25.8.10

Der kleine Nick


Frankreich, Belgien 2009 (Le Petit Nicolas) Regie: Laurent Tirard mit Maxime Godart, Valérie Lemercier, Kad Merad, Sandrine Kiberlain 91 Min. FSK o.A.

Die Umsetzung eines Zeichentricks zum Film ist immer heikel: Beim klassischen Zeichen-Trickfilm geht gerne mal der spezielle Rhythmus der Einzelbilder verloren. Bleibt das Stakkato einzelner Szenen, wirkt es als Film holperig, siehe „Asterix & Obelix“. Macht man aus den Zeichnungen einen Realfilm mit Schauspielern aus Fleisch und Blut, gehen fast immer die ganz eigenen Charaktere aus der Feder der Künstler verloren. Ebenfalls: siehe „Asterix“, wo Depardieu droht, das Bild vom wahren Obelix zu verdrängen. Gelungene Gratwanderungen sind selten, „Sin City“ gehört vielleicht dazu.

Nun also „Der kleine Nick“. Ein kleine, ganz einfache Figur, der von seinem französischen Schöpfer Jean-Jacques Sempé (in Zusammenarbeit mit dem Asterix-Autor René Goscinny) mit minimalen Strichen nicht nur so viel Leben eingehaucht wurde, dass sie weit über Frankreich hinaus geliebt wird. In den kleinen Geschichten der Kinderbuchserie entstand auch ein ganz eigenes Universum, bestimmt von der nur scheinbar simplen Weltsicht des Grundschülers Nick. Denn in der Naivität des Kindes steckt reife Weisheit, die Sempé auch in seinen anderen Zeichengeschichten auf wunderbare Weise vermittelt.

Der kleine Maxime Godart ist in der Realverfilmung als Nick mit seinen großen Augen und dem staunenden Gesicht sympathisch und so präsent, dass man gar nicht lange vergleichen will. Aber vor allem ziehen die Geschichten einen sofort in den Bann glücklichen Lächelns und Lachens. Neben vielen anderen Episoden hat Nick ein großes, durchgehendes Problem: Es gibt unübersehbare Anzeichen dafür, dass er bald sein Zimmer mit einem kleinen Bruder teilen muss: Der Vater trägt den Müll raus und ist besonders nett zur Mutter. Aus herrlich präsentierten Wissensbröckchen machen sich die Freunde klar, dass ältere Geschwister dann wie Hänsel & Gretel im Wald ausgesetzt werden. Der Sonntagsspaziergang wird von nun an zur existenziellen Bedrohung. Irgendwann beschließt der speziell für diesen Notfall gegründete Geheimbund, einen Auftrags-Gangster einzuschalten. Nur wo bekommt Nick die notwendigen 500 Franc her?

Einige werden vielleicht nur ihrem gezeichneten Nick treu bleiben, doch man muss auch diese Figuren und Geschichten lieben. Zu den kleinen Comic-Strips und Gags kommt eine schöne durchgehende. Im Retro-Look eines Paris der Fünfziger Jahre schüttelt der französische Film mit großer Leichtigkeit einen Satz hervorragender Schauspieler aus dem Ärmel: Kad Merad, der Darsteller des Briefträgers aus „Willkommen bei den Sch’tis“, ist Nicks Vater. Sandrine Kiberlain, die „Mademoiselle Chambon“ aus der vergangenen Kino-Woche ist wieder Lehrerin, diesmal wunderschön komödiantisch verdattert. Die große Aufmerksamkeit für kleine Details ist überall spürbar, ein Gastauftritt des Monsieur Mathieu aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ erweitert das Nick-Universum in den reichen Bereich besonders gelungener Kinderfilme aus Frankreich. Bei den Kindern treffen die Charaktere ins Schwarze: Der Dicke verbindet jede Frage mit Essen, ein anderer mit dem Gaunertum, das er als Erwachsener betreiben will.

„Der kleine Nick“ beglückt mit sehr warmherzigen Momenten und mit anderen, in denen der Sempé aufblitzt. Es gibt sogar ein wenig Action, wenn Nicks Mutter bei der Fahrstunde einen Rolls mit Außerirdischem am Steuer überholt. Aber vor allem gibt es den unschätzbaren naiv-klugen, immer liebevollen Blick auf eine Welt, die wir alle wiedererkennen.