27.2.06
Requiem
BRD 2005 (Requiem) Regie: Hans-Christian Schmid mit Sandra Hüller, Burghart Klaußner, Imogen Kogge, Jens Harzer 93 Min.
Die Perspektive ist wichtig. Wer den "Exorzismus der Emiliy Rose" gesehen hat, wird "Requiem" ganz anders erleben. Beide basieren auf der gleichen, tatsächlich in den Siebzigern in Süddeutschland erfolgten Tötung einer Studentin aus religiösen Motiven. Allerdings: Die wenigsten werden sich einen üblen amerikanischen Horrorfilm und auch einen engagierten deutschen Autorenfilm ansehen. Regisseur Hans-Christian Schmid ("Crazy") geht es bei "Requiem" nicht um den "Exorzismus (der Emiliy Rose)", sondern - wohl auch biografisch - um enges Leben im dörflichen Milieu.
Als Michaela (Sandra Hüller) die Zusage von Studentenwohnheim in Freiburg bekommt, geht der Familienkrach los: Die lieblose, konflikt-scheue Mutter, die jede Entwicklung der jungen Frau ersticken will, benutzt Michaelas Epilepsie als Vorwand, sie im Dorf zu behalten. Schließlich musste ja schon in der Oberstufe ein Jahr ausgesetzt werden. Doch der Vater hilft dem ängstlichen Kind heimlich und darf die Freude beim gelungenen Auf- und Ausbruch teilen. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten der nicht sehr geselligen und auffällig religiösen Michaela genießt sie das freie Leben und geht sogar auf Partys. Dem ersten Rumknutschen mit einem Freund folgt ein epileptischer Anfall.
Schlechtes Gewissen aufgrund einer erstickenden religiösen Erziehung? Zufall? Oder teuflische Besessenheit? Letzteres schließt Schmid gänzlich aus. Der verzweifelte Kampf Michaelas um ein eigenes Leben, die Zunahme der epileptischen Anfälle und die Hilflosigkeit von Freunden und Familie bieten genug Spannung. Eine ganz schlichte, alltägliche Tragik und deshalb auch besonders wirkungsvoll. Bis zum Ende, das - besonders grausam - den letzten freien Moment Michaela zeigt und das Sterben vorenthält.
"Requiem" schildert den Fall einer Studentin, die in Süddeutschland von besessenen Priestern umgebracht wurde. Nicht die Teufelsaustreibung selbst, sondern körperliche Erschöpfung haben Michaela amtlicherweise umgebracht. Und Aberglaube sowie katholischer Extremismus. Eine gute ärztliche Behandlung und eine Psychotherapie wären der einzig vernünftige Weg gewesen, das legt "Requiem" nahe.
Hans-Christian Schmid ("23"), der Entdecker zukünftiger Jungstars (Franka Potente mit "Nach Fünf im Urwald", Robert Stadlober mit "Crazy"), arbeitete in seiner nüchternen Analyse eines religiösen Mordes durch katholische Exorzisten, wieder mit einer bemerkenswerte Schauspielerin. Sandra Hüller, die traumhaft unsicher die keineswegs vom Teufel besessene Epileptikerin spielt, erhielt gerade bei der Berlinale den Silbernen Bär als Beste Darstellerin 2006. Ebenso beeindruckt Jens Harzer als "Exorzist", der auch in einem anderen neuen deutschen Film in der Hauptrolle als zynischer "Lebensversicherer" eine ganz große Show abzieht.
Vor allem aber ist "Requiem" eine nüchterne und trotzdem erschreckende Analyse deutscher Lebensumstände, die (ohne irgendwelche Horrorelemente) mit distanzierter Handkamera aufgenommen wurde.