17.2.06
Berlinale: Blicke lenken
"Unspektakulär Spektakulär" so fasste Festival-Chef Dieter Kosslick seine 5.Berlinale zusammen. Da passt es, dass gerade die stillen Filme Eindruck machten. Und ein Politikum. Heute Abend endet die 56.Berlinale mit der Preisverleihung. Die Entscheidungen der internationalen Jury um Präsidentin Charlotte Rampling werden erstmals nicht vorher bekannt gegeben. Aus Rücksicht auf den Medienpartner ZDF, der großes Interesse zeigte und mit einem Studioungetüm den Blick auf das abendliche Defilee versperrte.
Neben den üblichen Stars - in diesem Jahr von Meryl Streep über George Clooney bis zu Vin Diesel - konnte Kosslick drei ehemalige Guantanamo-Häftlinge zur Premiere von "The Road to Guantanamo" auf dem roten Teppich begrüßen. Überhaupt wurde weltweit und vom Autoren- bis zu einem Mainstream-Film wie "V for Vendetta" deutlich Kritik an demokratischen Regierungen. Da fliegt im großen, triumphierenden Finale das Westminster-Parlament minutenlang in die Luft - und es ist das Happy End für den maskierten Rächer in "Vendetta"! Da wird in "The Road to Guantanamo" des ehemaligen Berlinale-Siegers Michael Winterbottom ("In this Country") gefoltert und erniedrigt - von amerikanischen und englischen Soldaten. Ein argentinischer Leibwächter erschießt in dem konzentrierten Protokoll "El Custodio" (Der Schatten) seinen Chef, den Minister.
Ebenso still intensiv wie "El Custodio", der in Cannes Siegerfilm sein könnte, erzählt "Sehnsucht", die große Überraschung unter den vier deutschen Wettbewerbsbeiträgen: Valeska Grisebach ("Mein Stern") inszenierte ihr Romeo und Julia auf einem brandenburgischen Dorfe mit Laien. Der verschlossene Schlosser Manfred wird Zeuge eines Selbstmords und kann sich danach nicht zwischen zwei Frauen entscheiden. Auf den ersten Blick macht die dörfliche Umgebung nicht viel her, doch das Drama wurde mit Raffinesse, viel mehr Magie und Kunst als der triste Hintergrund vermuten lässt und dem überraschendsten Ende des Festivals zum Geheimfavorit.
Als letzter Starter der deutschen, die sich gegen internationale Produktionsmillionen schwer taten, ging Hans-Christian Schmid ("Crazy") mit "Requiem" gestern an den Start. Es geht ihm bei der Studentin, die in Süddeutschland tatsächlich von besessenen Priestern umgebracht wurde, nicht um den "Exorzismus der Emiliy Rose", sondern - wohl auch biografisch - um enges Leben im dörflichen Milieu. Schmid, der Entdecker zukünftiger Jungstars (Franka Potente, Robert Stadlober) beeindruckt mit der Hauptdarstellerin Sandra Müller. Und mit Jens Harzer als "Exorzisten", der in der jungen Reihe "Perspektive deutsches Kino" als zynischer "Lebensversicherer" eine ganz große Show abzieht. Bester Darsteller war eindeutig Philip Seymour Hoffman als "Capote". Dieser Mann kann ein zum Pinocchio recyceltes Branchenverzeichnis zur spannenden Figur machen. Wenn es einen echten Wettbewerb um den besten Schauspieler geben sollte, müsste Hoffman außer Konkurrenz bleiben.
Bei der durchaus reizvoll unübersichtlichen Berlinale konnte sich jeder Teilnehmer seine "Tendenz" selbst suchen. Aber es scheint ganz hilfreich, ein paar Themen auf die Plakate zu schreiben, wie das friedenssinnige "Shoot Movies, not People" in der Vergangenheit. Zum Glück biederte sich nicht die ganze Berlinale dem jetzt schon unerträglichen WM-Balla-Balla an, nur eine Handvoll Filme zu dem Thema ließen sich entdecken. Auch die Star-Frequenz kann ganz subjektiv beantwortet werden: Die einen kreischten bei George Clooney, die anderen vergingen in Verehrung vor japanischen Meistern wie Sabu in die Knie, andere wurden wiederum völlig übersehen. Als weitere Tendenz böte sich der schmutzige Witz an, nach dem Motto, wenn wir nicht mehr karikieren dürfen, dann lassen wir wenigstens richtig die Sau raus. Sexismus inklusive, aber Karneval steht ja sowieso vor der Tür.
Zum Abschluss versteckte man "Der Tiger und der Schnee", das unerträgliche Märchen aus 1001-Kriegsnacht von Roberto Benigni im Programm. Die Unverschämtheit läuft am Publikumstag, wenn das Fachpublikum längst beim nächsten Festival ist. Der nervige italienische Komiker Benigni hätte einen Regisseur gebraucht, der seine Albernheiten in einem unblutigen Studio-Irakkrieg (ohne einen Toten!) bremst. Doch die nicht zu bremsende Quasselstrippe macht bei seinem "Das Leben ist schön 2" vor nichts halt. Mal sehen, über welches Massenmorden er demnächst seine Scherze macht. Hoffentlich nicht auf der nächsten Berlinale.