mit Matt Damon, Melanie Lynskey, Scott Bakula, Joel McHale 108 Min. FSK: ab 12

Matt Damon in einem Geflecht aus Spionage, Wirtschaftskrimi und Millionen-Betrügereien. Hier sollte jetzt hochspannende Musik kommen, aber etwas Kaufhaus-Gedudel tut es auch. Matt Damon also in der Rolle des Biochemikers und Vizepräsident eines Lebensmittelkonzerns Mark Whitacre. Marks Vorbild ist Tom Cruise, der Crichton-Thriller „Die Firma“ ist scheinbar sein Lieblingsfilm. Was geht in so einem Mastermind vor, mit welchen scharfen Gedanken löst sich der Familienvater Mark Whitacre, der fünf Luxuswagen in der Garage hat, aus einer kniffligen Situation? Er denkt darüber nach, weshalb Eisbären wissen, dass ihre schwarze Nase im Schnee ziemlich verräterisch ist! Und vieles andere mehr, was so belanglos ist, dass man es sofort wieder vergisst. Nur ein Steven Soderbergh bringt es fertig, mit Kaufhausmusik und einem Off-Kommentar aus Banalitäten einen äußerst reizvollen Film zu machen.

Matt Damon gibt unter der Meister-Regie von Soderbergh als „The Informant!“ den leitenden Angestellten und Chemiker Mark Whitacre, der gerade Probleme mit der Lysin-Produktion hat. Irgendwas klappt nicht und das kostet bei einem führenden Unternehmen wie ADM direkt ein paar Millionen. Plötzlich kann Whitacre einem der Firmenbosse einen japanischen Sabotage-Plan als Grund für die Probleme vorlegen. Das FBI wird eingeschaltet, erhält aber direkt von Whitacre Informationen über gigantische Preisabsprachen der Lebensmittelkonzerne. Dass er damit verdecken will, wie er selbst viele Millionen beiseite schaffte, ist nur ein Teil des Lügenkonstrukts dieser faszinierenden Figur. Mit vielen karikierenden Details in Maske, Musik und Kleidung lässt Soderbergh seine Lügen-Komödie perfekt wie ein Uhrwerk ablaufen.

Unglaublich, aber wahr: Diesen Marc Whitacre gab es wirklich. Seine Betrugskarriere begann mit ein paar Hunderttausend und endete bei über 11 Millionen, die er beiseite schaffte. Ob dies die endgültige Wahrheit ist, weiß nur einer. Whitacre, dessen Verfahren insgesamt 45 Anklagepunkte aufführte, steht im Zentrum von Soderberghs Komödie oder Tragödie eines notorischen Lügners. Pummelig, mit Schnauzbart, einer riesigen Brille, der Frisur aus letztem Jahrtausend gibt er sich beim FBI den Codenamen 0014 - doppelt so schlau wie 007. Er versieht die heimlichen Tonband-Aufnahmen mit begeisterten Erklärungen, Als dann auch eine Kamera die konspirativen Treffen der Lebensmittel-Konzerne aufnimmt, liefern Soderbergh und Damon grandiosen Slapstick ab. Die flockige Harmlosigkeit schlägt sich auch in der Musik nieder, die es an Leichtigkeit mit Werbe-Melodien oder Aufzugs-Klassikern aufnehmen kann und wie immer bei Soderbergh einen großartigen Soundtrack abliefert. Hier teilen sich Figur, Film und Regisseur die Attribute unvergleichlich und einzigartig!

Looking for Eric


Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien, Spanien 2009 (Looking for Eric) Regie: Ken Loach mit Steve Evets, Eric Cantona, Stephanie Bishop, Gerard Kearns, Stefan Gumbs 117 Min. FSK: ab 12

Der britische Film- und Sozialkämpfer Ken Loach, der für den irischen Bürgerkriegsfilm „The Wind that shakes the Barley“ 2006 die Goldene Palme gewann, gönnt uns zu seinen vertrauten Themen aus dem britischen Arbeitermilieu mit seiner schönen Komödie „Looking for Eric“ viel Lachen und ein Happy End. Das Leben des Postboten Eric Bishop (Steve Evets) bricht zusammen, als er seine alte Liebe Lily wiedersehen muss. Stiefsohn Ryan droht unter die Kontrolle eines psychopathischen Gangsters zu geraten, der jüngere Stiefsohn zieht sich Besorgnis erweckend zurück. Die Post stapelt sich im Wohnzimmer Erics und Glück kennt sein Leben schon lange nicht mehr. Als Eric jedoch einen Joint seines Stiefsohnes raucht, erscheint ihm sein großes Idol, der Fußballer Eric Cantona. „Erscheinen“ ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn der Star von Manchester United tritt einfach aus dem Riesenposter heraus, das bei Manu-Fan Eric im Zimmer hängt.

Von nun an begleitet der große Eric Cantona den kleinen Eric Bishop - wobei nur er allein den bärtigen Fußball-Helden sieht. Dessen Ratschläge klingen nicht nur wegen der Übersetzungen aus Cantonas Muttersprache Französisch etwas abstrus: „Wenn die Möwen einem Fischerboot folgen, liegt das daran, weil sie denken, Sardinen würden in den Ozean geworfen.“ Trotzdem bringt dieser Berater den verzweifelten Eric dazu, wie einst er auf dem Fußball-Platz, auch im Leben etwas zu wagen, neue Wege zu gehen und sich selber immer wieder zu überraschen. Der virtuelle Freund ändert das Leben des Postboten Eric nachhaltig. In einer großen sozialistischen Solidaritätsszene - wir sind immer noch bei Ken Loach - besiegen drei Fanbusse mit Postboten, die alle Cantona-Masken tragen, selbst den brutalen Gangster.

Mit dem französischen Fußball-Star und ehemaligen Manchester United-Spieler Eric Cantona lässt der Film einen Star auflaufen, der nicht aus der Kinowelt kommt. Eine clevere Besetzung von Ken Loach, denn noch nie wurde ein Film von Ken Loach mit so vielen Kopien ins Kino gebracht, wie „Looking for Eric“. Cantona, der schon in einigen Filmen mitmachte, hat sichtlichen Spaß am neuen Spiel. Eher bedächtig äußert er sich mit Sachverstand zum Filmen und dem Leben an sich. Wer bei ihm auf die üblichen Fußballer-Dummsprüche wartet, ist auf dem falschen Platz. Drehbuch-Autor und Fußball-Fan Paul Laverty weiß, dass Fußball und Film einer unterschiedlichen Dramatik unterliegen. Fußball hat einen anderen Rhythmus und lebt vom Unvorhersehbaren, wie beim Last Minute-Sieg von Manu gegen die Bayern im Champions League-Finale. Zusammen gelang der Dreier-Spitze Loach-Cantona-Laverty ein überzeugender Spaß, der einen plötzlich wieder an den Erfolg des Sozialismus glauben lässt.

Eine Perle Ewigkeit


Spanien, Peru 2008 (La teta asustada) Regie: Claudia Llosa mit Magaly Solier, Susi Sànchez, Efraín Solís, Marino Ballón, Delci Heredia 94 Min.

Der Berlinale-Sieger dieses Jahres kommt aus Peru und betört mit einer stillen Poesie, die aus kargem Realismus erwächst. „Eine Perle Ewigkeit“ begeistert mit unverbrauchten Bildern sowie einer sozial harten Geschichte mit magisch-realistischen Einsprengseln.

Die verstört und verängstigt wirkende Fausta (eindrucksvoll: Magaly Solier) lebt mit Verwandten in einer einfachen Hütte am Rande Limas. Dass Fausta Geld für das Begräbnis ihrer Mutter auftreiben muss, weil der Leichnam vor der Hochzeit der Cousine aus dem Haus sein muss und sich die Mutter ein Grab in ihrem Heimatdorf wünschte, ist ein finanzielles Problem. Aber vor allem hat Fausta Angst vor der Welt da draußen und vor den Männern. Zum Schutz vor Vergewaltigung trägt sie eine Kartoffel in der Vagina, was selbstverständlich zu gesundheitlichen Problemen führt. Llosa zeigt jedoch das regelmäßige Abschneiden der Sprossen als einen Akt, der über den banalen oder auch absurden Vorgang hinaus geht. Ebenso ist letztlich der Tauschhandel, zu dem eine berühmte Pianistin und Komponistin ihr neues Hausmädchen Fausta zwingt, in Licht gegossene Poesie: Für jedes Lied, das die scheue junge Frau vor der uninspirierten Künstlerin preis gibt, erhält sie eine Perle. Ein Stück veräußerte Seele um das Begräbnis der Mutter zu bezahlen. Dass die weiße Herrin, die Perlen gegen Lieder tauscht, aber den Vertrag nicht einhält, Nachfahrin der spanischen Eroberer sei, die Ureinwohner mit Tand betrogen, wäre grobe Geschichtsschreibung. Trotzdem: Fausta singt und spricht in Quechua, einer Sprache der Eingeborenen. Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“), Nichte des Schriftstellers Vargas Llosa, erzählt mehr, differenzierter; sie lässt mitfühlen und -erleben.

Fausta leidet an einer Angst, die durch die Muttermilch übertragen wird. Es ist keine Krankheit, die durch Bakterien oder Ansteckung herbeigeführt wird. „La Teta Asustada“, bedeutet „Die verschreckte Brust“ und wird mit dem deutschen Titel „Eine Perle Ewigkeit“ weder umschrieben noch übersetzt. Die „bittere Milch“ vererben Frauen, die in Peru während der Jahre des terroristischen Kampfes misshandelt oder vergewaltigt wurden. Die im Jahre 2001 eingesetzte peruanische „Wahrheitskommission“ (Comisión de la Verdad y Reconciliación, CVR) hat für den Zeitraum von 1980 bis 2000 fast 70.000 ermordete Menschen, unzählige Vergewaltigungen, Entführungen und andere Menschenrechtsverletzungen verzeichnet. Dies sind einige Fakten, mit dem sich der ruhig erzählte, magisch-realistische Fluss der Ereignisse entschlüsseln lässt. Doch seine Kraft entfaltet er im Verband mit der sehr eindringlichen Hauptdarstellerin Magaly Solier auch so. Die Angst vor dem Foto eines Militärs wirkt an sich, vermittelt eine tiefe Traumatisierung, ohne, dass irgendwann Gewalt gezeigt wird.