8.2.06
Film-Olympiade in guter Form
Die 56.Berlinale mit vier deutschen Wettbewerbs-Filmen und vielen Events
Von Günter H. Jekubzik
Berlin. Schöner, packender, erschütternder - so ein olympisches Streben könnte man der Berlinale (9.-19.Februar) anhängen, die am heute Abend mit dem englischen Drama "Snow Cake" eröffnet wird. Denn so ein Filmfestival ist längst kein übersichtliches Ereignis mit vielen Filmen mehr, es ist eine komplette Film-Olympiade mit zahllosen Disziplinen und einer unübersehbaren Reihe von Events.
Es ist die 56.Berlinale aber vor allem die 5. des irgendwie immer noch frischen Festivaldirektors Dieter Kosslick. Er sorgte für eine neue Stimmung und brachte den deutschen Film zurück in den internationalen Fokus. "Dieters Wohlfühl-Berlinale" zeigt im Wettbewerb um den Goldenen Bären 26 Filme aus 24 verschiedenen Ländern, davon kommen gleich vier aus Deutschland. Gespannt darf man sein, was Oskar Roehler aus dem ziemlich unangenehmen Houellebecq-Stoff "Elementarteilchen" macht. Hans-Christian Schmid ("Crazy") zeigt in "Requiem" noch einmal einen vor wenigen Jahren in Bayern vorgenommenen, tödlichen Exorzismus, der kürzlich im US-Film "Der Exorzismus der Emily Rose" unsäglich verbrämt wurde. Jürgen Vogel sieht man als Vergewaltiger in "Der freie Wille" von Matthias Glasner. Und Valeska Grisebachs "Sehnsucht" erzählt von einer Dreierbeziehung im kommunistischen Osten. Dazu so ein typischer "Kosslick": "Wenn man sich nicht zu Tode lachen will – dann sollte man deutsche Filme gucken gehen."
Angekündigt hat Kosslick eine eindeutig politische Berlinale und damit steht sie in guter, alter Tradition des Festivals. Berlinale-Star Michael Winterbottom nimmt "The Road to Guantanamo", um die Kamera auf diese Schändung der Menschenrechte zu richten. Er zeigt drei Muslime, die in dem US-Gefängnis auf Kuba festgehalten werden. Kosslicks Wunsch zum Film: "Wenn es nach mir ginge, würde ich die 450 Guantanamo-Häftlinge, die dort unter Missachtung jeglicher Menschenrechte festgehalten und gefoltert werden, liebend gern auf dem roten Teppich treffen". Dort muss er zum Auftakt mit Sigourney Weaver und Alan Rickman (für "Snow Cake") Vorlieb nehmen. In den kommenden Tagen werden unter anderem George Clooney, Isabella Rossellini, Claude Chabrol, Meryl Streep, Roberto Benigni, Nick Cave, Natalie Portman und Philip Seymour Hoffman erwartet.
19 Filme schielen auf Gold und Silber, die von der achtköpfigen internationalen Jury um Präsidentin Charlotte Rampling vergeben werden. Doch diese Konkurrenz im Berlinale-Palast ist nur das bekannteste Aushängeschild der Berlinale. Außer Konkurrenz gibt es beispielsweise grandiosen ästhetischen Augenkitzel in Chen Kaiges historischem Epos "Promise": Ein kleines Mädchen bekommt in harschen Kriegszeiten von einer Fee alles versprochen, was sie sich wünscht, wenn sie für immer auf Liebe verzichtet. In der Nebensektion Panorama schickt "Stay" Ewan McGregor ("Star Wars") in ein auch optisch faszinierend verwirrendes Psycho-Labyrinth bis zur Überraschung im Stile von "The Sixth Sense". Der "Talent Campus" bringt hunderte Nachwuchsfilmer mit prominenten Mentoren zusammen und kann schon Erfolge der letzten Jahre in der "großen" Berlinale aufweisen. Der Film-Markt, aufgrund internationaler Terminverschiebungen voll im Aufwind, zog direkt in den sehr repräsentativen Gropius-Bau um die Ecke. Und realistisch gesehen, gibt es ja auch all die schöne Kultur der Berlinale nur, wenn genügend Filme und vor allem DVDs verkauft werden.