28.8.08

Venedig - Heiße Erotik im kühlen Petzold

Venedig. Ein neues Kino wird gesucht - wie immer bei Festivals, wartet man auf Werke, die alles auf den Kopf stellen und Bauwerke, die lange Bestand haben. Venedig legte gestern offiziell den Grundstein für einen neuen Festivalpalast, der 2010 zur Verfügung stehen und das arg in die Jahre gekommene aktuelle Ensemble ersetzen soll. Der künstlerische Direktor des Festivals Marco Müller kümmerte sich mit italienischer Politprominenz persönlich drum. Den Grundstein für ein gutes Festival legte er vorher mit gleich zehn Langfilmerstlingen in den Hauptprogrammen. Mit der Formulierung "viele alte Bekannte" vergisst man leicht, dass gerade Marco Müller in Locarno und Venedig das asiatische Kino und auch das aus dem Iran großartig gefördert hat. Und einen jungen deutschen Filmemacher, der 2000 mit "Die innere Sicherheit" in Venedig war. Nun zeigte Christian Petzold mit "Jerichow" seinen neuen Film, der tatsächlich anders als erwartet daher kommt.

 

Anfangs könnte alles wie in "Yella" wieder ein Traum sein: Thomas (Benno Fürmann) wird von einem ehemaligen Freund, der seine Schulden eintreibt, niedergeschlagen. Ein roter Zug fährt im Hintergrund durchs Bild, ein Reh verstärkt den surrealen Eindruck. Doch dann geht es zur Sache: Thomas hilft dem türkischen Imbissbuden-Besitzer Ali (Hilmi Sözer), seine 45 Läden am Laufen zu halten. Der erste Blick des ehemaligen Soldaten auf Laura (Nina Hoss) fällt auch ihrem eifersüchtigen Ehemann Ali auf. Trotzdem fordert der die beiden zu einem engen Tanz auf - ein Spiel mit dem Feuer am Meer, das dramatische Folgen hat.

 

Wie immer bei Petzold fasziniert die genaue Beobachtung - des Films und der Figuren. Manche bezeichnen das als kalt. Doch während Thomas und Laura eine heiße erotische Spannung in das Dreieck bringen, er bald seine Bisswunden verstecken muss, ist vor allem die Ökonomie der Gefühle kalt und berechnend. Laura hat 140.000 Schulden und Ali kaufte sie auf. Die Frage lautet nicht nur "Geld oder Liebe?" Sie lautet vor allem "Wer ist noch ehrlich?" Petzolds filmische Antwort macht nicht fröhlich, doch sie packt von Anfang an und erhielt freundlichen Applaus in der ersten Vorstellung. Für die Kenner des deutschen Films, war es reizvoll, Nina Hoss noch einmal anders, nämlich verlebter, zu sehen. Und eine Sensation, Benno Fürmann derart gut zu erleben. Auch das ein Verdienst von Petzold, dass er so viel aus dem schwachen Darsteller rausholt.

 

Der zweite Wettbewerbsstart zeigte einen alten Bekannten aus Japan: Takeshi Kitano, der mit "Hanabi" 1997 den Goldenen Löwen gewann und sich schon in seinen letzten beiden Filmen wenig geliebt mit seiner Rolle als Künstler beschäftigte, schließt dieses Kapitel nun sehr versöhnlich und liebenswert mit "Achilles und die Schildkröte" ab. Der Kino- und Fernsehstar ("Takeshi's Castle") erzählt die Biografie des Malers Mashisu, der als Kind alles für die Malerei vergisst. Später, nach persönlichen Schicksalsschlägen, vergisst Mashisu bei den Versuchen marktkompatibel zu sein, die Freude am Malen. Kitano, der nach einem schweren Motorradunfall zur Malerei kam, findet nach bewegendem Anfang und alberner Fortsetzung ein liebenswertes und versöhnliches Ende. Im Schlussbild geht der gescheiterte und geschundene Künstler mit seiner großen Liebe nach Hause. Einfach schön - weil halt nicht so klar gesehen wie Petzold.