14.12.09
Avatar
USA 2009 (Avatar) Regie: James Cameron mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver 161 Min. FSK: ab 12
Mit „Titanic“, dem erfolgreichsten Hollywood-Film bislang, hat James Cameron eine eindrucksvolle Marke im Filmgeschäft gesetzt. Aber „Avatar“ ist ein großer Film, ein einzigartiger Film und tatsächlich das außergewöhnliche Kinoereignis am Ende des Jahres, des Jahrzehnts und am Anfang eines Kinojahrhunderts, das 3D sein soll.
Der Autor, Produzent und Regisseur Cameron erzählt wieder eine übersichtliche Geschichte, die in fantastischen Bildern eine ökologische Utopie ausbreitet: Der querschnittsgelähmte Soldat Jake Sully (Sam Worthington) wird im 22. Jahrhundert für seinen verstorbenen Bruder zum Planeten Pandora geflogen. Mit seinen verwandten Gehirnströmen, soll er in den Körper eines einheimischen Na’vi schlüpfen, das sind drei Meter große, menschähnliche Wesen mit blauer Haut. Die Na’vi wehren sich mit Pfeil und Bogen gegen die hochindustrielle, ultra-moderne Ausbeutung ihres Planeten. Jake sollte eigentlich mit ihnen verhandeln, verliebt sich aber in Neytiri (Zoe Saldana), Tochter der geistigen Anführerin der Na’vi. Nachdem die Menschen brutal und grausam den heiligen Wald der Bevölkerung zerstört haben, kämpft Jake auf Seiten der Wesen, die im Einklang mit der Natur leben.
Die Na’vi sind fantastische Geschöpfe in vieler Hinsicht. Die animalischen Maserungen auf der blauen Haut und auch die Gesichtszüge verraten tierische Aufwallungen, die wir zivilisierten Wesen uns selten eingestehen. Sie sind drei Meter groß, gewaltig, kräftig und gütig. Vor allem leben sie in Harmonie mit der Natur, ja mehr noch: sind tatsächlich verwachsen mit ihr, mit einem leisen Britzeln verflechten sich die Fasern der Na’vi-Schwänze mit den Fühlern ihrer Reittiere oder den gezähmten Flugsauriern. Auch mit Lianen eines magischen Waldes verbinden sich die Na’vi, um Stimmen ihrer Ahnen zu hören. All das ergibt ganz organisch Camerons Poesie einer universalen Harmonie. Viele kleine Momente von Verständigung und Erkennen sind Varianten der 1989 atemberaubenden Tiefsee-Begegnungen und Manifestation freundlicher Außerirdischer in „The Abyss“.
„Avatar“ geht nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem 3D-Format sehr sorgfältig um: Von Anfang an erzeugt er Wirkung durch Größe, durch Tiefe und durch raffinierte Staffelung. Das Labyrinth des Waldes, kleine fliegende Luft-Quallen, gewaltige Flugsaurier, das Funkeln der blauen Haut füllen die Bilder eindrucksvoll. Camerons Unterwasser-Erfahrungen bei seinen monatelangen High-Tech-Tauchaktionen - auf der Suche nach der Titanic, der Bismarck und der fantastischen Meeres-Welt des Mittelozeanischen Rückens für einen Imax-Film - sind nicht nur zu sehen, sondern sogar in der freien Bewegung in allen Dimensionen zu spüren. Besonders die schwebenden Berge, die den Inseln im chinesischen Meer ähneln, auf denen James Bonds „Der Mann mit dem goldenen Colt“ gedreht wurde. Das 3D von „Avatar“ ist übrigens nicht nur einfach dreidimensional. Es ist das 3D, das sich Cameron selber entwickelte, um seine Visionen möglich zu machen. Ohne Rücksicht auf Geld und Zeit (die im Filmgeschäft vor allem Geld kostet). Diese kompromisslose Art, seine Ziele durchzusetzen, ist seit „Titanic“ legendär, wo er den Etat gnadenlos überzog.
Cameron liefert in seinem Film selber ein schönes Bild für die Erweiterung der (Erlebnis-) Möglichkeiten durch Technik: Die männliche Hauptfigur Jake ist ein gebrochener Kämpfer, ein Soldat im Rollstuhl. Die Verbindung mit einem Na’vi-Avatar gibt ihm nicht nur seine Beine zurück, er kann mit dem neuen Superkörper mehr erleben als zuvor als Nur-Mensch. Bei dieser faszinierenden Animation sind nicht allein die Fantasie-Wesen sehr lebendig, Cameron schafft sogar eine viel größere Identifikation, als wenn wir wirklich Amazonas-Indianer oder andere bedrohte Völker aus Afrika, Asien und Südamerika sehen würden. Man sieht mehr. Genau wie beim Grund-Satz des Verstehens, den Jake langsam erlernen muss: I see you. Nicht nur „Ich sehe dich“, sondern auch „Ich erkenne dich tief in deinem Wesen“. Was selbstverständlich mit seiner Lehrerin Neytiri auch zu dem biblischen Erkennen führt.
Die Mischung aus Realfilm und Animation, die Realaufnahmen der Figuren in eine andere Welt entführt, wurde ganz nebenbei auch gut gespielt. Sigourney Weaver, die mit Cameron „Aliens“ drehte, ist diesmal selber ein Alien auf dem Planeten der blauen Wesen. Neben den Avatar-Stars sieht man Michelle Rodriguez („Girlfight“) als Hubschrauber-Pilotin und Giovanni Ribisi als rücksichtslosen Selfridge, Boss und Abgesandter der kapitalistischen Ausbeutung.
„Avatar“ ist ein ökologisches, ein mächtiges Manifest gegen die Rodung des Regenwaldes und die Zerstörung großer Teile unserer Umwelt. Es ist rührend, wie die Na’vi ihre Welt als ein Netzwerk begreifen, in dem alles miteinander verbunden ist. Selbst Tiere, die einen unvorsichtigen Besucher des Waldes anfallen, sind zu betrauern, wenn sie im (unnötigen) Kampf sterben. Gaia, Mutter, Natur - egal wie man es nennt, es sieht und fühlt sich so an, dass man sofort hin- oder gleich noch mal in diese Filmwelt will. Erst in einer Wiedergeburtszeremonie gerät dieser schöne Pantheismus zu kitschig.
Hier grüßt „Matrix“ wieder, die Avatar-Idee wird mit allen Gefahren ausgeführt wie schon in „Tron“. Die Ästhetik der Na’vi-Welt erinnert sehr stark an „Myst“, einen Klassiker des anspruchsvollen Computer-Adventures. Die romantische Mischehe klingt nach Pocahontas, der Indianer-Prinzessin, die sich in den weißen Eroberer John Smith verliebte. Details sind wiedererkennbar, die Na’vi reiten und kriegs-schreien wie Indianer, die Physiognomie ist afrikanisch. Es gibt bei diesem großen „Avatar“-Abenteuer selbstverständlich vieles wiederzusehen und (für den Kritiker) anzuführen, denn angeblich gibt es ja nichts Neues auf dieser Welt. Aber Cameron kommt jedoch mit „Avatar“ dem Gefühl, eine ganz neue Welt zu betreten, sehr sehr nahe.