10.11.09
Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte
USA 2009 (Capitalism: A Love Story) Regie: Michael Moore 120 Min.
Nie war er so wertvoll wie heute! Aber leider etwas zu spät für die deutschen Wahlen: Michael Moore spricht nicht nur offensichtliche Wahrheiten zur Weltwirtschaftskrise aus, er führt sogar Politiker beider amerikanischer Parteien als Zeugen eines gigantischen Betruges an der Bevölkerung an. Dass dieser Moore noch „Bowling for Columbine“, „Fahrenheit 9/11“ und „Sicko“ wieder etwas schwächer ist, kümmert angesichts des ungeheuerlichen Milliarden-Schwindels kaum mehr.
Vor zwanzig Jahren prognostizierte Michael Moore in seiner Dokumentation „Roger & Me”, dass es bald überall in den USA so aussehen würde, wie in seiner Heimatstadt Flint, wo der Niedergang von General Motors städtebaulich, sozial und menschlich katastrophale Folgen hatte. Moore wurde ein bekannter Filmemacher, gewann mit „Fahrenheit 9/11“ 2004 die Goldene Palme und behielt Recht. Zur Zeit schmeißen die Regierungen den Autobauern in unvorstellbarer Weise Geld hinterher und niemand rechnet mal nach, wie viele Autos man für das Geld verschenken könnte.
„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ ist eine neue Abrechnung mit dem Amerika der unbegrenzten Ausbeutungsmöglichkeiten. Moores „Kapital“ besteht aus dem tränenreichen Leiden der enteigneten Hausbesitzer, die von den gierigen Banken schamlos reingelegt wurden. Extreme Gewinne einiger Weniger stehen flächendeckend private Pleiten gegenüber. Der Film erzählt von Piloten, die einen zweiten Job annehmen müssen, um genug zu essen zu haben. Und er schockt mit Lebensversicherungen, die große Firmen wie Wal Mart als Wetten auf das Ableben ihrer Mitarbeiter abschließen, um im „Erfolgsfalle“ Millionen für sich zu kassieren. Der größte Betrug ist allerdings die Kreditkrise, die nur dazu aufgebauscht wurde, damit nach Jahrzehnten Bereicherung der Reichen kurz vor dem Ende der Bush-Regierung die Banken noch einmal Milliarden einsacken konnten. Dabei wurde der Bock zum Gärtner gemacht, also der Ex-Boss von Goldman-Sachs zum Finanzminister.
Wie immer argumentiert Moore grob verkürzend und manchmal holperig. Mit Kirchenstimmen und Jesus als Zeugen, macht er klar: Kapitalismus ist Sünde. Moore wollte als Kind Priester werden, und nun ist er es irgendwie. Seine Filme werden nicht besser und auch nicht witziger. Die alte satirische Klasse zeigt er nur zu Beginn, wenn er Sandalenfilme vom Untergang Roms mit der repräsentativen Architektur Washingtons verknüpft. Aber genauso wenig, wie Moore die Montage-Techniken Eisensteins wirklich beherrscht, argumentiert er mit der Schärfe von Marx. Viele US-Bürger finden Moores übersichtliche Propaganda für die Arbeiter deswegen klasse. Wir in Deutschland kennen besseren Enthüllungsjournalismus aus Zeiten, als Politmagazine im Fernsehen noch ihrem Namen Ehre machten.
Doch trotz allem trifft Moore den wunden Punkt und rührt mit einer (naiven) Vision besserer Zustände. 1936 schützte Roosevelts Militär streikende Arbeiter in Flint vor Polizei und Schlägertrupps. Der Präsident schlug eine neue Verfassung vor, die das Recht auf Arbeit, auf ein Dach über dem Kopf, auf Mindestlöhne, Gesundheitsversorgung und Altersfürsorge enthielt. Kurz darauf starb er. Und mit ihm eine Hoffnung, die Moore neu entfachen will. Aber weder Film noch Krise scheinen Wirkung zu zeigen: Die Steuerzahler bezahlen die Rechnung noch Jahrzehnte lang, während die unverschämt Reichen schon wieder zocken.