„Wir" im Wettbewerb
Die Anfänge deutschen Terrorismus als Liebesdrama
„Wer wenn nicht wir", der erste Spielfilm von Andrea Veiel
Berlin. Was ist privat, was politisch? Diese Frage beschäftigte und beschäftigt immer wieder politisch aktive Menschen, selbstverständlich auch den linken Protest der Sechziger und Siebziger in der Bundesrepublik. Die Themen in „Wer wenn nicht wir", dem komplexen Spielfilm-Debüt des ausgezeichneten Dokumentaristen Andres Veiel („Balagan", „Black Box BRD", „Der Kick"), sind Beziehung und Engagement von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, sind privat und politisch. „Wer wenn nicht wir" lief gestern Abend im Wettbewerb der Berlinale - quasi als Gegengift zu „Mein bester Feind" von Wolfgang Murnberger, die es als Komödie mit Moritz Bleitreu als jüdischer Kunsthändler in SS-Uniform schaffte, KZs, Holocaust und Weltkrieg fast völlig zu vergessen.
Die Szenen von Prügel-Persern und Polizei bei der Hofierung des Persischen Schahs 1967 in Berlin sind der Schnittpunkt von „Wer wenn nicht wir" mit Eichingers „R.A.F.". Doch Veiel blickt hinter die Klischees, hinter die Phrasen von der radikalisierten Pastorentochter (nein, nicht die, die Ensslin ist gemeint). Anfang der Sechziger siezst man sich noch an der Uni und auch sonst wo, selbst junge Männer (er-)tragen Krawatten und überall rauchen Zigaretten. Bernward Vesper (August Diehl) beginnt sein Studium in Tübingen, diskutiert und diniert mit Walter Jens. Der engagierte Student Vesper trägt allerdings eine schwere Last, sein verehrter Vater Will war Großschriftstellers der Nazis, schrieb Grußverse an den Führer. Während Bernward Papas Werke im nebenbei gegründeten Verlag wieder rausbringen will, begeistert er sich auch für linke Autoren und Ideen. Darin findet er sich mit der Kommilitonin Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis), die bald Mitbewohnerin, Freundin, Übersetzerin und Sekretärin wird. Eine andere Freundin zieht gleich mit ein, denn „warum muss ein Dreieck immer zur Geraden schrumpfen?" Mit solchen Sprüchen gibt sich Gudrun zwar offen, doch auf Bernwards Liebschaften reagiert sie immer wieder mit radikalen Selbstverletzungen. Nach 1964 sind Bernward und Gudrun in West-Berlin Teil der außerparlamentarischen Opposition. Doch dann ist da auf einer Party dieser Andreas Baader (Alexander Fehling). Ein frecher Prolet, ein Macho mit dickem Schlitten und Ego, ein Mann der Tat, während Bernward die Gesellschaft mit seinen Büchern verändern will.
„Wer wenn nicht wir" basiert auf dem Sachbuch „Vesper, Ensslin, Baader – Urszenen des deutschen Terrorismus" von Gerd Koenen. Exakt solche Urszenen zeichnet Veiel mit gelungener Inszenierung und tollem Schauspiel nach: Die Entwicklung junger Menschen. Gudrun Ensslin wirkt schon jung hart im Gesicht und im Ausdruck. Doch erst als Baader mit dem Telefonkabel die Verbindung zu ihrem Sohn aus der Wand reißt, endet Jahre später zumindest formal die Zerrissenheit der nun offiziellen Terroristin. Ganz ohne Dokumentation kommt Veiel auch diesmal nicht aus, die Einbettung in die Weltpolitik gelingt mit historischem Material und super Ausstattung hervorragend. Dabei beobachtet man aber vor allem die Nuancen der persönlichen und politischen Handlungen. Auch wenn der Film in der verzweifelten Tragödie eines Liebenden endet, sich politische Analyse und persönliches Mitfühlen die Waage halten, verschenkt Veiel diese detaillierte Nachzeichnung mit den Mitteln der Fiktion nie an große Gefühle, die andere als Maxim der Unterhaltung zentral setzen. Eine spannende Balance zwischen Politischem und Persönlichem, die wohl eher für deutsche Zuschauer interessant ist. Als großer Favorit auf den Goldenen Bären ragt weiterhin allein das Drama von Schuld und Scharia „Nader And Simin, A Separation" des Iraners Asghar Farhadi („About Elly") in der dürren Ebene eines kargen Wettbewerbes hervor.