Unmut, Enttäuschung und Ärger - die Stimmungen einiger Berlinale-Filme pflanzen sich langsam im Publikum der Wettbewerbs-Sektion fort. Circa die Hälfte der nur 16 Starter hat sich gezeigt und Ratlosigkeit breitet sich aus angesichts eines sehr schwachen Niveaus, aus dem nur Wim Wenders' „Pina" - außer Konkurrenz - herausragte.
Kurz nachdem die Berliner keinen Volksaufstand, aber immerhin eine Volksabstimmung zu ihren Wasserrechten erfolgreich beendet haben, gab der berühmte Schauspieler Ralph Fiennes bei der Berlinale als Regisseur und Darsteller des martialischen Generals „Coriolanus" eine Lektion in Sachen Demokratie und Shakespeare-Verfilmung. Die ersten Bilder von Unruhen sind erschreckend aktuell, die Proteste gegen erhöhte Brotpreise im Maghreb sehen auch nicht anders aus. Zu den Bildern vom heute gibt es Shakespeares Originaltext von 1607 - der sich flüssig integriert. Rom im vierten Jahrhundert v. Chr: Das Volk hungert, die Reichen horten Getreide. Der hochmütige General Caius Martius Coriolanus (Fiennes) schützt die Stadt, verachtet aber die Plebejer und verhehlt dies nicht. Und irgendwie muss man ihm Recht geben, dass dies Völkchen sein Fähnchen sehr schnell in den Wind hängt. Doch ist die befürchtete Diktatur des Starken die einzige Lösung? Coriolanus wird verbannt und schließt sich dem Gegner an...
Mit schweren Waffen und lauter Action, aber insgesamt etwas zahmer als der blutrünstige „Titus" mit Anthony Hopkins, legte Fiennes sein Film-Stück an. Das rüttelt immer wieder wach und zeigt den Mimen, dessen kahlgeschorene Figur einen Friseurstuhl als Thron erhält, eindrucksvoll. Gerard Butler als sein Todfeind erweckt nicht viel Angst. Vanessa Redgrave als Mutter des sich schließlich selbst verschlingenden Kriegers legt einige grandiose Szenen hin.
Gutes Kulturkino, mit dem sich jedes Festival gerne schmücken kann - in Ergänzung ganz großer Werke. Nur die fehlen 2011 bislang. Das nützt auch „Les femmes du 6ème étage" von Philippe Le Guay, die kleine persönliche Revolution eines reichen Pariser Aktienberaters im Jahre 1962. Jean-Louis Joubert (Fabrice Luchini) verliebt sich in das neue spanische Dienstmädchen Maria (Natalia Verbeke) und kommt dabei den „Frauen der 6. Etage", den gesammelten Haushälterinnen des Gebäudes näher. Jean-Louis lebt auf wie nie zuvor und das Publikum amüsiert sich köstlich. Denn der etwas steife Bourgeois macht sich nicht lächerlich sondern locker.
Nur zwei Jahre später begann in Deutschland eine leichte Integrations-Komödie: Das Leben des Ein-Millionen-Ersten Gastarbeiters wird in „Almanya - Willkommen in Deutschland" erzählt - wortwörtlich. 1964 kommt Hüseyin nach Deutschland, um sein Familie im fernen Anatolien zu ernähren. Ein wechselhaftes Leben - von dem wir nicht viel erfahren - später hat er eine große Familie und überrascht diese mit der Nachricht, er habe ein Haus in „der Heimat" gekauft. Die Kinder und Enkel sollen alle zusammen in die Türkei um es aufzumöbeln. Während der Reise erzählt die Enkelin dem noch jüngeren Neffen eben diese Geschichte mit vielen Scherzen und eine witzigen Clou: Alle Türken reden deutsch und die Deutschen irgendein unverständliches Kauderwelsch. „Almanya", das Gemeinschaft-Produkt der Schwestern Samdereli, macht Spaß, aber ist generell im Wettbewerb fehlplaziert. Als harmlose Wohlfühl-Komödie ohne größere Probleme, aber auch ohne große Momente gehört sie ins Fernsehen.
Schwieriger, aber auch ästhetisch wesentlich interessant ließ Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" in der Konkurrenz um die Goldenen Bären keine Müdigkeit im Publikum aufkommen. Die erste Hälfte der „Schlafkrankheit" wirkt wie eine dieser gerade wieder modernen Ausbreitungen von Innerlichkeit auf der Leinwand. Diesmal mit dem dekorativen Hintergrund Afrika. Doch eine raffinierte Ellipse mit Perspektivenwechseln irgendwo in der Mitte, enttarnt eine sehr reizvolle Psycho-Story in der Tradition von Joseph Conrads „Heart of Darkness". Wie einst Colonel Kurtz in „Apocalypse Now" sich in Captain Benjamin L. Willard das eigene Exekutionskommando bestellte, holt sich der flämische Dr. Ebbo Velten jemanden von der Weltgesundheitsorganisation zur Evolution seiner sinnlosen Impfprojekte, weil er aus eigener Kraft nicht mehr von Afrika loskommt. Das Ende greift eine mythische Geschichte um ein Flusspferd wieder auf und erinnert an den thailändischen Cannes-Sieger „Onkel Boonmee". Das allein wird allerdings noch keinen Preis in Berlin bringen.