3.11.09

Eine Perle Ewigkeit


Spanien, Peru 2008 (La teta asustada) Regie: Claudia Llosa mit Magaly Solier, Susi Sànchez, Efraín Solís, Marino Ballón, Delci Heredia 94 Min.

Der Berlinale-Sieger dieses Jahres kommt aus Peru und betört mit einer stillen Poesie, die aus kargem Realismus erwächst. „Eine Perle Ewigkeit“ begeistert mit unverbrauchten Bildern sowie einer sozial harten Geschichte mit magisch-realistischen Einsprengseln.

Die verstört und verängstigt wirkende Fausta (eindrucksvoll: Magaly Solier) lebt mit Verwandten in einer einfachen Hütte am Rande Limas. Dass Fausta Geld für das Begräbnis ihrer Mutter auftreiben muss, weil der Leichnam vor der Hochzeit der Cousine aus dem Haus sein muss und sich die Mutter ein Grab in ihrem Heimatdorf wünschte, ist ein finanzielles Problem. Aber vor allem hat Fausta Angst vor der Welt da draußen und vor den Männern. Zum Schutz vor Vergewaltigung trägt sie eine Kartoffel in der Vagina, was selbstverständlich zu gesundheitlichen Problemen führt. Llosa zeigt jedoch das regelmäßige Abschneiden der Sprossen als einen Akt, der über den banalen oder auch absurden Vorgang hinaus geht. Ebenso ist letztlich der Tauschhandel, zu dem eine berühmte Pianistin und Komponistin ihr neues Hausmädchen Fausta zwingt, in Licht gegossene Poesie: Für jedes Lied, das die scheue junge Frau vor der uninspirierten Künstlerin preis gibt, erhält sie eine Perle. Ein Stück veräußerte Seele um das Begräbnis der Mutter zu bezahlen. Dass die weiße Herrin, die Perlen gegen Lieder tauscht, aber den Vertrag nicht einhält, Nachfahrin der spanischen Eroberer sei, die Ureinwohner mit Tand betrogen, wäre grobe Geschichtsschreibung. Trotzdem: Fausta singt und spricht in Quechua, einer Sprache der Eingeborenen. Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“), Nichte des Schriftstellers Vargas Llosa, erzählt mehr, differenzierter; sie lässt mitfühlen und -erleben.

Fausta leidet an einer Angst, die durch die Muttermilch übertragen wird. Es ist keine Krankheit, die durch Bakterien oder Ansteckung herbeigeführt wird. „La Teta Asustada“, bedeutet „Die verschreckte Brust“ und wird mit dem deutschen Titel „Eine Perle Ewigkeit“ weder umschrieben noch übersetzt. Die „bittere Milch“ vererben Frauen, die in Peru während der Jahre des terroristischen Kampfes misshandelt oder vergewaltigt wurden. Die im Jahre 2001 eingesetzte peruanische „Wahrheitskommission“ (Comisión de la Verdad y Reconciliación, CVR) hat für den Zeitraum von 1980 bis 2000 fast 70.000 ermordete Menschen, unzählige Vergewaltigungen, Entführungen und andere Menschenrechtsverletzungen verzeichnet. Dies sind einige Fakten, mit dem sich der ruhig erzählte, magisch-realistische Fluss der Ereignisse entschlüsseln lässt. Doch seine Kraft entfaltet er im Verband mit der sehr eindringlichen Hauptdarstellerin Magaly Solier auch so. Die Angst vor dem Foto eines Militärs wirkt an sich, vermittelt eine tiefe Traumatisierung, ohne, dass irgendwann Gewalt gezeigt wird.